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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Was Gott verantworten muß und was Stefan Dozana verantworten will

Das Weihnachtsfest schien von den Waldleuten in dumpfer Verzweiflung hingebracht werden zu sollen. Es war in Piatra ein Klagen, als würde der ganzen Menschheit der Heiland geboren, nur den Bauern von Piatra nicht. Der Jammer der Frauen besonders war so groß geworden, daß sie keine Worte mehr dafür fanden. Stumm gingen sie in ihren Häusern umher, stumm blieben sie auf der Gasse. Da geschah es zum erstenmal, daß die Männer mit scheuen Blicken ihren Weibern ins Gesicht spähten.

Nicht einmal die Freude der Kinder sollte das Fest heiligen; selbst sie wurden durch den Bann zu anderen Geschöpfen. Sie befanden sich einem Schauervollen gegenüber, das sie zwar nicht begriffen, das aber ihre Lust still machte und allen ihren Jubel erstickte. Bereits in diesem ersten Winter der Ächtung spielten die Kinder der Waldleute fast ausschließlich: »Bischof Mauricius« und »Judenvertreiben«. Bei beiden Spielen ging es nicht lustig, sondern wild zu.

Und nun kam Weihnachten! Aber in keinem Hause mengten die Mütter Mehl, Honig und Gewürze; in allen Häusern erschallten die jammernden Klagen der Kleinen: »Zu Weihnachten gibt es keinen Honigkuchen!« Das schnitt mancher Mutter tiefer ins Herz, als wenn sie ihre Kinder nach Brot hätte schreien hören.

Dennoch sollten die Kinder der Bauern von Piatra auch am Weihnachtsfeste dieses unseligen Jahres beschert bekommen, und zwar auf eine so geheimnisvolle Weise, daß sie fast wunderbar erschien. In der Nacht, in welcher den Christen der Heiland geboren, schritten ein jüdisches Weib und ein jüdischer Knabe durch das Dorf der Waldleute und legten auf der Schwelle jedes Hauses etwas Eingehülltes nieder und das Weib murmelte über jeder Schwelle einen Segensgruß.

Hell schien der Mond und verklärte die winterliche Welt, er verklärte die beiden wandelnden Gestalten und goß sein leuchtendes Licht über die Häupter von Christen und Juden, so daß es eine wahrhaft heilige Nacht war.

Heimlich, wie sie gekommen, gingen sie wieder; und sie empfanden, als wäre ihnen, die gegeben hatten, gegeben worden, als hätten sie, die Segen gebracht, Segen empfangen.

Am nächsten Morgen zeigte sich für die Kinder der Waldleute die durch den Mangel von Honiggebäck am Weihnachtsfest völlig aufgelöste Weltordnung einigermaßen wieder hergestellt: in Tannenreis gewickelt, fand sich vor jeder Tür in Piatra ein mächtiges Stück goldig-braunen, köstlich duftenden Lebkuchens. Da ging ein Ruf des Staunens und des Glückes durch das ganze Dorf.

»Das Christkind hat unseren Kindern Honigbrot beschert, das Christkind ist zu den Geächteten nach Piatra gekommen!«

Laut weinten die Frauen, auch über die starren Züge der Männer zuckte eine heftige Bewegung; die Kinder aber hatten alle ihren Jubel wiedergefunden.

Nun kosteten die Bäuerinnen das himmlische Gebäck und ward darob ein großes Kopfschütteln, Staunen und Wundern; denn es schien, daß die Muttergottes im Himmel schier besser mit Mehl und Honig umzugehen wußte, als auf Erden die Bäuerinnen von Piatra. Da nahm sich jede wackere Hausfrau im geheimen vor: sollte sie trotz der Acht des Bischofs durch die Gnade Gottes dereinst selig werden, so wollte sie die liebe Gottesmutter nach dem guten Rezept ihrer Backwaren befragen, und jede erhoffte sich Vorteil davon. Und noch etwas setzte alle in Verwunderung: daß das Christkind vor manchem Hause Honiggebäck niedergelegt hatte, darin es keine Kinder zum Verzehren der Süßigkeit gab. Und niemand vermochte für eine solche Unwissenheit des Christkindleins, die ehelichen Verhältnisse der Bewohner Piatras betreffend, eine Erklärung zu finden; es hatte denn der kleine Heiland durch diese Kuchenspenden den kinderlosen Eltern andeuten wollen, daß bei Gott kein Ding unmöglich sei. Schon dachte manche, der solche Verkündigung geworden, voll heimlicher Sorge an Windel und Wiege.

