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13.
Das aristokratische Haus.


Eine Droschke fuhr eilig über die Waisenhausbrücke in Potsdam und lenkte der Kirche vorbei, dem Gasthause »zum Einsiedler« zu; von dort aus bog sie in eine Seitenstraße.

In der Droschke saß die Flottendame.

Es war schon Dreiviertel auf Ein Uhr, und um Ein Uhr fand das Frühstück statt, zu dem sie eingeladen. Der alte Graf wartete nicht gern mit dem ersten Gläschen Madera. Die Flottendame war auch hungrig und liebte auch Madera, aber sie dachte jetzt an etwas Anderes; sie war glücklich, denn sie hatte funfzehn Loose zu einer Armenlotterie abgesetzt, zehn Karten für eine Sammlung Waffen indischer Häuptlinge, die zu wohlthätigen Zwecken gezeigt wurde, drei Subscribenten gesammelt für ein Album zum Besten Abgebrannter, und sieben und eine zweifelhafte achte Unterschrift [168] erhalten zu einem Concert, das berechnet war, einen armen Hausvater mit siebenzehn Unmündigen wieder auf die Beine zu bringen. Außerdem hatte sie einen alten Spitzenschleier verkauft, sechs silberne Serviettenringe und einen Untersatz mit silberner Einfassung zu einer Suppenschüssel, und einen alten vergoldeten Kammerherrnschlüssel als Sammlung für die Flotte erhalten. Alles dieses an einem Vormittage.

Bei solchen Umständen litt die Flottendame dann gern Hunger.

Und nun eilte sie einem ungeheuer reichen Hause entgegen – wie konnte dieser Tag noch enden!

Mittlerweile beabsichtigte sie, den Kutscher der Droschke patriotisch zu bearbeiten, daß diese rohe Natur sich bewogen fühlte, im Interesse der deutschen Flotte auf die fünf Silbergroschen zu verzichten, die ihm dafür zukamen, daß er die Flottendame zum Orte ihres diesmaligen Mittagessens führte.

Sie setzte sich so nah als möglich dem vordern Platz in der Droschke, und indem sie vorsichtig die Falten ihres schon zweimal gewendeten seidenen Kleides zusammenfaßte, lag sie in graziöser Stellung zum Kutscher gebeugt und flüsterte: »War Er schon jemals zur See, mein Freund?«

»In Weißensee? Ne.«

[169] »Nicht in Weißensee. Ich frage, ob Er jemals auf dem großen, offenen Meere gesegelt hat?«

»Ick gloob, man kann auf dem Meer mit keener Droschke fahren.«

»Allerdings nicht, mein Freund!« – Die Flottendame mußte über diese Kindlichkeit lächeln. Sie öffnete ein kleines Etui und nahm ein Pfeffermünzkügelchen in den Mund. »Da hat Er Recht, mein Freund – man fährt auf dem Meere mit Schiffen! mit prächtigen, großen Schiffen. Ein solches will unser König nun bauen.«

Der Kutscher nickte mit dem Kopfe zum Zeichen, daß er mit diesem Plane des Königs vollkommen einverstanden sei und seinerseits nichts dagegen habe. Die Flottendame aber wünschte mehr. Sie warf ihm einen feurigen Blick zu und sagte, indem sie in ihre Stellung etwas so Weiches, Schwankendes legte, als läge sie bereits am Bord eines Schiffes. »Man sammelt jetzt im ganzen Lande für dieses Schiff, und Er wird gut thun, mein Freund, wenn Er auch etwas dafür giebt. Was meint Er, Lieber, wenn ich für Ihn fünf Silbergroschen in den allgemeinen Schatz lege?«

»Fünf Silbergroschen will Madamken für mich bezahlen? – 's ist gut! Kann geschehen!«

[170] »Großmüthiger Mann! Ja, ich wußte wohl, daß ich keine Fehlbitte thun würde. Man muß nur auf die rechte Weise zum Volke sprechen.«

Die Droschke hielt und die Flottendame wollte entschlüpfen, ohne bezahlt zu haben; eine derbe Faust packte in die Falten ihres Kleides und brachte den morschen Stoff einer gefährlichen Krisis nahe. »Wat ist dat? Mein Geld! Madamken.«

»Mann! denkt an Eure eigenen Worte vorhin.«

Die Hand hielt noch immer das Kleid, so daß die Dame, die schon die Droschke verlassen hatte, in einer nicht ganz passenden Attitüde, hochgeschürzt auf der Straße stand. Der Kutscher ließ das Gewand los, bemächtigte sich des Sonnenschirmes, der noch im Wagen lag, und rief: »Madamken, wenn Sie ausreißen will, so behalte ick dat. Ne, so war es nich gemeent!« – –

Der Streit durfte nicht weiter ausgedehnt werden; die Gesellschaft wartete muthmaßlich. Die Flottendame gab also dieses Project auf und zahlte nicht ohne lebhaften Verdruß die geforderten funf Silbergroschen, welche auf diese Weise der Flotte entgingen.

