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14. Kapitel. Am Meeresstrand.

Hätte sich Liselotte nicht hinter ihr Vatchen gesteckt, ganz sicher wäre sie Sonntag zu Hause geblieben, und Gretchen Werscholeit hätte ohne sie Geburtstag feiern müssen.

Denn sogar in der letzten Viertelstunde sollte die glücklich erschmeichelte Erlaubnis noch zurückgezogen werden. Und zwar in jenem kritischen Augenblick, als Liselotte im weißen Stickereikleid hoch oben auf einem Stuhl thronte, und Mutti sie mit prüfenden Augen umkreiste, ob auch kein fürwitziges Unterrockzäckchen hervorzulugen wagte.

Da fiel Mutters Blick auf den zusammengezogenen Riß, über den das Töchterchen wohlweislich Stillschweigen bewahrt hatte.

Am liebsten hätte Mutti sie sofort wieder ausgezogen und zu Hause gelassen, aber Liselotte bat und bettelte, daß es einen Stein hätte erweichen können. Wieviel mehr erst ein zärtliches Mutterherz! So stopften Mutters geschickte Finger den Riß in Eile noch kunstgerecht zu, und das Fräulein Tochter, dem es in allen Adern zuckte und kribbelte, fortzukommen, hatte eine harte Geduldsprobe zu bestehen.

Gott sei's gepfiffen und getrommelt – endlich durfte sie, den Hausschlüssel in der Tasche, zum Cranzer Bahnhof entschlüpfen.

»Punkt halb elf bist du zu Hause – sei verständig und mach keine Dummheiten,« rief ihr Mutti noch aus dem Fenster nach.

Liselotte schüttelte nur, in ihrer Würde gekränkt, die von mattblauem Seidenbande umschlungenen Locken – sie war doch ein großes Mädel!

Fritzi erwartete sie bereits auf dem Bahnhof, kichernd bestiegen die beiden jungen Fräulein ein Abteil des »Lahmen Augusts«. Mit diesem stolzen Namen bezeichnet der Königsberger humorvoll die ziemlich klapprige Bimmelbahn, die zum Ostseestrand hinausführt.

»Wir sollen nicht an der Tür stehen, mein Vater hat es extra noch gesagt,« Liselotte zog Fritzi an der weißen Matrosenbluse, ungewöhnlich gehorsam, vom Fenster fort.

»Gequackel – ich darf immer hier stehen, und außerdem bin ich drei Monate älter als du!« Fritzi ließ sich nicht befehlen.

Das nahm Liselotte ihr schrecklich übel. Bis die dunklen Fichtenwaldungen von Groß-Raum auftauchten, schwieg sie verknurrt auf alle lustigen Scherze und Anzapfungen der Freundin. Dann aber, als Fritzi vorschlug, sich die beiderseitigen Geburtstagsbonbonieren mal näher anzusehen, fühlte sie ihren Groll schwinden. Vorsichtig wurden Papierhülle und Band gelöst, in Fritzis Körbchen waren Pralinés, Liselotte hatte ein kleines, allerliebstes Domino aus Schokolade.

Fritzi war ein wohlerzogenes Kind. Sie wußte, daß der Anstand es verlangte, anzubieten, allerdings – nicht aus einer fremden Bonboniere. Aber das fiel ihr erst später ein. Sie nötigte Liselotte so lange, bis diese sich eine große Kognakkirsche zu Gemüts zog. Der heimtückische Inhalt tropfte auf das schöne neue Stickereikleid.

»Wir waschen es an der See aus,« tröstete Fritzi.

Sie wartete, daß die Freundin ihr jetzt ihrerseits von ihrem Schokoladenreichtum anbieten würde.

Dies geschah auch. Liselotte wollte nicht weniger Lebensart besitzen als Fritzi. Aber bei dem einen Stück blieb es nicht. Als man die Meierei Quednau erreicht hatte, zeigte Fritzis Körbchen eine gähnende Leere, und von Lilos Domino fehlten bis auf Null-Null, die keine essen mochte, weil zu wenig Zucker drauf war, sämtliche Doppelnummern.

Während der »Lahme August« das üppige grüne Samland durchquerte, bekam Liselotte einen moralischen Katzenjammer.

»Fritzi, was machen wir denn bloß, du kannst ja von dem Seidenpapier unterstopfen, aber wenn das Domino nicht stimmt, denken Werscholeits doch sicher, ich hätte es schon gehabt!« Sie machte ganz verstörte Augen.

»Iß Null-Null auch noch weg, dann fällt es nicht so auf,« riet Fritzi. Das leuchtete Liselotte ein, und sie ließ Fritzi großmütig die Hälfte abbeißen.

Als der Zug in Cranz einfuhr, und das lange Gretchen bereits in Sicht war, packte Liselotte noch geschwind Fritzi beim Arm.

