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Berauscht von Freude und Aussicht auf eine glückliche Zukunft, geriet ich auf den törichten Gedanken, die Großmut des großen Friedrich auf die Probe zu setzen. Fände ich diese nicht, schlüge dieser Anschlag fehl, dann hätte ich in allen Fällen meinen Leutnant zum gewissen Erretter.
Diesem tausendfach beweinten Plan gemäß, in den ich mich selbst verliebt hatte, und weshalb ich mit Sehnsucht den Tag erwartete, redete ich den mittags zur Visitation hereintretenden Major auf folgende Art an:
»Ich weiß, Herr Major, daß der Gouverneur, der großmütige Herzog Ferdinand von Braunschweig, gegenwärtig in Magdeburg ist. (Dieses hatte mir mein Freund gesagt.) Gehen Sie sogleich zu ihm und sagen ihm: Er möchte zuvor mein Gefängnis visitieren, die Schildwachen verdoppeln lassen und dann befehlen, zu welcher Stunde am hellen Tage ich mich außer den Werken der Sternschanze auf dem Glacis bei Kloster Bergen in vollkommener Freiheit sollte sehen lassen. – Wäre ich dieses zu bewerkstelligen imstande, dann hoffte ich auf die Protektion des Herzogs, der diesen Auftritt dem König melden sollte, um ihn dadurch von meinem reinen Gewissen und allezeit rechtschaffenen Handlungen zu überzeugen.«
Der Major erstaunte, sah den Leutnant an und glaubte wirklich, ich wäre verrückt, weil ihm der Vortrag lächerlich und die Ausführung meines Anerbietens schlechterdings unmöglich schien. Ich beharrte aber ernsthaft auf meiner Bitte. Er ritt in die Stadt, und kam nebst dem Kommandanten Herrn von Reichmann, dem Platzmajor Niding und dem andern Inspektionsmajor zu mir zurück mit der Antwort: »Der Herzog ließe mir sagen: Wenn ich das, wozu ich mich anheischig mache, zu bewerkstelligen imstande sei, dann versichere er mich seiner ganzen Protektion, auch der Gnade des Königs, und wolle mich sogleich von allen Fesseln befreien.«
Nun forderte ich die Bestimmung der Stunde im vollen Ernste. Noch scherzte man und hielt alles für unmöglich. Endlich hieß es, ich sollte sagen, auf was für Art, ohne es auszuführen. Es wäre genug, wenn ich die Möglichkeit erwiese. Im Weigerungsfalle würde sogleich mein ganzer Fußboden aufgebrochen werden, und man würde Tag und Nacht Wache in mein Zimmer stellen. Der Gouverneur wolle sich nur von der Möglichkeit überzeugen, aber keinen wirklichen Ausbruch gestatten.
Nach langem Kapitulieren und den heiligsten Versicherungen warf ich ihnen auf einmal alle meine Fesseln vor die Füße, öffnete mein Loch, gab ihnen mein Gewehr und alle meine Instrumente, auch zwei Schlüssel zu Ausfalltüren in den unterirdischen Galerien. Ich hieß sie in die erste, 37 Fuß weit von meinem Kerker gehen, und mit dem Degen den Ausbruch sondieren, der in wenigen Minuten geschehen könnte. Dann sagte ich ihnen jeden Schritt, den ich inwendig zur Tür in jeden Wall zu gehen hätte. Beide waren seit sechs Monaten unverschlossen, zu den andern gab ich ihnen die Schlüssel. – Endlich entdeckte ich ihnen auch, daß ich an dem Glacis bei Kloster Bergen auf jeden Wink Pferde bereit habe, deren Stall zu entdecken sie aber außerstande wären.
Sie gingen hinaus, sahen, kamen wieder herein, stellten Fragen und Einwürfe, die ich so gut beantwortete als ein Ingenieur, der die Sternschanze gebaut hatte. Dann traten sie wieder hinaus, wünschten mir Glück, blieben etwa eine Stunde weg – – kamen sodann wieder, sagten mir, der Herzog sei erstaunt über den erhaltenen Bericht, wünschten mir noch einmal Glück und führten mich hinaus ohne Fesseln und in das Zimmer des wachhabenden Offiziers.
