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Am Morgen des 6. März war das Gold entdeckt worden.
Einige Hostelianer, Edward Rhodes an der Spitze, hatten einen Jagdausflug in die Berge unternommen und waren frühmorgens mit einem Wagen von Liberia aufgebrochen. Etwa zwanzig Kilometer im Südwesten der Stadt, auf dem Westabhang der Halbinsel Hardy, machten sie am Fuße des Gebirges – der Sentry Boxes – halt. Dort breiteten sich weitgedehnte Wälder aus, die noch nicht verwertet waren und die den Zufluchtsort der auf der Insel Hoste einheimischen Raubtiere bildeten; das Puma und der Jaguar mußten ausgerottet werden, denn viele Schafe waren ihnen schon zum Opfer gefallen.
Die Jäger durchstreiften den Wald; unterwegs hatten sie zwei Puma erlegt und eben einen Wildbach erreicht, als ein mächtiger Jaguar vor ihnen auftauchte.
Edward Rhodes glaubte ihn in richtiger Schußweite vor sich zu sehen und drückte ab, aber die Kugel drang nur in die linke Flanke des Tieres, ohne es tödlich zu verwunden. Mit einem eher zornigen als schmerzhaften Knurren tat er einen gewaltigen Sprung auf den Bach zu und verschwand im Gehölz.
Aber Edward Rhodes hatte Zeit gefunden, ihm eine zweite Kugel nachzusenden, die ihr Ziel jedoch nicht erreichte, sondern an dem Felsen aufprellte und ein Stück des Gesteines loslöste.
Vielleicht würden die Jäger den Ort ruhig verlassen haben, hätte nicht ein Leuchten die Blicke Edward Rhodes' angezogen, das von dem losgelösten Felsstück herkam. Interessiert trat er näher und betrachtete den Stein aufmerksam.
Es war Quarz, der von feinen glänzenden Adern durchzogen war, in denen Edward Rhodes leicht Goldparzellen erkannte.
Er war sehr erregt ob dieser Entdeckung. Gold! ... Die Insel Hoste barg Gold! ... Dieser Felssplitter bewies es.
Es lag nichts Erstaunliches darin! Hatte man nicht in der Umgebung von Punta-Arenas, auf dem Feuerland, den anderen Inseln des Magalhães-Archipels und in Patagonien Spuren von Gold gefunden?
Und das gigantische Rückgrat der beiden amerikanischen Kontinente, ist es nicht goldführend, das Felsengebirge, die Kordilleren oder Anden, die ganze lange Linie von Alaska bis zum Kap Hoorn hinab; seit mehr als vier Jahrhunderten gewinnt man das Metall aus dem nie versiegenden Boden, dessen Ausbeute bis jetzt einen Wert von fünfundvierzig Milliarden Franken aufwies.
Edward Rhodes begriff die Tragweite seiner Entdeckung. Er hätte sie am liebsten nur seinem Vater und dem Kaw-djer mitgeteilt, sonst aber verschwiegen. Aber das war nicht möglich! Er war nicht allein; auch seine Jagdgenossen hatten das Gestein untersucht und auch andere Stücke losgebrochen, die alle Gold enthielten.
Das Geheimnis war nicht zu hüten, noch am selben Tage wußte die ganze Insel davon und freute sich, daß sie Klondyke, Transvaal und El Dorado nicht mehr zu beneiden brauchte.
Aber zu dieser Jahreszeit konnte man an keine Ausbeutung mehr denken. In wenigen Tagen war das Herbstäquinoktium zu erwarten und in den Breiten der Insel Hoste ist es um diese Zeit, vor Eintreffen des Winters, unmöglich, ein derartiges Unternehmen in Angriff zu nehmen. Augenblickliche Konsequenzen konnte der Fund Edward Rhodes' nicht nach sich ziehen.
