Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
– – –Le vrai Amphitryon
Est celui où l'on dîne.
Molière
Gute Esser und ein verständiger Wirt sind beide so selten wie ein guter Eierkuchen. Zu einem guten Esser gehört, daß er, bevor er sich zu Tisch setzt, eine genaue Prüfung anstellt über den Zustand seines Magens, damit er den Etat seiner Fähigkeiten genau ermessen kann und die Einnahme damit in Einklang bringe! Ein guter Esser läßt bei Tisch niemals und unter keiner Bedingung auf sich warten, weil das das gute Essen unmöglich macht. Derjenige aber, der die Tafel verläßt vor dem allgemeinen Aufbruch, wird vom Wirt, wie von jedem guten Esser, als Deserteur angesehen.
Bin ich zu einem Diner geladen, so erwarte ich einen Fisch, Geflügel, Wild, ein großes Morceau de résistance und ein Ragout. Ohne diese Hauptsachen stehe ich nicht zufrieden auf: sie sind die fünf Akte des Dramas, dazu ebenso notwendig, wie die berühmten drei Einheiten der französischen Tragödie.
Ein verständiger Wirt muß vor allen Dingen ein liebenswürdiger Mensch sein; das andere findet sich, und wenn nicht, so sieht man der Liebenswürdigkeit gern und selbst vieles nach, und dann korrigiert sich der Liebenswürdige auch bald; er will gefallen, und das macht ihn aufmerksam auf gute Muster; überall, gern und schnell eignet er sich das Gute an: es wird ihm sofort zur anderen Natur.
Zu einem guten Amphitryon gehört Takt, Feinheit, Welt, Zuvorkommenheit und Ruhe. Wer Gesellschaft empfängt, muß sich oft selbst verleugnen; er muß nicht glänzen wollen; er muß für alle Gäste aufmerksam besorgt sein, ohne daß es einer gewahr wird. Er muß den Bescheidenen, Verlegenen ermuntern; sorgen daß sich jeder behaglich fühle; das Gespräch zu beleben suchen, aber es nie und unter keiner Bedingung beherrschen. Es ist unmöglich, daß das alles ein junger Mann, auch von bester Erziehung, zu leisten imstande ist, die geselligen Talente erfordern anhaltende Beobachtung, mannigfache Erfahrung. Freilich hat eine natürliche, von wahrhaftem Wohlwollen herrührende Artigkeit etwas Bezauberndes, weshalb auch affektierte Leute nie gefallen; aber damit allein ist's eben noch nicht getan – zu dieser Kunst gehört viel, sehr viel positives Wissen.
Der Amphitryon muß nicht nur ein Meister im Tranchieren sein, sondern auch genau erwägen, welchem Gaste gewisse Stücke par préférence zukommen; denn offenbar ist es wünschenswert, daß er gewisse Speisen selbst vorlegt und herumreichen läßt. Er muß auch nicht, wie der berühmte Minister Fürst Kaunitz, einige Stunden früher oder später sich zu Tische setzen, als er Gäste geladen hat. Dieser war der Erste in Deutschland, der die sogenannten Rinces-bouches einführte. Man brachte ihm, wohl verstanden ihm allein, damit zugleich einen Spiegel und Schwamm, und er wusch sich in großer Ruhe Mund und Zähne, übrigens sind die Rinces-bouches, die von England nach Frankreich gekommen sind, eine nachahmungswürdige Einrichtung, sowohl in bezug auf Reinlichkeit als Gesundheit. In Frankreich schwimmt in dem lauwarmen, oft wohlriechenden Wasser eine Zitronenscheibe.
