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X. Fünf Jahre später

Fünf Jahre nach den Begebenheiten, die in den letzten Kapiteln erzählt worden sind, bot die Schiffahrt in den Breiten der Insel Hoste weder die Schwierigkeiten noch die Gefahren von ehemals. Von der äußersten Spitze der Halbinsel Hardy erstrahlte ein weithin leuchtender Schein über die dunklen Gewässer, der von keinem kleinen Feuer herrührte, wie es in den Lagerplätzen der Indianer brennt, sondern von einem richtigen stattlichen Leuchtturm, der die Meeresstraßen während der langen finsteren Winternächte erhellte und es den Schiffen ermöglichte, den gefährlichen Klippen rechtzeitig auszuweichen.

Dagegen war derjenige, welcher nach dem Lieblingsprojekte des Kaw-djer am Kap Hoorn errichtet werden sollte, noch nicht in Angriff genommen worden. Seit sechs Jahren verfolgte er die Lösung dieser Angelegenheit mit unermüdlicher Ausdauer, ohne einen befriedigenden Abschluß erreicht zu haben. Nach den zwischen beiden Staaten ausgetauschten Noten schien sich Chile nicht entschließen zu können, auf das Inselchen des Kaps zu verzichten, und diese durch den Kaw-djer bestimmte Hauptbedingung blieb der Stein des Anstoßes.

Dieser wunderte sich sehr, daß die Regierung von Chile einem kahlen, wertlosen Felsen soviel Bedeutung beilegte. Er wäre noch mehr erstaunt gewesen, hätte er die Wahrheit ahnen können; der Grund der gewaltsam in die Länge gezogenen Verhandlungen war nicht in patriotischen Bedenken, die ja zu entschuldigen gewesen wären, zu suchen, sondern einfach und allein in der sprichwörtlich gewordenen Langsamkeit der Beamten.

Die chilenischen Amtslokale machten es in dieser Sache wie alle anderen in der Welt. Die Diplomatie hat es sich nun einmal zum Grundsatz gemacht, alles nach Möglichkeit in die Länge zu ziehen; es ist dies ein durch die Gewohnheit von Jahrhunderten geheiligter Brauch: erstens weil der Mensch sich meistens für die Interessen anderer wenig interessiert und weil er zweitens von Natur aus das Bestreben hat, die Würde, die er bekleidet, in den Augen der anderen möglichst zu erhöhen. Nun wird aber eine Entscheidung desto gewichtiger erscheinen, je länger die Dauer der Verhandlungen war, die ihr vorangingen, je größer die beschriebenen Papierstöße sind, je mehr Tinte geflossen ist, ehe sie gefällt wurde.

Der Kaw-djer, der allein die hostelische Regierungsgewalt repräsentierte und kein Heer von Beamten zur Verfügung hatte, konnte daher diesem sich in die Länge ziehenden Notenwechsel nicht das einzig richtige Motiv unterschieben.

Aber das Leuchtfeuer der Halbinsel Hardy war nicht der einzige Lichtschein auf der Insel, der das Meer bestrahlte. In Neudorf, das aus den Trümmern längst schon mit dreifacher Bedeutung auferstanden war, flammte allnächtlich ein mächtiges Hafenfeuer auf und half den Schiffen den richtigen Ankerplatz am Damm finden.

Dieser Damm, der längst vollendet war, hatte die Bucht in einen geräumigen, sicheren Hafen umgewandelt. In seinem Schutze konnten die Schiffe in ruhigem Wasser ihre Ladungen ausschiffen und einnehmen. Neudorf war bereits ein vielbesuchter Ankerplatz geworden. Nach und nach hatten sich Handelsbeziehungen mit Chile, Argentina und selbst mit der Alten Welt anknüpfen lassen; sogar ein regelmäßiger monatlicher Verkehr war zwischen der Insel Hoste einerseits und Valparaiso und Buenos-Aires anderseits zustande gekommen.

Auf dem rechten Flußufer hatte sich Liberia bedeutend entwickelt. Es war im Begriffe, in allernächster Zukunft eine Stadt von ziemlicher Bedeutung zu werden. Die breiten Straßen, die sich nach amerikanischem Muster im rechten Winkel kreuzten, wiesen zu beiden Seiten lange Häuserreihen auf; jedes einzelne der aus Holz oder Stein errichteten Gebäude hatte ein nach vorne zu gelegenes Gärtchen und rückwärts einen geräumigen Hof. Einige Plätze waren von schönen Bäumen beschattet; meist waren dies antarktische Buchen mit perennierenden Blättern. Außerdem verfügte Liberia über zwei Buchdruckereien und einige öffentliche Gebäude. Da gab es die Post, eine Kirche, zwei Schulen und einen Gerichtssaal, der ein weniger bescheidenes Aussehen hatte, als der mit diesem Namen bezeichnete Saal, den Lewis Dorick in die Luft sprengen wollte. Aber das schönste von allen Gebäuden war der Regierungspalast. Das einst diesem Zwecke dienende Haus war niedergerissen und durch einen Prachtbau ersetzt worden, in dem der Kaw-djer seine Wohnung aufgeschlagen hatte und wo alle staatlichen Funktionen konzentriert waren.

