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9. Kapitel. Im Aquarium

Trotzdem es auch noch am nächsten Tage regnete, erfüllte sich Herberts Wunsch, nun endlich das Aquarium besuchen zu dürfen, nicht. Seine Suse lag mit einer starken Erkältung krank im Bett. Sie fieberte. Der Arzt, den die Eltern kommen ließen, meinte, daß die Aufregung des verflossenen Tages wohl ebensoviel Schuld an dem Fieber hätte, wie die durch die Nässe hervorgerufene Erkältung.

Eine ganze Woche mußte das kleine Mädchen das Bett hüten. Oh, es war ganz gemütlich, nur ein bißchen, nicht sehr krank zu sein. Man hatte Suses Bett an die offene Terrassentür gerückt, durch welche jetzt goldener Sonnenschein hereinflutete. Mutti saß an ihrem Bett mit einer Näharbeit. Da fühlte man sich so behütet; da dachte man gar nicht mehr an die schreckliche Stunde, wo das Haus plötzlich angefangen hatte zu wackeln. Auch die Schwarzwald-Lotti leistete Suse getreulich Gesellschaft. Sie trug es ihr nicht nach, daß Suse sie beim Erdbeben ganz allein im Hause zurückgelassen hatte. Ja, daß sie sich sogar manchmal schon zu groß dünkte, um noch mit ihr zu spielen.

Herbert gab nur Gastrollen an Suses Krankenlager. Er war zu unruhig, um still bei ihr zu sitzen. Wenn er noch mit ihr eine Partie Halma oder Dame hätte spielen können. Doch das war nicht erlaubt, solange sie Fieber hatte. War die Suse denn noch nicht bald gesund, daß man zusammen ins Aquarium gehen konnte? Ohne sein Zwillingsschwesterchen dorthin zu gehen, nein, das brachte er trotz seines brennenden Wunsches nicht fertig.

Morgens und abends kam der Vater zu seinem Töchterchen. Das war für Suse die schönste Stunde des Tages.

Bubi und Mija waren aus der Kinderstube verbannt, weil sie immer wieder versuchten, das Moskitonetz, welches das Bett umbauschte, zu stürmen, und sich neben ihrer kranken kleinen Freundin in die Kissen einzukuscheln. Aber der warme Sommerwind kam durch die offene Terrassentür zu der kleinen Kranken hereinspaziert und trug ihr die süßesten Blütendüfte aus dem Garten zu. Er erzählte ihr von den bunten Blumen, die da draußen blühten, von den Vögeln, die in den Bäumen musizierten.

Pietro pflückte ihr die herrlichsten Früchte, Erdbeeren und Kirschen, zur Erquickung. Teresina kochte ihr schmackhafte Krankensüppchen, damit das Engelchen recht bald gesund würde.

Bei so guter Pflege konnte es nicht fehlen, daß Suses blasse Wangen sich wieder röteten, daß sie schon nach einer Woche in einen Liegestuhl gebettet wurde.

»Sobald unser Kind wieder gesund ist, nehme ich Urlaub, damit es sich auf Capri ganz erholen kann«, sagte der Professor zu seiner Frau.

»Aber erst müssen wir noch ins Aquarium gehen, Vater, du hast es versprochen.« Herbert ließ nicht locker.

Und wirklich, kaum sprang die Suse wieder im Garten umher, da wurde zur Feier der Genesung der Aquariumbesuch in Aussicht genommen.

Oh, war das ein erhebendes Gefühl, als man nun selbst den Aquariumeingang, an dem Herbert so oft sehnsüchtig gestanden hatte, stolz durchschritt. Mindestens um einen Kopf größer kam sich der Junge vor. Bevor er das Heiligtum betrat, nickte er seinen guten Freunden, den Lazzaroni, die bettelnd auf den Steinstufen saßen, freundlich zu. Am liebsten hätte er sie alle mit hineingenommen, hätte sie teilhaben lassen an seiner Freude. Aber den Bettlern war an der Geldmünze, die der Professor ihnen in den Hut warf, entschieden mehr gelegen.

