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Wir waren jetzt in der Breite von Mauritius. Ich betrachtete mit Aston das Land durchs Fernglas, und unwillkürlich kam's mir von den Lippen: »Wie still und wunderbar. Hier laßt uns Hütten bauen!« Sooft sich ein Tal den Blicken verschloß, ein neues, weit schöneres sich öffnete, wiederum ein anderes, und so fort, – es blieb bei dem Ausruf. Alle drei liebten wir die Natur, und de Ruyter machte uns fröhlich auf jeden noch so unbedeutenden Wechsel des Landschaftsbildes aufmerksam. »Gewiß«, schwärmte ich, »ist diese Insel ein Paradies der morgenländischen Dichter. Nur ein Tor könnte sie verlassen, nachdem er sie einmal betreten hat. Ach, entsagen wir dem launischen Meere, das uns durch sein falsches Lächeln in Krankheit und Enttäuschung lockt, in Schmerz und Tod!«
Aston war nicht minder begeistert, überhaupt zeigten alle an Bord eine willige, gelöste Heiterkeit. Als der Anker fiel, flogen die Leute vogelgleich die Masten hinan, im Nu waren die Segel beschlagen. Kähne umschwärmten uns, die unter der Last von frischen Fischen, Früchten, Gemüse fast versanken.
Meine Herzensfreude stieg durch die Gegenwart meiner Fee zum Überfließen. Sie hatte sich auf mein Drängen an Deck führen lassen. Wenn der Luftzug ihre duftigen Gewänder beiseite wehte oder fester andrückte, mit ihrem Haar spielte, ihre jugendliche Gestalt zeigte, die beinah in der eignen Leichte schwebte, blickte Aston sie bewundernd an. De Ruyter, der ihre Sprache beherrschte, nahm sie bei der Hand, war aber von ihrem Liebreiz so betroffen, daß er fürs erste stumm blieb; dabei war sie damals blaß, matt, ihre Lippen farblos. Er redete in seiner sanftesten Weise mit ihr. Dann wandte er sich mir zu: »Sie ist ein kleiner morgenländischer Geist, zu zart und zerbrechlich, um von Menschenhand berührt zu werden. Ich beglückwünsche Sie jetzt aus vollem Herzen. Wer könnte so fühllos sein, Ihnen Ihr Glück nicht zu neiden? Beim Himmel, ich wähnte, Sie brächten ein Opfer; nun seh ich, Sie besitzen ein Kleinod, um das Könige – hätten sie Herzen – ihre Kronen hingäben. Wenn Sie's nicht würdigen, möge das Glück Sie für immer fliehen!«
Zela schaute umher wie eine geängstigte Antilope, bestürzt, sich von soviel fremden Menschen angestaunt zu sehen. Ihr Antlitz war gerötet wie die Morgenwolke. Sie wäre fortgeeilt; aber ich hielt sie fest. Ich ließ Teppiche, Polster heraufbringen, und sie nahm im Kreise ihrer Frauen Platz. –
De Ruyter meldete dem Kapitän, daß die englischen Fregatten die Hafensperre aufgegeben hätten. Sie beschlossen deshalb, der Franzose solle Wasser und Frischkost einnehmen und nach Port St. Louis herumsegeln; de Ruyter wollte auf dem Landweg hin, um sich dort mit ihm zu treffen und dem Kommandanten die Eilbriefe auszuhändigen. Für die Zwischenzeit gab er mir Verhaltungsmaßregeln: sobald die Ladung gelöscht sei, die Grab abzutakeln und seinen Landsitz – er hatte binnen ein ansehnliches Anwesen – aufzusuchen.
Bei meiner feurigen, tatkräftigen Natur war ich stets mit ganzer Seele bei der Sache; unermüdet führte ich de Ruyters Weisungen aus. Mein Körper war stark, mein Geist beschwingt, Wachen, Arbeiten meine Lust. Schuppen aus Rundhölzern, Bohlen, Matten wurden schnell am Ufer errichtet, alles, was nicht zur Grab gehörte, ausgeschifft und täglich auf dem Rücken von Maultieren, Eseln, Sklaven nach Port St. Louis befördert; diese Sklaven – ich schäme mich, es zu sagen – waren die Haupttragtiere der Insel.
De Ruyter hatte unter Mühen und Opfern Büffel und Esel eingeführt, um die Sklaven von der Quälerei des Lastenschleppens in einem schier unerträglich heißen Klima zu entbinden. Die kalte Gleichgültigkeit, womit man den menschenfreundlichen Vorschlägen begegnete, hemmte ihn. Die herzlosen Krämer wollten von keinem Plan sehen oder hören, der nicht ihren unmittelbaren Gewinn betraf. Es war zwecklos, vom nächsten Tage zu reden und davon, was mit Maultieren, Büffeln zu schaffen sei, – mit Sklaven durften sie schon heute ernten! Menschliches Leid –? Wie konnte es die beeindrucken, die menschlicher Gefühle darbten! Gegen jede Bitte sind sie taub wie Krokodile; während ihr ihnen von Menschlichkeit tratscht, knuten sie den nackten, eitrigen Rücken einer überbürdeten Sklavin oder treiben sie mit dem Stachelstock an, – ein Weib, dessen zarter Körper zu einer Masse von Geschwüren geworden ist, halbaufgezehrt von Fliegen und Maden, die ihre Beute vorwegnehmen. Deshalb ist, was der Freie, der Glückliche am meisten fürchtet: der Tod, – ist er ihre einzige Hoffnung und Zuflucht, naht wie der Bräutigam. Der faulige Klumpen wird sarglos ins Meer, in einen Graben geschmissen, wo hungrige Raubfische oder wilde Hunde sich davon abwenden, – Abhub für die Würmer!