Unweit des Regierungspalastes stand eine Kaserne, in der mehr als tausend Gewehre und drei Kanonen aufbewahrt wurden. Alle großjährigen Bürger mußten von Zeit zu Zeit einen Monat hier zubringen. Der Einfall der Patagonier war eine Warnung gewesen; jetzt hatte die Insel eine stets kampfbereite Armee, der alle Hostelianer angehörten.

Liberia hatte sogar ein Theater, das zwar sehr einfach, aber von großer Ausdehnung war und elektrisch beleuchtet wurde.

Auch dieser Traum des Kaw-djer war in Erfüllung gegangen. Ein hydro-elektrisches Werk, das drei Kilometer stromaufwärts von der Stadt gelegen war, verschaffte dieser mehr Kraft und Licht, als sie benötigte.

Der Theatersaal war namentlich an den langen Wintertagen sehr besucht. Hier wurden öffentliche Versammlungen einberufen und oft kamen die Bürger zusammen, um den Vorträgen zu lauschen, die der Kaw-djer und Ferdinand Beauval, welcher jetzt sehr vernünftig und ein »Jemand« geworden war, abhielten. Auch Konzerte wurden aufgeführt unter der Direktion eines Kapellmeisters, wie man ihn selten antreffen wird.

Diesen Dirigenten kennt der Leser schon; es war niemand anderer als Sand. Durch Beharrlichkeit und Ausdauer war es ihm gelungen, mit einigen Hostelianern die Elemente eines Orchesters zusammenzustellen, das er mit seinem Taktstock regierte. An den Tagen, wo ein Konzert stattfand, trug man ihn an das Dirigentenpult, und wenn er das Heer der Musiker beherrschte, verklärte sich sein Gesicht und die heilige Begeisterung für das Reich der Töne machte ihn zum Glücklichsten unter den Sterblichen. Werke alter und moderner Meister wurden bei diesen Konzerten aufgeführt, manchmal auch einige von Sands eigenen Kompositionen, die sehr beachtenswert und stets freudigst applaudiert waren.

Sand war jetzt achtzehn Jahre alt. Seit dem schrecklichen Tage, der ihn um den Gebrauch seiner Beine gebracht hatte, war ihm jedes Glück versagt außer der Musik, darum hatte er sich mit aller Kraft und Hingebung auf dieses eine Fach geworfen. Durch das eifrige Studium der Meister hatte er sich die Technik der schweren Kunst zu eigen gemacht, und auf diese feste Grundlage gestützt, hatte er weitergearbeitet und man konnte seine großartigen natürlichen Anlagen mit dem Namen »Genie« bezeichnen. Er blieb dabei nicht stehen. Bald sollte der Tag erscheinen, an dem die Lieder dieses gottbegnadeten, am Ende der Welt verlorenen Krüppels von allen Kehlen gesungen und sich die Welt erobern würden; heute berühmte und allbekannte Lieder, die nur einen Fehler haben – man kennt ihren Autor nicht.

Mehr als neun Jahre waren schon vergangen, seit sich der »Jonathan« auf die Klippen der Halbinsel Hardy verirrt hatte, und in so wenig Jahren war dieses Resultat erreicht worden, dank der Energie, Einsicht und dem praktischen Sinne eines Mannes, welcher das Schicksal der Hostelianer in dem Augenblicke in die Hand genommen hatte, da die Anarchie die Insel dem Ruine nahe und die Bewohner an den Rand des Abgrundes brachte. Noch immer wußte man nichts aus dem Leben dieses Mannes, aber niemand hätte gewagt, über seine Vergangenheit Rechenschaft zu verlangen. Die Neugierde der Menge war, wenn sie auch einstmals rege gewesen, durch die Gewohnheit vieler Jahre abgestumpft, und man sagte sich mit Recht, daß man nichts anderes zu wissen brauchte als die Erinnerung an die unzähligen Dienste, die er dem Staate geleistet.

Die vielen Sorgen der letzten neun Jahre lasteten schwer auf dem Kaw-djer. Zwar hatte seine herkulische Kraft nicht abgenommen und die Beschwerden des Alters vermochten die hohe Gestalt nicht zu beugen; aber Haare und Bart waren schneeweiß geworden und tiefe Furchen durchzogen das edle Antlitz mit seinem majestätischen und schon verehrungswürdigen Aussehen.

Seine Autorität war ganz unbeschränkt. Die Mitglieder des Rates, der auf seine Initiative hin ins Leben gerufen worden war, Harry Rhodes, Hartlepool und Germain Rivière, wurden jedes Jahr wiedergewählt, aber das war bloße Formsache und ihr Amt ein Scheinamt. Sie ließen ihrem Oberhaupt und Freunde vollkommen freie Hand und beschränkten ihre Tätigkeit darauf, bescheiden ihre Meinung zu äußern, wenn sie darum gebeten wurden.

