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Die Sirene arbeitete wieder lebhaft.
Der Obrist stand auf den mittleren Stufen seiner Treppe und winkte mit dem Stock, daß man den Fremden, der zu ihm wolle, nicht hinauflassen solle. Catharine, die nicht gut hörte, besonders bei feuchtem Wetter, wie sie behauptete, und es war demnach nie gutes Wetter für sie – fragte laut, was der Herr Obrist eigentlich meine.
Der Obrist stieß einen soldatischen Fluch aus.
Die Glasthür zum Atelier öffnete sich und Fräulein Rosa erschien, hinter ihr das blasse, übelwollende Gesicht Angelica's.
Der Obrist zog sich rasch zurück; allein er verlor bei diesem Rückzug seinen Stock und die Sirene [157] rollte zu den Füßen der Putzmacherin. Keine der Damen rührte den Stock an.
»Mein Himmel, welch ein Lärm!« rief die Putzmacherin. »Was giebt's?«
In diesem Augenblick trat der Besuch ein, der da abgewiesen werden sollte. Es war ein junger Mann von stolzer Haltung und einem edlen, obwohl etwas düstern Gesichte. Vom Obrist sah man nur einen Fuß und den Sporen daran. Er war eine Stufe wieder herabgestiegen, um durch die Oeffnung oberhalb der Thür erstlich über das Schicksal der Sirene, und dann über die Person des Gastes sich Auskunft zu verschaffen. Er erkannte Jemand, dessen Anblick ihn mit Freude erfüllte.
»Wohnt hier der Herr Obrist von Rechow?«
»Zu dienen, mein Herr. Er wohnt allerdings hier.«
Der Obrist war fest entschlossen, nicht eher hervorzutreten, als bis die Glasthür sich geschlossen.
»Ist er zu Hause?«
Die Putzmacherin warf einen Blick auf den Fuß mit dem Sporen. Sie hatte früher vernommen, daß der Obrist nicht wolle zu Hause sein, und es war ihr sehr angenehm, jetzt eine Gelegenheit zu haben, dem »Sonderling« einen Possen zu spielen. Sie [158] hatte die Scene an der Hausthür nicht vergessen, so wie das Geheimhalten der Tochter. Sie rief: »Ja, mein Herr, er ist zu Hause! Dort steht er.«
Mit einem schadenfrohen Gelächter, das tief im Atelier sein Echo fand, schloß sich die Glasthür. Der junge Mann schritt vorwärts. Der Obrist kam ihm entgegen. Catharine bemächtigte sich der Sirene.
»Sehr erfreut, Sie zu sehen, Herr von Hohenheim.«
»Herr Obrist, darf ich die Worte in vollem Ernste nehmen?«
Der Obrist winkte seinem Gaste voraus zu gehen, und der junge Offizier bemächtigte sich des Geländers der kleinen, baufälligen Treppe. Oben angelangt, nahm er den Platz am Fenster ein, und der Obrist setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, doch so, daß er die Aussicht auf das verschleierte Bild seinem Gaste raubte.
»In der That,« hob der Veteran an, »bin ich neugierig zu erfahren, wie Sie den Weg zu der versteckten Klause eines Einsiedlers erfahren haben, mein lieber junger Mann?«
»Soll ich's offen gestehen?«
»Gewiß, ganz offen.«
»Durch Ihr Fräulein Tochter.«
[159] Der Obrist machte eine etwas überraschte Miene, die aber gleich wieder in ein freundliches Lächeln überging. »Sie haben den rechten Wegweiser gefunden,« sagte er. »Dieser Weiser zeigt nicht blos auf meine Thür, sondern auch auf mein« – die Sirene befand sich wieder in seiner Hand und er ließ sie leise an die linke Brustseite antippen.
