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Plinius setzt die Blüte unseres Meisters in die 104. Olympiade, das heisst in das Quadriennium von 364 bis 360. Es gilt die Regel, von diesen Zeitangaben nicht eher abzugehen, als zwingende Gründe es fordern. Bei Praxiteles liegen solche nicht vor; wir dürfen also sein Geburtsjahr in den Anfang des 4. Jahrhunderts setzen.

Praxiteles war ein Athener und hat den grössten Teil seines Lebens in seiner Vaterstadt zugebracht. Die war seit dem schlimmen Ausgang des peloponnesischen Kriegs und dem Zusammenbruch von »des attischen Reiches Herrlichkeit« recht still geworden und hatte sich bescheiden gelernt; und dieses Stille der kleinen Stadt hat die gesamte Kunst des Praxiteles. Verflogen war das grosse politische Pathos, das aus den Bildwerken der Phidiasischen Epoche mit gewaltigen Stimmen sprach; hinter der Athena Parthenos des Phidias stand wirklich ein ganzes gerüstetes Volk, das sich zutraute, die Welt zu erobern. Mit Alkibiades waren diese glänzenden Pläne aus Athen geschwunden, tief gedemütigt ging die Stadt aus dem fast dreissigjährigen Krieg hervor; von den Leidenschaften jenes Krieges zuckt und bebt noch die gesamte Kunst des Skopas. Friede aber ist es geworden in der Kunst des Praxiteles, süsser, langersehnter Friede, wie ihn wundervoll Bakchylides schildert:

Aus dem Schosse des Friedens quillt des Wohlstands
Fülle, sprossen des Liedes duft'ge Blumen,
Auf geschmückten Altären rötlich flackernd
Glühn die Lenden von Stieren und von Lämmern,
Weichbeflaumten, ein Opferbrand den Göttern.
Und die Jugend gedenkt des Flötenschalles,
Denkt des fröhlichen Turnens und des Festzugs;
Doch am Griffe des erzgefügten Schildes
Webt die Spinne des grauen Netzes Maschen,
An dem Eisen des Speers, der Doppelschwerter
Nagt der Rost, es verstummt die Kriegsdrommete,
Nicht mehr bleibt von den Wimpern fern der süsse
Schlaf, der Trost und die Wonne unsrer Herzen,
Überall in den Strassen wogt die Festlust,
Und zum Preise der Knaben lodern Lieder.

Wie eine Illustration zum ersten Verse dieses Gedichts steht die schöne Gruppe der Eirene, der Friedensgöttin mit dem Kinde Plutos (Reichtum) auf dem Arm, im Eingang dieser Epoche (München, Glyptothek). Kephisodot, der Vater des Praxiteles, hat sie geschaffen, und ihre Elemente sind in der Kunst des Sohnes lebendig geblieben; dies mag uns rechtfertigen, wenn wir mit ein paar Worten bei ihr verweilen.

Zwei Seelen wohnen in diesem Kunstwerk, dessen Entstehung in das dritte Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts fällt. Die hoheitvolle Gesamthaltung der Göttin, das Standmotiv, die Gewandbehandlung stammen noch sämtlich von Phidias; in der Innigkeit der Verbindung aber, die zwischen der Göttin und dem Kind hergestellt ist (man hat um ihretwillen von einer antiken Madonna gesprochen) klingt das Seelenvolle des Praxitelischen Stiles an. Als ein reifer Mann hat Kephisodot dieses Werk geschaffen, und der junge Praxiteles hat vielleicht schon daran mitgearbeitet. Wer weiss, vielleicht ist gerade das Neue an der »Eirene« auf Rechnung des Sohnes zu setzen, wie stark haben z. B. auf den alten Giovanni Bellini seine beiden jungen genialen Schüler Giorgione und Tizian gewirkt. Kephisodot selbst ist ja nichts weniger als ein »Neuerer« gewesen; im Gegenteil, sein Gewandstil ist – wie Furtwängler zuerst beobachtet hat – konservativer als der seiner unmittelbaren Vorgänger. Mit um so grösserer Berechtigung werden wir das Element, wodurch sich hier neue kommende Zeiten ankündigen, das Trauliche, Weiche der Stimmung, der Anregung des begabteren Sohnes zuschreiben dürfen.

Auch der Grossvater unseres Meisters war übrigens schon Bildhauer gewesen, und kein unbedeutender, wie es scheint, da Werke von ihm mit solchen seines berühmten Enkels verwechselt werden konnten. Welcher ungeheure Vorteil in dieser Überlieferung der Kunst von Geschlecht zu Geschlecht lag, wie wir sie auch sonst im alten Hellas beobachten können, ist kaum auszudenken. Das Kind wuchs in die Kunst hinein wie in seine Kleider und der Jüngling stand schon dort, wo sein Vater aufgehört hatte, während er bei uns, nach einem weitläufigen theoretischen Bildungsgang, erst auf der Akademie die Anfangsgründe der Technik sich aneignet. Bei uns muss der junge Künstler in den Jahren, da seine Seele am vollsten ist, erst mühsam die Sprache erlernen, in der er sich ausdrücken soll, denn früher hatte er ja keine Zeit, da musste Latein und Mathematik getrieben werden. In Griechenland und in der italienischen und deutschen Renaissance begann der Bub als Farbenreiber und Handlanger bei allen möglichen technischen Verrichtungen; aber wenn er dann als junger Mann etwas zu sagen hatte, konnte er's eben auch. Das »Geistige«, vertraute man, werde sich schon von selbst finden. Es hat sich auch in der Regel gefunden.

Hermes. Marmor. Olympia, Museum

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