Leo N. Tolstoi
Auferstehung - 4. Band
Leo N. Tolstoi

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel

Auf der Reise von Nischni-Nowgorod war es Nechludoff nur zweimal gelungen, Katuscha zu sprechen. Das erste Mal war es in Nischni-Nowgorod gewesen, als man die Gefangenen auf eine mit einem Drahtnetz überflochtene Barke brachte, das andere Mal in Perm im Bureau des Gefängnisses; doch beide Male hatte sie sich schweigsam und zurückhaltend benommen.

Als er sie gefragt, ob sie sich wohl befände und ob sie denn gar nichts brauche, hatte sie ihm ausweichende, mürrische Antworten gegeben und ihm dasselbe vorwurfsvolle und brummige Wesen gezeigt, das er schon früher einmal an ihr wahrgenommen hatte.

Nechludoff bereitete diese ihre trübselige Stimmung, die ihren Grund einzig und allein in den zudringlichen Belästigungen von seiten der Männer hatte, unter denen sie gerade damals zu leiden gehabt, große Sorgen. Er hegte die Befürchtung, sie könnte unter der Einwirkung dieser Belästigungen und dieser entsittlichenden Zustände, denen sie während der ganzen Wanderung ausgesetzt war, wieder aufs neue in den vorigen Zustand der Verzweiflung und Vereinsamung zurücksinken, in welchem sie auf ihn im höchsten Grade erbittert gewesen, viel geraucht und im Branntwein Vergessenheit und Betäubung gesucht hatte.

Er hatte aber keine Ahnung, wie er ihr hilfreich zur Seite stehen konnte, denn während des ganzen ersten Teiles des Marsches war es ihm nicht möglich gewesen, mit ihr zusammenzukommen, und erst, als man sie der Abteilung der politischen Gefangenen zugewiesen hatte, konnte er sich nicht nur davon überführen, daß seine Befürchtungen vollständig unbegründet waren, nein, er machte auch sogar die Wahrnehmung, daß sich immer mehr und mehr jene Wandlung in ihr vollzog, die er so sehnsüchtig erhofft und erfleht hatte.

Schon als er sie das erste Mal in Tomsk wiedersah, war sie genau ebenso wie am Tage der Abreise. Ihr Gesicht ward nicht mürrisch und finster, wenn sie die Blicke auf ihn richtete, sondern sie trat ihm, ganz im Gegenteil, fröhlich und harmlos entgegen und sprach ihm ihren Dank dafür aus, was er für sie gethan, besonders aber war sie ihm dafür dankbar, daß er sie den Leuten zugeführt, unter denen sie sich jetzt aufhielt.

Nach ferneren zwei Monaten der Wanderung machte sich die Veränderung, die in ihr vorging, auch in ihrer äußeren Erscheinung bemerkbar. Sie magerte ab, ihr Gesicht wurde sonnenverbrannt, und sie machte den Eindruck, als wäre sie etwas gealtert. An den Schläfen und in den Mundwinkeln traten kleine Falten hervor; sie ließ die Haare nicht mehr in die Stirn hineinfallen, sondern trug ein Tuch um den Kopf; auch war weder in ihrer Kleidung, noch in ihrer Frisur oder in ihren Manieren die früher so stark hervortretende Koketterie zu entdecken. Diese Umwandlung aber, die sich in ihr vollzogen und sich jetzt noch in ihr vollzog, erfüllte Nechludoff mit hoher Freude.

Er hegte jetzt ein Gefühl für sie, wie er es ihr gegenüber bisher nie empfunden hatte. Dieses Gefühl hatte keinerlei Gemeinschaft mit seinen ersten poetischen Tändeleien und noch weniger mit der geschlechtlichen Liebe, die er später kennen gelernt; ebensowenig hatte es mit dem Bewußtsein der Pflichterfüllung und dem Wohlgefallen mit sich selbst, als er sich nach der Gerichtsverhandlung zu dem Entschlusse aufgerafft hatte, er müsse sie heiraten, etwas zu thun.

