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Ich wurde geboren am 16. Februar 1726 in Königsberg in Preußen. Mein Vater starb daselbst im Jahre 1740 als königlich preußischer Generalmajor der Kavallerie, Ritter des Militärordens, Landeshauptmann und Erbherr auf Groß-Scharlach, Schakulack und Meicken, die seit 300 Jahren Trencksche Stamm- und Lehngüter sind. Er nahm achtzehn Narben in das Grab, die er für das Vaterland aufzuweisen hatte, und der große Friedrich ließ ihn mit den Ehrenzeichen eines Generalleutnants begraben.
Meine Mutter war eine Tochter des Königsberger Hofgerichtspräsidenten von Derschau. Einer meiner Vettern war der königlich preußische Staatsminister und Generalpostmeister in Berlin. Zwei andere Derschau waren Generale der Infanterie.
Sowohl von Vater- als Mutterseiten sind meine Ahnen in den preußischen Chroniken unter den alten deutschen Ordensrittern bekannt, welche ehemals Kurland, Preußen und Livland eroberten und unter sich in Aemter und Balleien verteilten. Eigentlich stammen die Trenck aus dem fränkischen Kreise.
Weit über die Vorurteile des adligen Pöbels erhaben, lache ich herzlich mit, wenn Menschen ohne persönliches Verdienst, ohne Adel des Herzens, sich mit ihrem hochadligen Stammbaume wie Schwammgeschöpfe aufblähen, und durch bestaubte Diplome oder laufendjährige Geschlechtsregister eine besondere Achtung zu fordern sich berechtigt glauben.
Von meinen Kinderjahren sage ich gar nichts, denn dieses Buch soll kein Kinderroman werden: nur ernsthafte Geschichten mit wirklich wunderbaren Vorfällen fordern Raum in diesen Blättern.
Mein Temperament war sanguinisch-cholerisch und erst im 54. Jahre ward das Cholerische herrschend.
Trieb nach Freuden und Leichtsinn waren folglich die angeborenen Fehler, welche meine Lehrer zu bekämpfen hatten; das Herz war biegsam, aber eine edle Wißbegierde, ein Nacheiferungsgeist, eine unruhige Arbeitsamkeit, ein bei allen Gelegenheiten angefächelter Ehrgeiz waren die Triebfedern, welche nach dem Entwurfe meines aufgeklärten Vaters einen brauchbaren Mann aus mir bilden sollten. Kaum war ich Jüngling, so keimte schon eine Art von Stolz in meiner Seele, welcher auf dem Gefühl des inneren Wertes Wurzel faßte. Ein einsichtsvoller Lehrmeister, welcher mich vom 6. bis in das 13. Jahr leitete, arbeitete aber unausgesetzt, um diesen empörenden Stolz in eine gemäßigte Eigenliebe zu verwandeln. Durch Gewohnheit, beständig mit Schulbüchern beschäftigt zu sein, durch Anfrischung, Erquickungsstunden und Lob ward mir die Arbeit ein Zeitvertreib, das Lernen eine Gewohnheit, und die strengste Erziehung eine ungefühlte Bürde.
Wenn ein Jüngling einen geduldigen und wirklich gelehrten Lehrer hat, der ihn zugleich liebt und Freude an seinem Unterricht findet, wenn dieser Jüngling vom sechsten bis in das dreizehnte Jahr täglich von fünf Uhr früh bis sieben Uhr abends zur Arbeit angehalten wird und zugleich einen leichten Begriff, einen gesunden Leib, einen forschenden Verstand und ein großes Gedächtnis mit einer regelmäßigen Organisation besitzt, wenn seine Lehrer ihn bei seiner Schwäche zu lenken und sein Feuer so anzufachen wissen, daß es keine Funken in wachsende Leidenschaften aussprühen kann, dann allein ist es möglich, daß der Schüler, so wie ich, schon im dreizehnten Jahre alle Schulstudien gründlich absolvieren und zu den höheren Wissenschaften auf Universitäten schreiten kann.
Die ganze Geschichte hatte ich nicht nur buchstäblich, sondern mit aufgeklärter Anwendung im Kopfe, so im Kopfe, daß ich heute noch in meinem sechzigsten Lebensjahre, fast alle römischen Regenten und Kaiser, alle großen Männer und Gelehrten nennen und auch das Jahrhundert bestimmen kann, in dem sie lebten.
