Friedrich von der Trenck
Des Freiherrn von der Trenck seltsame Lebensgeschichte
Friedrich von der Trenck

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Fünftes Kapitel

Ich war also nunmehr in Freiheit, in Braunau an der böhmischen Grenze und schickte sogleich die zwei Pferde nebst dem mitgenommenen Unteroffiziersäbel dem General Fouqué nach Glatz zurück. Mein Brief dabei war ihm so empfindlich, daß er alle Schildwachen, die vor meiner Tür, unter dem Gewehr, auch an den Stellen, wo wir vorbeigingen, gestanden hatten, Spießruten laufen ließ, weil er am Tag vor meiner Flucht noch versichert hatte, daß es nunmehr unmöglich sei, etwas zu unternehmen, und sich dennoch betrogen fand.

Mein von meinen Voreltern mit Blut und Ehre erworbenes Vermögen wurde sogleich konfisziert und einer der edelsten, der brauchbarsten, der eifrigsten Jünglinge für die Ehre seines Vaterlandes und Königs, wie der gröbste Missetäter, Ueberläufer und Verräter auf Befehl des in seiner Gerechtigkeitsliebe hintergangenen Landesvaters mißhandelt.

Ich schrieb an den König, trug ihm den eigentlichen Verlauf der ganzen Sache vor, erwies ihm meine Unschuld ohne Widerspruch und bat um Gerechtigkeit, erhielt aber keine Antwort.

In meinen Augen ist der Monarch hierfür entschuldigt. Ein böser Mensch, der sein Vertrauen erschlichen, der Oberst Jaschinski, hatte ihm einmal einen Verdacht gegen meine Treue eingeflößt, in meinem Herzen konnte er nicht lesen. Der erste Schritt zur Ungerechtigkeit war einmal übereilt gemacht; man hatte mich ohne Verhör, ohne Untersuchung noch Kriegsrecht zum Gefängnis verurteilt und erkannte, zu spät für die geglaubte Unfehlbarkeit des Monarchen, daß mir Gewalt und Unrecht geschehen war. Um Gnade bitten wollte ich nicht, weil ich kein Missetäter war, und der König wollte und konnte nicht öffentlich zeigen, daß er sich in einem so wichtigen Falle hatte hintergehen lassen. Mein Eigensinn reizte folglich den seinen, und mir fehlte Fürstenmacht, um den Prozeß zu gewinnen.

Der Monarch, der mich wirklich liebte, hatte mich im Anfang nicht ganz verstoßen. Ich erfuhr aber leider zu spät, daß mein Arrest nur auf ein Jahr bestimmt war, um meine Treue zu prüfen. Das wurde mir aber nicht gesagt; auch dies ist ein Rätsel, das ich erst in der Folge aufgelöst habe. Nämlich:

Der Platzmajor Doo war ein Liebling des Generals Fouqué. Er war ein gewinnsüchtiger Mann; er wußte, daß ich Geld hatte und wollte den Protektor machen. Mir sagte er allezeit, ich sei auf Lebenszeit verurteilt, und lenkte die Unterredung auf den großen Kredit seines Generals beim König, auch des seinigen beim General. Für das Geschenk meines Pferdes, mit dem ich nach Glatz geritten war, erhielt ich die Erlaubnis, in der Festung spazierenzugehen, und für ein anderes von 100 Dukaten rettete ich den Fähnrich Ritz, der mit mir entfliehen wollte und verraten wurde. Man versicherte mir, er sei an eben dem Tage, da ich ihm den Degen von der Seite riß und wie ein Verzweifelter von allen Glatzer Wällen heruntersprang, wirklich in meinen Kerker gekommen, um nach vielen drohenden Vorbereitungen mir erst die freudige Nachricht zu bringen, daß ich durch seine Bemühungen und des Generals Fürbitte nur ein Jahr in Arrest zu bleiben, folglich binnen etlichen Wochen meine Freiheit zu erwarten hatte. Welche verfluchte Schandtat eines eigennützigen Menschen, um Geld zu erschnappen! Nachdem ich nun die erste ganz rasende Art zur Flucht wählte, wurde gewiß dem König die Intrige des Platzmajors nicht gemeldet. Man schrieb ihm nur, ich hätte etliche Tage vor Abwartung der mir zum Arrest bestimmten Zeit eine so verzweifelte Art erwählt, um zu fliehen und zum Feinde überzugehen. Auf diese Art und durch solche widrig ausgeschlagenen Ränke böser Menschen hat sich mein Schicksal immer mehr verwickelt, endlich aber den allezeit hintergangenen Monarchen unempfindlich und sogar grausam gegen mich gemacht.