Das aristokratische Haus bestand in dem alten Grafen Werder-Wendheim, in seiner Tochter, der [171] verwitweten Fürstin Warrwach-Sollns und deren zwei Töchter und einem Sohne, welcher Offizier bei der Garde du Corps war. Außer der Familie war noch ein Justizrath gegenwärtig, ein alter Bekannter des Grafen. Die Familie war unter sich. Der Justizrath und die Flottendame wurden nicht als Fremde gerechnet.

Der junge Mann war in der Uniform seines Regiments; er war eben von der Parade gekommen. Er stand am Fenster und blickte hinab, die Linke auf den Säbel gestützt, den er noch nicht abgethan hatte.

»Der König nahm die Parade ab?« fragte die Fürstin.

»Der Prinz war gegenwärtig,« antwortete der Sohn.

»Sprach der König zu Euch?«

»Der Prinz sprach.«

»Wie lange blieb der König?«

»Der Prinz blieb bis zu Ende. Wir Offiziere hatten die Ehre, in seiner Gesellschaft wegzureiten. Er wandte sich zu mir; er sah mein freudestrahlendes Auge und fragte, was mir Angenehmes begegnet sei. ›Eure königliche Hoheit sind wieder in unserer Mitte,‹ antwortete ich. Die Cameraden nickten mir zu. Der Prinz schwieg.«

[172] »Wird der König heut nach Berlin fahren?« fragte der Justizrath.

»Ich hab' mich nicht darnach erkundigt. Der Prinz bleibt hier.«

Die Fürstin lächelte; der Justizrath empfand einen Schreck über die seltsamen Antworten, die auf die Fragen nie paßten.

Der alte Graf trank seinen Madera. Die jungen Damen saßen noch am Fenster am Stickrahmen. Die Flottendame hatte sich zu ihnen gesetzt. Kleine Tische wurden herangeschoben; die Diener präsentirten die Schüsseln des Frühstücks. Es gab darunter ausgesuchte Delikatessen. Die Fürstin und ihr Vater schoben sich Eine dem Andern einzelne Teller zu, bis der Graf sich in die unergründliche Tiefe eines alten Chesterkäse versenkte, der eine penetrante Atmosphäre, die von seinem ehrwürdigen Alter zeugte, verbreitete. Dahin folgte ihm die Fürstin nicht. Er schwelgte allein. Zwei prächtige Neufundländer Hunde umstanden ihn zu beiden Seiten, und richteten ihre scharfen, aufmerksamen Augen auf die Bewegungen der Hand und des Mundes des Herrn.

So eben war die Nachricht von Cavaignac's Besiegung der Insurrection in Paris eingetroffen, so wie von Radetzky's kühnen Thaten. Der Justizrath [173] begann über diese Nachrichten mit dem Grafen ein Gespräch. Die Fürstin mischte sich ein. Der Sohn am Fenster rief aus:

»Und wir – und wir!«– Er stieß mit dem Säbel so hart auf das Parket des Fußbodens, daß die Krystallgläser auf dem Tische zitterten.

»Alfred!« rief die Fürstin.

Er wandte sich um: »Aber nein! – nein! – ich will nicht ruhig sein, nicht mich geduldig fügen. Himmel! die Schmach brennt mir das Herz morsch. Alle Tage – alle Tage Erinnerungen an diese Höllennacht!«

»So nimm Deinen Abschied, wenn Du es gar nicht mehr aushalten kannst!« sagte die Fürstin. »Wir haben ja noch zum Glück Besitzthum – wer weiß, wie lange wir es haben.«