Der Eßsaal muß durch tausend elegante Einzelheiten: durch Helle, gleichmäßige Wärme 13–16 Grad Réaumur, elegantes Tischzeug, Silber, Aufsätze, Kristall, Bronzen, ein reiches Büfett an Tausendundeine Nacht erinnern. Er muß womöglich gegen Norden liegen, muß länglich sein; sich vor allen Dingen nicht nach dem Flur zu öffnen, damit nicht Neugierige gesehen werden oder die Bedienten der Gäste, nicht bei jedem Türöffnen Kälte oder Zugluft fühlbar werden. Ein geschmackvoller Kronleuchter hänge über der Mitte des Tisches; selbst im Sommer müssen Teppiche liegen, damit die Bedienten womöglich gar nicht gehört werden. Zwischen dem Tisch und dem Büfett muß wenigstens ein Zwischenraum von fünf Fuß sein. Einige silberne Champagnerkühler auf silbernen Tellern müssen auf der Tafel stehen, damit den frappierten Champagner, der leicht und moussierend sein muß, jeder Gast nach Belieben zur Hand habe. In gleicher Entfernung stehen die Teller, auf ihnen liegen die Servietten, elegant, mannigfaltig geformt; zur Rechten Messer und Gabel; ein wenig davon, noch mehr rechts, der Löffel. Alle Gläser und Karaffen seien vom reinsten Kristall, in gleicher Form geschliffen; eine Wasser-, eine Rot- und eine Weißweinkaraffe wechseln rund um den Tisch in der Art ab, daß vor jedem Gaste eine Karaffe und fünf Gläser zu stehen kommen. Ein Wasserglas (alles Wasser in Eis frappiert), eins für Madeira, kleiner als die anderen Gläser, eins für gewöhnlichen Wein und für Bordeaux und endlich ein Champagnerglas. Rheinwein wird in Römern präsentiert, die auf dem Schenktische mit den Gläsern stehen, in denen feine und Dessertweine präsentiert werden.
Ist der Tisch geräumig, so steht ein Teil des Desserts darauf, wofür ich eigentlich nicht bin, weil ich mich lieber mit der Gesellschaft unterhalte; das meiste des Desserts gehört jedenfalls auf einen Seitentisch. Kleine Brote liegen auf den Tellern. Messer und Gabeln werden, ohne Verlangen, jedesmal mit dem Teller getauscht. Ich mußte es einmal, bei einem recht guten Diner, mit ansehen, daß sie auf dem Büfett in heißes Wasser gesteckt und mit Lappen abgetrocknet wurden; und wäre die Anstalt noch so reinlich gewesen, so gehört das Reinigen ein für allemal nicht in den Saal und vor die Augen der Gäste.
Die Suppenteller gehören nicht auf den Tisch; der Kammerdiener oder, wenn er vorhanden ist, der Haushofmeister sorgt für warme Suppenteller und gibt immer zwei Bedienten zweierlei Suppen zur Wahl der Gäste. Gewärmte Teller für die warmen Speisen sind selbst in den Hundstagen wünschenswert. In den sehr großen unterirdischen Küchen von Schloß Windsor werden die Teller auf einem ungeheueren, durch Dampf geheizten Marmorkasten gewärmt.
Dessertteller, mit kleinen Dessertservietten, auf denen die Dessertmesser, -gabeln und -löffel liegen, müssen von Vermeil sein. Obst wird auf goldenen Tellern gegeben, reich emailliert und mit halben Perlen garniert, wie man sie auf alten Uhren und Kolliers sieht. Am Hofe zu Wien (unter Kaiser Leopold) bediente man sich zum Dessert farbiger Samtservietten, die natürlich nur einmal gebraucht werden konnten.
Nichts ist unleidlicher als die bemerkbare Geschäftigkeit der Bedienten, ihr lautes Auftreten, Klappern mit Schüsseln, Gläsern, Flaschen, Messern und Gabeln, wie das Hin- und Herlaufen. Ein Bedienter, sagt ein Kenner, muß ein ätherisches Wesen sein, das sich nur von Hühnerbouillon nährt. Fettigkeit ist nur dem Haushofmeister, dem 20 Jahre im Dienst stehenden Kammerdiener nachzusehen. Höre ich die Bedienten gehen und kommen, ein Trampeln wie im Pferdestall, so weiß ich, der Wirt hat zur Ostentation allerlei Gesindel in gute Livree gesteckt; er liebt zahlreiche, nicht gute Bedienung, welche das seltene