Der Sommer neigte sich dem Ende zu, das Wetter war stets günstig gewesen und die Ernte war in diesem zehnten Jahre nach der Gründung der Kolonie besonders ausgiebig. Neue Sägewerke waren im Inneren der Insel erbaut worden, teils mit Dampf- teils mit elektrischem Betrieb. Die Fischerei und die Konservenfabrik verkauften ihre Produkte zu sehr guten Preisen und die Ladung der Schiffe im Hafen, die kamen und gingen, belief sich auf zweiunddreißigtausendsiebenhundertfünfundneunzig Tonnen.
Während des Winters mußten die am Kap Hoorn begonnenen Arbeiten eingestellt werden; bisher waren sie rasch vorwärtsgeschritten, trotz der Distanz der Insel Hoorn, welche fast fünfundsiebzig Kilometer von der Halbinsel Hardy entfernt war, und trotz der Schwierigkeiten, die der Transport des Materiales auf diesem klippenstarrenden, unsicheren Meere mit sich brachte.
Wie gewöhnlich brachte die schlechte Jahreszeit heftige Schneestürme mit sich, aber die Kälte war nicht sehr groß und selbst im Juli fiel die Temperatur niemals unter zehn Grade unter Null herab.
Aber jetzt fürchteten die Hostelianer das Klima nicht mehr, denn der allgemeine Wohlstand hatte allen Familien ermöglicht, sich gut gegen Kälte zu verwahren. Es gab keinen Mangel mehr auf der Insel Hoste und Verbrechen, an Personen oder Sachen verübt, hatten nie die öffentliche Ordnung gestört. Kleine Meinungsverschiedenheiten machten die Leute gewöhnlich untereinander aus, sie kamen gar nicht vor Gericht.
Keine Gefahr würde die Insel bedroht haben, wäre nicht das Gold entdeckt worden: das konnte zu ernsten Folgen führen, denn die Habgier der Menschen ist groß.
Und der Kaw-djer hatte sich nicht geirrt. Die erste Nachricht hatte ihn mit finsteren Vorahnungen erfüllt und bei weiterem Nachdenken verdüsterten sie sich noch. Bei der nächsten Ratsversammlung verbarg er seine Befürchtungen nicht länger.
»Gerade jetzt, sagte er, wo unser Werk so schön vollendet ist, wo wir nur mehr die Früchte unserer Mühen zu ernten hätten, muß ein verdammungswürdiger Zufall diesen Gärungsstoff finden lassen, der Zwistigkeiten und den Ruin herbeiführen wird!
– Unser Freund geht zu weit, sagte Harry Rhodes, welcher die Sache mit weniger pessimistischen Blicken betrachtete. Daß Zwistigkeiten entstehen werden, gebe ich zu, aber bis zum Ruin ist's noch weit! ...
– Ja, es wird uns ruinieren, behauptete der Kaw-djer; jede Entdeckung von goldhaltigem Gestein hat zum Ruin des betreffenden Landes geführt!
– Aber das Gold ist schließlich nur eine Ware wie jede andere, sagte Harry Rhodes.
– Die unnützeste von allen.
– Gar nicht! Die allernützlichste, nachdem man alles andere für Gold eintauschen kann!
– Was liegt daran, sagte der Kaw-djer erregt, wenn so viel geopfert werden muß, um es zu erlangen. Die meisten Goldsucher gehen elend zugrunde. Und wenn einer einmal vom Glück begünstigt wird, zerstört die Leichtigkeit seines Erfolges auf immer sein klares Urteil. Sie finden an leicht zu erreichenden Vergnügungen Gefallen, der Überfluß wird ihnen zur Notwendigkeit, und wenn sie durch solche materielle Freuden verweichlicht sind, sind sie jeden ernsten Aufraffens unfähig. Im gewöhnlichen Sinne des Wortes mögen sie sich ja bereichert haben, aber nach wirklicher menschlicher Bedeutung sind sie verarmt. Das sind keine Menschen mehr!