Aber das hatte das Christkind erreicht, daß die armen Geächteten inmitten ihrer Verzweiflung von neuer Hoffnung erfüllt wurden, und daß man in Piatra auch ohne Messe, Beichte und Kommunion das Weihnachtsfest feierte. Drei Tage und drei Nächte brannten in der alten und der neuen Kirche auf allen Altären, vor allen Heiligenbildern die Wachskerzen; drei Tage lang läuteten die Waldleute die Glocken; drei Tage durchzogen in langen Reihen Weiber und Kinder singend das Dorf. So dankten die Bauern dem Himmel für das Wunder, welches er für ihre Kinder hatte geschehen lassen, weil diese – einen Judenknaben gesteinigt!

So vernahmen die Juden von Reï-mi-Bal die Mär und glaubten dieselbe; so vernahmen sie Dozia und Asarja und wußten es besser, sagten es aber nicht; so drang sie bis zum Bischof Mauricius. Der jedoch fand an dem Wunder wenig Gefallen, schwieg dazu, handelte aber darnach.

*

Als Stefan Dozana zu seiner Gemeinde zurückkehrte, mußte er erkennen, was viele, was die meisten in ihrem Leben einmal erkennen müssen: er war gar nicht vermißt worden! Dieser Mann, dessen ganzes Sinnen darauf gestanden hatte, über seine Gemeinde zu herrschen, dem zu diesem Zweck jedes Mittel recht erschienen war, dessen gewalttätiger Geist und dessen Herrschsucht es dahin gebracht, aus einer Gemeinde freier Bauern seine Untertanen zumachen; dieser Mann mußte erkennen, daß er in wenigen Wochen vergessen worden wäre – hätte nicht in der alten Kirche das Fell eines Bären gehangen, der zufälligerweise von ihm erlegt worden. Was Stefan Dozana als Priester an den Bauern von Piatra getan, das Gute sowohl wie das Böse, war ihrem Gedächtnis schier über Nacht entschwunden; doch seines nächtlichen Bärenkampfes gedachte jedermann. Um einer zerfetzten Bärenhaut willen von seinen Landsleuten geehrt zu werden, das war eine Demütigung, die der stolze Mann nicht überwand. Jede Strafe für sein vergangenes Tun wäre ihm lieber gewesen, als dieser Lohn für diese eine Tat.

Auch wühlte in ihm die Erkenntnis, daß die Waldleute, von ihm, ihrem Tyrannen, erlöst, glücklich gewesen wären, sich einem anderen unterwerfen zu können. Diese innere Unfreiheit der Bauern von Piatra erfüllte Stefan Dozana von neuem mit jenem heftigen Schmerz, den er damals im Gemeindehause vor dem Bischof empfunden. Und noch dankte er dem Himmel, daß es nicht der Bischof war, den die Waldleute zu ihrem zweiten Tyrannen begehrten, sondern – Michael Cibula.

Solche Gedanken führten ihn zu allerlei düsteren Betrachtungen: hätte der Bischof recht, wären die Urkunden wirklich verjährt und ungültig, die Rechte und Freiheiten der Waldleute wirklich null und nichtig, und es käme demnach die Kirche, sich ihre Rechte, es käme das Reich, sich die seinen zu nehmen – sie verdienten es gar nicht anders! Waren sie knechtisch gesinnt, wie er jetzt erkannte, so konnten sie auch Knechte werden. Mochte die Kirche ihre Mönche, der Staat seine Diener nach Piatra schicken; mochten in der Verrös Klöster entstehen; mochte der Bischof zum zweiten Male kommen und die Waldleute in ihr Gemeindehaus berufen – nicht zum zweiten Male würde Stefan Dozana allein auf seinem Platz in der Halle stehen; verleugnen würde er sie, welche die Freiheit ihrer Väter verleugneten.