Vorrecht eines soliden Hausstandes ist. Wo diese fehlt, da weiß ich im voraus, daß ich bei jedem mir präsentierten Gericht angestoßen, zuweilen getreten, mit Suppen und Soßen bespritzt werde. Während solch ein Tanzbär mir in Angstschweiß die große Fischschüssel mit dem größeren Fisch präsentiert, fährt er mir mit dem Fischschwanz an die Schulter, indes dasselbe Schicksal mit dem Fischkopfe meinem Nachbar passiert. Zu solchen Dingen gehört noch: die sämtlichen Diener in weiß baumwollenen Handschuhen zu sehen, was alle Eßlust rauben muß; denn die Antwort auf die Frage, warum die Leute Handschuhe anziehen, kann nie befriedigend ausfallen. In Frankreich hat man in selbst guten Häusern, um nicht von ungeschickten Bedienten angestoßen und begossen zu werden, in neuerer Zeit die Einrichtung getroffen, daß die großen Schüsseln jedem Gaste seitwärts präsentiert werden. Dieser muß, was schon inkommodiert, sich wenden, um zu prüfen. Trägt nun der Gast Verlangen nach der Speise, so steht neben dem präsentierenden Bedienten ein zweiter, der, z.B. bei Gemüsen, mit Teller und Löffel bewaffnet ist und vorlegt; vorkleckst, sollte ich sagen, so widerwärtig erscheint mir diese Prozedur. Man erhält natürlich nur das, was der Willkür des Bedienten bequem ist – das wirft er hin auf den Teller. Mir vergeht dabei die Eßlust, und gestoßen zu werden, erscheint mir fast als ein kleinerer Übelstand. Ich erinnere mich dabei jenes guten Mannes, der so lange in der Nacht von Mäusen inkommodiert wurde, bis er das Mittel ersann, die ganze Nacht einen Tambour an sein Bett zu stellen, der immerfort trommeln mußte, wodurch der Gute von den Mäusen wirklich nicht mehr gestört wurde.
Ich bin der Meinung, daß der Wirt einige Speisen, namentlich den Fisch Hierin besaß Ludwig Philipp, König der Franzosen, eine unübertreffliche Fertigkeit und Grazie. Er legte auch die anderen Relevés vor. immer vorlegen muß. Ebenso wie die Frau vom Hause die Kompotte mit Soßen und die Konfitüren. – Fast alles andere kann auf dem Kredenztisch geschnitten und dann herumgegeben werden. Übrigens müssen die Gäste so weit voneinander sitzen, daß bequem zwischen ihnen präsentiert werden kann.
Spiegel und Uhren dürfen nicht im Speisesaal sein: nur nüchtern besieht man sich im Spiegel, und dem Glücklichen schlägt keine Uhr.
Große Fressen lieben keine weiten Aussichten, sagt Jean Paul, wahr, aber etwas unhöflich. Aber gute Esser sind Menschen von Geschmack, und wenn sie bei Tische allerdings nicht Blicke in weite Fernen lieben, weil sie in der Nähe angenehm beschäftigt sind und daher keine Zerstreuungen suchen oder bedürfen, so suchen sie doch möglichst elegante Harmonie der nächsten Umgebung. Der Eßsaal sollte Bilder enthalten, die an die Küche erinnern, mit ihr verwandt sind. Ich erinnere mich in Venedig im Palast Grimani eines Bildes von Udine, welches ich für meinen Eßsaal kopiert wünschte. Es ist ein Deckenstück. Nach allen Richtungen der Windrose gehen eßbare Dinge aus. Auf der einen Seite in Fischnetzen alle möglichen Leckerbissen, die das Meer liefert; auf einer andern Geflügel, Wild. Noch lieber möchte ich eine Kopie des berühmten Bacchanals von Salvator Rosa. Das Bild stellt einen dunkeln Wald vor: an einer offenen Stelle zeigen sich Gruppen von Menschen, in leichten Draperien allerlei Tollheiten treibend, um eine Statue des Bacchus. Andere Figuren, halb liegend auf der Erde, trinken aus Vasen und Bechern. Andere stehen oder liegen in den verschiedenartigsten Stellungen und Lagen halb trunken umher. Es ist eine bewundernswürdige Komposition. Aber freilich, das Gesicht des Wirtes wirkt angenehmer als Bilder! Es gehen aber leider großer Reichtum und guter Geschmack nicht immer Hand in Hand.
