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Da nun der Mittag herankam und man die äußere Tür öffnete, erschrak jedermann, daß die andere offen war. Man trat mit Erstaunen in das Vorgemach. Nun stand ich an der inneren Tür in der fürchterlichen Gestalt mit Blut bedeckt, wie ein Verzweifelter da, hielt in einer Hand einen Stein, und in der andern das zerbrochene Messer, und rief: »Zurück! zurück! Herr Major! Sagen Sie dem Kommandanten, daß ich nicht länger in Ketten leben will. Er soll mich hier totschießen lassen. Herein kommt kein Mensch. – Ich werfe und schlage 30 Mann tot, ehe einer hereinkommen kann – und für mich bleibt mir mein Messer. Sterben will ich hier; und das trotz Ihrer Gewalt.«
Der Major erschrak – konnte sich nicht entschließen und ließ den Vorfall dem Kommandanten melden. Indessen setzte ich mich auf meinen Steinhaufen und erwartete mein ferneres Schicksal. Mein geheimer Entschluß zielte aber damals wirklich nicht mehr auf Verzweiflung, sondern nur auf eine gute Kapitulation ab.
Gleich darauf erschien der Kommandant, General von Bork, nebst dem Platzmajor und einigen Offizieren. Er trat in das Vorgemach, sprang aber gleich zurück, sobald er mich zum Wurf bereit erblickte. Ich wiederholte, was ich dem Major gesagt hatte, und nun befahl er sogleich den Grenadieren, die Türe zu stürmen. Das Vorgemach war kaum vier Fuß breit, und nicht mehr als einer oder zwei konnten meine Verschanzung zugleich angreifen. Sobald ich aber den Arm aufhob, um mein Bombardement mit Steinen anzufangen, sprangen sie wieder zurück. Endlich war eine kurze Stille, worauf der alte Platzmajor an die Tür trat und nebst einem Feldprediger mich zu beruhigen suchte. Die Unterredung dauerte lange; wer aber von uns die besten Gründe vorbrachte, dieses überläßt meine Feder dem ungefähren Urteile der Leser.
Der Kommandant wurde unwillig und gab Befehl zum Angriff. Der erste Grenadier lag gleich auf der Erde, die andern aber sprangen vor dem Steinregen zurück und hinaus.
Der Platzmajor trat noch einmal herein mit den Worten: »Um Gottes willen, lieber Trenck! Was hab' ich an Ihnen verschuldet, daß Sie mich unglücklich machen wollen? Ich allein muß verantworten, daß Sie durch meine Unvorsichtigkeit aus der Zitadelle ein Messer mit herüber gebracht haben! Beruhigen Sie sich, ich bitte Sie; Sie sind noch nicht ohne Hoffnung und ohne Freunde.«
Meine Antwort war: »Aber wird man mich nicht noch ärger mit Fesseln belegen als bisher?« – Er ging hinaus, sprach mit dem Kommandanten und gab mir sein Ehrenwort: der ganze Vorfall sollte nicht weitergemeldet werden und alles beim alten bleiben. –
Hiermit war nun die Kapitulation geschlossen und meine Verschanzung überstiegen. Man sah meinen Zustand wirklich mit Menschenliebe und Mitleid an, visitierte die Wunden, ließ einen Feldscherer holen, der mich verband; gab mir ein anderes Hemd, und ließ die blutigen Steine wegräumen. Indessen lag ich wirklich halb entseelt auf dem Bette, mein Durst war grausam; man labte mich auf des Chirurgen Rat mit Wein. Zwei Schildwachen wurden in das Vorgemach gestellt, und so ließ man mich ohne Eisen vier Tage lang ruhig liegen. Man gab mir auch täglich eine Fleischsuppe zur Labung; wie mich diese erquickte, kann meine Feder nicht schildern.
Zwei Tage hindurch lag ich in immerwährendem Schlummer und mußte, sobald ich erwachte, trinken, ohne jemals den Durst zu löschen. Füße und Hände waren geschwollen, und meine Rücken- und Gliederschmerzen fast unerträglich.
Am fünften Tage waren die Türen fertig, wovon die innere ganz mit Eisen beschlagen wurde. Nun schmiedete man mich wieder so wie zuvor in Eisen, vermutlich weil man keine grausameren notwendig fand; die zersprengte Hauptkette an der Mauer allein war stärker als die erste. Uebrigens hielt man redlich, was in der Kapitulation versprochen war und bedauerte wirklich mit Wehmut, daß man laut königlicher Order mein Schicksal nicht lindern dürfe; wünschte mir viel Standhaftigkeit und Geduld und schloß die Türen zu.