»Du – soll ich es Gretchen nicht lieber eingestehen?«

»Bist wohl nicht ganz bei Troste!« diese Antwort ließ nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Aber um Liselottes unbefangenen Frohsinn war's geschehen. Ihr Glückwunsch kam scheu heraus, und als Gretchen voll Dankbarkeit das niedliche Domino bewunderte, erschien sie sich ganz furchtbar schlecht.

Das lebhafte Treiben des eleganten Badeorts ließ zum Glück wenig Zeit zu trüben Gedanken. Und die Geburtstagsschokolade spülte den Rest der unbehaglichen Stimmung weg.

Man zog an den Strand, um Muscheln zu suchen, und Zankteufelchen kabbelte sich hier ernstlich mit Fritzi. Die hatte ein geübtes Auge, und immer gerade, wenn Liselotte eine feine Muschel erspäht hatte, bückte sich Fritzi bereits danach. Als sie ihr wieder mal eine prächtige Doppelmuschel gerade vor der Nase wegschnappen wollte, gab ihr Liselotte ärgerlich einen Schubs. Derselbe fiel kräftiger aus, als sie beabsichtigt, und da Fritzi so leicht und zierlich war, flog sie wie ein Gummiball gegen das Meer. Das Pech wollte es, daß gerade eine brandende Welle herangerollt kam, Fritzi wurde vom Kopf bis zu den Halbschuhchen pitschenaß.

»Biste ersoffen?« erkundigte sich Liselotte lachend, ihre Muschel in Sicherheit bringend. Aber als sie jetzt die triefende Freundin erblickte, erschrak sie doch.

Das schöne weiße Matrosenkleid – die Goldkäferschuhchen – alles verdorben!

Fritzi, das leichtsinnige Ding, lachte noch obendrein.

»Ich stelle mich hier in die Sonne zum Trocknen,« meinte sie sorglos, trotzdem sie vor Kälte bibberte.

Da aber erhob Gretchen, die verständigste des Kleeblatts, Einspruch.

»Nein, wir jehen nach Haus, willst dich wohl auf den Tod erkälten, du kriegst meine Sachen an,« sie zog die Freundinnen mit nach der Wohnung.

Wäre Gretchen nur nicht so lang gewesen und Fritzi so klein! Aber so war das Umkleiden ein schweres Stück Arbeit, wenn sie dabei auch aus dem Lachen nicht herauskamen.

Gretchens Strümpfe schienen für Elefantenfüße berechnet, Fritzis kleines Füßchen ging zweimal hinein. Die Schuhe waren die reinen »Äppelkähne«, und mit dem langen Kleid, das ihr bis auf die Fußknöchel hing, sah die zierliche kleine Fritzi wie eine Madame aus! Unmöglich konnte sie sich in diesem Kostüm auf der eleganten Strandpromenade zum Kurkonzert blicken lassen. So kamen sie um dieses Vergnügen, und Liselotte mußte wieder mal einsehen, wieviel Schaden man mit unüberlegter Heftigkeit anrichtet.

»Ei, Domino, wir wallen mit dem neïen Domino spielen,« schlug die Wirtin vor.

»Nee, davon bekommt man so schmierige Hände,« wehrte Fritzi schnell.

Man ergötzte sich an schwarzem Peter und Gartenkrocket, denn der Krocketplatz war hinter dem Hause. Dort konnten Fritzi höchstens die Katzen in ihrem seltsamen Staat miauend bewundern.

Als Gretchens Eltern mit der Tante vom Konzert zum Abendessen heimkehrten, lachten sie Tränen über das Aussehen der beiden Freundinnen Gretchens. Denn auch Liselotte glich mehr einem kleinen Schornsteinfeger als einem wohlerzogenen Mädchen. Das ganze Gesicht war ihr beim Schwarzen-Peter-Spiel bemalt und geschwärzt worden, und das Zeug wollte sich nicht abwaschen lassen.

Es gab eine Geburtstagsbowle. Keine Kinderbowle, aus Apfelsinen- oder Himbeerwasser bestehend, wie Lilo sie von den Kindergesellschaften ihrer schlesischen Freundinnen her kannte, sondern eine richtige mit Wein und Erdbeeren. Die Folge davon war, daß die jungen Damen äußerst lustig danach wurden, daß sie lachten, sangen und tanzten.

»Ich jlaub', die Mariellchen haben insjesamt einen kleinen Schwips,« meinte Gretchens Vater amüsiert.

Ja – sie waren alle drei beschwipst!

Fritzi wollte in Gretchens Kleidern nach Hause gehen, trotzdem ihre Sachen getrocknet waren, und Liselotte erzählte plötzlich Gretchen jubelnd, ohne jede Spur von Reue, daß sie unterwegs einen Teil der Dominosteine weggefuttert hätten. Darüber lachte das angeheiterte Gretchen so sehr, daß es sich gar nicht beruhigen konnte.

In der Bahn aber wurden die lustigen Dinger plötzlich bleiern müde; die Tante hatte Mühe, sie in Königsberg wieder aus dem Coupé zu laden. Fritzi hatte denselben Weg wie Gretchen, und Liselotte, die kaum noch die Augen aufreißen konnte, wurde in die elektrische Bahn gesetzt.

