Iwan Turgenjew
Der Duellant
Iwan Turgenjew

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IV

Mascha näherte sich gerade der Salontür, als man den Besuch der Herren Kister und Lutschkow meldete. Sie kehrte sofort in ihr Zimmer zurück, trat vor den Spiegel . . . ihr Herz pochte heftig. Das Dienstmädchen kam, um sie zu den Gästen zu rufen. Mascha trank etwas Wasser, blieb zweimal auf der Treppe stehen und ging endlich hinunter. Herr Perekatow war nicht zu Hause. Nenila Makarjewna thronte auf dem Sofa; Lutschkow saß im Uniformrock, den Federhut auf den Knien, im Sessel; Kister neben ihm. Beim Erscheinen Maschas erhoben sie sich beide von ihren Plätzen – Kister mit dem gewöhnten freundschaftlichen Lächeln, Lutschkow mit einer feierlichen, gezwungenen Miene. Sie begrüßte sie verlegen und ging auf ihre Mutter zu. Die ersten zehn Minuten verliefen glücklich. Mascha hatte sich erholt und fing an, Lutschkow zu beobachten. Er beantwortete die Fragen der Dame des Hauses kurz, doch unruhig; er war scheu, wie alle ehrgeizigen Menschen. Nenila Makarjewna schlug den Gästen vor, in den Garten zu gehen, und begab sich selbst auf den Balkon. Sie hielt es nicht für notwendig, mit einem Strickbeutel in der Hand hinter ihrer Tochter herzuwackeln, wie es viele gesetzte Mütter tun.

Der Spaziergang dauerte recht lange. Mascha sprach meistens mit Kister, wagte aber weder ihn noch Lutschkow anzublicken. Awdej Iwanowitsch wandte sich kein einziges Mal an sie. Die Stimme Kisters klang erregt. Er lachte und schwatzte auffallend viel. Sie kamen zum Fluß. Etwa einen Klafter vom Ufer wuchs eine Wasserlilie, sie schien auf der glatten, mit den breiten, runden Blättern bedeckten Wasserfläche zu ruhen.

»Was für eine schöne Blume!« versetzte Mascha.

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als Lutschkow seinen Pallasch zog, sich mit der einen Hand an den dünnen Zweigen einer Weide festhielt, sich mit dem ganzen Körper über das Wasser beugte und die Blütenkrone abhieb.

»Hier ist es tief, nehmen Sie sich in acht!« rief Mascha erschrocken.

Lutschkow trieb die Blüte mit der Spitze des Pallaschs ans Ufer, ihr dicht vor die Füße. Sie beugte sich, hob die Blume auf und blickte Awdej mit zärtlichem, freudigem Erstaunen an.

»Bravo!« rief Kister.

»Ich kann aber gar nicht schwimmen . . .«, sagte Lutschkow kurz.

Diese Bemerkung mißfiel Mascha. Wozu hat er das gesagt? fragte sie sich.

Lutschkow und Kister blieben bei Herrn Perekatow bis zum Abend.

In der Seele Maschas ging etwas Neues, noch nie Dagewesenes vor; ihr Gesicht zeigte mehr als einmal nachdenkliches Erstaunen. Sie bewegte sich langsamer als sonst, errötete nicht unter den Blicken der Mutter – im Gegenteil, sie schien diese Blicke zu suchen und die Mutter zu befragen.

Im Laufe des ganzen Abends zeigte Lutschkow ihr gegenüber eine eigentümliche, unbeholfene Aufmerksamkeit; doch selbst diese Unbeholfenheit schmeichelte ihrem unschuldigen Ehrgeiz. Und als sie sich beide, mit dem Versprechen, in einigen Tagen wiederzukommen, empfohlen hatten, ging sie leise in ihr Zimmer und blickte lange erstaunt um sich.

Nenila Makarjewna kam zu ihr herein und umarmte und küßte sie wie jeden Abend. Mascha öffnete die Lippen, als wollte sie der Mutter etwas sagen, sagte aber nichts. Sie wollte ihr sogar etwas gestehen, wußte aber selbst nicht was. In ihrer Seele regte sich etwas ganz leise. Auf dem Nachttisch stand in einem Wasserglase die Blüte, die Lutschkow abgeschnitten hatte. Schon im Bette liegend, richtete sich Mascha vorsichtig auf, stützte sich auf einen Ellenbogen, und ihre keuschen Lippen berührten die weißen frischen Blütenblätter . . .

»Nun, was sagst du?« fragte Kister am nächsten Tag seinen Freund. »Haben dir die Perekatows gefallen? Hatte ich recht? Wie? Sag doch was!«

Lutschkow gab keine Antwort.

»Nein, sag doch was!«

»Ich weiß wirklich nicht.«

»Hör doch auf!«

»Diese . . . wie heißt sie noch . . . Maschenjka . . . ist nicht übel.«

»Nun siehst du . . .«, sagte Kister und verstummte.

Nach fünf Tagen machte Lutschkow selbst Kister den Vorschlag, die Perekatows zu besuchen. Allein wäre er nicht zu ihnen gegangen; in Abwesenheit Fjodor Fjodorowitschs hätte er die Unterhaltung führen müssen, was er aber nicht verstand und es nach Möglichkeit mied.

Beim zweiten Besuch der beiden Freunde war Maschenjka viel ungezwungener. Sie war jetzt im geheimen froh, daß sie ihr Mamachen nicht mit einem freiwilligen Geständnis beunruhigt hatte. Awdej übernahm es, vor dem Mittagessen ein junges, noch nicht zugerittenes Pferd zu besteigen; so tolle Sprünge es auch machte, er bändigte es vollkommen. Am Abend kam er ein wenig aus sich heraus, versuchte zu scherzen und zu lachen. Obwohl er sich sehr bald wieder beherrschte, hatte er auf Mascha augenblicklich einen unangenehmen Eindruck gemacht. Sie wußte noch selbst nicht, was für ein Gefühl Lutschkow in ihr weckte, sie schrieb aber alles, was ihr an ihm mißfiel, dem Einfluß von Schicksalsschlägen und Einsamkeit zu.


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