So dachte Stefan Dozana in seinem Zorn und Schmerz. Doch dann saß er wieder halbe Tage und Nächte lang an seinem Tisch über die Papiere gebeugt, und sein von Leiden entstelltes Gesicht verzerrte die Qual fruchtlosen Suchens. Trat er dann nach solchen Stunden vom Tische fort zu dem Bilde der Himmelskönigin, sah er zu diesem holdseligen Antlitz auf, so verschwand der schreckliche Ausdruck aus seinen Zügen, so wurden seine Mienen friedlich und feierlich. Niemals betete er zu dem Bilde; aber die Empfindung, mit der er davorstand, konnte ihm als Gebet angerechnet werden. Solange er noch kein geachteter Priester gewesen, hatte er die Liebe zur Gottesmutter jede Stunde auf seinen Lippen tragen müssen; jetzt blieb, eines tröstlichen Wortes gedenkend, sein Mund stumm. Vielleicht verstand die Gottheit dieses Schweigen.

Erst im Frühling vermochte er das Versprechen, welches er Josepha gegeben hatte, zu erfüllen; denn erst im Frühling waren seine Kräfte so weit gediehen, daß er sich zu Fuß durch die Schlucht nach der Judenstadt begeben konnte.

Es war eines Sonnabends, da er, nachmittags aufbrechend, gegen Abend an den Fuß des Kryvan gelangte. Kaum hatte er den Wildbach an seichter Stelle überschritten, als er an den verschiedensten Zeichen das Gebiet der Juden erkannte. Da war der Wald ausgeholzt, damit Licht und Luft die Stämme umfließe, da waren die alten Bäume gefällt, zersägt und geschichtet, da war an gelichteten Stellen für Nachwuchs gesorgt. Doch hatte den jungen Pflanzungen das Wild großen Schaden getan, woraus er schloß, daß die Juden grade keine großen Jäger vor dem Herrn seien.

Dann gelangte er auf die Straße, die so kühn und zugleich so gut gebaut war, daß er erstaunte; in zwei gewaltigen Windungen führte sie die Abhänge des Kryvan hinan. Aus dem Walde tretend, der immer mehr sich von der Judenstadt zurückzog, schritt er durch die sprießenden Saaten, über denen heiliger Sabatfriede ruhte. Aber auch hier gewahrte Stefan Dozana die Einbrüche des Wildes. Es war ihm leid um den zerstörten Segen des Feldes.

Jetzt leuchteten durch die Dämmerung die weißen Häuser der Judenstadt über ihm; der Weg wendete sich und jenseits der Schlucht dunkelten die Häuser Piatras herüber, eher dem Horste eines Raubvogels gleichend als menschlichen Wohnstätten. Stefan Dozana war so in seine Betrachtungen versunken, daß er zusammenfuhr, als er plötzlich ganz in seiner Nähe Gesang vernahm, eintönig und feierlich.

Nun gewahrte er erst, daß unterdessen die Nacht eingebrochen, und daß er am Rande der Schlucht stand, nicht weit von dem Tempel der Juden. Sie hielten Gottesdienst und mußten wohl ein großes Fest begehen; denn von seinem Platze aus konnte Stefan Dozana durch die offene Türe in die Synagoge hineinsehen, und ihm war, als schaute er in die aufgehende Sonne. Inmitten von Goldglanz und Lichtgluten sah er ein strahlendes Abbild der Bundeslade mit den sieben heiligen Leuchtern. Um das hehre Heiligtum standen, als schwebten sie über den Häuptern der Gemeinde, Jungfrauen in weißen Gewändern, schön wie Cherubime. Sie sangen. Dann schlugen die Pforten des Heiligtums zu.