– Ich stimme mit dem Kaw-djer überein, sagte Germain Rivière. Man muß auch bedenken, daß man auf keine Ernte rechnen kann, wenn man die Felder im Stiche läßt. Was nützt der Reichtum, wenn man verhungert! Auch ich fürchte, unsere Bevölkerung wird der Versuchung nicht widerstehen können. Fast glaube ich, die Landleute werden den Acker, die Arbeiter die Fabriken verlassen, um sich am Gold schneller bereichern zu wollen und zu den Placers zu eilen.
– Gold! ... Gold! Der Goldhunger! wiederholte der Kaw-djer. Keine schlimmere Strafe konnte unser Vaterland treffen!«
Harry Rhodes war nun doch bekehrt.
»Angenommen, daß Sie recht haben, sagte er, liegt es nicht in unserer Macht, das Übel zu bekämpfen!
– Nein, mein lieber Rhodes, antwortete der Kaw-djer; man kann gegen eine Epidemie ankämpfen, aber gegen das Goldfieber gibt es keine Rettung. Das ist das sicherste Zerstörungsmittel für jede Organisation. Kann man daran noch zweifeln, wenn man überdenkt, was sich in den goldführenden Distrikten der Alten und Neuen Welt, Australiens, Kaliforniens und Südamerikas abgespielt hat? Die notwendigen Arbeiten sind aufgegeben worden, die Kolonisten haben Städte und Felder verlassen und die Familien sind an die Placers gezogen. Das vorgefundene Gold hat man dann verschleudert, wie es bei jedem zu leichten Gewinn der Fall ist, und nichts ist diesen unglücklichen Betörten zum Schluß übrig geblieben.«
Der Kaw-djer sprach mit großer Lebhaftigkeit, die bewies, wie sehr ihm das Thema am Herzen lag.
»Und dann lauert die Gefahr nicht nur von innen, sondern auch von außen: alle Abenteurer, alle degenerierten Existenzen, welche die Goldländer überfallen und Unfrieden stiften und zu Tätlichkeiten greifen – alles, um den Eingeweiden der Erde das gelbe Metall zu entreißen. Von allen Teilen der Welt kommen sie herbei, lawinengleich, die hinter sich die Zerstörung, das Nichts lassen. Ach! Warum muß auch unsere Insel dies alles durchmachen!
– Können wir gar nicht mehr hoffen? fragte Harry Rhodes sehr bewegt. Wenn sich die Nachricht nicht verbreitet, würden wir vor einer Invasion bewahrt.
– Nein, sagte der Kaw-djer, es ist zu spät, um das Übel zu verhüten. Man ahnt ja nicht, wie unendlich schnell sich die Kunde von der Entdeckung eines neuen Goldlagers auf der ganzen Welt verbreitet! Das muß durch die Luft vermittelt werden, die Winde müssen diese ansteckende Pest weitertragen, der die Besten und Weisesten zum Opfer fallen!«
Der Rat wurde, ohne einen Entschluß zu fassen, aufgehoben; es ließ sich nichts tun. Wie der Kaw-djer gesagt hatte: man kann gegen das Goldfieber nicht ankämpfen.
Bis jetzt war ja noch nichts verloren. Vielleicht war das Lager gar nicht so reichhaltig, wie man meinte, so daß es bald erschöpft war. Vielleicht waren die Goldparzellen so weit versprengt, daß es die Ausbeutung nicht lohnte! Um darüber Gewißheit zu erlangen, mußte man erst das Schmelzen des Schnees abwarten, der jetzt noch die Insel hoch bedeckte.
