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(Dritter Teil. Fortsetzung.)
Dem Gouverneur den Kopf abschneiden! ... Dick vergaß gänzlich, seine Löwenrolle weiterzuspielen und dachte nur daran, schnell zu entkommen. Er mußte nach Liberia laufen ... dort erzählen, was er vernommen hatte.
Unglücklicherweise hinderte ihn die Schnelligkeit, mit der er diesen Gedanken ausführen wollte, an der gebotenen Vorsicht seiner Bewegungen. Ein Stein löste sich unter seinen Füßen los und kam ins Rollen. Sofort eilte jemand zum Eingang der Höhle und schickte argwöhnische Blicke nach allen Seiten. Der erschreckte Dick erkannte Fred Moore.
Doch auch dieser hatte das Kind erblickt.
»Ach, das ist dieser Knirps! ... sagte er. Was machst du hier?«
Dick war vor Schrecken wie gelähmt und antwortete nicht.
»Wo hast du denn heute deine Zunge gelassen? ... fragte Fred Moore in barschem Tone. Du bist ja sonst immer so schlagfertig ... Na, warte! Ich werde dich schon reden lehren! ... Ich!«
Trotz aller Angst fiel es Dick jetzt ein, daß er ja Beine zu seiner Verfügung habe. Er rannte so schnell er konnte den Abhang hinab. Aber sein Feind hatte ihn mit wenigen Schritten eingeholt, packte ihn beim Gürtel und hob ihn wie eine Feder in die Luft.
»Warte nur! ... zischte er zwischen den Zähnen hervor, indem er das sprachlose Kind bis zu seinem Gesicht emporhob. Die Lust zum Spionieren soll dir gründlich benommen werden, kleine Schlange!«
Im selben Augenblicke war er in der Grotte und warf Dick wie ein lebloses Bündel Dorick vor die Füße.
»Seht, sagte Fred Moore, was ich draußen gefunden habe. Er hat spioniert.«
Ein Fußtritt Doricks nötigte das Kind zum Aufstehen.
»Was hast du hier zu suchen? fragte er strenge.
Dick fürchtete sich sehr; offen gesagt, er zitterte wie Espenlaub. Aber sein Stolz war größer als seine Furcht und überwand sie. Er richtete seine kleine Gestalt hoch auf; wie ein gereizter Hahn auf dem Kampfplatz stand er da und sagte in seinem arrogantesten Tone:
»Das geht Sie gar nichts an! ... Man wird wohl noch das Recht haben, in der Grotte »Löwe« spielen zu dürfen ... Die Grotte gehört nicht Ihnen!
– Willst du wohl höflicher antworten, du Giftkröte!« schrie Fred Moore, indem er nach dem Knaben schlug.
Aber Schläge erwiesen sich bei Dick als wirkungsloses Erziehungsmittel. Lieber hätte er sich in Stücke hauen lassen, als daß er nachgegeben hätte. Anstatt eine demütige Haltung anzunehmen, schien seine winzige Gestalt im Gegenteil noch zu wachsen; er ballte die kleinen Fäuste, sah seinem riesigen Gegner fest ins Auge und sagte verachtungsvoll: »Großer Feigling!« ...
Fred Moore beliebte es, dieses Schimpfwort nicht aufzugreifen.
»Was hast du erlauscht? fragte er. Du wirst es uns augenblicklich sagen, sonst« ...
Fred Moore hob die Hand auf, ließ sie auch mehrmals und stets mit erneuter Kraft niederfallen. Dick beharrte in seinem hartnäckigen Stillschweigen.
Dorick mischte sich hinein.
»Laß ihn in Ruhe! sagte er. So erfährst du nichts ... Für uns ist es auch ganz gleichgültig, ob er etwas erlauscht hat oder nicht, wir werden nicht so dumm sein, ihm seine Freiheit wiederzugeben ...
– Du wirst ihn doch nicht töten, sagte Sirdey, welcher entschieden blutigen Lösungen feindlich gegenüberstand.
– Fällt mir nicht ein, sagte Dorick und zuckte die Achseln. Aber binden will ich ihn ... Hat einer einen Strick bei sich?