»Paß auf, daß du nicht an eurem Haus vorbeifährst,« rief ihr Gretchens Tante noch besorgt nach.

Liselotte verstand sie in ihrer Müdigkeit überhaupt nicht mehr. Sie drückte sich, nachdem sie ihr Billett bezahlt, in die dunkelste Bahnecke, und da klappten ihre Augenlider auch schon zu.

Wie lange sie dort gesessen und geschlafen, wie oft sie die Strecke von Endstation zu Endstation hin und her gefahren, das blieb in ewiges Dunkel gehüllt. Die Bahn war des Sonntagsverkehrs wegen überfüllt, die Leute kamen und gingen, keiner, nicht einmal der Schaffner, hatte auf das kleine, zusammengekauerte Mädchen acht. Erst als die Bahn mit einem tüchtigen Ruck irgendwo gegenfuhr, fuhr auch Liselotte empor und rieb sich verschlafen die Augen.

Wo war sie denn? In ihrem Bett? Nein – sie fühlte eine harte Holzbank, stichdunkel war es um sie, und der Kopf war ihr so wüst – so wüst – – –

Da, Stimmen – Männerstimmen – jemand versuchte ein Tor zu schließen – war sie im Gefängnis ... wollte man sie einsperren ... Liselotte war plötzlich ganz ermuntert.

»Halt – halt –« schrie sie aus Leibeskräften.

Der Schaffner, der eben im Begriff war, das Bahndepot zu schließen, in dem die Elektrischen des Nachts eingestellt werden, hielt erstaunt inne.

»Rief da nicht jemand?« fragte er den Wagenführer.

Sie lauschten beide. »Halt – Hilfe – halt –« deutlich vernahm man jetzt eine angstvolle Kinderstimme.

Die beiden Bahnbeamten leuchteten in den Wagen.

Da stand ein kleines Mädchen mit schwarz bemaltem Gesicht und müden, verängstigten Blauaugen.

»Dunnerlittchen, wo kommst denn du her?« fragte der eine.

»Ich – ich weiß nicht – ich wollte Ecke Luisenstraße aussteigen und bin wohl vergessen worden« – Liselotte sah jetzt erst, daß sie sich noch immer in der elektrischen Bahn befand. Sie fing an zu weinen.

»Achott, Mariellchen, weïne man nich, das is ja jar nich weït von hier, wir bringen dich beïde janz jemietlich nach Hause,« sagte der Schaffner gutmütig, der wohl kein ganz reines Gewissen besaß, daß er die Kleine nicht eher entdeckt und bei einem Haar ins Bahndepot gesperrt hätte.

Ein wenig getröstet, machte sich Liselotte mit den beiden Beamten auf den Weg.

»Ist es schon elf?« fragte sie plötzlich wieder ganz ängstlich.

»Als – eï, es is jleich halb dreï,« lachte der Schaffner.

Liselotte stand wie vom Donner gerührt. Dann aber begann sie zu laufen und zu rennen, daß die beiden Begleiter kaum hinterher konnten.

Ihre armen Eltern – wie würden sich die um sie sorgen und ängstigen!

Ja – Liselottes Eltern vergingen inzwischen vor Angst.

Bis elf Uhr hatten sie auf dem Balkon gestanden und nach ihrem Töchterchen ausgeschaut. Eine Bahn nach der anderen fuhr bimmelnd vorüber, aber aus keiner stieg ihre Lilo.

Dann hatte sich der Vater kurz entschlossen und trotz der Nachtverbindung bei Gretes Tante telephonisch angefragt. Dort hörte er, daß Liselotte pünktlich von ihr in die elektrische Bahn gesetzt worden sei.

Nun war es auch mit des Baumeisters Ruhe zu Ende. Während er vorher seine sorgende Frau ausgelacht, daß sie immer gleich Gespenster sähe, lief er jetzt wie gejagt zur nächsten Polizei. Aber auch dort wußte man nichts von Liselottes Verbleib.

Und nun stand er wieder Stunde um Stunde neben der jammernden Mutter am Fenster und sah mit angstvoll schlagendem Herzen nach seinem Liebling aus.

Alles still in den Straßen.

»Sie wird eingeschlafen sein und sich morgen früh wieder ganz vergnügt einfinden,« sagte der Vater schließlich mit erzwungenem Lächeln.

»Oder sie ist irgendwo verunglückt,« die Mutter barg das tränenüberströmte Gesicht in den Händen.

Dann schwiegen sie wieder – lange.

Da plötzlich Schritte – Männerschritte – dazwischen eilende Kinderfüße – wehende Locken – wehende Röckchen – und »Vater – Mutti« – ruft Liselotte den zaghaft über die Balkonbalustrade Spähenden jauchzend zu.

Nun lag sie wieder wohlgeborgen in treuen Elternarmen – nun war alles wieder gut!