Nun muß ich aber meinen Lesern auch die Art meiner Kleidung schildern. Weil die Arme an einer Stange angeschmiedet waren, und die Füße an die Mauer, so konnte ich weder Hemd noch Hose ordentlich anziehen; es ward mir also das erstere mit offenen Nähten überall zusammengebunden, und dieses geschah alle vierzehn Tage. Die Hosen aber waren auf beiden Seiten zugeknöpft. Ein blauer Kittel von grobem Kommißtuch, der gleichfalls zusammengebunden werden mußte, bedeckte meinen Leib; ein Paar wollene Kommißstrümpfe und ein Paar Pantoffeln dienten für die Füße. Die Hemden waren von Musketier-Leinwand. Wenn ich mich nun in dieser wirklich fürchterlichen Missetäterkleidung betrachtete, in der ich, in Fesseln an die Mauer geschmiedet, nach Recht und Mitleid vergebens schmachtete; wenn ich in meiner Herzens- und Gewissensprüfung nicht den mindesten Vorwurf fand, wodurch ich jemals dergleichen Mißhandlung verdient hätte; wenn ich dann zugleich an mein glänzendes Glück in Berlin und Moskau zurückdachte, und die ganze Bürde und Schmach meines gegenwärtigen Zustandes eine Art gerechter Schwermut hervorbrütete, die auch den echtesten Weisen und Helden im Unglücke zur Untätigkeit, Verzweiflung oder Raserei bewegen kann: dann empfand ich wirklich das, was nur der ganz denken, aber nicht schildern kann, der in meinem Falle gewesen und so wie ich gegen Schicksalsstürme gekämpft hat.
Indessen fing ich an, mich an meine im Anfang unerträglichen Fesseln allgemach zu gewöhnen. Ich lernte meine langen Haare auskämmen, auch endlich sogar mit einer Hand binden. Mein Bart, der nie rasiert wurde, hatte mir bereits in so langer Zeit ein fürchterliches Aussehen gegeben. Ich fing an, ihn auszurupfen. Die Schmerzen waren empfindlich, besonders um den Mund herum. Aber auch das wurde Gewohnheit und in den folgenden Jahren alle sechs Wochen oder alle zwei Monate bewerkstelligt, weil die ausgewurzelten Haare wenigstens einen Monat bedürfen, ehe sie von neuem hervorkeimen und ebenso lange, bis man sie wieder mit den Nägeln ausreißen kann.
Ungeziefer hat mich nie gequält, die große Feuchtigkeit der Mauer muß seiner Entstehung zuwider gewesen sein. Geschwollen war ich auch nie, weil ich mir Bewegungen zu verschaffen wußte. Die einzige immerwährende Dämmerung war mir unerträglich.
Uebrigens hatte ich zuvor viel gelesen, gelernt und auch bereits gesehen und erfahren, folglich fand ich allezeit Stoff, meine Gedanken von Schwermut zu entfernen und durchdachte den meinen Ideen sich ungefähr vormalenden Gegenstand ebenso tiefsinnig, als ob ich ihn in einem Buche durchlese oder auf dem Papier niederschreibe.
Gewohnheit brachte mich endlich soweit in der Denkkraft, daß ich ganze Reden, auch Fabeln, Gedichte und Satiren komponierte, sie laut redend in mir selbst wiederholte, zugleich auch meinem Gedächtnis dergestalt einprägte, daß ich nach erlangter Freiheit imstande war, gegen zwei Bände solcher künstlicher Arbeit aus meinem Kopfe niederzuschreiben.
Sogar Friedrichs Macht und Zorn, der ganze Legionen schlug und Kriegsheere vernichtete, konnte mir im Kerker und in Sklavenfesseln weder Ehre noch Seelenruhe, noch Großmut und Standhaftigkeit schwächen.
Ich kann übrigens mit überzeugter Gewißheit jedem Leser versichern, daß mir auch im Kerker die Jahre wie Tage verflossen. Nur zuweilen, wenn die Sehnsucht nach dem Genuß der schönen Welt erwachte, wenn die Triebe der Natur sich nach der edlen Freiheit drängten, wenn mein Ehrgeiz bei Betrachtung niederträchtiger Fesseln sich empörte, wenn ich meine Feinde siegreich und meine Güterräuber im Wohlstande betrachtete, oder wenn ein Anschlag zur Flucht mißlang – – – dann empfand ich Augenblicke, die zur Raserei und Verzweiflung reizten, dann fühlte ich die ganze Bürde meines Zustandes in vollem Gewichte.
