Ivan Sergejevich Turgenev
Faust. Erzählung in neun Briefen
Ivan Sergejevich Turgenev

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M., den 22. August

Es sind zehn Tage, daß ich Dir nicht geschrieben habe ... Ach, mein Freund, ich kann es nicht mehr bergen, ich muß Dir sagen, wie schwer mir zumute ist, wie ich sie liebe!... Du kannst Dir denken, mit welchem schmerzlichen Beben ich dieses verhängnisvolle Wort niederschreibe. Ich bin kein Knabe mehr und auch kein Jüngling; ich bin nicht mehr in dem Alter, wo es fast unmöglich ist, andere, und so leicht ist, sich selbst zu täuschen. Ich weiß und sehe alles klar. Ich weiß, daß ich bald ein Vierziger bin, daß Wera eines anderen Frau ist und ihren Mann liebt; ich weiß sehr wohl, daß ich von dem unseligen Gefühl, welches mich ergriffen hat, nichts als heimliche Qualen und ein schließliches Aufzehren meiner Lebenskräfte zu erwarten habe. – Das alles weiß ich und hoffe und verlange nichts; und doch schafft mir diese Ergebung keine Erleichterung.

Schon seit einem Monat bemerkte ich, daß meine Neigung für Wera immer mehr und mehr zunahm, ich war beunruhigt und erfreut zugleich darüber ... Allein konnte ich mir denken, daß ich abermals von einer der Leidenschaften beherrscht würde, die gleich der Jugend verschwinden, ohne wiederzukehren. Doch was sage ich! So habe ich nie geliebt, nein, nie! Manon Lescaut Frétillon war einst mein Idol. Solche Idole sind leicht zerbrochen. Erst jetzt weiß ich, was es heißt: ein Weib lieben. Ich schäme mich fast, so zu sprechen, aber es ist einmal so. Ich schäme mich ...

Die Liebe ist nur Egoismus, und in meinem Alter ist der Egoismus nicht mehr verzeihlich. Mit siebenunddreißig Jahren ist es nicht mehr erlaubt, für sich allein zu leben; da muß man sich nützlich machen, einen Zweck haben, sich einem Beruf widmen, eine Pflicht erfüllen.

Auch ich hatte begonnen, mich ernstlich zu beschäftigen ... Doch meine guten Vorsätze sind verweht wie Spreu im Winde! Jetzt fällt mir ein, was ich Dir in meinem ersten Briefe sagte: ich sprach davon, daß mir ein gewisses Etwas fehle, was ich noch nie empfunden – und wie jählings ist die Versuchung nun über mich gekommen!

Da stehe ich, gedankenlos in die Zukunft starrend: ein dichter Schleier verhüllt sie meinem Auge; mein Herz ist schwer und traurig. Äußerlich suche ich vor anderen und vor mir selbst Ruhe zu bewahren – ich weiß mich wohl zu halten, ich betrage mich nicht wie ein Kind; aber an meiner innersten Seele nagt der Wurm bei Tag und Nacht. Wie soll das enden?

Bisher war ich nur fern von ihr betrübt und unruhig; ihre Nähe genügte, mich zu besänftigen... Jetzt bin ich auch in ihrer Gegenwart nicht ruhig – und das erschreckt mich.

Oh, mein Freund, wie hart es ist, sich seiner Tränen schämen und sie verbergen zu müssen! Der Jugend allein ist es erlaubt zu weinen, ihr allein geziemen die Tränen ...

Ich vermag diesen Brief nicht durchzulesen; er hat sich meinem Herzen wie ein Seufzer entrungen, und ich kann nichts hinzufügen, nichts erzählen... Laß mir nur Zeit! Ich werde mich fassen, wieder zu mir kommen und wie ein Mann zu Dir reden; jetzt aber möchte ich mein Haupt an Deine Brust lehnen und...

O Mephistopheles! Auch Du kannst mir nicht helfen. Ich habe absichtlich innegehalten, absichtlich die ironische Ader in mir gereizt, mich selbst daran gemahnt, wie lächerlich und fad mir alle diese Liebesklagen und Herzensergießungen in einem Jahre oder wohl gar schon in einem halben Jahr erscheinen würden... Doch Mephistopheles ist ohnmächtig, und der Stachel seines Witzes ist stumpf geworden. Leb wohl!

Dein P. B.


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