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Trotz der Hochachtung, die alle seine Gefährten für Nowodworoff hegten, trotz seines Wissens und der hohen Meinung, die er von sich selbst hatte, betrachtete Nechludoff gerade ihn als den Typus jener Revolutionäre, die, weil sie naturgemäß unter dem Durchschnittsniveau stehen, in dem Milieu, in dem sie sich befanden, nur Unheil anrichten konnten. Er erkannte an, daß Nowodworoff vom geistigen Standpunkte aus besser begabt war, als der Durchschnitt der Revolutionäre; doch er fühlte, daß seine Eitelkeit und seine Selbstsucht, die sich unter der Einwirkung seiner Lebensverhältnisse hochgradig entwickelt, seine Intelligenz seit langer Zeit lahm gelegt hatten.
Die ganze revolutionäre Thätigkeit Nowodworoffs erschien Nechludoff, obwohl er sie stets mit beredten Worten zu rechtfertigen wußte und ihnen die wunderbarsten Motive verlieh, einzig und allein als der Ausfluß des Ehrgeizes, der nur auf dem Wunsche, zu herrschen und sich eine Machtstellung zu verschaffen, beruhte. Da er eine außerordentliche Fähigkeit besaß, sich die Gedanken anderer anzueignen und sie klar zum Ausdruck zu bringen, so hatte sich Nowodworoff zuerst in den Kreisen, in denen diese Fähigkeit ganz besonders geschätzt wird, mühelos die Bewunderung aller erworben. Auf dem Gymnasium, dann auf der Universität hatten seine Lehrer und seine Mitschüler seiner Ueberlegenheit Achtung gezollt, und er hatte sich vollständig befriedigt gefühlt. Doch als diese Situation nach Beendigung seiner Studien ein Ende genommen hatte, hatte er sich nicht entschließen können, darauf zu verzichten, und um von neuem wieder in einer andern Sphäre zu herrschen, hatte er plötzlich seine Meinung geändert; aus dem liberalen Progressisten, der er bis dahin gewesen, war ein leidenschaftlicher Revolutionär geworden.
Der vollkommene Mangel der ästhetischen und moralischen Eigenschaften, die Zweifel und Schwanken hervorbringen, hatte ihm sehr schnell in der revolutionären Partei die Führerrolle verschafft, nach der er sich vor allen Dingen sehnte. Sobald er einen Entschluß gefaßt, zögerte und zweifelte er nie, und wußte infolgedessen stets genau, daß er sich nicht täuschte. Alles erschien ihm einfach, klar und unbestreitbar, und bei seinen engen Anschauungen waren auch alle seine Gedanken einfach und klar, denn, wie er oft erklärte, brauche man nur logisch zu sein, um das Wahre vom Falschen unfehlbar zu trennen.
Sein Selbstvertrauen war so groß, daß niemand sich ihm nähern konnte, ohne sich ihm zu unterwerfen oder auf das heftigste zu opponieren. Da er hauptsächlich mit jungen Leuten zu thun hatte, die sein Selbstvertrauen für Gedankentiefe hielten, so hatte sich die Mehrzahl seiner Gefährten ihm unterworfen, so daß er bald in den revolutionären Kreisen eine ungeheure Popularität erlangt hatte.
Er predigte, wie dringend notwendig es wäre, mit Aufbietung aller Mittel eine Revolution vorzubereiten, die ihm die Möglichkeit eröffnete, sich der Macht zu bemächtigen und eine konstituierende Versammlung einzuberufen. Das Programm der Reformen, das er dieser Versammlung diktieren wollte, hatte er bereits entworfen, und er war vollkommen überzeugt, dieses Programm würde endgültig alle Fragen lösen, und nichts könne sich ihrer Verwirklichung entgegenstellen.
Seine Gefährten fürchteten ihn, schätzten seine Kühnheit und Entschlossenheit, liebten ihn aber nicht. Auch er liebte niemand. Jeder Mensch, der einen persönlichen Vorzug besaß, erschien ihm als ein Nebenbuhler, und gern hätte er, wenn er es vermocht, den andern Menschen alle ihre Vorzüge genommen, einzig und allein, damit sie die öffentliche Aufmerksamkeit nicht von seinem Verdienst ablenken konnten. Gefällig war er nur gegen diejenigen, die sich vor ihm neigten. So hatte er sich auf dem Marsche nur mit dem Arbeiter Markel befreundet, der blindlings alle seine Ideen angenommen hatte, und mit zwei Frauen, die er in sich verliebt glaubte, Wera Efremowna und die hübsche Grabetz.
Im Prinzip war Nowodworoff Anhänger der Frauenemancipation; doch hauptsächlich betrachtete er alle Frauen als dumme, lächerliche Geschöpfe, mit Ausnahme derjenigen, in die er verliebt war, und die er dann für außergewöhnliche Wesen hielt, deren Vollkommenheit er allein zu schätzen verstanden hatte. Er hatte so nach und nach eine große Anzahl von Frauen geliebt, und zweimal sogar in wilder Ehe gelebt; doch beide Male hatte er seine Maitressen verlassen, nachdem er bemerkt, daß das, was er für sie empfand, nicht die wahre Liebe war. Jetzt hatte er die Absicht, mit der Grabetz eine neue Verbindung einzugehen.
Er verachtete Nechludoff, weil dieser, wie er sich ausdrückte, mit der Maslow »Umstände machte«; in Wirklichkeit aber haßte und verachtete er ihn, weil Nechludoff seine Ideen, hinsichtlich der Mittel, den Fehlern der Gesellschaft abzuhelfen, nicht nur nicht teilte, sondern in diesem Punkte eine eigene Anschauung hatte und die sozialen Fragen als »Fürst«, das heißt als Dummkopf, behandelte.
Nechludoff war sich über die Gefühle Nowodworoffs ihm gegenüber vollständig klar, und zu seinem großen Kummer fühlte er, daß trotz der wohlwollenden Stimmung, in der er sich im Augenblick befand, nichts auf der Welt ihn hindern konnte, diesem Manne gegenüber ein Gemisch von Verachtung und Widerwillen zu empfinden.