Am Abend kam der Major zu uns, gab ein herrliches Souper und versicherte mich, nunmehr werde alles gut gehen. Der Herzog habe bereits nach Berlin geschrieben.
Am folgenden Tage wurde aber die Wache verstärkt; zwei Grenadiere traten in das Offizierzimmer als Schildwachen; die ganze Wache lud scharfe Patronen vor meinen Augen, und kurz gesagt: man traf Vorkehrungen, als ob ich eine Unternehmung wie zu Glatz machen wolle; sogar die Zugbrücken wurden am hellen Tage aufgezogen.
Dann sah ich vor meinen Augen sogleich eine Menge Menschen vor meinem Kerker arbeiten und viele Wagen mit Quadersteinen hinunterfahren. – – Indessen waren die wachhabenden Offiziere freundlich und liebreich gegen mich; die Tafel war gut; wir aßen zusammen, aber ein Unteroffizier und zwei Mann blieben beständig bei uns im Zimmer, folglich waren alle Unterredungen sehr behutsam. Dies dauerte vier oder fünf Tage, bis endlich mein neuer Freund, auf den ich mich ganz verließ, zu mir auf die Wache kam. Er schien der alte zu sein, die Augenzeugen gestatteten uns wenig Unterredung. Indessen gewannen wir doch zuweilen Gelegenheit. Er war erstaunt über meine unzeitig gemachte Entdeckung, sagte mir, der Herzog wüßte gar nichts davon, und in der ganzen Garnison hieß es, man habe mich abermals beim Ausbrechen überrascht.
Hier ging mir ein Licht auf, aber leider zu spät! Ich versicherte meinen Freund, ich habe allein alles deshalb getan, weil ich mich nunmehr auf sein mir gegebenes Wort verließe. Er beteuerte, versprach alles, und nunmehr war mein Mut unbegrenzt; meine Rache aber gegen ein so niederträchtiges Verfahren des Kommandanten im Herzen beschlossen.
Binnen acht Tagen war der neue Bau meines Gefängnisses fertig; der Platzmajor erschien nebst dem Major du jour und man führte mich wieder in meinen Kerker zurück. Hier wurde ich nur mit einem Fuße an der Mauerkette befestigt, die aber noch einmal so schwer als die vorige war. Alle übrigen Fesseln wurden mir nicht wieder angelegt.
Der Fußboden war nunmehr mit großen Quadersteinen ausgepflastert, und folglich das Gefängnis wirklich undurchdringlich gemacht. Bloß das Geld, das in den Türgerüsten und in der Ofenröhre versteckt war, blieb gerettet; ungefähr 30 Louisdors, die ich am Leibe trug, wurden gefunden und weggenommen.
Da man mich nun wieder anschmiedete, sagte ich dem Kommandanten in erbittertem Tone: »Ist das die Folge des herzoglichen Ehrenwortes? Hab' ich solche Mißhandlung für meinen Großmut verdient? Ich weiß aber schon, daß man falsch rapportiert hat. Die Wahrheit wird dennoch offenbar werden und Schurken beschämen. Nunmehr erkläre ich Ihnen aber, daß Sie den Trenck nicht mehr lange in Ihrer Gewalt haben werden. Und bauten Sie mir einen Kerker von Stahl, so sollen Sie mich nicht festhalten.« – –
Man lachte über meine Drohungen, Reichmann aber sprach mir Mut zu, hieß mich hoffen und sagte, ich würde vielleicht bald auf eine gute Art meine Freiheit erlangen.
Ich pochte hauptsächlich auf die mir allein bekannte Hilfe meines neuen Freundes und war viel mehr verwegen und drohend als niedergeschlagen und kleinmütig, was jedermann in Verwunderung setzte.
Ich muß aber auch hier dem Leser das Rätsel auflösen, warum man eigentlich so unerwartet mit mir verfuhr. Nach meiner erlangten Freiheit reiste ich nach Braunschweig und erfuhr vom Herzog selbst, daß die damals über mich bestellten Herren Majore ihm nicht die Wahrheit rapportiert, sondern, um einem Verweis wegen nachlässigen Visitierens auszuweichen, ihm gemeldet, sie hätten mich bei der Arbeit ertappt und bei genauer Untersuchung gefunden, daß ich ohne ihre Wachsamkeit gewiß entflohen wäre. Einige Zeit nachher habe der Herzog aber die Wahrheit erfahren, dem König den Vorfall gemeldet, und von dieser Zeit an habe der Monarch nur auf Gelegenheit gewartet, um mir die Freiheit wiederzugeben.
