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Der Leser besinnt sich auf eine Bekanntschaft, die er im Omnibus auf der Fahrt von Charlottenburg nach Berlin machte, es war ein junges Mädchen, das der alte Obrist Ade in Schutz nahm gegen die Ausbrüche der Rohheit einiger Mitfahrenden. Dieses junge Mädchen war im Begriff, einen Besuch bei ihrem Vater abzustatten, der ein armer, aber ehrlicher Handwerker war, und dessen ohnedies mageres Einkommen in den Tagen der Unruhe und der Kämpfe, die auf den 18. und 19. März folgten, noch geschmälert worden war. Zu diesem Manne führen wir jetzt den Leser. Er findet in der kleinen Wohnung einen Kranken, der stark verwundet worden ist an einer der Barrikaden, wo er mitgefochten. Dieser Kranke ist Robert Phare, und an seinem Bette sitzt – Herr Joseph Gabriel Kriphuber.
[291] Man wird sich erinnern, daß Herr Joseph Gabriel Kriphuber ein berühmter Maler war, oder wenigstens glaubte, es zu sein.
Es waren zwei Monate vergangen nach den Begebenheiten, die wir so eben erzählt haben. Die Stadt war keineswegs ruhig. Auf die blutigen Auftritte waren die lärmenden gefolgt. Es war die Zeit der ewigen tumultuarischen Volksversammlungen, die in kleine Emeuten ausarteten, es war die Zeit der Aufzüge und Demonstrationen mit Fahnen und Cocarden, und endlich war es die Zeit, wo der Pöbel vor den Ministerhotels Politik trieb, das heißt das Straßenpflaster aufriß und es in die Gemächer schleuderte, wo die Gesellschaft zusammen war. Allnächtlich fand bald in dieser, bald in jener Straße ein tolles Charivari statt, von den entsetzlichsten Mißtönen ohne alle Ordnung und Gesetz zusammengefügt, und diesem rohen Gebrüll und Gekreische that man die Ehre an, es Katzenmusik zu nennen. Bei allen diesen Aeußerungen der Straßenpolitik sah man durch die mißglückten Copieen, die französischen Originale hindurch, man konnte beobachten, wenn die Zeitungen aus Paris Virtuositäten der Art meldeten, daß sie wenige Stunden nach dem Einlaufen dieser Nachrichten, mit mehr oder minder Ge [292]schick, auch hier executirt wurden. Die Straßen Berlins glichen den Bogen einer schlechten Uebersetzung eines französischen Original-Schauderromanes aus der Schule Eugen Sue's. Unter diesen Nachäffereien traf man jedoch auf Züge sehr selbständigen Auftretens. Diese Züge gingen von der kleinen Anzahl einheimischer denkender Köpfe aus, die die Zustände, die man hinter sich gelassen, kannten, und in Folge dieser Kenntniß nicht fremde blutige und schmutzige Abgeschmacktheiten, sondern echte Producte des eigenen Bodens für die Zukunft anzubauen strebten. Diese Männer waren besonders bei den Wahlen thätig, die jetzt vorgenommen wurden, um eine neue National-Berathungskammer zu organisiren, die unähnlich den früheren Reichsversammlungen, lediglich auf neuer volksthümlicher Basis auferbaut werden sollte. Wir nennen hier Namen, wie Camphausen, Bülow-Cummerow, Arnim, Hansemann, Auerswald u. A. Es hieße zu weit in die Geschichte der Politik jener Tage eindringen, wenn wir die Thätigkeit dieser Männer nach verschiedenen Richtungen hin, hier näher auseinandersetzen wollten, es sei genug zu bemerken, daß es in dem Durcheinander der sich überstürzenden Zeitfragen und Fragenlösungen Männer gab, die der Aufgabe gewachsen waren, in so deso [293]laten Lagen einen Rath zu ertheilen, eine rettende oder helfende Aussicht zu eröffnen, ohne daß wir damit behaupten wollen, als sei es auch nur Einem dieser Männer gelungen, ein Universalheilmittel vorzuschlagen. Sie thaten wenigstens ihr Möglichstes, die feigen Schmeichler der Volksgunst, die jetzt überall auftauchten, niederzuhalten, und dafür in reichlichem Maße die Schmähungen einzuernten, die in diesen Tagen jedem redlichen Willen, jedem festen charaktervollen Auftreten geboten wurden.