Märchenhaftes Dämmerlicht umfing die Eintretenden. Dieses grünliche Licht kam aus den großen mit Wasser gefüllten Glasbehältern, auf deren grünen Schlingpflanzen die Sonne flimmerte und Goldfunken ausstreute. Angsthäschen Suse wurde es bei dieser gedämpften Beleuchtung noch beklommener zumute. Für alle Fälle griff sie nach der Hand ihres Zwillings.

Der aber hatte für alles andere mehr Interesse.

»Vater, wo gehen wir zuerst hin? Zu den Schlangen? Oder lieber noch zu den Krokodilen.«

»Krokodile fressen kleine Kinder, hat Teresina gesagt.« Suse hielt es für geraten, sich an Muttis Arm zu hängen.

»Erst besichtigen wir das Aquarium, Herbert«, entschied der Vater. »Da gibt es mehr als genug zu bewundern. Die Tierwelt der Südsee, die das neapolitanische Aquarium birgt, ist weltberühmt. Das Terrarium, in dem Schlangen und Krokodile gehalten werden, kommt später dran. Ihr wißt doch noch den Unterschied zwischen Aquarium und Terrarium, Kinder?«

»Na, aber! Wo ich mir doch schon selbst eins gebaut habe. Gestern erst habe ich mir mit einer herrlichen Eidechse in einer alten Konservenbüchse ein Terrarium angelegt.« Herbert schien beinahe beleidigt.

»Und du, Suschen, weißt du's auch?«

»Ja, eins ist mit Wasser und das andere bloß mit Erde und Steinen. Ein Terrarium ist noch viel graulicher als ein Aquarium. Aus dem Wasser können die Tiere wenigstens nicht raus.« Suses naturgeschichtliche Kenntnisse teilten die Tierwelt in harmlose und in grauliche Kreaturen ein.

»Du wirst deine Freude hier im Aquarium haben, mein Herzchen. Man sieht hier Meerestiere, die großen Blumen gleichen«, sagte der Professor lächelnd.

»Ja, Vater – das wandelnde Blatt! Davon hast du uns schon mal erzählt. Das wollen wir zuerst sehen – au ja!« rief Herbert lebhaft.

Professor Winter blätterte in seinem Katalog und trat mit seiner Familie an einen der Glasbehälter. Grüne Pflanzen waren darin.

»Ich sehe kein wandelndes Blatt«, ließ sich Herbert enttäuscht vernehmen. »Sie sind alle fest angewachsen und bewegen sich nicht.«

»Schaut nur mal ganz genau hin.«

»Ich hab's – ich hab's!« rief Suse lebhaft. Für alles, was mit Pflanzen zusammenhing, hatte sie einen scharfen Blick. »Sieh mal, Herbert, da oben. Das Blatt da ganz oben. Das hat ja einen Kopf und Flügel, die wie winzige Blätter aussehen, und Fühler hat es auch. Jetzt bewegt es sich. Mutti, Mutti, das Blatt hat ja eben ein Insekt gefressen.« Suse war ganz aufgeregt.

»Wundervoll!« Auch Herbert war begeistert.

»Das Blatt ist ein Tier, Suschen, das die Gestalt und Farbe der tropischen Pflanzen, auf denen es lebt, annimmt, um vor Verfolgungen sicher zu sein. Mimikry nennt man diese Nachahmung in der Naturwissenschaft. Wir werden sie noch häufiger zu sehen bekommen«, erklärte der Vater weiterschreitend.

»Mimikry – Mimikry –«, sagte Herbert vor sich hin, um sich das neue Wort einzuprägen.

Vorüber an Felsgrotten mit braun und schwarz getupften Salamandern ging es. »Jetzt kommen wir zu den Weichtieren, Mollusken genannt. Schnecken, Muscheln und Tintenfische gehören dazu. Sieh mal, die wunderbaren großen Muscheln, Suschen, in allen Farben und Formen. Das Tier stirbt, wenn es aus dem Wasser in das trockene Element kommt. Und hier sind die berühmten Tintenfische, Kinder.«

»Calamaio« – buchstabierte Herbert. »Vater, die Fische heißen ja genau so wie unser Tintenfaß in der Stunde bei Signor Salvani. Calamaio – rufen das nicht immer die Jungen aus am Hafen mit den Schüsseln auf dem Kopf?«

»Freilich, mein Sohn. Man hört allenthalben von Straßenhändlern die Tintenfische feilbieten. Sie sind ein billiges Nahrungsmittel der armen Neapolitaner«, pflichtete der Vater bei.

