Friedrich von der Trenck
Des Freiherrn von der Trenck seltsame Lebensgeschichte
Friedrich von der Trenck

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Sechstes Kapitel

Hier folgt abermals ein merkwürdiger Auftritt, der beweist, daß mich nunmehr mein Schicksal zum wirklichen Abenteurer bestimmt hatte, weil fast bei jeder möglichen Gelegenheit neue Widerwärtigkeiten zu bekämpfen vorfielen und fast unwahrscheinliche Feenmärchen in meinen Lebensvorfällen zu erzählen sind.

Es war eben Jahrmarkt in Thorn, da wir durch die Stadt gingen. Man stelle sich einen jungen baumstarken Menschen von meiner Größe vor, in einer elenden Kleidung, mit einem großen Pallasch an der Seite, mit ein paar Pistolen im Gürtel und von einem Kameraden begleitet, der Hals und Hand verbunden hat und mehr einem Gespenste, als lebenden Menschen ähnlich sieht, gleichfalls mit Pistolen im Gürtel.

Wir gingen in ein Wirtshaus; dort fand ich einen preußischen Werbeoffizier, der auf mich wartete und mit allen möglichen Künsten mich gerne zum Rekruten haben wollte. Er trug mir sogar 500 Taler Handgeld und den Korporalstock an, falls ich schreiben gelernt hätte. Ich gab mich für einen geborenen Livländer aus, der aus österreichischen Diensten desertiert sei, um nach Hause zu gehen, eine Erbschaft anzutreten. Nach langen Ueberredungen brachte er endlich ein Geheimnis vor. – Ich sei ja ein Dieb, würde in wenig Augenblicken vom Magistrat arretiert werden, – sobald ich aber sein Rekrut wäre, könnte mich niemand mehr strafen.

Diese Sprache verstand ich gar nicht; in dem Augenblicke war ich Trenck, gab ihm eine Ohrfeige, und zog den Säbel. Anstatt der Gegenwehr lief er aber zur Tür hinaus und befahl dem Wirt, mich nicht herauszulassen. Weil ich nun wußte, daß die Stadt Thorn Kartell hatte und dem Könige von Preußen die Deserteure heimlich auslieferte, ward mir bange. Ich stellte mich an das Fenster und sah gleich darauf zwei preußische Unteroffiziere in das Haus treten. Im Augenblick waren Pistol und Säbel in der Hand: Schell folgte, und wir begegneten den Preußen an der Stubentüre. Ich rief – mit gespannter Pistole: »Platz!« – Die Preußen erschraken, zogen die Säbel und sprangen zurück. – Vor der Tür rückte gerade der preußische Leutnant, von der Stadtwache begleitet, heran. – Ich fand überall Raum, die Pistole in einer und der Säbel in der anderen Hand schreckten jeden zurück; alles schrie: »Dieb! Dieb! halt auf!« Der Pöbel lief nach; ich entkam glücklich in das Jesuitenkloster; mein Freund Schell aber ward übermannt, gefangen und als ein Dieb und Räuber in das Stadtgefängnis geschleppt.

Ich war fast außer Fassung, weil ich ihn nicht retten konnte, und bildete mir schon ein, man würde ihn ausliefern. Ich sprach sogleich mit einem Pater, der ein freundlicher Mann war, sagte ihm in Kürze alles, was mich rechtfertigte, und bat, mir nur die Ursache dieser Arretierung zu entdecken. Er ging fort, kam nach einer Stunde zurück und brachte mir die Antwort, daß uns niemand kenne, es wäre aber tags vorher ein großer Diebstahl durch gewaltsamen Einbruch in die Kaufmannsläden auf dem Jahrmarkte geschehen; man arretierte alle verdächtigen Leute; wir wären in der Stadt in solcher Gestalt mit Pistolen im Gürtel gesehen worden. Deshalb allein sei unsere Arretierung beschlossen worden.