Beim Wehen der ersten Frühlingslüfte waren alle Befürchtungen des Kaw-djer bestätigt. Kaum trat Tauwetter ein, als die unternehmendsten Kolonisten sich in Goldgräber verwandelten, Liberia verließen und dem Glück nachjagten. Sie eilten alle nach dem Golden Creek – diesen Namen hatte man dem Wildbach beigelegt – an dessen Ufer Edward Rhodes die ersten Goldspuren gefunden hatte. Ihr Beispiel fand Nachfolger, trotz aller Bemühungen des Kaw-djer und seiner Freunde, und weitere Abreisen mehrten sich. Seit dem 5. November hatten sich einige hundert Hostelianer, vom Goldfieber gepackt, in die Berge begeben und suchten sich ein Placer aus, um es auszubeuten.
Die Goldwäscherei ist nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden. Handelt es sich um eine Ader, so folgt man ihr, indem man dem Felsen mit der Spitzhacke zu Leibe geht; dann verkleinert man die abgehauenen Stücke und nimmt die Metallparzellen heraus, die darin enthalten sind. So arbeitet man in den Goldbergwerken Transvaals. Aber es ist leichter gesagt: die Ader verfolgen, als ausgeführt. Oft verschwinden die Goldfäden plötzlich, verzweigen sich auch und es ist oft schwer, sie wiederzufinden. Oft verlieren sie sich auch bald tief in die Erde; dann muß eine Mine geöffnet werden, was angenehme und unangenehme Überraschungen mit sich bringen kann. Der Quarz ist ferner ein sehr hartes Gestein und, um es zu zerkleinern, sind kostspielige Maschinen erforderlich. Einzelne Arbeiter können die Ausbeutung einer Mine nicht in Angriff nehmen, das bleibt Gesellschaften vorbehalten, die über tüchtige Arbeitskräfte und genügendes Kapital verfügen.
Haben arme Goldsucher eine solche Mine entdeckt, so versichern sie sich schnell einer Konzession, die sie dann um hohen Preis einem reichen Unternehmen verkaufen.
Wer auf eigene Rechnung Gold finden will, verzichtet von vorneherein auf die Minenarbeit und befaßt sich mit Goldwäscherei. Man sucht das in der Nähe goldführender Felsen zu findende Alluvium auf, das durch die jahrhundertelange Einwirkung von Eis, Wind und fließendes Wasser auf die Gesteine gebildet worden ist. Das Wasser hat notwendigerweise Goldparzellen mitgerissen, die sich sehr leicht von dem Sande trennen lassen. Man braucht nur ein flaches Gefäß und ein wenig Wasser, um das Gold herauszuwaschen.
Natürlich bedienten sich die Hostelianer dieser einfachsten Hilfsmittel. Die ersten Erfolge waren sehr ermutigend. An den Ufern des Golden Creek zog sich eine mehrere Kilometer lange und zwei- bis dreihundert Meter breite Schlammschicht hin, die acht Fuß dick war. Da fand man in jeder Schale Gold, meist nur Staubkörner, und von zu erwartenden, fabelhaften Reichtümern war keine Spur! Aber die kleinen Erfolge genügten, um den Leuten den Kopf zu verdrehen, die bisher nur durch harte Arbeit ihr Leben verdient hatten.
Man hätte der Verwaltung Vorwürfe machen können, wenn sie nicht die Ausbeutung der Placers geregelt hätte. Die Goldlager waren Gesamteigentum und der Staat konnte sie zugunsten einzelner vergeben. Der Kaw-djer hatte mit seinen persönlichen Ideen abgeschlossen und betrachtete das Problem von demselben Gesichtspunkt aus wie die übrige Menschheit. Er glaubte die günstigste Lösung für das Volk gefunden zu haben, dessen Oberhaupt er war. Während des Winters hatte er sich oft mit Dick besprochen, den er in alle seine Entscheidungen einweihte. Beide kamen dahin überein, daß ein dreifaches Ziel anzustreben sei: man mußte versuchen, die Anzahl derjenigen, die auf die Suche nach Gold ausgingen, auf ein Minimum zu beschränken; der Kolonie von den der Erde entrissenen Schätzen einen möglichst großen Gewinn zu sichern; und jeden Fremdenzufluß, der zu befürchten stand, zu beschränken, wenn möglich, zurückzuweisen.