»Pietros Leibgericht«, bestätigte Suse. »Ich finde, sie sehen ekelhaft aus. Ich möchte sie nicht essen.«

»Schau sie dir nur erst richtig an, Suschen. Sieh nur mal, die merkwürdigen Formen und wundervollen Färbungen«, machte die Mutter das Töchterchen aufmerksam.

»Eigentlich muß ein Tintenfisch überhaupt schwarz sein«, entschied Herbert.

»Ja, wie die Tintenbuben im Struwwelpeter«, fiel Suse lachend ein.

»Nun, der Name kommt auch von einer tintenartigen Flüssigkeit, welche die Fische in ihrem Tintenbeutel bergen. Droht ihnen irgendwelche Gefahr, die sie mit ihren großen Augen sehr rasch erfassen, dann spritzen sie aus der Trichteröffnung ihres Körpers diese schwarze Tinte aus. Dadurch trüben sie das Wasser ringsum, daß ihnen der Feind kaum noch nachstellen kann.«

»Das ist ulkig. So was müßte man in der Schule auch haben, wenn der Lehrer einen gerade aufruft und man nichts kann«, überlegte Herbert.

»Ich halte es für vorteilhafter, lieber seine Aufgaben zu lernen«, lachte die Mutter.

»Der Tintenfisch hat einen Schnabel wie ein Papagei«, stellte Suse fest.

»Und was er für komische Schwämme an den Pfoten hat«, verwunderte sich Herbert. »Damit kann er seine Tinte schnell wieder abwischen, wie mit einem Schwamm.«

»Kinder, hat denn ein Fisch Schnabel und Pfoten?« neckte der Vater. »Aber der Tintenfisch hat in der Tat ein schnabelartiges Maul und Fangarme – keine Pfoten, Herbert. Was du für Schwämmchen hältst, sind Saugnäpfe, mit denen er sich an seiner Beute festsaugt.«

»Vater, wird aus der Flüssigkeit, die der Tintenfisch ausspritzt, unsere Schreibtinte gemacht?« erkundigte sich Herbert.

»Nein, mein Junge. Die wird aus einer Pflanze, aus Galläpfeln gewonnen. Aber eine bekannte Malfarbe, die braune Sepia, kommt vom Tintenfisch. Doch nun seid ihr schlau genug. Komm, Suschen, jetzt sehen wir uns was Hübsches an.« Der Vater zog sein Töchterchen auf die andere Seite.

»Ach, Blumen – au, sind die fein! Sieh mal, Mutti, die große blaue Chrysantheme. Und da die roten, die sehen wie Nelken und Rosen aus. Und die blühen auf dem Meeresgrund ohne Sonne und Licht? Das kann ich mir nicht denken.«

»Doch, Suschen – sie blühen nicht, sondern sie leben auf dem Meeresgrund. Denn diese herrlichen Blumen sind keine Pflanzen, sondern Blumentiere. Diese wunderbar zarten Blumenblätter sind Fangarme, mit denen sie ihre Beute ergreifen. Paßt auf, da ist die Purpurrose. Wir wollen sie mal beobachten, ob sie sich Nahrung fängt.«

»Ich glaube nicht, daß das Tiere sind. Das sind Blumen«, beharrte Suse. »Vater will uns nur anführen.«

Auch Herbert war derselben Ansicht. »Blumen sind langweilig. Ich sehe mir lieber die Austern und den Einsiedlerkrebs an.«

»Herbert, die Blume frißt!« schrie da Suse aufgeregt hinter ihrem Zwilling her. Wirklich – ein Aquariumsdiener hielt der Purpurrose einen Regenwurm hin, den das Tier mit den blumenähnlichen Blättern ergriff und seiner Mitte zuführte. Jetzt glaubte Suse es dem Vater, daß es Blumentiere und keine Pflanzen waren. Herbert war immer noch zweifelhaft. Was er nicht mit eigenen Augen gesehen, glaubte er nicht. Nicht mal auf die Augen seines Zwillings verließ er sich.

»Suse, komm mal schnell rüber zu den Korallenfischen. Die sind noch viel bunter als deine dummen Blumen und dabei doll lebendig!« rief er.