Ich war nun einmal in Böhmen als ein Fremdling ohne Geld, ohne Schuh noch Freund, auch meiner eigenen Führung schon im zwanzigsten Lebensjahre überlassen.

Anno 1747 hatte ich in Braunau bei einem Leinweber in Quartier gelegen und diesem Manne selbst Anschläge gegeben, auch mitgeholfen, seine beste Habseligkeit zu vergraben und vor Plünderung zu retten.

Dankbar und freudig empfing uns der ehrliche Mann in seinem Hause. Zwei Jahre vorher war ich in demselben unumschränkter Gebieter, mit neun Pferden und fünf Bedienten voller Hoffnung und mit der günstigsten Aussicht in die Zukunft. Jetzt hingegen erschien ich bei ihm als ein Flüchtling, der Schutz sucht, der alles auf einmal verloren hatte, was ein junger Mensch auf Erden verlieren kann.

Ich hatte nur einen Louisdor im Vermögen. Mein Freund Schell hatte 40 Kreuzer; und jetzt sollte er zuerst seinen ausgedrehten Fuß heilen lassen, dann aber in der Fremde Schutz, Brot und Ehre verdienen.

Meine Lage war nicht besser. Zum Trenck nach Wien wollte ich durchaus nicht gehen und lieber in Ostindien mein Glück suchen, um nicht mein Vaterland in dem Argwohne zu bestärken, als ob ich wirklich untreue Gedanken gehegt hätte. Ich schrieb nach Berlin an meine Freundin, erhielt aber keine Antwort, vermutlich, weil ich keinen sichern Weg, sie zu erhalten, anzeigen konnte. – Meine Mutter war vom allgemeinen Rufe eingenommen und hätte mir keine Hilfe geschickt; meine Brüder standen aber noch unter der Vormundschaft.

Innerhalb drei Wochen, die wir in Braunau zubrachten, war der Fuß meines Freundes geheilt, hingegen meine Uhr, seine Schärpe und Ringkragen verkauft, und unsere ganze Kasse bestand in weniger als vier Gulden.

Ich beschloß, den Weg bis nach Preußen zu meiner Mutter zu Fuß zu unternehmen, um von ihr Hilfe zu erhalten, dann aber russische Dienste zu suchen. Schell, dessen Schicksal von dem meinigen abhing, wollte mich nicht verlassen. Wir nahmen demnach Pässe als gemeine preußische Deserteure, mit umgekehrten Namen. Ich hieß Knert und Schell hieß Lesch. So gingen wir den 21. Januar abends, ohne gesehen zu werden, aus Braunau und richteten den Weg auf Bielitz nach Polen. Ein Freund aus Neurode gab uns ein paar Sackpistolen, mir eine Flinte und drei Dukaten, die noch in Braunau zurückblieben.

Die umständliche Beschreibung dieser Reise könnte mit allen ihren Begebenheiten einen ganzen Band anfüllen, ich werde aber nur einige davon erzählen; zugleich aber unser Reisejournal hier einrücken, das mein Freund Schell noch aufbewahrt und mir nach dreißigjähriger Trennung, da er mich im Jahre 1776 in Aachen besuchte, im Original hinterlassen hat.

Hier erscheint es treu kopiert, und mit ihm fängt der eigentliche erste Auftritt an, wo ich als ein Abenteurer auf der Weltbühne erscheinen mußte. Vielleicht hatte ich in meinem abenteuerlichen Leben noch mehr Glück als Unglück, mich aus Vorfällen und Schlingen zu reißen, worin tausend andere sich auf ewig verwickelt hätten.

Journal

meiner Reise zu Fuß, von Braunau in Böhmen über Bielitz durch Polen nach Meseritz, und von da über Thorn nach Elbing: 169 Meilen ohne zu betteln, noch zu stehlen.

Den 18. Januar 1747 gingen wir von Braunau über Politz bis Nachod drei Meilen. Die Kasse bestand in 3 fl. 45 kr.

Den 19. nach Neustädl. Hier vertauschte Schell seine Uniform gegen einen grauen Handwerksburschenrock und erhielt von einem Juden noch 2 fl. 15 kr. heraus. Von da kamen wir nach Reichenau, in allem drei Meilen.