Übrigens hatte der Kaw-djer Beispiele vor Augen, nach denen er sich richten konnte. In der nächsten Nachbarschaft der Insel Hoste wurden zwei verschiedene Methoden der Kolonisation in Anwendung gebracht. Er konnte nun Vergleiche ziehen und eventuell manches anwenden.

Nachdem der Magalhães-Archipel und Patagonien zwischen Chile und Argentina aufgeteilt worden waren, hatte jeder der beiden Staaten auf eine rasche Verwertung der neuen Kolonien hingearbeitet. In ihrer Unkenntnis der Bodenverhältnisse, erteilte die Republik Argentina Konzessionen im Umfange von zehn bis zwölf Quadratmeilen, was zur Folge hatte, daß riesige Landstrecken brach liegen mußten und nicht ausgebeutet werden konnten. Man bedenke, daß diese dichtbewachsenen Wälder oft viertausend Bäume pro Hektar aufzuweisen hatten! Dreitausend Jahre mindestens wären erforderlich gewesen, sie ordentlich auszunützen. Dasselbe traf bei den Feldern und den Weideplätzen zu, die in zu großen Flächen verteilt wurden und, um richtig behandelt zu werden, ein zu großes Personal, eine Unmenge von Gerätschaften und bedeutende Kapitalien erfordert hätten.

Und das war nicht alles. Die Kolonisten waren an den Verkehr mit Buenos-Aires gebunden und die Verbindungen waren langsam, schwierig und kostspielig. Jedes Schiff, das im Magalhães-Archipel seine Waren verkaufen wollte, mußte sich zuerst in Buenos-Aires, dies ist in einer Entfernung von eintausendfünfhundert Meilen, der Zollrevision unterziehen, und es verflossen mindestens sechs Monate, ehe es alle Verpflichtungen erfüllt hatte und zurückkehren konnte; Verpflichtungen, die es nach dem Tageskurs der Börse der Hauptstadt zu leisten hatte! Was konnte man aber auf dem Feuerland vom Tageskurs wissen? Hier konnte man mit demselben Recht von China oder Japan als von Buenos-Aires sprechen!

Was hatte dagegen Chile getan, um den Handel zu begünstigen und Auswanderer anzuziehen, den gewagten Versuch mit der Insel Hoste nicht mitgerechnet! Es hatte Punta-Arenas zum Freihafen erklärt, wohin die Schiffe aller Länder das Notwendige und Überflüssige brachten, unter den denkbar besten Bedingungen, was den Preis und die Qualität der Waren betraf. Auch flossen die Produkte des Magalhães-Archipels in die englischen und chilenischen Kaufhäuser, die ihren Sitz in Punta-Arenas und längs der Wasserstraße weitere Zweigniederlassungen gegründet hatten, die in schönstem Aufblühen begriffen waren.

Der Kaw-djer beobachtete seit langem das Vorgehen der chilenischen Regierung und während seiner Ausflüge im Archipel konnte er konstatieren, daß alle Landesprodukte den Weg nach Punta-Arenas nahmen. Nach dem Vorbild dieser Niederlassung wurde auch Neudorf zum Freihafen erklärt und diese Maßnahme war die Ursache zu einem ungeahnten Aufschwung und der raschen Bereicherung der Insel Hoste.

War es zu glauben? Die Republik Argentina, die Ushaia auf der feuerländischen Küste des Beagle-Kanales gründete, konnte sich nicht entschließen, dieses doppelte Vorbild nachzuahmen; und wenn man heute diese Stadt mit Liberia oder Punta-Arenas vergleicht, kann man nur einen Rückstand konstatieren, wegen der Schwierigkeiten, die die Regierung dem Handel in den Weg legt, wegen der Höhe der Einfuhrzölle, wegen der erschwerenden Formalitäten, mit denen man bei der Ausbeutung des natürlichen Reichtums des so ergiebigen Bodens zu rechnen hat, und wegen des Unwesens, das zahlreiche Schmugglerbanden betreiben und das die Regierung nicht zu unterdrücken vermag, da sie zu schwach ist, um die unter ihrer Jurisdiktion stehende siebenhundert Kilometer lange Küstenlinie genügend zu überwachen.

Die Ereignisse, deren Schauplatz die Insel Hoste gewesen war, die ihr von der Republik Chile zuerkannte Unabhängigkeit, ihr Wohlstand, der sich unter der weisen Verwaltung des Kaw-djer stets mehrte, hatten das Augenmerk der Industrie und Handel treibenden Welt auf sie gelenkt. Neue Kolonisten waren angezogen worden, denen in freigebigster Weise und zu den günstigsten Bedingungen Konzessionen erteilt wurden. Bald war es allgemein bekannt, daß die Wälder der Insel Hölzer von einer selbst die ausgezeichnetsten Produkte Europas übertreffenden Güte lieferten, bei deren Umsatz fünfzehn bis zwanzig Prozent zu verdienen waren; die Folge war das Entstehen mehrerer groß angelegter Sägewerke. Gleichzeitig fanden sich Käufer für die Felder, welche die Quadratmeile Ackerboden mit tausend Piaster bezahlten, und die Haustiere hatten sich auf den Weideplätzen zu einer mehr als tausendköpfigen Herde vermehrt.