Das Gefühl, das er jetzt empfand, war dasselbe einfache Gefühl der Rührung und des Mitleids, das er zuerst kennen gelernt, als er sie im Gefängnis wiedergesehen hatte, das sich mit erneuter Gewalt nach der Scene im Hospital wiederholt hatte, wo er seinen Abscheu besiegt und ihr das angebliche Verhältnis mit dem Krankenwärter vergeben hatte, das sich später als erlogen herausstellte.

Dasselbe Gefühl empfand er auch jetzt, doch mit dem Unterschied: früher war es nur oberflächlich, vorübergehend gewesen, jetzt aber hatte es sich dauernd gefestigt. Was er auch denken, was er auch thun mochte, stets bekam jenes Gefühl der Rührung, des Mitleids und der Zärtlichkeit die Oberhand, das er nicht allein für sie, sondern für alle Menschen empfand.

Es war gleichsam, als hätte diese Anschauungsweise in Nechludoffs Seele einem Strom von Liebe Durchgang gewährt, der sich früher nicht hatte ergießen können, der jetzt aber auf alle Menschen herabbrauste, mit denen er in Berührung kam.

Auf der ganzen Reise lebte Nechludoff in diesem Zustand der Ekstase, die ihn unbewußt gegen alle Menschen, mit denen er zusammenkam, vom Kutscher und gemeinen Soldaten bis zum Gefängnisinspektor und Gouverneur herauf, teilnahmsvoll und mitfühlend werden ließ.

Dadurch, daß man Katuscha der Abteilung der Politischen zugewiesen hatte, machte Nechludoff auch die Bekanntschaft vieler politischer Verbrecher. Ganz zuerst in Jekaterinenburg, wo man alle ganz harmlos zusammen in einer großen Stube eingesperrt hatte; dann machte er die nähere Bekanntschaft der fünf Männer und vier Frauen, denen man Katuscha überwiesen hatte.

Als Nechludoff in nähere Beziehungen zu ihnen trat, kam er bald zu der Ueberzeugung, daß das nicht alles durchgehends Schurken waren, wie so viele glaubten, und ebenso wenig Helden, wofür sich einige von ihnen ansahen, nein, es waren ganz gewöhnliche Menschen, und unter diesen gab es, wie auch überall sonst, gute, schlechte und mittelmäßige Menschen. Auch solche waren darunter, die von selbstsüchtigen, ruhmgierigen Motiven sich leiten ließen; die meisten aber waren von dem Verlangen fortgerissen worden, Gefahren zu bestehen, von dem Genusse, ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, Gefühlen, die man täglich bei der kraftstrotzenden Jugend findet, und die Nechludoff noch von seiner militärischen Dienstzeit her kannte.

Als er näher mit ihnen bekannt wurde, kam Nechludoff zu der Erkenntnis, es wären genau solche Menschen wie alle andern, nur einzig und allein mit dem Unterschiede, daß die von ihnen, die den Durchschnitt überragten, bedeutend höher, die unter ihm standen, bedeutend niedriger zu werten waren, als die andern. Auch viele liederliche, prahlsüchtige, egoistische und hochmütige Menschen waren dabei, und so kam es, daß Nechludoff einzelne seiner neuen Bekannten sehr gleichgültig behandelte, während er andern wieder mit aufrichtiger Hochachtung entgegenkam.

In der Sektion, der man Katuscha zugewiesen hatte, wanderte auch ein an der Schwindsucht leidender Jüngling Namens Krülzoff, den man zur Zwangsarbeit verurteilt und den Nechludoff ganz besonders lieb gewonnen hatte. Er hatte ihn bereits in Jekaterinenburg kennen gelernt, war später auf dem weiten Marsche noch mehrmals mit ihm zusammengetroffen und hatte sich mit ihm in ein Gespräch eingelassen.

