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5. Kapitel. Italienische Stunde

Professors Zwillinge sollten erst die italienische Sprache erlernen, bevor sie in einer Schule angemeldet wurden. Da das italienische Schuljahr bereits im Juni mit dem großen Jahresexamen abschloß und zu Oktober erst wieder begann, so hatten die Zwillinge ein halbes Jahr Zeit dazu, in die ihnen fremde Sprache einzudringen. Ihre deutschen Schulkenntnisse aber durften sie inzwischen nicht vergessen, sondern sie mußten im Gegenteil das Pensum, das man zu Oktober bei einer Aufnahmeprüfung von ihnen verlangte, beherrschen. Darum sollten sie täglich nachmittags Unterricht von einem Lehrer des Gymnasiums erhalten, in das Herbert zu Oktober kommen sollte. Suse mußte dann einem Mädchenlyzeum überwiesen werden.

Während der ersten Woche lernten die beiden Italienisch bei Pietro und Teresina, welche die reizenden Kinder von Tag zu Tag mehr in ihr Herz schlossen. Besonders mit Pietro freundete sich Suse an, weil er die Blumen im Garten pflegte. Das gewann ihm gleich ihr Herz. Das erste italienische Wort, das Suse von Pietro erlernte, war fiori – Blumen.

Niemals hatte Suse so schöne Blumen gesehen wie hier. Die Granatblüten sickerten wie große Blutstropfen aus dunkelgrünem Blattwerk. Die Orangenblüten, wie lichte Schneeflocken, strömten betäubend süßen Duft aus. Blühende Oleanderbüsche, zartfarbige Tulpenbäume, rosenrote Mandel- und Pfirsichbäume, eine endlose Blütenpracht. Hortensienbüsche, so groß, so üppig und farbenprächtig, wie man sie sich im Norden gar nicht vorstellen kann. Auch Myrten blühten im Freien; fremdartige, leuchtende Orchideen, die wie Schmetterlinge aussahen – wohin man schaute, jeder Mauerwinkel ein Blütenmeer, ein süßes Wettduften aus Hunderten von Blumenkelchen. Denn in Italien ist der April der Wonnemonat, der Monat der Blüte.

Den größten Teil des Tages bis auf die heißen Mittagsstunden verbrachte Suse im Garten bei ihrem Freunde Pietro. Sie half ihm beim Gießen, beim Unkrautausjäten, beim Anbinden und Ausschneiden der Ranken. Täglich füllte sie die Vasen mit frischen Blumen. Die Mutter hatte ihre Freude an dem Schönheitssinn des Töchterchens.

Herbert hatte seine Tätigkeit mehr in den früchtetragenden Teil des Gartens verlegt. Das Wunder, daß die Orangenbäume Blüte und Frucht zu gleicher Zeit tragen, studierte er so eingehend, bis er mit verdorbenem Magen im Bette lag. An Gartenarbeiten beteiligte er sich nur insofern, als er den Wasserstrahl aus dem langen Gummischlauch mit Begeisterung über Bäume, Strauchwerk und Blumen brausen ließ, ganz besonders gern aber über seinen Bubi und über Teresinas Katzen. Hund und Katze, die sich sonst noch immer befehdeten, waren einig, sobald Herbert mit dem Wasserschlauch erschien. Dann waren sie beide auf und davon.

Auch die Schmetterlinge und Käfer, die sonst ein friedliches Leben in dem Blumenparadies des großen italienischen Gartens geführt hatten, waren jetzt von dem kleinen Deutschen aus ihrem sorglosen Dasein aufgescheucht, überall tauchte der Junge mit seinem Schmetterlingsnetz und der grünen Botanisiertrommel auf. Wundervolle Exemplare verleibte er der Schmetterlingssammlung, die der Vater bereits für ihn angelegt hatte, ein – zum größten Schmerz von Suse, die mit ihrem weichen Herzen um jeden Schmetterling, jeden Käfer litt, der für die Sammlung sorgsam auf einer Nadel aufgespießt wurde.

Das weiße Kätzchen, das Teresina der Kleinen am ersten Tag in die Arme gelegt hatte, war Suses Eigentum geblieben. Sie hätschelte und liebte die weiße »Mija«, so hatte sie ihr Kätzchen genannt, so zärtlich, daß die Schwarzwald-Lotti ganz eifersüchtig wurde. Sogar ihr Puppenbett mußte sie an die fremde Katze abtreten. Bubi und die Schwarzwald-Lotti hegten beide keine freundlichen Gefühle für Suses Abgott.