Wenn ich mich aber wehr- und schutzlos fand, wenn ich empfand, daß eben die Monarchin, durch deren Dienst allein ich so tief gefallen war, mich im Unglück gefühllos verließ, wenn ich an Zeiten zurückdachte, wo mein Wohlstand blühte, wenn ich mir vorstellte, daß mancher rechtschaffene Mann aus der grausamen Art meiner Strafe mich als einen Missetäter beurteilen könnte, und mir alle Wege zur Rechtfertigung abgeschnitten waren – – – dann rangen Rache und Wut in meiner Seele gegen Gelassenheit und Geduld, dann hatte alle Weltweisheit ein Ende und Sokrates' Giftbecher wäre für mich eine Wohltat gewesen.
Ohne Hoffnung ist der Mensch ein Unding. Wahrscheinlichkeit fand ich bei allen Vernunftschlüssen wenig für meine Rettung, ich verließ mich aber auf mich selbst, auf meine Kunstgriffe und auf meinen redlichen Grenadier Gefhardt und hoffte sicher, mich eigenmächtig aus meinen Fesseln zu befreien.
Der Hauptgrund zu meiner Erhaltung war die Liebe. Ich hatte meinen Gegenstand in Oesterreich gelassen und wollte noch für sie in der Welt leben. Ich wollte meinen Gegenstand weder verlassen noch betrüben. Mein Dasein war ihr und meiner Schwester noch nützlich, die für mich so viel gewagt, gelitten und verloren hatte. Für jene beiden Personen wollte ich also mein Leben erhalten; für sie war mir kein Schicksal unübersteiglich, keine Geduld unerträglich – – – aber ach! Da ich nach zehn Jahren meine Freiheit wirklich erhielt, fand ich beide schon im Grabe und genoß die Freude nicht mehr, für deren Erwartung allein ich so viel ertragen habe.
Ungefähr drei Wochen nach meiner letzten Szene, wo ich zu entfliehen suchte, kam mein ehrlicher Gefhardt zum erstenmal zu mir auf die Schildwache, weil man, um mich näher zu beobachten, einen Grenadierposten vor meine Tür gestellt hatte. Und eben hierdurch erreichte ich meinen Zweck, auswärtige Hilfe zu finden, ohne die alle Rettung unmöglich war.
Die erste Unternehmung hatte zu viel Aufmerksamkeit verursacht, da ich ein Gefängnis, das mit Zuziehung so vieler Projektmacher und mit aller möglichen Vorsicht besonders für mich erbaut worden war und von jedermann für so undurchdringlich gehalten wurde, schon am neunten Tage, nachdem man mich hineingesperrt, durch achtzehnstündige Arbeit vernichtet hatte.
Kaum war mein Gefhardt zum erstenmal bei mir auf Posten, so hatten wir freie Gelegenheit zur Unterredung, denn wenn ich mit einem Fuße auf dem Bettkasten stand, reichte mein Kopf bis an das Luftloch im Fenster. Er schilderte mir nun die ganze Lage meines Kerkers; und der erste Entwurf wurde gemacht, mich unter den Fundamenten desselben, die er bauen gesehen, und nur zwei Fuß tief beschrieb, auszubrechen.
Vor allen Dingen mußte ich Geld haben. Dieses wurde auf folgende Art bewerkstelligt.
Er steckte mir nach der ersten Ablösung einen Draht zu, nebst einem Blatte Papier, das um denselben gewickelt war. Dann ein Stück eines dünnen Wachsstockes, das alles recht gut durch mein Drahtgitter hineinging. Schwefel, Licht und brennender Schwamm kamen auch glücklich durch; eine Feder gleichfalls. Nun hatte ich Licht, stach mich in den Finger, und mein Blut diente als Tinte.
Hier schrieb ich nun nach Wien an meinen echten Freund, den damaligen Hauptmann von Ruckhardt, schilderte mit wenig Worten meinen Zustand, assignierte ihm 3000 fl. auf meine Kasse und veranstaltete die Sache auf folgende Art:
Er sollte 1000 fl. zur Reise behalten, und am 15. August selbst in Gummern, einem sächsischen Städtchen, nur zwei Meilen von Magdeburg gelegen, eintreffen. Dort sollte er an diesem Tage um die Mittagsstunde sich mit einem Briefe in der Hand sehen lassen. Ein Mensch würde ihm begegnen, der eine Rolle Rauchtabak in der Hand tragen würde; diesem sollte er 2000 fl. in Gold einhändigen und dann wieder nach Wien zurückkehren.
Gefhardt erhielt diese Instruktion und meinen Brief auf eben diese Art durch das Fenster, wie er mir das Papier hineingesteckt hatte, schickte sein Weib mit dem Briefe nach Gummern und bestellte ihn glücklich auf die Post.