– Hier, sagte Fred Moore und zog aus seiner Tasche den verlangten Gegenstand.
– Und hier,« fügte William Moore hinzu, indem er Dorick seinen Ledergürtel reichte.
Im Handumdrehen war Dick gefesselt, so daß er sich nicht rühren konnte. Die Knöchel waren aneinandergeschnürt, die Hände am Rücken gebunden, es war ihm auch nicht die leiseste Bewegung möglich. Dann trug ihn Fred Moore in die zweite Grotte und warf ihn dort auf den Boden nieder.
»Daß du dich ruhig verhältst, schärfte er dem Gefangenen beim Hinausgehen ein, sonst bekommst du's mit mir zu tun, verstanden?«
Nach dieser Ermahnung kehrte er zu seinen Gefährten zurück und das gleiche Gespräch wurde weitergesponnen. Aber bald war alles bestimmt und der Zeitpunkt des Handelns nahe. Während die anderen miteinander Rat pflogen, hatte Dorick den Teer aufs Feuer gesetzt und machte sich gleich darauf mit unendlicher Sorgfalt an die Herstellung seiner todbringenden Bombe.
Aber während die fünf Elenden alles zum Verbrechen vorbereiteten, war ihr Schicksal ohne ihr Wissen besiegelt. Die Gefangennahme Dicks hatte einen Zeugen gehabt. Als Sand sich zu der vereinbarten Stelle begeben wollte, wo ihn der Löwe überfallen und fressen sollte, beobachtete er die ganze Szene. Er hatte gesehen, wie Dick gepackt, geschlagen, gefesselt und in die zweite Grotte geschleppt worden war.
Sand war der Verzweiflung nahe. Warum hielt man Dick zurück? ... Warum hatte man ihn geschlagen? ... Warum hatte ihn Fred Moore fortgetragen? ... Was wollte man ihm tun? ... Vielleicht umbringen? ... Vielleicht war er auch nur verwundet und rasche Hilfe konnte ihn noch retten! ...
Dann konnte nur Sand sie ihm bringen. Er stürzte den Hügel hinauf, kletterte wie eine Gemse bis zur oberen Grotte und kroch die enge Galerie hindurch, welche die beiden Höhlensysteme verband. In weniger als einer Viertelstunde war er unten, wo die Spalte sich zu der finsteren Grotte erweiterte, die jetzt Dicks Kerker war.
Durch die Verbindung, die von der äußeren Höhle zu dieser Grotte führte, sickerte ein wenig Licht; von dorther drang auch verworrenes Stimmengeräusch, man hörte Lewis Dorick und seine Gefährten reden. Sand war sich der Größe der Gefahr wohl bewußt und schlich mit äußerster Vorsicht und bedeutend verlangsamten, unhörbaren Schritten zu seinem Freund.
Schiffsjungen führen immer ein Taschenmesser mit sich. Schnell hatte Sand das seinige geöffnet und zerschnitt damit die Bande des Gefangenen. Als dieser sich wieder Herr seiner Bewegungen fühlte, lief er, ohne ein Wort zu sagen, auf die Spalte zu, durch welche ihm Rettung geworden war. Es handelte sich auch um keinen Scherz. Er allein wußte, dank der wenigen aufgefangenen Worte, wie ernst die Situation war und daß sie schnelles Handeln erforderte.
Ohne deshalb seine Zeit mit Dankesworten zu verschwenden, stürzte er durch die Spalte und erklomm die Höhe, während der arme Sand ihm atemlos und keuchend folgte.
Die Flucht der beiden hätte leicht gelingen können, hätte nicht das Unglück es gewollt, daß Fred Moore gerade in diesem Augenblick, einer Laune folgend, nach dem Gefangenen sehen wollte. In dem unsicheren Lichte, das aus der ersten Grotte hineinfiel, glaubte er zu sehen, daß sich etwas bewegte. Auf gut Glück folgte er der Gestalt und entdeckte so die aufsteigende Galerie, deren Vorhandensein er bisher noch nicht geahnt hatte. Natürlich begriff er sogleich, daß sein Gefangener entflohen war; er stieß einen furchtbaren Fluch aus und begann als dritter die Höhe zu erklettern.