Auch die Kaninchen, die Pietro und Teresina im Kellerraum hielten, ergötzten mit Ihren lustigen Sprüngen die Kinder. Besonderen Spaß aber machten ihnen die beiden Ziegen, die morgens mit einer großen Ziegenherde von kleinen braunen Hirten durch die Straßen auf die Weide getrieben wurden und abends wieder zum Melken erschienen. Es war erstaunlich, wie schlau die Tiere waren. Sie wußten ganz genau, wo sie daheim waren. Zur rechten Zeit sonderten sie sich von der Herde ab und standen so lange meckernd am Gartentor, bis man sie einließ.

Heute sollten Professors Zwillinge die erste Unterrichtsstunde bei dem neuen Lehrer, Dottore Salvani, haben. Suse war den ganzen Vormittag über aufgeregt. Sie versuchte bei Pietro und Teresina noch ganz schnell Italienisch zu lernen. Aber leider ging das nicht so rasch.

»Mutti – Muttichen, wird uns der Lehrer einen Tadel einschreiben, wenn wir ihn nicht verstehen können?« fragte sie ängstlich.

Die Mutter, die in Gemeinschaft mit Teresina Klöße mit Obst bereitete, beruhigte das aufgeregte Kind.

»Nein, Suschen, der Herr Doktor weiß das doch, daß ihr erst Italienisch lernen müßt. Dazu kommt er doch her, um euch Unterricht zu geben«, beruhigte die Mutter das Töchterchen.

Auch Teresina verschwendete all ihren Wortreichtum an das »Engelchen«, nur schade, daß Suse nichts davon verstand.

»Du, Herbert, hast du Angst vor dem fremden Lehrer?« fragte sie ihren Zwilling, als die Stunde immer näherrückte.

»Nicht die Bohne«, meinte Herbert gleichmütig. »Ich habe mir schon ausgedacht, wie wir uns miteinander unterhalten können: Zeichensprache, wie die Taubstummen. Wir haben doch mal welche in Berlin gesehen. So machen wir es auch.« Suse fühlte sich durch diesen Vorschlag des Bruders einigermaßen beruhigt. Ja, das ging. Mit Pietro und Teresina verständigten sie sich ja auch meistens nur durch Gebärden. Herbert wußte doch immer Rat. Wie gut, daß sie solch einen klugen Zwillingsbruder hatte.

»Mutti, wie spät ist es denn?« Alle paar Minuten erschien Suse, um sich nach der Zeit zu erkundigen. Aber die Mutter hatte sich nach Tisch etwas hingelegt, die durfte nicht mehr gestört werden. Suse wandte sich an ihren Freund Pietro. Ihre deutsche Frage verstand er natürlich nicht. Aber als sie auf seine silberne Uhr zeigte, lachte er verständnisinnig.

» Sedici.« Alle zehn Finger hielt er hoch und dann noch mal sechs.

»Was – sechzehn Uhr soll es sein – hahaha –.« Suse lachte und sah selbst nach seiner Uhr. »Vier – vier Uhr ist es.« Sie hielt ihm vier Finger vor die Augen, denn sie dachte nicht daran, daß man die Uhr bis vierundzwanzig zählte.

»Herbert – Herbert, komm doch mal her, sag' du doch mal dem Pietro, daß es gleich vier Uhr ist. Sechzehn Finger hat er mir gezeigt – nein, sind die großen Leute in Italien dumm, die kennen noch nicht mal die Uhr.« Suse wollte sich vor Lachen ausschütten.

»Aber Suse, wir zählen doch jetzt auch in Deutschland die Uhr bis vierundzwanzig – daß du das nicht weißt!« Natürlich, der kleine Besserwisser wußte gleich Bescheid.

Die Kinder waren so eifrig, daß sie nicht auf das Gartentor achthatten. Erst als eine Stimme in gebrochenem Deutsch hinter ihnen sagte: »Sechzehn Uhrr auf derr Minut' –«, wandten sie sich erschreckt um. Hinter ihnen stand ein noch jüngerer Herr mit schwarzem Wuschelhaar, das ihm, wie vielen Italienern, wie ein schwarzer Wald um den Kopf stand.

Der Struwwelpeter! war Suses erster Gedanke bei seinem Anblick.

»Ich bin Dottore Salvani, il maestro – das Lehrer«, stellte er sich vor. » Buon giorno – guten Tag.« Er reichte den Kindern freundlich die Hand.