Nun stieg mein Mut mit jedem Tage, und so oft Gefhardt auf den Posten zu mir kam, wurden alle möglichen Anschläge gemacht und alle Vorkehrungen zur Flucht getroffen.
Endlich erschien der 15. August. Es verflossen etliche Tage, ehe er wieder Schildwache bei mir stand. Wie hüpfte aber mein Herz, da er mir auf einmal zurief: »Alles ist glücklich von statten gegangen.«
Als er abends wiederkam, wurde nun alles verabredet, auf welche Art er mir das Geld zustecken könne.
Ich konnte bis an das Drahtgitter mit zusammengefesselten Händen nicht greifen, das Luftloch war auch zu klein.
Es wurde also beschlossen, er sollte bei nächster Wache Kalfaktordienste verrichten; dann aber bei Füllung meines Wasserkruges das Geld hinein- und mir zustecken.
Dieses wurde glücklich vollzogen. Aber wie erstaunte ich, als ich in demselben, anstatt 1000 fl., die ganze Summe von 2000 fand, wovon ich ihm doch die Hälfte zu nehmen erlaubt hatte.
Nur fünf Pistolen fehlten und er wollte durchaus nicht mehr annehmen, weil er genug zu haben glaubte.
Und das tat ein pommerscher Grenadier! Ehrlicher Mann! Wie selten ist dein Beispiel! – – Nie fand ich bei meiner großen Welterfahrung eine so große uneigennützige Seele.
Nun hatte ich Geld, um meine Anschläge auszuführen. Es wurde also der erste Plan gemacht, unter den Fundamenten des Gefängnisses auszubrechen.
Dieses geschah auf folgende Art: Zuerst mußte ich frei von Ketten sein; Gefhardt steckte mir ein paar feine Feilen zu. Die Kapsel in der Fußschelle war so weit gemacht, daß ich sie etwa ein Viertelzoll vorwärts ziehen konnte. Nun feilte ich inwendig das hineinpassende Eisen aus. Je tiefer ich dieses ausschnitt, desto weiter zog sich die Kapsel herab, bis endlich das ganze inwendige Eisen, wo die Kette durchlief, ganz durchgeschnitten war. Dann zog ich es samt den Fesseln heraus, war hierdurch frei, weil die Schelle aufging, die Kapsel hingegen blieb auswendig ganz. Hierdurch wurden die Füße von der Mauer frei, und es war unmöglich, bei der genauesten Visitation den Schnitt zu finden, weil man nur das Aeußere beleuchten und untersuchen konnte. Die Hände machte ich alle Tage durch Zusammendrücken biegsamer und brachte sie beide glücklich aus den Schellen. Dann umfeilte ich das verschmiedete Gewinde, machte mir mit einem aus dem Boden gezogenen, einen Fuß langen Nagel einen Schlüssel und wand damit nach Belieben die Schrauben auf und zu, so daß man bei dem Visitieren nicht das mindeste merken konnte. Der Ring um den Leib hinderte mich nicht. An der Kette aber, die ihn an der Armstange befestigte, wurde ein Stück in der Mitte eines Gelenkes ausgeschnitten und das nächst anschließende an einem Orte dünner geschliffen, so daß ich es durchstreifen konnte. Auf diese Art war ich von Fesseln frei. Mittags, wenn man visitierte, rieb ich etwas nasses Kommißbrot auf dem rostigen Eisen, um ihm dessen Farbe zu geben, dann schloß ich das offene Gelenk mit diesem Teige, ließ ihn an dem warmen Leibe über Nacht trocken werden und bestrich hernach den Ort mit Speichel, um ihm den Eisenglanz zu geben.
Nun konnte ich mich losmachen, wie ich wollte. Das Fenster wurde nie visitiert. Ich machte also die beiden Haken los, womit es in der Mauer befestigt war, die aber alle Morgen wieder eingesteckt und wohl mit Kalk verstrichen wurden. Dann ließ ich mir den Eisendraht von meinem Freunde zustecken und versuchte, ob ich ein neues Drahtgitter flechten könnte. Auch dieses brachte ich zustande; sodann schnitt ich in der Mitte der Fenstermauer, wohin man nie sah, das ganze Gitter aus und lehnte das meinige an die Stelle. Hiermit war meine Verbindung mit der Schildwache offen, und ich erhielt frische Luft in den Kerker. Dann ließ ich mir alle erforderlichen Instrumente zustecken, erhielt auch Licht und Feuerzeug, hängte meine Decke inwendig vor das Fenster, damit man kein Licht brennen sah, und konnte folglich arbeiten, wie ich wollte, weil von außen niemand hineinsehen konnte.