Das zu Ende des Winters ausgegebene Gesetz hatte alle drei Punkte in Rechnung gezogen: Das Recht der Ausbeutung mußte in Gestalt einer Konzession erkauft werden, die Maximalausdehnung dieser Konzession wurde auch bestimmt und ferner festgesetzt, daß ein Viertel des gegrabenen Goldes zum Besten der Gemeinsamkeit in die Staatskassen abgeliefert werden müsse. Diese Konzessionen wurden nur an Hostelianer ausgegeben, und auf diesen Titel konnte nur jemand Anspruch erheben, der länger als ein Jahr die Insel Hoste bewohnt hatte, die Genehmigung des Gouverneurs blieb vorbehalten.
Jetzt war das Gesetz verkündet, nun mußte es befolgt werden.
Es stieß gleich anfangs auf große Schwierigkeiten. Die Kolonisten sahen nicht die Vorteile, die es ihnen bot, sondern fühlten bloß das Unangenehme heraus. Warum erst eine Konzession verlangen und bezahlen, wenn man das Gold nur zu nehmen brauchte. Jeder Mensch hat das Recht, in der Erde zu graben und Sand zu waschen. Warum sollte man ein Viertel der Frucht dieser Arbeit abliefern müssen an solche, die sich gar nicht damit befaßt hatten! Eigentlich teilte ja der Kaw-djer diese Anschauungen; aber wer die furchtbare Mission auf sich genommen hat, seine Nächsten zu leiten, muß seine persönliche Vorliebe zum Opfer bringen können, wenn nötig. Es mußte doch in die Augen springen, daß die braven, klugen Kolonisten, die der Ansteckung tapfer widerstanden, eine Ermutigung verdienten, und diese Ermutigung bestand darin, daß ihnen der Kaw-djer auch einen, allerdings kleinen Teil der Ausbeute sicherte.
Wurde dem Gesetze nicht gutwillig Folge geleistet, so mußte der Zwang in Kraft treten.
Der Kaw-djer verfügte in Liberia nur über fünfzig Mann der stehenden Polizei, aber neunhundertfünfzig andere Hostelianer standen auf der Liste verzeichnet, aus der die ältesten immer durch jüngere Kräfte ersetzt wurden. Gegen tausend bewaffnete Männer konnten immer rasch versammelt sein. Ein Aufruf berief sie zusammen.
Nur siebenhundertfünfzig Hostelianer fanden sich ein. Die anderen zweihundert waren Abtrünnige, die sich auch in die Placers begeben und am Golden Creek ihr Lager aufgeschlagen hatten.
Der Kaw-djer teilte seine Kräfte in zwei Gruppen. Fünfhundert Mann wurden an die Küste entsendet, um sich der heimlichen Ausfuhr des Goldes zu widersetzen. An die Spitze der dreihundert anderen stellte er sich selbst, teilte sie in zwanzig Gruppen, deren jede unter den Befehl ihm ergebener, verläßlicher Männer gestellt war und begab sich mit ihnen in die Gegend der Placers.
Die kleine Armee wurde über die Halbinsel verteilt und stieg an den Sentry Boxes nach Norden an, indem sie alles vor sich hertrieb. Die unterwegs aufgegriffenen Goldgräber wurden unbarmherzig mitgestoßen, wenn sie nicht Gehorsam versprachen.
Diese Methode hatte Erfolg. Einige wurden gezwungen, den Kaufschilling in barem Gelde zu erlegen und ihr gewähltes Arbeitsfeld wurde genau abgegrenzt.
Aber die Majorität besaß nicht die für die Konzession zu bezahlende Summe und mußte auf ihr Unternehmen verzichten. Die Anzahl der Goldwäscher verringerte sich daher bedeutend.