Wenn auch die Kinder fünfzehn Meter Vorsprung hatten, so besaß Fred Moore viel längere Beine, und nachdem der Gang im unteren Teile ziemlich geräumig war, konnte er sie tüchtig ausgreifen lassen. Zwar bildete die vollständige Dunkelheit, die ihn umgab, ein bedenkliches Hindernis für sein Vordringen in dieser finsteren Galerie, die Dick und Sand sehr gut kannten. Aber Fred Moore war zornig und im Zorne achtet man nicht auf die Ratschläge der Vernunft. So lief er in der Finsternis aus Leibeskräften weiter, mit vorgestreckten Händen, ohne zu ahnen, daß er sich an einer der Unebenheiten der Decke den Kopf zerschellen konnte.
Fred Moore wußte nicht, daß er zwei Flüchtlinge vor sich hatte. Er konnte gar nichts unterscheiden und die Kinder hüteten sich, miteinander zu sprechen. Nur die vom Abhang niederrollenden Steine sagten ihm, daß er sich auf der richtigen Fährte befand und nachdem er sich dem Lärm näherte, vermutete er, daß er das Kind bald erreicht haben würde.
Die Knaben taten ihr Möglichstes. Sie wußten, daß sie verfolgt waren und daß der Verfolger ihnen immer näher kam. Aber sie verzweifelten nicht. Ihre Anstrengungen zielten darauf hin, die Verengerung der Spalte zu erreichen, wo das Gewölbe nur von einem einzigen Stein gestützt wurde; hatten sie diese gefährliche Stelle passiert, dann waren sie im Vorteil, denn dann wurde der Gang schmal und niedrig. Sie mit ihrer kleinen Gestalt konnten noch laufen, ihr großer Feind mußte sich aber bücken.
Endlich war dieses Ziel ihrer Wünsche erreicht. Tief gebückt, kam Dick glücklich vorbei. Sand, welcher auf seinen Händen und Knien kroch, war dicht hinter ihm, als er plötzlich zum Stillstand gezwungen wurde. Ein brutaler Griff hatte seinen Knöchel umfaßt und eine zornige Stimme schrie triumphierend:
»Hab' ich dich, Halunke!«
Fred Moore kannte sich nicht mehr vor Wut. Nichts ließ vermuten, daß der Gang sich plötzlich verengern und niedriger werden würde und er hätte sich fast den Kopf zerschmettert. Seine Stirn war so heftig an das Gewölbe angeprellt, daß der Schlag ihn halb betäubte und er zu Boden fiel. Doch diesem Falle verdankte er seinen Erfolg; er hatte instinktiv die Hand ausgestreckt, um sich zu schützen und damit den Fuß des Flüchtlings berührt.
Sand glaubte sich verloren ... Jetzt würde man sich seiner entledigen und Dick weiter verfolgen und auch einholen ... Und was würde dann mit Dick geschehen? ... Man würde ihn einsperren ... vielleicht töten ... Das durfte nicht sein, er mußte es um jeden Preis verhindern! ...
Ob Sand wirklich in dieser Reihenfolge überlegte! War es infolge dieser Gedanken, daß er zu dem verzweifelten Rettungsmittel seine Zuflucht nahm? Wer kann es wissen! Viel Zeit zum Nachdenken konnte er nicht gehabt haben, denn das ganze Drama spielte sich vom Anfang bis zum Ende in zwei Sekunden ab.
Oft scheint es, als ob in besonderen Lebenslagen ein anderes Wesen in uns auftauche, für uns dächte und handelte. Das »zweite Bewußtsein«, wie die Philosophen es nennen, läßt uns oft ganz plötzlich, wenn wir gar nicht daran denken, die Lösung eines Problems finden, die wir lange vergebens gesucht. Ihm verdanken wir die Reflexbewegungen und unwillkürlichen Gesten, welche äußerliche Erregungen hervorrufen. Es ist dieses sogenannte zweite Bewußtsein, das uns plötzlich zu Handlungen hinreißt, deren eigentliche Ursache in uns zu suchen ist, die aber unser Wille nicht klar gewollt hat.
