Iwan Turgenjew
Der Duellant
Iwan Turgenjew

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IX

Mascha kam Kister, als er in den Salon trat, mit einem so heiteren und dankbaren Gesicht entgegen, drückte ihm so freundschaftlich und so fest die Hand, daß sein Herz vor Freude heftig zu schlagen anfing und ihm ein Stein vom Herzen fiel. Mascha sagte ihm übrigens kein Wort und verließ sofort das Zimmer. Ssergej Ssergejewitsch saß auf dem Sofa und legte Patience. Sie kamen ins Gespräch. Ssergej Ssergejewitsch hatte noch nicht Zeit gehabt, die Rede mit gewohnter Geschicklichkeit auf seinen Hund zu bringen, als Mascha schon zurückkam, mit der karierten, seidenen Schärpe, der Lieblingsschärpe Kisters, angetan. Auch Nenila Makarjewna kam ins Zimmer und begrüßte Fjodor Fjodorowitsch sehr freundlich. Beim Mittagessen lachten und scherzten sie alle; selbst Ssergej Ssergejewitsch geriet in Begeisterung und gab einen seiner lustigsten Jugendstreiche zum besten, wobei er, wie der Vogel Strauß, den Kopf vor seiner Frau versteckte.

»Wollen wir etwas spazierengehen, Fjodor Fjodorowitsch«, sagte Mascha zu Kister nach dem Essen mit jener freundlichen Gewalt in der Stimme, die zu wissen scheint, daß man sich ihr mit Freuden fügt. »Ich muß mit Ihnen eine sehr wichtige Sache besprechen«, fügte sie mit graziöser Feierlichkeit hinzu, während sie sich die schwedischen Handschuhe anzog. »Kommst du mit, maman?«

»Nein«, entgegnete Nenila Makarjewna.

»Wir gehen aber nicht in den Garten.«

»Wohin denn?«

»Nach der Langen Wiese, ins Wäldchen.«

»Nimm Tanjuscha mit.«

»Tanjuscha, Tanjuscha!« rief Mascha mit heller Stimme, leichter als ein Vogel aus dem Zimmer hüpfend.

Nach einer Viertelstunde gingen Mascha und Kister in der Richtung zur Langen Wiese. Als sie an der Herde vorbeikamen, fütterte sie ihre Lieblingskuh mit Brot, streichelte ihr den Kopf und zwang auch Kister, dasselbe zu tun. Mascha war lustig und plauderte viel. Kister ging gern auf alles ein, obwohl er mit Ungeduld auf ihre Erklärungen wartete. Tanjuscha folgte ihnen in respektvoller Entfernung und warf ihrem Fräulein ab und zu einen schelmischen Blick zu.

»Sind Sie mir böse, Fjodor Fjodorowitsch?« fragte Mascha.

»Ihnen, Marja Ssergejewna? Warum denn?«

»Vorgestern . . . Sie wissen noch?«

»Sie waren nicht in Stimmung, das ist alles.«

»Warum gehen wir getrennt? Geben Sie mir den Arm. Ja, so . . . Auch Sie waren nicht in Stimmung.«

»Ja, auch ich.«

»Aber heute bin ich in Stimmung, nicht wahr?«

»Ja, heute scheint es so.«

»Und wissen Sie, warum? Weil . . .«, Mascha schüttelte ernst den Kopf. »Ich weiß schon, warum. Weil ich mit Ihnen bin«, fügte sie hinzu, ohne Kister anzusehen.

Kister drückte ihr still die Hand.

»Warum fragen Sie mich nicht?« sagte Mascha leise.

»Wonach?«

»Nun, verstellen Sie sich doch nicht! Nach meinem Brief.«

»Ich wartete . . .«

»Darum ist es mir auch so lustig in Ihrer Gesellschaft«, unterbrach ihn Mascha lebhaft, »weil Sie ein guter und zartfühlender Mensch sind, weil Sie nicht imstande sind . . . parceque vous avez de la délicatesse. Ihnen kann man es sagen: Sie verstehen Französisch.«

Kister verstand wohl Französisch, aber nicht, was ihm Mascha sagen wollte.