Endlich, nachdem alles veranstaltet war, griff ich zum Werke.
Der Fußboden meines Kerkers war nicht von Stein, sondern von drei Zoll dicken eichenen Brettern, wovon man die obere Lage nach der Länge, die andere quer und die dritte wie die obere übereinander gelegt hatte. Folglich war der Boden, das Holzwerk, neun Zoll dick, und mit einen halben Zoll breiten, auch bei einem Fuß langen Nägeln ineinander befestigt.
Wenn ich nun oben um den Kopf herum ein wenig Luft machte, so diente meine eiserne dicke Stange zwischen den Händen am besten, sie herauszuheben. Schliff ich sie sodann auf meinem Leichensteine, so war der beste Meißel fertig, um die Bretter durchzuschneiden.
Nun wagte ich den ersten Schritt, der aber oben über einen Zoll breit werden mußte, um in die Tiefe zu arbeiten.
Sobald dies geschehen, zog ich das Stück Brett, das gegen zwei Zoll dick unter die Mauer reichte, heraus, beschnitt es sodann von unten so weit, daß es oben genau zusammenpaßte, schmierte die Ritze mit Brot zu, streute Staub darüber und fand, daß es unmöglich war, sie beim Visitieren zu bemerken.
Hierauf arbeitete ich unten her mit weniger Vorsicht und wurde bald mit diesem dreifachen Boden fertig. Hier fand ich nun einen feinen weißen Sandgrund, auf dem die ganze Sternschanze gebaut ist.
Die Menge von Holzsplittern wurde sehr mühsam und sorgfältig unter die unteren Bretter eingeteilt.
Ohne auswärtige Hilfe konnte ich nun keine weitere Arbeit anfangen; denn wenn man einen lange Jahre hindurch festgelegten Grund durchwühlt, bringt man das nie in die Oeffnung zurück, was hinausgeworfen wurde.
Mein Grenadier mußte mir also etliche Ellen Leinwand zustecken. Hiervon machte ich mir sechs Fuß lange Würste, die zwischen den eisernen Stangen durchgezogen werden konnten. Diese füllte ich mit Sand; und so oft Gelegenheit in der Nacht war, und mein Gefhard Schildwache stand, schob ich sie hinaus. Er machte sie dann vorsichtig leer und streute sie hin und wieder unmerklich aus.
Sobald ich Luft hatte, ließ ich mir alle erforderlichen Instrumente zustecken, ja sogar Pulver und Blei, auch ein paar Sackpistolen, Messer und ein Bajonett. Alles dies fand sichern Raum unter dem Fußboden.
Dann fand ich aber, daß das Fundament meines Kerkers nicht zwei, sondern vier Fuß tief lag.
Um nun so tief hinunter zu steigen und das Fundament von unten zu durchwühlen und dann wegzubrechen, war Zeit, Arbeit und Vorsicht nötig, weil sie leicht gehört werden konnte. Alles ward aber dennoch möglich gemacht.
Das Loch, in das ich so tief hinunter steigen mußte, war also vier Fuß tief und mußte so weit sein, daß ich darin knien, arbeiten und mich bücken konnte. Was für Mühe es kostete, oben auf dem Boden zu liegen, und dann vier Fuß tief den Kopf und Leib hinunterzubeugen, um den Sand mit den Händen hinauszuwerfen, ist unbeschreiblich. Inzwischen mußte es dennoch täglich, wenn ich arbeitete, geschehen, um an das Fundament zu kommen. Bei der Visitation war aber alles wieder hineingeworfen, und, um alles von außen, auch meine Ketten, wieder in Ordnung zu bringen, brauchte ich gewiß etliche Stunden Zeit. Das beste war, daß ich mir einen Vorrat von Licht und Wachsstöcken angeschafft hatte. Da aber mein Gefhardt öfters nur in vierzehn Tagen einmal zu mir auf den Posten kam, so verzögerte sich meine Arbeit gewaltig. Und da das Sprechen allen Schildwachen bei Galgenstrafe verboten war, wollte ich nicht wagen, einen neuen Freund zur Hilfe zu suchen, um nicht verraten zu werden.
Indessen litt ich in diesem Winter ohne Ofen gewaltig unter der Kälte. Mein Herz war aber fröhlich, weil ich Aussicht zur Rettung sah, und jedermann erstaunte über meine Munterkeit.