So geht es den Frauen wie den derben, widerstandsfähigeren Männern. Ich habe das Rückgrat bei ihnen knorrig gesehen wie eine Fichte, die Haut ebenso borkig und verschorft; das Fleisch in Spalten zerplatzt, woraus Blut wie Harz sickerte. Hunderte dieser Elenden verrichteten auf der Werft von Port St. Louis ihren täglichen Dienst. Die Sonne glühte so prall, daß die Fronvögte, unter schattigen Schutzdächern ruhend, zum Ersticken keuchten; bei der geringen Anstrengung, sich ein paar Ellen im Schneckengang fortzubewegen, dampften sie von Feuchtigkeit und durchtränkten die Erde wie ein Pferd nach einem Wettrennen im Juli. Mein schmerzliches Mitleid mit den armen Schächern wurde nur durch die tiefgefühlte, vernichtende Verwünschung aufgewogen, die ich auf die Häupter ihrer entmenschten Zwingherren herabrief, auf sie und ihre Kindeskinder. Gewiß verfallen solche Ungeheuer dem Nichts, – unsterblich können sie nicht sein! Aber sie sollten es sein, eine Ewigkeit lang, um gemartert zu werden! Sie sollten Gerechtigkeit empfangen; was sie andern getan haben, müßte ihnen getan werden. Ich glaube nicht, daß die erfabelten Höllengeister in der Grausamkeit erfindungsreicher, ruchloser sind als sie.
Diese himmelschreiende Behandlung der Sklaven erreichte nicht den Grad, den ich später auf der andern Inselseite beobachtete, bewog mich aber (wenn es noch eines Stoßes bedurfte), meinen Auftrag im Hafen Bourbon zu beschleunigen. Es zog mich nach dem waldverlornen Hügel, den de Ruyter uns als Standplatz seines Hauses bezeichnet hatte. Wo er Gewalt hatte, würde Schmerz, Unterdrückung gemildert, wenn nicht ganz verbannt sein, – das wußte ich.
De Ruyter war pünktlich zurück. So rührig, entschlußkräftig er auch war, – über unsre Eilfertigkeit staunte er doch. Das hochgetakelte Schiff, das noch vor kurzem, fast begraben unter seinem Gewicht, mit Wolken von Segeltuch eingefahren war, es schwamm nun flügelleicht wie ein schlummernder Seevogel; seine Segel waren abgeschlagen, es lag ohne Masten und Rahen am Ufer vertäut.
De Ruyter eröffnete Aston, er habe für ihn und seine vier Matrosen die Erlaubnis erwirkt, bei ihm zu bleiben, wenn er sein Ehrenwort für sich und die Leute gebe. Das Gespräch kam auf die Sklaven, und de Ruyter erzählte in seiner markigen, abgerißnen Art:
»Vor zwei Tagen ging ich an das große Tor einer Kirche (weiter wag ich mich ja nie), um einen Sklavenhändler zu suchen: ein Schweinehund, aber ein pünktlicher, scheinheiliger, miesepetriger Kirchenläufer. Wenn außer ihm nur ein Mensch auf der Insel verbliebe und ihre Glaubensmeinungen nur haarbreit voneinander abwichen, – er würde diesen zweiten mit Gewalt oder List pfählen oder verbrennen. Hören Sie! Die weißgepflasterte Kirche war mit zehn Schwarzkutten bekleckst. Eine Masse Volks war da, um sich die Feierlichkeit anzusehn. Ich machte mich fort: der Gestank von Weihrauch, Schweiß, Knoblauch war zum Kotzen. Ein blöder, bekehrter Sklav trat ein, sah in einem Steinbecken an der Pforte schmutziges Wasser, nahm an, es sei zum Waschen, und spülte seine teerbesudelten Arme bis zum Ellbogen drin ab. Ein Heidenpriester merkte das und hieb ihn über den Grind mit dem Kreuz, an das – wie zum Hohn – ein blutender Christus geschmiert war. Es bestand aus den nämlichen Stoffen wie das Herz des Mönchs: Eisen und Ebenholz, und wog schwer. Der Gottesknecht war stark und zornmütig. Es zerscherbte den bloßen Schädel des Burschen und drang bis ins Hirn. Die erste gute Handlung, die ein verbohrter Pfaff beging; denn der Sklav – wurde frei.«
»Was haben sie mit dem Mörder angefangen?« rief Aston.
»Ich weiß, was sie mit Ihnen angefangen hätten, wüßten sie, wie Sie ihn betiteln. Sie überschrien den Todesruf des Opfers mit einem blökenden ›Großer Gott, wir loben Dich‹, wischten sich die triefende Stirn und hielten ihr Festgelage im Hause des Sklavenschlächters. Der arme Nigger? Nun, den sah ich, wie ich am Strand hinritt, als eine Beute der Landkrabben. – Deshalb also bekehrt man die Ungläubigen!«
»Genug davon!« rief ich. »Rasch zu unserm Haus auf dem Hügel, fort von Priestern und Sklaven!«