Aber bald wurde die Situation ernst. Diejenigen, welche die Konzession nicht kaufen konnten, umgingen während der Nacht die vom Kaw-djer befehligten Truppen und ließen sich am Golden Creek an derselben Stelle nieder, von der man sie verjagt hatte. Und das Übel wuchs noch mehr an. Durch die Erfolge der ersten Kolonisten angeregt, langte eine zweite Serie Hostelianer auf dem Schauplatz an. Nach den dem Kaw-djer zugegangenen Nachrichten war die ganze Insel infiziert. Der Krankheitsherd war nicht mehr der Golden Creek allein, unzählige Goldsucher durchforschten die Berge der Mitte und im Norden.
Man hatte geschlossen, daß nicht allein die Stelle bei den Sentry Boxes die einzig goldführende sein könne; alles ließ vielmehr vermuten, daß auch in anderen Wasserläufen, die demselben Bergsystem angehörten, das Metall sich finden müsse. Sie jagten nun nach allen Seiten darnach, von der Spitze der Halbinsel Hardy und den Ausläufern der Halbinsel Pasteur bis zum Darwin-Sund.
Einige Grabungen hatten zu kleinen Erfolgen geführt, was das allgemeine Fieber vermehrte. Die Faszination, die das Gold auf die Gemüter ausübte, wurde immer mächtiger. In wenigen Wochen war Liberia völlig geleert und auch die Bauernhöfe und einzelnen Hütten wurden von ihren Bewohnern geflohen. Männer, Frauen und Kinder eilten in die Placers. Einige bereicherten sich rasch, wenn sie eine Anhäufung von Goldkörnern entdeckten, die die Gewalt des Gebirgswassers vor urdenklicher Zeit hier aufgespeichert hatte. Aber auch jene gaben die Hoffnung nicht auf, die durch Wochen fleißiger Arbeit nichts erreicht hatten. Alle wurden angezogen; es war, als ob dem Gold eine magnetische Kraft innewohne, der die menschliche Vernunft nicht widerstehen konnte. Bald waren in Liberia nur mehr hundert Kolonisten, die letzten, die ihren Familien und Geschäften treublieben, die durch das Treiben aber sehr geschädigt wurden.
Es war eine traurige, aber wahre Tatsache, daß die Indianer, die sich auf der Insel ein Heim gegründet hatten, der Versuchung ganz widerstanden. Zur Ehre dieser bescheidenen Feuerländer sei es gesagt: die Erhaltung so manchen Bauerngutes, so mancher Wirtschaft war ihrem treuen Sinn zu verdanken und ihrer ehrlichen Natur, die sich nicht mitreißen ließ. Und dann hörten diese armen Leute auf die Worte des Kaw-djer und es wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen, seine unzähligen Wohltaten jetzt mit Undankbarkeit zu vergelten.
Und es wurde immer schlimmer. Bald kam der Moment, wo die Bemannung der im Hafen liegenden Schiffe auch dem verderblichen Beispiel folgte. Jeder Tag brachte neue Desertionen. Ohne ein Wort verlauten zu lassen, verließen die Matrosen ihr Schiff und verschwanden im Inneren der Insel, vom Goldfieber berauscht. Die Schiffskapitäne beeilten sich, Neudorf schnell zu verlassen und schlossen ihre Geschäfte gar nicht fertig ab. Natürlich würden sie erzählen, in welche Gefahr sie sich begeben, und kein Schiff würde mehr den Hafen anlaufen wollen.
Auch diejenigen verschonte die Ansteckung nicht, deren Pflicht es war, sie zu bekämpfen. Die vom Kaw-djer zur Beaufsichtigung der Küste ausgesandten Streifpatrouillen waren bald nicht mehr zu sehen und zu hören. Von den fünfhundert hatten zwanzig ihre Pflicht erfüllt. Die Truppe, die unter seinem persönlichen Befehl stand, schmolz zusammen wie ein Stückchen Eis. Keine Nacht verging, ohne daß sie nicht von einigen zur Flucht benützt worden wäre. In vierzehn Tagen bestand sie anstatt aus dreihundert – aus fünfzig Männern.
