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Jule hat Urlaub

»Ich bin ein seltener Glücksvogel, Mütterlein, in jeder Woche erlebe ich etwas Neues und Erfreuliches. Eines ist immer schöner als das andere. Soviel Freude kann ein einzelner Mensch gar nicht in sich hinein verarbeiten, und so habe ich in den letzten Tagen schon öfter Schillers Gedicht vom Ring des Polykrates gelesen, in dem es heißt: ›Mir grauet vor der Götter Neide‹!«

»Na, na, Pommerle«, erwiderte Frau Bender lächelnd und strich der Tochter zärtlich über das Blondhaar. »Welch neue Freuden stehen dir wieder bevor?«

Pommerle spreizte die Finger und fing an abzuzählen. »Da kommt zuerst der Gartenbaudirektor Olfert und ladet mich für die Sommerferien ein, eine Fahrt in seinem Auto durch schöne Gegenden mitzumachen. – Zweitens: ich bin glatt zu Ostern versetzt worden, habe sogar ein recht gutes Zeugnis heimgebracht. – Drittens: es wächst in meinem Garten wundervoll, die fünfzig Mark, die mir Väterchen für die Neuanlagen gab, machen sich bezahlt. – Viertens bin ich überhaupt ein Glückspilz – und jetzt, fünftens – ach, Muttichen, kommt eine ganz große Freude. – Hier, sieh mal!« – Bei diesen Worten zog Pommerle einen Brief aus der Tasche.

»Ich weiß schon, Pommerle, der Jule hat an dich geschrieben.«

»Ja, Muttilein, der Jule kommt in wenigen Tagen nach Hirschberg. Er hat acht Tage Urlaub. Oh, das wird eine schöne Zeit sein! Der Jule als schmucker Soldat wird in Hirschberg Aufsehen erregen.«

»Und du freust dich, daß er kommt?«

»Freilich! – Muttilein, ich habe den Jule gar zu gern. Als ich noch ein ganz kleines Mädchen war, habe ich ihn schon liebgehabt. – Weißt du noch, wie er mich durch das ganze Riesengebirge suchte? Ich hatte mich verlaufen, da war der Jule furchtbar traurig. Später war er häufig bei uns. Zu jeder freien Stunde kam er in den Garten, weil Vätilein sein Vormund gewesen ist. Im Auto sind wir zusammen gefahren und in meiner ersten Heimat, in Neuendorf, gewesen. – Muttilein, was wird der Jule anfangen, wenn er Ende September vom Militärdienst entlassen wird?«

»Nun, da er das Tischlerhandwerk erlernte, wird er sich wahrscheinlich bei einem Meister eine Stellung suchen.«

»Hoffentlich bleibt er in Hirschberg. Ich habe den Jule so gern, daß ich ihn immer um mich haben möchte. Wenn er doch erst hier wäre!«

»Was schreibt er dir denn, Pommerle? Wann kommt er?«

Das junge Mädchen las den Brief vor. Der Jule schrieb zwar heute noch nicht ganz richtig, hatte sich aber in den letzten Jahren erheblich gebessert. Außerdem wurde er durch die zweijährige Dienstzeit abgeschliffen und hatte nicht mehr den lässigen, nach vorn übergebeugten Gang. Pommerle glaubte ihn im letzten Herbst, als er auf Besuch gekommen war, kaum wiederzuerkennen, so verändert sah der Jule in der schmucken Uniform aus.

»Ich bin jetzt noch viel strammer und gerader geworden als im Herbst. Ich bin jetzt ein richtiger Soldat. Du wirst staunen, Pommerle, was Du für einen feinen Jule hast. Die Mädchen drehen die Köpfe nach mir um. Aber Du brauchst Dich nicht zu ängstigen, ich habe Dir im Riesengebirge versprochen, daß ich Dir treu bin, und ein Soldat hält sein Wort. Das muß so sein! Jetzt komme ich wieder einmal nach Hirschberg, werde zu allererst zu Dir kommen, wie das für einen Soldat und sein Mädchen das richtige ist. Aber, Du kannst mir glauben, die Mädchen sind sehr hinter mir her, und die Apollonia Rispe kriegt immer ganz glänzende Augen, wenn ich an ihr vorbeimarschiere. Ich möchte manchmal gern den Kopf nach ihr hindrehen. Aber Dienst ist Dienst! Wir müssen geradeaus sehen, immer auf den Kragen des Vordermanns. Dabei möchte man so gerne die Mädchen ansehen. Wenn ich jetzt nach Hirschberg komme, wird es anders sein. Ich bin am Sonnabend gegen Abend in Hirschberg. Zu Meister Reichardt und zu seiner Tochter Sabine gehe ich natürlich auch. Und nun wollte ich fragen, ob ich bei euch wohnen kann, da doch Dein Vater mein Vormund war und ihr oben ein kleines Stübchen habt. Nicht das hübsche Stübchen mit den weißblauen Gardinen, sondern das kleine daneben. Ein strammer Soldat ist dankbar mit allem zufrieden. Sage also Deinen Eltern, daß ich komme und ob ich bei ihnen wohnen darf. Es dankt Euch allen im voraus