Eines Tages, im Sommer, als die Sektion gerade Rast hielt, hatte sich Nechludoff mehrere Stunden bei ihm aufgehalten, und bei dieser Gelegenheit hatte ihm Krülzoff seine ganze Geschichte erzählt, die bis zu seiner Einkerkerung sehr kurz war und folgendermaßen lautete:

Als er noch im zartesten Knabenalter stand, war sein Vater, ein Gutsbesitzer im südlichen Rußland, gestorben. Er war das einzige Kind seiner Eltern, und die Mutter übernahm die Erziehung. Sowohl auf dem Gymnasium wie auch auf der Universität lernte er sehr leicht und absolvierte seine Studien mit dem Zeugnis eines ersten Kandidaten der mathematischen Fakultät. Man machte ihm nun das Anerbieten, bei der Universität zu verbleiben und zu diesem Zwecke seine Studien noch weiter im Auslande fortzusetzen. Er schwankte und zögerte, denn er hatte sich in ein Mädchen verliebt, das er zu heiraten gedachte und mit dem er sich auf dem Lande niederlassen wollte. Er hatte allerlei im Sinne, konnte es aber nicht über sich gewinnen, sich zu irgend etwas zu entschließen. Gerade um diesen Zeitpunkt ersuchten ihn seine Studiengefährten um Geld für das »allgemeine Wohl«. Er wußte wohl, was unter dem »allgemeinen Wohl« zu verstehen war, hatte aber zu jener Zeit nicht das geringste Interesse dafür, und nur aus Rücksicht auf seine Freunde, aus Gründen der Eigenliebe, um nicht den Glauben in ihnen zu erwecken, er fürchte sich, steuerte er das Geld bei. Die Empfänger des Geldes wurden bald darauf verhaftet, man fand bei ihnen ein Schreiben, aus dem hervorging, daß Krülzoff das Geld gespendet hatte. So wurde auch dieser verhaftet und ins Gefängnis geworfen.

Er erzählte Nechludoff das alles, während er auf seinem hohen Lager, eine Decke auf den Knieen, dasaß und mit dem starren Blicke seiner großen schwarzen Augen gerade vor sich hin ins Leere starrte.

»In dem Gefängnis,« sagte er, »in das man mich geworfen hatte, war die Behandlung verhältnismäßig milde. Wir konnten uns nicht allein miteinander verständigen, sondern uns auch in den Korridoren treffen, uns unterhalten, unsere Eßwaren und unseren Tabak miteinander teilen und abends im Chore singen. Diese abendlichen Gesänge machten mir viel Vergnügen, denn ich hatte eine schöne Stimme. Hätte ich nicht an den Kummer meiner Mutter denken müssen, die meine Verhaftung in Verzweiflung versetzt hatte, so wäre ich vollkommen glücklich gewesen. Ich hatte die Bekanntschaft mehrerer sehr interessanter Personen gemacht, ganz besonders die des berühmten Petroff, der sich später mit einem Glasscherben die Kehle durchschnitt. Doch ich war nicht immer Revolutionär und fühlte auch nicht die geringste Anlage, es zu werden.

Eines Tages brachte man zwei junge Leute in das Gefängnis, die man nach Sibirien geschickt, weil sie polnische Proklamationen verteilt und während der Reise einen Fluchtversuch unternommen hatten. Der eine von ihnen war ein Pole, Lozinski, der andere hieß Rosenberg und war jüdischen Ursprungs. Dieser Rosenberg war noch ein Kind. Er behauptete, er wäre siebzehn Jahre, doch man sah, daß er kaum fünfzehn zählte. Klein, mager, mit feurigen, schwarzen Augen, war er beweglich, geschwätzig und wie alle Juden ein sehr guter Musiker. Seine Stimme hatte noch nicht mutiert, und es war ein Vergnügen, ihn singen zu hören.

Einige Tage nach ihrer Ankunft im Gefängnis wurde gegen sie verhandelt. Man holte sie morgens ab, und als sie abends zurückkehrten, teilten sie uns mit, man hätte sie zum Tode verurteilt. Das hatte niemand erwartet. Sie hatten wohl Widerstand zu leisten versucht, als man sie wiedergefangen hatte, doch niemanden verwundet. Uns wäre auch nie der Gedanke in den Kopf gekommen, man könne ein Kind, wie diesen Rosenberg, zum Tode verurteilen. Daher waren wir auch alle in dem Gefängnis der Meinung, diese Verurteilung sollte sie nur erschrecken, würde aber nie zur Ausführung gelangen. Die Aufregung, in die uns dieses Ereignis versetzt, beruhigte sich schließlich, und wir setzten unser Leben wie früher fort.