Wenn ein Großer in Persien ein Fest gibt, so ladet er nicht nur den Herrn, sondern sämtliche Diener ein, sowie auch alle nur möglichen Bekannten des Eingeladenen: es ist Pflicht des Wirtes, alle diese Eingeladenen auf alle Weise auf das angenehmste zu beschäftigen, was freilich bei der Unzahl der Geladenen und ihren ganz verschiedenen Ansprüchen und Berechtigungen seine Schwierigkeiten hat. So etwas mag man sich in Persien gefallen lassen. Aber ich habe auch auf englischen Routs, wegen Überfülle der Gesellschaft und beschränkten Lokals, mehr als einmal nur bis in die halbe Höhe der Treppe vordringen können, ohne Wirt und Wirtin zu sehen, ohne bis in den Salon kommen zu können; und so etwas nennt man ein ausgezeichnetes Fest.
Der Kammerdiener, der Jäger, der Jockei und die Bedienten, in zwei Reihen geordnet, stehen in Gala im Entree, still und ernst; keiner scheint beschäftigt oder sogar eilig. Bei Tische bedienen sie schnell, geräuschlos. Sie sind achtsam auf das kleinste Zeichen des Herrn, was aber den Gästen kaum bemerkbar sein darf. Der Amphitryon rügt in immer gelassenem Gleichmut keinen Fehler; alle Ordnung scheint absichtslos, damit die Gäste sich heimisch fühlen, wohl und leicht. Die Hauptprobe eines guten Bedienten beim Aufwarten bei Tische ist, wenn er den monströsesten Braten auf ungeheuerer Schüssel leicht auf einer Hand zu balancieren versteht.
Gesicht und Geruch sind die Vorposten des Gaumens; sie erleichtern, leiten, erregen, und deshalb tadeln wir die Einrichtung, nach welcher die Schüsseln, ohne auf den Tisch gebracht zu werden, bald vorgelegt werden, wodurch Gesicht und Geruch nicht vollständig zum Vorgenuß kommen. Noch schlimmer ist die Weise, gleich einen ganzen Gang Gerichte aufzutragen (was man in Frankreich servi en ambigu nennt); sie verwirrt den Geruch, macht die Unterscheidung unmöglich und wird dadurch der Gesundheit leicht nachteilig.
Der Rat, ein, höchstens zwei Gerichte auf einmal zu servieren, beruht ebensogut auf gastrosophischen Grundsätzen, als er physiologischen Grundes ist. Der Wetteifer der drei Sinne: Geschmack, Gesicht, Geruch – ist kein Luxus. Eine Substanz entzieht sich der Aufsicht des Geschmacks und Geruchs, welche das Gesicht verschmäht; eine andere, von Anblick und Geruch gleich anlockend, wird vom Gaumen zurückgewiesen; der dritten geht es so in bezug auf den Geruch, während die beiden anderen sie gutheißen. Keiner dieser drei Schiedsrichter hat vorschnell geurteilt, keinen darf man ungestraft verachten, nur ein einstimmiges Urteil entscheide.
Wenn das Auge nicht auch bei Tische mitzusprechen hätte, so würden die Köchinnen vor den Köchen den Rang behaupten; denn sie sind in vielen Dingen geschickter, pünktlicher, sorgsamer. Aber die beste Köchin wird immer, selbst gegen den mittelmäßigen Koch, im eleganten Anrichten, in allen Verzierungen der Speisen zurückstehen. Aber das Gesicht behauptet seine Rechte! Wer würde ein Butterbrot mit dem Rasiermesser geschmiert essen wollen! Ein Dutzend Austern in einem Weinglas mit der Gabel einzeln zu fischen und zu essen, halte ich fast für Unmögliches und will niemandem den mißlichen Versuch anraten.
Man erzählte mir von einem Gastmahl, welches aus lauter Pulvern in Büchsen komponiert war. Zuerst wurde jedem Gaste ein Teller mit heißem Wasser vorgesetzt. Es standen 100 Büchsen nach dem Alphabet geordnet, jede mit einer Etikette, man hatte die Auswahl aus 100 Suppen. Griff man nach S., z.B. nach einer Schildkrötensuppe, so streute man aus der bezüglichen Büchse (in Form der Pfefferbüchsen mit silbernem Sieb am Kopfende) einige Messerspitzen auf den Teller mit heißem Wasser, und nahm natürlich von jenem Extrakt mehr oder weniger, nachdem man die Suppe stark oder schwach wünschte. In der Mitte des Tisches stand eine ungeheure Schüssel, ungesalzen, sie sah aus wie Kartoffelbrei und bildete die Masse für alle möglichen Gerichte, von der Suppe bis zum Dessert und Eis. Das Hauptverdienst derselben bestand darin, daß sie, allein genossen, nach gar nichts schmeckte. Aus dieser Masse tat man einige Löffel, nachdem man die Suppe dick oder dünn wollte, auf den Teller, rührte um, und die Schildkrötensuppe war fertig. Für alle anderen Speisen standen kristallisierte Essenzen und stärkste Extrakte, Der große Condé fand einmal für ein kleines Diner zwölf Schinken angerechnet etwas stark. Sein Koch rechtfertigte sich damit, daß er den Extrakt von zwanzig, ja von hundert Schinken in eine fingerlange Phiole bringen wolle. Dagegen ließ sich nur schweigen., pulverisiert zu Soßen, in Bereitschaft, die man, nach Bedarf, mit kaltem oder heißem Wasser anfeuchtete.
