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Im Strom des Lebens

Während meines Aufenthaltes hatte ich auch meinen Vater nach dem Aufenthalt und dem Verbleib meiner Schwestern gefragt.

Die Adresse meiner älteren Schwester, die in Berlin wohnte, gab er mir. Über den Aufenthalt meiner jüngeren Schwester erklärte er, mir keine Adresse geben zu können, weil dieselbe unterdessen verheiratet und nach München verzogen sei. Den Namen meines Schwagers konnte er angeblich nicht nennen.

Damals glaubte ich ihm. Heute weiß ich, daß er mich absichtlich über den Aufenthalt meiner jüngeren Schwester und den Familiennamen ihres Mannes getäuscht hat, um eine Verbindung meinerseits mit ihr unmöglich zu machen.

Weil mich mein Rückweg nach Erfurt über Berlin führte, hielt ich dort an, um meiner älteren Schwester einen Besuch abzustatten. Leider aber war sie seit Pfingsten vorigen Jahres aus ihrer alten Wohnung verzogen und hatte sich in der neuen noch nicht angemeldet.

Meine Zeit war beschränkt, so erkundigte ich mich nicht weiter auf dem Polizeimeldeamt, sondern verließ Berlin und trat in Erfurt in meine neue Stelle ein.

Wie schon erwähnt, hatte mein Handwerk eine große Wandlung erfahren. Der amerikanische Betrieb war allgemach eingeführt, vorläufig aber mangelte es an Arbeitern, die dem neuen Betrieb gewachsen waren. Deshalb hatte ich beschlossen, mich für das Maschinenfach in diesem Betriebe auszubilden und unter dieser Voraussetzung meine Stellung in Erfurt angenommen.

Ich lebte mich dort schnell ein, hatte bald eine recht angenehme Stellung im Geschäft und unter den Kollegen und Freunden und ging später nach Eisenach, wo es mir ebenfalls recht gut gefiel. Dann kam ich unter sehr günstigen Bedingungen in einer Fabrik in Prag an und lernte so wieder ein ganz neues Stück der Welt, in der Stiefel fabriziert werden, kennen. Dort verkehrte ich viel und gern in jüdischen Kreisen. Meine nächste Arbeits- und Lebensetappe sollte Wien, die Stadt an der schönen blauen Donau, heißen. Doch wurde daraus so gut wie nichts. Mir wurde mein Recht nicht, und ich ging weiter nach Budapest und von dort nach Iassy, aber auch dort war meines Bleibens nicht. In Odessa, wo ich ebenfalls in leitender Stellung tätig war, hatte ich sehr erfreulichen Umgang. Ich war zwei Monate dort, als ich eines Abends beim Spaziergang von einem russischen Offizier bei meinem Namen angerufen wurde.

Ich konnte ihn nicht gleich erkennen, und da im allgemeinen die russischen Offiziere ziemlich exklusiv zu sein pflegen, solange sie einem Unbekannten gegenüberstehen, war ich darüber sehr erstaunt.

Er gab sich aber gleich selbst zu erkennen, und zwar als mein Jugendfreund Graf Z.

Ich weiß heute noch nicht, warum er mir so herzliche Teilnahme und getreues Andenken bewahrt hat.

Am selben Tage noch vom Platze weg nahm er mich mit nach seinem Hause, führte mich bei seiner Gemahlin ein, und zu meinem Erstaunen kannten auch wir beide uns.

Sie war die Tochter eines kurländischen Grafengeschlechts, dessen Zweige in der Nähe von Tilsit begütert waren; sie hatte mich beim Aufenthalt bei ihren Verwandten kennengelernt und mich bei meinen Ritten oft gesehen. In der Fremde freute sie sich, ein Gesicht aus der alten Heimat zu erblicken. Ich weiß nicht, wie es kam: Aus dem ursprünglichen Jugendfreunde wurde im Laufe der Monate ein gern gesehener Familienfreund.

Ich wurde auch von dem Grafen noch bei mehreren bekannten Familien eingeführt und hatte tatsächlich einen so schönen gesellschaftlichen Umgang, wie ich ihn mir nur wünschen konnte.