»Sie übernahm es nur, mich zu Ihrer Thüre zu weisen.«
»Natürlich; denn Sie hatten schon vorher den Weg gefunden, der zu meinem Herzen führt. Geben Sie mir die Hand, Herr Lieutenant. Ihre warmen, patriotischen Aeußerungen an jenem Tage haben mich Ihnen zum Freunde geworben.«
Der junge Offizier erwiederte den Händedruck mit Ehrerbietung und zugleich großer Herzlichkeit. »Jene Aeußerungen waren unvorsichtig, Herr Obrist.«
»Das kann sein; darauf verstehe ich mich nicht: allein sie waren ein Wort zu seiner Zeit ausgesprochen. Ein Wort, das einem alten Manne Erquickung schaffte.«
»So bereue ich nicht, dieses Wort gesprochen zu haben.«
»Ei, das sollen Sie auch nicht. Und noch besser, wissen Sie was? Lassen Sie's drucken. Ich nehme ein Exemplar – ja wahrhaftig, ich nehme eins. Es [160] soll dort in meiner kleinen Bibliothek stehen neben dem Feldzug von 1815 und dem militärischen Wochenblatt.«
Der Offizier sagte mit einigem Zögern: »Es wäre nur für meine Stellung gefährlich.«
»Ah – Sie haben Recht – die Volksschmeichler, die Schmeichler der Tagesbewegung; aber haben Sie keine Sorge: das alte Preußen dringt durch. Wir gehen nicht in Deutschland auf. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf – ich! das Verhältniß ist so: Deutschland ist ein alter, bettelhafter Mann, der eine junge hübsche, reiche Frau heirathen will, um sich wieder auf die Beine zu bringen. Jetzt thut der alte Ehekrüppel, als wenn er Wunder was wäre, er wattirt Brust und Beine, er steckt sich einen Blumenstrauß in's Knopfloch, er staffirt sich mit blondem Lockenhaar und falschen Zähnen aus und ruft: Ha! ich bin der Junge, Reiche und Mächtige – ich thue dem Weibchen eine Ehre an, wenn ich nach ihr freie! Aber das junge blühende hübsche Weib sieht durch all' die Watte und Schminke die hohlen Wangen und die knickenden Beine des Freiers und sagt: Ich danke hübsch; um deine Schulden zu bezahlen, soll ich arm werden, um deine schlechten Säfte zu verbessern, soll ich meine Jugend und meine Kraft hingeben! Ich danke. Und nun ist der alte Freiersmann wüthend [161] und schreit und jammert über die aufgeblasene, impertinente Person, die nicht weiß, was sie will und die in ihr eigen Verderben rennt! Und das Gesindel, das dem alten heruntergekommenen Mann zu der reichen Frau verhelfen will, um dabei seinerseits die Taschen sich zu füllen und zu Ansehn zu gelangen, schreit noch ärger als der alte Mann selbst über die Impertinenz und die Hoffahrt des jungen Weibes; das junge Weib aber bleibt bei ihrem Entschluß und sagt dem alten Herrn: ich will Ihre gute Freundin und Nachbarin bleiben, wie ich's immer gewesen bin, aber Ihr Weib – nein!«
»Glauben Sie, Herr Obrist, daß ich dies jetzt so gerade weg sagen dürfte?«
»In andern Worten – freilich.«
»Das junge Weib kokettirt aber jetzt offenbar mit dem alten Manne.«
»Allerdings, das thut sie.«
»Und giebt dem alten Herrn Zusicherungen.«
»Nein das thut sie nicht. Das widerstreite ich. Sie hat ihrer Ehre noch um keinen Zoll breit vergeben. Noch um keinen Zoll breit. Das Kokettiren freilich ist auch häßlich, und das hätte sie bleiben lassen sollen, allein sie ist eitel und gefallsüchtig.«
»Lassen wir die Metapher fallen« – hob der [162] Offizier nach einer Pause an, »und sprechen wir von der Sache in Ausdrücken, die ihr völlig anpassen. Ich kann, Herr Obrist, meine Ansichten nicht aussprechen, ohne gewisse Versprechungen zu berühren.«
»Was sind diese Versprechungen? Worte! Sie verfliegen im Winde wie Spreu. Die ganze Nation steht auf und ruft: Nein! Man giebt an einem schönen Morgen nicht sein Königreich weg, das hunderte von Jahren aufzubauen gekostet hat. Geben Sie Acht, so lange die Sachen so gehen, daß man ihnen allenfalls ruhig zuschauen kann, so wird alles in langen, schönen Reden und Höflichkeiten auslaufen, aber lassen Sie nur einen Finger sich erheben der unmittelbar an den Nerv tastet, so springt das echte, wahre Preußenvolk wie ein Mann auf. Ich kenne dieses Volk, ich bin dieses Volkes Sohn! Freilich der Sohn des Volkes, das sich hier auf den Straßen herumtreibt, und seine Sprecher und Advokaten hat, bin ich nicht. Will auch für diese Ehre gedankt haben.«
Der Offizier sagte: »Aber geben wir zu, daß die Idee eines großen, einigen, in allen seinen Theilen vollkommen in einander greifenden Deutschlands – schön ist.«
»Wenn sie nur ausführbar wäre! Wenn nur der [163] Haß, der Neid, die Eifersucht nicht wären, die die Stämme von Beginn ihrer Existenz an von einander getrennt haben. Und jetzt will man diese Einigkeit zu Stande bringen, da der Egoismus der Staaten aufs Höchste getrieben ist.«
»Gott sei Dank, daß dem so ist!« rief der junge Offizier, »denn der alles nivellirende Communismus steht uns als gewappneter Feind gegenüber.«
»Das ist's! Darum soll man den Egoismus der Staaten, den ich besser: concentrirte Vaterlandsliebe nenne – ja nicht verbannen. Nur indem wir offen und immer wieder erklären, daß wir Preußen, und nur ausschließlich Preußen sein wollen, indem wir uns an die großen Thaten unserer Geschichte, an den Heldenmuth und die Größe unserer Fürsten eng anklammern, wird es uns gelingen, diesem perfiden und den Grundbau der Gesellschaft zerstörenden Gelüste des Communismus jeden Weg in unseren Staat zu versperren.