Wer war froher als ich? Unsern mährischen Paß, auch unser Reisediarium hatte ich in der Tasche, die uns in diesem Verdachte rechtfertigten. Kurz, ich überzeugte den Jesuiten, daß ich die Wahrheit sagte. – Er ging fort, kam wieder und brachte einen Stadtsyndikus mit; mit diesem sprach ich gründlich. Er examinierte den Schell im Arrest, fand alles einstimmig; unsere Schriften, deren man sich im Wirtshaus bemächtigt hatte, erwiesen, wer wir waren.

Ich blieb die Nacht hindurch im Kloster, schloß kein Auge bei immerwährenden Betrachtungen, wie tief mich das Schicksal hatte fallen lassen. Schell bekümmerte mich noch mehr, denn er wußte nicht, wo ich geblieben war, und hatte sich fest vorgestellt, wir würden beide nach Berlin geliefert werden, war auch schon gefaßt, sich in diesem Falle zu erdrosseln.

Früh um zehn Uhr war meine Freude und Bestürzung aber ohne Schranken, da mein braver Jesuit zu mir eintrat, mir den Schell mitbrachte und meldete, wir wären im Verdacht unschuldig befunden worden und können frei hingehen, wo wir wollten, sollten uns aber vor den preußischen Werbern hüten, die uns nachstellten. Ihr Leutnant hätte gehofft, durch meine Arretierung als Räuber würde ich als Rekrut in seine Hände geraten; dies sei der Schlüssel zur gestrigen Begebenheit.

Ich umarmte den Schell, der bei der Arretierung erhebliche Stöße gelitten – weil er sich mit seiner linken Hand auch verteidigen und mir folgen wollte. Kurz gesagt, – der arme Mensch war außerstande, weiterzugehen; seine Wunde am Halse war vernarbt, aber die Hand noch gar nicht. Der Pater Rektor schickte uns einen Dukaten, ließ sich aber nicht sehen. Und der regierende Herr Bürgermeister gab uns für die unschuldige Arretierung einem jeden einen Laubtaler; hiermit waren wir expediert, gingen in unser Wirtshaus, nahmen unser Paket und wollten aus dem Tore eilen.

Mir fiel aber ein, daß wir, um nach Elbing zu kommen, preußische Dörfer auf dem Wege hatten. Wir erkundigten uns also in einem Laden, wo Landkarten zu finden wären? Ein altes buckliges Mütterchen stand gegenüber an der Türe: der Ladendiener wies uns an sie und sagte, sie hätte Landkarten genug, weil ihr Sohn studiere, und könne sie uns sehen lassen. Wir redeten sie an. Mein Vortrag gefiel, da ich sagte, wir wären unglückliche Reisende, die auf der Landkarte den Weg nach Rußland suchen wollten.

Sie führte uns in das Zimmer, trug einen Atlas auf den Tisch, stellte sich vor mich, da ich nachsuchte und meine schmutzigen Manschetten an den Händen vor ihrem forschenden Auge verbergen wollte. Sie betrachtete mich mit durchdringender Aufmerksamkeit – hub endlich mit weinender Stimme an: »Ach Gott! wer weiß, wie es meinem lieben einzigen Sohne in der Welt geht! Ich sehe dem Herrn wohl an, daß er auch von guten Eltern ist. Mein Sohn ging mir auch in die Fremde; – nun habe ich in acht Jahren keine Nachricht; er soll bei den Oesterreichern Reiter geworden sein.« – Ich fragte: »Bei welchem Regiment?« – »Bei Hohenems – er sieht dem Herrn natürlich gleich.« – Ich fragte: »Ist er nicht beinahe von meiner Größe?« – »Ja, wohl ebenso groß.« – »Hat er nicht blondes Haar?« – »Ja, eben wie der Herr.« – »Wie heißt er denn?« – »Will.« – »O, liebes Mütterchen,« rief ich aus, »Will ist nicht tot, er lebt und ist mein bester Kamerad bei dem Regiment gewesen!« – Nun erstaunte mein Mütterchen, fiel mir um den Hals, hieß mich einen Engel Gottes, der ihr gute Nachricht brachte; tat tausend Fragen, die ich ihr leicht beantworten konnte, weil ihre voreilige Freude sie mir allezeit in den Mund legte. Ich war also diesmal ein Betrüger in der Not und zwar durch besonderen Zufall.