Mein Vater schonte kein Geld, wo Gelegenheit war, etwas zu lernen. Mit Fechten, Tanzen, Reiten und Voltigieren wurden meine Erquickungsstunden beschäftigt. Und wenn ich irgendwo müde wurde oder Ekel merken ließ, dann brauchte man mir nur versprechen, daß ich nach vollbrachter Lektion ein paar Stunden Vögel schießen, Fische fangen oder spazieren reiten durfte: so war im Augenblick alles gelernt, und Wonne und Freude verbreiteten sich bei der strengsten Kopfarbeit in meiner ganzen Seele.
Man blieb aber nicht allein bei den toten Büchern, die nur den Kopf anfüllen und den Gelehrten bilden, man arbeitete zugleich auf das Herz, auf das Sittliche und auf die moralischen Empfindungen des Jünglings.
Erholungsstunden durfte man mir wenig gestatten, denn überall waren Händel, wo ich mich einmischte. Und wo lustige Streiche gespielt wurden, wo man mit verkleideten Gespenstern das Gesinde schreckte, oder wo Zucker und Obst genascht wurden: da war Fritz gewiß der Urheber, allezeit aber sicher in Verdacht. Hierdurch übte ich mich in listigen Ausflüchten und geriet durch Notlügen auf den Geschmack, andern Leuten eine Nase zu drehen, auch die Wahrheit listig zu bemänteln, denn gegen Gewalt hilft am sichersten der Betrug.
Meine Lebhaftigkeit war unbegrenzt. Durch liebreiche Worte aber war alles von mir zu erhalten, wogegen mich Schläge und niedrige Handlungen empörten und halsstarrig machten. Die ganze Grundlage meiner Erziehung war demnach auf Ehrgeiz, Lob und Tadel gegründet. Und weil geschwinde Begriffe und unausgesetzte Arbeit mich früher klüger machten als alle Jünglinge, die ich zum Umgang fand, weil ich mich von allen Menschen loben und von vielen bewundert sah, so geriet ich unbemerkt aus der Eigenliebe in einen Stolz, in eine gewisse Menschenverachtung oder Tadelsucht, die mir bis zum grauen Haar angeklebt und mir viel Händel in der Welt verursacht hat.
Mein Vater war durchaus Soldat. Tapfer und ehrgeizig sollten alle seine drei Söhne werden. Wenn demnach einer den andern schimpfte oder beleidigte, so durften wir nicht mit den Haaren raufen. Es geschah eine förmliche Aufforderung mit hölzernen Säbeln, die mit Leder überzogen waren. Und der Alte sah lächelnd zu, wenn wir uns herumsäbelten, eben hierdurch aber in den Fehler gerieten, Händel zu suchen, um bei jedem Siege gepriesen zu werden.
Nichts konnte mich mehr aufbringen, als wenn ich einen andern Jüngling loben hörte. Ich wollte mehr wissen als ein jeder, und gleich waren Händel da, wo wir zusammenkamen. Dieser nicht beizeiten gedämpfte Fehler und die Gewohnheit, daß ich bei allen öffentlichen Prüfungen allezeit der erste blieb, haben einen so nachteiligen Eindruck in meinen Begriffen von mir selbst verursacht, daß ich in allen Begebenheiten meines Lebens lieber brechen als biegen, keinem stolzen gebieterischen Menschen nachgeben noch ausweichen wollte, einen jeden angriff und beleidigte, der mich zu verachten schien, und daß ich mich viel zu früh als vorwitziger Jüngling schon in die Klasse der großen Männer schwingen wollte. Hieraus erwuchs der Neid und alle Verfolgungen, die ich mir bei vielen Gelegenheiten durch Enthaltsamkeit und Mäßigung vom Halse halten konnte. Eben hieraus, weil ich weder nachzugeben noch den Mantel nach dem Winde zu hängen gelernt hatte, weil mein Lehrmeister nur ein in meine Talente verliebter Schulpedant und kein Mann war, der mein Feuer zu mäßigen und mich für die große Welt mit Arglist und verstellter Demut auszurüsten weder Kenntnis noch Fähigkeit besaß; weil mein Verstand zu früh reif und ich auf der Universität meiner eigenen Leitung überlassen wurde, eben deshalb wird man in meinen Lebensvorfällen Begebenheiten finden, die mich in den tiefsten Schlamm menschlichen Schicksals stürzten, weil ich mir selbst, meiner Fähigkeit, meinen Kräften zu viel zutraute, dem Neide nicht auszuweichen wußte und ihm vielmehr Waffen wider mich in die Hand gab, wenn ich den Widerstand gegen mächtige oder böse Menschen unter die Heldentaten rechnete, folglich den großen Haufen gegen mich aufbrachte, und dann auch eine der Staatsverfassung angemessene Subordination nicht von der Sklavenpeitsche zu unterscheiden gelernt hatte.
