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Zur Vervollständigung des Gesamtbildes von unserem Meister sei noch einer seiner Artemisbildungen, die uns in der sog. Diana von Gabii vorliegt, in aller Kürze gedacht. Ihre Rückführung auf ein Original des Praxiteles begegnet wohl kaum noch einem Zweifel.
Ein junges Mädchen, in leichtem Gange vorwärts schreitend, taucht vor uns auf. Sie hat den Ärmelchiton zweimal gegürtet, einmal dicht unter der Brust, ein zweites Mal knapp über den Hüften, so dass von diesen ein Bausch herunterfällt; so hat die Jägerin ihren Gang kniefrei gemacht. Das liebliche, schlicht frisierte Köpfchen wendet sie zur rechten Schulter, über der sie im Begriff ist, den kurzen Mantel zu befestigen, der in grossen schönen Falten die Mittellinie des Körpers entlang herunter fallt. Es ist, wie Studniczka nachgewiesen hat, die Artemis Brauronia des Praxiteles, die wir hier vor uns haben. Im Heiligtum dieser Göttin auf der Akropolis hatte seit alter Zeit ein archaisches Holzbild gestanden, das eine reiche Garderobe besass: es war heilige Sitte der Athenerinnen, ihm kostbare Gewandstücke zu spenden. In den kleinen Tempel (?) dieser Artemis stifteten nun die Athener im Jahre 346 ein neues Cultbild; es ist dasselbe, das wir vor uns haben. Entzückend ist der Einfall, auf den das Motiv der Darstellung zurückzuführen ist: die Göttin legt, ihren Verehrerinnen huldvoll, eins der schönen neuen Gewandstücke an, mit freundlichem Blick, mit leisem Lächeln scheint sie jenen zu danken.
Die Naivität, die Unschuld dieses Werkes, seine thauige kühle Frische, die dem Charakter der Jagdgöttin so angemessen ist, weisen ihm den Rang unter den glücklichsten Erfindungen des Praxiteles zu, dicht neben der Aphrodite von Knidos und dem ausruhenden Satyr; es sind Konzeptionen, die an das Höchste im Homer hinanreichen.
Konzeptionen, die es rechtfertigen, dass auch wir, die wir in einer künstlerisch wahrlich nicht armen Zeit leben, uns immer wieder mit ganzem Herzen und mit allen Sinnen in das unerschöpfliche purpurne Mysterium der hellenischen Kunst versenken wollen.
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