Mein Vorteil war dieser: ich sagte, ich sei gleichfalls Soldat bei Hohenems und reiste nur mit Urlaub nach dem Ermland zu meiner Mutter, würde aber innerhalb vier Wochen zurückkommen, dann ihre Briefe mitnehmen, und ihr den lieben Sohn nach Hause befördern, falls sie ihn loskaufen wollte.

Nun erzählte sie, der Stiefvater habe ihn vom Hause verdrängt und wünsche ihm nur den Tod, um ihrem kleinen Sohne, den er mit ihr gezeugt, alles Vermögen zuzuwenden. Er sei eben nach Marienburg verreist – usw. usw.

Hier ergriff ich nun den Vorteil und bat sie beweglichst, sie möchte meinen kranken, unterwegs von preußischen Werbern verwundeten Kameraden, der nicht weitergehen könnte, indessen bei sich behalten und versorgen, bis ich ihm sogleich Geld nachsenden oder ihn selbst mit Dankbarkeit auslösen könnte. Das Jawort folgte freudig; sie besorgte sogleich, daß Schell bei einem Bürger und Freunde in der Nachbarschaft verpflegt würde, damit ihr Mann nichts davon erführe. Wir mußten bei ihr essen, sie gab mir ein neues Hemd, Strümpfe, Provision auf drei Tage zu essen, auch sechs Lüneburger Gulden mit auf den Weg, segnete, küßte mich – und so schied ich abends von Thorn und meinem lieben Schell, der nunmehr versorgt war und sich in allem auf meine Hilfe ruhig verlassen konnte. Wir schieden mit Wehmut und Bruderliebe; ich ging also den 13. noch zwei Meilen bis nach Birglau.

Niemals kann ich aber die Unruhe, die Empfindungen, den sinkenden Mut lebhaft genug schildern, den ich fühlte, der meine ganze Seele aus der Fassung brachte, daß ich ganz allein, ohne Freund, vorwärts wanderte. – Diese Stunden waren gewiß unter die bittersten zu rechnen, die ich in meinen Lebenstagen gehabt habe. Ich war sogar schon im Begriff zurückzukehren, um ihn mit mir zu schleppen; die Vernunft ward aber Meister im Kampfe der Leidenschaft, ich war schon nahe am Ziele, und die Hoffnung trieb mich vorwärts.

Den 15. bis Neuenburg und Meve, folglich in zwei Tagen dreizehn Meilen. In Meve lag ich auf dem Stroh unter vielen Fuhrleuten; als ich aufstand, waren meine Pistolen, auch all mein Geld bis auf den letzten Heller aus der Tasche gestohlen, die Herren Schlafkameraden waren aber schon alle auf der Reise.

Was war zu tun? Vielleicht hatte mich auch der Wirt beraubt; ich hatte achtzehn polnische Groschen verzehrt und mußte bezahlen. Der Wirt war noch grob und stellte sich, als ob er glaube, ich habe gar kein Geld in sein Haus gebracht. Ich mußte ihm also mein vorrätiges Hemd und ein halbseidenes Tuch geben, das mir die alte Frau in Thorn geschenkt hatte, und ohne einen Heller weitergehen.

Am 16. kam ich nach Marienburg.

Auf dem Wege dahin war es aber unmöglich, sicher nach Marienburg zu kommen, ohne in preußische Hände zu fallen, wenn ich nicht die Weichsel passierte.

Ich hatte kein Geld, die Ueberfahrt zu bezahlen, die nur zwei polnische Schillinge kostete. – Betrübt und nachdenkend, wie ich's machen sollte, um hinüberzukommen, erblickte ich zwei Fischer in einem Kahne; ich trat hinzu, zog den Säbel und zwang sie, mich umsonst hinüber zu fahren. Am anderen Ufer nahm ich diesen furchtsamen Leuten die Ruder weg, stieg hinaus, stieß den Nachen auf das Wasser zurück und ließ sie schwimmen.