Sand sah nur eines deutlich vor Augen: die Notwendigkeit, Dick zu retten und den Verfolger aufzuhalten. Das »zweite Bewußtsein« tat das übrige. Seine beiden Ärmchen streckten sich ganz von selbst aus und zerrten an dem schwebenden Block, der das Gewölbe trug, während Fred Moore, die Gefahr nicht ahnend, ihn heftig nach rückwärts riß.
Der Steinblock gab nach, rutschte hinab und das Gewölbe brach mit dumpfem Krachen zusammen.
Dick wurde bei dem Geräusch von einem vagen Angstgefühl ergriffen und blieb stehen, um zu lauschen. Aber nichts regte sich mehr. Es herrschte wieder Schweigen, so tief und undurchdringlich wie die Finsternis, in der er vorwärts eilte. Er rief Sand, erst leise, dann lauter ... und noch lauter ... Als er keine Antwort erhielt, lief er zurück, mußte aber vor den angehäuften Felstrümmern haltmachen, welche ihn am weiteren Vordringen hinderten. Er verstand nun alles! Das Gewölbe war eingestürzt und Sand lag darunter begraben ...
Einen Augenblick lang stand Dick ganz regungslos da, wie vom Schlage gerührt, dann rannte er davon und als er das Tageslicht über sich sah, stürzte er den Abhang wie ein Wahnsinniger hinab.
Der Kaw-djer war mit Lesen beschäftigt, ehe er sich zu Bette begab, als die Tür des Regierungsgebäudes heftig aufgerissen wurde. Eine Art Kugel, aus der unartikulierte Worte und Schreie hervorkamen, wand sich zu seinen Füßen. Nach dem ersten Erstaunen erkannte er Dick.
»Sand ... Gouverneur! ... Sand!« stöhnte er.
Der Kaw-djer blickte ernst auf ihn nieder.
»Was bedeutet dies ... Was gibt es?«
Aber Dick schien nicht zu hören. Er blickte ihn ganz verständnislos an, mit unstetem Blick; die Tränen rollten ihm über die Wangen und aus seiner heftig arbeitenden Brust kamen zusammenhangslose Worte:
»Sand ... Gouverneur! ... Sand ... keuchte er und faßte den Kaw-djer an der Hand, als ob er ihn fortziehen wollte. In der Grotte ... Dorick ... Moore ... Sirdey ... Die Bombe ... Kopf abschneiden ... Und Sand ... zerschmettert! ... Sand ... Gouverneur! ... Sand« ...
Trotz ihrer Zusammenhangslosigkeit waren die Worte klar verständlich. Etwas Außergewöhnliches mußte sich in der Grotte ereignet haben, etwas, wobei auf irgendeine Weise Dorick, Moore und Sirdey beteiligt waren und Sand zum Opfer gefallen war. Aus Dick waren genauere Mitteilungen jetzt nicht herauszubringen. Der Knabe, im Paroxismus der Todesangst, wiederholte immer wieder dieselben Worte und schien den Verstand verloren zu haben.
Der Kaw-djer stand auf, rief Hartlepool und erklärte ihm rasch:
»Es ist in den Grotten etwas geschehen ... Nehmen Sie fünf Leute und Fackeln mit sich und kommen Sie mir schnell nach. Eilen Sie ja!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, gehorchte er dem Zuge der kleinen Hand, die ihn immer fester hielt und eilte im Laufschritt der Landspitze zu. Zwei Minuten später folgte ihm Hartlepool an der Spitze von fünf bewaffneten Männern.
Zum Unglück war der Kaw-djer schon in der undurchdringlichen Dunkelheit verschwunden. »Zu den Grotten,« hatte er gesagt. Hartlepool eilte dahin, aber zu der Grotte, die er am besten kannte, wo er einst die Gewehre versteckt hatte, während der Kaw-djer, von Dick geführt, sich mehr nach Norden wandte, so daß er die Landspitze umging und am anderen Abhang jene untere Grotte erreichte, in der Dorick sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte.