Den 20. auf Leitomischel, fünf Meilen, wo ich ein warmes Brot, das erst aus dem Ofen kam, begierig aß, und beinahe am Magenkrampf gestorben wäre. Wir mußten hier einen Tag liegen bleiben, und der Wirt ließ uns wenig Geld durch eine gottlose Rechnung im Beutel übrig.

Den 22. über Trübau nach Zwittau in Mähren, vier Meilen.

Den 23. bis Sternberg, sechs Meilen. – Dieser Marsch war dem armen Schell wegen seines noch schwachen Fußes zu stark – und dennoch mußte er den folgenden Tag, den 24., bis nach Leipnik vier Meilen im tiefen Schnee, und mit leerem Magen aushalten. Hier verkaufte ich meine Halsschnalle um 4 fl.

Den 25. bis nach Freiberg über Weiskirch nach Drachotusch fünf Meilen. Auf diesem Wege fanden wir früh morgens eine Violine im Futteral, die jemand verloren hatte. Der Wirt in Weiskirch gab uns 2 fl. dafür, und versprach sie dem, der sich dazu legitimieren würde, zurückzugeben, weil sie wohl 20 fl. wert war.

Den 26. nach Frideck in Oberschlesien zwei Meilen.

Den 27. auf ein hanakisches Dorf viereinhalb Meilen.

Den 28. über Scotschau nach Bielitz, drei Meilen.

Da dieses die Grenzstadt zwischen Polen und den österreichischen Staaten ist, so forderte uns der dort in Garnison liegende Hauptmann Cappi, vom Marschallschen Regiment, den Pass ab. Wir hatten andere Namen darin und waren gemeine preußische Deserteure. Ein aus Glatz desertierter Tambour kannte uns aber und sagte es dem Hauptmann.

Dieser Dummkopf und grobe Menschenfeind ließ uns sogleich arretieren, auch mit despotischer Weigerung alles Gehöres nach Teschen zurück und noch dazu zu Fuß mit Verachtung führen. Es waren vier Meilen.

Dort kamen mir zum Oberstleutnant Baron Schwarzer, der ein rechtschaffener Mann war, uns bedauerte und das grobe Verfahren des Hauptmanns Cappi bei so sonnenklarer Rechtfertigung tadelte. Ich erzählte ihm mein ganzes Schicksal offenherzig. Er tat alles, um mich von der polnischen Reise abzuhalten und riet mir den Weg nach Wien an. Umsonst, mein guter Genius hielt mich damals noch von Wien zurück, und wollte Gott, daß ich mich ewig davon entfernt hätte!

Ich kehrte also nach Bielitz zurück, abermals vier Meilen. Schwarzer gab uns bis dahin seine eigenen Pferde, und vier Dukaten auf den Weg, die ich ihm dankbar in der Folge bezahlt habe und ewig nicht vergessen werde, weil sie meinen Zweck beförderten und mir ein Paar neue Stiefel verschafften.

Indessen war mein ganzes Blut gegen den Cappi empört. Wir gingen sogleich durch Bielitz nach Biala, auf die polnische Grenze. Von da schickte ich ihm ein Kartell und forderte ihn auf Degen oder Pistolen; erhielt aber keine Antwort. Er erschien auch nicht und bleibt in meinen Augen ein Schurke in Ewigkeit.

Den 1. Februar gingen wir von Biala vier Meilen nach Oswiezin, weil ich beschlossen hatte, Zuflucht bei meiner Schwester zu suchen, die den Herrn von Waldow geheiratet hatte und zu Hammer im Brandenburgischen zwischen Landsberg an der Warthe und Meseritz an der polnischen Grenze auf ihren Gütern im Wohlstande lebte. Deshalb ging unser Weg neben der schlesischen Grenze auf Meseritz zu.

Den 2. nach Bobrack und Olkusch fünf Meilen. Auf diesem Wege, wo wir viel vom tiefen Schnee in leichter Kleidung auszustehen hatten, verlor Schell aus Nachlässigkeit unsere noch in 9 fl. bestehende Kasse. Mir aber blieben noch 19 Groschen.

Den 3. nach Cromolow drei Meilen und den 4. nach Wlodowice-Janow abermals drei Meilen. Von da den 5. nach Czenstochau, wo das berühmte reiche Kloster prangt.