In Marienburg fand ich sächsische, auch preußische Werber, hatte kein Geld, aß und trank mit ihnen, hörte ihre Vorträge an, machte Hoffnung auf morgen, und ehe der Tag anbrach, war ich zur Tür hinaus und ging am 17. März vier Meilen nach Elbing.

Hier fand ich meinen gewesenen lieben Lehrer Brodowsky als Hauptmann und Auditeur bei der polnischen Kronarmee, unter dem Goltzschen Regiment, der mir eben, da ich in die Stadt ging, entgegenkam. – Im Triumph folgte ich ihm in sein Quartier, und hier hatte meine gefahrvolle mühselige Reise ein Ende.

Dieser ehrliche Mann behielt mich bei sich, verschaffte mir sogleich alles Notdürftige und schrieb nebst mir an meine Mutter in solchem Tone, daß sie schon nach ungefähr acht Tagen wirklich selbst bei mir in Elbing eintraf und mir als eine echte Mutter Trost und Hilfe mitbrachte.

Sie besaß einen durchdringenden Verstand, ich aber eine gefühlvolle, dankbare Seele. Sie verschaffte mir sogleich eine Verbindung zur sicheren Korrespondenz mit meiner Freundin in Berlin. Diese schickte mir einen Wechsel auf Danzig von über 400 Dukaten und meine Mutter gab mir 1000 Reichstaler und ein diamantenes Halskreuz für den Notfall von etwa 500 Talern an Wert. Sie blieb vierzehn Tage bei mir und zwang mich aller Gegenvorstellungen ungeachtet, daß ich nach Wien reisen sollte, um dort mein Glück zu suchen. Ich wollte durchaus nach Petersburg, und alle meine Ahnungen waren gegen die Wiener Reise, die wirklich all mein folgendes Unglück verursacht hat. – Meine Mutter riet anders und versprach mir nur in diesem Falle Unterstützung. Ich mußte gehorchen; sie verließ mich, reiste nach Hause, und seitdem habe ich sie nicht wiedergesehen. Sie starb im Jahre 1751, und ihr Andenken macht meine ganze Ehrfurcht rege.

Nachdem ich mich equipiert und meinen Wirt beschenkt hatte, reiste ich eilfertig nach Thorn.

Wie entzückend war meine Zusammenkunft mit dem ehrlichen Schell! Das alte Mütterchen hatte ihn mütterlich versorgt. Wie erschrak aber die gute Frau, da ich bei ihr, als Offizier und von zwei Bedienten begleitet, eintrat; ich küßte ihr im wärmsten Danke die Hand, bezahlte alles reichlich, was der Schell genossen, der sich indessen wie ein Kind im Hause bei ihr eingeschmeichelt hatte; erzählte ihr, wer ich eigentlich war; sagte ihr aufrichtig, wie ich sie mit der Geschichte ihres Sohnes hintergangen hätte, und versprach, sogleich bei meiner Ankunft in Wien ihr positive Nachricht von diesem verlorenen Sohne zu geben.Bei meiner Ankunft in Wien gab ich mir gleich alle Mühe, diesen Will zu erfragen; erfuhr aber durch die Kommissariatliste, daß er im Jahre 1744 desertiert, wieder gefangen und wirklich aufgehängt war. Ich erhielt durch einige Dukaten das Attest eines natürlichen Todes. Dieses schickte ich der guten Mutter mit einem Dank- und Trostbriefe begleitet. Binnen drei Tagen war der Schell equipiert, und so reisten wir von Thorn ab und kamen nach Warschau, von da über Krakau nach Wien.

Nach Abzug der Reisekosten und Equipierung für mich und meinen Freund Schell blieben mir noch ungefähr 300 Dukaten im Beutel; ich teilte sie redlich mit ihm. – Er blieb nur vier Wochen in Wien, reiste nach Italien, wo er bei dem Pallavicinischen Regiment als Oberstleutnant angestellt wurde.

Ich fand meinen Vetter, den berühmten Pandurenobersten und Parteigänger Franz Freiherrn von Trenck in Wien im Arsenalarrest und eben in den schwersten Prozeß verwickelt.