Wir treten an das Lager unseres Kranken.
»Gabriel!« hob Robert an, »Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie Du Paris verlassen hast, und was Dich bewog, hierher nach Berlin zu kommen.«
»Mein Freund,« entgegnete der Maler, der das Buch bei Seite legte, aus welchem er eben vorgelesen, »ich hab' es Dir allerdings erzählt, aber es scheint, armer Junge, daß Deine Kopfwunde von der Art ist, daß einige Departements Deines Gehirns in ihren Functionen beeinträchtigt werden. Ja, in der That, so scheint es, und es thut mir diese Beobachtung, die ich anstelle, sehr wehe.«
»Du irrst, Gabriel, mein Kopf ist vollkommen gesund.«
[294] »Nun denn, so mußt Du auch wissen, was ich Dir gesagt habe.«
»Kein Wort, mein Freund.«
»Ah – wofür soll man das halten? Oder bist Du so unaufmerksam gewesen, daß meine Worte in den Wind gesprochen wurden. Woran hast Du denn gedacht? Womit Deine Phantasie beschäftigt?«
»Lieber Gabriel – Du weißt, daß ich meinen Vater suche.«
»Du hast ihn auf den Barrikaden gesucht – aber das ist nicht der Ort, wo man Väter findet!«
»Scherze nicht. Als ich dem Tode näher als dem Leben war, als ich etwas, wie ein dunkles Geheimniß dicht neben meinem Herzen fühlte, und meine heiße, fiebernde Wange von einer kühlen Luft angeweht wurde, die aus dem dunkeln, kalten, unbekannten Lande kam, – da gedachte ich mit großem Kummer, daß ich bestimmt sei, aus dem Leben zu gehen, ohne in das so heiß ersehnte Väterauge geblickt zu haben.«
»So, das dachtest Du?«
»Ja. Indessen besserte es sich mit mir, und ich erkannte darin die Güte meines Geschicks, das [295] mir die süßeste, heiligste Hoffnung nicht rauben wollte.«
»Lieber Freund!« sagte Gabriel zuversichtlich, »Du wirst Deinen Vater finden, so wie ich meine geheimnißvolle Mischung finden werde.«
»Deine Mischung?«
»Ja – eine wundervolle Composition von gebranntem Ocker, Terra di Siena und Crapp-Roth. Es soll eine Schattenfarbe geben, die fähig ist, den Fleischton mit der Luft zu vermitteln.«
»Ah – das sind Albernheiten!«
Der Maler sah empört auf. »Robert! höre, das könnt' ich übel nehmen.«
»In der That, wenn es nicht Albernheiten sind, so sind's doch Geringfügigkeiten, mit denen Du mich nicht plagen sollst. Wenn Du gar kein Interesse für mich und mein Schicksal hast, so nimm lieber das Buch wieder vor und lies weiter.«
Gabriel richtete einen düstern, vielsagenden Blick auf seinen Freund, und sagte dann nach einer langen Pause: »Ich kann Dir Deinen Vater nicht herschaffen, das sieht jedes Kind ein.«
Robert lachte laut auf: »O da hast Du Recht – vergieb! Erzähle mir, wie Du auf den Einfall kommst, hierher Dich auf den Weg zu machen, und [296] wie es sich fügte, daß ich, wie ich auf dem Gipfel unserer Barrikade mich umwende, um die Pistole, die mir mein Nebenmann reichte, in Empfang zu nehmen, Dich plötzlich in meiner Nähe finde.«
»Mein Junge, das ging ganz einfach zu. Du besinnst Dich doch, daß Mademoiselle Adeline, weil sie es mit ihrem Braven gar nicht mehr aushalten konnte, sich entschloß, einem Attaché bei einem Departement der Regierung ihre Person anzuvertrauen. Dieses Departement stürzte sammt der Regierung und der Attaché stürzte mit seinem Departement, und Mademoiselle Adeline stürzte mit dem Attaché. Die Revolution brach aus, wir hatten Republik. Die Republik malte mit Farben, die sie sich selbst besorgte, sie brauchte unsere Paletten nicht. Ich entschloß mich auszuwandern, und beredete Mademoiselle Adeline mit