Etwas Ähnliches findet man jetzt bei den Offiziersküchen der englischen Marine, wo man, aber in luftleeren Büchsen, Austern und frisches Fleisch einlegt, die sich jahrelang ziemlich frisch erhalten: ein treffliches Surrogat, was aber natürlich viel zu wünschen übrig läßt. Friedrich Wilhelm III. gab einmal in Paretz ein solches Diner von lauter Gegenständen, die die Linie passiert hatten.
Wer allein ißt, ißt weniger, als wer in Gesellschaft ißt, und kann noch weniger verdauen; und der wiederum, der im Kreise seiner Familie ißt, wird weniger essen können, weniger verdauen als bei einer außerordentlichen Gelegenheit. Ein gutes Diner von acht bis zwölf Personen, heiter und geistreich, wird von allen verständigen Essern mit Recht empfohlen. Man sagt, man sollte sich vor dem Zuviel hüten; aber das Verdienst des verständigen Menschen besteht eben darin, gesellig und Gastrosoph zu sein und überall das rechte Maß zu halten.
Das Dessert ist die Auflösung des Ganzen. Es gehört eine große Geschicklichkeit zu seiner Anordnung, weil es die vollkommenste Aufmerksamkeit des Amphitryons erfordert. Geschmack, Geruch, Gesicht wollen zugleich geschmeichelt sein; nichts darf vergessen werden, was zur Verschönerung desselben irgend beitragen kann. In Frankreich, wo man demselben eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmet, erfordert auch die Aufsetzung ein großes Geschick. Der Haushofmeister läßt es sich durch die gesamte Dienerschaft zureichen; ist diese nicht sehr genau instruiert, so gibt es das sinnloseste Durcheinander. Dies zu verhindern, muß schon bei der Placierung auf dem Büfett – die natürlich eine ganz andere als die auf der Tafel sein wird – kunstgerechte Rücksicht genommen werden. Die selten gut gelöste Aufgabe ist ein Beweis einer trefflichen Dienerschaft; es gibt keinen besseren.
Bei dem Dessert müssen Luxus, Eleganz, Grazie Hand in Hand gehen. Verschwendung ist die Parole; Überfluß das Feldgeschrei, Anarchie an der Tagesordnung, der Eßsaal wird zum Festsaal. Bei dem Dessert verliert der Wirt alle Autorität; jeder brandschatzt nach Willkür. Die Pracht des Desserts muß wetteifernd alles Vorhergehende überbieten. Pomona und Flora, Nelken und Jasmin sollen aus dem Dessertaufsatz einen artigen, möglichst niedrigen Garten bilden, damit eine freie Aussicht auf das Ganze nicht gestört werde. Der Grundriß dazu muß mit dem Kompaß in der Hand entworfen sein; er mag etwa aussehen wie der zur Arena der Flora, und die Schüsseln mögen sich wie dort die Säulenfüße placieren, oder das Ganze mag dem Grundrisse des Tempels zu Pästum gleichen. Berchoux sagt mit Verstand von dem Dessert:
Au secours du dessert appelez tous les arts,
Sur-tout celui qui brille au quartier des Lombards.
Là, vous pourrez trouver, au gré de vos caprices,
Des sucres arrangés en galants édifices;
Des châteaux de bonbons, des palais de biscuits,
Le Louvre, Bagatelle, et Versailles confits;
Les amours de Sapho, d'Abeilard, de Tibulle,
Les noces de Gamache, et les travaux d'Hercule;
Et mille objets divers, que sachent imiter
D'habiles confiseurs que je pourrais citer.