Mit reichem Trinkgeld zogen die Bahnbeamten davon, trotzdem der eine eigentlich einen anderen Denkzettel für seine Nachlässigkeit verdient hätte. Aber Liselottes Vater war zu glücklich, sein Herzblatt wieder unversehrt umschlungen zu halten, um die Sache weiter zu untersuchen.

Den Hausschlüssel aber bekam das kleine Fräulein sobald nicht wieder, und Erdbeerbowle trank sie ihr Lebtag nicht mehr! –

Die Wochen vergingen, die Linden blühten, und die großen Ferien, die Kinder- wie Lehrerherzen höher schlagen lassen, rückten näher und näher.

Baumeisters hatten in dem Seebad Neuhäuser, da Cranz ihnen zu geräuschvoll war, Sommerwohnung gemietet.

Liselottes größter Wunsch, um dessentwillen sie tagelang geradezu beklemmend artig gewesen, ging in Erfüllung.

Sie durfte sich ihre Suse für die Ferien einladen.

Aber ach – nachdem das Baumeistertöchterlein bereits die schönsten Luftschlösser gebaut und für jeden Ferientag eine andere Herrlichkeit, wie schwimmen, waten, segeln, Burgen errichten und Krabbenfang, ersonnen, erhielt sie einen wehmutsvollen Absagebrief.

Suse kam nicht!

Liselotte konnte das Ungeheuerliche zuerst gar nicht begreifen. Bloß weil die Mutter in ein Bad fahren mußte, und die kleinen Geschwister der Aufsicht bedurften, gab man doch eine Reise zur liebsten Freundin nicht auf!

»Suse ist treulos, sie hat unseren Freundschaftsschwur nicht gehalten,« sagte sie grenzenlos enttäuscht.

Und dann weinte sie bitterlich.

Mutter aber stellte ihrem Töchterchen vor, daß die Freundin gerade das Gegenteil von treulos sei, daß sich Liselotte an Suses Pflichttreue ein Beispiel nehmen könne. Und Vater blinzelte ihr tröstend mit den Augen zu und meinte: »Am Ende gibt es wieder eine Weihnachtsüberraschung.«

Aber Liselotte jammerte weiter und war kindisch genug, jetzt doppelt ungezogen zu sein, da ihr das Artigsein so wenig genützt hatte.

Mutter atmete auf, als sie die kleine Gesellschaft glücklich draußen hatte. Denn die Kinder, die von klein auf an große Tummelplätze für ihre Spiele gewöhnt waren, ließen sich in der beschränkten Stadtwohnung kaum noch bändigen.

Jetzt zogen sie morgens schon an den Strand, und erst zum Mittagbrot stellten sie sich, schwarz wie die Mohren, wieder ein.

Graue Strandanzüge mit roter Borte und rote Südwester trugen sie alle fünf. Entzückend sahen Baumeisters Rangen aus, darin stimmten alle Badegäste überein, aber so entzückend, wie sie aussahen, waren sie durchaus nicht.

Gellendes Geschrei erscholl jeden Tag zwischen neun und zehn Uhr aus der Badeanstalt. Das waren Edchen und Kurtchen, die, mit winzigen Badehöschen bekleidet, absolut nicht dazu zu bewegen waren, ins Wasser hineinzugehen. Kaum drehte Norbert den Kopf, so kniffen sie beide in edler Übereinstimmung aus und waren kaum wiederzufinden. Den Neinerich zog der Vater unter dem Rettungsring hervor. Und der Weinerich wurde von einem bekannten Herrn, der ihn in seinem Adamskostüm auf der Strandpromenade traf, wo er im Begriff war, sich nach Hause zu begeben, wieder zurücktransportiert.

Vater nahm den Neinerich, dem sein energisches »Nein« nichts nützte, auf den Arm, und Norbert den Weinerich, der wie am Spieß brüllte: »Er will niß in das olle Wasser, er is dar niß dreckis!«

Unter einem Geheul, als ob es ihnen ans Leben ginge, wurden die kleinen Badeengel zum Gaudium sämtlicher Badenden täglich ins Wasser gestippt.

Heinz tat sehr überlegen und meinte: »Schaniert euch doch, Jungs!« Aber er selbst ging gerade nur soweit hinein, daß ihm das Wasser die Füße bespülte. Sowie eine Welle heranrollte, sprang er mutig zurück. Bis Norbert ihm hinterrücks einen kleinen Stoß versetzte und ihn tauchte. Da vereinte er seine kräftige Jungenstimme als Dritter im Bunde mit den beiden Kleinen.

Für Liselotte war das Baden die schönste Stunde am Tage. Sie ging stets mit Fritzi von Walden zusammen, die ebenfalls nach Neuhäuser gezogen war, da ihr Vater beruflich in der unweit gelegenen Hafenstadt Pillau stand.