mir zu gehen. Sie machte Einiges zu Gelde, was ihr der Algierer noch übrig gelassen, und wir langten in Straßburg an, als die Nachricht eintraf, auch in Deutschland ginge es los. Was zu thun? Adeline blieb in Straßburg zurück, wo sie einen Attaché fand, der von seinem Departement noch nicht verlassen worden war, und ich – schloß mich einem kühnen Freischaarenzuge an, der sich gleichsam unter meinen Augen bildete. Wir bewaffneten uns; ich [297] erhielt einen wunderbaren alten Säbel, der durch keine Gewalt der Erde aus seiner Scheide herauszulösen war. Es war ein Symbol des Friedens, wie man's sich nur denken konnte. Mein Gefährte nahm sich eine Donnerbüchse, mit einem Schlosse aus den Zeiten Georg von Frundsbergs. Die Donnerbüchse und mein Pallasch verstanden sich vortrefflich mit einander, sie hatten sich das Wort gegeben, keine ihrer Pflichten zu erfüllen, und für die Welt so unschädlich zu sein, wie ein Zuckerhut und eine Nadelbüchse. Nach einer Weile müßigen Umherziehens fand ich Gelegenheit, mit guter Art das republikanische Heer, das sich zur Aufgabe gesetzt hatte, ganz Deutschland unter die phrygische Mütze zu bringen, zu verlassen, und mir selbst überlassen weiter zu wandern. Doch halt! ich hab' vergessen Dir mitzutheilen, daß Dein Adoptivvater mir ebenfalls ein Schreiben mitgab, und daß dieses Schreiben nach Berlin lautete. Dieser ehrwürdige Herr, der sich in den Kopf gesetzt hat, die ganze Menschheit nach und nach in einen einzigen großen Taubenschlag zu sperren, war so gütig, auch auf meine bescheidene Persönlichkeit sein Augenmerk zu richten. Ich bin ihm Dank schuldig, denn hab' ich gleichwohl seinen Brief verloren, so hab' ich doch durch ihn mich veranlaßt [298] gefunden, hierher zu kommen, wo ich Dich fand.«
»Aber wie fandest Du mich?« fragte Robert.
»Das ist bald gesagt,« entgegnete der Künstler. »Als ich in die Stadt einwanderte, schoß man gerade ganz lustig mit Kartätschen. Einen Andern hätte es erschreckt, mich freute es. Ich erkundigte mich am Thor nach einem Gasthofe. Ein junger Laffe machte sich an mich heran und sagte: ich will Sie führen, dahin wo man jetzt am besten wohnt. Was meinst Du, wo dieses wilde Teufelchen mich hinbrachte? Mitten in den Kugelregen und auf eine vom Dampf umhüllte Barrikade zeigend, rief er: Herr, wenn Sie kein Schuft sind, so helfen Sie uns unsere Arbeit machen. Dort ist Ihr Gasthof – und Ihr Kellner bin ich. Hier präsentire ich Ihnen eine Cigarre, die ich eben angeraucht. Und damit gab mir das Bürschchen einen ganz guten Doppellauf, aus dem er einen Schuß schon ausgegeben. Jetzt bemerkte ich auch, daß er stark hinkte, und nicht recht vorwärts konnte.
›Herr, wer sind Sie?‹ fragte ich.
›Ich male Stillleben‹ – entgegnete er – ›Butterschnitte, Käse – holländische Häringe in Zeitungsblätter gewickelt.‹ –
›Also ein Künstler.‹ –
›Zu dienen.‹
[299] Wir schüttelten uns die Hände. Ich nannte ihm in der Eile mein Fach. Er entgegnete: Hier ist keine Zeit zu verlieren. Wir sind beide Künstler – die Kunst will Freiheit – die Freiheit soll eben erobert werden – also, bitte – machen Sie, daß Sie fortkommen. Und so trieb er mich vor sich hin. Ich stürzte in den Kampf, und habe meine Sache ganz leidlich gut gemacht; bis auf den Augenblick, wo ich Dich stürzen sah, armer Junge. Da konnte ich nicht weiter, ich nahm Dich auf den Rücken und fort ging es, hierher zu Vater Gerhard, der uns sein Haus öffnete.«
Robert neigte bejahend das Haupt.