»Bun schorno«, sagte auch Herbert, der die Begrüßung bereits von Pietro und Teresina gelernt hatte. Suse aber sagte gar nichts, sondern machte nur ihren Knicks. Beide Kinder kämpften mit dem Lachen, daß ihr neuer Lehrer so falsch Deutsch sprach und das Rrr so rollte.

»Ihr sein serr heiter. Das ist gutt. Ich bin heiter auch«, sagte der Lehrer. » Allora, wirr wollen gehen, zu haben Lezione – subito – subito – rasch.«

Und nun saßen sie an dem Schultisch in der Kinderstube, nachdem Dottore Salvani noch mit der Mutter gesprochen hatte.

»Errst mirr sagen, wie ihrr heißen«, begann er.

»Herbert Winter heiße ich – und das ist meine Schwester Suse.« Der Junge war gewöhnt, für beide zu antworten.

»Gutt – wirr werrden lerrnen der italienisch Sprach, ein serr schöner Sprrach«, begann der Maestro.

»Eine Sprache, heißt es im Deutschen.« Herbert, dem kleinen Besserwisser, wurde es doch zu schwer, das fehlerhafte Deutsch des Lehrers nicht zu verbessern. Suse sah ihn erschreckt an – war der Herbert aber dreist.

Der Lehrer überhörte den Einwurf.

»Dies ist eine Tisch – una tavola. Was ist das, kleine Signorina?«

Suse hatte keine Ahnung, daß sie mit »kleine Signorina – kleines Fräulein« gemeint war. Sie war gerade dabei, festzustellen, ob der neue Lehrer auch so lange Nägel habe wie der Struwwelpeter.

»Kleine Signorina bist du, Suse.« Der Bruder, der schneller auffaßte als sie, gab ihr einen Aufmunterungspuff. »Du sollst sagen, was das ist.«

»Eine Tisch«, sagte Suse, die den Klang noch im Ohr hatte.

»Hahaha« – der Herbert lachte, daß ihm die Seiten wehtaten. Er konnte sich gar nicht beruhigen. Denn er glaubte, die Schwester habe einen Ulk gemacht.

Suse sah erschreckt zum Lehrer auf. O Gott, ob seine schwarzen Augen jetzt böse blickten? Sie hatte ihm wirklich nicht nachmachen wollen, war nur wieder mal Traumsuschen gewesen.

Nein, der nette Herr sah ganz freundlich aus. »Wenn du lachen, Erberto, du werrden nicht lerrnen italiano

Aber jetzt lachten sie alle beide, die Suse und der »Erberto«. Das war ein Jauchzen in der Kinderstube, nicht als ob Schule dort wäre, sondern Kindergesellschaft.

»Meine kleine Frreunde, wenn ihr lachen immerr, wirr können nicht lerrnen.«

»Ich heiße doch nicht Erberto, sondern Herbert – Herbert«, sprach der Schüler dem Lehrer vor, immer noch mit dem Lachen kämpfend.

»Nun gutt. Erbert ist Erberto in Italia. Ein Italiano nicht spricht h in die Anfang.«

»Der Anfang heißt es«, verbesserte Herbert schon wieder.

»Ihrr sein hier zu lerrnen italiano, nicht ich zu lerrnen der deutsche Sprrach.« Das klang ernst und bestimmt.

Die Heiterkeit der Kinder verflog im Augenblick. Herbert fühlte, daß er sich unpassend benommen hatte. Volle Aufmerksamkeit herrschte jetzt in dem Schulzimmer.

Sie lernten, wie der Tisch auf italienisch hieß, der Stuhl, das Zimmer, das Fenster, die Tür, das Haus, der Garten und was der schönen Dinge noch mehr waren. Auch daß Erberto un piccolo ragazzo – ein kleiner Junge war, und Suse una piccola ragazza – ein kleines Mädchen. Alle beide waren sie bambini – Kinder. Herbert, der jetzt bei der Sache war, hatte eine sehr leichte Auffassungsgabe. Es war eine Freude, ihn zu unterrichten. Auch Suse gab sich redlich Mühe, nicht hinter dem Bruder zurückzubleiben. Nur mußte sie immer wieder lachen, wenn der Lehrer sie »Susa« mit scharfem S und »Erberto« nannte.

»Jetzt ich werrden sprrechen italiano, nurr italiano, euerr Ohrr muß gewöhnen der Sprrach. Was ist das?« begann der Lehrer auf italienisch zu fragen. Er zeigte dabei auf den Tisch.