Trotz aller Energie fühlte sich der Kaw-djer jetzt sehr entmutigt. Er hatte sich nach einem jahrelang dauernden Bruche wieder an Menschen angeschlossen, weil er ihnen Gutes erweisen wollte – und jetzt enthüllte diese Menschheit zynisch vor seinen Blicken all ihre Fehler, ihre Schmach, ihre Laster. Was er so mühsam aufgebaut – stürzte in einem Augenblick zusammen; weil der Zufall aus einem Felsensplitter einige Goldparzellen blitzen ließ, mußte diese unglückliche Kolonie dem Verderben anheimfallen!
Er konnte nicht mehr dagegen ankämpfen. Die treuesten Anhänger verließen ihn wie die anderen. Mit dieser Handvoll Menschen, die er noch sein eigen nannte, und die ihn morgen verlassen haben konnte, war es unmöglich, die gesamte Bevölkerung zur Vernunft zu bringen.
Der Kaw-djer kehrte nach Liberia zurück. Er konnte nichts mehr tun. Wie ein entfesselter Bergstrom tobte das Unglück durch die Insel und verwüstete sie; man mußte warten, bis sich seine Heftigkeit gelegt hatte.
Fast schien es, als sollte dieser ersehnte Augenblick kommen. Am 15. Dezember, vierzehn Tage nach der Rückkehr des Kaw-djer in die Hauptstadt, kamen einige Liberier zurück. In den folgenden Tagen wieder; für einen Kolonisten, der auszog, kehrten zwei aus den Placers wieder.
Zwei Ursachen waren daran schuld. Erstens war das Goldgraben durchaus nicht so leicht, als man es sich vorgestellt hatte; den Felsen zu behauen oder Gold zu waschen von früh bis abends ist keine leichte Arbeit, allein die Hoffnung auf raschen Gewinn kann sie erträglich machen. Man brauchte sich nicht nur zu bücken, um die Goldkörner aufzuheben – wie man gemeint hatte. Auf einen, den der Glücksstern zu einer Anschwemmung von Gold geführt hatte, kamen Hunderte, denen ihr neues Handwerk, das viel schwerer war als ihre bisherigen Beschäftigungen, kaum einen Gewinn brachte. Man hatte den fabelhaften Berichten zu viel Glauben geschenkt! Da mußte viel abgerechnet werden. Es war nicht zu leugnen, daß es Gold auf der Insel Hoste gab, viel Gold! Aber man konnte es nicht mit der Hand aufheben, wie man einfältigerweise geglaubt hatte. Für viele Kolonisten war das eine fürchterliche Enttäuschung, die um so größer war, je höher ihre Erwartungen sich verstiegen hatten.
Anderseits begannen die Folgen des Abbruches aller Handelsbeziehungen und des Stillstandes in den Feldarbeiten fühlbar zu werden. Noch mangelte nichts. Aber die Preise waren sehr in die Höhe gestiegen; nur diejenigen, die Glück hatten auf der Goldjagd, brauchten nicht besorgt zu sein. Um so mehr bedrückte die Teuerung die anderen, für die das Erhaschen einiger weniger Goldkörner den Tagelohn nicht ersetzt hatte. Deshalb kehrten die Schwächsten und Ärmsten jetzt heim. Aber bald hörte diese Bewegung wieder auf.