Auch das Amt hatte ich nie vom Manne unterscheiden gelernt. Ich wollte überall Gerechtigkeit, Großmut und Gelehrsamkeit finden, alles sollte nach meinen Schulbüchern angeordnet sein. Bei der edelsten und besten Fürsorge für meine Erziehung, um einen glücklichen Mann aus mir zu machen, entstand demnach durch eine Nachsicht oder Versäumnis in solchen Grundsätzen, die in despotischen Staaten unentbehrlich sind, eben das Gegenteil des Zweckes. Ein republikanischer, nach erhabenen Grundsätzen der edelsten Freiheit und Menschenliebe gebildeter Kopf sollte in Friedrichs Staaten mit großen Talenten zu großen Ehrenstaffeln gelangen? Welcher Widerspruch, welche verfehlte Grundanlage! Man erzog mich für den Dienst eines durch Eigenmacht beherrschten Vaterlandes mit den Grundsätzen, mit dem ganzen Enthusiasmus eines freigeborenen Menschen, man lehrte mich die Sklavenpeitsche weder kennen noch ihr ausweichen, sondern nur verachten. Was Wunder, wenn ich ihr Klatschen niemals um meine Ohren dulden wollte und dann als Rebell behandelt wurde. Die Reformatoren erhalten ihre Lorbeerkrone erst jenseits des Grabes, hier verschmachten sie meist in Gefängnissen oder seufzen im Narrenhause. Wunderbar und zugleich lehrreich ist aber mein Lebenslauf gewiß, weil man an mir ein Beispiel findet, wie ein junger Mensch, dessen Herz von der edelsten, biegsamsten Art war, dessen Erziehung alle möglichen Vorteile und Anwendungen erhielt, der gar keinem Laster ergeben war, der allein für die Wissenschaften, für Ehre und Tugend arbeitete, der sich niemals zu bösen Gesellschaften verleiten ließ, in seinem ganzen Leben nie berauscht war, nie das Spiel liebte, keine Stunde dem Müßiggang noch der tierischen Wollust aufopferte, um ein vorzüglich brauchbarer Mann zu werden . . . dennoch in ein solches Schicksalslabyrinth verwickelt wurde, das sogar für einen Bösewicht, Erztaugenichts und Uebeltäter noch zu grausam wäre.
Das gewöhnliche Jugend- oder Kinderjahreglück habe ich nie genossen. Der ganze Tag war mit Anstrengung und Lernen beschäftigt, sogar der Schlaf wurde mir deswegen abgebrochen, besonders weil mein Lehrer ein alter Mann war, der, weil er selbst wenig schlief, mir auch wenig Ruhe gestattete. Die Jünglingsfreuden genoß ich noch viel weniger, denn im achtzehnten Jahre war ich schon unglücklich und schmachtete ohne Verschulden im Gefängnis zu Glatz. Als Mann hatte ich mit tausend Widerwärtigkeiten zu ringen, erlebte zweimal die Konfiskation meines Vermögens und saß vom siebenundzwanzigsten Lebensjahre bis zum siebenunddreißigsten zu Magdeburg ohne Tageslicht gefesselt im Kerker. Seit meiner erhaltenen Freiheit hatte ich beständig Drangsale und Verfolgungen zu bekämpfen, und nun bin ich ein Greis. Des Alters Schwächen brechen hervor. Die Munterkeit des Geistes verschwindet, das Feuer erlöscht, der Gliederbau sinkt, die Kräfte zum Widerstand sind geschwächt, Krankheiten brechen hervor und fordern eine neue Art von Geduld, die mir bisher unbekannt war. Ich fühle, daß ich genug gelebt habe und sehne mich nach Ruhe, die für Männer meiner Gattung erst jenseits des Todes zu hoffen ist.