Nun saß ich von neuem in meinem Kerker; mein Herz empörte sich gegen den gefühllosen Monarchen, noch mehr aber gegen den grausamen Gouverneur. Und beide waren doch hintergangen, auch unschuldig an der Ursache meiner Klagen.
Ich hoffte nun Tag und Nacht auf den ersten Eintritt meines gewissen Erretters. Wie erschrak ich aber, da an dem Tage seiner bestimmten Wache ein anderer Leutnant hereintrat . . .
Noch schmeichelte ich mir, daß ungefährer Zufall ihn nur für dieses Mal zurückgehalten hätte. Allein ich wartete wohl drei Wochen vergebens: er kam nicht wieder. Fragen durfte ich nicht; endlich erfuhr ich, daß er von den Grenadieren abgegangen sei, folglich die Sternschanze nicht mehr zu versehen hatte. – Ob ihm nun etwa sein Entschluß für mich gereut, ob er verzagt zur Ausführung war, ob die von mir ihm gegebenen 100 Dukaten ihn auf andere Gedanken gebracht und sein Glück befördert haben, alles das ist mir unbekannt und ich verlange es auch nicht zu wissen.
Jetzt fing ich erst an, über mein grausames Schicksal nachzudenken und meine Torheit, meinen unzeitigen Stolz bitterlich zu beweinen. Ich konnte fast ein halbes Jahr hindurch ungehindert und ohne alle Gefahr aus meinem Kerker entfliehen; alle möglichen Vorfälle waren behoben, und nichts stand mir entgegen. – Meine eigene Schuld, mein blindes Vertrauen auf Menschengroßmut, auf Freundeshilfe vereitelte aber alle meine Hoffnung und stürzte mich in einen Zustand, aus dem mich wirklich nichts mehr retten konnte.
Neun Jahre hindurch fand ich trotz aller Vorkehrungen, meinen Kerker undurchdringlich zu machen, noch allezeit Mittel in meiner Erfindungskraft; jetzt aber hatte ich selbst alle meine Aussicht für die Zukunft vereitelt und mich allein als die Ursache meines künftigen Leidens zu betrachten. Tausend Vorwürfe nagten nunmehr an meiner tiefgebeugten Seele, und gewiß hätte ich zu leben aufgehört, wenn mich nicht noch die Erwartung einer auswärtigen Hilfe aus Wien oder Berlin zurückgehalten hätte.
Die Stabsoffiziere merkten bald, daß ich meine ganze Heiterkeit und gewöhnliche Standhaftigkeit zu verlieren anfing. Ich wurde tiefsinnig, mürrisch und schwermütig, arbeitete auch wenig an meinen Bechern und schrieb nur Klagelieder oder verzweifelte Traueroden.
Der Friede war bereits seit neun Monaten geschlossen, und noch erfolgte nichts für mich. Eben aber, als ich mich schon wirklich ohne Rettung verloren glaubte, brach mit dem 24. Dezember mein Erlösungstag heran.
Es war gerade zur Zeit der Wachparade, als der Königliche Leutnant von der Garde, Graf Schlichen, als Kurier nach Magdeburg geritten kam und den Befehl brachte, daß ich sogleich meines Arrestes entlassen sein sollte.
Die Freude auf dem Paradeplatze, wie in der ganzen Stadt war allgemein, weil mich jedermann schätzte, bewunderte oder bedauerte.
Nun rasselten auf einmal meine Türen, und ich sah zuerst den Kommandanten, dann drängte sich ein Schwarm Menschen herein, die mich alle mit heiterem, lachendem Gesicht anblickten. Ich war verwundert, jetzt aber sagte der erstere:
»Mein lieber Trenck! Heute habe ich zum erstenmal die Freude, Ihnen eine gute Nachricht zu bringen . . . Der Herzog Ferdinand hat endlich bei dem König erreicht, daß man Ihnen Ihre Fesseln abnehmen soll« – gleich trat auch der Schmied herzu und fing seine Arbeit an. »Sie werden auch ein besseres Zimmer erhalten,« fuhr er fort. – Hierauf fiel ich ihm in die Rede: »Ich bin also gewiß in Freiheit, und Sie wollen mir nur die Freude nicht auf einmal beibringen. Sagen Sie mir die trockne Wahrheit! Ich weiß mich zu mäßigen.«
»Ja,« war die Antwort, »Sie sind frei!« – Gleich umarmte er mich zuerst, und die andern folgten.