Auch die Bevölkerung war rasch angewachsen. Den zwölfhundert Schiffbrüchigen des »Jonathan« hatte sich das Drei- und Vierfache an Emigranten aus dem Westen der Vereinigten Staaten, Chile und Argentina zugesellt. Neun Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, acht Jahre nach dem Staatsstreich des Kaw-djer, fünf Jahre nach dem Einfall der Patagonier zählte Liberia mehr als zweitausendfünfhundert Seelen und die Gesamtzahl der Inselbevölkerung belief sich auf fünftausend.

Seit der Hochzeit Halgs und Graziellas waren auf der Insel viele Ehen geschlossen worden; unter anderen hatte Edward Rhodes die Tochter Germain Rivières und Clary Rhodes Dr. Samuel Arvidson geheiratet.

Während der schönen Jahreszeit besuchten viele Schiffe den Hafen von Neudorf. Die Küstenschiffahrt, die die Verbindung zwischen Liberia und anderen auf der Insel gegründeten Handelshäusern herstellte, machte die besten Geschäfte. Meistens versahen diesen Dienst Fahrzeuge vom Falklands-Archipel, dessen Handelsbeziehungen sich jedes Jahr auf einen größeren Umkreis erstreckten.

Aber diese Schiffe der englischen Besitzungen im Atlantischen Ozean waren nicht die einzigen, die den Import und Export der Waren vermittelten; auch von Valparaiso, Buenos-Aires, Montevideo und Rio de Janeiro warfen Segelschiffe und Dampfer in dem Hafen Anker und in den benachbarten Meeresstraßen, in der Nassau-Bai, im Darwin-Sund, in den Wassern des Beagle-Kanales sah man dänische, norwegische und amerikanische Flaggen wehen.

Der Fischfang hatte stets eine reiche Beute aufzuweisen, die in den magallanischen Gewässern immer guten Absatz fand. Natürlich war auch dieser Erwerbszweig durch strenge Vorschriften, die der Kaw-djer erlassen hatte, geregelt worden, die jedem Überschreiten des Vernünftigen und Erlaubten ein Ziel setzten. An der Küste hatten sich Wolfsjäger niedergelassen, Leute verschiedener Herkunft, Heimatlose, deren Überwachung Hartlepool im Anfang schwere Mühe kostete. Aber nach und nach wurden auch diese Abenteurer gefügig und zivilisierten sich unter dem Einfluß ihrer neuen, geregelten Existenz. Das seßhafte Leben milderte die Sitten dieser haltlosen Vagabunden. Sie fühlten sich in der Ausübung ihres rauhen Handwerkes ganz glücklich, das sie vor jedem Mangel schützte. Die Art des Erlegens dieser ungefährlichen Wassertiere hatte sich nicht geändert; sie war sehr einfach: salir e dar una paliza, wie die Wolfsjäger sagen: hinspringen und Stockschläge austeilen, das war noch die gebräuchliche Methode, eine andere Waffe konnte gegen diese armen Tiere nicht in Anwendung kommen.

Zu dem Geschäfte des Fischfanges und der Jagd auf Seewölfe kamen noch die Streifzüge nach Walfischen, die in diesen Breiten sehr ertragreich sind. Die Wasserstraßen des Archipels können jährlich tausend Walfische liefern. Die Walfischfänger, welche wissen, daß ihnen Liberia alles bieten kann, was früher nur in Punta-Arenas zu finden war, besuchen während der guten Jahreszeit mit Vorliebe die die Insel Hoste umgebenden Meeresstraßen.

Auch die Ausbeutung des Strandes bildete einen eigenen Handelszweig; Milliarden eßbarer Muscheln einer sehr geschätzten Gattung bedeckten ihn, sie wurden in ganzen Schiffsladungen fortgeschafft und in den Städten Südamerikas wurde das Kilogramm um fünf Piaster verkauft.

Den Muscheln schlossen sich die Krustentiere an. In den unterseeischen Algen der Buchten der Insel lebten Krabben von solch riesenhafter Größe, daß zwei solche Tiere zur täglichen Ernährung eines Menschen mit gesundem Appetit genügten.

Diese Krabben sind jedoch nicht die einzigen Repräsentanten der Gattung; es kommen auch Hummern und Langusten an der Küste vor. Wieder war ein Plan des Kaw-djer zur Verwirklichung gelangt: Halg hatte in Neudorf eine Konservenfabrik errichtet, die diese Krustentiere in die ganze Welt versandte und ausgezeichnete Geschäfte machte. Halg war jetzt achtundzwanzig Jahre alt und der zufriedenste Mensch unter der Sonne. Er hatte eine liebende Frau und drei Kinder, zwei Mädchen und einen Knaben, erfreute sich der besten Gesundheit und eines stets anwachsenden Wohlstandes; nichts fehlte ihm, er war glücklich und der Kaw-djer konnte sich auch zu seinem Werk beglückwünschen.