Gefhardt steckte mir auch Mundprovision, meist geräucherte Würste und Fleisch zu. Das stärkte meine Kräfte. Und wenn ich nicht in der Mauer arbeitete, so hatte ich Papier und Licht; ich schrieb, dichtete und machte Satiren. Folglich verfloß die Zeit, und ich war auch im Kerker vergnügt.
In dieser schlummernden Zufriedenheit ereignete sich aber ein Zufall, der beinahe alle meine Hoffnung vereitelt hätte, und dessen Erzählung fast unglaublich scheinen mag.
Gefhardt hatte mit mir gearbeitet. Eben in der Morgenstunde, da er abgelöst wurde und ich mein Fenster wieder einsetzen und befestigen wollte, fiel mir dasselbe aus den Händen, und drei Scheiben zerbrachen.
Vor der Ablösung kam er nicht mehr auf den Posten. Es war auch nicht mehr Zeit mit ihm zu sprechen und Entwürfe zu machen. Ich saß also wohl eine Stunde in Verzweiflung und in tausend Entwürfen betäubt da. Denn gewiß hätte man sogleich das zerschlagene Fenster gesehen, wohin ich in Fesseln gar nicht reichen konnte, folglich weiter visitiert und das eingesetzte und nur angelehnte Drahtgitter gefunden.
Ich faßte also den Entschluß. Und da eben die Schildwache an meinem Fenster sich mit Pfeifen beschäftigte, redete ich sie also an: »Kamerad! Habt Mitleid, nicht mit mir, sondern mit einem Eurer Kameraden, der unfehlbar gehängt wird, wenn Ihr mir nicht beisteht. Für einen geringen Dienst will ich Euch gleich 30 Pistolen aus dem Fenster hinauswerfen – –«
Er schwieg etliche Augenblicke – – – dann sagte er ganz leise: »Hat Er denn Geld?«
Gleich zählte ich 30 Pistolen und warf sie ihm hinaus.
Nun war die Frage, was zu tun sei?
Ich erzählte mein Unglück mit dem Fenster, steckte ihm in Papier das Maß zu, wie groß die Scheiben geschnitten sein müßten. Zum Glück war der Kerl entschlossen, auch witzig, und die Pallisadentüre im Graben am Tage durch Gleichgültigkeit des Offiziers nicht verschlossen. Er ließ sich von einem Kameraden auf eine halbe Stunde ablösen, lief in die Stadt und steckte mir kurz vor seiner Ablösung die Scheiben glücklich zu, wofür ich ihm noch zehn Pistolen hinauswarf.
Bei der Visitation zu Mittag war nun alles wieder in Ordnung, mein Glaserhandwerk meisterlich vollbracht und mein redlicher Gefhardt gerettet.
So vermag Geld alles in der Welt, und gewiß ist dieser Vorfall einer der merkwürdigsten in meiner Geschichte. Den Mann, der mir diesen großen Dienst leistete, habe ich nie wieder gesprochen.
Wie bange indessen dem Gefhardt gewesen, ist leicht zu erachten. Er kam nach etlichen Tagen wieder auf den Posten zu mir und erstaunte über den glücklichen Ausgang noch mehr, da er den Mann, der ihn damals abgelöst, kannte; er hatte fünf Kinder und war der vertrauteste alte Mann in der Kompagnie.
Nun ging die Arbeit vorwärts. Das Fundament wurde von unten her leicht weggebrochen. Gefhardt war aber durch diesen Vorfall so schüchtern geworden, daß er tausend Schwierigkeiten und Einwendungen fand, je mehr sich mein Loch seinem Ausbruch näherte und ich die Anstalten zur Flucht mit ihm vorkehren und abreden wollte. Er bestand schlechterdings darauf, ich bedürfe äußerer Hilfe, um sicher fortzukommen und nebst ihm nicht unglücklich zu werden. Es wurde also folgendes beschlossen, was aber eben meine Anschläge und saure achtmonatliche Arbeit vernichtete.
Ich schrieb abermals nach Wien an meinen Freund Ruckhardt; assignierte ihm Geld und bat ihn, er solle abermals in Gummern erscheinen und dann zu bestimmter Zeit sechs Tage nacheinander mit zwei ledigen Reitpferden an dem Glacis bei Kloster Bergen in der Nacht bereitstehen, um mir weiterzuhelfen. Alles sei zu meiner Flucht fertig.
Binnen dieser sechs Tage nun hätte Gefhardt schon Mittel gefunden, den Posten bei mir zu erhalten oder zu tauschen; folglich lebte ich nunmehr, aber leider nur drei Tage lang in der süßesten und sichersten Hoffnung.