Aber nun genug, mein Herr. Ich bin ein alter Mann und verstehe vielleicht den Lauf der Welt nicht mehr; auch kamen Sie wohl nicht her, um mit mir über diese Dinge zu sprechen.«
Der junge Offizier schwieg befangen.
»Führt Sie ein Geschäft zu mir?«
[164] »Ich kam um Ihnen meine Achtung zu bezeigen, doch hätte ich nicht gewagt diesem selbstischen Triebe unbedingt zu folgen; zum Glück für mich kam ein Auftrag des Kriegsministers hinzu.«
»Des Kriegsministers?«
»Er gab mir den Befehl, Sie zu besuchen und Sie – auf die rücksichtsvollste Weise – um Erklärung zu bitten, weshalb Sie die Ihnen zustehende Pension aufgegeben.«
Der Obrist führte die Sirene an den Mund und ließ sie sich unter den Silberhaaren des Schnurrbarts einwühlen. »Hm! weshalb? Nun, sagen Sie dem Minister, daß ich in Wohlhabenheit lebe und des Geldes nicht bedarf.«
Herr von Hohenheim warf einen Blick auf die Umgebungen im Stübchen. Dieser Blick, so flüchtig er war, entging dem Obristen nicht. »Ah,« rief er, »Sie forschen nach, worin diese Wohlhabenheit bestehe? Es sieht hier nicht danach aus. Aber meine Wohlhabenheit besteht in der Gabe, die mir das Geschick verliehen, wenig Wünsche zu haben und leicht zufriedengestellt zu sein.«
»Eine kostbare Gabe.«
»Ja, sie ist sehr kostbar.«
[165] »Nun denn, Seine Excellenz bittet Sie diese Pension wieder anzunehmen.«
»Nicht doch! Was denkt der Minister? bin ich ein Kind, das heute dem widerspricht, was es gestern gesagt hat? Solche Kinder giebt es freilich viele heut zu Tage, allein ich bin keins.«
»Der Minister – hat in seiner schweren Stellung Freunde nöthig. Er kennt Ihre Gesinnung und freut sich deren. Er erinnert sich, daß Sie und er, früher Kriegscameraden gewesen – er erinnert sich, daß Sie ihn Freund und Bruder genannt.«
»O, was das betrifft, ich nenne ihn noch so.«
»Und besuchen ihn nicht?«
»Mein lieber junger Mann, wenn unsre Freunde Minister werden, so thun wir gut daran, uns nicht vorschnell daran zu erinnern, daß sie unsere Freunde waren. Wir könnten auf ein schlechtes Gedächtniß stoßen.«
»Bei einem Manne, wie unser Minister, haben Sie dies gefürchtet?«
»Ich will nicht sagen ja, ich will nicht sagen nein. Kurz und gut wenn er nicht mein Freund gewesen wäre von früherher, so hätte ich ihn vielleicht jetzt aufgesucht.«
»Er sucht Sie auf.«
[166] »Sagen Sie ihm meinen Dank. Theilen Sie ihm mit, wie Sie mich gefunden; daß ich froh und zufrieden lebe, und daß ich nichts bedarf. Es wird ihn freuen, wenn er dies hört – wenn er noch mein Freund ist. Tausende fordern jetzt von ihm Verbesserung ihrer Lage – er hat das schwierigste Ministerium im Staate, denn er hat es mit einer für den Augenblick zurückgesetzten, beleidigten Armee zu thun – es wird ihn freuen, Jemanden zu wissen der nichts von ihm verlangt.«
Der junge Offizier verbeugte sich. »Ich werde diese Antwort überbringen; allein ich fürchte sie wird wenig willkommen sein.«
Der Obrist erhob sich, und dies galt dem Gaste als Zeichen der Trennung. Er schied, nochmals mit einem herzlichen Händedruck verabschiedet.