Wer aus einem sanguinisch-cholerischen Jüngling einen strengen Wirt, einen Kassier, einen Rechnungsführer erzwingen will, der ist betrogen und befördert des Zöglings Unglück. Mein Hauptfehler war allezeit eine übertriebene Freigebigkeit und Offenherzigkeit. Ich gab mehr, als ich geben sollte, und vergaß mich selbst. Der Grund dazu steckte vielleicht in dem Stolze, welcher die Selbsterhaltung überwog. Ich verließ mich zu viel auf mich selbst, geriet in Mangel, hierdurch in allerhand Verdrießlichkeiten und war ein wirklicher Verschwender im Wohltun. Warum? Weil ich in meiner Kindheit den Wert des Geldes zu wenig kennenlernte.
Anno 1739, also in meinem dreizehnten Lebensjahre, fand mein Vater schon für notwendig, und mein Lehrer mich tüchtig, daß ich die Universitätsstudien anfing und wirklich immatrikuliert wurde. Man übergab mich dem berühmten Professor Kowalewski, der dem Vaterlande viele große Männer gebildet hat. Bei ihm war ich nebst vierzehn anderen Edelleuten aus besten Familien des Reiches in Kost und Wohnung. Der Zwang, die Ordnung, der strenge Fleiß in diesem Lehrhause gefiel zwar dem neugebackenen Studenten nicht. Ich war unter mehr als 3500 der jüngste an Jahren, und wußte mehr als vierundzwanzigjährige Akademiker. Jedermann bewunderte meine Jugend und Fähigkeit, weil es fast ohne Beispiel ist, daß ein Jüngling von dreizehn Jahren schon auf lutherischen Universitäten Student wird, und Collegia juridica, auch alle erhabenen Lehrstühle zu besuchen imstande ist. Dies alles erhob meine Wißbegierde, zugleich aber auch meine Selbstschätzung.
Im Jahre 1740, im März, starb mein rechtschaffener Vater, und meine Mutter heiratete in zweiter Ehe den Grafen Lostange, Oberstleutnant des Kiowsschen Kürassierregiments, verließ Preußen und folgte ihrem Manne nach Breslau. Meine Schwester heiratete den einzigen Sohn des alten Generals der Kavallerie von Waldow, welcher quittierte und mit ihr auf seine Güter nach Hammer im Brandenburgischen reiste. Ich verlor also alles, was ich liebte; und mein zweiter Bruder Ludwig trat als Standartenjunker in das Kiowssche Regiment, den Jüngsten hingegen nahm meine Mutter nach Schlesien.
Nun war ich allein und mir selbst überlassen. Mein Vormund war der Hofgerichtspräsident von Derschau, mein Großvater, einer der gelehrtesten Männer im Lande. Dieser liebte mich unbegrenzt; ich mußte ganze Tage bei ihm zubringen; er fand Freude in meiner Belehrung und viele Kenntnisse habe ich seinem Unterrichte zu danken. Er war stolz auf seinen Enkel, hingegen gestattete er mir liebreich alle kleinen Ausschweifungen, und gab mir mehr Geld, als ich bedurfte.
In meinen Studien versäumte ich nichts, hörte die Collegia Juridica, Physica, Mathematica und Philosophica zugleich, repetierte sie alle in Privatstunden bei meinem Professor zu Hause, und war wegen meines geübten und außerordentlichen Gedächtnisses der Liebling und die Bewunderung aller meiner Lehrer. Auch in der Ingenieurkunst war ich bald einer der geschicktesten im Zeichnen. Und die italienische und französische Sprache hatte ich zu Hause gelernt.