»Pflücken Sie mir diese Blume, diese da . . . wie hübsch ist sie!« Mascha bewunderte eine Weile die Blume, befreite dann ihre Hand und begann mit besorgtem Lächeln den biegsamen Stengel vorsichtig ins Knopfloch seines Waffenrocks zu stecken. Ihre feinen Finger berührten beinahe seine Lippen. Er blickte diese Finger und dann sie an. Sie nickte ihm zu, als wollte sie sagen: Ja, Sie dürfen! Kister beugte sich und küßte ihre Fingerspitzen.

Indessen erreichten sie das bekannte Wäldchen. Mascha wurde plötzlich nachdenklicher und verstummte schließlich ganz. Sie kamen an dieselbe Stelle, wo Lutschkow sie erwartet hatte. Das niedergetretene Gras hatte sich noch nicht erholt, das abgebrochene Bäumchen war schon verwelkt und die Blättchen fingen an, sich zusammenzurollen und zu vertrocknen. Mascha sah sich um und wandte sich plötzlich an Kister.

»Wissen Sie, warum ich Sie heute hergeführt habe?«

»Nein, ich weiß es nicht.«

»Sie wissen es nicht? . . . Warum haben Sie mir heute noch nichts von Ihrem Freund, Herrn Lutschkow, gesagt? Sie loben ihn doch immer so.«

Kister schlug die Augen nieder und verstummte.

»Wissen Sie«, brachte Mascha nicht ohne Überwindung heraus, »daß ich mit ihm gestern . . . hier . . . ein Stelldichein hatte?«

»Ich wußte es«, entgegnete Kister dumpf.

»Sie wußten es? . . . Ah! Jetzt verstehe ich, warum Sie vorgestern . . . Herr Lutschkow hatte sich wohl beeilt, mit seinem Sieg zu prahlen.«

Kister wollte ihr etwas entgegnen.

»Sagen Sie nichts, antworten Sie nichts. Ich weiß, er ist Ihr Freund; Sie sind imstande, ihn zu verteidigen. Sie wußten es, Kister, Sie wußten es! Warum hinderten Sie mich nicht, eine solche Dummheit zu begehen? Warum zupften Sie mich nicht wie ein kleines Kind am Ohr? Sie wußten es . . . und es war Ihnen ganz gleich?«

»Aber welches Recht hatte ich . . .«

»Welches Recht? Das Recht des Freundes. Aber auch er ist Ihr Freund . . . Ich muß mich schämen, Kister . . . Er ist Ihr Freund . . . Dieser Mensch benahm sich gestern gegen mich so . . .«

Mascha wandte sich ab. Kisters Augen funkelten; er erbleichte.

»Nun, lassen wir es, seien Sie nicht böse. Hören Sie, Fjodor Fjodorowitsch, seien Sie nicht böse. Alles wendet sich zum besten. Ich freue mich über die gestrige Aussprache . . . ja, über die Aussprache«, fügte Mascha hinzu. »Warum glauben Sie wohl, daß ich die Rede darauf brachte? Um mich über Herrn Lutschkow zu beklagen? Bilden Sie sich das ja nicht ein! Ich habe ihn vergessen. Doch ich stehe vor Ihnen schuldig da, mein guter Freund. Ich möchte mich mit Ihnen aussprechen, Sie um Verzeihung und um Ihren Rat bitten. Sie haben mich an Aufrichtigkeit gewöhnt; wenn ich mit Ihnen bin, ist mir so leicht ums Herz . . . Sie sind doch kein Herr Lutschkow!«

»Lutschkow ist ungeschickt und grob«, brachte Kister mit Anstrengung heraus, »aber . . .«

»Was, aber? Wie, schämen Sie sich nicht, aber zu sagen? Er ist grob und ungeschickt, und böse und eingebildet . . . Hören Sie: und – nicht aber!«

»Sie sprechen unter dem Einfluß Ihres Zornes, Marja Ssergejewna«, sagte Kister traurig.