Karroly teilte sich nicht mit seinem Sohne in die Leitung der Fabrik von Neudorf, auch hatte er die Fischerei aufgegeben. Der Hafen der Insel Hoste, der zwischen dem Darwin-Sund und der Nassau-Bai gelegen war, hatte sich schon eine gewisse Berühmtheit erworben; viele Schiffe suchten darin Zuflucht und zogen ihn sogar dem Hafen von Punta-Arenas vor. Er war sicherer als der der chilenischen Kolonie, auch traf man viele Dampfer an, die hier gerne haltmachten, wenn sie von einem Ozean zum anderen wollten. Aus diesem Grunde hatte Karroly seine ehemalige Beschäftigung wieder aufgenommen, er war Hafen- und Lotsenkommandant geworden und die Schiffe, die nach Punta-Arenas oder zu den Niederlassungen an den Wasserstraßen wollten, nahmen oft seine Hilfe in Anspruch. Es fehlte ihm nie an Beschäftigung.

Er war jetzt im Besitze eines Kutters von fünfzig Tonnen, der dem heftigsten Wogenanprall Widerstand zu leisten vermochte. Mit diesem sicheren Fahrzeug, das fünf Mann Besatzung erforderte, und nicht mit der Wel-kiej, fuhr er den Schiffen bei jedem Wetter entgegen. Die Wel-kiej war in den Ruhestand versetzt; man brauchte sie nicht mehr. Gewöhnlich lag sie im Hafen, eine alte, treue Dienerin, die das Gnadenbrot wohl verdient hatte.

Tüchtige Arbeiter nehmen sogleich eine neue Arbeit in Angriff, sobald die eine getan ist; so hatte auch der Kaw-djer, nachdem er Halgs Erziehung vollendet, er ein Mann geworden war, sich eine andere Lebensaufgabe gestellt und Dick als Schüler adoptiert. Dick hatte Halg durchaus nicht verdrängt; in dem weiten Herzen des Kaw-djer war Raum für beide vorhanden.

Dick war jetzt fast neunzehn Jahre alt und seit sechs Jahren hatte sich der Kaw-djer eingehend mit ihm beschäftigt. Er hatte staunenswerte Fortschritte in den Wissenschaften gemacht und verdiente schon den Namen eines Gelehrten. Bald wußte der Lehrer, den die Lebhaftigkeit der Auffassung und die Ausdauer seines Schülers mit großer Freude erfüllten, ihm nichts Neues mehr zu lehren.

Dick war durch die harte Schule, die er als Kind durchgemacht, und durch seine Teilnahme an so manchem bedeutungsvollen Ereignis frühreif geworden. Trotz seiner jungen Jahre war er eher der Jünger und Freund des Kaw-djer zu nennen als sein Schüler. Der gereifte Mann hatte vollkommenes Vertrauen zu dem Jüngling und betrachtete ihn als seinen Nachfolger. Germain Rivière und Hartlepool waren gewiß brave Leute, aber der erstere würde sich niemals entschlossen haben, seine Niederlassung im Walde, die ihresgleichen suchte, zu verlassen, um sich dem allgemeinen Wohle zu opfern. Und Hartlepool führte treu und zur vollsten Zufriedenheit jeden erhaltenen Befehl aus, kam aber erst als zweiter in Betracht. Auch fehlte beiden die allgemeine Übersicht und genügende Bildung, um ein Volk zu regieren, das nicht allein materiellen Interessen nachging. Harry Rhodes wäre noch der Tauglichste gewesen. Aber Harry Rhodes alterte und hatte nicht die nötige Energie, er würde ein solches Amt selbst abgelehnt haben.

Dick nannte alle Eigenschaften und Anlagen sein eigen, die das Amt eines künftigen Oberhauptes erforderte. Niemand konnte sich besser dazu eignen. Was Wissen, Einsicht und Charakterstärke anbelangte, besaß er alles für den Staatsmann Erforderliche; es war nur zu bedauern, daß solch herrliche Eigenschaften in diesem kleinen Wirkungskreise untergehen sollten. Aber keine Arbeit ist gering zu achten, die vollkommen getan ist, und der Kaw-djer glaubte mit Recht, daß Dick, wenn er auch nur das Glück von einigen tausend Menschen begründen half, doch Befriedigung in diesem schönen Berufe finden konnte.

Auch in politischer Hinsicht war die Lage die denkbar günstigste. Die Beziehungen der Insel Hoste mit der chilenischen Regierung waren ausgezeichnete. Chile konnte sich ein jedes Jahr mehr zu seiner Taktik Glück wünschen. Es erfreute sich moralischer und materieller Vorteile, die Argentina nie würde aufweisen können, solange es nicht seine Verwaltungsmethode änderte.

