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Die Lüge über die Militarisierung der Arbeit

Martino (der langjährige Führer der Sozialdemokraten und spätere Menschewist, der dann plötzlich 1923 zu den Bolschewisten überging) behauptet bekanntlich, Bürgerkrieg und militärischer Kommunismus seien »Trotzkismus«. Diese Lehre hat jetzt eine weitverbreitete Volkstümlichkeit gewonnen. Die Bildung von Industriearmeen, die Militarisierung der Arbeit und ähnliche Maßregeln, die gerade wie die Nahrungsmittelverteilung unvermeidlich aus den Verhältnissen jener Epoche entstanden, werden von Spießbürgern und Pedanten als Auswirkungen des »Trotzkismus« geschildert. Wie stand Lenin zu diesen Fragen?

In der Organisationsabteilung des siebenten Sowjetkongresses debattierten wir am 8. Dezember 1918 über die Frage des Führertums in den leitenden Zentren. In meiner Rede führte ich aus, daß die Alleinherrschaft des Führertums unsere Industrien erwürgen könnte, daß Zentralisierung kein unbedingter Grundsatz sei und daß in der Praxis lokale Initiative und zentrale Leitung sich harmonisch ergänzen müßten. Lenin betonte dann in seiner Rede sein völliges Einvernehmen mit mir und fügte hinzu:

»Zum Schlusse möchte ich meine unbedingte Zustimmung zu den Ausführungen des Genossen Trotzki erklären, der sagte, es seien hier ganz zu Unrecht Versuche gemacht worden, aus unseren Diskussionen Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitern und Bauern zu machen und mit dieser Frage die Frage der proletarischen Diktatur zu vermengen.«

Es handelte sich übrigens um sehr ausgedehnte Diskussionen, in denen sich Lenin und Trotzki auf der einen Seite, Rykow, Larin, Tomski und andere auf der andern Seite befanden. In diesen Diskussionen hielt sich Genosse Stalin, wie in vielen andern, manöverierend und abwartend hinter der Szene.

Auf der Versammlung des allrussischen Zentralausschusses sagte Lenin am 12. Januar 1920 über den Gegenstand unserer Diskussionen mit Rykow, Tomski und anderen:

»Wer hat nun diesen widerlichen Streit angefangen? Sicherlich nicht Trotzki. In seinen Thesen ist nichts darüber enthalten. Es waren die Genossen Lomow, Rykow und Larin. Sie nehmen alle die höchsten Stellungen ein, sie sind Vorstandsmitglieder des allrussischen Wirtschaftsrates. Unter ihnen befindet sich der Vorsitzende des Rates, der so viele Titel hat, daß ich, wenn ich sie alle aufzählen wollte, fünf Minuten von meiner Zehnminutenrede verlieren würde. Deshalb ist es überflüssig zu sagen, daß er eine große Freundlichkeit und Herablassung und ein unbezweifelbares Interesse in dieser Sitzung gezeigt hat ... Rykow und andere haben sich hier erhoben und einen widerlichen Zank begonnen. Genosse Trotzki stellt neue Probleme zur Debatte, und sie haben daraus eine Abteilungspolemik mit dem siebenten Sowjetkongreß gemacht. Natürlich wissen wir, daß die Genossen Lomow, Rykow und Larin dies nicht direkt in ihrem außerordentlich dummen Artikel zum Ausdruck brachten. Wie schon ein Redner hier gesagt hat: ›Man muß sich nicht in Auseinandersetzungen mit dem siebenten Sowjetkongreß einlassen.‹ Der siebente Sowjetkongreß hat einen Fehler gemacht. Berichtigen Sie diesen Fehler in der Sitzung, und hören Sie mit dem Streite über Zentralisation und Dezentralisation auf. Genosse Rykow sagt, es sei notwendig, über Zentralisation und Dezentralisation zu reden, weil Genosse Trotzki das nicht erfaßt habe. Dieser Mann glaubt, die Leute, die hier sitzen, seien so rückständig, daß sie die erste Zeile von Trotzkis Thesen, ›Wirtschaftsleitung verlangt einen allgemeinen Plan‹, vergessen haben. Könnt ihr denn kein Russisch lesen, ihr hochgestellten Rykow, Lomow und Larin? Wollen wir nicht zu der Zeit zurückgehen, da wir sechzehn Jahre alt waren und anfingen, über Zentralisation und Dezentralisation zu plappern? Ist das die Regierungsarbeit der Vorstandsmitglieder des allrussischen Wirtschaftsrates? Solch ein Unsinn und trauriges Zeug – es ist eine Schmach und Schande, seine Zeit darauf zu verwenden!«

Und weiter sagte Lenin:

»Der Krieg gab uns die Fähigkeit, Disziplin aufs höchste zu steigern und Hunderttausende von Menschen – Genossen – zu vereinigen, die dann starben, um die Sowjetrepublik zu retten. Ohne das wären wir alle zum Teufel gegangen.«

Ich bemerke, daß diese Rede, über die das Lenininstitut verfügt, nicht veröffentlicht wurde, einfach weil sie den jetzigen Parteibetrügern unbequem ist. Die Unterschlagung eines Teiles der geistigen Erbschaft Lenins vor der Partei hängt notwendigerweise mit dem Abweichen von dem leninistischen Kurs zusammen. Die oben zitierte Rede Lenins wird vorgebracht werden, wenn es Zeit ist, Rykow zu entthronen.


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