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»Phryne wählt den Eros« fährt jene Erzählung fort. Wir wissen, dass sie ihn zugleich mit einem Standbild der Aphrodite und ihrem eigenen Porträt nach Thespiä, ihrer zerstörten Heimatstadt, geweiht hat. Sämtliche drei Statuen giebt unser Denkmälervorrat wieder her.

Bleiben wir zunächst beim Eros. Er war im Altertum hochberühmt, das heisst, er gehörte zu den Werken, die aufs grosse Publikum Eindruck machen. Zweimal schleppte ihn römischer Kunstraub in die ewige Stadt, wo er durch Brand zu Grunde ging. Seinetwegen hatte man ehedem das kleine böotische Thespiä besucht. Die Dichter haben einen Kranz von Epigrammen auf seine Stirn gedrückt; darunter reizende, die den Gedanken variieren: »es ist ja billig, dass Liebende die Liebe (Eros) selbst der Liebe bringen als Geschenk«. »Beugend den stolzen Nacken unter den sanften Sandalen der Phryne, schuf mich Praxiteles mit kriegsgefangenen Händen« beginnt ein anderes, den Eros selbst reden lassend. Nach den Aussagen der Epigramme war übrigens das Original aus Erz, nach Pausanias aus Penteli Marmor. Kunstgeschichtliche Wichtigkeit kommt blos einem dieser Epigramme zu, weil es an der Basis sei es des Originals, sei es einer Kopie des thespischen Eros geschrieben stand, seine Motivbeschreibung also stimmen musste. Es lautet: »Die Liebe, die er durchgemacht, hat Praxiteles hier nachgemacht, dem eigenen Herzen entnahm er das Modell. Zum Lohn für mich gab er der Phryne mich. Den Liebeszauber aber bewirke ich nicht durch den Schuss des Pfeils, sondern durch meinen Blick.«

Die richtige Erklärung dieses Epigrammes durch Benndorf hat es ermöglicht, dieses hochberühmte Bildwerk des Praxiteles in einer Erosbildung wiederzuerkennen, deren beste Wiederholung im Neapler Museo nazionale steht, während eine andere im Vatikan als »genio del Vaticano« seit langem in weiten Kreisen populär ist. Der praxitelische Charakter der Figur ist unverkennbar, und was einem am sichersten von ihr in Erinnerung bleibt, ist jene entzückend momentane Wendung und Neigung des kunstvoll frisierten, reichumlockten Hauptes, ist der Blick, von dem jene Verse sprechen. In der Linken hielt der geflügelte Liebesgott einen mächtigen Bogen aufgestützt, in die vorgestreckte Rechte, der der Blick folgt, möchte ich ihm einen Spiegel geben, worin er seine Frisur betrachtet; so allein erklärt sich die auffallende Bewegung der rechten Hand und das Motiv bekommt die runde Geschlossenheit des »Einschenkenden«. »Er liebt die Spiegel und die blonde Färbung des Haars« heisst es in einem Fragment des Euripides von Eros. Das neue Attribut befreit denn auch die Gestalt von dem unantiken Traumzauber, den man an ihr wie an dem »berühmten« Satyr pries. Die Formensprache des thespischen Eros aber gehört, so weit die wenig guten Kopieen ein Urteil darüber verstatten, der Jugend des Meisters an.

Das nämliche gilt von der Aphrodite jenes thespischen Weihgeschenks, die Furtwängler in der berühmten Göttin von Arles erkannt hat. Sie ist bei der Toilette, so ist die Entblössung des Oberkörpers motiviert. Das Gewand, mit einfachen und grossen Motiven, ist um die Hüften geschlungen, ein Zipfel fällt über den vorgestreckten linken Unterarm. Herrlich wirkt der Gegensatz der nackten zu den bekleideten Partieen, mit Recht ist gesagt worden, der Oberleib der Göttin blühe wie eine Blume aus ihrem Kelche hervor. Der nach der Seite des Standbeins geneigte Kopf, dessen Typus dem der Knidierin eng verwandt ist, betrachtet sich im Spiegel, den die Linke hält, während die (zu ergänzende) erhobene Rechte an der Frisur ordnet. Herb und frühlingshaft wirkt der Zauber dieser Arbeit, verglichen mit dem weicheren, blühenden Reiz der berühmteren Statue von Knidos.