Auch hier ist ein Mysterium, dachte Stefan Dozana. Ob auch hier ein Gott ist? Der Gott des alten Testamentes! Wodurch unterscheidet sich dieser von dem Gotte der neuen Offenbarungen? Die neuen Offenbarungen lehren von einem Sohne Gottes, der gekreuzigt worden.

War Christus nicht der Sohn desselben Gottes, der Moses im flammenden Dornbusch erschien?

Und man nannte die Juden die Feinde Gottes? Sie wurden von den Christen gehaßt, verfolgt; sie wurden von ihnen Vertrieben, getötet? ...

Stefan Dozana wollte warten, bis der Gottesdienst vorüber war. Über seinen dunklen Gedanken leuchtete der klarste Sternenhimmel. Endlich öffneten sich die Türen wieder und der Tempel leerte sich.

Stefan Dozana wartete, bis der letzte der andächtigen Gemeinde gegangen, bis der Glanz des Heiligtums erloschen war. Dann ging auch er, ohne einem Menschen zu begegnen.

Bald fand er das Haus des Rabbiners, an der Schlucht, dem Hause Michael Cibulas gerade gegenüber. Auch war es, wie es der Wohnung des Rabbiners gebührte, stattlicher als die anderen Häuser des Ortes, dem nun auch Stefan Dozana den Namen einer Stadt beilegen mußte. Obgleich die Haustüre offen stand, klopfte er an. Asarja, der eben mit einer Leuchte in der Hand über den Hausflur ging, sah ihn zuerst und erschrak bei dem plötzlichen Anblick des Christenpriesters so heftig, daß er das Licht fallen ließ. Es verlöschte am Boden. Wie von Wehmut ergriffen über das Entsetzen, das er einflößte, sagte Stefan Dozana mit leiser und milder Stimme:

»Ich komme, um deiner Mutter Dozia einen Gruß zu bringen. Rufe sie heraus.«

Asarja war es, als tastete die Hand des Priesters nach der seinen; er faßte sich ein Herz, griff zu und hielt die Hand des fremden, feindlichen Mannes fest.

»Wenn du meine Mutter grüßen willst, will ich dich zu ihr führen.«

Und ehe er etwas erwidern konnte, fühlte sich Stefan Dozana von dem Judenknaben in den Hausflur gezogen, Asarja öffnete eine Türe, und die in der Kemenate Dozias beim Festmahle versammelte Familie Jehudas sah plötzlich auf der Schwelle Stefan Dozana stehen. Und Asarja hielt den Priester bei der Hand, Asarja führte ihn hinein ins Haus, Asarja war es, der mit einem Worte das Erstarren bannte, das über alle gekommen war.

»Er will die Mutter grüßen,«

Nun erhoben sich alle, Jehuda, sein Weib und der Patriarch, alle traten auf Stefan Dozana zu und bewillkommneten ihn, als wäre ein hochgeehrter Gast in ihr Haus getreten. Nur Makkabea zog sich scheu vor dem Christen zurück. Dozia trug ihr purpurfarbiges Gewand und sah wie eine Königin aus; aber ihr Gruß war fast demütig. Jehuda sagte:

»Du trittst an einem hohen Festtage bei uns ein: wir haben heute unseren Tempel geweiht. Gefällt es dir, an unserem Tische Platz zu nehmen und von unserem Brote zu essen, so soll dieser Tag ein dreifach gesegneter sein.«

Auch Baruch Kolon sprach: »Gnade hat Gott gewährt seinem Volke, daß du in Frieden zu einem seines Volkes gekommen bist,«

Stefan Dozana wollte eine rauhe und feindselige Antwort geben; doch die Stimme versagte ihm: er fühlte sich zu Tode ermattet und konnte nur ablehnend winken. Indessen duldete er, daß Asarja, der seine Hand nicht loslassen wollte, ihn zu einem Sessel führte. Da verließen ihn die Kräfte, daß er, um nicht zu sinken, schnell sich setzen mußte. Nun trat Dozia zu ihm. Auf einem silbernen Teller bot sie dem Gaste ungesäuertes Brot, in einem silbernen Becher gemischten Wein. Trotzdem Stefan Dozana von brennendem Durste gequält wurde, setzte er den Becher nur an die Lippen, das Brot wies er ab. Dann richtete er an Dozia seinen Auftrag aus:

