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»Nur« Vogelnester. – Der Mädchenkauf. – Der Würgengel der Wendekreisländer.

Jene Pirsch hatte uns gegen unsre ursprüngliche Absicht verzögert. Zu unsrer Freude fanden wir auf den Schiffen alles in Ordnung und den Schoner fast seefertig.

De Ruyter hatte ich von Vertrauensleuten auf Pulo-Penang die Nachricht gebracht, daß die Engländer rüsteten, um die zahlreichen Seeräuber auf dieser Insel aufzureiben, die der »Gesellschaft« zu See und Land sehr geschadet hatten. Losgehen sollte es während der Jahreszeit, wo sie das Wetter in ihren Hafen auf Sambos zwang. De Ruyter beschloß, den Kriegszug zu vereiteln. Der Schoner war zu klapprig; ich wäre sonst sofort losgefahren, um nach französischen Kreuzern zu fahnden und mit ihnen einen Seeangriff auf die Streitmacht der »Gesellschaft« zu vereinbaren. Deshalb versprach de Ruyter den Eingebornen feierlich, sie wenigstens zu Lande zu unterstützen. Ich gab Leute und zwei Geschütze an ihn ab.

Wir segelten gleichzeitig ab: er nach Sambos, ich nach Java. Ich sollte dem Statthalter Batavias Eilnachrichten bringen, mich mit Kriegs- und Mundvorrat eindecken und unverzüglich mit der Grab an verabredeter Stelle treffen. Louis begleitete mich als Fachmann für Lebensmittel. Abermals war ich von dem Freunde getrennt.

Unterwegs nahm ich, vielmehr: nahm ich wieder einen kleinen Spanier, der schon von einem englischen Kriegsschiff gekapert war. Er eignete Kaufleuten auf den Philippinen, führte Kampfer und die gepriesenen eßbaren Vogelnester. Nur sechs englische Matrosen und ein Kadett taten Dienst – bei einer so kostbaren Beute! Demgemäß versuchte er keinen Widerstand.

Kurz vorher hatte eine englische Kriegsbrigg bei den Philippinen ein spanisches Fahrzeug mit einer Fracht dieser Leckerbissen erbeutet. Der englische Offizier fragte, was sie geladen hätten. Sie antworteten wahrheitsgemäß: »Vogelnester«. John Bull, der ganz frisch in die chinesischen Gewässer gekommen war, blieb die Spucke weg: »Vogelnester? Was? Haltet ihr Schurken mich für 'n dämlichen Grünschnabel? Vogelnester! Ich will euch bevogelnestern, ihr dreisten Lügner! Luken auf!«

Der Raum wurde durchgekämmt, und die Engländer waren baff, nur Säcke mit stinkenden, schmutzigen Schwalbennestern zu entdecken, wie sie unter den Dachtraufen kleben. Sie glaubten immer noch, dieser »Dung« verschleiere etwas Wertvolleres, und warfen eine Menge über Bord, um zu dem Schatz drunter zu gelangen. Dabei höhnten und witzelten sie über spanische Matrosen, die Nester ausnähmen. Sie räumten bis zum Kiel aus, schürften vergeblich in jedem Winkel. Dann meldete der Offizier, was die Spanier gesagt hätten; er habe es selbst beaugenscheinigt. Die Brigg hallte wider von Gelächter. »Indes«, orakelte der Kommandant, ein ebensolches Grünhorn, »das Schiff ist spanisch, wir müssen's behalten. Es trägt nur Totlast; aber der Rumpf ist auch was wert. Wo die herkommen, müssen sie sehr knapp an Erde sein, daß sie Schlamm laden, – noch dazu in Säcken!«

Er schickte einen Kadetten und drei, vier seiner minderwertigsten Leute auf den Spanier, um ihn in den nächsten Hafen zu bringen. Vernünftigerweise holte er die Gefangenen rüber, – die hätten ihren Kasten bald wiedergehabt! Erst als er gelegentlich in einem chinesischen Hafen den Vorfall erwähnte, um sich über die Spanier zu belustigen, erfuhr er den Wert der Beute. Vogelnester standen damals auf dem chinesischen Markt 32 spanische Taler das Pfund. Die Ladung galt schätzungsweise 80 bis 90 tausend Pfund Sterling. Der arme Teufel, dem in zwanzig Dienstjahren keine zwanzig Pfund Prisengelder zugefallen waren, hätte ein Vermögen gemacht! Er raste und ging wieder in See, um auf das Schiff zu passen. Er betete, zum erstenmal im Leben, es möge den Hafen sicher erreichen. Aber es sollte nicht sein! Die wenigen Tölpel, die er an Bord gesetzt hatte, genügten nicht, es zu bedienen; es strandete. Ein Goldschiff wäre für die Chinesen kein solcher Glücksfall gewesen! Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht. Die bangbüxigen Zopfträger vergaßen, sich zu fürchten. Unbekümmert um Sturm und See stürzten sie sich in die Brandung, eilten, der Starke den Schwachen, der Bruder den Bruder niedertretend, auf das Wrack und kratzten es so gründlich aus, daß nicht ein Körnchen zurückblieb. Viele mußten dran glauben, – schlug man sich doch um jede Handvoll; die Küste war meilenweit noch lange ein blödes Hin- und Hergezerre. –

Ich nahm vorsichtiger meine Beute ins Schlepptau. Louis wollte gern als Prisenmeister rüber. Sein Herzenswunsch war, das Geheimnis jener köstlichen, sämigen Suppe zu ergründen, die in China so berühmt ist, daß ein Sprichwort sagt: »Wenn der Geist des Lebens schon den Naslöchern entfahren will und der Duft dieser Suppe sie küßt, so belebt der Geist noch einmal die irdische Hülle; denn er weiß, daß im Paradies keine Wollust zu finden ist, die sich damit vergleichen läßt.«