Das muß man dem Osten nachrühmen: Sind die Sitten auch rauher und der Ton nicht so geschliffen wie im Westen der Monarchie, so wird man dort doch, einmal in die Gesellschaft eingeführt, mit der weitestgehenden Gastfreundschaft aufgenommen, und das Wort: »Halten Sie sich wie zu Hause!« ist ganz so gemeint, wie es gesagt wird. Da ich selber nicht aufdringlich war, sondern bescheiden die Güte meiner Freunde an mich herantreten ließ, außerdem aber durch meine musikalische Begabung manche Stunde der geselligen Unterhaltung verschönen half, so kann ich sagen, daß ich bei allen, mit denen ich während meines Aufenthaltes in Odessa verkehrt habe, ein gern gesehener Gast gewesen bin. Selbstverständlich stellte mir mein Freund auch ein Pferd aus seinem Stalle zur Verfügung, und als dann im Mai die Garnison unter die Zelte rückte, da war es mir ein Hochgenuß, abends nach getaner Arbeit hoch zu Roß über die Steppe zu jagen, um hernach gemütliche Stunden im Kreise fröhlicher Herren und Damen zu verleben. Die Zeit war für mich auch in anderer Weise belehrend, indem ich das russische Militär- und Lagerleben aus nächster Nähe und unter bester Führung mitansehen durfte. Unbewußt stellte ich damals zwischen der preußischen, der österreichischen und russischen Armee, mit deren Einrichtungen ich mich schon früher vertraut gemacht hatte, Vergleiche an.

Sehr zu meinem Leidwesen, wenn ich mich auch für ihn darüber freute, wurde mein Freund im Herbst zum Major befördert und versetzt. Wir nahmen tiefbewegt voneinander Abschied, denn uns kettete, abgesehen von der Jugendfreundschaft, auch der vertraute Umgang eines ganzen Jahres fest aneinander.

Der Bruder meines Chefs, der zum Besuch in Odessa weilte, hatte mich genau kennengelernt, und er wünschte, mich für seine Fabrik in Lodz als technischen Leiter zu engagieren. Es war eine günstige Position, auch in pekuniärer Beziehung. Ich wies sie deshalb auch nicht von der Hand.

Aber meine dortige Stellung enttäuschte mich so sehr, daß ich bald weiterging nach Riga. Bei dieser Gelegenheit machte ich noch einmal nach langen Jahren einen Besuch im Vaterhause. Gefaßt und gereift trat ich dieses Mal meinem Vater gegenüber. Die Scheu und Schüchternheit früherer Jahre kannte ich nicht mehr. Aber leider fand ich auch dieses Mal eine Besserung in den häuslichen Verhältnissen nicht vor. Ich hatte einen Stiefbruder bekommen, aber wie ich aus dem Munde meiner Stiefmutter erfuhr, hatte sie dieselbe Last zu tragen, der meine Mutter erlegen war. Deshalb hielt ich mich auch nur vier Tage in Tilsit auf und setzte meinen Weg nach Riga fort.

Dort gefiel es mir besser, ich hatte wieder vielen und netten Verkehr in besseren Familien, und der Wunsch, zu heiraten, wurde mehr als einmal in mir rege.

Leider habe ich mein ganzes Leben lang eine unsichtbare Kette mit mir herumgeschleppt, die mich hinderte, in den Ehestand zu treten.

Ich bin verschiedene Male von Damen in freundlichster Weise dazu aufgemuntert worden, und einige Male schien es wirklich, als sollten Hymens Fesseln mich umschlingen, aber dann trat immer die Sorge an mich heran, ob ich auch wirklich dazu befähigt sei, einer Frau das zu bieten, was sie mit Recht von ihrem Manne verlangen kann und darf?

Der Gedanke an das Unglück, das meine Mutter so tief getroffen hatte, hielt mich immer davon ab, vielleicht später meine Frau unter dieser oder jener Form leiden zu lassen.

Es wäre für mich wohl besser gewesen, wenn ich diese Scheu überwunden hätte.

Da traf mich neues Ungemach!


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