Euer Jule.

Ich grüße auch den Herrn Professor und seine Frau. Sie sollen mich wohnen lassen.« –

»Muttilein, der Jule darf doch bei uns wohnen?«

»Wäre es nicht richtiger gewesen, Pommerle, der Jule hätte deswegen bei uns angefragt? Wenn man eine Freundlichkeit erwiesen haben will, muß man darum bitten. – Meinst du das nicht auch?«

»Vielleicht schreibt er noch an dich, Muttilein? Der Jule ist doch so gut, und jetzt versteht er auch, wie er sich zu betragen hat. Das hat er auch beim Militär gelernt.«

Frau Bender war zwar nicht derselben Auffassung wie ihr Töchterlein, doch würde sie den Jule kaum mehr ändern können. Er war ein treuherziger und braver Bursche, nur immer ein wenig täppisch. Trotzdem mußte man ihn liebhaben. So war es selbstverständlich, daß er seine Ferien im Hause des Professors verbrachte.

»Muttilein, glaubst du im Ernst, daß der Jule mich später einmal heiraten will?«

»Der Jule ist gerade dreiundzwanzig Jahre alt geworden, du noch nicht fünfzehn. Ihr seid Jugendfreunde, und das genügt vorläufig.«

»Ja, das meine ich auch, Muttilein. Ich habe den Jule so gern, als wäre er mein Bruder.«

»Das ist richtig, Pommerle!«

Noch zur gleichen Stunde schrieb Pommerle dem Jule einen Brief.

»Wir freuen uns natürlich alle sehr, daß Du kommst, und Du wohnst auch bei uns. Aber wenn einer eine Freundlichkeit annehmen will, muß er vorher anfragen bei jenen, die diese Freundlichkeit vergeben. Schreibe also sehr schnell an meine Mutti und an den Väti einen Brief und frage an, ob Du bei uns wohnen kannst. Schreibe ihnen, Du würdest Dich sehr freuen, wenn Du die Ferien in unserem Hause verleben könntest. Du weißt ja, daß man Dich gerne sieht, Jule, daß wir von kleinauf befreundet sind, und so soll es bleiben. Schreibe also einen recht netten Brief, dann freuen sich die Eltern über Dein gutes Betragen und heißen Dich am Sonnabend mit offenen Armen willkommen. Ich selbst freue mich fürchterlich auf Dich und habe Dir soooo viel zu erzählen.«

Am Freitag kam prompt ein Brief von Jule.

»Mein lieber Vormund und liebe Frau Bender! Hiermit frage ich an, ob der Soldat, ach nein, der Gefreite Julius Kretschmar seinen Urlaub bei euch verleben darf. Ich weiß, daß man mich gerne sieht und daß wir von kleinauf befreundet sind, und so soll es bleiben. Ich schreibe euch diesen netten Brief, denn ihr sollt wissen, daß ich mir beim Militär ein gutes Betragen angewöhnt habe. Ich hoffe, ihr heißt mich am Sonnabend mit offenen Armen willkommen. Ich selbst freue mich fürchterlich, und habe euch sooo viel zu erzählen. Eine Antwort kommt nicht mehr an, ist auch nicht nötig, denn ich komme am Sonnabend.

Der Gefreite Julius Kretschmar.«

»Da steckt doch das Pommerle dahinter«, lachte der Professor. »Ich bin fest davon überzeugt, daß der Jule einen Teil aus Pommerles Brief abgeschrieben hat. – Nun, mir soll er willkommen sein.«

»Hoffentlich drehen die Mädchen nicht gar zu sehr die Köpfe nach ihm um«, lachte Frau Bender.