Denn ach! Es war meine Rettung noch nicht von der Vorsehung beschlossen. – – – Gefhardt schickte sein Weib nach Gummern mit dem Briefe. Dieses dumme Weib sagte zum Postmeister: ihr Mann habe einen Prozeß in Wien, und er möchte die Güte haben und diesen Brief sicher bestellen, wofür sie ihm zehn Reichstaler in die Hand drückte.
Der sächsische Postmeister argwöhnte aus dieser Freigebigkeit natürlicherweise ein Geheimnis, öffnet den Brief, sieht den Inhalt, und anstatt ihn zu befördern oder bei möglichem Argwohn ihn nach Dresden an seinen Herrn zu schicken, wird er zum Verräter und bringt ihn dem Gouverneur in Magdeburg. Dieser war damals der Herzog Ferdinand von Braunschweig und eben gegenwärtig.
Wie erschrak ich aber, da etwa um drei Uhr nachmittags der Herzog selbst mit einem großen Gefolge in mein Gefängnis trat, mir meinen Brief vorzeigte und mit gebietender Stimme fragte: wer mir diesen Brief nach Summern getragen habe?
Meine Antwort war: »Ich kenne ihn nicht.«
Gleich wurde die allerschärfste Visitation vorgenommen. Schmiede, Zimmerleute, Maurer traten herein, und nach einer halben Stunde Arbeit fand man weder mein Loch im Boden, noch das mindeste an den Ketten. Am Fenster allein entdeckte man das falsche vorgesteckte Drahtgitter, das auch sogleich mit Brettern verschlagen und nur ein Luftloch von etwa sechs Zoll breit darin gelassen wurde.
Nun fing der Herzog an zu drohen. Ich antwortete mit Standhaftigkeit: »Ich habe die Schildwache nicht gesehen, die mir diesen Dienst geleistet, auch nie nach dem Namen gefragt, damit ich ihn nie unglücklich machen kann.«
Endlich, da alle Vorstellungen bei mir nichts wirkten, sagte der Gouverneur mit einem liebreichen Ernst:
»Trenck! Sie haben immer geklagt, Sie wären nie verhört, noch gesetzmäßig gerichtet worden. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Sie sollen beides erhalten, und ich lasse Ihnen sogleich alle Eisen abnehmen, sobald Sie mir den Mann nennen, der Ihnen diesen Brief bestellt hat.«
Hierauf antwortete ich mit männlicher Standhaftigkeit: »Gnädiger Herr! Jedermann weiß, daß ich diese Mißhandlung in Fesseln an meinem Vaterlande nicht verdient habe. Mein Herz ist vorwurfsfrei. Ich suche Rettung, wo und wie ich kann. Dann aber, wenn ich Ihnen den mitleidigen Mann nennen könnte, der mir aus Menschenliebe beigestanden hat; wenn ich mein Glück durch fremdes Unglück zu befördern, niederträchtig genug dächte, nur dann verdiente ich in gegenwärtigen Fesseln als ein Schurke zu verschmachten. Machen Sie übrigens mit mir, was Sie wollen und sollen. Denken Sie aber dabei, daß ich noch nicht ganz verlassen und noch Rittmeister in der Armee bin und Trenck heiße.«
Der Herzog stutzte, drohte, ging hinaus, und wie mir hernach erzählt ward, hat er draußen gesagt: »Ich beklage ihn und bewundere seine Standhaftigkeit.«
Inzwischen war es für einen so klugen Herrn ein großes Versehen, daß er diese Unterredung, die ziemlich lange dauerte, und die ich hier nur kürzlich berühre, vor der ganzen Wache mit mir hielt. Dieses setzte mich in ein solches Vertrauen bei den gemeinen Soldaten der ganzen Garnison, weil sie sahen, daß ich keinen verriet, daß nunmehr die Bahn gebrochen war, in der Zukunft bei einem jeden Hilfe und Achtung zu finden. Besonders, da der Herzog sagte, er wisse, daß ich Geld versteckt, auch wirklich bereits unter die Schildwachen ausgeteilt habe.
Kaum war eine Stunde vergangen, so hörte ich ein großes Geräusch vor meinem Gefängnis. Ich lauschte; und was war es? Ein Grenadier hatte sich an den Pallisaden meines Kerkers mit seinem Haarbande erhängt.
Der Offizier von der Wache kam noch einmal mit dem Platzmajor herein, um eine Laterne abzuholen, die man vergessen hatte. Im Hinausgehen sagte er mir heimlich: »Es hat sich schon soeben einer von Ihrem Komplott erhängt.«
Wie erschrak ich; weil ich nicht anders glaubte, als es müsse mein ehrlicher Gefhardt sein.