Am Ende des Jahres 1740 geriet ich in Händel mit einem gewissen Herrn von Wallenrodt, der mit mir in einem Hause studierte. Als ein baumstarker Mann verachtete er meine Jugend und gab mir eine Ohrfeige. Ich forderte ihn als Student auf die Klinge. Er erschien nicht und spottete meiner; deshalb wählte ich mir einen Sekundanten und griff ihn auf der Straße mit dem Degen in der Faust an. Wir schlugen uns, und ich hatte das Glück, ihn am Arm und zuletzt an der Hand zu verwunden.
Der Doktor Kowalewski, mein Hausherr, verklagte mich bei der Universität. Ich wurde mit drei Stunden Arrest bei dem Pedell bestraft. Mein Großvater aber, dem mein Feuer gefiel und der mein Betragen bei beleidigter Ehre rühmte, nahm mich sogleich aus diesem Hause und übergab mich dem Professor Christiani von dem Grabenschen Stipendienkollegium.
Hier genoß ich nun die vollkommenste Freiheit und diesem Manne habe ich alle meine physischen Kenntnisse und viele Wissenschaften zu danken. Er liebte mich väterlich; unterhielt sich zuweilen bis Mitternacht mit mir allein in gelehrten Unterredungen, und brachte mir den wahren Geschmack für die Literatur und die erhabenen Wissenschaften bei. Er gab mir die ersten Grundsätze von der Menschenkenntnis, von Physiognomik und Anatomie, und unter seiner Führung hielt ich im Jahre 1742 eine öffentliche Rede und zwei Disputationen mit allgemeinem Beifall: denn im sechzehnten Lebensjahre hatte vor mir noch keiner die Ehre genossen, diese Proben abzulegen.
Drei Tage nach der letzten Dissertation ward ich von einem gewissen Händelsucher und Renommisten gereizt und fast gezwungen, mit ihm zu duellieren. Ich brachte ihm einen Stoß in die Hüfte bei, und gleich erschien ich mit Stolz auf der Universität mit einem großen Haudegen und mit Renommisten-Handschuhen.
Das waren schon Folgen meiner Erziehung, die mich gewiß zum Händelsucher gemacht hätten, wenn ich nicht ein gutes, gefühlvolles Herz von der Natur erhalten hätte und noch im lobenden Jugendfeuer in das tiefste Unglück geraten wäre, welches mich zum Tugendwege zurückzwang.
Kaum vierzehn Tage nach dieser Geschichte beleidigte ein Leutnant von der Garnison meinen Freund, der ein verzagtes Herz im Busen trug. Ich übernahm seine Sache, suchte Gelegenheit, fand sie; wir schlugen uns unweit des Schloßplatzes, und mein Gegner ging mit zwei Wunden nach Hause.
Im November 1742 schickte der KönigFriedrich der Große. seinen Generaladjutanten, den Baron Willich von Lottum in Geschäften nach Königsberg. Er war ein Verwandter meiner Mutter. Ich aß mit ihm zu Mittag bei meinem Großvater; er ließ sich mit mir in Unterredung ein, prüfte mich durch verschiedene Fragen. Endlich brachte er scherzend vor, ob ich nicht mit ihm nach Berlin reisen und für das Vaterland den Degen, wie alle meine Vorfahren, führen wollte? Bei der Armee sei bessere und ehrwürdige Gelegenheit zum Raufen als auf der Universität. Soldatenblut rollte in meinen Adern; gleich sagte ich ja, und reiste in wenigen Tagen mit ihm nach Potsdam.
Am Tag nach unserer Ankunft wurde ich gleich dem Könige vorgestellt, welcher mich schon vom Jahre 1740 her kannte, da ich von der Universität als einer der geschicktesten Zöglinge vorgestellt wurde. Gnädig, liebreich wurde ich empfangen. Einige richtige Antworten auf Friedrichs erleuchtete Fragen, mein vorzüglicher Wuchs, mein ganz freies, unerschrockenes Wesen gefielen ihm, und sogleich erhielt ich die Uniform der Garde du Corps als Kadett, mit der Versicherung meines künftigen, meinem Verhalten angemessenen Glücks.
