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6. Kapitel Ein Sonntagsausflug

Die ganze Woche über freuten sich die Zwillinge auf den Sonntag, wo der Vater zu Hause war und Zeit für seine Familie hatte. Sie holten ihn öfters mit der Mutter nachmittags von der Sternwarte ab. Hoch oben auf dem Capo di monte, einer der schönsten Anhöhen Neapels, lag das Observatorium neben einem Schloß mit herrlichem Park. Dort gab es unter der großen, immergrünen Eiche, die auch im Winter ihre Blätter nicht verlor, eine Bank mit bezaubernder Aussicht auf das weiße Häusergewirr Neapels, über die blühenden Ortschaften, die sich um den Vesuv scharten, über das weite, tiefblaue Meer. Hier war der Lieblingsplatz von Frau Professor Winter. Sie vermochte es nicht, hier eine Handarbeit oder ein Buch vorzunehmen. Immer wieder mußte sie voll Andacht schauen. Wie ein Gottesdienst war ihr dieses Sichversenken in die Schönheit der wunderbaren Natur des Südens.

Die Kinder spielten, unbekümmert um das paradiesische Schauspiel, das sich zu ihren Füßen ausbreitete, das beliebte Spiel »Himmelhops«. Sie peitschten den Kreisel unter Zitronenhainen und Palmen, als seien es Linden und Buchen der nordischen Heimat. Ja, oft dachten sie gar nicht daran, daß sie jetzt im fernen Italien oberhalb von Neapel spielten. Es war ihnen, als seien sie noch im Treptower Park und erwarteten dort den Vater aus der Sternwarte. Wenn er dann endlich in der Via S. Antonio auftauchte, dann gab es ein Wettrennen, wer zuerst bei ihm wäre. Meistens war Bubi der Sieger. Denn er hatte ja vier Beine; da mußte er doch auch schneller laufen.

Dann bestürmten die Zwillinge den Vater, mit ihnen in den schönen Schloßpark, in das » Bosco« zu gehen, das man nur mit Erlaubnis betreten durfte. Aber der Vater mußte die Kinder auf später vertrösten. Der Park war jetzt für Besucher nicht zugänglich, da die Fasane, die man dort hielt, nicht beim Ausbrüten ihrer Eier gestört werden durften.

»Morgen ist Sonntag«, sagte der Vater, als man im blütenschweren Abendduft in der offenen, zum Garten hinausführenden Halle saß und die Abkühlung nach heißem Tage genoß. »Da wollen wir einen Ausflug machen. Wohin möchtest du fahren, Fränzchen?«

Noch ehe die Mutter antworten konnte, rief Herbert bereits: »Auf den Vesuv, Vater – ja, auf den Vesuv!«

»Nein, nein – dann bleibe ich zu Hause bei Pietro und Teresina!« erhob Suse schreiend Einspruch. Sie hatte sich an den täglichen Anblick des Vesuvs ja allmählich gewöhnt. Aber des Abends im Dunkeln, wenn die Lichter der Vesuvbahn wie eine Feuerschlange den schwarzen Berg hinaufkrochen, wenn gar noch Flammenrauch aus dem Innern des Vulkans zum Sternenhimmel emporschlug, hatte das Kind immer noch eine furchtbare Angst vor dem feuerspeienden Berg.

»Sei ruhig, Suschen, wir fahren morgen nicht nach dem Vesuv. Am Sonntag ist es zu voll dort. Ich mache mich mal in der Woche frei und melde mich dann vorher bei dem Direktor des Observatoriums an. Dann lernt ihr die Kinder gleich kennen«, sagte der Vater.

»Ja, dann kann ich im Hause bei den Vesuvkindern bleiben. Aber wenn der olle Berg nun bis ins Haus Feuer spuckt?« erkundigte sich Suse, immer noch nicht beruhigt.