»Nun weißt Du Alles,« schloß Gabriel seine Erzählung. »Ich möchte nun auch gern Etwas von Dir erfahren.«
»Was läßt sich da sagen,« – seufzte der bleiche Jüngling, indem er den Blick senkte.
»Was sich sagen läßt? So manches: zum Beispiel wer die junge Dame ist, die seit Wochen fast täglich kommt, um sich nach Deinem Befinden zu erkundigen.«
»Ach« – sagte Robert – »dieser Engel heißt – Fräulein Neuwardt. In dem Hause ihres Vaters ward ich wie ein Sohn aufgenommen. Aber [300] glaube nicht, daß sie mich liebt – sie liebt einen Unwürdigen, der sie verräth, so wie er uns Alle verräth.«
»Nenne mir diesen Mann.«
»Er heißt Weld. Ich habe ihn anfangs fast angebetet, weil ich ihn für einen wahren Menschheitsbeglücker hielt, für das Muster eines Mannes, wie ihn mir die Schriften unserer großen Meister schildern – für einen Apostel, für einen zweiten Vater Cabet.« –
»Aber nun –«
»Aber nun entdeckte ich, daß er mit der Freiheit, mit dem Volke ein freches Spiel treibt, und immer getrieben hat, daß er eine jener verfluchten Seelen ist, die dem scheußlichsten Wucher, dem Wucher mit den Hoffnungen der Menschheit verfallen ist. Dieser Mensch regiert jetzt die niedern Volksmassen, reizt sie zu Plünderung und Mord an, und verschleudert, was wir mit unserm Blut gewonnen. Wir erscheinen als die gefoppten Thoren dieses Gauners. Das ist's, was wie glühend Blei mir ins Gehirn tropft, wenn ich diesem Gedanken mich überlasse.«
»Armer Robert! Ja, so geht's, wenn man die Dinge in der Welt ernsthaft nimmt. Wärest Du in [301] den Kampf gezogen, wie ich! – Nun, und was denn weiter mit dem Manne?«
»Nun, nicht allein daß er den rechtschaffenen Patrioten, den edeln Neuwardt betrogen hat, wie er mich betrog, er hat sich auch in das Herz seines einzigen Kindes gestohlen, und nennt das Mädchen seine Verlobte, während er hier im Hause der Tochter unsers ehrlichen Wirths nachstellt; nachdem er vergeblich versucht hat, den Vater zu bewegen, mit an dem Kampfe in jenen Tagen Theil zu nehmen. Und an einen Solchen knüpfen jetzt Tausende ihre Hoffnungen für eine bessere Zukunft.«
Gabriel sah seinen Freund lächelnd an, und fragte dann lebhaft: »Meinst Du, daß es in Paris besser sei? Gieb Acht, der edle Lamartine wird fallen, und der Gaukler Louis Blanc wird siegen. Aber deßhalb glaube nicht, daß die gute Sache verrathen ist, weil Die nichts taugen, die sie für einen Augenblick tragen. Wir werden bekommen, was uns zukommt; gleichviel, ob ein Unwürdiger, wie Dein Weld, oder ein Engel der Träger ist des neuen Fruchtkorbes, gefüllt für den trocken gewordenen, lechzenden Gaumen der armen Menschheit. Das ist so meine Philosophie.«
»Aber ich – ich möchte den Korb tragen!« rief [302] der Jüngling begeistert – » ich möchte es sein, der seine duftende Fülle meinen armen Brüdern vorschüttet.«
»Ei, wie eitel! Ist's nicht genug, wenn überhaupt der Korb ihnen ausgeschüttet wird! Ich glaub's! – ich möchte auch die Madonna von St. Sixt gemalt haben! – mittlerweile bin ich denn doch zufrieden, eine nicht ganz schlechte Susanne im Bade gemalt zu haben.«
Die Erinnerung an das Bild seines Freundes lenkte Robert's schwermüthigen Gedankengang etwas in eine mehr heitere Richtung. Sie sprachen jetzt von ihrem früheren Zusammenleben in Paris und von ihren Wanderungen in der Umgegend.