Kaum war ich in Wien angelangt, so führte mich sein Agent Herr von Leber an den Hof zu Seiner Majestät dem Kaiser und dem Prinzen Karl. Beide kannten seine Verdienste, auch die boshaft gespielten Ränke seiner niederträchtigen Feinde; und sogleich erhielt ich offene Erlaubnis, ihn im Arrest zu besuchen, auch alle Aufmunterung, ihm auf alle mögliche Art beizustehen. Bei der zweiten Audienz sprach der Monarch mit mir auf eine Art, die mich ganz in das Interesse meines bedrängten Blutsfreundes verwebte, und befahl mir, bei allen Vorfällen Zuflucht bei ihm zu suchen. Gleich gewann die Sache eine andere Gestalt; die hintergangene beste Monarchin wurde aufgeklärt, Trencks Unschuld erschien im Revisionsprozeß im vollen Lichte. Man erwies, daß sein angeordnetes Kriegsrecht, das 27 000 fl. gekostet, parteiisch und ungerecht verfahren sei, und daß sechzehn Offiziere, die er größtenteils wegen schlechter Handlungen von seinem Regiment kassiert, falsche Eide abgelegt hatten.

Merkwürdig ist es, daß man der Wiener Zeitung ankündigte: »Alle diejenigen, welche wider Trenck etwas zu klagen hätten, sollten sich melden, und täglich, so lange der Prozeß dauerte, einen Dukaten Diäten empfangen.«

Man kann sich leicht vorstellen, wie die Zahl der Kläger anwuchs, und aus was für Leuten sie bestand.

Diese Diäten haben 15 000 fl. gekostet.

Die Monarchin ließ dem Trenck antragen, er solle um Gnade bitten; in diesem Falle sollte alles abgetan sein und er sogleich seine Freiheit erhalten. Prinz Karl, der Wien kannte, riet mir, ich sollte meinen Vetter zu diesem Schritte bewegen. Umsonst! Er fühlte seinen Wert und seine Unschuld zu gut und forderte trockenweg Recht. Eben dieses erzwang sein Unglück.

Bald ward ich gewahr, daß mein Vetter das Opfer sein würde: er war reich, seine Feinde hatten bereits über 80 000 fl. ausgeteilt: das ganze Vermögen war durch Sequestration in ihren Händen. Man hatte ihn bereits zu grob mißhandelt, und kannte ihn zu gut, um nicht alles von seiner Rache zu fürchten, sobald er seine Freiheit erhalten würde.

Mein Herz war über sein Schicksal gerührt, und da er bereits, seinem feurigen Temperamente gemäß, bei herannahendem Siege öffentliche Drohungen merken ließ, seine Gegner hingegen den Hofbeichtvater auf ihrer Seite hatten, Hofränke zu spielen wußten, auch alles für sich fürchten mußten, so machte ich ihm bei guter Laune den brüderlich gemeinten Vorschlag, er solle aus dem Arrest entfliehen und dann in der Freiheit sein Recht der Monarchin beweisen. Ich machte ihm den ganzen Plan dazu, der mir leicht auszuführen möglich war, und er schien vollkommen entschlossen.

Einige Tage nach dieser Unterredung ward ich zu dem Feldmarschall Grafen Königsegg, Gouverneur in Wien, gerufen. Dieser ehrwürdige Greis, dessen Asche ich noch verehre, sprach und handelte in diesem Vorfalle als Vater und Menschenfreund. Er riet mir, meinen Vetter zu verlassen, und gab mir deutlich genug zu verstehen, daß mein eigener Vetter mich selbst verraten, den ganzen Anschlag gemeldet hatte und mich seinem Ehrgeize aufopfern wollte, um hierdurch sein reines Gewissen zu rechtfertigen und zu zeigen, daß er nicht entweichen, sondern sein Recht und Schicksal abwarten wollte.

Bestürzt über die unedelste Handlung des Blutsfreundes, für den ich mein Leben freudigst gewagt hätte und den ich mit dem redlichsten Herzen von seinem Untergange zu retten suchte, beschloß ich, ihn zu verlassen; glücklich war ich noch, daß der rechtschaffene Feldmarschall die Sache mit einer väterlichen Vermahnung unterdrückte.