Die Garde du Corps war damals die Pflanz- und Lehrschule der preußischen Kavallerie. Sie bestand nur aus einer Eskadron auserlesener Leute von der ganzen Armee. Die Uniform war die prächtigste in Europa, und die Ausstattung eines Offiziers kostete 2000 Reichstaler, weil sogar der Küraß mit massivem Silber überzogen war und mit seinen Beschlägen und Reitzeug allein 400 Reichstaler kostete.
Die Offiziere dieses Korps sind die ausgesuchtesten Talente im ganzen Staate. Der König selbst bildet sie; dann werden sie gebraucht, der ganzen Kavallerie Manöver zu lehren, und sind entweder in kurzer Zeit glücklich, oder durch den mindesten Fehler kassiert, oder sie werden unter die Garnisonregimenter versteckt. Sie müssen zugleich alle Mittel von Hause haben und solche Eigenschaften besitzen, daß sie bei Hofe sowohl als in der Armee vorzüglich zu brauchen sind.
Kein Soldat auf Erden ist wohl mehr geplagt als ein Garde du Corps; in Friedenszeiten habe ich oft in acht Tagen nicht so viele Stunden zur Ruhe übrig gehabt. Früh um vier Uhr geht schon das Exerzieren an. Alle Versuche, die der König mit der Kavallerie machen will, geschehen hier. Man springt über Gräben von drei, dann vier, dann fünf und sechs Fuß, dann weiter, bis einige im Probieren die Hälse brechen. Man setzt über Zäune, macht Karriere-Attacken von einer halben Meile: und oft kamen wir vom Exerzieren mit einigen toten und invaliden Menschen, auch Pferden zurück. Und in Potsdam wurde zuweilen in einer Nacht zweimal Alarm geblasen.
Kaum war man zu Hause im Bette, so ward wieder geblasen, um die Wachsamkeit der Jugend zu üben; und in einem Jahre habe ich im Frieden drei Pferde verloren, die im Exerzieren und Gräbenspringen Beine brachen oder überritten wurden. Kurz gesagt: die Garde du Corps verlor damals im Friedensjahre mehr Menschen und Pferde, als im folgenden vor dem Feinde in zwei Bataillen.
Wir hatten damals dreierlei Quartiere. Im Winter bei den Hoffesten und Opern in Berlin; im Frühling zur Exerzierzeit in Charlottenburg, und den Sommer hindurch in Potsdam oder da, wo der König war. Alle sechs Offiziere hatten die Tafel bei dem Könige; an Galatagen bei der Königin. Folglich kann wohl auf Erden keine bessere Lehrschule für den Soldaten, auch für den Weltmann sein, als diese.
Nun war ich kaum drei Wochen Kadett, da mich der König nach der Kirchenparade auf die Seite rief, und mich wohl eine halbe Stunde lang in allen Fächern examinierte. Er befahl mir, folgenden Tages zu ihm zu kommen.
Er stellte mein ihm so wunderbar gerühmtes starkes Gedächtnis auf die Probe. Er legte mir fünfzig Soldatennamen vor, und innerhalb fünf Minuten waren sie memoriert. Er gab mir Stoff zu zwei Briefen, die ich in französischer und lateinischer Sprache zugleich verfertigte, einen selbst schrieb, den andern in die Feder diktierte. Und in der Geschwindigkeit mußte ich mit dem Bleistift eine Gegend aufnehmen.
Auf der Stelle ernannte er mich zum Kornett der Garde du Corps, und jeder Ausdruck seiner königlichen Beredsamkeit war ein Feuerfunken, der meine ganze Seele für ihn, für seinen Dienst und für das Vaterland in hellen Flammen brennen ließ. Er sprach als König, als Vater und zugleich als Kenner und Schätzer großer Talente; er sah und empfand, was von mir zu erwarten war, und von diesem Augenblick an war er selbst mein Lehrer, mein Freund und mein Monarch.
Mein Kadettenstand hatte also kaum sechs Wochen gedauert, und wenige können sich rühmen in meinem Vaterlande unter des weisen Friedrichs Zepter ein solches Glück erlebt zu haben.