» Una tavola

» Bene – gutt. – Sprrechen ganze Satz.« Er mußte doch noch hin und wieder seine Zuflucht zu deutschen Worten nehmen, um sich verständlich zu machen.

» C'è una tavola – das ist eine Tisch«, wiederholte Herbert, während Suse zu ihrem Taschentuch griff, um nicht laut loszulachen.

»Was ist das?« fragte der Lehrer italienisch, auf die Fenster weisend.

Suse hatte es schon wieder vergessen.

» C'è una fenestra«, antwortete Herbert statt ihrer.

» No – no – nein – es ist nicht eine Fensterr, es sind wie viele Fensterr?«

Herbert hielt zwei Finger in die Höhe, wie er das bei Pietro oft genug gesehen hatte. Suse kicherte.

»Sprrechen – sprrechen italiano, nicht zeigen mit die Finger«, verlangte der Lehrer. »Wieviel Fensterr, Susa?«

»Zwei«, sagte Suse auf deutsch.

» Due – zwei ist due. Wir werrden lerrnen errst die Zahlen bis zehn.« Dottore Salvani begann zu zählen und dabei immer die Fingerzahl in die Höhe zu heben.

Die Kinder wiederholten. Herbert getreulich ebenfalls mit den Fingern die Zahl angebend, was Suses Heiterkeit wieder erregte. Aber als der Lehrer sagte: »Jetzt wirr werrden rrechnen«, und die Zahlen bis zehn zusammenzählen und abziehen ließ, dachte Herbert nicht mehr daran, in Zeichensprache zu sprechen. Denn er mußte angestrengt aufpassen, um mit den noch ungewohnten Zahlen keine Fehler zu machen.

Mitten in der italienischen Rechenstunde hörte man ein Kratzen an der Tür und gleich darauf ein lautes Blaffen und jämmerliches Miauen. Wie auf Kommando waren die Zwillinge von ihren Plätzen und an der Tür. Herein sprangen Bubi und Mija, die in der Kinderstube Heimatsrechte beanspruchten und sich draußen in den Haaren gelegen hatten. Herbert nahm Bubi auf den Arm und machte den Lehrer mit ihm bekannt.

»Das ist mein Bubi. Er heißt nach mir.«

»Und das ist meine Mija«, fiel Suse ein, das Kätzchen liebkosend.

» C'è un piccolo cane – das ist eine kleine Hund«, sprach der Lehrer den Kindern vor. Da lachten sie alle beide, daß vorläufig an Fortsetzung der Stunde nicht zu denken war. Bubi aber blaffte laut in das Kinderlachen hinein, als ob er dagegen Einspruch erheben wollte, daß er eine kleine Hund sei.

» C'è un piccolo gatto – ein kleiner Katz. Wie heißt der Katz?«

»Mija«, antwortete Suse.

» No, il gatto – der Katz. Wie heißt er?«

»Aber wenn sie doch Mija heißt« – – –

»Suse, du bist aber dümmer als dumm. Auf italienisch heißt die Katze gatto.« Herbert war ein besserer Lehrer für die Schwester als Dottore Salvani.

Das Kätzchen hatte inzwischen das Weite gesucht. Vergeblich versuchte der Lehrer die Aufmerksamkeit wiederherzustellen. Die Katze sprang über den Schultisch, kletterte am Kleiderschrank empor und blickte von dort mauzend auf den sie verfolgenden, unten kläffenden Bubi.

»Hund und Katz haben nicht zu sein in Lezione. Tut sie aus die Türr«, verlangte der Lehrer jetzt ernst.

Bubi war bald mit einem Nackengriff gepackt und an die Luft gesetzt. Aber mit Mija war die Sache schwieriger. Herbert erbot sich zwar, auf den Schrank zu klettern. Aber als er den Tisch herangerückt hatte, einen Stuhl darauf und nun glücklich da oben balancierte, war die Katze längst wieder unten. Hast du nicht gesehen, an den braunen Fenstervorhängen wieder hinauf. Nun schaute sie mißtrauisch von der Gardinenstange dem weiteren Verlauf der Dinge zu.

