Friedrich von der Trenck
Des Freiherrn von der Trenck seltsame Lebensgeschichte
Friedrich von der Trenck

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Nachwort des Herausgebers

»Beim Element, was könnt' ich jetzt für ein Kerl sein! Aber die verdammten Geniestreiche! Da will's groß sein und dreht und macht, da geht's nicht wie bei anderen ehrlichen Leuten, das soll fliegen! Am Ende aber, was kommt heraus? Ein zerschmetterter Hirnkasten . . . Wenn ich so überdenke, was ich in meinem Leben alles gewesen bin: Liebling des einzigen Königs, Soldat dreier Monarchen, jetzt von allen Freunden umdrängt, dann nur der düstere Freund einer philosophischen Spinne, heute von Fürsten gesucht, morgen mit Geschenken überhäuft, daß ich nur wieder gehen möchte, jetzt ein glücklicher Landwirt, dann ein Schriftsteller, und hier wieder Proteus – – in jeder Lage ein so kauderwelsches Quodlibet, daß ich oft selbst nicht weiß, ob ich mich lieben oder verabscheuen, entschuldigen oder strafen soll.«

Mit diesen Worten hat der Freiherr Friedrich von der Trenck kurz vor seinem Tode den Saldo seines Lebens gezogen. Wir können seine Enttäuschung verstehen, denn trotz zeitweiliger Erfolge mußte diesem Manne, der zu Großem ausersehen war, das Leben als ein einziger Mißerfolg erscheinen. Er kam stets entweder zu früh oder zu spät, nie aber zur rechten Zeit, und bot ihm einmal das Glück die Hand, dann schlug er sie gewiß in seiner Verblendung aus. Sein Leben war im wahrsten Sinne eine Tragödie der verpaßten Gelegenheiten.

Nicht tückischer Zufall allein hat mit ihm gespielt, sein eigener Charakter hat ihn gehemmt. Er hielt sich stets für ungerecht behandelt, war aber zu stolz, um durch Bitten zu seinem Recht zu kommen und schlug lieber die gewagte Laufbahn eines Abenteurers ein. Denn ein solcher ist Trenck nach seiner Flucht aus der Festung Glatz geworden, und er ist es geblieben sein ganzes Leben hindurch.

Schon bald nach seiner Entlassung aus dem Magdeburger Gefängnis begann Trenck seine Tätigkeit als politischer Schriftsteller und Verfasser philosophischer Betrachtungen. Diese Schriften, die in 8 Bänden erschienen sind und einst mit Begeisterung aufgenommen wurden, sind längst vergessen, und sie verdienen auch kein besseres Los. Einzig und allein die Selbstbiographie hat heute noch Anspruch darauf, gelesen zu werden, und zwar nicht nur wegen der wirklich abenteuerlichen Schicksale ihres Verfassers, sondern auch wegen des ganzen kulturgeschichtlichen Milieus, das sich hier vor uns entrollt. Wir lernen den großen Friedrich von einer neuen Seite kennen, wir erfahren manche Einzelheiten aus dem inneren Betrieb der preußischen Armee, wir gewinnen in zahlreiche Intrigen der europäischen Fürstenhöfe Einblick und lernen die Korruption am äußerlich so glanzvollen Hofe Maria Theresias kennen.

Die beiden ersten Bände seiner Selbstbiographie schrieb Trenck im Jahre 1786; sie erhielten den Titel »Des Friedrich Freyherrn von der Trenck merkwürdige Lebensgeschichte. Von ihm selbst als ein Lehrbuch für Menschen geschrieben, die wirklich unglücklich sind, oder noch guter Vorbilder für alle Fälle zur Nachfolge bedürfen.«

Im Jahre 1787 gab Trenck, angeregt durch den ungeheuren Beifall, den die ersten Bände gefunden hatten, einen dritten Band heraus, der seine Erlebnisse in Paris sowie die Lebensgeschichte seines Vetters und des Leutnants Schell enthält, und 1792 ließ er noch einen vierten Band folgen, der seine Beziehungen zu Joseph II. und Leopold II. aufdecken sollte. Diese beiden Bände sind wenig geeignet, uns für Trenck einzunehmen, seine rechthaberische, eigenwillige Art kommt in ihnen besonders kraß zum Ausdruck.