Gabriel hegte die Ueberzeugung, daß diesmal sein Freund mit Aufmerksamkeit zugehört und vollkommen begriffen habe, was er ihm mitgetheilt, denn das Auge Robert's hatte wieder seine ihm eigenthümliche Klarheit erlangt, die Züge, die Spannkraft und das Leben, das ihnen in guten Tagen eigen war. In der That befand sich der Kranke entschieden auf dem Wege der Genesung. Einige Tage später durften beide Freunde schon einen kleinen Ausflug in's Freie machen, bei welcher Gelegenheit der Tischler, ihr Wirth, sie begleitete. Sie fanden, als sie sich etwas [303] von ihrem Wirthe getrennt hatten und jetzt wieder zu ihm zurückkehrten, ihn in einem Gespräch mit einem fremden alten Herrn in Uniformüberrock, begriffen. Der Gegenstand der Fragen des Fremden schienen unsere Freunde zu sein, auf die Antwort jedoch, die der Tischler ertheilte, wandte sich Jener rasch um, und ohne einen Blick weiter auf die beiden jungen Männer zu richten, die jetzt langsam herankamen, entfernte er sich rasch, indem er dabei mit dem Stocke, den er in der Rechten hielt, seltsame Zeichen in die Luft machte.
»Wer war dieser Mann?« fragte Gabriel; »er hatte einen so schönen Kopf.«
»Schön?« wiederholte der Handwerker – »Sie wollen wohl sagen: ehrwürdig.«
»Nun, wie Ihr wollt, Freund. Bei uns Malern ist der Apostel Petrus auch ein schöner Mann, obgleich wir ihn oft als einen Kahlkopf darstellen. Es kommt uns nicht auf die Jahre an. Nun, wer war der Mann?«
»Ein Obrist außer Dienst, der in der Nähe wohnt und mir die Ehre anthut, mich manchesmal zu besuchen. Er fragte mich, wer Ihr wäret, und besonders schienen Sie, Herr Phare, seine Aufmerksamkeit zu erregen; wahrscheinlich weil Sie den Arm [304] in der Binde tragen. Ich sagte ihm, daß Sie am achtzehnten März Ihre Wunde bekommen hätten, da wandte er sich rasch ab und ging fort, zum erstenmale ohne mir die Hand zu drücken und mir Lebewohl zu sagen.«
»Siehst Du« – rief der Künstler, »wir sind ihm fatale Personnagen; Bilder aus einer Schule, die er nicht leiden mag.«
»Es thut mir leid,« sagte Robert niedergeschlagen, »ich hätte gern mit ihm sprechen mögen; sein Auge traf mich mit einem so eigenthümlichen Blick voll Güte und Ernste«
»Nun, laß es gut sein – da geht er ja noch. Wir holen ihn ein, wenn wir etwas rasch gehen.«
»Laß uns den Versuch machen« – rief Robert lebhaft. – Beide gingen nun in schnellen Schritten dem Obristen nach. Doch dieser, sich umblickend, gewahrte kaum die Absicht der beiden Freunde, als er plötzlich die Richtung seines Weges veränderte und in das Dickicht einbog. »Er will uns nicht sprechen« – sagte Robert stillstehend – »wollen wir von unserem Vorhaben abstehen?« Er wandte sich traurig und unentschlossen um.