Wir kehrten am Fuße des Klosterberges in das Wirtshaus bei einem wahren Biedermanne namens Lazar ein. Dieser hatte als Leutnant in kaiserlichen Diensten gestanden, viele Schicksale erlitten und war endlich ein armer Gastwirt in Polen. Wir hatten keinen Kreuzer in der Kasse, forderten trockenes Brot, der rechtschaffene Mann ließ uns aber an seinem Tische essen. Ich vertraute ihm die reine Wahrheit unserer Umstände, auch die Absicht dieser Reise. Kaum hatten wir gegessen, so kehrte ein Wagen ein und drei Herren, die Kaufleuten ähnlich sahen, kamen in das Zimmer. Sie hatten eigene Pferde, einen Bedienten und einen Kutscher.

Diesen Wagen hatten wir schon in Olkusch angetroffen. Einer der Herren hatte den Schell gefragt, wohin unsere Reise ginge – der ihm Czenstochau genannt; wir waren aber ohne allen Argwohn bei einem Vorfalle, der uns doch alles mögliche Unglück drohte.

Die Herren blieben über Nacht in unserem Wirtshause, sahen uns ganz gleichgültig an und sprachen wenig. Wir gingen schlafen; in der Nacht weckte uns aber der rechtschaffene Wirt und erzählte mit Erstaunen: diese Herren wären verkleidete Preußen und hätten gegen ein ihm angetragenes Geschenk von 50, dann gar von 100 Dukaten von ihm die Einwilligung verlangt, uns in seinem Hause zu überfallen, zu binden und nach Schlesien zu führen. Er hatte es aber standhaft und großmütig ausgeschlagen, obgleich ihm noch überdies eine große Belohnung versprochen wurde – dann aber heilige Verschwiegenheit gegen uns versprechen müssen, wofür man ihm sechs Dukaten in die Hand drückte.

Hieraus sahen wir deutlich, daß es Offiziere und Unteroffiziere waren, die uns der General Fouqué auf den Fuß nachgeschickt hatte. In der ersten Empfindung einer solchen wider uns entworfenen Schandtat wollte ich sogleich mit dem Gewehr in der Faust in das Zimmer der Verräter einbrechen; Lazar und Schell hielten mich aber zurück; und der erstere trug mir sogar an, so lange bei ihm zu bleiben, bis ich Geld von meiner Mutter erhalten könnte, um weniger Gefahr und Ungemach zu erdulden.

Früh mit Anbruch des Tages fuhren diese feinen Herren fort und nahmen den Weg nach Warschau. Wir wollten auch gehen – Lazar hielt uns aber zwei Tage fast mit Gewalt auf und gab uns die von den Preußen erhaltenen sechs Dukaten. Wir kauften uns jeder ein Hemd, auch noch ein paar Sackpistolen, Strümpfe und Leibesnotdurft, und gingen nach redlichster Umarmung des redlichen Wirtes, der uns die besten Lehren zur Vorsicht auf diesen Weg gab.

Den 6. Februar von Czenstochau nach Dankow, zwei Meilen. Unsere Abrede war für alle möglichen Fälle eines Angriffs auf der Straße genommen. Wir wußten durch Lazar, daß unsere Verfolger nur eine Flinte im Wagen hatten. Ich hatte auch eine Flinte, einen guten Säbel und jeder von uns ein paar Pistolen unter dem Rocke.

Den 7. gingen wir den Weg nach Parschimiechy. Kaum waren wir eine Stunde vorwärts, so sahen wir von weitem einen Wagen auf der Straße. Wir kamen näher und erkannten den Wagen unserer Verfolger, der im Schnee zu stecken schien, und die Herren alle herum. Sobald wir uns näherten, riefen sie uns zu Hilfe. Der Anschlag muß gewesen sein, uns heranzulocken, denn der Zweck war, uns lebendig zu fangen. Sogleich gingen wir seitwärts vorbei mit der Antwort: »Wir haben keine Zeit, euch zu helfen, meine Herren!« Gleich sprangen sie alle viere nach dem Wagen, rissen Pistolen heraus und liefen uns auf den Leib, mit Geschrei: »Halt! steht Spitzbuben!« Wir fingen verabredetermaßen an zu laufen. – Auf einmal wandte ich mich kurz und schoß den ersten, der mir ganz nahe kam, mit der Flinte auf das Herz. Er fiel; Schell gab Pistolenfeuer, ein paar Schüsse von den letzteren fielen zurück, wodurch Schell eine Streifkugel am Halse bekam. – Ich griff den andern an, schoß mit beiden Pistolen. – Er lief davon. – Ich verfolgte ihn in der Wut auf 300 Schritte, holte ihn ein, und da er sich mit dem Degen in der Faust wandte, sah ich, daß er voll Blut war, fand wenig Gegenwehr und hieb ihn nieder. – Gleich wandte ich mich zurück, und sah den Schell in der Gewalt der anderen beiden nach dem Wagen schleppen. – Rasend stürzte ich auf sie los: kaum erblickten sie mich, da ich ihnen schon fast an dem Leib war, und liefen beide ins Feld. – Der Kutscher sah das Scharmützel, schwang sich auf den Wagen und fuhr davon.