Dieser hatte seine Arbeit unterbrochen, als er Fred Moores zornigen Ausruf bei der Entdeckung der Flucht des Gefangenen hörte; von seinen drei Gefährten gefolgt, war er in die zweite Grotte gedrungen, um dem Kameraden hilfreiche Hand zu leisten.
Aber schließlich hatte Fred Moore nur mit einem Kinde zu tun, darum hielt er sich nicht weiter auf und nach einem kurzen Blick in die ihn umgebende Finsternis nahm er seine Arbeit wieder auf.
Diese war nun beendigt und Fred Moore noch immer nicht zurückgekehrt. Man verwunderte sich ob seines langen Ausbleibens; mit einem brennenden Aste drang man in die innere Grotte ein, William Moore an der Spitze, dann Dorick und Kennedy. Sirdey folgte zuerst seinen Kameraden, machte aber bald wieder kehrt und während seine Freunde die zweite Grotte durchsuchten, trat er aus der ersten heraus und verschwand, von der sinkenden Nacht begünstigt, zwischen den Felsen. Dieses unerklärliche Verschwinden Fred Moores bedeutete nichts Gutes. Er sah unangenehme Verwicklungen voraus. Und Sirdey war kein Heldenherz! Weit davon! Für List, Betrug, zweideutige und hinterlistige Wege war er zu haben, aber offene Schläge waren nicht sein Fall. Er brachte darum sein kostbares Leben in Sicherheit, entschlossen, sich erst die weitere Entwicklung der Dinge anzusehen, ehe er sich zeigte.
Inzwischen hatten Dorick und Genossen die Galerie entdeckt, in welche Fred Moore bei der Verfolgung Dicks und Sands eingedrungen war. Einen anderen Ausweg gab es nicht, ein Irrtum war demnach ausgeschlossen. Der, den man suchte, mußte diesen Weg benützt haben, das war sicher. Sie schlugen ihn denn auch ein, waren aber nach ungefähr hundert Metern zum Stillstand gezwungen. Ein Berg von Felstrümmern hinderte sie am weiteren Vordringen. Die Galerie war eine Sackgasse ohne Ausweg.
Vor diesem unerwarteten Hindernis blieben sie stehen und blickten sich mit entsetzten Mienen an. Wo zum Teufel steckt denn Fred Moore? ... Unfähig, eine Antwort auf diese Frage zu finden, gingen sie den Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück, ohne zu ahnen, daß ihr Gefährte unter diesem Trümmerhaufen begraben lag.
Sehr bestürzt über dieses unlösliche Rätsel kehrten sie zur ersten Grotte zurück. Hier wartete ihrer eine unangenehme Überraschung. Eben waren sie eingetreten, als zwei menschliche Gestalten, ein Mann und ein Kind, im Eingang auftauchten.
Das Feuer brannte noch lustig und sein Lichtschein erhellte die Finsternis. Die Schurken erkannten den Mann und das Kind.
»Dick!« ... riefen die Drei ganz verblüfft, den Schiffsjungen, den sie vor einer halben Stunde gebunden in die zweite Grotte geschafft hatten, jetzt von dieser Seite erscheinen zu sehen.
»Der Kaw-djer« ... kam es dann von ihren Lippen, halb erschreckt und halb zornig.
Einen Augenblick zögerten sie noch, dann gewann der Zorn die Oberhand und Kennedy und William Moore stürzten gleichzeitig vorwärts.
Der Kaw-djer stand unbeweglich auf der Schwelle; seine hohe Gestalt wurde von der Flamme voll beleuchtet; ruhigen Blickes erwartete er seine Angreifer. Diese hatten ihre Messer gezogen. Aber sie fanden nicht Zeit, dieselben zu gebrauchen. Jeder fühlte sich mit eisernem Griffe an der Kehle gepackt und die beiden Köpfe wurden mit Wucht aneinandergeschlagen. Betäubt fielen beide gleichzeitig zu Boden.
Kennedy hatte genug, wie man sagt. Er blieb lang ausgestreckt liegen, bewußtlos, während William Moore sich wankend erhob.