Nun fragte man mich: »Was wollen Sie für ein Kleid?« – »Meine Uniform,« erwiderte ich. – Der Schneider war schon da und nahm das Maß. »Morgen früh, Meister,« sagte Herr von Reichmann, »muß die Uniform fertig sein.« Er entschuldigte sich mit der Unmöglichkeit wegen des Heiligen Abends und Christfestes. – »Gut,« hieß es, »der Herr sitzt morgen nebst seinen Gesellen in diesem Loche, wenn das Kleid nicht fertig ist.« – Sofort war es möglich und heiligst versprochen.
Sobald der Schmied fertig war, führte man mich auf die Wache in das Offizierzimmer. Hier wünschte mir jedermann von Herzen Glück, und der Platzmajor ließ mich den gewöhnlichen Eid aller Staatsgefangenen schwören:
Hierauf gab mir der Graf Schlieben einen Brief von dem kaiserlichen Minister in Berlin, dem General Ried, ungefähr folgenden Inhalts: »Daß es ihn herzlich freue, Gelegenheit gefunden zu haben, bei dem König meine Freiheit zu bewirken. Nun sollte ich aber alles willig und freudig tun, was der Graf Schlieben von mir fordern würde, der befehligt sei, mich nach Prag zu begleiten!«
Schlieben sagte nun: »Lieber Trenck! Ich habe Befehl, Sie diese Nacht von hier in einem verdeckten Wagen über Dresden nach Prag zu begleiten und nicht zu gestatten, daß Sie auf der Reise mit jemandem sprechen. General Ried hat mir 300 Dukaten behändigt, um alles zu bestreiten. Ich will sogleich einen Wagen kaufen. Da aber heute nicht alles fertig werden kann, so ist mit dem Herrn Kommandanten vereinbart worden, daß wir erst morgen nacht von hier abreisen werden.«
Nachdem ich alles freudigst versprochen, blieb Graf Schlieben bei mir; die andern gingen nach einer kurzen Unterredung in die Stadt.
Nun war ich frei, ging überall spazieren in den Werken, um mich an Luft und Licht zu gewöhnen; suchte auch in meinem Kerker mein noch verstecktes Geld zusammen, das noch gegen 70 Dukaten betrug.
Die ganze Wache wurde herrlich traktiert. Jedem Mann gab ich einen Dukaten, meinen Schildwachen, die eben auf dem Posten standen, als ich frei ward, jedem drei Dukaten; unter die abgelöste Wache ließ ich zehn Dukaten austeilen; dem eben wachhabenden Offizier schickte ich ein Geschenk aus Prag. Den Ueberrest meines Geldes behändigte ich dem Weibe meines ehrlichen Grenadiers Gefhardt. Dieser war gestorben, und sie hatte während der Zeit, da er im Felde war, einem jungen Burschen anvertraut, daß sie 1000 fl. von mir empfangen habe; dieser war mit dem von ihr erhaltenen Gelde unvorsichtig, wurde untersucht und verriet das Weib, das deshalb zwei Jahre im Zuchthause zugebracht hatte.
Der Witwe des Mannes, der sich vor meinem Kerker im Jahre 1756 erhängte, gab ich 30 Dukaten, die mir Schlieben ausfolgen ließ.
Die ganze Nacht war ich unruhig, und meine Wache fröhlich, bei der ich den größten Teil der Nacht zubrachte.
Am Morgen des Weihnachtsfestes hatte ich Besuch von allen Stabsoffizieren der Garnison; in der Stadt durfte ich aber nicht erscheinen. Bis Mittag war ich mit Stiefeln, Uniform und Degen ganz gekleidet und gefiel mir selbst im Spiegel. Mein Kopf war aber von Entwürfen, Freude und Glückwünschen so betäubt, daß ich mich auf die Vorfälle der ersten Tage wirklich nicht mehr zu besinnen weiß.