»Meines Zornes? Was für eines Zornes? Schauen Sie mich an: Sieht man denn so aus, wenn man im Zorne ist? Hören Sie mal«, fuhr Mascha fort, »Sie dürfen von mir denken, was Sie wollen, doch wenn Sie sich einbilden, daß ich mit Ihnen heute aus Rache kokettiere, so . . . so . . .« Tränen traten ihr in die Augen. »So werde ich ernsthaft böse.«

»Seien Sie doch aufrichtig mit mir, Marja Ssergejewna.«

»Oh, Sie dummer Mensch! Wie blind Sie sind! Schauen Sie mich doch nur an: Bin ich denn nicht aufrichtig gegen Sie, können Sie mich nicht ganz durchschauen?«

»Nun, schön. Ja, ich glaube Ihnen«, fuhr Kister lächelnd fort, als er sah, wie besorgt und hartnäckig sie nach seinen Blicken haschte. »Nun, sagen Sie mir doch, was hat Sie bewogen, Lutschkow ein Stelldichein zu gewähren?«

»Was? Das weiß ich selber nicht. Er wollte mit mir unter vier Augen sprechen. Mir schien immer, er habe noch nie Zeit und Gelegenheit gehabt, sich auszusprechen. Nun hat er sich ausgesprochen! Hören Sie: Er ist vielleicht ein ungewöhnlicher Mensch, aber er ist wirklich dumm. Er versteht keine zwei Worte zu sagen. Er ist einfach unhöflich. Ich mache ihm übrigens keine zu großen Vorwürfe . . . Er konnte sich denken, ich sei ein leichtfertiges, verrücktes Ding. Ich hatte ja mit ihm fast niemals gesprochen. Er hat wohl meine Neugier erregt, aber ich glaubte, daß ein Mensch, der es verdient, Ihr Freund zu sein . . .«

»Sprechen Sie, bitte, von ihm nicht als von meinem Freund«, unterbrach sie Kister.

»Nein, nein, ich will Sie nicht entzweien.«

»Ach, mein Gott, ich will Ihnen nicht nur einen Freund opfern, sondern auch . . . Zwischen mir und Herrn Lutschkow ist alles aus!« fügte Kister hastig hinzu.

Mascha blickte ihm durchdringend in die Augen.

»Nun, Gott mit ihm!« sagte sie. »Wollen wir von ihm nicht mehr sprechen. Das soll mir eine Lehre sein. Ich bin selber schuld. Einige Monate hintereinander sah ich fast jeden Tag einen guten, klugen, lustigen, freundlichen Menschen, der . . .« Mascha wurde verlegen und hielt inne. »Der, glaube ich, auch mir . . . gewogen war, und ich Dumme«, fuhr sie schnell fort, »zog ihm einen vor . . . nein, nein, ich zog ihm niemand vor, sondern . . .«

Sie senkte den Kopf und hielt verlegen inne.

Kister erschrak. Es kann nicht sein! sagte er sich.

»Marja Ssergejewna!« begann er endlich.

Mascha hob den Kopf und heftete auf ihn ihre mit den unvergossenen Tränen beschwerten Augen.

»Sie erraten noch immer nicht, wen ich meine?« fragte sie.

Kaum noch atmend, reichte ihr Kister die Hand. Mascha ergriff sie sofort mit Leidenschaft.

»Sie sind wie früher mein Freund, nicht wahr? Warum antworten Sie nicht?«

»Ich bin Ihr Freund, Sie wissen es«, murmelte er.

»Und Sie verurteilen mich nicht? Sie haben mir vergeben? Sie verstehen mich! Sie lachen nicht über ein Mädchen, das heute dem einen ein Stelldichein gewährt und morgen mit einem anderen so spricht, wie ich jetzt zu Ihnen spreche . . . Nicht wahr, Sie lachen doch nicht über mich?« Maschas Gesicht glühte; sie hielt mit beiden Händen Kisters Hand fest.

»Über Sie lachen«, antwortete Kister. »Ich . . . ich . . . ich liebe Sie ja . . . ich liebe Sie!« rief er aus.

Mascha bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

»Wissen Sie es denn nicht schon längst, Marja Ssergejewna, daß ich Sie liebe?«


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