Ohne sich weiter um ihn zu bekümmern, trat der Kaw-djer auf Dorick zu ...
Dieser hatte, wie gelähmt durch die Plötzlichkeit des Vorganges, dem kurzen Kampfe zugesehen, ohne daran teilzunehmen. Er war im Hintergrunde stehen geblieben und hielt seine Bombe in der Hand, von der einige Zentimeter Zündschnur herabhingen.
Er sah das Resultat des kurzen Ringens und es war ihm klar, daß jeder Widerstand vergeblich war. Aus der Bewegung des Kaw-djer erkannte er, daß alles verloren war ...
Da schlug der Wahnsinn seine Krallen um ihn ... Eine Blutwelle stieg ihm zu Kopf: »er sah alles rot«, wie die volkstümliche Ausdrucksweise sagt ... Wenigstens einmal im Leben wollte er Sieger sein! ... Und wenn er dabei zugrunde ging – auch der andere mußte zugrunde gehen! ...
Er sprang zum Feuer hin und ergriff einen brennenden Zweig, den er der Zündschnur näherte und sein Arm holte weit aus, um das Projektil zu schleudern ...
Aber die Zeit wurde ihm zu kurz, diese mörderische Bewegung auszuführen. War es Ungeschicklichkeit, ein Fehler in der Zündschnur oder eine andere Ursache? Die Bombe platzte noch in seiner Hand. Es ertönte plötzlich eine laute Detonation ... Der Boden erzitterte und durch die Öffnung der Grotte schlug eine mächtige Feuergarbe hinaus ...
Auf die Explosion erfolgte draußen ein lauter Schreckensruf. Hartlepool und seine Leute hatten endlich ihren Irrtum eingesehen und kamen im Laufschritt herbeigeeilt, gerade rechtzeitig, um dem Drama beizuwohnen. Sie sahen die Flamme in zwei Zungen zu beiden Seiten des Kaw-djer, dessen Knie der vor Schreck zitternde Dick umklammerte, aus der Grotte herauszüngeln; unbeweglich stand er, wie ein Marmorblock, inmitten dieses Feuerkreises. Sie stürzten herbei, um ihrem Oberhaupt beizustehen.
Dieser bedurfte ihres Beistandes nicht. Die Explosion hatte ihn wunderbarerweise verschont. Die verschobenen Gase hatten sich in zwei Strömungen geteilt, die ihn nur gestreift hatten, ohne ihm ein Leid zuzufügen. Unbeweglich und aufrecht, wie man ihn in der Gefahr gesehen hatte, fand man ihn jetzt, nachdem sie vorüber war. Er hielt diejenigen, die ihm beispringen wollten, mit einer Handbewegung zurück.
»Bewachen Sie den Eingang, Hartlepool,« sagte er mit seiner gewöhnlichen, ruhigen Stimme.
Hartlepool und seine Leute gehorchten, obwohl sie diese Kaltblütigkeit unbegreiflich fanden; sofort war vor der Öffnung der Grotte eine menschliche Mauer aufgepflanzt. Der Rauch verzog sich allmählich, aber die Gewalt der Explosion hatte das Feuer verlöscht und es herrschte undurchdringliche Finsternis.
»Licht her, Hartlepool,« befahl der Kaw-djer. Eine Fackel wurde angezündet und nun drang man in die Höhle.
Durch die Ruhe und Finsternis begünstigt, löste sich draußen aus dem Felsen ein Schatten los. Sirdey wußte nun, wonach er sich zu richten hatte. Dorick war tot oder wurde gefangengenommen; für ihn war jetzt der Moment gekommen, sich in Sicherheit zu bringen. Erst ging er nur langsamen Schrittes weiter; als er aber die Entfernung groß genug glaubte, beschleunigte er seine Flucht und war bald in der Nacht verschwunden.
Inzwischen untersuchten der Kaw-djer und seine Leute den Schauplatz der letzten tragischen Ereignisse. Es sah dort fürchterlich aus. Auf dem mit Blut bespritzten Boden lagen entsetzlich zerrissene menschliche Glieder herum. Es war schwer, Dorick zu erkennen, dem durch die Explosion Kopf und Arme abgerissen waren. Wenige Schritte von ihm lag William Moore mit zerrissenem Leibe und weiter weg Kennedy, welcher keine sichtbare Wunde an sich trug. Er schien zu schlafen.