Fritzis Gesellschaft war immerhin ein Trost für die Wunde, die Suses Nichtkommen Liselotte geschlagen. Frau Baumeister Günther war weniger begeistert von dem ständigen Beisammensein ihres Töchterchens mit Fritzi. So wie die Fritzi aussah, so war sie auch – ein bildhübscher, aber nichtsnutziger Gassenjunge, die fehlte ihrer Range nur noch! Aber Liselottes Mutter mochte den Verkehr doch nicht einschränken, denn Fritzi war mutterlos und schloß sich mit der ganzen Heißblütigkeit ihres ungebärdigen Naturells an die neue Freundin. Auch war sie von Herzen gut und lenkbar, nur fehlte die verständige Hand, um sie richtig zu leiten. Mit den Gouvernanten zankte und biß sie sich herum, und der Vater war durch seinen Dienst stark in Anspruch genommen und viel von Hause abwesend. Da hielt es Frau Baumeister für ihre Pflicht, sich des mutterlosen Kindes in Liebe ein wenig anzunehmen. Leicht war das nicht immer, denn der ungünstige Einfluß der wilden Fritzi auf Liselotte zeigte sich allenthalben.

Das Badepersonal beschwerte sich bei der Mutter, weil die beiden kleinen Mädchen jedem Befehl Ungehorsam entgegensetzten. Sie waren von einem geradezu strafbaren Leichtsinn und von einer beängstigenden Tollkühnheit. Vom höchsten Sprungbrett aus machten sie ihre Kopfsprünge, ja, eines Tages waren sie sogar auf das Dach der Badezellen geklettert, um von dort aus ins Wasser zu springen. Das taten sie aber nur einmal und nicht wieder, denn sie hatten sich eklig dabei geschlagen. Sie schwammen, trotz der Aufforderung der Badefrau, zurückzukommen, immer weiter in die offene See hinaus und wären einmal bei einem Haar unter einen Dampfer gekommen. Da sollte ihnen das Badeabonnement entzogen werden. Nur der Begütigung des Baumeisters gelang es, die Sache rückgängig zu machen. Seitdem hielten sich die beiden Mädel in dem umgrenzten Revier, trieben aber da unausgesetzt Dummheiten und waren, trotzdem sie wußten wie ungesund es war, nicht aus dem Wasser zu kriegen. Und hatte die Badefrau sie glücklich zum Herauskommen bewogen, dann ging der Ärger von neuem los. Ob es noch so voll war, die beiden dachten nicht ans Anziehen. Sie buddelten sich mit ihren Bademänteln in den sonnenheißen Sand und verzehrten dort in aller Gemütsruhe ihr Frühstück.

Liselotte und Fritzi hatten sich zusammen eine feine Burg gebaut. Lilo zeigte dabei, daß sie ihres Vaters Tochter war, denn der Sandbau mit Türmchen und Zinnen war ein kleines Kunstwerk. Norbert hatte bunte Wimpel dazu geklebt und sich damit den Einlaß zu der Burg »Tunichtgut« – so hatte der Vater sie getauft – erkauft. Den drei Kleinen aber war der Eintritt streng verboten. Zankteufelchen stand Wache, daß keins der Kinderfüßchen ihren Burgfrieden störte. Mit sehnsüchtigen Augen sahen die beiden Kleinen von ihrem Kuchenbacken und Heinz bei seinem Tunnelbau zu dem verschlossenen Paradies hinüber. Wäre Liselotte nicht so häßlich zu den Brüderchen gewesen und hätte Mutters Worte befolgt und ihnen nur einmal das Betreten der Burg erlaubt, hätte sie sich viel Ärger und Streit ersparen können.

Aber wer nicht hören will, muß fühlen.

Der Vater machte mit den beiden Großen und Fritzi einen Ausflug nach Rauschen, da schmiedeten die drei Kleinen einen Racheplan. Nachdem sie sich weidlich in Liselottes unbewachter Burg herumgebalgt hatten, gingen sie ans Zerstörungswerk. Wie die Vandalen hausten die hoffnungsvollen Jünglinge, und als Liselotte heimkehrte, glich Burg »Tunichtgut« einer Sandwüste. Alle Tränen, alles Schimpfen, Knuffen und Prügeln baute sie nicht wieder auf.

Am liebsten spielten Liselotte und Fritzi auf den Fischerkähnen, und nur aus dem einen Grunde, weil es verboten war. Die Fischer, die des Nachts auf den Fischfang ausfuhren, schliefen vormittags meist. Da tobten die beiden Mädchen und öfters auch der Herr Tertianer in den schmutzigen Nachen herum. Bei Wellengang macht das Schaukeln der Fischerkähne famosen Spaß, aber bei ruhiger See war die Sache ebenso tranig, wie sie roch.

»Hurra, der alte Johann hat vergessen, die Kette an seinen beiden Booten festzumachen, kommt, ich rudere euch – oder wollen wir Seeräuber spielen?« rief Fritzi eines Tages selig.

»Seeräuber!« – Liselotte sprang bereits in einen der Kähne.

Norbert zögerte. Trotzdem er brennend gern dabei gewesen wäre.

»Vater hat Rudern und Segeln streng verboten,« meinte er kleinlaut.

»Ach was – Herr Angstmeier – bist ja bloß bange, daß du reinplumst,« reizte ihn Fritzi.

