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Zwei Ehemänner.

Im Westpassat glitten wir samt der Korvette heiter dahin. Wir wollten nach Port Bourbon an der Südostküste von Mauritius; die englischen Fregatten sperrten den nordwestlichen Hafen.

Nach einigen Tagen dachte ich meine kleine Gefangene zu besuchen. Nicht, als ob ich sie unterdessen vernachlässigt hätte. Ich hatte ihr meine eigne, leidlich wohnliche Kammer eingeräumt und dem Reis befohlen, alle Stammesgenossen oder Anhänger ihres Vaters zu ermitteln. Wirklich hatte er meine Wünsche vorerfüllt, da der Vater nicht nur Araber gewesen war, sondern Scheich eines Stammes am Persischen Golf, nahe der eignen Heimat. Der Reis sagte: »Ich muß für sie sorgen wie für mein eigen Kind; wir sind alle Brüder.«

De Ruyter hörte uns und wandte sich an ihn, den er »Vater« nannte, weil er seine Araber befehligte und schon lange bei ihm war: »Ich habe meinem Offizier gesagt, daß das arabische Mädchen jetzt seine rechtmäßige Gattin ist, in der ehrwürdigsten Form, gemäß euren Landessitten. Nicht? Belehrt ihn!«

Der Reis war durch Augenzeugen des Todes im Bilde: »Sicher, Herr, – wer kann zweifeln? Aber seltsam tönte es mir in den Ohren. Ich bin alt; doch hörte ich zum ersten Male, daß ein arabischer Scheich, dessen Geschlechter zahllos sind wie die Sandkörner in der großen Wüste, seine Tochter gibt einem Ungläubigen aus einem neuentdeckten, unsern Vätern annoch unbekannten Lande, – das Blut der Ahnen des Menschenvolks vermischt mit dem eines Giaurs!«

»Pah, der Vater betrachtete ihn eben als Araber! Als was sonst? Sieht er aus wie ein Christ? Hat er nicht den Koran in seiner Kammer?« erwiderte de Ruyter.

»Weise seid Ihr, Herr! Es ist nicht zu verwundern, daß ihr Vater so gedacht hat. Ich will ein Narr sein, wenn der Engländer nicht ein geborner Araber war oder von arabischer Abkunft. Nie hab ich einen von euch Abendländern so sonnverbrannt oder so gesichtig vor Augen gehabt wie diesen Jüngling. Er ist ehrenhaft, tapfer, liebt unser Volk, ficht mit unsern Waffen, beobachtet unsre Sitten. Ihr seht, die Natur bricht sich durch. Dessenthalben kann sich ihr Vater damals nicht getäuscht haben. Er wußte, wessen Händen er seine Tochter anvertraute, die Hoffnungen seines Hauses, die Sorge für seine Kinder.«

»Welcher Kinder?« fragte Aston. »Hat er noch andre?«

Schon begann ich meine peinliche Lage zu fühlen: Weib, Kinder – weiß der Himmel, was noch!

»Kinder? O ja, aber nicht viel. Er war ein wackrer, verwegner Krieger. Die meisten seines Stamms sind untergegangen in Kämpfen wie mit diesen Maratten, die sein Dorf plünderten, sie fast alle erschlugen. Nun hat er nicht mehr als zwanzig oder dreißig.«

»Noch genug!« rief Aston.

»Reichlich genug, denk ich«, fügte de Ruyter hinzu und, in Anlehnung an Louis: »Etwan nich?«

Vermutlich sah ich wenig geistreich aus bei dem Gespräch, als ich merkte, daß es ernst gemeint war. Vielleicht ließ ich die untere Kinnlade ebenso fallen wie eine von Louis' muntern Schildkröten, wenn ihr der Hals abgetrennt war. Indes wurde ich etwas getröstet, da es sich nicht um die Frucht seiner Lenden handelte, – die war durch die Feinde weggerafft worden, – sondern um seinen Stamm. Der Reis nannte nämlich alle Araber an Bord seine Kinder, bisweilen, wenn er aufgeräumt war, sogar mich und de Ruyter. Dieser versicherte mir bei seiner Ehre, daß die Worte des Reis so wahr seien wie der Koran: »Aber der Koran bedeutet Ihnen nichts, das arabische Gesetz ist nicht das Ihrige.«

»Richtig! Aber wie wird sie's aufnehmen?« fragte ich.

»Da ihr Vater sie Ihnen verlobte, nur so, daß sie keinen andern heiraten darf. Drum müssen Sie aus Pflichtgefühl und Menschlichkeit für sie sorgen, sie nebst ihren Arabern in ihre Heimat bringen. Sie haben Gefühl, Ehre; die werden, welchen Kurs Sie auch steuern, nie das Ruder verlassen. Nie hab ich Sie mit zudringlichem Rat behelligt, lieber Junge, – will's auch jetzt nicht. Außerdem sind Sie keiner von denen, die nur sich, ihrer Klasse, ihrem Vaterland alles Gute und Edle unter der Sonne anmaßen. Auf den Sandebenen dieser Wüstenkinder strahlt das Licht nicht minder hell, weil's nicht durch die fälschlich sogenannte ›Zivilisation‹ getrübt ist. Sie verstehn?« –

Nachher fragte mich Aston, was ich zu tun dächte.