Herrlich – leuchtend bunt, wie gestreifter Samt waren die Korallenfische. Niemals hatten die Kinder so schöne Fische gesehen.

»Wie ein Tuschkasten!« sagte Herbert anerkennend.

»Seht mal die Suppenschildkröte, Kinder. Sie schwimmt und sieht dabei wie ein Adler aus, der fliegt«, rief die Mutter. »Das Riesentier muß eine kräftige Suppe geben.«

Und zugleich rief der Vater: »Herbert – Suschen – habt ihr denn schon die Korallen gesehen? Schaut mal, diese kunstvolle Verästelung ihrer Gehäuse. In den tropischen Meeren kommen Koralleninseln und Korallenbänke in großer Ausdehnung vor. Das sind gewaltige Riffe, die den Schiffen oft gefährlich werden.«

Man wußte nicht, wohin man zuerst blicken sollte.

»Süß ist die kleine Koralle«, meinte Suse. Sie saß wie ein zartrosa Kelch in einem Sternblütchen.

»Hier daneben gleich die Quallen, die bunten, glockenartigen, Suse. Das ist wieder was Hübsches für dich.«

»Wie bunte Lampions sehen sie aus, Vati«, sagte Suse bewundernd. Sie hatte alle Furcht verloren.

»Medusen nennt man diese schönen, bunten Quallen«, erzählte der Vater den Kindern.

»Unser Lehrer in der Waldschule hat uns mal was von einem Medusenhaupt erzählt«, fiel Herbert eifrig ein. »Wer das ansah, erstarrte zu Stein, so grausig war das – weißt du noch, Suse?«

»Ja, ich habe mich mächtig dabei gegrault. Die Medusen hier sind viel schöner.«

»Suschen, den Schleierfisch mußt du dir mal anschauen«, rief die Mutter ihrem Töchterchen zu. »Sieht er nicht aus wie eine feine Dame, wie eine Tänzerin, die ihre Spitzenröcke hin und her schwingt? Schaut nur mal, jetzt bauscht er seine Flossen wie einen Spitzenschirm. Wunderbar, was die Natur alles schafft.«

»Und wenn man denkt, daß das alles, dem menschlichen Auge meist unsichtbar, in den Tiefen des Meeres lebt! Eine Welt für sich«, meinte der Professor sinnend.

Die Kinder hatten keine Zeit für die Betrachtungen der Eltern. Die waren schon wieder ein Stück weiter.

»Mutti, hier sind Krebse; die sehen schon wie gekocht aus, ganz rot, und leben dabei noch«, trompetete Herbert.

»Junge, du bist hier nicht allein. Sprich leiser«, mahnte die Mutter.

»Das sind Edelkrebse, Kinder. Rote und auch blaue. Ja, bei uns im Norden kommen nur schwarze Krebse vor. Erst wenn man sie kocht, werden sie rot.« Auch der Vater trat an das Bassin.

»Hu, was ist denn das für ein gräßliches Biest?« rief Suse da plötzlich wieder ängstlich. »Ach Gott, jetzt hat es ein Fischchen verschluckt, das greuliche Ungeheuer.« Sie weinte beinahe vor Aufregung.

»Guck bloß mal, auf seinem Fell wachsen grüne Pflanzen«, stellte Herbert erstaunt fest.

»Das ist eine uralte Geierschildkröte«, erklärte der Vater. »Kleine Algenpflanzen haben sich auf ihrem Panzer angesiedelt – merkwürdig!«

»Hier gibt es noch etwas viel Merkwürdigeres zu sehen«, fiel seine Frau lebhaft ein. »Dort die Fischmutter, die mit der alten Schildkröte in demselben Bassin haust. Sie hat Angst für ihre Jungen. Ach, Suschen, beobachte doch bloß, wie besorgt sie sich immer zwischen ihren winzigen Kleinen und dem großen Ungeheuer, das ihre Kinder verspeisen will, drängt.«

»Mutti – Muttichen – jetzt hat die Fischmutter ja ihre Kinderchen selbst aufgefressen!« Das weichherzige Mädchen weinte vor Mitgefühl.

»Das kann ich mir nicht denken. Auch in der Tierwelt ist die Mutterliebe stark ausgeprägt.« Der Professor schüttelte den Kopf.