»Das hat ja noch lange Zeit, Suse. Jetzt wollen wir mal erst Wichtigeres überlegen, wohin wir morgen den Ausflug machen«, beharrte der Bruder. »Was meinst du zum Aquarium, Vater?« Der Junge brannte darauf, es zu besichtigen.

»Das ist auch graulig!« warf Suse ein.

»Das Aquarium lassen wir uns für einen Regentag«, sagte da der Vater zum Glück. »Ich habe euch gar nicht um eure Meinung gefragt, Krabben, sondern die Mutti. Was meinst du, Fränzchen?«

»Ich würde sehr gern die ausgegrabene Trümmerstadt Pompeji sehen – – –«

»Die der Vesuv entzweigemacht hat? Nee, nee, da komme ich nicht mit«, rief Suse schon wieder furchtsam.

»Bevor wir Pompeji besichtigen, möchte ich mit euch ins Nationalmuseum gehen, wo alle Ausgrabungen ausgestellt sind. Man bekommt dadurch einen besseren Überblick«, erklärte der Vater.

»Wie ist's mit Castellamare und Sorrent, Paul? Der Lage nach muß es bezaubernd sein«, schlug die Mutter aufs neue vor.

»Dort bleiben wir einige Tage, bevor wir nach Capri fahren. Ein Sonntagsausflug ist zu kurz für soviel Schönheit. Ich wollte euch vorschlagen, daß wir nach der andern Seite des Golfs unsere Schritte lenken. Nach Pozzuoli und dem Kap Misenum, wo der Fremdenstrom weniger hinflutet. In Pozzuoli habt ihr Gelegenheit, einen Vulkan, die Solfatara, zu besichtigen – vielleicht noch interessanter als der Vesuv, da man dort ganz dicht bis zum Krater herankommt.«

»Au ja – famos!«

»Nein – nein, Vatichen, ich will nicht an den ollen Krater ran!« Beide Zwillinge riefen ihre entgegengesetzten Wünsche laut durcheinander.

Die Eltern lachten. »Früher wart ihr in allem ganz gleich«, sagte der Vater. »Aber je älter ihr werdet, desto verschiedener werdet ihr innerlich. Man sollte gar nicht denken, daß ihr Zwillinge seid.«

»Na, wenn der Herbert auf lauter Feuerberge klettern will – – –.« Im Grunde tat es jedem der Zwillinge leid, daß sie innerlich sich nicht mehr gleich waren. Denn sie liebten sich innig, wenn es auch mal vorkam, daß sie sich kabbelten.

»Wenn du vernünftig bist, Suschen, und dich an den Solfatara-Krater heranwagst, wirst du selbst erkennen, wie dumm es ist, Angst davor zu haben. Und zur Belohnung kommt nach dem Feuer das Wasser. Wir lassen uns nach dem Kap Misenum rudern und baden dort im Meer. Nehmt Badezeug mit. Das Wasser ist sicher schon ganz warm in der Sonne.«

»Au ja!« rief jetzt auch Suse begeistert. Denn vor Wasser hatte sie weniger Furcht als vor Feuer.

Ein strahlendblauer Sonntag zog über Neapel auf, jubelnd von Professors Zwillingen begrüßt.

»Vater, nicht wahr, Bubi darf doch mit, der will doch auch seine neue Heimat kennenlernen. Und wenn wir ihn bei Pietro lassen, heult er den ganzen Tag vor Sehnsucht. So'n armer Köter muß doch auch wissen, daß Sonntag ist«, trat Herbert für seinen vierfüßigen Freund ein.

»Und Mija? Meine Mija macht auch gern einen Sonntagsausflug«, kam Suse sofort hinterdrein.

»Nein, Kinder«, wehrte der Vater lachend ab. »Wir können doch nicht mit einer ganzen Menagerie von Tieren ausziehen. Bubi kann meinetwegen mit. Aber die Katze bleibt zu Hause bei Teresina.«

»Wieso ist denn Mija schlechter als Bubi?« beschwerte sich Suse weinerlich.