Im Anfang hatte die Regierung von Santiago ein Gefühl der Besorgnis und Unzufriedenheit nicht unterdrücken können, als sie in Erfahrung brachte, daß der von Geheimnissen umgebene Mensch, dessen Anwesenheit auf dem Magalhães-Archipel schon ungerne gesehen wurde, jetzt die Regierungsgeschäfte auf der Insel Hoste leitete. Es war aber eine platonische Unzufriedenheit. Auf dieser unabhängigen Insel war man machtlos, der Person des Kaw-djer nachzuforschen, seine Herkunft festzustellen und von seiner Vergangenheit Rechenschaft zu fordern. Wenn dieser Mann seinerzeit den Zwang der Gesetze nicht ertragen konnte; wenn er sich auch in offener Rebellion gegen die geheiligte Autorität erhoben hatte; wenn er aus allen Ländern, die ein geordnetes Staatenwesen besaßen, vertrieben worden war – sein Benehmen ließ alle diese Hypothesen zu – und wenn er trotz allem auf der Neuen Insel geblieben wäre, dann wäre es den Nachforschungen der chilenischen Polizei nicht entgangen! Aber als man sah, wie die zielbewußte Autorität des Kaw-djer nach der anarchistischen Bewegung die Ruhe auf der Insel wieder herzustellen wußte, als Handel und Gewerbe unter seiner Regierung aufblühten, der Wohlstand sich hob – ließ man ihn ruhig gewähren. Niemals hatte die leiseste Meinungsverschiedenheit zwischen dem Gouverneur der Insel Hoste und Punta-Arenas bestanden!

So vergingen fünf Jahre in Frieden und Wohlstand. Drei weitere kleine Orte waren auf der Insel entstanden und wetteiferten in bescheidener Weise mit Liberia. Die eine auf der Halbinsel Dumas, die andere auf der Halbinsel Pasteur und die dritte am äußersten Westpunkt der Insel, am Darwin-Sund, gegenüber der Insel Gordon. Der Kaw-djer suchte sie oft auf gelegentlich seiner Ritte durch die Wälder und Ebenen.

An der Küste hatten sich einige Yacana-Indianer mit ihren Familien niedergelassen und feuerländische Dörfer gegründet und so das Beispiel jener ersten Indianer nachgeahmt, die dem Kaw-djer zuliebe mit ihren jahrhundertelangen Gewohnheiten, dem unsteten Nomadenleben gebrochen hatten, um sich in seiner Nähe, bei Neudorf, festzusetzen.

Um diese Zeit, im Dezember des Jahres 1860, erhielt Liberia zum ersten Male den Besuch des Gouverneurs von Punta-Arenas, des Herrn Aguire. Dieser fand nur Worte der Bewunderung für diese strebsame Nation, die weisen Maßnahmen, die ihr zum Wohlstand verholfen hatten, für die ungetrübte Einigkeit, die dies Volk der verschiedensten Nationalitäten zusammenhielt, für die Ordnung und das Glück, in dem alle Familien zu leben schienen. Natürlich beobachtete er aufmerksam den Mann, welcher einer so schweren Aufgabe gerecht geworden war und der nur unter dem Namen »Kaw-djer« gekannt sein wollte.

Er überschüttete ihn mit Lobpreisungen und Komplimenten.

»Diese hostelische Kolonie ist allein Ihr Werk, Herr Gouverneur, sagte er; Chile kann sich nur beglückwünschen. Ihnen zu einem solchen Feld der Tätigkeit verholfen zu haben!

– Ein Vertrag, begnügte sich der Kaw-djer zu antworten, hat diese Insel, die unabhängig war, der Herrschaft der chilenischen Regierung untertan gemacht. Es war nur gerecht, daß Chile ihr die Freiheit zurückerstattete.«

Herr Aguire verstand sehr gut den versteckten Sinn dieser Worte. Der Kaw-djer meinte, daß die Regierung von Chile kein Recht habe, irgendwelchen Dank zu beanspruchen.

»Jedenfalls, sagte Herr Aguire vorsichtig, glaube ich nicht, daß die Schiffbrüchigen des »Jonathan« sich jemals nach der Delagoa-Bai gesehnt haben ...

– Gewiß nicht, Herr Gouverneur! Dort wären sie der portugiesischen Regierung untertan gewesen, hier sind sie frei und unabhängig.

– Nun, so hat sich ja alles zum besten gewendet.

– Ja, zum besten, sagte der Kaw-djer.

– Wir hoffen, meinte Herr Aguire höflich, daß die guten Beziehungen zwischen Chile und der Insel Hoste immer fortbestehen werden.

– Auch wir hoffen das, sagte der Kaw-djer. Und vielleicht wird Ihre Regierung, nachdem sie sich von dem günstigen Erfolg ihrer Taktik auf der Insel Hoste überzeugt hat, dieselbe Taktik auch bei anderen Inseln des Archipels zur Anwendung bringen!«

Herr Aguire antwortete nur mit einem Lächeln, aus dem man alles herauslesen konnte, was man wollte.