Schell war also gerettet, hatte aber einen Streifschuß am Halse und einen Hieb in der rechten Hand, wodurch er den Degen verlor, mir aber versicherte, daß einer seiner Gegner einen Stoß in den Leib davongetragen habe. –

Was war nunmehr zu tun? – Der erste, der auf der Walstatt lag, hatte eine silberne Uhr in der Tasche, diese riß ich heraus – wollte Geld suchen – Schell rief mir aber zu und zeigte mir einen Wagen, der mit sechs Pferden von der Höhe herunterkam. Sollten wir ihn abwarten und vielleicht gar als Straßenräuber arretiert werden? Die zwei Entsprungenen hätten gewiß gegen uns gezeugt; – in der Geschwindigkeit zum Entschlusse blieb die eilfertige Flucht zur Sicherheit. Ich erhaschte noch die Flinte des ersten Toten und seinen Hut. Hiermit eilten wir dem nahen Gesträuche und von da dem Walde zu, nahmen einen Umweg mit tausend Sorgen und kamen abends nach Parshemiechy.

Schell hatte sich sehr verblutet; ich verband ihn, so gut ich konnte. In polnischen Dörfern ist kein Feldscheer, es wurde ihm also sehr hart, das Städtchen zu erreichen. Hier fanden wir nur zwei sächsische Unteroffiziere, die für die Garde in Dresden auf Werbung standen. Meine Größe von sechs Schuh und Person fiel ihnen in die Augen, gleich ward Bekanntschaft und Antrag gemacht; ich fand an beiden vernünftige Leute, – vertraute ihnen also ohne Rückhalt, wer wir wären, auch unsere Tagesgeschichte mit den straßenräuberischen Preußen, und fand redliche Männer. Schell wurde verbunden, und wir blieben sieben Tage mit diesen guten Sachsen in vertrauter Gesellschaft.

Am 19. gelangten wir nach Kobylin. Wir hatten kein Geld mehr und kein Brot; ich verkaufte an einen Juden meinen Rock und erhielt einen grauen Kittel an dessen Stelle, nebst 4 fl. bares Geld. Da wir uns dem vorgesetzten Ziele zu meiner Schwester näherten, achtete ich meinen Rock nicht, in der Hoffnung, bald equipiert zu sein. Schell ward aber täglich elender, seine Wunden heilten langsam und kosteten überall Geld. Die Kälte war ihm auch schädlich, und weil er überdies kein Liebhaber der Reinlichkeit war, so blieb sein Leib eine wirkliche fruchtbare Pflanzschule aller möglichen Gattungen polnischer Läuse. Oft kamen wir naß und müde in die Rauchstuben, mußten die ganze Reise hindurch in eben den Kleidern auf dem Stroh, öfter auch auf der Bank liegen; man kann sich folglich kaum denken, was für Ungemach und Elend wir ausstehen mußten. Im Winter durch das unwegsame Polen herumirren, wo Menschenliebe nicht einmal dem Namen nach bekannt ist, wo nur unbarmherzige Menschen dem armen Reisenden das Nachtlager verweigern, und er dabei Mangel an Brot, an Erquickung und Kleidung leidet. – Meine Flinte verschaffte uns dann und wann einen Braten, auch einigemal zahme Gänse und Hühner, wo etwas zu erhaschen war; sonst haben wir nichts gestohlen. Hin und wieder fanden wir sächsische, auch preußische Werber; alles lief mir nach, weil ich sechs Fuß groß und in blühender Jugend war. Das verursachte mir manchen Zeitvertreib, wenn mir ein Werber das Glück vorstellte, ich könnte dereinst noch ein Korporal werden; oder wenn sie alles taten, mich zu berauschen und mit Met, Bier und Branntwein hervorkamen. Indessen hatten wir hierdurch manche Gefahr auf der Straße zu besorgen, aber auch manche gute Mahlzeit umsonst.