»Na, Mija ist doch Italienerin, und Bubi ist Deutscher. Da muß er doch das fremde Land kennenlernen«, erklärte Herbert seiner Schwester. Das sah Suse ein.

»Aber denn wenigstens meine Schwarzwald-Lotti, die ist doch kein Tier«, bat Suse aufs neue.

Das wurde gestattet.

Es war schwer zu sagen, wessen Augen am meisten strahlten von den vieren, als man nun in der Bahn nach Pozzuoli saß. Die der Zwillinge, die feuchten, braunen Hundeaugen Bubis oder die blauen Glasaugen der Puppe. Immer an der Meeresküste entlang ging es mit herrlichen Ausblicken. Nur ab und zu schmiegte sich die Puppe furchtsam an Suse, und die Puppenmutter wiederum an die eigene. Das war, wenn der helle, strahlende Tag draußen mit finsterer Tunnelnacht wechselte. Ein Tunnel ist dunkel – weder der Puppe noch der Suse war es dabei geheuer. Bubi benahm sich tadellos. Er bewahrte männliche Würde und miefte kaum hörbar bei dem Eisenbahngeratter.

Pozzuoli war ein kleines italienisches Nest. Die Sonne brütete in den Straßen. Kutscher und Eseltreiber umdrängten die Fremden am Bahnhof.

» Vettura – vettura per Solfatara – Wagen zur Solfatara« – » ciuco – ciuco per Signore – Esel – Esel für die Damen«, so schrien sie durcheinander. Kutscher und Treiber verfolgten die Professorenfamilie.

Herbert betrachtete die kleinen Maulesel mit größtem Interesse. »Vater, dürfen wir nicht mal auf einem Esel reiten?« fragte er bittend.

Der Eselführer verstand kein Deutsch. Aber mit dem verständnisvollen Spürsinn, der den Italiener auszeichnet, begriff er im Augenblick am Tonfall des Jungen, daß er gern reiten wollte. Ehe Herbert es sich versah, saß er auch schon auf einem Grauchen. Der Besitzer hatte gar nicht erst die väterliche Zustimmung abgewartet, sondern den Knaben gleich hinaufgehoben.

Auch Suse und ihre Schwarzwald-Lotti thronten plötzlich zu ihrer größten Verwunderung auf solchem grauen Vierfüßler – durchaus nicht zur Begeisterung der beiden. Ich weiß nicht, wer von den zweien angstvoller dreinblickte, die Suse oder die Puppe.

Der Vater, der annahm, den Kindern eine Freude damit zu machen, ließ es geschehen, daß sie zur Solfatara ritten.

Suse hätte am liebsten geschrien: »Ich will runter – ich will wieder runter!« Aber sie schämte sich. So klammerte sie sich angstvoll an eins der langen Eselsohren, was dem Besitzer derselben sicher nicht angenehm war.

Der Eseltreiber schnalzte mit der Zunge. Die Tiere setzten sich in Bewegung. Zuerst hübsch langsam, wie sich das für einen bejahrten Esel, der tagein, tagaus Lasten schleppen muß, gehört. Aber als man an den Marktplatz kam, wollte der Herr des Esels Ehre mit seinem Grauchen einlegen. Er schnalzte mit der Zunge – haste nicht gesehen, setzten sich beide Esel in Trab.

»Nicht doch – nicht doch so schnell, du alter Esel«, schrie die Suse, in Todesangst beide Arme um den Hals des Esels klammernd. Auch die Schwarzwald-Lotti umarmte den Esel mit ihren Zelluloidarmen.