Am Sonnabend war Pommerle schon zehnmal hinauf in das Fremdenstübchen geeilt, um nachzusehen, ob auch alles für den Jule bereit sei. Auf einer Schüssel lag ein von Pommerle gewundener Kranz aus Vergißmeinnicht. Das sollte eine besondere Aufmerksamkeit für den Gefreiten und Jugendgespielen sein. Blitzsauber sah es in dem Zimmer aus; Jule würde sich hier gewiß sehr wohlfühlen. Er hatte bei Meister Reichardt, während seiner Lehrzeit, viel bescheidener gewohnt und war immer zufrieden gewesen. Von dem Fenster aus konnte er in den Garten auf die gepfropften Bäumchen sehen, und wenn er sich ein wenig hinausbeugte, standen vor ihm die geliebten Berge.

»Der arme Jule«, sagte Pommerle, »in Glogau sieht er nichts vom Riesengebirge; dabei hat er solche Sehnsucht nach den Bergen ... Nun, hier kann er das Gebirge genießen. Wir müssen unbedingt wieder einen Ausflug nach der Schneekoppe machen.«

Am Nachmittag ging Pommerle zur Bahn. Der Vater, der anfangs mitkommen wollte, war durch Besuch aufgehalten worden. So mußte Pommerle allein gehen, um den Gast zu empfangen. Auch jetzt hielt Pommerle ein Sträußchen Vergißmeinnicht in der Hand, um den Jugendgespielen damit zu empfangen.

Der Zug fuhr in die Halle; erregt lief das junge Mädchen auf dem Bahnsteig hin und her. Eine Menge Soldaten stiegen aus den Abteilen, und es dauerte längere Zeit, ehe der Jule kam. Sekundenlang standen sich die beiden wortlos gegenüber, dann schien es, als wolle Pommerle dem hoch aufgeschossenen Soldaten um den Hals fallen. Sie reichte ihm jedoch nur die Vergißmeinnicht und sagte innig:

»Sei herzlich willkommen, lieber Jule, wir freuen uns sehr auf dich. – Oh, du bist ein schmucker Soldat!«

Da richtete sich der Angeredete noch straffer auf. »Das sagen die Mädchen alle. – Pommerle, ich freue mich sehr, daß ich wieder in Hirschberg bin!«

Der Jule trug seinen kleinen Koffer selbst. Pommerle meinte zwar, man könne ihn am Bahnhof abgeben, ein Dienstmann werde ihn abholen, doch Jule wehrte ab.

»Wer bezahlt das?« rief er in seiner schroffen Art. »Meinst du, ich könne soviel Geld unnütz verschleudern? Außerdem trägt ein Soldat seinen Koffer selbst!«

»Aber Julchen, schreie mich doch nicht gleich beim ersten Empfang an, ich meine es doch gut, ich hätte gern das Tragen des Koffers bezahlt.«

»Dann wollen wir umkehren und den Koffer abgeben.«

»Unsinn, Julchen, jetzt gehen wir heim.«

»Ach so, – du hast mich nur zum besten gehabt.«

»Julchen, rede kein dummes Zeug, erzähle mir lieber, wie es dir geht.«

»Ja, – da ist die Apollonia«, er hielt verlegen inne und schaute Pommerle prüfend von der Seite an, »das ist nämlich die Tochter des Tischlermeisters Rispe in Glogau. Es sind nette Leute, Pommerle, – aber – du brauchst dir doch nichts dabei zu denken. Ich bin oft bei Rispes im Hause. – Sind sehr nette Leute. – Man hat doch manchmal Urlaub, dann gehen die Kameraden irgendwo hin und – weil Rispes eben so nette Leute sind, bin ich eben zu Rispes gegangen. Es sind wirklich sehr nette Leute.«

»Das glaube ich schon, Jule, und ich finde es sehr hübsch von dir, daß du nicht ins Lokal gehst, sondern in die Familie Rispe. Da könnt ihr euch über vieles unterhalten, denn es ist doch dein Handwerk.«

»Ja, – es sind wirklich nette Leute.«

»Und die Apollonia gefällt dir ganz besonders?«

»Quatsche keinen Unsinn«, sagte Jule ziemlich unwirsch und wandte sich ein wenig ab. Aber nach längerem Schweigen murmelte er wieder: »Wirklich sehr nette Leute, – kannst es mir glauben.«

Da klopfte Pommerle den Freund derb auf die Schulter: »Jule, es will mir scheinen, als ob du als Gefreiter Feuer gefangen hast. – Jule, Julchen, solltest du dich in Glogau verliebt haben?«

»Ich habe dir die Treue geschworen und halte mein Wort«, klang es grollend zurück.