Trenck hat auch die beiden ersten Bände in einem etwas belehrenden Ton geschrieben. Schon ihr Titel besagt, daß er erziehen will, und häufig genug gibt er im Text Anweisungen, wie man sich den Widrigkeiten des Lebens gegenüber verhalten soll, obgleich sein eigenes Schicksal ihm dazu eigentlich wenig Recht geben kann. Im Original nehmen diese Betrachtungen oft einen breiten Raum ein: die sentimentalen Ergüsse und die beredten Klagen mögen in jener empfindsamen Zeit auf die Leser gewirkt und sie zu heißen Tränen gerührt haben, uns kommen sie verlogen und eher lächerlich als eindrucksvoll vor. Aber auch manche Weitschweifigkeiten, manche Berichte über uns gänzlich unbekannte und uninteressante Zeitgenossen unseres Autors sind für den heutigen Leser unerträglich: auch diese wurden deshalb in der vorliegenden neuen Ausgabe weggestrichen. Dadurch treten das Schicksal des Helden und sein Lebensgang viel deutlicher hervor, spannend und buntbewegt wie ein Abenteurerroman rollt sich hier ein Einzelschicksal vor dem weltgeschichtlich großen und bedeutsamen Hintergrund ab. Und welche Stellung man immer diesem seltsamen Manne gegenüber einnehmen mag, dem auch die Geschichtsforschung noch nicht eindeutig gerecht geworden ist – unser menschliches Mitgefühl ist ihm sicher. Wohl hat man Ursache, ihn wegen mancher Handlungen zu tadeln, die er in seinen Memoiren verschweigt, die aber von anderer Seite aus bekannt geworden sind, aber jeder Tadel wird verstummen, wenn man sein Lebensende betrachtet. Hier hat Trenck jene sokratische Größe wirklich gezeigt, deren er sich schon im Gefängnis gerühmt hatte. Vom Schicksal als Abenteurer ausersehen, hat er auch den rechten, abenteuerlichen Tod gefunden.

Als unsteter Mensch hatte Trenck die letzten Jahrzehnte seines Lebens in den verschiedensten Städten Europas zugebracht. Als Kaiser Leopold II. starb, trieb es den fast siebzigjährigen Greis nach Paris, wo er, wie wir gelesen haben, einst mit so großem Enthusiasmus aufgenommen worden war. Die Franzosen standen mitten in der wildesten Revolution. Trenck glaubte dort neue Lorbeeren ernten zu können, er meinte als einstiges Opfer von Fürstenmacht und Despotismus, als das man ihn früher gefeiert hatte, jetzt vielleicht sich zu einem geistigen Führer des französischen Volkes aufschwingen zu können. Aber die Zeit war nun doch schon über ihn hinweggeschritten: man achtete seiner nicht, und unbekannt durchwanderte der alte Mann die blutbedeckten Straßen von Paris, um zu seiner tiefen Empörung zu sehen, daß die Ideale von »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« weit mehr Opfer an Menschenleben verschlangen als je die Willkür eines Herrschers gekostet hatte. Betrübt wandte sich der Greis von dem Blutgericht der Revolutionäre ab und hielt sich von jeder politischen Betätigung fern. Trotzdem wurde er den Denunzianten, die nach immer neuen Opfern suchten, verdächtig, und Robespierre machte ihm den Prozeß.