Es mußte wohl ein drolliger Anblick sein, das schreiende kleine Mädchen mit der Puppe auf dem galoppierenden Maulesel. Die Bewohner von Pozzuoli, die vor den Türen Sonntagsruhe hielten, lachten, daß die weißen Zähne in den dunklen Gesichtern nur so blitzten. Die Kinder aber, all die braunen Kleinen, klatschten in die Hände, und die Jungen johlten: » Avanti ciuco – avanti! Vorwärts, Esel, vorwärts!« Und die kleinen Mädchen riefen begeistert: » Una bambola – oh, la bella bambola – eine Puppe – oh, die schöne Puppe!« Alle die kleinen, braunen Barfüßchen gaben dem schreienden Kinde das Geleite. Es war plötzlich ein lauter Aufruhr in dem sonntagsstillen Städtchen. Voran als Vorreiter Bubi.

Auch die langsam folgenden Eltern mußten über das komische Schauspiel lachen. Herbert aber, der wie ein Ritter ohne Furcht und Tadel auf seinem grauen Reittier saß, rief beschämt: »Blök' doch nicht, Suse, du bist ein größerer Esel als dein Maulesel!«

Na, das war ja wieder nicht hübsch von ihm. Aber er schämte sich seines schreienden Zwillings.

Suses Esel dachte: Der Klügere gibt nach, und da die kleine Reiterin nicht mit Schreien innehielt, verlangsamte er allmählich seine Gangart. Es kann aber auch sein, daß die ansteigende Straße ihn dazu zwang, denn er war schon etwas kurzatmig. Schließlich, als der Weg steil und sonnig zur Solfatara zwischen heißen Weinbergen emporführte, blieb er ganz stehen, um sich ein bißchen zu verschnaufen. Er war durch kein Zungenschnalzen zum Weitergehen zu bewegen.

Der Treiber schwang seine Peitsche und ließ sie auf die Flanken des Tieres niedersausen. » Avanti – subito!« rief er ärgerlich.

Der Esel machte einen Satz. Suse schrie erschreckt auf. Diesmal nicht nur aus Angst, sondern hauptsächlich aus Mitleid mit dem armen Tier.

»Ich will runter – der Mann soll das arme Eselchen nicht schlagen!« Suses Tränen rannen in das graue Eselsfell.

Inzwischen waren die Eltern herangekommen. Der Vater nahm die heulende Suse nebst ihrer die Glasaugen erschreckt aufreißenden Puppe vom Esel herunter.

Kleine italienische Schwarzköpfchen umdrängten sie neugierig. Einige wagten sogar mit schmierigen Händchen die schöne » bambola« zu streicheln. Suse schämte sich nun doch ihrer Tränen. Sie trocknete sie rasch. Dann schmiegte sie die Hand in die des Vaters.

»Vati – Vatichen – sage doch dem Mann, daß er dem armen Esel nichts mehr tut. Der war sicher so nett und ist bloß stehengeblieben, weil ich geweint habe«, bat sie. Der Vater sprach mit dem Mann und gab ihm Geld. Aber jetzt wollte Herbert nicht von seinem Reittier herunter. Er wollte durchaus bis an den Krater heranreiten. Das war nicht gestattet. Auch Herbert mußte sich von seinem Esel trennen.

Das Gute an dem Eselsritt war, daß Suse durch die eine Angst die andere vor dem Krater ziemlich verloren hatte. Sie war glücklich, wieder auf ihren eigenen beiden Füßen einherzugehen und sich an Vaters Hand festhalten zu können. Schlimmer als ein galoppierender Esel konnte auch ein feuerspeiender Berg nicht sein.

»Die Solfatara ist ein bereits halb erloschener Vulkan«, erklärte der Vater den Kindern. »Ihr wißt doch noch, was ein Vulkan ist.«

»Natürlich, ein feuerspeiender Berg.« Das wußte sogar die Suse.

»Und was versteht man unter Krater, Herbert?«

»Die Öffnung des Vulkans, wo der Rauch und das Feuer herauskommt.«

»Richtig. Hier die Solfatara hat viele kleine Krater. Man nennt sie in italienisch ›Fumaroli‹, das heißt ›Rauchstellen‹. Hört ihr, wie hohl die Erde klingt?« Der Professor klopfte mit seinem Stock auf den weißen Erdboden. »Das ist ein Zeichen für Vulkanboden.« Die Führer, die ihn umdrängten, mit einer Handbewegung zurückscheuchend, betrat der Professor, Suse an der Hand, die Solfatara.