Ich erzählte diesen schwarzen Undank dem Prinzen Karl von Lothringen, der mich aber bewog, von neuem zu meinem Vetter zu gehen, mir nichts merken zu lassen, und mich seiner Sache nach Möglichkeit anzunehmen.

Hier muß ich meinen Lesern eine kurze Schilderung von dem eigentlichen Charakter dieses Trenck beibringen.

Er war ein Mann von außerordentlichen Talenten; seine Ruhmsucht war unbegrenzt; sein Diensteifer für die Monarchin sogar fanatisch; seine Kühnheit im Unternehmen unnachahmlich, sein Verstand arglistig, sein Herz böse, rachgierig und unempfindlich, sein Geiz aber bis zum höchsten Gipfel glaubhafter Möglichkeit schon im 33. Lebensjahre, in welchem er starb, herangewachsen.

Verbindlichkeit wollte er niemals auf Erden haben, und wirklich war er fähig, seinen besten Freund in die Ewigkeit zu befördern, wenn er sich ihm verpflichtet glaubte oder sich seines Gutes bemächtigen konnte.

Kaum vierzehn Tage nach diesem mir gespielten Verräterstreiche geschah folgende merkwürdige Begebenheit:

Ich ging abends von ihm aus dem Arsenal nach Hause und trug einen Stoß Prozeßakten unter dem Rocke, die ich für ihn ausgearbeitet hatte. Ungefähr 25 Offiziere, die gegen ihn klagten, waren damals in Wien, die mich alle als ihren ärgsten Feind ansahen, weil ich an seiner Verteidigung arbeitete. Folglich mußte ich in allen Winkeln auf meiner Hut sein; man hatte ohnedies in ganz Wien ausgesprengt, ich sei heimlich vom König von Preußen geschickt, um meinen Vetter aus seinem Arreste zu befreien. Er hingegen hat bis zu seinem Tode standhaft behauptet, daß er niemals in seinem Leben an mich nach Berlin geschrieben habe, folglich war der Brief, der mich selbst unglücklich machte, unfehlbar untergeschoben und von meinem Feinde Jaschinski geschmiedet worden.

Nun ging ich aus dem Arsenal über den Hof spazieren; bald folgten mir zwei Leute in grauen Kapuzröcken auf dem Fuße nach; sie traten mir vorsätzlich auf den Fuß, sprachen laut und schimpften auf den hergelaufenen preußischen Trenck, und ich merkte deutlich genug, daß sie Händel suchten, wozu ich damals leicht zu bewegen war; denn niemals ist man aufgelegter zum Raufen, als wenn man nichts zu verlieren hat und mit seinem Zustande unzufrieden lebt. Ich sah sie beide für Trencksche kassierte Offiziere und von der Zahl seiner Kläger an, suchte ihnen dennoch auszuweichen und ging auf den Judenplatz zu.

Kaum war ich in der Straße, so folgten sie mir mit starken Schritten nach; ich wandte mich um, und in eben dem Augenblicke empfing ich einen Degenstoß auf die linke Brust, wo die Prozeßakten, die ich unter dem Rocke trug, mir allein das Leben retteten. Der Stich ging durch das Papier und hatte nur etwas mehr als die Haut verletzt. Gleich sprang ich zurück, zog den Degen; die beiden Herren liefen aber davon. Ich folgte – einer strauchelte und fiel; ich packte ihn beim Kragen, die Wache kam herzu; er sagte, daß er Offizier vom Kollowratischen Regiment sei, wies die Uniform, ich hingegen mußte in Arrest.

Der Platzmajor kam tags darauf zu mir und hielt mir vor, ich habe mutwillig Händel mit zwei Offizieren, dem Leutnant von F**g und dem Leutnant von K***n gesucht. Freilich hatten die feinen Herren nicht gesagt, daß sie mich meuchelmörderisch in die andere Welt schicken wollten.