Und Phryne? Das Porträt, das sie nach Thespiä stiftete, zeigte sie natürlich weder halb- noch ganz nackt, wie man wunderlicherweise angenommen hat; was sich für die Göttin ziemte, schickte sich nicht für ihre Dienerin. Ebenso gut hätte es dem Urheber der zeitlich nahestehenden Sophoklesstatue einfallen können, den Dichter nackt darzustellen, oder dem Pythis, die Königin Artemisia auf der Spitze des Mausoleums so zu porträtieren. So wie man die berühmte Frau durch die Strassen von Athen gehen sah, wird sie sich von Praxiteles haben abbilden lassen: würdevoll und »dicht verhüllt«. Dass sie sich so in der Öffentlichkeit zeigte, erzählt Athenäus von Naukratis im 13. Buche seiner Deipnosophisten; sie geizte mit ihrer Schönheit So wird sie auch das vergoldete Bildnis gezeigt haben, das sie später, auf der Höhe ihres Ruhms und Reichtums, nach Delphi stiftete, wo es hoch auf einer Säule, neben den Bildnissen der Könige von Sparta und Makedonien stand. Und es ist von vornherein anzunehmen, dass diese berühmten Darstellungen einer berühmten Frau auf den Gewandstil weiblicher Porträtstatuen lange und stark gewirkt haben.

Junger Satyr als Weinschenk. Dresden: Albertinum

Nun giebt es aber eine oft wiederholte, unleugbar praxitelische weibliche Gewandstatue, die schon im Altertum gerne für Porträtdarstellungen verwendet ward; nicht nur in Rom, sondern schon in Griechenland; auf einem Grab in Andros stand sie z. B. neben Hermes, dem Totenführer. Sie zeigt den Körper dicht verhüllt; das Himation ist über das Hinterhaupt gezogen und so um den Körper geschlungen, dass kaum die Finger der Hände noch hervorschauen. Und bei dem zugehörigen Kopf hat man schon lange an ein Porträt gedacht.

Es handelt sich um die Statuen der sogen. grossen und der kleinen Herkulanenserin, deren praxitelischen Ursprung Amelung in dem oben genannten Buche überzeugend nachgewiesen hat; das Original der kleinen Herkulanenserin rückt er allerdings nur in die Nähe des Praxiteles. Es ist im Gewandstil unruhiger, nicht so reif und abgeklärt wie das andere Werk; desgleichen zeigt der Kopf mädchenhaftere, herbere Züge. Wir dürfen es mit Bestimmtheit in die Jugend des Künstlers und seines Modells setzen und haben also das thespische Porträt der Phryne vor uns. Der ältere, mildere Kopf und die vollkommenere Gewandbehandlung der grossen Herkulanenserin lassen uns das delphische Porträt Phrynes erkennen; die Ähnlichkeit mit dem Kopf der Knidierin ist frappant, nur hätten gewisse porträthafte Einzelheiten, wie z. B. die gebrannte Frisur oder das widerspenstige Löckchen über der Stirn der Göttin schlecht angestanden. (Wie ich nachträglich zu meiner Freude ersehe, hat schon Helbig, in der ersten Auflage seines »Führers«, bei einer vatikanischen Replik der »grossen Herkulanenserin« an Phryne gedacht, ist aber später von dieser Vermutung abgekommen, weil der Kopf »nur eine oberflächliche Verwandtschaft mit der Kunstweise des Praxiteles« zeige; dieser Einwand ist aber durch Amelungs Beobachtungen erledigt.)

Da haben wir nun das Bildnis der grossen Frau vor uns, die Praxiteles und Apelles zu ihren höchsten Kunstschöpfungen begeisterte, der »Prophetin und Priesterin Aphrodites«, die so schön war, dass öffentliche Enthüllungen ihrer Schönheit einen Bestandteil grosser religiöser Feste gebildet zu haben scheinen. Denn als die Hellenen bei den Eleusinien und Poseidonien in Athen zusammenkamen, habe sie, so wird erzählt, vor allem Volke ihr Gewand fallen lassen und die Haare aufgelöst und sei so ins Meer gestiegen. Das bedeutet nichts anderes als eine Darstellung der Aphrodite durch deren Priesterin, wie ja bekanntlich auch Dionysospriester bei feierlichen Umzügen ihren Gott darstellten. Diesen grandiosen Moment, das Steigen ins Meer und das Auftauchen aus dem Meer, haben Praxiteles in seiner Knidierin und Apelles in seiner Anadyomene festgehalten. Im hohen Alter (vielleicht ist ihr wie Ninon die Schönheit treu geblieben) durfte sie sich erbieten, die Mauern des zerstörten Thebens wieder aufzurichten, wenn die Thebaner die Inschrift aufstellten: Von Alexander zerstört, von Phryne der Hetäre wieder aufgebaut! Einen grossen Sinn wird man dieser merkwürdigen Person nicht absprechen dürfen, ebensowenig wie jener Freundin des Perikles Aspasia. Übrigens wissen wir ja längst, was der vornehme und reiche Athener im Umgang mit den Hetären suchte und fand: was ihm der Verkehr mit der Hausfrau nicht bot, die feineren Reize weiblicher Geselligkeit und Konversation, den spezifisch weiblichen Esprit des »Salon«. Der gleiche Gegensatz bestand ja zwischen den Hausfrauen und den grossen Courtisanen des reichgewordenen Venedig, worüber Molmenti zu vergleichen ist.

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