Von kahlen, weißen Hügeln umschlossen, lag die länglich runde Fläche im weißen Mittagslicht vor ihnen. Sie sah eigentlich ganz harmlos aus – wenigstens vorläufig.

»Vatichen, wachsen hier gar keine Blumen und Bäume?« fragte Suse, der das sofort auffiel.

»Nein, Kind, nicht mal Gras gedeiht hier. Vögel, Schmetterlinge und Insekten meiden diese Vulkanstellen. Sie sterben durch den Schwefeldunst.«

»Ich rieche es schon – es riecht doll nach Schwefel«, rief Herbert. »Vater, die Erde ist ja ganz heiß. Faß bloß mal an, Suse.«

Aber Suse wollte nicht den Erdboden fühlen, sie wollte sich nicht die Hand verbrennen. Noch einer schien den Vulkanboden zu wittern und war nicht zum Weitergehen zu bewegen. Das war Bubi. Er heulte in langgezogenen Tönen und kroch, trotzdem noch gar nichts Gefährliches zu sehen war, sich wie eine schwarze Kugel zusammenrollend, angstvoll zurück; er mußte am Eingang bei den Führern abgegeben werden.

»Bubi ist feige!« sagte Suse und kam sich sehr mutig vor.

Auf einem Rundweg ging es in den öden, weißen Bergkessel hinein. Allenthalben strömte aus Erdritzen heißer, schwefelhaltiger Dampf; als niedliche, kleine Wolken schwebte er über dem Boden.

»Na, wenn ein feuerspeiender Berg nicht doller ist, dann habe ich gar keine Angst mehr«, frohlockte Suse.

»Warte es ab«, meinte ihr Zwilling, der, obgleich er nicht älter war, doch entschieden mehr Lebenserfahrung besitzen mußte.

An einem tiefen Brunnen, auf dessen Grunde heißes Wasser stand, ging's vorüber. Nun mußten sie einen ganzen Schwarm von kleinen rauchenden Fumarolen umgehen. Suse begann zu husten, denn der Schwefeldunst reizte die Kehle. Sie hielt Vaters Hand fester. Auch die Puppe schmiegte sich fester in ihren Arm.

»Diese weiße Kieselmasse, die den Erdboden bedeckt, wird zu Stuck für Bauten verwendet«, machte der Professor Frau und Kinder aufmerksam. »Jetzt kommen wir an die große Bocca, an die Hauptfumarole.«

»Bocca heißt doch Mund, das haben wir in der letzten Stunde bei Doktor Salvani gelernt«, wunderte sich Herbert.

»Ja, es bedeutet auch Mund oder Schlund des Vulkans.«

Je näher sie dem Schlunde kamen, desto dichter wurde der Rauch, desto beißender der Schwefeldunst.

Aus einem kleinen Bretterverschlag trat ein Mann. Suse nahm an, daß er der Wächter des Vulkans war. Denn er schob den fürwitzigen Herbert ein Stück zurück und sagte dazu etwas Unverständliches auf italienisch.

»Nicht zu dicht heran«, warnte der Vater.

Aber da schrie Suse schon auf, denn aus dem Schlund dampfte und brodelte plötzlich schwarzer, gelber und rötlicher Rauch, wie aus einem kochenden Hexenkessel. Der Schwefeldunst legte sich einem so beklemmend auf die Brust, daß man kaum noch atmen konnte.

Ach, hätte sie sich doch lieber mit Bubi zusammen am Eingang abgeben lassen! »Wir wollen zurück, ja, Vatichen, wir wollen wieder zurück«, bettelte sie. »Hier ist es gräßlich!«

Die Mutter hatte den Arm um das Töchterchen gelegt und zog es zu einer etwas vor Schwefelrauch geschützteren Stelle.