Da brach Pommerle in fröhliches Lachen aus: »Julchen, darüber können wir später reden!«

Bei Benders angekommen, berichtete Jule schon in der ersten Stunde, daß der Tischlermeister Rispe und dessen Tochter sehr nette Leute wären, und er sich häufig in ihrem Hause aufhalte. Man fragte ihn nach seinen Erlebnissen beim Militär, doch schien es Benders, als sei der Jule diesmal nicht so offen wie bisher. Professor Bender, der seinen Schützling genau kannte, merkte sehr bald, daß hier etwas nicht ganz stimmte, Jule gedrückt war und stillen Kummer im Herzen trug. Um die acht Urlaubslage recht harmonisch zu gestalten, nahm er sich daher vor, den schmucken Gefreiten schon am Abend zu befragen, damit er sich die Last von der Seele rede. Dem Jule würde ganz gewiß zu helfen sein, und dann war er wieder der alte, frohe Geselle.

Pommerle erzählte von Gartenbaudirektor Olfert, von der Tanzstunde, die sie im Herbst besuchen werde, von ihrem Garten und von den vielen kleinen Erlebnissen, die ihr Herz erfüllten. Der Jule gab einsilbige Antworten, und als Pommerle davon sprach, daß sie in den Osterferien diesmal besonders in der Küche tätig gewesen wäre und schon vieles allein kochen könne, tönte von Jules Lippen ein so klägliches Seufzen, daß Pommerle im Erzählen innehielt.

Frau Bender blickte den Gast fragend an: »Sage einmal, lieber Jule, fehlt dir etwas?«

»Nee – –«

»Warum seufzest du so schmerzlich?«

»Mir fehlt gar nichts!«

Da erzählte Pommerle weiter. Doch der Jule verzog sein Gesicht immer schmerzlicher und stieß endlich hervor: »Das lernst du natürlich alles, um mal eine gute Hausfrau zu werden?«

»Aber Jule, jedes Mädchen muß doch kochen lernen!«

»Natürlich muß es«, brummte er, »es will doch geheiratet sein, und wenn man verheiratet ist, will man was Vernünftiges auf dem Tisch haben.« Dann schwieg er, nur ein zweiter langgestreckter Seufzer machte Pommerle das Herz ein wenig schwer.

So nahm das junge Mädchen als erste den Jule zur Seite. »Julchen, sprich, was fehlt dir? Du hast Kummer.«

»Ich habe keinen Kummer, ich bin müde und möchte schlafen gehen. Ich will in den Ferien gut ausschlafen, denn ich habe ein gutes Bett, in dem will ich mich herumwälzen. Das macht Spaß!«

»Dann schlafe dich gründlich aus, Jule. Gehe sogleich hinauf, ich werde den Eltern sagen, daß du müde bist. Besser wäre es, du sagtest ihnen zuvor gute Nacht, wie es sich gehört.«

Der Jule ließ sich von Pommerle ins Wohnzimmer führen, rief ein schroffes: »Gute Nacht!« in den Raum und ging davon.

»Er muß furchtbar müde sein«, versuchte Pommerle des Freundes Verhalten zu entschuldigen. »Morgen ist er ganz gewiß wieder der alte, liebe, freundliche Jule. Am ersten Ferientage ist man immer anders als sonst.«

Professor Bender wußte nun um so sicherer, daß auf dem Jule etwas lastete. Er blieb noch zehn Minuten sitzen, dann stieg er ohne Wissen von Frau und Tochter hinauf, um den Jule aufzusuchen.

Der saß auf der Bettkante und hatte den Kopf mit den kurzgeschnittenen Haaren in beide Hände gestützt. Er schaute auf, als Bender das Zimmer betrat.

»Na, mein Junge«, begann der Professor freundlich, »es ist wohl am besten, ich setze mich neben dich auf die Bettkante, dann sagst du deinem einstigen Vormund, was dich drückt.«

»Was mich drückt? – Gar nichts, Herr Professor!«

»So fängt jede Unterhaltung mit dir an, Jule. – Jetzt sagst du mir noch zwei- bis dreimal ein unfreundliches Wort, und dann fassest du Vertrauen. – Alter Bursche, ich kenne dich viel zu genau, um nicht zu wissen, daß du etwas in dich hineinfrißt, mit dem du allein nicht fertig wirst. – Jule, wir beide sind doch immer gute Freunde gewesen. Also, los!«

»Ich fresse gar nichts in mich hinein, und fertig muß ein Gefreiter mit allem werden!«

»Ganz gewiß, – aber – du hast in deiner Dienstzeit doch öfters auch kennengelernt, daß einer dem anderen beisteht, wenn es für einen zuviel wird. – Also sprich dich aus, Jule, denn du sollst acht schöne Ferientage in unserem Hause verleben. – Zuvor aber erleichtere dein Herz.«

»Ich weiß gar nicht, was Sie von mir wollen, Herr Professor!«

Um Benders Lippen spielte ein gütiges Lächeln. Er kannte den Jule und wußte, daß er jetzt bald reden würde. So wartete er ruhig und klopfte dem Zögernden auf den Rücken. Aber der Jule schwieg noch immer.