»Mich sendet Josepha Cibula, des Michael Cibula Weib. Ich soll dich von ihr grüßen und dir sagen, daß die gesegneten Worte, welche du auf der Schwelle ihres Hauses zu ihr gesprochen, an ihr in Erfüllung gegangen seien und ihr die Erlösung gebracht hätten. Solches ist meine Botschaft an dich.«

In tiefer Bewegung blickte Dozia zu ihrem Manne hinüber. Dann bat sie: »Erzähle uns von Josepha Cibula. Auch von Michael Cibula und seinem Sohne; sie sollen alle aus ihrem Hause fort sein, so daß der Cibula altes Haus einsam und tot steht. Wir tragen deshalb großen Kummer; denn es ward uns gesagt, wir hätten sie aus ihrer Heimat vertrieben. Nun liegt auch das auf uns, und beinahe wird es zu viel.«

»Erzähle uns von Urs Cibula!« rief Asarja.

Da überlief es Stefan Dozana, als habe er aus dem Munde des Knaben Gottes Wort vernommen; scheu blickte er auf Dozias jungen Sohn. Alle hörten ihm zu, wie er erzählte, nur allein Makkabea blieb in ihrer Ecke stehen und ihre Augen sahen böse herüber. »Die Cibula leben in einem Tale, das der schwarze Grund geheißen wird; es ist aber ein lichter Grund, darüber der Geist Gottes schwebt. Er schwebt sichtbarlich über dem Haupte Josepha Cibulas, so daß auch ihr Mann gesegnet ist. Er hat gesäet und wird ernten. Sein Sohn ist ein wilder Knabe, in dessen Seele Gutes und Böses noch nicht geschieden ist. Wer kann wissen, was aus dieser Saat aufgeht, ob es Unkraut oder Blumen sein werden.«

Makkabea war, als Stefan Dozana so sprach, näher getreten.

Dann blieb es eine Weile still. Die Christen pflegen zu sagen: es fliegt ein Engel durch das Zimmer. Oder kommt der Seraph nicht, wo Juden zusammen schweigen?!

Stefan Dozana wollte sich erheben und gehen; allein er saß wie gebannt, schaute auf das strahlende Gemach, die schimmernden Geräte, schaute in das gute Gesicht Jehudas, schaute auf das herrliche Weib, die blühenden Kinder; und er mußte sich gewaltsam mahnen, daß er sich bei einem Priester befände.

Er sprang auf. Mit verwandeltem Gesicht, ganz anders, als er gekommen, ging er. Jehuda wollte ihn begleiten, Asarja seine Hand fassen; aber beides heftig abwehrend, eilte Stefan Dozana aus dem Hause.

... Was war das für ein Gott, der seinen Priestern gewährte, Menschen zu sein wie die andern, und Menschen zu bleiben? Der auch seinen Gesalbten gönnte, ihr Haupt an eines teuern Weibes Brust zu legen und an die Wangen lieblicher Kinder zu lehnen? Es war ein allliebender, allgütiger Gott!

Was war das für ein Gott, der seinen Priestern verbot, zu sein wie andere Menschen mit all ihrem Glück und all ihrem Leid? Der sie des reinsten und höchsten Glückes beraubte? Es war ein grausamer, tyrannischer Gott!

Es war ein selbstsüchtiger Gott.

Es war ein Gott, der nichts neben sich duldete, auch nicht das Menschenglück seiner Priester.

Was hatten sie begangen, daß sie von diesem Glücke ausgeschlossen waren, daß sie abseits stehen mußten von der Gemeinschaft der Glücklichen?

Es war eine Ungerechtigkeit!