Nun war ich Offizier von der ersten Garde. Der König schenkte mir zwei Pferde aus seinem Stalle, auch 1000 Reichstaler zum Beitrag der kostbaren Equipierung; und nun war ich ein Hofmann, ein Gelehrter und Offizier in der schönsten, ehrwürdigsten und lehrreichsten Soldatenschule von Europa. Meine Anstrengung im Dienste hatte keine Schranken, so daß mich im August 1743 der König schon wählte, der schlesischen Kavallerie die neuen Manöver zu lehren, welche Ehre vor mir noch keinem Jünglinge im achtzehnten Jahre widerfahren war.
Wir hatten im Winter unsere Garnison in Berlin, wo die Offiziere die Tafel bei Hofe genossen. Und da der Ruf meiner außerordentlichen Gedächtnisfähigkeit mich bald beliebt und bekannt machte, so lebte niemand auf Erden angenehmer als ich.
Bis dahin hatte ich noch gar nichts von Liebe, von Zärtlichkeit empfunden. Der fürchterliche Anblick der Spitäler in Potsdam schreckte mich von allen Ausschweifungen zurück.
Im Winter 1743 war aber das Beilager der Schwester des Königs in Schweden;Prinzessin Luise Ulrike vermählte sich 1744 mit dem damaligen Kronprinzen und späteren König Adolf Friedrich von Schweden. ich hatte dabei als Offizier der Garde die Ehrenwache und auch das Glück, die königliche Braut bis nach Stettin zu eskortieren. Bei diesem Beilager, wo das Gedränge im Saal zum Erstaunen war, und ich die Inspektion hatte, wurde mir selbst als wachhabendem Offizier der hintere Teil der rotsamtnen Ueberweste mit der reichen Krepinarbeit von einem Spitzbuben weggeschnitten und zugleich die Uhr gestohlen.
Dies verursachte ein scherzendes Gespött mit dem gestutzten wachhabenden Offizier, und eine große DamePrinzessin Amalie, die Schwester des Königs. sagte mir bei vorteilhafter Gelegenheit, sie würde mich über meinen Verlust beruhigen. Der Ausdruck war von einem Blicke begleitet, den ich gerne verstand, und innerhalb weniger Tage war ich der glücklichste Mann in Berlin. Es war unsere beiderseitige erste Liebe, und da sie meinerseits mit der tiefsten Ehrfurcht verbunden war, so reut mich ewig kein Unglück, welches aus so edler Quelle sich über mein ganzes Schicksal verbreitete – das Geheimnis folgt mir sicher zum Grabe. Und obgleich dieses Schweigen einen leeren Raum in dem wichtigsten Vorfalle meiner Lebensgeschichte verursacht, so will ich lieber für die Nachwelt einige Vorwürfe untreuer Erzählung dulden, als an einer Freundin und Wohltäterin undankbar handeln. Ihrem Umgang habe ich die Politur meiner sittlichen und persönlichen Eigenschaften zu danken. Auch im Unglück hat sie mich nie verachtet, nie verlassen, und meinen Kindern allein werde ich sagen, wem sie für meine Erhaltung Dank schuldig sind.
Nun war ich in Berlin auf allen Seiten glücklich. Ich war geachtet; mein König zeigte mir Gnade bei allen Gelegenheiten. Meine Freundin gab mir mehr Geld als ich brauchte, und bald war meine Ausrüstung die prächtigste bei der Garde. Mein Aufwand fiel in die Augen, denn von meinem Vater hatte ich nur das Stammgut Groß-Scharlach geerbt, das etwa 1000 Taler eintrug; ich brauchte aber in manchem Monat mehr. Man fing an zu raten, zu mutmaßen – wir waren aber beiderseits so vorsichtig, daß sicher niemand etwas entdecken konnte als der Monarch selbst, der mir, wie ich hernach erfuhr, nachspähen ließ, wenn ich aus Potsdam oder Charlottenburg heimlich ohne Urlaub nach Berlin sprengte, bei der Wachtparade aber wieder gegenwärtig war. Ein paarmal wurde meine Abwesenheit verraten, und mir gebührte Arrest; der König war aber mit der Entschuldigung zufrieden, ich sei auf der Jagd gewesen, und lächelte gnädig bei dem Pardon.
Angenehmer, glücklicher und wirklich blühender, auch nützlicher hat nun wohl kein Mensch in der Welt zugebracht, als ich die feurigsten Jugendjahre in Berlin.