Da sagte Bender schließlich: »Jule, ich finde deine Sache gar nicht verwickelt, sie läßt sich sehr einfach lösen, man braucht nur ein wenig Mut dazu.«

Da hob Jule den Kopf und schaute den Professor forschend an. »Ich kann es ihr doch nicht sagen.«

»Natürlich kannst du es ihr sagen!«

»Dann weint sie immerfort, und ich habe ihr das Lebensglück vernichtet.«

Obwohl Bender noch immer nicht genau wußte, was der Jule damit meinte, war ihm bereits klar, daß hier die Liebe eine Rolle spielte.

»Sie ist noch jung, Jule, sie wird sich trösten. Und wenn du meinst, daß du sie nicht mehr leiden kannst – –«

»Ich kann sie aber leiden, ich habe sie schon damals gerngehabt, als ich sie zum ersten Male bei Ihnen sah. Immer sind wir zusammen gewesen, das ist vielleicht dann die große Liebe geworden. – Bei unserer Wanderung durch das Riesengebirge habe ich ihr gesagt, daß sie mal meine Frau wird, und sie hat es mir auch gesagt. – Jetzt lernt sie sogar schon kochen, weil sie sich auf mein Wort verläßt. – Aber – die Apollonia ist wirklich ein sehr nettes Mädchen, und Meister Rispe hat nur die eine Tochter und eine schöne Tischlerei. Da dachte ich, – – aber es geht eben nicht, – weil ich ihr – – sagte, ich werde sie heiraten, und weil ich nicht will, daß sie unglücklich wird.«

»Die Apollonia?«

»Nein – – das Pommerle!«

Professor Bender wandte sich rasch ab. Jetzt hätte er am liebsten gelacht.

»Ich habe dem Pommerle doch immer gesagt, ich werde sie heiraten, und Pommerle verläßt sich auf mein Wort. – Wir haben zusammen in Neuendorf gesessen, – dort habe ich gesagt: ›Ich werde einmal Tischler und heirate dich, wenn ich fertig bin.‹ – In zwei Jahren muß ich mein Wort halten, denn dann ist Pommerle alt genug, um meine Frau zu werden.«

»Und nun ist die Apollonia dazwischengekommen, die dir das Herz stahl, und du weißt nicht mehr, wen du heiraten sollst? – Das vierzehnjährige Pommerle oder die Tochter von dem netten Meister? Wie alt ist denn die Apollonia?«

»Neunzehn Jahre, – sie ist wirklich sehr nett. Ich bin abends sehr oft dort. Der Meister hat eine schöne Tischlerei, er will mich auch anstellen, wenn ich zu Oktober fertig bin.«

»Und dann soll bald Verlobung sein?«

»Ich kann doch nicht!« rief der Jule gequält. »Ich habe es dem Pommerle versprochen, daß ich sie heiraten werde, und ein Gefreiter hält sein gegebenes Wort!«

»Ist das dein ganzer Kummer, Jule?«

»Zwei Mädchen lieben mich, nun weiß ich nicht, wie ich von der einen loskommen soll. – Möchte mal wissen, ob das nicht Kummer genug ist!«

»Na, Jule, wenn das dein ganzes Herzeleid ist, dann kann ich dir helfen. – Pommerle denkt gar nicht ans Heiraten.«

»Oho, sie sagte mir früher, sie wird mich heiraten.«

»Ja, als sie ein Mädchen von zehn Jahren war.«

»Aber ich war viel älter und habe es ihr auch gesagt. – Nun verläßt sie sich darauf und lernt schon kochen!«

»Jule, Pommerle geht noch zwei Jahre zur Schule und will dann Gärtnerin werden. Mein Pommerle hat dich lieb wie ihren Bruder und wird sich sehr freuen, wenn du ein liebes Mädchen findest, das du heiraten möchtest.«