»Oho – ich bin kein Angstmeier,« und um diese Schmach nicht auf sich sitzen zu lassen, war der junge Mann lieber Vaters Befehl ungehorsam. Er sprang mit einem kühnen Satz hinter Liselotte her.

»Ohio –« jubelte Fritzi und stieß mit ihrem Boot vom Strande ab.

»Ohio,« jauchzte auch Liselotte. Mit vereinten Kräften versuchten sie und Norbert der Wasserratte Fritzi zu folgen.

Aber sie waren ungeübt im Rudersport, der Kahn drehte sich einigemal um seine Achse, und plötzlich kippte er. Zum Glück unweit des Strandes, wo das Wasser noch nicht tief war, aber Bruder und Schwester bekamen doch eine tüchtige Dusche ab. Fritzi lachte sie aus, doch das Seeräuberspielen war den beiden gründlich vergangen. Da sie sich in ihren nassen Kleidern nicht nach Hause trauten, so zogen sie sich überdies noch einen Bombenschnupfen zu und durften acht Tage lang nicht baden. Damit war ihr Ungehorsam gründlich bestraft.

»Lilo –« Fritzi stürmte eines Tages in die Günthersche Veranda, »zieh' dich schnell an, du mußt mit nach Pillau.« Ihre Pfefferkörneraugen blitzten vor Aufregung.

»Na, was gibt's denn so Wichtiges?« fragte die Mutter und hielt ihr Töchterchen, das die Nachmittagsmilch vor Eifer stehen lassen wollte, am Ohrläppchen fest.

»Prinz Heinrich ist da – Prinz Heinrich besichtigt in Pillau Kriegsschiffe – wir können ihn sehen, sagt mein Papa – – –«

Jetzt war Liselotte nicht mehr zu halten.

»Mein weißes Matrosenkleid ziehe ich an, dem Prinzen zu Ehren – ja, Muttchen, Fritzi hat ihres auch an – soll ich die weiße Matrosenmütze aufsetzen oder den Stickereihut – ach Gott, ich habe ja noch meine Sandalen an« – Liselotte war ebenso aufgeregt wie ihre Freundin.

»Ich gehe natürlich auch hin,« Norbert sprang so ungestüm empor, daß seine Tasse umflog.

»Wir natürlich auch – bitte – bitte, Mutti – es tressiert Norbert und mich ungeheuer.« Heinz stellte sich sofort in dieselbe Reihe mit dem älteren Bruder.

»Du leidest ja an Größenwahnsinn,« meinte Norbert und war Mutter bei der Beseitigung der Überschwemmung behilflich.

Aber jetzt ließen sich auch die Kleinen hören.

»Miß auch – er will auch mittenimmt werden, er mößte so srecklis dern mal ein rißtisen Frinzen sehen,« so riefen und bettelten sie durcheinander.

»Wenn Lilo nett ist und euch mitnehmen will, ich habe gewiß nichts dagegen,« für Mutti war ein jörenloser Nachmittag geradezu eine Erholung.

Aber Lilo war nicht nett – ganz und gar nicht. Hundert Ausreden hatte sie bei der Hand, der weite Weg, daß die Kleinen erst angezogen werden müßten, daß Prinz Heinrich bis dahin längst wieder fort sei – jedoch Fritzi schnitt ihr das Wort ab.

»Gequackel – ich nehme euch mit, wenn Lilo nicht will, marsch, laßt euch fein machen!«

Das söhnte die Mutter wieder mit Fritzis ungezügeltem Wesen aus, sie hatte doch im Grunde ein gutes Herz, das kleine ausgelassene Ding!

Liselotte aber schämte sich, daß die Freundin besser zu den Geschwistern war als sie.

Von der rebenumsponnenen Veranda aus sah Mutter lächelnd hinter ihren Fünfen her. Es war ein allerliebstes Bild, alle in weißen Matrosenanzügen mit blauen Ankern, dem Prinzen Heinrich zu Ehren.

»Wir sehen alle sechs wie Zwinglinge aus!« Heinz schob vertraulich seinen Arm in den Fritzis.

Die aber machte sich los: »Ich kann keinen Zwilling gebrauchen!« und heidi – lief sie allen voran am Strande entlang.

Als die Kinder in der befestigten Hafenstadt Pillau eintrafen, sahen sie nicht ganz so allerliebst mehr aus.

Prinz Heinrichs Empfang war wichtig, wichtiger aber noch war den Sechsen das Waten bei dem feinen Wellengang gewesen. Die weißen Schuhe und Strümpfe hatten sie ausgezogen und lustig bis zu den Knien im Wasser gepatscht und gepantscht.

Daß die diversen Höschen und Faltenröckchen nicht mehr so tadellos weiß waren, beeinträchtigte ihre Freude durchaus nicht.