Eines Tages aber nähert sich mir der Aufseher und teilt mir ganz geheimnisvoll mit, die Arbeiter wären gekommen, um den Galgen aufzurichten. Zuerst verstand ich gar nicht. Den Galgen? Was für einen Galgen? Selbst der alte Aufseher schien so aufgeregt, daß ich, als er mich ansah, alles begriff. Ich wollte Zeichen geben, meine Kameraden benachrichtigen, doch ich fürchtete, meine beiden Nachbarn könnten mich hören. Uebrigens mußten meine Kameraden wohl auch schon unterrichtet sein, denn in den Gängen und Zellen war plötzlich eine Totenstille eingetreten. Niemand war an diesem Abend zum Singen, ja nicht einmal zum Sprechen aufgelegt.

Gegen zehn Uhr trat der alte Wärter wieder auf mich zu und teilte mir mit, der Henker wäre eben von Moskau angekommen. Er teilte mir das mit und entfernte sich. Ich rief ihn zurück, um noch weitere Erkundigungen einzuziehen, als ich hörte, wie Rosenberg mir aus seiner Zelle zurief:

»Was giebt's denn, warum rufen Sie ihn denn?«

Ich erwiderte ihm, ich wolle nur Tabak haben; doch Rosenberg mußte offenbar etwas ahnen, denn er fragte mich dann in aufgeregtem Tone, warum nicht gesungen würde und warum niemand spräche. Ich erinnere mich nicht mehr, was ich ihm erwiderte, und weiß nur, daß ich mich schlafend stellte, um dieser Unterhaltung ein Ende zu machen.

Ich schlief aber die ganze Nacht nicht. Eine entsetzliche Nacht! Nie werde ich diese furchtbaren Stunden vergessen können. Ich blieb unbeweglich auf meinem Bette liegen, lauschte auf das geringste Geräusch und zitterte, als sollte ich selbst gehängt werden. Bei Tagesanbruch hörte ich, wie die Thür des Korridors sich öffnete, und zahlreiche Schritte sich näherten. Ich stand auf und lief an das Guckfenster meiner Zelle. Zuerst sah ich den Gefängnisdirektor vorüberkommen. Er war ein großer, dicker, mit sich selbst sehr zufriedener Herr, der sonst den Kopf sehr hoch trug; doch an diesem Tage war er blaß, düster und ging mit gesenkten Augen. Hinter ihm kam ein Polizeileutnant, dem zwei Gendarmen folgten. Diese vier Personen schritten an meiner Zelle vorüber, um einige Schritte weiter stehen zu bleiben. Dann hörte ich den Offizier mit eigentümlicher Stimme rufen: »Lozinski, stehen Sie auf und ziehen Sie ein weißes Hemd an!« Dann lange Pause, dann höre ich die Schritte Lozinskis, wie er die Zelle verläßt. Durch mein Guckfenster konnte ich nur noch den Direktor sehen. Er stand bleich und entstellt da und drehte an seinem Schnurrbart, ohne den Kopf zu erheben. Plötzlich sehe ich aber, wie er ganz entsetzt zurückweicht. Lozinski ging nämlich an ihm vorüber, um sich der Thür meiner Zelle zu nähern. Ein schöner junger Mann, dieser Lozinski! Sie wissen doch, jener reizende polnische Typus: breite, gerade Stirn, feine blonde Härchen und große blaue Augen, wahre Kinderaugen. Ein junger Mensch voll Gesundheit und Leben, eine wahre menschliche Blüte! Er war an meinem Guckfenster stehen geblieben, so daß ich sein Gesicht vollständig sehen konnte. Dieses Gesicht war schrecklich anzusehen, dieses gleichzeitig düstere und lächelnde Gesicht. »Krülzoff, haben Sie eine Cigarette?« Ich wollte ihm eine geben, als der Direktor mit fieberhafter Eile sein Etui hervorholte und es ihm reichte.

Lozinski nahm eine Cigarette, der Offizier gab ihm Feuer, und er fing an, mit nachdenklicher Miene zu rauchen. Plötzlich aber erhob er den Kopf, als wenn er sich an etwas erinnerte und murmelte: »Das ist ungerecht, ich habe nichts Böses gethan, ich . . .« Ein Zittern erschütterte seinen jungen weißen Hals, und er schwieg.

