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Nahte der Fremdling, der auf Knidos gelandet war, um das »schönste Bild der Erde« zu sehen, dem heiligen Haine der Aphrodite, so wehten ihn schon von weitem aphrodisische Düfte an. Er betrat den Garten; da ragten himmelhohe Platanen und Cypressen empor, von zärtlichem Epheu umschlungen, starkduftender Lorbeer und blühende Myrthen würzten die Luft und volle Trauben hingen nieder: »denn lieblicher ist Aphrodite mit Dionysos und ihre Mischung ist süss«. Und ging er in den Tempel ein, so enthüllte sich ihm das Wunder: in der Mitte das Bild der Göttin aus parischem Marmor erhaben und verstohlen lächelnd, nackt, mit der einen Hand unbewusst den Schoss deckend. Der Tempel aber war auch von der entgegengesetzten Seite zugänglich, damit die ganze Schönheit der Göttin bewundert werden konnte. –

Längst ist auf Grund dieser Schilderung (in Lukians Schriftchen »Erotes«, was hier am besten mit »Allerlei Liebe« übersetzt wird) und der Zeichnung Knidischer Münzen die Göttin des Praxiteles unter unseren Kopieen erkannt. Unter den zugänglichen ist die des Vatikans (Sala della croce greca) die beste, nur leider zur Hälfte durch moderne Prüderie den Blicken entzogen, gerade sie, die keuscheste aller nackten Aphroditen. Der Kopf ist falsch aufgesetzt, seine beste Kopie ist in Berliner Privatbesitz.

Nicht die heimlich Badende ist geschildert, wie man immer annimmt; es hätte ja einen lüsternen Zug ins Bild gebracht, wenn der antike Beschauer sich denken durfte, er belausche das, was er eigentlich nicht sehen sollte; sondern die Göttin, die gnädig lächelnd ihre strahlende Schönheit vor den Augen des gesamten andächtigen Volks enthüllt. »Fremd ist ihr die Scham wie einer Göttin.« Die Bewegung der Rechten ist eine unwillkürliche, unwillkürlich schmiegen sich die Oberschenkel leise zusammen; aber mit wie unschuldvollem Ausdruck blicken die grossen glänzenden Augen auf! Sie ist mit Keuschheit wie mit einem Mantel umgeben, nie ist das Lob des vollkommenen weiblichen Körpers mit mehr Reinheit und Schamhaftigkeit der Empfindung verkündet worden, als hier von Praxiteles.

Golden war ihr Haar, das schlicht anliegende, leicht gewellte; die Ohren halb verdeckend, von einem roten Band zweimal durchzogen; purpurrot wahrscheinlich auch das Gewand, das sie auf das mächtige (zur Andeutung des Bades dienende) Gefäss gleiten lässt. So ergiebt sich jener herrliche Farbenzusammenklang einer gold-warmen Fleischfarbe mit einem satten Rot, wie wir ihn aus der »Überredenden Venus« Tizians kennen. Der Kopf mit seinem sanften Umriss, kleinen, ganz leis geöffneten Mund und den sehr zarten Grübchen im Kinn und Hals, mit seiner sprechenden Wendung und Hebung, führt uns das Ideal des praxitelischen Frauenantlitzes in seiner höchsten Vollendung vor. Die Formen des Körpers aber vereinigen, wie schon antike Kenner hervorhoben, Zartheit und Fülle; die breite mächtige Brust und die geringe Taille, sowie die langen Beine bezeugen freilich, dass der griechische Mensch die weibliche Schönheit durch die Optik der männlichen Wohlgestalt, die ihm höher stand, sah. Er meinte den weiblichen Körper zu idealisieren, indem er ihn dem männlichen Akt annäherte.

Die in sanften Wellen fliessende Komposition hat auch hier den süssesten praxitelischen Wohllaut.

Die Aphrodite von Knidos scheint die berühmteste Statue des Altertums gewesen zu sein. Die Dichter begrüssten sie mit ihren Versen, ein König Nikomedes von Bithynien erbot sich, sie den Knidiern gegen Zahlung ihrer ganzen Staatsschuld abzukaufen, die Fremden pilgerten um ihretwillen nach Knidos wie zu einem Wallfahrtsort, man erzählte sich die tollsten Geschichten von Jünglingen, die sich in sie verliebt hatten. Andere berühmte Kunstwerke auf derselben Insel fielen neben ihr der Vergessenheit anheim. Von den reizenden ihr gewidmeten Epigrammen sei wenigstens eines angeführt: »Kythereia kam von Paphos durch die Flut nach Knidos, um ihr eignes Bild zu sehn. Als von allen Seiten sie's genau betrachtet, an dem Ort von allen Seiten sichtbar, rief sie: Wo sah mich Praxiteles nackt?« Darauf antwortet ein andrer Dichter: »Praxiteles sah nicht, was nicht gebührlich, aber sein Meissel schuf sie so, wie Ares die Paphierin gerne möchte«.

Lange stand sie auf Erden und verkündete den Ruhm der goldenen Tage hellenischer Kunst; erst zu Ende des fünften Jahrhunderts nach Christus ist sie in Konstantinopel, wo sie die hundert letzten Jahre im Palaste des Lausos gestanden hatte, bei einer Feuersbrunst zu Grunde gegangen.

Kopf der Aphrodite von Knidos.
Marmor.
Berlin, Privatbesitz

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