Sie kamen noch lange zur Zeit, Prinz Heinrich traf erst später ein. Es war ein schwieriges Stück Arbeit für Norbert, die drei kleinen Vagabunden im Zaum zu halten. Edchen zeigte die allergrößte Neigung, von der langen Mole ins Wasser zu fallen, Heinz wollte durchaus auf den dreißig Meter hohen Leuchtturm klettern, um den Prinzen besser zu sehen, und Kurtchen schimpfte: »Is sa srecklis, wenn der Frinz immer niß tommt, er wird ihm mal tüßtis Bisseid sagen!«

Vergeblich blickte sich Norbert nach der Schwester um, daß sie ihm bei seinen schwierigen Erziehungsgeschäften behilflich sein sollte.

Wo war Liselotte und Fritzi denn bloß hingekommen?

Ja – wo waren sie?

Fritzi, der Rüpel, hatte wieder einen Streich ersonnen. Sie hatte sich, da sie den Matrosen gut bekannt war, mit der Freundin auf das Schiff ihres Papas geschlichen und dort in der Salonkajüte versteckt.

Soviel Liselotte auch herzklopfend Einsprache erhob, Fritzi hatte einen harten Schädel. Sie wollte durchaus die Fahrt auf dem Schiff mit Prinz Heinrich mitmachen, wenn auch nur unter dem Plüschsofa. In der Salonkajüte würde er den Tee einnehmen, da konnten sie ihn fein sehen.

Zum erstenmal war Liselotte bei einer Ungezogenheit nicht eins mit Fritzi. Ihr erschien ihr Tun ungeheuerlich, und sie zitterte vor der Entdeckung.

Aber Fritzi wußte jeden Einwand mit dem einen Wort »Gequackel« abzutun.

»Krieche unter das andere Sofa, sie schreien schon Hurra, Prinz Heinrich kommt!« flüsterte Fritzi aufgeregt.

»Mein feiner weißer Rock« – Liselotte sah unschlüssig auf ihr schön gewaschenes Kleid.

»So zieh' ihn aus, schnell – du verrätst uns!« Fritzi war ordentlich böse.

Das ging. Sie war ja schon oft in ihren weißwollenen Reformhöschen am Strand gewatet – flink streifte Liselotte den Faltenrock ab, drehte ihn fein säuberlich um und verwahrte ihn unter dem anderen Sofa. Dann kroch sie selbst hinterher.

»Au, ich drücke mich so – Deixel auch, ist das hier unten eklig – Fritzi, ich ersticke – die Puste geht einem ja aus –« stöhnte Liselotte unter ihrem Sofa.

»Schscht – willst du wohl still sein – ich glaube, der Prinz ist schon auf dem Schiff – horch nur, wie sie Hurra schreien –« flüsterte die Freundin aufgebracht zurück.

»Fritzi – liebe Fritzi – laß uns noch ans Land, bitte bitte –«

»Gequackel – wir fahren überhaupt schon« – richtig, ein sanftes Schaukeln machte sich bemerkbar, das Schiff steuerte bereits hinaus zu den Kriegsschiffen.

»Ich drücke mir den Magen ein – ich werde bestimmt seekrank,« wimmerte Liselotte aufs neue.

»Unterstehe dich –« sie verstummten plötzlich alle beide.

Schritte kamen die Treppe herab, ein Paar blaue Beine wurden sichtbar – gehörten die dem Prinzen Heinrich? Keine wagte sich zu rühren. Die blauen Beine stiegen schwerfällig wieder die Kajütentreppe empor. Wahrscheinlich irgendein Matrose.

Die beiden kleinen eingeschmuggelten Passagiere mußten sich lange Zeit in ihrer wenig beneidenswerten Lage gedulden. Keiner ließ sich sehen noch hören. Die Minuten wurden ihnen zu Ewigkeiten, die Glieder steif wie Holz. Unter das eine Sofa hatte sich Zankteufelchen einquartiert. Es schimpfte, räsonierte und stöhnte.

»Wären wir bloß nicht aufs Schiff gegangen, dann hätten wir den Prinzen längst gesehen – du bist ja total übergeschnappt mit deinen blödwitzigen Ideen!«

Fritzi erschien ihr Unternehmen jetzt selbst nicht mehr so amüsant, wie sie sich dasselbe gedacht, aber nun gab es kein Zurück mehr.

»Sie kommen – Beine einziehen –« kommandierte Fritzi plötzlich mit gepreßter Stimme.

Liselotte rollte sich wie ein Igel zusammen.

Und da kamen sie.

Allerdings sahen die beiden kleinen Mädchen nichts weiter als ein Dutzend dunkler Hosen und Stiefel. Vor Herzklopfen hörten sie überhaupt zuerst nicht, was gesprochen wurde. Dann nahm Prinz Heinrich auf Fritzis Sofa Platz, die voll begeisterten Patriotismus die prinzlichen Beine betrachtete.

Prinz Heinrich nahm den Tee ein. Er schien sehr gut aufgelegt zu sein, er lachte und scherzte. Ab und zu vernahmen die beiden kleinen Lauscherinnen auch die Stimme des Herrn von Walden, dann fühlte Liselotte jedesmal das Sofa in seiner ganzen Schwere auf ihre Brust drücken – wenn man sie bloß nicht entdeckte!