Ich war allein, hatte keine Zeugen gegen zwei, mußte also unrecht haben, und blieb sechs Tage im Arrest. Kaum war ich zu Hause, so ließen sich zwei Offiziere bei mir melden und forderten Satisfaktion für die ihnen zugefügte Beleidigung. Gleich war ich bereit und versprach binnen einer Stunde vor dem bestimmten Schottentore zu erscheinen. Da man mir nun die Namen nannte, erkannte ich zwei starke Fechter, die oft zum Trenck in das Arsenal kamen, wo fast täglich mit Rappieren gefochten ward. Ich ging also zu meinem Vetter, um Hilfe zu suchen, erzählte ihm den Vorgang, und weil ich meine Gegner kannte und folglich ernsthafte Auftritte erwartete, so bat ich ihn, mir 100 Dukaten zu geben, damit ich allenfalls entfliehen könnte, falls einer auf dem Platze bliebe.

Bis dahin hatte ich mein eigenes Geld für ihn verwendet und noch keinen Groschen von ihm verzehrt noch erhalten. Wie erstaunte ich aber, da der böse Mann mir mit höhnisch lächelndem Tone die Antwort gab:

»Haben Sie Händel ohne mich angefangen, mein lieber Vetter, so führen Sie sie auch ohne mich aus.«

Im Herausgehen rief er mir nach: »Den Rasendrücker will ich noch für Sie bezahlen« – weil er sicher glaubte, ich würde nicht vom Platze zurückkehren.

Nun lief ich halb in Verzweiflung zum Baron Lopresti; dieser gab mir 50 Dukaten und ein paar Pistolen. Hiermit eilte ich fröhlich zum bestimmten Kampfplatze.

Ich traf dort ein halbes Dutzend Offiziere von der Garnison an. Weil ich wenig Bekanntschaft in Wien hatte, folgte mir ein achtzigjähriger Spanier, ein Invalidenhauptmann namens Pereira, als Sekundant, dem ich bei dem eilfertigen Hinauslaufen zufällig begegnete, auf Befragen die Ursache sagte, und der nicht von meiner Seite gehen wollte. Der Leutnant K***n war der erste und wurde in wenig Augenblicken sehr stark am rechten Arm verwundet. Hierauf bat ich die Augenzeugen, weitere Folgen zu verhüten – ich hätte Satisfaktion genug. – Herr Leutnant F**g trat aber mit Drohungen hervor und ward mit einem Stoß in den Unterleib expediert. Hierauf wurde des ersten Sekundant, der Leutnant M***f, erbittert und sagte: »Ich würde Sie anders empfangen, wenn Sie mit mir zu tun hätten!« – Gleich sprang mein achtzigjähriger Sekundant mit spanischen Augenbrauen, die ihm bis über die halbe Nase hingen, mit braunem Rock und Strümpfen, mit bebendem Kopfe und Händen hervor und rief mit drohender Stimme: »Halt! Der Trenck hat gezeigt, daß er ein braver Kerl ist, wer ihn ferner angreift, der hat's mit mir zu tun.« – Alles lachte über den drohenden Ohnmächtigen, der kaum den Degen in der erstorbenen Hand eines zu Grabe taumelnden Greises halten konnte. Ich sagte: »Freund! Noch bin ich gesund und kann mich selbst verteidigen. Bin ich hierzu unfähig gemacht, dann vertritt erst meine Stelle. So lange ich den Degen führen kann, werde ich mit Vergnügen alle diese Herren, einen nach dem anderen, nach Möglichkeit bedienen.« Ich wollte einige Augenblicke rasten, – der stolze und durch die Niederlage seines Freundes erbitterte M***f griff mich aber an und ging mir so wütend auf den Leib, nachdem er bereits an der Hand verwundet war, daß ich ihm einen Stoß in den Unterleib beibrachte. Und da er in mich einlief, um mit mir zu sterben, schlug ich ihm die Klinge nieder und warf ihn mit der Hand auf die Erde.

Nun hatte niemand mehr Lust zu raufen. Meine drei Feinde fuhren blutig nach der Stadt, und da M***f tödlich verwundet schien und mir die Jesuiten und Kapuziner die Freistatt versagten, flüchtete ich mich auf den Kahlenberg ins Kloster.