Am 7. Thermidor des Jahres 2 der Republik (25. Juli 1794) stand er vor dem Revolutionstribunal unter der Beschuldigung, ein geheimer Agent des Königs von Preußen zu sein, und die Verschwörung der Gefangenen von St. Lazare angezettelt zu haben. Der Präsident Hermann verlas die Anklage, dann begann das Verhör: »Ihr werdet beschuldigt, Euch mit den europäischen Monarchen gegen die Freiheit der Franzosen verschworen zu haben. Man hat einen Brief aufgefangen, in dem Ihr die Ereignisse der letzten Tage auf sehr zweideutige Weise besprecht.«

»Der öffentliche Ankläger ist getäuscht worden,« entgegnete Trenck, dessen ungebeugte Gestalt die Bajonette seiner Wächter überragte, »ich habe mit den Fürsten Europas nichts mehr zu schaffen, und sie werden mich, der ich immer die Freiheit gesucht habe, auch nicht um Auskunft bitten. Seht hier, Bürger, an meinen Armen die Wundmale, die die Ketten eingedrückt haben, und wagt, die Beschuldigung noch einmal zu erheben!«

Diese Worte des Greises verfehlten ihren Eindruck nicht; das Volk murmelte Beifall, eine unheimliche Pause entstand. Da setzte der Präsident das Verhör fort:

»Trotzdem steht Ihr im Briefwechsel mit Joseph II.«

»Joseph ist seit vier Jahren tot, ich kann also nicht mit ihm korrespondieren. Länger als zehn Jahre habe ich in Ketten geschmachtet. Dem Gefängnis kaum entronnen, strebte ich danach, ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden. Ich heiratete, widmete mich dem Handel, der Literatur und militärischen Studien. Von 1772–1774 bereiste ich Frankreich und England und machte die Bekanntschaft großer Männer, vor allem des Freiheitshelden Franklin, auf den ich den berühmt gewordenen Vers dichtete ›Eripuit coelo fulmen sceptrumque tyrannis‹. Nachdem ich nach Deutschland zurückgekehrt war, wollte man mir öffentliche Aemter antragen, aber der Tod meiner Wohltäterin, der großen Maria Theresia – –«

»Ihr mißbraucht das Euch gegebene Recht der Verteidigung zur Verherrlichung von Tyrannen,« unterbrach da wutschnaubend der öffentliche Ankläger Fouquier-Tinville die Worte Trencks. »Wir sind hier, um Recht zu sprechen und nicht, um die Lobreden auf die Feinde der Republik anzuhören.«

Doch Trenck fuhr fort, als habe ihn der Einwurf garnicht berührt. »Nach dem Tode der großen Maria Theresia ging ich nach Ungarn und betrieb dort die Landwirtschaft. Im Jahre 1788 wurde es mir endlich gestattet, in mein geliebtes Vaterland zurückzukehren. Zu dieser Zeit erschienen meine Denkwürdigkeiten, welche die Aufmerksamkeit von ganz Europa auf mich lenkten. Wenn ich den Idealen der Freiheit weniger treu gewesen wäre, so hätte ich damals leicht mein Glück machen können, aber ich blieb standhaft und hatte deshalb immer neue Verfolgungen zu erdulden. Bürger, ich war der erste, der in Wien für die französische Revolution eintrat. Man hat mich dafür eingesperrt und mir verboten, über diesen Gegenstand etwas zu veröffentlichen. Ist das nicht ein sonderbares Benehmen für einen Tyrannenknecht? Im übrigen fragt den Vorsteher der Section des Lombards, ob mein Betragen nicht immer das eines Ehrenmannes und guten Bürgers gewesen ist.«

Trenck verneigte sich ehrerbietig und nahm seinen Platz auf der Anklagebank wieder ein. Die Stimmung des Volks war für Trenck günstig. Da erhob sich Fouquier-Tinville. »Ich will mich auf die Weitschweifigkeiten des Angeklagten nicht einlassen. Ich will sogar den Teil der Anklage fallen lassen, der sich auf die geheimen Verbindungen Trencks mit den Fürsten Europas bezieht. Es bleibt aber die zweite, viel schwerere Anklage bestehen. Bürger, in St. Lazare ist unter den Gefangenen eine Verschwörung angezettelt worden, die den Sturz der Republik zum Zwecke hatte. Trenck, Chenier, Boucher, de Bart waren die Haupträdelsführer. Sie stehen vor Euch. Nur der Genius der Freiheit hat verhindert, daß ihr Werk ihnen glückte.«