»Abschied! – Abschied! das ist immer Ihr erstes Wort. Sie verstehen nicht, was ich eigentlich meine. In einem entfernten, abgelegenen Winkel soll ich sitzen und recht deutlich fühlen, daß ich nicht nöthig bin. Das wollen ja diese Niederträchtigen, diese Feinde und Verläumder des Adels; sie wollen, daß wir verstimmt und schmollend uns zurückziehen und ihnen das Feld lassen. Aber ich will ihnen zeigen, daß ich ein Sohn des Landes bin. Preußen ist [174] mein Vaterland – ich sein Kind, sein Sohn! Meine Voreltern haben für seinen Ruhm gefochten, ich habe Rechte auf dieses Land. Wer bestreitet sie mir? Und zwar will ich als Soldat diese Rechte geltend machen.«

Da Alle schwiegen, fuhr er fort, indem ein Zug von Wehmuth sich in seine jugendliche, stolze und dröhnende Stimme mischte. »Und gerade uns diesen Schimpf! Sei es, daß er es nöthig erachtete, die anderen Soldaten aus seiner Nähe zu entfernen – aber uns! Keine Gewalt der Erde hätte ihn vermögen sollen, seine treue Leibgarde, die sich keines Fehls schuldig gemacht hatte, aus seiner Nähe zu verbannen. Und weshalb zu verbannen? Weil eine Rotte Aufrührer es verlangt. Dem schlimmsten Gesindel der Hauptstadt, durch fremde Unruhestifter aufgehetzt, dem müssen wir weichen. O, ich hätte in jener furchtbaren Stunde, als auch wir den Befehl erhielten, uns zu entfernen von unserm Posten, den wir mit Ehren unter drei Regierungen inne gehabt, uns zu entfernen! Und wie entfernen? Wie Diebe in der Nacht mußten wir das königliche Schloß verlassen! – ich hätte weinen mögen wie ein Kind. Mein erster Gedanke war hinaufzustürmen die marmornen Treppen, um ihm meinen Säbel zerbrochen [175] vor die Füße zu schleudern. Da riefen mir aber die Cameraden; ihr mahnendes Wort schlug an mein Ohr, und so zogen wir durch die Nacht dahin – ernst und schweigend, und zum ersten Male das grimmige Feuer unverdienter Schmach auf unsern Häuptern fühlend.«

»Mein Kind!« sagte die Fürstin mit dem gezwungenen Tone der Gleichgültigkeit – »das sind Dinge, die man vergessen muß.«

»Die wir aber nie vergessen werden. Der Soldat hat nur seine Ehre – wer die angreift, wer nicht allein zugiebt, sondern wer sogar befiehlt, daß sie befleckt werde, der hat –«

»Alfred!«

Die Fürstin gab ihrem Sohne einen Wink, der in einem flüchtigen Seitenblick auf den Justizrath und die fremde Dame bestand. Der junge Mann blickte wieder mit einer düstern und verwilderten Miene aus dem Fenster hinaus. Nach einer Weile sagte er, indem er sich zum Lachen zwang: »Und nun diese Schmähungen und Vorwürfe anzuhören! Warum unsere Angehörigen nicht nach Berlin kommen? wird gefragt! Der Adel, heißt es, begiebt sich auf feige Flucht – er betheiligt sich nicht an den Interessen des Volks, er hängt nicht mit diesem zusammen. [176] Ha! an den Interessen dieses Volkes sollen wir uns betheiligen! Daß wir mit dem wahren Volke zusammenhängen, mit ihm eine Masse bilden, das haben die Jahre 1812 bis 1815 gezeigt. Bei dem Aufruf des Königs, zu den Waffen, trat Edelmann und Bauer in eine Linie. Die edelsten Geschlechter suchten eine Ehre darin, mit dem tüchtigen braven Mann aus dem Volke um den Preis der Vaterlandsliebe zu ringen. Das war der preußische Adel! Und diese Plünderer, diese leeren Phrasenmacher – wagen es über den Kern und Gehalt dieses Adels abzusprechen, ihn bei dem Volke zu verläumden. Und Alles das muß man dulden! Ein Soldat – und dulden!«

»Eure Zeit wird kommen« – sagte die Fürstin – »wenn man Eurer nach Außen hin bedürfen wird. Ich denke noch der Zeit, wo kein edles Haus im Lande ohne Trauerflore bestand. Man brachte einer armen Mutter die Leichen ihres Mannes, ihrer Söhne. Damals jubelte das Volk und rief: So sind preußische Edle! Seht, kein Haus hat sich ausgeschlossen; alle, alle haben sie dem Tod Beute geschickt.«