»Mutti – Muttichen – der Vater und Herbert sollen nicht so dicht herangehen. Paß mal auf, wir sterben alle von dem ollen Schwefeldunst, wie die Vögel und Schmetterlinge.« Suse beweinte jetzt schon ihren Tod. Die Schwarzwald-Lotti verbarg ihren Zelluloidkopf an Suses Schulter. Sie wollte nichts sehen und nichts hören.

Der Wächter sprach beruhigend auf das weinende Kind ein. Trotz der italienischen Stunden verstand Suse nichts davon. Er reichte ihr einen schönen, roten Stein zum Trost.

»Vater, wo ist denn das Feuer? Man sieht doch bloß den ollen Dampf.« Herbert hatte noch immer nicht genug davon.

»Das Feuer ist innen im Berg, die glühende Lavamasse. Am Vesuv sieht man auch richtige Flammen herausschlagen, aber dort kommt man nicht so dicht an den Krater heran.« Der Vater mußte nun selbst durch den Schwefeldunst husten. Frau Professor war inzwischen mit der weinenden Suse ein Stück zurückgegangen. Es war ihr selbst nicht ganz geheuer an diesem tobenden Höllenschlund. Vor allem bangte sie um ihren Jungen, der leicht unvernünftig und nur allzu keck war. Aber da kamen sie schon, Vater und Sohn. Herbert, beladen mit allerlei Lavagestein, rote, gelbe Schwefelsteine und schwarze.

Suse fiel ihrem Zwilling um den Hals. »Gottlob, daß du noch lebendig bist!«

»Quatsch!« sagte der. »Es war mächtig interessant, aber auf dem Vesuv ist's sicher noch viel feiner!«

Bubi schien sich auch recht um seinen kleinen Herrn gesorgt zu haben. Er umsprang ihn freudestrahlend, versuchte ihm sogar die Hand zu lecken.

Der Eseltreiber hatte draußen mit seinen Mauleseln gewartet. Aber keine zehn Pferde brachten Suse wieder auf solch ein Grauchen. Auch Herbert mußte sich dazu bequemen, zu Fuß zu gehen.

Was bleibt noch von dem Sonntagsausflug zu erzählen? Nach dem Feuer kam das Wasser, wie der Vater es versprochen hatte. Wie Silber glänzte das Meer in der Sonne, als Professors eine der Fischerbarken bestiegen.

An Orangenhainen, an Olivenwäldern und Rebhügeln vorüber glitt das kleine Schiffchen dahin. Malerische, schmutzige Fischerdörfer, verfallene Schlösser tauchten am Ufer auf. Dazwischen seltsame Säulenüberreste von heidnischen Göttertempeln aus der römischen Kaiserzeit, da das kleine, unsaubere Dorf Baia der berühmteste und glänzendste Badeort der reichen Römer gewesen war. Das alles erzählte der Professor den aufhorchenden Kindern.

Und dann lagen sie beim Kap Misenum am Strande in dem heißen, weißen Sande. Sie badeten in dem blauen Meer, das so weich und lind die Glieder umfing wie ein blauer Seidenmantel. Suse hatte gar keine Angst vor den Wellen. Ausgelassen spritzten sich die Zwillinge. Nur Bubi war wieder feige und wasserscheu.

Dann aß man zu Mittag gebackene Tintenfische, die so ulkige Formen hatten, und ekelte sich nur ganz wenig davor. Und abends gab es auf dem Mittelländischen Meer große Illumination. Rosenrot wurden die blauen Wogen von der untergehenden Sonne. Dann erglühten sie in Purpur wie Blut. Lichtgrün mit orangefarbenen und tiefvioletten Streifen spiegelte sich der Himmel. Und im Westen tauchte der Sonnenball wie ein riesengroßer, roter Luftballon in das Meer.

Herbert faßte den italienischen Sonntagsausflug in einer begeisterten Kritik zusammen: »Es war noch viel famoser als das Freibad Wannsee!«


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