»Da wir davon sprechen!« meinte Louis. »Tät ich diesen unvergleichlichen Lebenswecker und den nich minder gepriesnen chinesischen Punsch aus Reisbranntewein in Europa einführen, ich könnt dadurch zu höherm Ruhm kommen als Van Tromp oder der Prinz von Oranien. Und das will ich!«

Mit diesem hochfliegenden Entschluß schritt Louis le Grand benebst einem chinesischen Koch ans Werk. In dunkler Nacht rief er mich an einer gefährlichen Küste an, beizulegen und ein Boot zu schicken, damit er mir ein Zeichen seines Sieges bringen könne. Wenn auch nicht damals, so hab ich doch später die Suppe gekostet. Allerdings ein schlemmerhafter Seelenkleister, aber viel zu fett für einen Magen, der einfache Kost gewohnt ist wie meiner. Der schleimigen Masse des Nests, das aufgelöst braunem Gallert oder geschmolznem Leim gleicht, werden Knorpel von Rotwild, Füße von Ferkeln, Flossen von jungen Haien und der fleischige Teil eines Schweinskopfs mit Kiebitzeiern, Muskatblüte, Zimt, rotem Pfeffer zugesetzt. Schildkrötensuppe schmeckt fade danach; es nimmt wunder, daß die zahlreichen Freßlinge Europas ihrem Gaumen das höchste aller Opfer sträflicherweise noch vorenthalten haben ...

Ich berührte eine der Barlie-Inseln, konnte aber außer ein paar Säcken vorzüglichen chinesischen Tabaks wenig andres erhalten. Während des Feilschens kindschte ich mit einem hübschen schlanken Malaienmädchen. »Gib mir«, sagte die Mutter, »den goldnen Mohur, und du sollst den Tabak, die vier Hühner, den Korb mit Eiern, das Obst und mein ältestes Kind dreinhaben; sie scheint dir zu gefallen.«

Ich warf ihr das Geldstück hin, hieß die Sachen einbooten und führte das ungefähr achtjährige Mädchen fort, gab ihm einige Früchte zu essen und kleine Kupfermünzen zum Spielen. Kein Abschiedsblick zwischen der zärtlichen Mutter und ihr! Das kleine Ding begleitete mich, ganz entzückt von seiner neuen Heimat; ich vertraute es Zela an ...

Frankreich und Holland unterstanden damals der gleichen Machtherrschaft. In Batavia, der Hauptstadt Javas, wurde ich von dem Statthalter, einem holländischen Offizier, zuvorkommend empfangen. Ich gab meine Briefe ab, und er befahl seinen Amtsstellen, mich bei der Ausbesserung und Versorgung meines Schiffs in jedem Belang zu unterstützen. Mir riet er der Cholera wegen, im Hafen keine Zeit zu verlieren und möglichst wenig mit dem Land zu verkehren. Die Kaufleute der holländischen Niederlassung waren so übertrieben gastfrei, daß sie mich mit Wohnungsangeboten, Einladungen zu Festen und Schmäusen fast totplagten. De Ruyter war ihr Held; sein offenbar unbegrenztes Vertrauen zu mir, die bedeutenden Summen, die ich umzusetzen hatte, die Vollmacht, beliebig viel Geld aufzuwenden, – all das wirkte Wunder. Überdies hatte ich mir schon selbst einen Grundstock an Ruhm geschaffen und einen Namen, der mir gute Dienste leistete, als bare Münze galt, wenn ich was brauchte. Doch war ich damals noch frei von den künstlichen Bedürfnissen, die man erkaufen kann. Ich wich der Tafel der Krämer aus und beschleunigte meine Geschäfte, ungeduldig nach meiner kleinen Kajüte. Mit Zela drin war sie weit genug für alle Schätze, die ich besaß oder wonach ich geizte. Neben unsrer Liebe begehrten wir wenig. Wir zehrten von der gleichen Weintraube, einer Pampelmuse, einem Granatapfel. Wir tranken aus dem nämlichen Becher, saßen auf derselben Matte. Dabei erlangte ich eine Kraft und Ausdauer, die mich gegen Krankheit und Ansteckung feite. Andre wanden sich bei Schrammen vor Schmerz; bei mir heilten die tiefsten Wunden ohne Arzt, und die Cholera, die damals aufs bösartigste wütete, konnte mir nichts.

Die Europäer an Bord und Land priesen als einziges Gegenmittel gut futtern, feste trinken: feurige Getränke beschleunigten den Blutumlauf. Wasser, Reis, Gemüse, Obst und sonstige Rohkost waren wie Gift verpönt. Ich richtete mich grade nach diesem Speisezettel, mit mir meine eingebornen Fahrensleute. Dabei blieben wir am Leben; die Europäer fielen wie Fliegen. Schiffe wurden im Hafen angetrieben: es mangelte an Händen, sie festzulegen. Befrachtete Fahrzeuge konnten nicht anmustern, um Anker zu lichten. Zwei segelfertige Kriegsschiffe waren außerstande, den Hafen zu räumen, geschweige sich auf die hohe See zu wagen. Hätte man der Seuche durch Prassen wehren können, – meine Europäer wären ihr gewachsen gewesen. Dennoch erschien sie an Bord und fiel frech nur über die abgehärteten Söhne des Nordens her; die Sonnenkinder, ihre Landsleute, verschonte sie.


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