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Blutrausch und Beute.

Ich tat's und eilte nach dem Hügel. Das war gut, – wir hätten sonst keinen Gefangnen zu befreien gehabt. Die Weiber machten sie kalt, wie sie, an Händen und Füßen gefesselt, haufenweise an der Erde lagen. Die schwarzen Hexen bekamen die Quittung. Als ich in ein Mattenzelt trat, fiel mir zuerst ein angepfählter, nackter, hagrer Araber auf. Er war voller Stichwunden, schwamm im Blute. Doch wenn er auch gebunden war, hilflos, sterbend, – sein unbeugsamer Geist zeigte sich immer noch als der eines Häuptlings. Eine Teufelin hockte auf seinem ausgestreckten Körper, in dem Naß ausgerutscht, und hackte mit einem Kokosnußmesser auf ihn ein. Der Araber hielt ihre Linke fest zwischen den Zähnen. Ihm zu Füßen kauerte ein junges Mädchen, fast bloß, und schrie in Todesangst: »Vater, Vater, – laß mich auf!« Ihre zusammengeschnürten Hände ausgestreckt, zerquälte sie sich aufzustehen, wurde aber niedergerungen durch die starken Glieder des Mannes, der sie so vor dem Satan schirmte.

Ich packte die Vettel am Gürtel, hob ihr abgewelktes Geripp und schmetterte sie so gewaltig hin, daß sie wie eine zerschellte Padde zappelte und ihr Lebensfünkchen lautlos erlosch.

Der Auftritt enthüllte mir die Grausamkeit in der höllischsten Gestalt, erfüllte mich mit Abscheu und Mitleid. Ich ließ den Vater losbinden. Der beobachtete mich reglos, wie ich mich anschickte, seine Tochter freizumachen. Um sich kümmerte er sich anscheinend gar nicht, schwankte aber, wie er sich verhalten solle; denn er beargwöhnte meine Absichten. Vergebens suchte er sich aufzusetzen, war doch der Boden schlüpfrig von seinem Herztau. Ich merkte seine Angst. Um sie zu bannen, brachte ich ihn sofort in eine sitzende Haltung und zog den Kris aus dem Gürtel. Seine Augen funkelten grimmig. Ich gab ihm die Waffe in die Hand: »Wir sind Freunde, Vater, fürchtet nichts!« Er wollte sprechen; aber Blut sickerte ihm aus dem Munde, Worte erstarben auf den Lippen.

Der Tochter, nun fessellos, warf ich einen Mantel um. Sie kroch an seine Seite, küßte die rotbenetzten Hände und Augen, neigte sich in sprachloser Pein über ihn. Des Alten harter Blick milderte sich. Alles überwältigte mich so, daß ich seinem Kinde gegenüber niederkniete, ihn stützte. Mit Anstrengung nahm er meine Hand in die seine, – ich fühlte die klebrige Feuchte. Er führte sie an den Mund, streifte sich mühsam einen Ring vom Finger, steckte ihn mir an. Nun legte er meine Hand auf die seiner Tochter, schaute uns abwechselnd an, preßte krampfhaft unsre Hände, murmelte etwas. Meine Zähren tropften auf seine Brust. Kopf, Leib flog ihm wie bei einem Fieberanfall, seine Finger wurden eiskalt, die Augen glasig, die Glieder steif. Ich vermochte den immer schwerer lastenden Körper nicht länger aufrecht zu halten. Sein Geist zerbrach die zerstörte Form. Noch immer waren unsre Hände so fest in der seinen verschlungen, daß ich sie nicht lösen konnte. Starrte er uns nicht weiter angstvoll an?

Reglos wie ein Marmorbild lag die Tochter über ihm. Sie weinte nicht, schien nicht einmal zu atmen. Das brachte mich zur Besinnung. Ich hielt sie auch für tot und befreite mich von dem Griff des Gestorbenen. Als ich sie sanft entfernen wollte, erwachte sie wie aus einer Starrsucht, warf die Arme um seinen Hals, kettete sich heftig an ihn. Ich schickte die Gaffer hinaus. Auch sie waren nicht ungerührt und ergingen sich in Racheschwüren. Schließlich stellte ich zwei verläßliche Araber an den Eingang und ging ins Freie, mich von dem Schwächeanfall zu erholen.