»In der Tat, Paul, ich habe es auch gesehen. Jetzt schwimmt sie in die andere Ecke und – – –«

»Und spuckt die kleinen Fischchen dort wieder aus«, unterbrach Herbert die Mutter lebhaft. »Und sie sind ganz lebendig – nein, ist das drollig!«

»Das ist mehr als drollig, mein Junge. Das ist sorgende Mutterliebe, die sich auch bei der Fischmutter offenbart. Sie muß zu den sogenannten Maulbrütern gehören, die ihre Jungen einschlucken, wenn Gefahr droht, und sie dann an sicherer Stelle wieder ausspeien«, erzählte der Vater den mit großen Augen Lauschenden.

»Vatichen, liebes Vatichen,« schmeichelte Suse, »gib doch dem Diener Geld und sage ihm, er soll die Fischmutter und die niedlichen kleinen Fischkinderchen aus dem Bassin rausnehmen. Damit die Schildkröte, das alte Scheusal, sie nicht doch noch erwischt und auffrißt.«

»Das kann ich nicht, mein Herzchen. Die Natur hat die Fische zur Nahrung der Schildkröte bestimmt. Überall in der Tierwelt kannst du das beobachten, daß der Stärkere und Größere den Kleineren und Schwächeren vernichtet.«

»Dann kann ich überhaupt keine Tiere mehr leiden, wenn sie so gemein sind.« Suse konnte sich gar nicht beruhigen.

»Vater, kommen die Schildpattkämme von der alten Schildkröte?« fragte Herbert.

»Von dieser nicht, mein Sohn. Das ist eine andere Art, die Caret-Schildkröte, die hier besonders viel vorkommt. Daher ist Schildpatt hier in Neapel billig und ein bedeutender Handelsartikel.«

Der Professor besuchte jetzt mit seiner Familie die Terrariumabteilung, wo die Tiere auf dem Trockenen leben. Da wurde Suse von ihrem Schmerz um die armen, kleinen Fische abgelenkt.

Auch dort gab es eine Riesenschildkröte, die Elefantenschildkröte.

»Bloß der lange Rüssel fehlt«, stellte Herbert fest. »Was frißt sie denn da? Weißkohl? Ach, wie gut, daß ich keine Schildkröte bin.« Weißkohl war nicht nach dem Geschmack des jungen Herrn.

»Jetzt zeige ich euch etwas ganz Seltenes, ein Chamäleon.« Der Vater wies auf ein Terrarium.

»Das ist doch kein Kamel!« Suse schüttelte den Kopf.

»Das Kamel bist du, Suse!« sagte der Bruder unhöflich. »Chamäleon, das ist doch ein ganz anderes Viech. Das kleine grüne da auf dem Ast. Es sieht beinahe selber wie ein Blatt aus.«

»Dann ist es ein Kikeriki«, rief Suse, um zu zeigen, daß sie doch nicht so dumm sei, wie ihr Zwilling annahm.

»Kikeriki?« Die Eltern sahen sich verwundert an. »Was hat denn das Chamäleon mit einem Hahn zu tun?«

»Ich weiß – haach, ich weiß!« Herbert sprang plötzlich wie besessen auf dem schwarz-weißen Marmorboden herum, ohne auf die andern Besucher des Aquariums Rücksicht zu nehmen. »Mimikry meint die Suse, du hast uns doch das erklärt, Vati, wenn ein Tier das Aussehen seiner Umgebung annimmt, – und da sagt sie Kikeriki! Herrgott, ist die grützdämlich!«

Auch die Eltern stimmten in sein Lachen ein. Sie konnten sich nicht helfen. Und alle Umstehenden lachten, während dem armen Suschen das Weinen näher war als das Lachen. Ja, selbst das Chamäleon schien die dumme Suse auszulachen. Es streckte seine lange, schmale Zunge aus dem Maul heraus. Da hatte es eine Fliege, die auf einem gegenüberliegenden Blatt gemächlich herumspazierte, erwischt und in sein Inneres befördert. Nein, das Chamäleon lachte Suse nicht aus, das hatte Wichtigeres zu tun.