»Zu tun? Na, haben Sie denn nichts gehört? Alles ist schon erledigt, Mann!«

»Erledigt? Was?«

»Nun, ich bin – hm – vermählt, ohne Aufgebote, ohne Gefeilsch!«

»Aber sie ist ja noch ein Kind, und Sie haben sie kaum gesehen!«

»Das schon! Aber welcher Araber sieht seine Frau vor der Hochzeit?«

»Wie können Sie sie nach ihrer Heimat schaffen? Sie wollen doch nicht Ihr ganzes Leben bei den Arabern verbringen?«

»Warum nicht? Ich hab keine Heimat! Der Reis sagt, Arabien sei mein Vaterland. Ich lieb es innig, – ich liebe die Sonne mehr als den Schnee. Aston, nicht die Stirn gerunzelt! Glätten Sie sie mit Rotspon! Wissen Sie nicht, daß heut mein Hochzeitstag ist? Da wollen wir lustig sein!« –

Wir verbrachten die Zeit bei Wasserpfeifen, Zigarren, Rotwein. De Ruyter und Aston zogen mich wegen meiner »gelungnen« Beweibung auf. Ich bejahte das Leben zu sehr, um durch eine vermeintliche Kleinigkeit wie das Heiraten herabgestimmt zu werden.

Louis ließ sich so vernehmen: »Ich hab auch mal 'ne ›Frow‹ gehabt. Aber se war nich viel wert. Wenn ich zur See ging, pichelte se mein ganzen Wacholderschnabus aus. Ich konnt niemals 'n Troppen guten Schiedamer im Haus erhalten. Das konnt ich nich leiden; etwan Sie? Se wurde sehr dick. Jeder sagte, se is in andere Umstände. Aber ich wußt, wenn se was hätt, müßten das holländische Jungfäßchen sein. Später dachten de Dokters dasselbige; denn se zappten se, wie se's nennen, mehrfach an. Aber se liebte 'n Schnaps zu sehr, um 'n rauszulassen, – de Dokters bekamen nischt als Gänsewein! Ich hätt's nich fer möglich gehalten; Sie vielleicht? Denn nie in meim Leben sah ich se Wasser anrühren; se konnt's nich sehn und meinte, es verkühl ihr'n Magen. So verließ ich se und ging aufs Meer. Ich wußt, aufs Wasser würd se mir nich folgen. Und se war traurig, krank und maulhängolisch, de arme Frau, aus Kummer, daß se kein Wacholder mehr bekam. Ich hatt allen mitgenommen.« –

Scolpvelt kam mit dem Verzeichnis der Kranken und Verwundeten herab. Er hatte so viel zu tun, daß wir ihn selten sahen, den Kopf ausgenommen: den schob er bisweilen aus der Luke, um Luft zu schnappen, wie der Schwertfisch den seinen aus dem Wasser. Er erklärte uns das Gesetz, wonach die Leichen der Mörder in allen »zivilisierten« Ländern zur Zerlegung freigegeben würden. Darum stifteten sie durch die Bereicherung der Medizin bedeutend mehr Gutes als Böses, und es sei ein Jammer, daß so wenig Morde begangen würden. Dann zieh er uns wieder einer Verschwörung, die Bemühungen der Wissenschaftler zu vereiteln; denn wir widersetzten uns nicht bloß der Amputation von Gliedern, sondern stünden auch im geheimen Einverständnis mit einer schamlosen Unterschlagung, indem wir ihn einer Sektion beraubten: »Hätten Sie mit Torra kurzen Prozeß gemacht, wie bei andern Gelegenheiten, so hätten Sie ihn, einen wahren Prachtfall, sofort gehenkt und mir seinen Kadaver überlassen. Ich hab ihn für anständig gehalten, seh aber, daß er wie alle andern dabei mitwirkte, den Doktor zu betrügen. Und das hat er dadurch getan, daß er sich den Fischen hinwarf; dabei gehörte er zu meinen rechtmäßigen Sporteln!«

Nach einem Glase aus Louis' Flasche suchte er wieder seine Kranken auf.