Dann schulterte ich den Stutzen und bot alles auf, die Todesernte zu hemmen. Allenthalben wurde geplündert. Die Pinassen der Grab und der Korvette harrten am Strand, die Schiffe selbst konnten bei der Windstille das Riff nicht runden. Wir fingen deshalb an, die Boote und einige Kähne mit der zusammengewürfelten unschätzbaren Beute zu beladen, dazu mit männlichen und weiblichen Sklaven jeglichen Alters und Landes. Jedes Auge glänzte, jeder Rücken krümmte sich unter kostbarer Bürde.

Aber unsre Leute waren so happig, unersättlich, daß sie, anfangs sehr wählerisch, schließlich alles und jedes mißgünstig beaugenscheinigten. Sie wurden so roh in ihrer Raffsucht, daß sie am liebsten den Küchenabfall gehamstert hätten, woran der wilde Hund achtlos vorüberstrich. Was nicht wegzubuckeln war, stopften sie sich in die Bäuche; sie sackten sich voll wie der Strauß, bis sie sich kaum rühren konnten.

Scolpvelt und der Vorratsmeister erschienen jetzt auf der Walstatt, aber zu verschiedenen Zwecken. Van schien verwirrt durch die ungeahnte Mannigfaltigkeit der Fälle. Als er mit aufgekrempten Hemdärmeln, mit knochigen, behaarten Armen umherhastete, ein Bund funkelnder Schreckenswerkzeuge in der einen Hand, in der andern eine Mordsschere, verleibhaftigte er das scheusäligste Bild eines Racheengels, das je von frommen Malern oder Dichtern ersonnen ward. Einige Halbtote fuchtelten ohnmächtig mit den Krisen gegen ihn, andre brüllten vor Entsetzen, wenn er anhielt, ihre Wunden zu untersuchen; einige verendeten, als er näher kam.

Louis wieder grinste von einem Ohr zum andern angesichts des ungeheuren Raubguts und der Vernichtung der Seeräuber. Er war ihr geschworner Feind, weil sie wiederholt den Viehhandel nach Mauritius unterbunden hatten. Aber seine Freude verebbte sogleich: »Oh, Kaptän, wie können Se diese leichtsinnige Wilden so viel verquasen lassen! Sehn Se, der Boden is bedeckt mit Korn und Mehl, als hätt's geschneit. Und sehn Se diese herrliche Schildkröten? Se sind von der köstlichsten Sorte und de schönste Tiere, wo ich je gesehn hab. Und diese törische Wilden wollen se hier lassen! Machen Se, daß de Leute den Trödel wegschmeißen, wo se an Bord schleppen! Wir brauchen 'n nich. Etwan Sie? Und de Boote mit 'n Schildkröten beladen! Was sollen uns diese schwarze Wilden, wo Se nach 'n Booten schicken? Eine von diesen da is 'ne ganze Insel voll von ihn wert. Die kann kein Mensch essen; vielleicht Sie? Pah, ich haß de Wilden und bin vernarrt in de Schildkröten. Sie nich? Wir haben genung von der einen Art an Bord. Aber wo haben Se je solche allerliebste Geschöpfe gesehn wie die? Ich seit Jahre nich.«

Die Schalentiere beschäftigten ihn jetzt ausschließlich, und er suchte durch Drohen, Bitten die Leute für sich einzuspannen. Endlich verzweifelte er an den Arabern, die sich davor ekeln (nach Louis ein Beweis dafür, daß sie keinen Menschengaumen haben), und begann sie den Sklaven, Weibern aufzuhalsen; dabei erklärte er, er habe diese noch nie so nützlich gesehen. Dann fragte er mich mit seiner putzigen Stimme, die in dem tiefen, hohlen Schall einer gedämpften Trommel einsetzte und in dem schrillen Geschepper einer Frühglocke austönte: »Etwan Sie?«

De Ruyter trat jetzt mit Aston heran. Der war eben gelandet, um sich selbst ein Bild des Geschehenen zu machen. Ich erzählte den Auftritt im Sklavenzelt. Der zartfühlende Aston tadelte: »Wie konnten Sie sich von dem Mädchen trennen?!« Ich erwiderte: »Ich wollte sie mit ihrem ersten Schmerz allein lassen.«


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