Nach einer tiefsinnigen, schwermütigen und kurzen Ueberlegung fiel mir ein, was mir der Herzog versprach, falls ich ihm den Mann nennen wollte, der meinen Brief bestellt hatte. – – Ich klopfte also an die Tür und forderte den Offizier zu sprechen. Er kam an das Fenster, fragte, was ich wollte. – – – Und ich sagte: Er möchte dem Gouverneur melden, man solle mir Licht, Tinte, Papier und Feder hereingeben, so würde ich ihm allein mein ganzes Geheimnis schriftlich entdecken.
Dies geschah. Und gegen Abend wurde meine Tür geöffnet; man brachte mir Tinte, Feder, Papier und Licht, gab mir auch eine Stunde Zeit, schloß wieder zu und ging davon.
Nun setzte ich mich nieder, schrieb auf meinem Lehnstuhl, und wollte den Namen Gefhardt nennen, weil ich ihn gewiß tot glaubte. Die Hand zitterte aber, und all mein Blut drang mir zum beklommenen Herzen.
Ich stand auf, trat an das Fensterloch und rief: »Mein Gott! Ist denn kein Mensch so redlich, mir den Namen des Mannes zu sagen, der sich jetzt erhängt hat, damit ich viele andere vom Unglücke erretten kann?«– –
Das Fenster war noch offen, und ward erst am folgenden Tage vernagelt. Zugleich warf ich fünf Pistolen in ein Papier gewickelt hinaus und sagte: »Freund! Nimm dies Geld, und errette deine Kameraden, oder geh hin, verrate mich und lade Blutschuld auf dich.«
Man hob das Papier auf; eine kurze Stille mit einigen Seufzern folgte. – – – Dann aber hörte ich eine leise Stimme: »Er hieß Schütz, von Ripps Kompanie.«
Gleich schrieb ich Schütz, anstatt Gefhardt: obgleich ich den ersten Namen nie nennen gehört hatte, und mit ihm in gar keiner Verbindung stand. Sobald meine Schrift fertig war, rief ich nach dem Leutnant. Man kam herein, empfing den Brief, nahm mir Schreibzeug und Licht weg und schloß die Türen zu.
Der Herzog hatte aber den Braten gerochen, daß ich mit mehreren müßte einverstanden sein. Es blieb also alles mit mir beim alten, und ich erhielt weder Verhör noch Kriegsrecht.
Später habe ich folgende Umstände erfahren, die dieses fast unwahrscheinliche Rätsel entwickeln. Da ich noch in der Zitadelle saß, kam einst eine Schildwache auf den Posten vor mein Fenster, lästerte, fluchte und sagte laut: »Der Teufel hole den vermaledeiten preußischen Dienst. – Wenn nur der Trenck meine Gedanken wüßte, er sollte gewiß nicht lange in seinem verfluchten Loche sitzen.«
Gleich ließ ich mich in Unterredung ein, und diese fiel dahin aus: daß, wenn ich ihm nur Geld geben könne, um einen Kahn zu kaufen, mit dem wir über die Elbe fahren könnten, so wollte er meine Schlösser bald durchfeilen, meine Türen öffnen und mich erretten.
Ich hatte kein Geld, gab ihm aber einen brillantenen Hemdknopf, der etwa 500 fl. wert war, und den man bei mir nicht gefunden, auch nicht vermutet hatte.
Er hat sich aber bei mir nicht wieder gemeldet und mich betrogen. Oft stand er nach diesem Schildwache bei mir; ich erkannte ihn an der westfälischen Aussprache, redete ihn an, erhielt aber nie Antwort.
Nun muß dieser Mensch meinen Hemdknopf verkauft, und etwa das Geld haben sehen lassen. – –
Wie nun der Herzog von mir wegging, hat der wachhabende Leutnant diesen Schütz angefahren und gesagt: »Du bist gewiß der Spitzbube, der des Trenck Briefe bestellt; denn du hast seit langer Zeit viel Geld verludert und Louisdore sehen lassen. Wo hast du diese hergenommen?« – –
Schütz erschrickt, hat kein gut Gewissen, argwöhnt, daß ich ihn verraten würde, weil er mich betrogen hatte; kommt eben zur Ablösung auf den Posten zu mir – nimmt sein Haarband in der ersten Betäubung und erdrosselt sich vor meiner Türe an den Pallisaden.
Welch wunderbare Fügung des Schicksals in dieser Begebenheit! Es strafte den Betrüger ein ganzes Jahr nachher, da er mich hintergangen hatte, und hierdurch allein wurde der ehrliche Gefhardt gerettet.