Wenn die Tafel gleich anfangs voll von Früchten und Blumen steht, so glaubt man auf den ersten Blick, bei einem Pythagoreer zu sein. Der Gastrosoph kann zwar nicht sogleich den ersten Akt des Diners prüfen, sich nicht seine ersten Opfer aufsuchen – diese Freuden sind noch ein süßes Geheimnis; aber er hat dafür den Reiz angenehmer Überraschungen, alle fünf Minuten wird sein Gaumen zu neuen Genüssen verführt, vorbereitet. Die Unwissenheit aber selbst nächster Zukunft gibt jene Unruhe, die zu freudiger Überraschung, zum heiteren Frieden führt. Niemand leidet durch Langsamkeit oder Unbehilflichkeit des Amphitryons, den oft die doppelte Einbildung irreführt, als geschickter Vorschneider und artiger Erzähler glänzen zu können. Alle Gerichte gehen doppelt herum (die beste Art, sie recht heiß zu erhalten), durch den geschickten Haushofmeister und Kammerdiener vorgeschnitten. Niemand wartet lange auf fremde Weine. Mit dem Braten muß starker, nicht moussierender Champagner bis zum Ende des Diners von einem einzig damit beschäftigten Diener fortwährend präsentiert werden. Seltene Weine werden mit ihrem Jahrgange laut annonciert, als feiner Burgunder, Rheinwein, Malvasier usw. Man wechselt ein gefälliges Zuwinken gegen ein wohlwollendes Zutrinken, dem man sofort Bescheid tut. Zwischen zwei Gängen wird etwa ein Sorbet gereicht, ein Ponche romain, und nach einer schweren Speise, z B. nach einem Fasan in Kohl, nach einem Seefisch, ein holländischer Likör, ein Glas Jamaikarum. Dieser Trunk, der in Frankreich le coup de milieu heißt, darf dort unter keiner Bedingung verschmäht werden.
Vom Dessert ist zu vermuten, daß es die Italiener schon im fünfzehnten Jahrhundert darin bis zum höchsten Luxus trieben. Wenigstens sah ich in Venedig ein Bild von Paul Veronese – also allerdings aus dem sechzehnten Jahrhundert – mit dem prachtvollsten Dessert geziert; es stellt die Hochzeit von Kana dar. Ein sehr berühmter Dessertaufsatz zierte die Hochzeitstafel Ludwigs XV. mit Maria Leszczynska (1725). Die berühmtesten Dessertaufsatz-Künstler jener Zeit waren Desfreges und Delorme; aber beide sind in späteren Zeiten verdunkelt worden durch Datfoy zur Zeit des Kaiserreichs, und von Denière in der jetzigen Zeit. Schon Datfoys Tafelaufsätze enthalten die durchdachtesten mythologischen und historischen Gruppen aller Art. Aber am meisten bewunderte man sein kleines, Ambra- und Rosenduft verbreitendes Tischfeuerwerk, welches das farbenreichste und glänzendste Licht verbreitete und dem feinsten Putze der Damen keinen Schaden zufügte.
Den kostbarsten Tafelaufsatz, den ich kenne, besitzt die Königin von England in Windsor. Er stellt den britischen Parnaß dar und ist von Amalgam: obenauf der Pegasus und Shakespeare und alle mehr oder weniger bekannten englischen Dichter, dem Gipfel nach Verdienst mehr oder weniger nahe.
Es ist sehr wünschenswert, daß der Koch ein wenig das Zeichnen versteht: Koch und Maler gehen vortrefflich Hand in Hand. Der berühmte Koch des berühmten Grafen Zinzendorf – und dieser letztere, im Vorbeigehen sei es gesagt, war ein großer Eßkünstler – war auch Maler, und der in Berlin noch in sehr gutem Andenken stehende Dallach war zugleich Vogelmaler. Der Vater von Claude Lorrain war Koch. Er sagte, sein Sohn sei in der Jugend so einfältig gewesen, daß er ihm nie habe beibringen können, auch nur einen Pastetenteig einzukneten, oder einen Ofen gehörig zu heizen. Der Sohn, dem es unter solchen Umständen nicht sehr im väterlichen Hause behagen mochte, entfloh und kam nach einiger Zeit in die Dienste eines holländischen Malers in Rom. Hier zeigte er einige kulinarische Kenntnisse, und Agostino Tasso, ein römischer Maler, nahm ihn als Koch zu sich, unter der Bedingung, daß er zugleich Farben reiben müsse. Hier entwickelte sich zuerst sein Talent.
