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Zela hatte das Deck nicht verlassen und war Zeuge des ganzen Elends gewesen. Sie entstammte, wie schon gesagt, einem furchtlosen Geschlecht, ihr zerbrechlicher Leib hegte einen unirdischen Geist. Sie hatte den Matrosen angedeutet, wohin sie die Taue schicken sollten, – das Auge der Liebe dringt ja durch die dichteste Nacht. Aber sie verließ sich nicht auf sie, sondern griff die Tieflotleine, zum Glück ohne Senkblei, haspelte ein langes Stück ab und turnte damit auf den Fußrasten des »großen Baums« hinaus. An der äußersten Spitze schleuderte sie, geleitet durch meine Stimme, den Knäuel mit aller Kraft auf mich zu. Aus Besorgnis, er könne fehlgehen, hatte sie das andre Ende angeknotet, um sich in die See zu stürzen und mir die Leine zuzureichen. Als sie aber sah, daß ich sie hatte, löste sie's wieder und schoß es den Leuten an Bord zurück. Vier von den sechs Matrosen hatten gleich mir die Leine gepackt und hielten sich daran fest. Nicht viel dicker als eine Peitschenschnur, war's ein Wunder, daß sie uns trug. Aber der Schoner trieb jetzt achteraus, so daß andre Taue nachgeschickt werden konnten. Geborgen!
Zela stürzte mir wortlos in die Arme. Ihre Lippen waren eiskalt. Ich setzte sie neben das Malaienmädchen an der Luke. Als es die leblose Gestalt stützte, entfuhr es mir: »Gott, sie ist tot!«
Hier rief Kamalia, die in der Kajüte darniederlag, herauf: »Nein! Der Tod ist da, aber noch nicht für sie. Wenn wieder er kommt, erlischt der edle Stamm von Beni-Bedar-K'urcisch für immer, der so alt ist wie die Wüste. Wenn die zerstörende Salzflut benetzt die Wurzel des Dattelbaums im Sande, dann verdorrt er, Blätter und Früchte mit ihm. So steht's geschrieben bei dem Propheten. Ich erkaufe ihr Leben mit dem meinigen. Als der Tod ihre Mutter mitnahm, da schwur ich, daß die alte Kamalia es sein soll, wann er das nächste Mal abfordert die Geister unsers Hauses. Blauer Feind, der Prophet hat mich erhört, – du mußt gehorchen!«
Ein Röcheln, als ob sie ertrinke. Ich wußte, daß die Kajüte voll Wasser stand, hatte aber die Greisin vergessen. So rief ich nach einer Laterne und hieß das Malaienmädchen mit zwei Mann hinabgehen, um sie, deren Kräfte letztens merklich abgenommen hatten, heraufzubringen. Kein trockner Faden war an Bord. Ich konnte Zela nur an mich pressen, ein frostiger Pfühl, und ihre Augen anhauchen; doch glaubte ich wiederkehrendes Leben zu fühlen. Die Matrosen schrien herauf, die Amme sei tot, steif, kalt wie ein Stein ...
Die Kajüte wurde ausgeschöpft, – ich trug Zela hinab. Als ich sah, daß sie lebte, ließ ich sie im Schoß des Mädchens und eilte zurück. Wir hatten, um das Wrack zu klaren, bis früh Hand und Verstand gehörig zu regen, so daß wir nicht einmal zählten, wieviel Mann wir verloren hatten. Das Gezeter der Malaiin trieb mich hinab. Hier traf ich Zela scheinbar in Todeszuckungen. Lange krümmte sie sich in unendlicher Pein, – der Schmerz schien ihr die Besinnung wiedergegeben zu haben. Ehe es Morgen wurde, waren die Krämpfe vorbei. Sie war von vorzeitigen Wehen befallen worden und hatte totgeboren. Aber ich war glücklich, lebte doch sie! Ich nötigte ihr heißen Branntwein mit Wasser auf, und sie fiel in ruhigen Schlaf. Die kalte, blasse Stirn wurde warm, feucht, sie sah so unbeschreiblich liebreizend aus, daß ich sie wie gebannt anschaute, immer noch zitternd, wie nahe mir ihr Verlust gewesen sei. Insgeheim nahm ich mir vor, sie von nun an zehnfach zu hegen und zu pflegen.
Damit sie nicht beim Erwachen Kamalias Tod erfahre, vielleicht den Leichnam sehe, ging ich zu dem alten, treuen, guten Wesen und leuchtete ihm ins Gesicht. Das hatte sich nicht verändert. Eine fast tausendjährige Mumie aus Kleopatras Zeit, die mir in Isle de France gezeigt worden war, schaute nicht altertümlicher drein als sie. Ich wickelte sie in ihr Wolltuch und trug sie, nicht schwerer als ein Bündel Schilf, in eine Kammer. Dann drückte ich ihr die starren Augen zu.