In demselben Augenblick hörte ich, wie Rosenberg in seiner Zelle mit seiner scharfen jüdischen Stimme zu schreien anfing. Lozinski warf seine Cigarette fort und trat von meiner Thür weg. Jetzt stellte sich Rosenberg davor. Sein Kindergesicht mit seinen, kleinen schwarzen Augen war rot und mit Schweiß bedeckt. Auch er trug ein reines Hemd, seine Hose war zu weit; er hob sie fortwährend mit seinen beiden Händen hoch, und sein ganzer Körper zitterte beständig.

Er näherte meinem Guckfenster sein hageres Gesicht und sagte:

»Nicht wahr, Anatol Petrowitsch, ich bin krank, der Arzt hat mir Brustthee verordnet? Ich will noch Brustthee trinken.«

Niemand antwortete ihm, und er warf flehende Blicke bald auf mich, bald auf den Direktor. Was er mit seinem Brustthee eigentlich sagen wollte, habe ich niemals erfahren.

Von neuem erhob der Offizier die Stimme und sagte diesmal in strengem Tone:

»Na, machen Sie keine Witze, vorwärts!«

Aber Rosenberg war augenscheinlich außer stande, zu begreifen, was man von ihm wollte. Zuerst fing er an, durch den Korridor zu laufen, dann blieb er stehen, und ich hörte sein Flehen und Schluchzen. Dann entfernten sich die Töne und wurden immer leiser, die Thür des Korridors schloß sich wieder, und ich hörte nur noch zeitweise das verzweifelte Geschrei des kleinen Rosenberg.

Sie wurden gehängt. Ein Aufseher, der der Prozedur beigewohnt, erzählte mir, Lozinski hätte alles mit sich ruhig geschehen lassen, doch Rosenberg hätte sich lange gesträubt, so daß man ihn auf das Schaffot tragen und ihm den Kopf mit Gewalt in die Schlinge stecken mußte. Dieser Aufseher war ein kleiner Mensch, den der Trunk heruntergebracht hatte.

»Man hatte mir immer gesagt, Herr, es wäre schrecklich anzusehen, aber nein, das war es gar nicht. Sobald sie den Kopf in der Schlinge hatten, haben sie nur noch zweimal mit den Schultern gezuckt. Dann hat der Henker den Knoten aufgelockert, und alles war aus; ich versichere Sie, es war gar nicht schrecklich.«

* * *

Noch lange Zeit blieb Krülzoff in tiefes Schweigen versunken, nachdem er seine Erzählung beendet hatte, Nechludoff sah, daß seine Hände zitterten und daß er an sich halten mußte, um sein Schluchzen zu unterdrücken.

»Seit diesem Tage bin ich Revolutionär geworden,« fuhr er fort, als er sich beruhigt hatte, und erzählte in einigen Worten das Ende seiner Geschichte.

Er hatte sich der Partei der »Populisten« angeschlossen und war der Anführer einer Gruppe geworden, die das Ziel verfolgte, die Regierung zu terrorisieren, damit diese auf die Macht verzichte und einzig und allein an das Volk appelliere. Im Namen seiner Gruppe hatte er sich nach Petersburg begeben, war im Auslande gereist, war nach Kiew und Odessa zurückgekehrt und hatte überall wirken können, ohne beunruhigt zu werden. Ein Mann, zu dem er volles Vertrauen hatte, hatte ihn denunciert; man hatte ihn verhaftet, zwei Jahre im Gefängnis behalten und endlich zum Tode verurteilt; doch war seine Strafe in lebenslängliche Zwangsarbeit umgewandelt worden.

Im Gefängnis war er schwindsüchtig geworden, und hatte jetzt, in den Verhältnissen, in denen er sich befand, kaum noch wenige Monate zu leben. Er wußte das und war darüber durchaus nicht bekümmert. Er sagte zu Nechludoff, hätte man ihm ein zweites Leben geschenkt, er hätte es genau in derselben Weise angewendet, nämlich, um an der Zerstörung eines Zustandes zu arbeiten, in dem so viel Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten erlaubt waren. Die Geschichte des Unglücklichen, sowie seine ganze Person klärten Nechludoff über viele Dinge auf, die er bis dahin nicht verstanden hatte.


 << zurück weiter >>