Hier schrieb ich sogleich an den Obersten Baron Lopresti. Dieser kam zu mir. – Ich erzählte ihm den Vorgang, und durch seine Vermittlung durfte ich binnen acht Tagen frei in Wien erscheinen. Der Leutnant F***g hatte venerisches Blut im Leibe; seine nicht eben gefährliche Wunde war hierdurch bedenklich, und er ließ mich bitten, ihn zu besuchen. Er bat mich um Verzeihung, und gab mir deutlich genug zu verstehen, ich solle mich künftig vor meinem Vetter hüten. In der Folge habe ich erfahren, daß dieser böse Mann ihm eine Kompanie und 1000 Dukaten versprochen hatte, wenn er mit mir Händel suchte und mich in die Ewigkeit schicken wollte. Der Mensch steckte in Schulden, suchte sich einen Gehilfen in dem Leutnant K***n, und wenn mich nicht zufällig die Trenckschen Prozeßakten schützten, die ich unter dem Rocke trug, so hätte mich der erste Verräterstoß in die Ewigkeit geschickt.

Nun konnte ich mich nicht entschließen, meinen undankbaren und gefährlichen Vetter wiederzusehen, der meinen Tod beschlossen hatte, weil ich alle seine Geheimnisse wußte, und er sich schon im Triumphe seines Prozesses, den ich geführt, frei glaubte, mir aber keine Verbindlichkeiten schuldig sein wollte. Das war eigentlich bei allen seinen großen Eigenschaften sein Gemütscharakter: alles seinen Privatabsichten, besonders seinem Geize aufzuopfern, der bereits in seinem 33. Lebensjahre, da er starb, so hoch gestiegen war, daß er bei einem Vermögen von eineinhalb Millionen täglich nur dreißig Kreuzer verzehrte.

Kaum wurde nun in der Stadt bekannt, daß ich ihn verlassen hatte, so suchte der General Graf Löwenwalde, sein ärgster Feind und Präsident seines ersten Inquisitionskriegsrechtes, mich zu sprechen, versprach mir alles Glück und alle Protektion, wenn ich ihm die Geheimnisse entdecken wollte, die im Revisionsprozesse vorgefallen wären.

Kurz gesagt, er wollte mich sogar mit 4000 Gulden bestechen, um mich zum Prozesse gegen ihn zu bewegen. Hier lernte ich nun den akkreditierten Bösewicht und schändlichen Blutrichter in Wien kennen, fertigte ihn mit Verachtung ab, entdeckte Verrätereien und Spitzbubenstreiche boshafter Richter und böser Menschen in diesem so arglistig verwickelten Prozesse und beschloß, lieber in Indien mein Brot zu suchen, als in einem Lande zu bleiben, wo unter dem Zepter der besten Monarchin die rechtschaffensten Männer, die besten Soldaten und Patrioten von eigennützigen oder mißgünstigen Bösewichtern unglücklich gemacht werden konnten. Denn sicher ist es, daß eben der Trenck, der wirklich mein ärgster Feind war, dessen ganze Gemütsanlage meine ewige Verachtung verdiente, in sich selbst der beste Soldat in der Kaiserlichen Armee gewesen ist, der Gut und Blut mit dem standhaftesten Diensteifer für seine Monarchin aufgeopfert hätte, der mehr als seine Pflicht gegen sie erfüllte und wirklich bis zum schmählichsten Tode dem Staate große Dienste geleistet hat. –

Nun war ich aber einmal entschlossen, Wien auf ewig zu fliehen. Ich wollte in Indien mein Glück machen und reiste im August 1748 von Wien nach Holland. Inzwischen hatten die Feinde meines Vetters keinen Widerstand zum Siege; er wurde also verurteilt und auf den Spielberg gebracht, wo er zu spät bereute, daß er den treuen Rat eines scharfsichtigen Freundes verachtet und verraten hatte. Ich habe ihn bedauert; sicher ist auch, daß vielmehr seine Richter und Feinde ein so verächtliches Schicksal verdient hätten. Er selbst hat aber auch noch in der letzten Todesstunde mir einen ewigen Haß gezeigt und noch jenseits seines Grabes durch sein Testament mein Unglück zu gründen und listig zu befördern gesucht.



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