Hiergegen konnte sich Trenck nicht rechtfertigen; er hatte in der Tat während seiner unverdienten Haft sich mit sechzig Gefangenen ins Einverständnis gesetzt, um aus dem Gefängnis zu entfliehen. So leugnete er nicht, sondern gab zu, daß er sich mit den anderen Gefangenen habe befreien wollen. Ein Wort der Bitte, ein Hinweis auf die Drangsale, die er durch Fürstenmacht erlitten, hätte ihn gerettet, er verschmähte es, von den Blutrichtern eine Gnade zu erbitten. Der alte, stolze, ungebrochene Junker Trenck erwachte, der preußische Edelmann, der lieber auf das Leben verzichtete als es aus der Hand der Jakobiner wie ein Gnadengeschenk zu erbetteln.

Die Geschworenen traten ab, und nach einer viertelstündigen Beratung erklärten sie sämtliche Angeklagten für schuldig. Trenck hörte schweigend das Todesurteil an, dann zog er aus seiner Tasche die Schildpattdose hervor, die mit dem Bildnis der Prinzessin Amalie geschmückt war. Ihr, die ihm schon längst vorangegangen war, würde er nun bald wieder nahe sein. –

 

Um 2 Uhr war das Todesurteil gesprochen worden, und schon um 4 Uhr führte man Trenck nach dem Revolutionsplatz. Vom Schinderkarren hinab rief er dem johlenden Volke zu: »Was gafft Ihr, es ist doch nur eine der üblichen Komödien à la Robespierre!«

Die Hinrichtung der dreißig Verurteilten dauerte eine dreiviertel Stunde. Trenck kam als letzter an die Reihe. Er sah die Köpfe seiner Freunde fallen, aber nicht das mindeste Jucken verriet seine innere Erregung. Festen Schrittes bestieg er das Schafott, von oben blickte er hinab auf den Pöbel. »Wir sterben unschuldig, Franzosen,« rief er mit lauter Stimme, »rächt unseren Tod und stellt die Freiheit wieder her, indem Ihr die Ungeheuer opfert die sie schänden!«

Und noch bevor ihn die Blutknechte ergreifen konnten, warf er sich nieder. Das Fallbeil sauste herab, und Trencks greises Haupt rollte in den Sack des Henkers.

 

So starb Friedrich Freiherr von der Trenck, der stets die Freiheit gesucht hatte, als Opfer jener Revolutionäre, die der Freiheit eine Gasse zu bahnen vorgaben. Und auch bei seinem Tode machte sich die grausame Ironie des Schicksals geltend, die seinem ganzen Leben den Stempel aufgeprägt halte. Denn Trenck war eines der letzten Opfer der Revolution: drei Tage später endete Robespierre auf derselben Guillotine, der Terror der Jakobiner war gebrochen, die Gefängnisse öffneten sich, und die politischen Gefangenen wurden wieder frei. Trencks tragisches Leben hatte den tragischsten Abschluß gefunden, der nur möglich war. Sein Tod aber hat ihn zum wahren Helden gemacht. Trenck hat auf dem Schafott durch seine Größe erwiesen, daß er kein Phrasendrescher war, für den man ihn manchmal halten konnte, sondern daß er wirklich seine Worte in die Tat umzusetzen imstande war und daß er sich selbst die Treue zu halten verstand. Sein Ende versöhnt mit seinem verfehlten Leben: wir dürfen dem Freiherrn von der Trenck zu der Dornenkrone des Märtyrers, die ihm das Leben aufs Haupt drückte, mit vollem Recht den Lorbeer des Helden um die Stirne winden.

 


 


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