Canova war ursprünglich Küchenjunge, und sein erstes Werk als Künstler war ein in Butter gearbeiteter Löwe, den er bei einem glänzenden Gastmahl zum Tafelaufsatz des Nobile Falieri verfertigte. Dieser Herr nahm sich Canovas an. Aus einer Art von Dankbarkeit sind Löwen, trotz des Hanges dieses Künstlers zum Weichen und Sanften, seine Lieblingswerke geblieben: – so auf dem Denkmal der Christine von Sachsen-Teschen in Wien, auf dem Denkmal Jakobs von England in Rom, und die beiden Löwen auf dem Monument Papst Clemens' VIII.; der Löwe auf dem Denkmal der in Paris in der Revolution gefallenen Schweizer in Luzern. Aber alle diese Löwen und sogar der seines berühmten Schülers Rinaldi zeigen etwas Butteriges und Weiches (nach einer mündlichen Aussage Thorwaldsens), anstatt Kraft und Stärke. Selbst Raffael bemalte in seiner Jugend sogenannte Majolikateller, die sehr gesucht und, wo man ihrer irgend habhaft werden kann, mit Gold aufgewogen werden, um als edelste Dessertteller zu dienen.
Da es beim Dessert zuweilen laut, ja wild zugeht, die Gespräche freier werden, so tut man wohl daran, die Bedienten zu entfernen. Der Wirt muß dann eine Glocke neben sich haben, um, wenn es nötig ist, sie herbeizurufen. Schon Papst Gregor der Heilige schließt daraus, daß weil Hiob dem Herrn jedesmal ein Sühnopfer nach dem Gastmahl brachte, um ihn zu versöhnen, die Tischgespräche ein wenig lockerer Natur gewesen sein müssen.
Unter den kostbaren Scherzen beim Dessert (deshalb kostbar, weil Scherze nicht wiederholt werden dürfen, sondern immer neu sein müssen) rief der verschwenderischste meiner Freunde einmal mit der Glocke, und ein sizilischer Kurier Sizilische Kuriere sind die gesuchtesten in Italien, weil sie wegen ihrer großen Mäßigkeit die meisten Strapazen zu ertragen imstande sind. Napoleon bediente sich nur solcher. und Figaro traten zur allgemeinen Heiterkeit in den Eßsaal. Der erste im grünen Kleide, mit roter Weste, beides reich mit Gold besetzt, und in Reitstiefeln, präsentierte eine Flasche Lacrymae Christi, und der zweite im Kostüm, wie wir es aus dem Theater kennen, die Mandoline Figaro ist bekanntlich seiner Profession nach Barbier, daher die Mandoline, die in keiner spanischen Barbierstube fehlen darf, damit die Wartenden sich damit die Zeit vertreiben. Aus gleichen Gründen hat sie Figaro überall bei sich. auf dem Rücken an seidener Schnur, präsentierte eine köstliche Flasche Tinto di Rota.
Die Einrichtung in einem glänzenden Gebäude des kaiserlichen Gartens von Zarskoje-Selo ist freilich noch schöner als das Fortschicken der Dienerschaft; sie ist aber natürlich kaiserlich. Dort befindet sich der berühmte Tisch des Olymp, auf welchem durch einen geistreichen Mechanismus die Speisen und alles an der Tafel Nötige aus dem Erdboden steigen. Keine Bedienten, keine unbequemen Zeugen stören die Freuden der Götter; es ist an alles gedacht, für alles gesorgt, selbst für die wunderbarsten Gelüste der raffiniertesten Gourmands. Man schreibt seine Wünsche auf, legt sie neben sich; die Erde öffnet sich, und mit Blitzesschnelle sieht jeder Gast seine Wünsche befriedigt. Man forderte eines Tages eine liebenswürdige deutsche Prinzessin auf, etwas recht Ungewöhnliches zu verlangen. Sie hatte die Bosheit, ein Dutzend schwarze Haarnadeln zu fordern. Alles erheiterte sich, als die verlangten in einem Moment zum Vorschein kamen.