Sie sollten den Menschen die Gottheit verkündigen, sie preisen als den Quell aller Gnade und aller Glückseligkeit im Himmel und auf Erden; wie konnten sie das, da die Gottheit ihnen so feindlich entzog, was sie doch dem größten Sünder spendete? Wie sollten die Priester ihre Gemeinden in allen ihren Sorgen und Leiden trösten und aufrichten können, sie, die nichts wußten von den Sorgen und Leiden eines Gatten und Vaters? Aber auch von des Weibes Seele wußten sie nichts, die sie nie ein Weib an ihr Herz nehmen durften. Sie verkündeten die Gottheit des Herrn des Himmels und der Erde; doch jene Gottheit, die in der Seele eines liebenden Weibes auf die Welt gesendet wird, blieb ihnen verhüllt.

Und warum?

Um Gott besser dienen zu können!

Diente der Christenpriester Stefan Dozana seinem Gotte besser als der Judenpriester Jehuda Kolon dem seinen? Stockte in dem Munde des Judenpriesters, nachdem er soeben zu seinem Weibe gute und zärtliche Worte gesprochen, die Verkündigung des Wortes Gottes? Ward dadurch das Wort Gottes in seinem Munde entweiht? Oder, wenn er mitten in seinen Gedanken an Gott seiner Kinder gedachte, sei es in Glück oder in Leid, wurden des Priesters Gedanken dadurch entheiligt?

Geheiligt wurden sie dadurch, zehnfach und dreißigfach!

Für ihn indessen waren solche Gedanken Todsünden, die freilich von den Priestern der alleinseligmachenden Kirche zu Tausenden begangen wurden.

Aber alle Schuld daran, alle Verantwortung dafür auf das Haupt der Kirche! Mochte sie zusehen, wie sie darin vor Gott bestand.

Als ob Gott nicht einen Sohn zum Kreuzestot auf die Welt gesendet, als ob dieser Sohn keine Mutter gehabt hätte! Aber Gottes Priester waren verflucht, ohne Familie zu leben. Doch nicht die Priester aller Religionen – Gott sei Dank! ...

Solche Gedanken waren die nächtlichen Begleiter Stefan Dozanas auf seinem nächtlichen Heimwege. Sie folgten ihm in sein Haus, das ihm, obgleich in seinem Zimmer Licht brannte, noch nie so dunkel erschienen war; sie schritten mit ihm in seine Kammer, die ihm, mit dem glanzvollen Bilde der Kemenate, mit Dozia und ihrer Kinder Gestalten in der Seele, noch nie so öde gedäucht hatte. Ohne sich in das Wohnzimmer zu begeben, wo Maura auf ihn zu warten schien, wollte er sich angekleidet auf das Bett werfen, als seine Schwägerin in die Kammer trat.

Rauh fuhr Stefan Dozana sie an:

»Warum bist du aufgeblieben? Du hättest nicht auf mich zu warten brauchen.«

»Es ist jemand gekommen,« flüsterte sie und sah scheu hinter sich auf die Tür zu seinem Wohngemach.

»Gekommen? Wer? Ein Fremder?«

Maura nickte: »Er kam gegen Abend und wartet drinnen auf dich.«

»Der Bischof?!«

»Einer, den der Bischof schickt – der Schriften wegen.«

Seit beinahe einem halben Jahre hatte Stefan Dozana diesen Abgesandten des Bischofs erwartet, seit beinahe einem Jahre sich darauf vorbereitet. Nun er gekommen war, traf es ihn wie etwas Unvorhergesehenes. Kaum vermochte er seine Gedanken zu sammeln, kaum zu verstehen, was Maura ihm ankündigte:

»Die Bauern haben auf morgen in aller Frühe einen Rat angesagt. Auch dir ist er angezeigt worden.«

»Wirklich, auch mir,« murmelte er. »Vielleicht werde ich hingehen.«

»Jetzt mußt du zu dem Fremden.«

»Was ist es für ein Mann?« forschte Stefan Dozana und erschrak über den sonderbaren Ton seiner Stimme.

»Er sieht aus wie einer, der sehr viel weiß.«

»Er wird auch sehr viel wissen.«

Damit schritt er langsam der Tür seines Zimmers zu. Dabei dachte er: Wozu Gott uns Priester zwingt, das mag Gott verantworten – wozu ich diesen Mann zwingen will, das werde ich verantworten.


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