Sie konnte kaum noch in dem engen Gefängnis liegen – ach, und jetzt knurrte ihr Magen so laut – lieber Gott – hatte es auch keiner gehört?

Nur ein ganz klein wenig mußte sie das rechte Bein strecken – so – sie bekam ja schon förmlich einen Wadenkrampf.

»Nanu, was sind denn hier für weiße Kinderstiefel liegen geblieben?« fragte der Prinz Heinrich, plötzlich erstaunt zur Erde weisend.

Wie von der Tarantel gestochen, zog Liselotte das verräterische Bein zurück.

Zu spät – der Adjutant des Prinzen zerrte sie bereits zum Gaudium aller versammelten Herren unter dem Sofa hervor.

Nur Herr von Walden sah entsetzt auf die tödlich erschrockene Kleine, denn wo Liselotte war, war seine Fritzi sicher nicht weit davon.

»Sieh da – ein nettes Bürschchen hat sich ja da gefangen,« lachte der Prinz belustigt, »wie heißt du, mein Junge?«

Lilo machte einen tiefen, ehrfurchtsvollen Knicks, der sich in den Reformhöschen ganz absonderlich ausnahm.

»Liselotte,« sagte sie beschämt. Hätte sie bloß den Rock nicht ausgezogen!

»Der Tausend, ein Mädel und was wolltest du unter dem Sofa, Kleine?« examinierte der Prinz leutselig weiter.

Liselotte hob die strahlenden Blauaugen.

»Den Prinzen Heinrich sehen,« sagte sie treuherzig.

Da lachte der Prinz wieder, und all die Herren Offiziere lachten pflichtschuldigst mit.

»Und dazu kriechst du unter das Sofa! Dachtest du, daß ich dort unten Platz nehmen würde – ei, am Ende haben sich noch mehr fremde Vögel hier eingenistet!« Der Prinz beugte sich herab.

Da schaute ein blonder Jungskopf mit braunen Pfefferkörneraugen und lustiger Stubsnase ihn gerade erschreckt an.

»Holla – der zweite Vogel – komm' nur hervor – wer bist denn du?«

Fritzi stand stramm, wie sie es beim Vater so oft gesehen.

»Fritzi von Walden,« sie legte die Finger militärisch an ihre Matrosenmütze.

Der Prinz amüsierte sich köstlich.

»Von Walden – wie ist mir denn – richtig –« ein Zusammenhang schien ihm aufzudämmern.

Herr von Walden war schon vorgetreten. »Königliche Hoheit, ich bitte untertänigst um Verzeihung wegen des Streiches, den meine Tochter und ihre Freundin verübt.«

»Lassen Sie sich deshalb keine grauen Haare wachsen, lieber Walden, die kleinen Damen haben uns famos unterhalten und Zeugnis für ihre patriotische Gesinnung abgelegt.« Der Prinz klopfte Fritzis Vater wohlwollend auf die Schulter.

Dann stiegen sie wieder auf Deck.

Liselotte aber schlüpfte aufatmend in ihren Faltenrock.

Norbert traute seinen Blicken kaum, als aus dem wieder anlegenden Schiff erst der Prinz mit seinem Gefolge, und hinterher zwei kleine Mädchen mit glücklich stolzen Augen stiegen.

Ein Tausendsassa war die Lilo doch!

Heiliges Kanonenrohr – und er mußte derweil Kindermuhme spielen, während sie mit einem richtigen Prinzen gesprochen – zum erstenmal schlich sich in Norberts gutes Herz ein klein wenig Neid gegen die jüngere Schwester.

Als Prinz Heinrich zum Bahnhof zurückkehrte, hatten die sechs Kinder ganz vorn am Eingang Posto gefaßt. Keiner brüllte so laut Hurra wie sie.

Ob es daran lag, ob der Prinz die beiden unternehmungslustigen jungen Damen wiedererkannt, oder ob die niedlichen kleinen Matrosen seinen Blick auf sich gezogen, er blieb plötzlich vor Heinz, dem lautesten Hurraschreier, stehen.

»Wer seid ihr?« fragte er lächelnd, auf die bildhübschen, sich so ähnlich sehenden Kinder blickend.

Liselotte machte einen Knicks fast bis zur Erde, Norbert einen tiefen Diener, aber ehe die beiden Großen noch antworten konnten, rief Heinz bereits ohne jede Scheu:

»Wir sind doch Baumeisters Rangen, Herr Prinz!«

Wie komisch, daß jemand das nicht wußte, und noch dazu ein Prinz!

Da strich Prinz Heinrich dem kleinen, dreisten Burschen über den hellbraunen Krauskopf und sagte freundlich: »Du wirst mal ein tüchtiger Soldat werden, mein Junge.«

Dann schritt er weiter.

Und hinter ihm her schrie Kurtchen, trotzdem Liselotte ihm den Mund zuhielt:

»Er will auch Soldat mitspielen, Herr Frinz!«

* * *


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