»Lassen gehen derr Katz. Wir werrden nehmen Lezione weiterr«, stellte Dottore Salvani die Ruhe wieder her. »Wie viele Jahre hast du, Erberto?«

Verdenken konnte man es dem Herbert eigentlich nicht, daß er jetzt wieder lachte. »Ich habe doch keine Jahre – –.«

»Man sagt so in italiano. Welche Alterr hast du?«

»Ich bin zehn Jahre.«

» Italiano sagt wie Français: ich habe zehn Jahrre – › ho dieci anni‹, das ist: ich habe die Alter zehn Jahrr. Wieviel Jahrre hast du, Susa?«

» Ho dieci anni«, wiederholte Suse ganz richtig.

» No – falsch. Du sein mehrr jung als Bruder. Sagen in deutschen Sprrach.«

»Ich bin aber doch zehn Jahre alt«, behauptete Suse.

»Wir sind nämlich Zwillinge«, fiel Herbert erklärend ein.

»Zwilling – was ist Zwilling?« Der Lehrer verstand nicht.

»Zwilling ist – Zwilling ist – na, Zwilling ist, wenn wir beide am ersten November Geburtstag hatten und zehn Jahre alt wurden.« Herberts Erklärung war nicht ganz klar.

»Oh, ich verrstehen. Capito. Ihre seid gemelli – gemelli – ganz gleiche Alterr – capito – verstanden.«

»Also gemelli heißt Zwillinge, Suse. Das müssen wir uns merken. Das ist das allerwichtigste, was wir in Italienisch wissen müssen«, sagte Herbert.

»Du sein › il fratello‹ – das Brruder.«

»Es heißt der Bruder, Signor Doktor«, wagte Herbert möglichst bescheiden zu verbessern.

»Gutt – gutt – aber nicht sagen Signor Dottore, nurr sagen Dottore in italiano oder Signor Salvani.«

»Dann sagen wir lieber Herr Salvani, Herbert. Wenn wir bloß Doktor sagen, das ist frech. Das darf man nicht zu seinem Lehrer sagen«, meinte Suse leise.

»Nicht conversazione privata, Susa. Werr du sein von fratello

» Gemello«, sagte Herbert der Suse leise vor.

Aber Signor Salvani hatte gute Ohren. »Falsch, Erberto. Susa ist deine gemella, a ist weibliche Endung. O ist männliche Endung. Sie ist deine Schwester – tua sorella. Werr bist du?« wandte er sich an das kleine Mädchen.

»Suse Winter«, erwiderte dieses.

» No – no – nein – nein – nein – ich will anderres hörren.«

»Susa Winter«, verbesserte Suse.

»Auch nicht. Von fratello was bist du von fratello Erberto?«

Nun kam endlich die richtige Antwort » sorella«.

» La sorella – das Schwester. Bene – gutt.«

Sie lernten in der ersten italienischen Stunde, daß sie beide braunes Haar hatten, und wie das auf italienisch hieß. Herbert erfuhr, daß er die Augen blau habe, und die Suse, daß die ihrigen braun seien. Sie lernten, daß sie jeder eine Nase und einen Mund mit Zähnen, zwei Ohren, zwei Hände und zehn Finger hatten. Daß bitte – prego heißt und grazie – danke. »Danke serr heißt grazie tante; wie heißt es, Susa?«

»Kratz' die Tante«, wiederholte Suse, die wieder mal geträumt hatte.

Schallendes Gelächter ihres Zwillingsbruders folgte. »Kratz' die Tante, kratz' die Tante – das ist ja zum Heulen komisch!«

Suse heulte bereits. Denn auslachen ließ sie sich nicht, noch dazu von ihrem Zwilling.

»Nicht weinen – ist nicht schlimm, mia piccola – meine Kleine«, tröstete der Lehrer.

Suse trocknete ihre Tränen. Der Kopf brummte ihr von all den neuen Wörtern. Sie verwechselte sie alle miteinander. Statt Augen sagte sie das italienische Wort für Ohren, statt Hände Füße. Herbert war auch in der Stunde ein kleiner Besserwisser. Er behielt sofort und verbesserte seine Schwester noch vor dem Lehrer.

»Ich werde der Suse schon bis zur nächsten Stunde alles beibringen, was wir heute durchgenommen haben, Signor Salvani«, versprach er treuherzig.

Und so geschah's. Suse lernte bei Herbert schneller und besser als in der Stunde, wo sie oftmals schüchtern oder verträumt war. Und wenn sie alle beide nicht Bescheid wußten, dann fragten sie Pietro und Teresina. Die beiden waren ihr italienisches Lexikon.

Der italienischen Stunde folgten noch viele andere. Aber so fidel war es nie wieder, wie in der ersten Lektion.


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