»Lach' doch mit, Suschen. Das ist das Schlaueste, was du tun kannst.« Die Mutter, immer noch mit dem Lachen kämpfend, streichelte tröstend den braunen Kopf des beschämten Töchterchens. »Mimikry ist ein schweres Wort. Das kann man schon mal verwechseln. Herbert, höre auf zu lachen. Du siehst doch, daß Suse sich darüber ärgert.«

Ganz verdutzt sah Herbert sein Zwillingsschwesterchen an. Nein, ärgern hatte er sie wirklich nicht wollen.

»Das Chamäleon ist ein merkwürdiges Tier«, nahm jetzt der Vater wieder das Wort. »Augenblicklich ist es grün. Aber es wechselt seine Farbe nach seiner Gemütsverfassung. Wenn es erregt ist, hat es eine ganz andere Farbe.«

»Ulkig«, sagte Herbert. »Suse, wenn du das Chamäleon wärst, würdest du dich jetzt dunkelrot vor Ärger färben.«

»Oder vor Beschämung«, sagte die Mutter mahnend. Und da geschah es, daß nicht die Suse ihre Farbe änderte, sondern der Herbert selbst wurde rot, weil er sich schämte.

»Zu den Schlangen, Vater, jetzt müssen wir unbedingt zu den Schlangen!« sagte er rasch, um seine Beschämung nicht merken zu lassen.

Himmel, was gab es für viele Schlangen auf der Erde – kleine und große, niedliche und grausige. Da gab es Ringelnattern, Blindschleichen, Ottern und Vipern.

Suse hielt Mutters Hand gefaßt. Es war ihr ungemütlich in der Nähe dieser giftigen Tiere, wenn sie auch hinter Glas saßen.

Herbert war Feuer und Flamme. »Vater, wieso heißt die große Schlange Klapperschlange? Sie hat ein wunderbares Fell.«

»Schlangenhaut nennt man das, mein Junge. Die Klapperschlange hat am Schwanzende eine Rassel, aus Hornringen bestehend. Mit der klappert sie, wenn sie gereizt ist. Daher der Name.«

»Ich möchte sie mal reizen«, sagte Herbert und begann, der Schlange die Zunge herauszubläken und ihr eine lange Nase zu machen. Aber als sie davon durchaus keine Notiz nahm, fing Herbert an, gegen den Glasbehälter zu trommeln.

»Du, das ist nicht erlaubt, Herbert. Gleich wird der Aufseher kommen«, warnte der Vater.

»Beißt sie auch mit dem Klapperschwanz?«

»Aber Junge, jetzt kann die Suse dich auslachen. Hast du denn noch nie etwas von den Giftzähnen der Schlangen gehört? Die sogenannten Schlangenbeschwörer lassen vor der Beschwörung die Schlangen in ein Tuch oder etwas Ähnliches beißen, daß sich die Giftzähne entleeren. Dann sind die Tiere auf eine Weile ungefährlich. Und das Experiment, das so gefährlich aussieht, ist ganz harmlos.«

»Wenn ich mal einer Schlange begegne, lasse ich sie immer gleich in mein Taschentuch beißen«, nahm sich Herbert vor.

»Dann sorge nur erst dafür, daß du immer ein sauberes Taschentuch bei dir hast, mein Sohn«, meinte die Mutter lächelnd.

»Nun kommen zum Schluß noch die großen Krokodile«, verkündete der Vater.

Puh, war das eine Luft in der treibhausartigen Abteilung, in der die Krokodile gehalten wurden. Eine richtige Tropenluft. Merkwürdige Pflanzen und Bäume wuchsen dort. Unten aber auf dem Erdboden wälzten sich faul und dumm die riesenhaften Tiere.

Bis zu einer kleinen Brücke konnte man gehen, von der man die Tiere noch besser beobachten konnte. Herzklopfend trat Suse an der Hand der Mutter näher. Da tat eins der Krokodile seinen gewaltigen Rachen auf, und – laut schreiend war Suse auf und davon.

»Es frißt mich – es frißt Kinder!« weinte sie. Sie war nicht mehr dazu zu bewegen, das Reich der Krokodile zu betreten.

Herbert war nicht aus dem Aquarium herauszukriegen. Und als man endlich wieder statt des Dämmerlichtes blauen Himmel über sich sah, sagte er: »Wenn ich groß bin, werde ich bestimmt Aquariumsdiener!«


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