Den 21. gingen wir von Kobylin dreieinhalb Meilen nach Punitz.

Den 22. vier Meilen durch Storchnest nach Schmiegel.

Hier traf mich ein wunderbares Los. Die Bauern tanzten bei einer elenden Violine; ich nahm sie dem Fiedler aus der Hand und geigte ihnen einen Tanz vor. – Dies gefiel; da ich aber aufhören wollte, ward ich gewaltsam und zuletzt gar mit Drohungen gezwungen, ihnen die ganze Nacht bis an den hellen Tag vorzugeigen, so, daß ich vor Müdigkeit fast ohnmächtig wurde. Endlich kam es unter ihnen zu Schlägereien. Schell schlief auf der Bank; sie fielen ihm auf die verwundete Hand – er fuhr rasend auf; – ich griff im Zorn zum Gewehr, schlug tapfer drein – und da alles durcheinander lag, eilten wir beide zur Tür hinaus und kamen ohne Schläge davon.

Nun ging den 23. Februar die Reise von Schmiegel weiter fort nach Rakonitz, und von da nach Karger-Holland viereinhalb Meilen. Hier verkauften wir ein Hemd und Schell sein Kamisol um 18 Groschen oder 9 Schostack, um nicht zu verhungern. Tages vorher schoß ich ein Haselhuhn, das wir vor Hunger roh verzehrten; und weil es gut schmeckte, folgte eine Krähe darauf, wobei Schell aber nicht anbeißen wollte. Junge Leute, die stark gehen müssen, essen viel – folglich waren unsere Groschen geschwinde verzehrt.

Den 24. Februar kamen wir über Benschen nach Lettel; vier Meilen, wo wir uns einen Tag aufhielten, um uns in das Brandenburgische nach Hammer zu meiner Schwester zu wagen. Wir fanden ein preußisches Soldatenweib, die in Lettel wohnte und eine Untertanin meines Schwagers, aus dem Dorfe Költschen war. Dieser vertraute ich mich in der Not ohne Mißtrauen an, und sie führte uns glücklich nach Hammer zu meiner geliebten Schwester, wo wir am 27. abends um neun Uhr an die Tür klopften.

Ein Mädchen machte auf, und gerade war diese eine Bekannte, die Maria hieß und in unserm Hause aufgewachsen war. Sie erschrak, einen baumstarken Kerl in Bettelkleidung vor sich zu sehen. – Ich redete sie aber gleich an: »Mitsche, kennst du mich nicht?« – Sie sagte nein! – Ich entdeckte mich – fragte, ob mein Schwager zu Hause sei. – »Ja, aber er ist krank im Bette.« – »Sage meiner Schwester heimlich, daß ich hier bin.« Sie führte uns in ein Seitenzimmer, und gleich war meine Schwester bei uns.

Sie erschrak über meinen Aufzug und wußte noch nicht einmal, daß ich aus Glatz entflohen war, eilte zu ihrem Manne und kam nicht zurück.

Nach einer Viertelstunde kam die ehrliche Maria zu uns, weinte und sagte, der gnädige Herr ließe uns sagen, wir sollten sogleich sein Haus verlassen, sonst wäre er gezwungen, uns zu arretieren und auszuliefern. – Meine Schwester sah ich aber nicht wieder; ihr Mann hielt sie mit Gewalt zurück.

Nun urteile man, was ich in diesem Augenblicke empfand. Ich war zu stolz, zu aufgebracht, um Geldhilfe zu fordern; eilte wie ein rasender Mensch unter tausend Drohungen aus dem Hause. Das gute mitleidige Mädchen drückte mir weinend drei Dukaten in die Hand. – Und so waren wir hungrig, müde, matt und verzweifelt wieder in dem Walde, der nicht hundert Schritt vom Schlosse entfernt war, durften in kein Haus gehen, weil wir im Brandenburgischen waren, und mußten in dunkler Nacht in demselben bei Regen und Schnee herumsteigen, bis uns unsere Führerin gegen Anbruch des Tages erst wieder nach Lettel brachte. Sie selbst weinte über unser Schicksal und für ihre Mühe und ausgestandene Gefahr erhielt sie nur zwei Dukaten von mir. – Ich vertröstete sie auf die Zukunft – ließ sie auch im Jahre 1751 zu mir nach Wien kommen und habe sie gut gepflegt und versorgt.