Es begann zu dämmern. Da rief ein Matrose: »Brandung voraus!« Dabei war keine lotbare Wassertiefe. Seinem verkrüppelten Zustande zutrotz umsteuerte der Schoner, auf dem wir einige Segel gesetzt hatten, die Widersee. Als der Tag graute, war das Wetter wieder ruhig wie zuvor. Die Sonne stieg in vollem Glanz auf, Nebeldunst braute über der fernen, niedrigen Küstenlinie, von der uns ein Wirbelsturm entführt hatte. Wir mußten dankbar sein, daß wir, wenn auch als Trümmerhaufen, abgetrieben waren, statt am Ufer zu zerschellen. Der Baumeister hätte sein Kind nicht wiedererkannt, der Prinz von Zaoo seine morsche Barke nicht dagegen eingetauscht! Wir lagen als ein Häufchen Unglück da, eine Kurzweil der Wogen und Winde, die wir noch tags zuvor verlacht hätten. Unsre Beute und der meiste Mundvorrat war verdorben.
Eine Musterung erwies, daß wir den Untersteuermann, den Proviantmeister, den Schwedenjüngling, sieben Matrosen eingebüßt hatten. Ich gab die nötigen Weisungen, überließ das Deck dem Steuermann und ging in die Kajüte.
Zela schlief noch. Ich schob einige Stühle an ihr Bett, umschlang sie sanft und sank in tiefen Schlummer. Mir träumte von allen möglichen schauerlichen Todesarten; mir war, als würde ich von Haien, von Tigern zerfleischt, als ertränke ich, als würde mein Schädel wie eine Nuß zwischen den Kiefern eines Krokodils zerknackt. Bei meinen Rettungsversuchen brachte ich die Stühle zum Kentern und fiel hart auf den Boden, wobei ich Zela mitriß. Erschreckt fragte sie, was mir fehle. Schweiß strömte mir über die Stirn. Sie wischte mir das Gesicht ab, küßte mich und sagte: »Du hast geträumt, Liebster mein, und ich suchte dich zu wecken; denn du schienst dich schrecklich zu ängstigen.«
Erst nach einer Weile besann ich mich, wo ich war, und konnte mir die Ereignisse der Nacht zurückrufen. In der Überfülle der Freude, Zela wieder hergestellt zu sehen, küßte ich sie tausendmal und verscheuchte meine schwere Benommenheit mit kaltem Wasser und Kaffee.
Bei der geringen Windstärke, dem Mangel an Segeln erreichten wir den bestimmten Hafen erst nach vier, fünf Tagen. Hier trafen wir de Ruyter mit zwei Prisen. Im Nu waren die Leiden wie weggeblasen, wir drehten singend, jubelnd am Heck der Grab bei, als kehrten wir von der allerglücklichsten Fahrt heim. So ganz kann ein Freudenstrahl die Erinnerung an die längsten, trübsten Leiden vertreiben!
De Ruyter wußte nichts aus unserm verunstalteten, wetterzerzausten Äußern zu machen und kam eilig rüber. »Nanu, Kameraden«, sagte er, als er langseit fuhr, »habt ihr gegen den Nordpol angekreuzt und seid hundert Jahre in 'nem Eisberg eingeschlossen gewesen?«
»Nein! Wir haben nur den Schoner in eine Taucherglocke oder einen Torpedo verwandelt, um unter Wasser zu fahren!«
»Was ist los?« fragte er, als sein scharfes Auge über den Greuel der Verwüstung schweifte. »Ihr habt mit dem Taifun kämpfen müssen, – menschliche Werkzeuge hätten das nicht geschafft! Auch vermiß ich leider einige bekannte Gesichter.« (Er besaß die Gabe, die man Königen nachrühmt, nie jemand zu vergessen.)
Neugierig kam er in die Kajüte, und ich klagte unser Leid. »Ja«, tröstete er, »das ist nun mal nicht anders! Ihr seid wunderbar davongekommen! Jedenfalls müssen wir euch wieder auf die Beine bringen. Unter Wasser ist hoffentlich alles heil. Rahen haben wir reichlich hier, Tauwerk, Segel kann ich genug hergeben. Ich hab's besser getroffen mit einer Geleitflotte von Küstenfahrern in den Sundastraßen. Wir putzten einem schwerfälligen Kreuzer der »Gesellschaft« die Masten fort, nahmen zwei mit Schiffs- und Kriegsbedarf gespickte Bedeckungsfahrzeuge und brachten sie nach Java, wo wir sie samt Fracht vorteilhaft absetzten. Auf dem Herweg sind wir noch zwei Koffardeischiffen begegnet: das eine, nach Makao bestimmt, hat Opium geladen, das bei den hohen Preisen besser ist als spanische Taler; das andre Öl, Kaffee, Kandiszucker und ähnliches.«
Wir ankerten in einem Hafen im Süden Borneos, der von drei winzigen, unbewohnten Inseln gebildet wird. Die Grab war ganz und gar eingekesselt. Ich hatte einige Tage kreuzen müssen, eh ich die Stelle entdeckte, – dabei hatte ich von de Ruyter einen genauen Lageplan.
Um die Pechsträhne des Schoners zu vervollständigen, brachen plötzlich Faulfieber und Ruhr aus. Wir schrieben's der verpesteten Luft jener Nacht an der unseligen Sumpfküste zu. Einige starben binnen vierundzwanzig Stunden. Sobald es vorüber war, zwang uns der schon vorher unerträgliche Gestank, sie in die See zu werfen. An dem ganzen Unheil war natürlich – unsre Ausreise am Freitag schuld, – nur ich glaubte nicht dran! Aber Aberglaube wirkt als Wahrheit, wo man daran festhält. Dem Freitag bin ich deshalb seither aus dem Wege gegangen.