Eigenwillig schüttelte der Jule den Kopf. »Ich sagte ihr, ich werde sie heiraten, nun muß ich sie auch heiraten.«

»Wenn dir nun Pommerle das gegebene Wort zurückgibt, wenn es dich nicht will?«

Jule sprang auf; gekränkter Stolz sprach aus seinen Mienen. »Sie will mich nicht? – Die Mädchen drehen alle die Köpfe nach mir um. – Warum will mich Pommerle nicht? Ich habe drei Zwölfen nacheinander geschossen, bin vor der Kompagnie gelobt worden! – Oh, ihr denkt, der Jule ist dumm! – Der ist noch nie dumm gewesen! – Herr Professor, ich habe Ihnen viele schöne Steine gebracht, und Sie haben darüber geschrieben. – Ich bin außerdem ein guter Soldat, sollten mal sehen, wie ich den Parademarsch mache. – Warum will mich das Pommerle nicht?«

»Weil mein Pommerle mit dir befreundet bleiben möchte.«

»Hat sie gesagt, daß sie mich nicht heiraten will?«

»Das hat Pommerle nicht gesagt, denn wir haben darüber nicht gesprochen. Pommerle braucht mit ihren knapp fünfzehn Jahren noch lange nicht ans Heiraten zu denken.«

»Ich weiß aber, daß sie Verehrer hat, Herr Professor, ich weiß das ganz genau. – Der Student, der im Herbst in Hirschberg war, den würde sie gewiß gerne heiraten, und in die Tanzstunde wird sie auch nur gehen, um Bekanntschaften zu machen. – Warum will sie also mich nicht heiraten?«

»Jule, jetzt bist du wieder genau so töricht wie früher. Ich dachte, du seiest ein kluger Gefreiter?«

Jules Erregung ließ nach. Er fühlte selbst, daß er sich wieder einmal hatte hinreißen lassen. Eigentlich war er viel zu alt, um in den früheren Ton zurückzuverfallen. Aber durch seinen seelischen Kummer war er innerlich zerrissen.

»Am besten ist es«, sagte Bender, »du sprichst dich mit Pommerle einmal gründlich aus. Erzählst ihr von der Apollonia und sagst ihr, daß dir Meister Rispe nach beendeter Dienstzeit eine Stellung anbietet. Das weitere findet sich dann ganz von selbst. Du kannst doch zufrieden sein, wenn Pommerle deine Freundin bleibt, treu wie eine Schwester zu dir hält und du einmal die Apollonia heimführst.«

»Ja, – damit könnte ich wohl zufrieden sein, – aber – ich habe dem Pommerle doch versprochen, daß ich es heiraten werde.«

»Nun gehe erst einmal schlafen und mache dir keine Sorgen. Pommerle wird dir morgen sagen, daß es ihr viel besser gefällt, wenn sie deine Schwester bleiben darf.«

Ein breites Lächeln glitt über Jules Gesicht, dann griff er verschämt in die Brusttasche und holte ein Bild hervor.

»Das ist sie!«

»Ein nettes Mädchen! Wenn es ordentlich und fleißig ist, könnte das die rechte sein.«

»Ich habe sie wirklich sehr gern, Herr Professor, – ich denke immerfort an sie. Wenn ich einmal eine schöne Frau sehe, bilde ich mir ein, es ist meine Appi. Beim Marschieren geht sie in Gedanken an meiner Seite, und wenn ich schieße, denke ich auch an sie. Ich habe sie sehr gern, Herr Professor. Ihnen kann ich es ja sagen. Sie haben ja auch mal die Frau Professor sehr gern gehabt, da werden Sie wissen, wie es einem Manne in solcher Lage zumute ist.«

»Ja, Jule, das weiß ich! – O daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!«

Jules Gesicht strahlte. »Ist das ein Gedicht?«

»Ja, ein schöner Vers.«

»Bitte, sagen Sie ihn noch einmal.«

Bender wiederholte die Zeile. Er mußte sie noch zweimal sagen. Leise wiederholte sie der Jule. »Das ist schön, das sage ich meiner Appi!«

»Wirst du nun morgen wieder froher sein?«

Er seufzte. »Wenn ich nur erst mit dem Pommerle gesprochen hätte! – Wenn es sehr traurig ist, wenn es weint, weiß ich nicht, was ich machen soll.«

»Pommerle wird nicht weinen, lieber Jule! – Und nun gehe schlafen und träume von deiner Appi!«

»Jawohl! – O daß sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe!«


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