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Drittes Kapitel

Der Hurone namens Harmlos wird bekehrt

Dem Herrn Prior ward es klar, daß Gott ihm diesen Neffen zum Trost für sein herannahendes Alter gesandt habe. Er setzte es sich in den Kopf, er könne ihm seine Pfründe übertragen, wenn es nur gelänge, ihn zu taufen und ihn in den Orden eintreten zu lassen.

Der Harmlose hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Die Festigkeit der Organe eines Niederbretonen, gestärkt durch das Klima von Kanada, hatte sein Hirn so gekräftigt, daß man darauf klopfen konnte, ohne daß er es spürte. Wenn man ihm etwas einprägte, verwischte es sich nicht; noch nie hatte er etwas vergessen. Seine Auffassungsgabe war um so lebhafter und genauer, als seine Kindheit nie mit dem überflüssigen Krimskram beladen worden war, mit dem die unsere gequält wurde. Die Dinge traten unverfälscht in sein Hirn. Der Prior entschloß sich, ihn das Neue Testament lesen zu lassen. Der Harmlose verschlang es mit viel Vergnügen. Nur wußte er nicht, in welcher Zeit und in welchem Land alle in diesem Buch erzählten Abenteuer geschehen waren. So zweifelte er nicht, daß ihr Schauplatz in der Niederbretagne gewesen sei. Er schwor, er werde dem Kaiphas und dem Pilatus Nase und Ohren abschneiden, wenn er diese Gauner je treffen würde.

Sein Onkel war entzückt über diese guten Anlagen; er klärte ihn in kurzer Zeit auf, lobte seinen Eifer und belehrte ihn, daß dieser Eifer unnötig sei, da jene Leute seit ungefähr sechzehnhundertundneunzig Jahren tot seien. Der Harmlose wußte bald das ganze Buch auswendig. Er stellte manchmal schwierige Fragen, die den Prior sehr in Verlegenheit brachten. Dieser war oft genötigt, den Abt von Saint-Yves um Rat zu fragen, der seinerseits ebenfalls nicht zu antworten wußte und einen niederbretonischen Jesuiten kommen ließ, um die Bekehrung des Huronen zu vollenden.

Schließlich wirkte die Gnade. Der Harmlose versprach, Christ zu werden. Er zweifelte nicht, daß es mit der Beschneidung beginnen müsse. »Denn«, sagte er, »ich sehe in dem Buche, das man mir zu lesen gab, keine einzige Persönlichkeit, die nicht beschnitten worden wäre. Es ist also klar, daß ich das Opfer meiner Vorhaut bringen muß: je schneller desto besser.« Kurz entschlossen schickte er nach dem Wundarzt des Dorfes und bat ihn, die Operation vorzunehmen. Er rechnete darauf, Fräulein von Kerkabon und die ganze Gesellschaft unendlich zu erfreuen mit der vollendeten Tatsache. Der Frater, der diese Operation noch nie gemacht hatte, benachrichtigte die Familie, die entsetzt war. Die gute Kerkabon fürchtete, daß ihr entschlossener und behender Neffe die Operation selbst mit großem Ungeschick vornehmen würde und daß daraus jene traurigen Folgen entstehen könnten, für die sich Damen immer aus Seelengüte interessieren.

Der Prior berichtigte die falsche Vorstellung des Huronen; er erklärte ihm, daß die Beschneidung nicht mehr Mode, die Taufe viel milder und heilsamer und das Gesetz der Gnade nicht ein Gesetz der Strenge sei. Der Harmlose, der guten Verstand und geraden Sinn besaß, bestritt dies zwar, aber gab doch seinen Irrtum zu, was in Europa zwischen Streitenden ziemlich selten ist. Schließlich versprach er, sich taufen zu lassen, wann immer man wolle.

Vor allem mußte man ihn zum Beichten bringen; dies war das Schwierigste. Der Harmlose trug das Buch, das sein Onkel ihm gegeben hatte, immer in der Tasche. Er fand darin nicht einen einzigen Apostel, der gebeichtet hätte; das machte ihn sehr widerspenstig. Der Prior zerstreute seine Bedenken, indem er ihm in der Epistel des heiligen Jakob, des Jüngeren, die Worte zeigte, welche den Ketzern so unbequem sind: »Beichtet euch eure Sünden untereinander.« Der Hurone widersprach nicht mehr und beichtete einem Franziskaner. Als er fertig war, zog er den Franziskaner aus dem Beichtstuhl heraus, ergriff den Mann mit starker Hand, setzte sich an dessen Platz und ließ ihn niederknien. »Nun, mein Freund, es steht geschrieben: ›Beichtet euch eure Sünden untereinander‹, ich habe dir meine Sünden erzählt, du gehst nicht von hier weg, ohne daß du mir die deinen gebeichtet hast.« Mit diesen Worten setzte er sein breites Knie auf die Brust seines Gegners: Der Franziskaner fängt an zu schreien, daß die Kirche davon hallt. Man eilt auf den Lärm hin herbei und sieht, wie der Konfirmand den Mönch im Namen des heiligen Jakob des Jüngeren mit den Fäusten bearbeitet. Aber die Freude, einen huronischen und englischen Niederbretonen taufen zu dürfen, war so groß, daß man über diese Eigentümlichkeiten hinwegsah. Gab es doch viele Theologen, welche die Beichte für unnötig hielten, da die Taufe alles ersetze.

Man vereinbarte einen Tag mit dem Bischof von Saint-Malo, der sich, wie man denken kann, sehr geschmeichelt fühlte, einen Huronen taufen zu können. Er kam in pomphaftem Aufzug, gefolgt von seiner Geistlichkeit. Das Fräulein von Saint-Yves dankte Gott, legte ihr schönstes Kleid an und ließ eine Friseurin von Saint-Malo kommen, um bei der Zeremonie recht schön zu sein. Der vielfragende Amtmann eilte mit der ganzen Gegend herbei. Die Kirche war prächtig geschmückt; aber als der Hurone geholt werden sollte, um ans Taufbecken geführt zu werden, fand man ihn nirgends.

Der Onkel und die Tante suchten ihn überall. Man glaubte, er sei, seiner Gewohnheit gemäß, auf der Jagd. Alle Teilnehmer des Festes durchsuchten die Wälder und benachbarten Dörfer: nirgends wußte man etwas vom Huronen.

Man fing an zu glauben, er sei nach England zurückgekehrt. Man erinnerte sich, daß er von seiner großen Liebe zu diesem Lande geredet hatte. Der Herr Prior und seine Schwester waren überzeugt, daß dort niemand getauft würde; sie zitterten für das Seelenheil ihres Neffen. Der Bischof war bestürzt und im Begriff umzukehren; der Prior und der Abt von Saint-Yves waren verzweifelt; der Amtmann fragte alle Vorübergehenden mit seiner gewohnten Wichtigtuerei aus. Fräulein von Kerkabon weinte; Fräulein von Saint-Yves weinte nicht, aber stieß tiefe Seufzer aus, die ihre Liebe zu den heiligen Sakramenten bewiesen. Beide wandelten betrübt an den Weidenbäumen und Schilfbüschen des Rance-Flüßchens entlang. Plötzlich sahen sie mitten im Wasser eine große, ziemlich weiße Gestalt, die beide Hände über der Brust gefaltet hielt. Sie schrien laut auf und wandten sich ab. Aber bald siegte die Neugier über jede andere Rücksicht, und sie glitten vorsichtig ins Schilf hinein. Als sie ganz sicher waren, daß niemand sie beobachtete, sahen sie nach, was hier vor sich gehe.


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