Harry Rhodes, welcher mit seinen zwei Kollegen des Rates der Unterredung beiwohnte, trachtete dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

»Wenn man unsere Insel Hoste, sagte er, und die argentinischen Niederlassungen auf dem Feuerlande betrachtet, kommt man zu interessanten Vergleichen. Wie Sie ja selbst sehen, Herr Gouverneur, auf der einen Seite herrscht Wohlstand und Emporblühen, auf der anderen Niedergang und Verfall. Die Forderungen des Konsuls in Buenos-Aires schrecken die Kolonisten ab und auch die Schiffe werden durch seine Formalitäten abgehalten. Und aller Protest des Gouverneurs vom Feuerland ist nutzlos.

– Ich weiß es, sagte Herr Aguire. Mit Punta-Arenas ist die chilenische Regierung ganz anders verfahren. Auch wenn man eine Kolonie nicht ganz unabhängig stellt, kann man ihr doch mit vielen Privilegien helfen, die ihre Zukunft sichern.

– Herr Gouverneur, unterbrach ihn der Kaw-djer, ich weiß eine der kleinsten Inseln des Archipels, die nur ein kahler Felsen ist, ein Inselchen – dessen Unabhängigkeit ich mir von der chilenischen Regierung erbitten möchte!

– Welche Insel ist das?

– Der Felsen des Kap Hoorn.

– Was wollen Sie denn damit anfangen? fragte Herr Aguire erstaunt.

– Ich will dort einen Leuchtturm erbauen, der auf diesem letzten Ausläufer des amerikanischen Kontinents unendlich wichtig sein würde! Eine Beleuchtung dieser Breiten wäre nicht allein von größtem Vorteil für jene Schiffe, die die Insel Hoste anlaufen, sondern für alle, die das gefährliche Kap zwischen dem Atlantischen und Stillen Ozean passieren.«

Harry Rhodes, Hartlepool und Germain Rivière, welche um das Projekt des Kaw-djer wußten, unterstützten sein Ansuchen aufs kräftigste und betonten auch ihrerseits die Notwendigkeit eines Leuchtturmes, die Herr Aguire auch gar nicht in Abrede stellte.

»Die Regierung der Insel Hoste wäre geneigt, fragte er, den Leuchtturm zu erbauen?

– Ja, sagte der Kaw-djer.

– Auf ihre Kosten?

– Auf ihre Kosten – aber unter der formellen Bedingung, daß Chile ihr das Besitzrecht der Insel verleiht. Länger als sechs Jahre mache ich Ihrer Regierung denselben Vorschlag und kann keine Entscheidung erlangen.

– Was hat man Ihnen geantwortet? fragte Herr Aguire.

– Worte, Phrasen, sonst nichts. Man sagt weder »ja« noch »nein«. Wenn das so weitergeht, können sich die Unterhandlungen jahrhundertelang hinausziehen. Und während dieser Zeit zerschellen die Schiffe auf dieser gefährlichen Insel, die in ewiger Finsternis ihren Blicken verborgen bleibt.«

Herr Aguire war sehr erstaunt, vielleicht nur äußerlich; er war zu sehr mit der Art der Administration vertraut, um wirklich zu erstaunen. Aber er versprach, sich der Sache anzunehmen und bei der Regierung in Santiago – wohin er sich jetzt begab – das Ansuchen des Kaw-djer zu befürworten und seinen ganzen Einfluß aufzubieten, daß es bald erledigt werde.

Er hielt auch Wort und seine Fürsprache schien erfolgreich gewesen zu sein, denn nach einem Monat hielt der Kaw-djer die Antwort in Händen. Nach jahrelangem Hinausziehen hatte man endlich einen Entschluß gefaßt: Die Regierung von Chile nahm den Vorschlag des Kaw-djer an. Am 25. Dezember wurde eine Urkunde von beiden Staaten unterzeichnet des Wortlautes: Der hostelische Staat wurde Eigentümer der Insel des Kap Hoorn unter der Bedingung, daß er auf ihrem höchsten Punkte auf eigene Kosten einen Leuchtturm errichtet.

Der Kaw-djer, der schon längst alle Vorbereitungen getroffen hatte, ließ mit den Arbeiten sogleich beginnen. Nach annähernden Berechnungen waren schlimmstenfalls zwei Jahre nötig, um den Bau zum Abschluß zu bringen und den Schiffen aller Nationen diesen wichtigen Dienst zu leisten.

In dieser Unternehmung erblickte der Kaw-djer den Schlußstein seiner Tätigkeit. Die Insel Hoste war wohl organisiert und erfreute sich des Friedens, gediegener Wohlstand hatte das einstige Elend ersetzt, das hatte er zustandegebracht; jetzt wollte er noch viele Tausende von Menschenleben retten, die an dieser Stelle, wo die zwei größten Ozeane der Erde zusammenfließen, gefährdet waren – dann betrachtete er seine Lebensaufgabe als gelöst.

Und sie war schön! Und nach ihrer Vollendung hatte er auch ein Recht, an sich selbst zu denken und ein Amt niederzulegen, das ihm bis in die innersten Daseinsfibern widerstrebte.