»Hö«, sagte Louis, »wenn ich 'n nicht unterweilen trinken und seine Pipe nuckeln säh, so hielt ich 'n nich für'n lebigen Mensch. Aber jedermann kann von dem da (er hielt die Buttel hoch) leben; Sie vielleicht nich? Er is wie Öl und Spirtus zugleich: das eine hält 'n Körper, das andre die Seele zusamm. Etwan nich?«

»Ja, mit etwas Schildkröte, dann und wann, dächt ich's fertig zu bringen. Glauben Sie, Louis, daß es Schildkröten im Himmel gibt?«

»Sicher wie's Amen in der Kirche! Wer möcht sonst hin? Sie vielleicht? Es gibt kein Paradies ohne Schildkröten; etwan doch? Dann is im Mond massig Wasser, – wo käm sonst der Regen her? Also muß es auch Wacholder dort geben, um die Feuchtigkeit draußen zu halten.« –

Ich ging an Deck, um die erste Wache zu schieben. Von Louis und Turteln (Schildkröten) kehrte ich in Gedanken zurück zu meiner kleinen Turteltaube in ihrem Käfig. Damals schaute ich Welt und Dinge nur von der Lichtseite an. Ich beschloß, zuerst ein gütiger, liebevoller Gatte zu sein, dann ernst, streng oder abwechselnd zärtlich und hart ... Es glaste zwölf, ich wurde abgelöst. Die Ehesorgen störten mich nicht mal im Schlaf.

Endlich erwachte ich, weil Scolpvelt an meinem Bein rüttelte. Sofort sprang ich hoch und stampfte auf, aus Furcht, er könne nachts dran herumgemurkst haben: »Wo brennt's, Van?«

»Fragen Sie nicht lange! Ein gefangner Araber liegt im Sterben, möchte Sie sehn.«

Ich bückte den Kopf in einen Eimer Meerwasser und folgte Van. Unterwegs suchte mir Louis ein Stück warmer Schildkröte aufzudrängen, da es gewagt sei, leeren Magens an ein Krankenbett zu treten.

Der Schwerverwundete wollte mich nur bitten, freundlich zu sein gegen die Tochter seines »Vaters« und sie vor seinem Tode ihn besuchen zu lassen. Vielleicht habe sie etwas an ihren Vater auszurichten, dem er bald begegnen werde, – er sehe schon den blauen Todesengel über sich. Ich möge ihn mit allen Bräuchen seiner Heimat versenken und nicht erlauben, daß der weiße Inder mit dem langen Messer (er zeigte auf Van) ihn der Kopfhaut beraube oder an ihm herumschnipple: »Denn wenn er mir hier ein Stück Fleisch ausschneidet, um's zu essen, so taug ich in dem ›andern‹ Land nicht mehr zum Krieger.«

Scolpvelt verzerrte das Gesicht zu einem Sammelsurium von Schauder, Staunen, Grimm und murrte und knurrte wie eine Hyäne. Ich glaube, die Furcht vor ihm peitschte die Seele des Arabers, die seinen glasigen Augen nach schon im Fluge war: sie entfloh, während ich den Arzt zu beschwichtigen suchte ...

Zaubergleich war ich aus einem freundlosen, unbehausten, leichtsinnigen abendländischen Fant in einen Seescheich, Araber, Muselmann, – Gatten verwandelt! Dabei hätte ich meine Frau von keinem andern Weib unterschieden, zu sehr war ich mit dem Vater beschäftigt gewesen, auch war ihr Antlitz meist verschleiert geblieben. Nicht mal nach dem Namen hatte ich sie gefragt! Gewiß: ich besaß einen Koran, wußte aber nicht, wo mein angenommenes Vaterland lag ...

Zunächst erkundigte ich mich über die Maid. Sie hieß Zela. Der Name wird tief, unverwischbar in mein Herz gegraben sein, bis ich vergehe. Sollte es irgendeinem neugierigen Van Scolpvelt gelüsten, die Nase in mein Innres zu stecken, – gern gestatte ich's. Lieber freilich Van selbst, wenn er noch da ist, zum Beweise dafür, daß ich die Wissenschaft nicht so grenzenlos hasse, wie er mir so oft vorgeworfen hat. Ein Beisatz zu meinem Letzten Willen besagt, daß mein Leib in einem Faß echten Schiedamers nach Amsterdam zu schicken sei, wo Van lebte, als ich zuletzt von ihm hörte: der Körper für den gelahrten Van, die Flüssigkeit für des ehrlichen Louis »Frow«, falls sie von der Wassersucht genesen ist ...

Ich wurde in der richtigen kehligen Aussprache des Namens Zela geschult. Keine leichte Aufgabe: ich mußte das Z hundertmal wiederholen, eh die alte Ehrenwächterin, die mich drillte, zufrieden war. Weiter suchte sie mir zehntausend Bräuche und Warnungen einzuhämmern: ich dürfe den Schleier des Mädchens ebenso wenig berühren wie ihren Körper oder die Kleider, nicht zuviel sprechen, fragen, zu lange verweilen: ihre Gedanken unterhielten sich mit dem Geist ihres Vaters. Sie fügte hinzu: »Oh, Fremdling, sei gut zu ihr! Alles Gute wird dein sein, wenn du sie besitzest!«


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