Der Kaw-djer glaubte noch nicht an ein Abnehmen der Krankheit; im Gegenteil! Seine Blicke durchdrangen die Schleier der Zukunft und sahen neue Gefahren über die Insel hereinbrechen. Die Krise war noch nicht überstanden. Nun fingen die kritischen Tage erst an. Bis jetzt hatte man nur mit den Hostelianern zu kämpfen gehabt – dabei konnte es nicht bleiben. Jetzt mußte die Sintflut der gefürchteten Goldsucher aus allen Weltteilen auf die arme Insel hereinbrechen, sobald diese nur Kenntnis von diesem sich ihrer Habgier neu eröffnenden Arbeitsfeld erlangten!
Die erste Landung dieser gefährlichen Sorte Menschen traf am 17. Januar in Neudorf ein. Zweihundert schifften sich hier aus, zweihundert in Lumpen gekleidete Menschen von kräftigem Aussehen und entschlossenen, wilden Mienen. Einige trugen breite Messer im Gürtel, alle aber hatten einen Revolver bei sich. Auf der Schulter schleppten sie eine Hacke und einen Sack mit ihrer armseligen Habe und auf der linken Hüfte baumelte eine Feldflasche, ein Teller und eine Schale und schlugen klappernd aneinander.
Der Kaw-djer sah traurig hin; diese zweihundert waren die ersten Glieder der Kette, die die Insel Hoste einschließen würde.
Und von diesem Tage an mehrten sich diese Menschen auf der Insel. Die Goldsucher waren kaum ausgeschifft, so eilten sie zum Regierungspalaste und erkundigten sich wegen der Vorschriften.
Sie fanden sie unglaublich! Dann schoben sie die gesetzliche Regelung ihrer Situation auf und verbreiteten sich über die Stadt. Die kleine Anzahl ihrer Bewohner und geschickt eingezogene Erkundigungen ließen sie die Schwäche des Staates erraten, darum entschieden sie sich, sich um die Gesetze nicht zu bekümmern, die selbst die Hostelianer nicht befolgten, und nachdem sie ein bis zwei Tage in den verlassenen Straßen Liberias herumgewandert, kehrten sie der Stadt den Rücken und suchten sich ihr Arbeitsfeld in den Placers.
Als der Winter kam, erschienen keine neuen Eindringlinge mehr; auch das Goldgraben mußte aufgegeben werden. Am 24. März verließ das letzte Schiff Neudorf, das auch sein Kontingent an Goldsuchern abgeliefert hatte. Jetzt lebten mehr als zweitausend Abenteurer auf dem Boden der Insel.
Dieses Schiff nahm auch ein vom Gouverneur der Insel Hoste verfaßtes, an alle Staaten der Erde gerichtetes Schreiben mit sich fort. Der Kaw-djer ließ urbi et orbi wissen, daß die Bevölkerung der Insel Hoste überzählig sei und er sich der neuen Landung von Fremden mit den Waffen in der Hand widersetzen würde.
Würde diese Maßregel von Nutzen sein? Die Zukunft konnte alle diese Fragen beantworten, der Kaw-djer zweifelte aber an ihrem Erfolg. Die Anziehungskraft des Goldes wirkt auf manche Naturen zu mächtig ein, als daß sie ihr widerstehen könnten.
Das Unglück war einmal geschehen: die Empörung der Hostelianer und ihre Auflehnung gegen alle Disziplin, das unausbleibliche Elend, dem sie sich selbst ausgesetzt hatten, das Eindringen der Abenteurerbanden, dieser verkommenen Leute, welche alle Laster der Erde mit sich brachten – welch ein namenloses Unglück!
Zu tun war gar nichts! Nichts! Man mußte die schlimmen Tage überdauern und auf bessere Zeiten hoffen, wenn solche jemals noch über die Insel Hoste heraufdämmern konnten.
Halg, Karroly, Hartlepool, Harry und Edward Rhodes, Dick, Germain Rivière und höchstens dreißig andere standen allein da gegen alle. Das waren die letzten Getreuen, die »Heilige Schar«, die treu zum Kaw-djer hielt, welcher ohnmächtig der Zerstörung seines herrlichen Werkes zusehen mußte.