Wenn auch der Kaw-djer »regierte« und eigentlich der größte Despot war, so war er doch kein glücklicher Despot. Die lange Gewohnheit des Herrschens hatte ihm das Amt nicht lieber gemacht, er übte es sehr wider seinen Willen aus. Er selbst bäumte sich gegen alle Autorität auf und das war ihm stets peinlich, die seine bei anderen zur Geltung bringen zu müssen. Er war derselbe energische, verschlossene und traurige Mann geblieben, den man an jenem fernliegenden Tage, der den Emigranten fast zum Verderben geworden wäre, zum ersten Male erblickt hatte. Die anderen hatte er damals gerettet – und dabei sich selbst verloren. Er war gezwungen worden, auf seine Illusionen zu verzichten, er hatte sich vor den Tatsachen beugen müssen und hatte das Opfer heldenmütig gebracht – aber in seinem Herzen war der alte Traum noch nicht erstorben. Wenn unsere Gedanken nur eine Entfaltung unserer natürlichen Instinkte sind, leben sie ihr eigenes Leben, das von unserer Vernunft und unserem Willen unabhängig ist. Sie kämpfen gegen die Tatsachen an wie Wesen, die nicht sterben wollen. Die Gegenbeweise müßten überwältigend sein, um uns ganz überzeugen zu können, alles in uns strebt wieder den Gedanken zu, die einst unser Glück ausgemacht.

Jetzt aber fühlte er sich frei, der Opfermut war nicht mehr geboten, jetzt weckte das Schicksal der Hostelianer keine Regung des Mitleides mehr, jetzt wachte die alte, lange gehegte Überzeugung wieder auf und jetzt wurde der Despot wieder der leidenschaftliche Freisinnige von einstens.

Diese Umwandlung hatte Harry Rhodes bemerkt; sie wurde immer deutlicher zu erkennen, je mehr sich der Wohlstand der Insel hob. Sie wurde ganz klar, als der Kaw-djer den Leuchtturm für beendet ansehen konnte und damit seine Lebensmission erfüllt sah. Und schließlich scheute er sich auch nicht, seine Gedanken in Worte zu fassen. Harry Rhodes hatte einmal gelegentlich einer freundschaftlichen Unterhaltung, in deren Verlaufe längstvergangene Tage lebendig wurden, die vielen Wohltaten berührt, die man dem Kaw-djer verdankte; seine Antwort darauf war eine nicht mißzuverstehende Erklärung:

»Ich habe die Aufgabe übernommen, auf dieser Insel eine Kolonie zu begründen. Ich habe mein Möglichstes getan, um meine Pflichten zu erfüllen. Jetzt ist das Werk vollendet und ich betrachte meine Verpflichtungen für gelöst. Dadurch werde ich den Beweis liefern, hoffe ich, daß doch ein Land existieren kann ohne Tyrann.

– Ein Staatsoberhaupt muß doch nicht gleichzeitig Tyrann sein, sagte Harry Rhodes tief bewegt; Sie liefern ja den besten Beweis in Ihrer Person! Aber eine Gesellschaft ohne Autorität kann nicht bestehen, man möge ihr einen Namen wie immer beilegen.

– Meine Ansicht ist anders, antwortete der Kaw-djer. Ich finde, daß die Autorität aufzuhören hat, sobald sie nicht mehr durch zwingende Gründe geboten ist.«

Man sieht daraus, wie der Kaw-djer immer noch seinen utopistischen Ideen nachhing, er behielt noch Illusionen über die menschliche Natur, alles Erlebte hatte ihm den Glauben nicht nehmen können, daß die Menschheit auch ohne die Unterstützung von Gesetzen imstande sein kann, die vielen Schwierigkeiten des Lebens beizulegen, die der Konflikt der individuellen Interessen mit sich bringt. Harry Rhodes sah mit tiefer Trauer die Fortschritte, die sein Freund auf der längst verlassenen Bahn machte und befürchtete einen schlimmen Ausgang. Fast wünschte er, daß irgendein Zwischenfall – und sollte er selbst die friedliche Existenz der Hostelianer untergraben – den Kaw-djer neuerdings von seinem Irrtum heilen möchte.

Leider sollte dieser frevlerische Wunsch nur zu bald Erfüllung finden.

In den ersten Tagen des März 1891 verbreitete sich das Gerücht, daß ein Goldlager von bedeutender Ausdehnung in den Bergen entdeckt worden sei. Daran war an und für sich nichts Schreckliches! Jedermann freute sich im Gegenteil darüber und selbst die Weitsehendsten unter den Hostelianern, darunter Harry Rhodes, teilten die allgemeine Begeisterung. Es wurde zum Festtag für die Bevölkerung von Liberia.

Der Kaw-djer war der einzige, welcher weiter sah. Er begriff im Augenblick die notwendige Folge dieser Entdeckung und sah die latenten Erstarrungsgewalten darunter schlummern. Und während sich alle um ihm lautem Jubel hingaben, blieb er allein finster und in sich gekehrt; schon jetzt drückten ihn die Schreckenstage nieder, die die nicht allzu ferne Zukunft mit sich bringen mußte.


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