Kaum waren wir aber vor dem Schlosse meiner Schwester im elendesten Zustande im Walde, so sagte ich im ersten Eifer zu Schell: »Bruder! verdient eine solche Schwester nicht, daß ich ihr das Haus über dem Kopfe anstecke?« Die Mäßigung, die edle Seele, die wahre Gelassenheit war bei diesem Menschen eine wirklich bis zum Wunderbaren gestiegene Tugend.

In allen Fällen war er mein Mentor, mein treuer Führer, wo mein feuriges Temperament in Ausschweifungen losbrechen wollte. Ich verehre deshalb seine Asche, er verdiente ein besseres Schicksal, als das, welches ihn bis zum Grabe begleitet hat.

Bei dieser Gelegenheit sagte er mir: »Freund! deine Schwester kann unschuldig sein, ihr Mann wird sie zurückgehalten haben. Denke nach, wenn der König erführe, daß wir in seinem Hause gewesen wären, und daß er uns durchgeholfen hätte, so wäre ja deine Schwester ebenso unglücklich wie du. – Fasse dich! denke größer! – Und handeln sie unrecht, vielleicht kommt noch eine Zeit, daß ihre Kinder deiner Hilfe bedürfen und du ihnen Böses mit Gutem vergelten kannst.«

Ewig denke ich an diesen treuen Rat. Es war eine wirkliche Weissagung. Mein reicher Schwager starb bald darauf. – Im russischen Kriege wurden alle ihre Güter in einen Steinhaufen verwandelt, und nach meiner Befreiung aus Magdeburg, also neunzehn Jahre nach dieser Begebenheit, ereignete sich wirklich der Fall, daß ich den Kindern eben dieser Schwester habe Dienste leisten können. So wechselt das Schicksal auf Erden, und so werden unwahrscheinliche Dinge möglich. Meine rechtschaffene Schwester hat sich bei mir gerechtfertigt und wirklich hatte Schell die Wahrheit erraten. Zehn Jahre nach diesem Vorfalle zeigte sie in meinem Magdeburger Gefängnisse, daß sie meine echte Schwester war; – sie wurde durch den kaiserlichen Gesandschaftssekretär Weingarten in Berlin schändlich verraten, verlor hierdurch einen Teil ihres Vermögens und endlich auch das Leben als ein unschuldiges Schlachtopfer für ihren redlichen Bruder.

Ich mußte nunmehr meinen Entwurf ändern, weil ich keine Hilfe am ersten Zufluchtsorte fand, und mich entschließen, zu meiner Mutter nach Preußen zu fliehen, die neun Meilen hinter Königsberg auf ihrem Gute lebte.

Am 1. März brachen wir auf und kamen den 5. bis Rogosen; hatten aber keinen Heller, das Nachtquartier zu bezahlen. Der Jude trieb uns hinaus, und wir gingen die Nacht durch mit wütendem Hunger irrend herum, so daß wir uns bei Anbruch des Tages nur zwei Meilen außer der Straße befanden.

Wir gingen in ein Bauernhaus, wo ein altes Weib eben Brot aus dem Ofen zog; bezahlen konnten wir keins, und in eben diesem Augenblicke empfand ich wirklich, daß es möglich sei, eine Mordtat um ein Stück Brot zu begehen. Bei dem Gedanken, wovor ich zurückschauderte, gingen wir eilfertig zur Tür hinaus und noch zwei Stunden weit, bis nach Wongrofze.

Hier verkaufte ich in der äußersten Not meine Flinte, die uns manchen Braten verschafft hat, um einen Dukaten. Wir aßen uns satt, nachdem wir 40 Stunden lang keinen Bissen genossen, auch ohne Schlaf gegen zehn Meilen in Kot und Schnee herumgestiegen waren, rasteten den 6. dort, und kamen am 7. durch Gerin auf ein Dorf vier Meilen im Walde.

Hier gerieten wir auf eine Bande von Zigeunern, die ungefähr 400 Mann stark war und mich durchaus mit in ihr Lager schleppte; die meisten waren preußische, auch französische Deserteure.

Am 9. gingen wir bis Lapuschin dreieinhalb Meilen und am 10. vier Meilen bis Thorn.



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