Der Kaw-djer näherte sich dem letzteren.
»Er lebt,« sagte er.
Wahrscheinlich verdankte der einstige Matrose sein Leben dem Umstand, daß er – halb erwürgt vom Kaw-djer – unfähig gewesen war, sich aufzurichten.
»Ich sehe Sirdey nirgends, bemerkte der Kaw-djer, als er um sich blickte ... Er war auch an dem Komplott beteiligt, wie es scheint!«
Die Grotte wurde vergebens nach Sirdey durchsucht. Es fand sich keine Spur des Kochs vom »Jonathan« vor. Statt seiner entdeckte Hartlepool unter den angehäuften Zweigen das vermißte Pulverfaß, aus dem Dorick nur einen kleinen Teil herausgenommen hatte.
»Hier ist unser Faß! ... rief er triumphierend. Das sind auch die Schurken von damals!«
Jetzt schmiegte sich eine kleine Hand in diejenige des Kaw-djer und eine schwache Stimme schluchzte:
»Sand ... Gouverneur! ... Sand!«
Dick hatte recht. Es war noch nicht alles klar. Sand mußte noch gefunden werden, da er nach der Aussage seines Freundes an der Sache mitbeteiligt war.
»Führe uns, mein Junge!« sagte der Kaw-djer.
Dick betrat den Verbindungsgang und mit Ausnahme eines Mannes, welcher zu Kennedys Bewachung zurückblieb, folgten ihm alle. Man durchschritt die zweite Grotte und stieg dann die Galerie hinan bis zu der Stelle, wo der Einsturz erfolgt war.
»Da!« sagte Dick und zeigte mit der Hand auf die Steintrümmer.
Er schien unter dem Einfluß eines furchtbaren Schmerzes zu stehen und sein zerfahrenes Aussehen weckte das Mitleid der Männer, deren Beistand er anflehte. Er weinte nicht mehr, in seinen Augen brannte das Fieber und seine Lippen konnten kaum einige Worte artikulieren.
»Da? fragte der Kaw-djer sanft. Aber du siehst ja, Kleiner, daß man nicht weiter vordringen kann!«
– Sand, wiederholte Dick hartnäckig und seine zitternde Hand wies nach der gleichen Richtung.
– Was willst du denn sagen, mein Kind? forschte der Kaw-djer. Doch nicht etwa, daß dein Freund Sand darunter begraben liegt?
– Ja, brachte Dick mühsam hervor. Früher ... konnte man weiter gehen ... Dorick hatte mich gefangen ... Ich habe mich retten können ... Sand war hinter mir ... Fred Moore verfolgte uns ... Da hat Sand ... Sand ... alles zusammenstürzen lassen ... um mich zu retten ... und alles ist ... auf ihn ... gefallen!« ...
Dick schwieg und warf sich dem Kaw-djer zu Füßen.
»Oh, Gouverneur! flehte er. Sand!« ...
Der Kaw-djer, bis ins Innerste tief bewegt, versuchte das Kind zu beruhigen.
»Sei ruhig, mein Junge, sagte er gütig; sei nur ruhig ... Wir werden deinem kleinen Freund schon helfen ... Vorwärts! Ans Werk, wir anderen!« befahl er, zu Hartlepool und seinen Leuten gewendet.
Man machte sich mit fieberhafter Eile an die Arbeit. Ein Felsblock nach dem anderen wurde losgerissen und fortgeschafft. Zum Glück waren die Trümmer nicht groß, so daß diese starken Arme sie bewegen konnten.
Dick hatte sich dem Wunsche des Gouverneurs gefügt und war folgsam in die erste Grotte zurückgekehrt, wo Kennedy, von einem Mann bewacht, langsam zum Bewußtsein zurückkehrte. Hier hatte er sich auf einen Stein neben dem Eingang gesetzt und wartete bewegungslos, mit starrem Blick, daß der Gouverneur sein Versprechen erfülle.