Der Sohn sah seine Mutter an, und jener frühere Zug von Wehmuth machte sich wiederum in seinem ernsten Gesichte Platz. Er rief: »Wenn das [177] wiederkäme! Wenn ein schöner Schlachtentod uns, deren Jugend geknickt ist, deren Herz den Todesstoß gerade von der Hand, die es beschützen sollte, erhalten hat – uns von hinnen nähme! O, ich würde die Erde küssen, sie willig mit meinem Blut tränken, denn sie gäbe mir – das höchste Gut, was ich erstrebe – ein ehrenvolles Soldatengrab.«

Er schwieg stille und alle Andern schwiegen auch. Es wollte kein anderes Gespräch aufkommen. Endlich fragte der alte Graf seine Tochter: »Hast Du sagen lassen, daß wir heute Abend nicht die Ehre haben könnten, im Hofzirkel zu erscheinen?«

»Ich bin selbst zur Gräfin Dönhoff gefahren. Es schien etwas aufzufallen, daß wir zum drittenmal refüsirten.«

»Aber man wird begreifen, daß ein Mann von fast achtzig Jahren –«

»O ja – man begreift,« entgegnete die Fürstin kurz.

Die Töchter kamen und zeigten ihre Stickerei vor. Die Flottendame benutzte die Gelegenheit, wo die Personen in diesem Gemach wieder freier athmeten, um ihr Gesuch anzubringen. Der alte Graf stand auf und sich der Bittstellerin nähernd, nahm er ein schlaues, heimliches Lächeln an und drückte ihr einen [178] Dukaten in die Hand. »Wie oft,« sagte er, »hab' ich in meinem Leben einem schönen Kinde auf diese Weise ein Goldstück zugesteckt.«

Die Flottendame, die ganz Tugend war, fühlte sich empört, daß der Graf sich rücksichtlos seinen lüsternen Erinnerungen überließ, und daß er sogar sie zum Anknüpfungspunkt dieser Erinnerungen brauchte. Indessen nahm sie das Goldstück, und murmelte, daß sie es auf die Liste bringen werde.

»Lassen Sie Ihre Teufelsliste mir aus dem Spiel!« polterte der Graf. »Ich will auf keiner Liste stehen.«

»Aber ich – ich!« rief Alfred, und lös'te eine schwere goldne Kette von seiner Uhr. »Hier diese Goldstücke und diese Kette, mein Fräulein! Bitte – erlauben Sie, daß ich sie Ihnen zu Füßen lege.«

Die Schwestern lächelten und die Flottendame stieß einen Schrei dankbaren Staunens aus. »Seit wann interessirt er sich so sehr für die deutsche Flotte?« fragte der Graf seine Tochter, indem er seitwärts auf den jungen Mann zeigte.

»In der That – ich weiß nicht seit wann. Ich kenne diese Leidenschaft noch nicht.«

»Aber, Mutter, welche Frage! Der Prinz will es. Er sammelt für die Flotte.«

[179] Der Wagen fuhr vor, der die Familie zur Spazierfahrt aufnehmen sollte. Der alte Graf liebte die kleinen Neckereien: er bestand darauf, daß die Flottendame mitfahren solle, und die Flottendame brachte unendlich viel kleine Zierereien und Affectationen mit ins Spiel. Eine der Schwestern nahte sich dem Bruder: »Wo bleibst Du, Alfred? Gehst Du aufs Casino?«

»Nein – nein! Wieder die Gespräche anhören, die Klagen der Cameraden? – ich kann's nicht. Ich will meinen Jägerrock anlegen, und in der Irre umherschweifen.« –

»Und um fünf Uhr Morgens heimkommen wie gestern;« sagte die andere Schwester, »oder gar nicht heimkommen!«

»Seid sicher – ich komme heim! Ihr werdet mich nicht los.«

Die Schwestern gingen – ein paar schlanke Gestalten. Die Eine sah sich noch an der Thür nach dem Zurückgebliebenen um. Als dieser sich allein sah – legte er den Säbel ab, knöpfte die enge Uniform los, und gab die breite, klopfende Brust dem Strom des Windes preis, der zu dem geöffneten Fenster hereinblies. Er dachte an das Bild, das die Mutter ihm entworfen, wie kein edles Haus gewesen, [180] das nicht seine Thüren den Leichen des Vaters, der Söhne geöffnet. »Auch ich werde einst so heimgetragen werden, und dann mögen sie kommen und den Schmutz der Gosse aufgreifen und mich damit bewerfen. Dann werd' ich's nicht mehr fühlen.«

Er warf sich in die Ecke des Sopha's und preßte das Antlitz in beide Hände.


[181]


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