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Die Nachrichten allgemeiner Natur über die Kunstweise des Praxiteles, die uns das Altertum hinterlassen hat, decken sich im wesentlichen mit den Aussagen seiner Werke selbst. Es heisst, dass er in der Behandlung des Marmors »sich selbst übertroffen« habe; seit wir den olympischen Hermes haben, glauben wir das gern; dass er aber auch die reichen Möglichkeiten der altberühmten Bronzetechnik erkannt und voll ausgenützt habe, zeigen Werke wie der Sauroktonos. Es heisst ferner, dass der Künstler diejenigen unter seinen Marmorwerken am meisten schätzte, die Nikias bemalt hatte. Das stimmt wieder vortrefflich mit den malerischen Tendenzen seines eigenen plastischen Stils überein, die wir am deutlichsten am Hermes erkannt haben. Dass übrigens der grosse, fürstlich reiche Nikias, der Regenerator der attischen Malerei in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, dessen Bedeutung uns noch aus dem Nachhall seiner Kunst in einem ergreifenden Wandgemälde des sog. Hauses der Livia auf dem Palatin deutlich sichtbar wird, dass Nikias sich dazu herbeigelassen hat, die Skulpturen anderer zu bemalen, zeigt (wie richtig betont worden ist), welche enorme Wichtigkeit man in der guten griechischen Zeit der Polychromie in der Plastik beimass; jene Künstler der Gegenwart also, die der modernen Skulptur die (seit dem verhängnisvollen Irrtum der italienischen Renaissance eingebüsste) Vielfarbigkeit zurückzuerobern suchen, lassen die besten klassischen Traditionen wieder aufleben. Es ist ein erlesener Genuss, den griechischen Marmorwerken ihren koloristischen Zauber wenigstens in der Einbildung wieder zu erstatten. Nur freilich müssen wir uns immer gegenwärtig halten, dass jene Farbigkeit keine naturalistischen, sondern dekorativ-abstrakte Wirkungen anstrebte, auch wohl der Gliederung und Verdeutlichung im einzelnen diente.

Auch die illusionistische Seite von Praxiteles' Kunst haben die römischen Kunstschriftsteller erkannt und ihn darum mit Lysipp zusammengestellt. Sie tritt uns in Einzelheiten, z. B. der Chlamys des Hermes, am lebhaftesten entgegen. Desgleichen wurde die Verstärkung des seelischen Elementes bei ihm schon im Altertum konstatiert.

Aus den Sujets seiner Arbeiten Rückschlüsse auf die Individualität des Künstlers zu machen, halten wir nicht für zulässig, obwohl dieses Verfahren heute nicht nur in der kunstgeschichtlichen Behandlung der Renaissance, sondern auch der Antike beliebt ist. Praxiteles machte natürlich alles, was man bei ihm bestellte. Lehrreich ist es dagegen, zu sehen, wie er sich gegebenen Falls mit einem Gegenstand abfand, dessen Darstellung seinem künstlerischen Naturell, wie wir es zu kennen glauben, widerstreben musste. So scheint z. B sein zarter, aufs jugendlich Anmutige, aufs weiblich Schöne gerichteter Sinn dem Heroischen abhold gewesen zu sein; trotzdem hat man neuerdings (und mit Recht, wie mir scheint) den Katalog seiner Werke um eine Heraklesdarstellung (Villa Albani) bereichert. Aber wie hat er den Heros aufgefasst! Nicht als Thatmenschen, voll drängender Energie, förmlich schnaubend vor mutiger Ungeduld gleich einem edlen jungen Ross – wie sein Vorgänger Skopas; nicht als ermüdeten Zweifelnden, die schwere Fleischmasse an die Keule gelehnt – wie später, in einem realistischen Bravourstück, Lysipp; sondern in einer heitern Pause seines mühereichen Erdenlebens zeigt er den Sohn des Zeus, voller Frohsinn, den Becher in der erhobenen Rechten schwenkend, das Löwenfell wie eine fröhliche Schärpe quer über die Brust geknüpft, die Keule lässig schulternd, die Miene glanzerfüllt. So wie ihn Euripides in der »Alkestis« sah, als er den Helden, den Epheubecher in den Händen, myrthenbekränzt, auf den mürrischen Sklaven des Admet einreden lässt: »Erfreue dich und trink und denke, dass nur dein Heute dir gehört, alles andere dem Geschick. Und ehre die süsseste Göttin, die gütige Kypris! Irdisch sind wir und sollen Irdisches denken. Den immer Feierlichen aber und Stirnrunzelnden ist – du darfst mir glauben – ihr Leben kein wahres Leben, sondern ein Unglück.«

Solche Worte werden in der Seele des Praxiteles einen tönenden Widerhall gefunden haben. Mit milden und freundlichen Augen scheint er ins Leben geblickt zu haben, wie bald nach ihm der Dichter Menander, von dem Plutarch sagt: »Seine Dramen sind erfüllt vom Eros wie von einem gemeinsamen Hauch«, Menander, in dessen Leben zwei Hetären eine so grosse Rolle spielen, die »übermütige Thais und die seelenvolle Glykera«. Halten wir aber Praxiteles gegen seinen älteren Zeitgenossen Skopas, so erscheint er neben dem männlicheren, feurigeren Parier wie Raffael neben Michelangelo, wie Mozart neben Beethoven. Die Jugend und die Schönheit herrschen im heiteren Bereich seiner Kunst; und er ehrte die süsseste Göttin, die gütige Kypris, die es ihm, wie allen ihren Lieblingen, mit der ganzen Fülle ihrer ambrosischen Anmut vergalt.

Artemis von Gabii. Marmor. Paris, Louvre

Verzeichnis der im Text besprochenen Werke des Praxiteles.

Athen, Nationalmuseum, Musenrelief von Mantinea.

Berlin, Kgl. Museen, Tanzende Mänade.

Dresden, Kgl. Museum, Einschenkender Satyr. Grosse und kleine Herculanenserin.

Florenz, Uffizien, Apollino.

Olympia, Lokalmuseum, Hermes mit dem Dionysoskind.

Paris, Louvre, Aphrodite von Arles. Artemis von Gabii.

Petworth, Privatbesitz, Aphroditekopf.

Rom, Capitolinisches Museum, Ausruhender Satyr.

Rom, Vatikan, Aphrodite von Knidos. Dionysos. Sauroktonos. Eros von Thespiä.

Rom, Villa Albani, Herakles.

 

Gedruckt zu Wittenberg bei Herrosé & Ziemsen

 


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