In der Galerie wurde bei Fackelbeleuchtung inzwischen mit Feuereifer weitergearbeitet. Dick hatte die Wahrheit gesagt. Unter den Steinen lagen menschliche Körper. Kaum waren die ersten Felsstücke entfernt, als ein Fuß zum Vorschein kam. Es war kein Kinderfuß und konnte nicht Sand angehören, sondern ein Männerfuß von beträchtlicher Größe.
Man beeilte sich, so sehr man konnte. Auf den Fuß folgte das Bein, dann der Rumpf eines Mannes und bald war der ganze Körper, der mit dem Gesichte auf der Erde lag, sichtbar. Aber als man den Mann ans Licht ziehen wollte, stieß man auf Widerstand. Sein nach vorne ausgestreckter Arm war noch mit Steinen bedeckt und schien etwas festzuhalten. So war es auch, denn als die Steine entfernt waren, sah man, daß seine Hand den Knöchel eines Kinderfußes umklammerte.
Man löste seine Finger los und drehte den Mann um. Es war Fred Moore. Er war tot. Der Kopf war zu Brei zermalmt und der Brustkasten eingedrückt.
Jetzt wurde noch rastloser gearbeitet. Dieser Kinderfuß, den Fred Moore in seinen erstarrten Fingern gehalten hatte, konnte nur Sand gehören.
Der Körper wurde in derselben Ordnung sichtbar wie der frühere. Auf den Fuß folgte das Bein, aber in kürzerer Zeit als bei Fred Moore, da Sand um so viel kleiner war.
Konnte der Kaw-djer sein Versprechen halten und Dick den kleinen Freund zurückgeben? Es schien kaum möglich, wenn man, aus den Beinen des armen Kindes urteilend, den traurigen Schluß auf den übrigen Körper zog. Die Beine waren buchstäblich zermalmt, plattgedrückt und die Knochen zerbrochen, das Fleisch in Fetzen.
Wie angestrengt die Männer auch arbeiteten, sie mußten jetzt einen Augenblick innehalten und überlegen, ehe sie dem großen Steinblock zu Leibe gingen, der die Knie des armen Sand zermalmt hatte. Dieser Block stützte alles auf ihm liegende Gestein, es hieß daher vorsichtig zu Werke gehen, um einen neuen Einsturz zu verhüten.
Die Arbeit wurde dadurch wesentlich verlangsamt, aber schließlich war auch der große Block entfernt ...
Die Männer stießen einen Laut freudigster Überraschung aus. Unter ihm war ein leerer Raum und darinnen lag Sand, wie in einem Grabe, wie Fred Moore mit dem Gesichte auf der Erde; aber die Felsen hatten sich gegenseitig gestützt und seine Brust war frei geblieben. Wäre nicht der beklagenswerte Zustand seiner Beine gewesen, so hätte er das schreckliche Abenteuer, ohne Schaden zu nehmen, überstanden.
Mit der größten Vorsicht zog man ihn heraus und legte ihn bei einer Fackel nieder. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen weiß und fest zusammengepreßt, sein Gesicht totenblaß. Der Kaw-djer beugte sich über das Kind ...
Lange, lange horchte er hin. Wenn noch ein Atemzug diese Brust hob, mußte er sehr leise sein ...
»Er atmet noch,« sagte er endlich.
Zwei Männer hoben die leichte Last empor und langsam wurde der Abstieg angetreten. Ein unheimlicher Abstieg auf dieser unterirdischen Straße, deren dräuende Schatten die qualmende Fackel erst enthüllte. Der leblose Kopf schwankte hin und her und die zermalmten Beine, von denen das Blut in dicken Tropfen abfloß, waren ein entsetzlicher Anblick.
Als der traurige Zug die äußerste Höhle erreicht hatte, schreckte Dick aus seiner Bewegungslosigkeit empor und blickte auf ... und sah das blutlose Gesicht und die toten Beine ...
Seine Augen traten weit aus ihren Höhlen, alle Qualen der Todesangst standen darin geschrieben und mit einem gellenden Aufschrei stürzte er zu Boden.