»Was ist Dir nur?« fragte der Freund. »Du thust, als wenn diese alte Staffage ein wunderschö [305]nes Mädchen wäre, das zu ereilen man sich die hundert Füße eines Kellerwurms wünscht.«
»Es ist nur,« sagte Robert dumpf, »weil er uns geflissentlich meidet, und das dazu wegen der Zeichen des Kampfes, die wir an uns tragen. Ach, Gabriel, dieser Arm, wenn er jemals wirklich sollte gelähmt bleiben, wird mir kein freudiges, stolzes Gefühl im Alter erregen. Ich sehe es immer mehr und mehr ein, es war kein ehrenwerther Kampf, kein Kampf, bei dem es Einen freut, gesiegt zu haben. Im Gegentheil, schon jetzt, und wie viel mehr später, erfaßt mich und Alle, die mit mir ehrlich sich der Sache angeschlossen, die Beschämung und die Demüthigung, daß wir einsehen, wie wir nur hineingehetzt worden sind, wie auch nur ein Moment ruhiger Ueberlegung uns hätte sagen müssen, daß hier gar kein Grund war sich zu widersetzen. Wir wollten, sagten wir, unsere Freiheit erringen – aber Niemand machte sie uns streitig. Unser König verbürgte sich mit seinem Worte, daß wir erhalten sollten, was wir verlangten. Wozu also Kampf? Niemand von uns kann auf diese Frage antworten. Wir haben ganz unnütz und sinnlos dem Gesetz und der Ordnung getrotzt. Ja wenn wir noch dazu angegriffen worden wären, alsdann wäre doch ein Sinn [306] in der ganzen Sache gewesen, wir hätten uns vertheidigen müssen, allein wir griffen an, wir beleidigten und insultirten, wir verbauten unsere Straßen – und nachher, da man unsern provocirten Kampf annimmt, schrieen wir, daß man uns mordet. Es ist so viel kindische Thorheit, so viel unwürdiges Spiel mit den wahrhaft großen Ideen, die unsere Zeit giebt, in diesem mit so widrigem Lobgehudel überschütteten Straßenkampf, daß ich fest entschlossen bin, wenn man mich mal fragt, bei welcher Gelegenheit ich zu meinem lahmen Arme und zu meiner Kopfwunde gekommen bin, ich lügen werde und sagen: bei einem Duell.«
Der Maler antwortete hierauf nichts. Seine Gedanken waren mit den weißen Haaren, der gebogenen Nase und den buschigen Augenbrauen des Obristen beschäftigt, und er beschäftigte sich ernstlich mit der Untersuchung, ob ein solcher Kopf sich besser auf einem grünlich-braunen, oder einem bläulich-gelben Hintergrunde ausnehmen werde.
In der Wohnung ihres Wirthes wieder angelangt, fanden sie Herrn Neuwardt mit seiner Tochter ihrer wartend. Vater und Tochter machten den Freunden Vorwürfe, daß sie nicht in Neuwardt's Hause ihren Verbleib genommen. Robert dankte und [307] führte an, daß er sich vortrefflich bei Vater Gerhard befinde. »Wir müssen auch das Haus bewachen,« setzte Gabriel hinzu, »wenn unser guter Alter seinen Kuhfuß (Flinte) nimmt und auf die Wache zieht.«
Neuwardt nahm den ehrlichen Handwerker bei Seite und sagte zu ihm: »Sie theilten mir neulich mit, Herr Gerhard, daß Sie den Obristen von Rechow öfters sähen.«
»In der That, Herr Neuwardt, so ist's. Er war noch heute bei mir.«
»So thun Sie mir wohl den Gefallen,« hob der Gutsbesitzer wieder an, »ihm diesen Brief einzuhändigen, wenn er wieder sich hier einstellt, und ihm zugleich zu sagen, daß der Ueberbringer dieses Schreibens zu jeder Stunde bereit ist, ihm über Dinge, die er etwa zu wissen verlangte, Auskunft zu geben. Hören Sie – vergessen Sie mir das Letztere besonders nicht. Die Sache ist von Wichtigkeit. Ich habe vergeblich Versuche gemacht, den alten seltsamen Herrn, der sich eigensinnig vor aller Welt verschließt, aufzusuchen; so muß ich denn ihn am dritten Orte zu sprechen Gelegenheit nehmen.«
Gerhard versprach diesen Auftrag gewissenhaft [308] auszurichten, und Vater und Tochter empfahlen sich. Robert, in der düstern, fast verzweifelnden Stimmung, in der er sich befand, hatte nicht den Muth dem hübschen, liebevollen Mädchen, das heute gütiger wie sonst gegen ihn war, eine vertrauliche Mittheilung seines Kummers zu machen.