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Le Sage seul dispose de son sort; les autres ne vont pas, ils sont entraînés.
Der Schiffer, der auf kühnem Fahrzeuge hundertmal dem stürmischen Weltmeere getrotzt hat, und dessen Gefahren und Schlünden nur durch ein halbes Wunder entgangen ist, vertraut sich den Wellen aufs neue an. – Der Jäger, welchen sein wildes Roß quer durch den Wald fortreißt und der, ein zweiter Hippolyt, auf dem Sande geschleift worden, der die Spuren seines Blutes trägt, heilt seine Wunden; kaum von den Todespforten zurück, noch schwach und kraftlos, hört er das Wiehern und Stampfen der Rosse, das Hundegebell, den Schall des Waldhorns, das Hussa des Jagdgefolges; er springt auf vom Lager, er fliegt neuem Vergnügen zu, verbunden mit neuen Gefahren. – Jener Greis, dessen dürre gerunzelte Hand beim Goldwühlen erstarrt, stand vor kurzem mit einem Fuße im Grabe, schon sah er den gierigen Erben jeden seiner Atemzüge zählen und auf den letzten harren, schon sah er ihn in Gedanken und mit Sehnsucht die Schätze verschwenden, die er mühsam gesammelt hat; er strengt sich an, erhebt sich vom Lager, lebt halb wieder auf, und kriecht zitternd in seine Kleider... Wird er die kleine Lebensfrist genießen? Wird er von dem Golde Gebrauch machen, das der Erbe schon mit den Augen verschlang, um es zu versplittern und des Erblassers zu spotten ? Nein, er scharrt von neuem, er bewacht den Geldkasten von neuem, bleich und hager, bis die Parze seinen Faden zerschneidet und er mit Entsetzen stirbt, weil ihm seine Einbildungskraft die Beerdigungskosten vorrechnet! – Und jener Jüngling, der in früheren Jahren seine Unschuld in den Schlingen der Sirenen verlor und mit seinem Golde unschuldige Schlachtopfer erkauft hat, – der, edler Liebe unwürdig, sein Herz an die Wollust gehängt Und sein Leben in Sinnlichkeit aufgelöst hat, – dessen Geschäft und Handwerk die Verführung war: – er wird nie von dieser Schandbahn zurückweichen, nie den Kreis verlassen, in welchen ihn Verirrung und Verblendung gebannt haben; er wird sterben, wie er gelebt hat, wird im grauen Haar noch Liebe und Eroberung träumen und, über diesen einzigen Punkt getäuscht, über alle anderen entzaubert, den Geist verzweifelnd aufgeben.
Nach dem Verlust, den ich erlitten, nach dem tiefen Eindruck, den er auf meine Seele gemacht, glaubte ich mein Herz für die Liebe und ihre mannigfachen Gefahren verschlossen. Ich widerstand ihr, oder vielmehr, von ihren Pfeilen kaum geritzt, hatte ich nicht einmal das Verdienst des Widerstandes. Einem Schmerze preisgegeben, der nur einen verschiedenen Charakter angenommen hatte, ohne etwas von seiner Stärke verloren zu haben, fand ich in ihm einen Trauerreiz, den ich für die Gewähr einer unerschütterlichen Gleichgültigkeit hielt. – Täuschende Einbildung! Trügerische Hoffnung der Ruhe! Ich verlor sie, diese Ruhe, bei einer, die mich keine Gefahr ahnen ließ!
Es war damals ziemlich allgemein Sitte, daß die jungen Leute, die das Schauspiel besuchten, zwischen beiden Stücken in das VersammlungszimmerFoyer. der Schauspieler gingen, wo sie die hübschesten und liebenswürdigsten Aktricen antrafen. Mademoiselle Adeline, deren Bekanntschaft ich schon früher gemacht hatte, als Sennecterre ihr den Hof machte, hatte damals den Gipfel ihres Bühnenrufes erreicht. Zwar nicht in der Schauspielkunst die erste, obschon nicht ohne Talent, war sie es unstreitig in der Buhl- und Verführungskunst. Im Vaterlande der Bajaderen würde sie Königin derselben gewesen sein. Ihr Gesicht hatte nicht die regelmäßigen Züge, die Maler und Bildhauer zum Modell wählen; wohl aber waren sie geeignet, den Kopf des Weisen zu verrücken und den schlafenden Satyr aus der Ermattung des Rausches zu wecken. Es war ein Ensemble, eine Tournüre, deren Geheimnis sie allein besaß; dabei war ihrer Unterhaltungssprache ein sehr freies Geplauder eigen, das aber die Grenze des Wohlstandes nie überschritt, während Augen und Blicke das Ungesagte ergänzten.
Um die Zeit, von der ich rede, lebte sie mit einem Manne, der sie mit Wohltaten überhäufte, und der, um sie zu bereichern, nichts weiter bedurfte, als es zu wollen, und er wollte es. Dieser Mann war Veimeranges. Er war oft nahe daran, Minister zu werden, begnügte sich aber sehr weislich mit der Gewalt, die er ziemlich despotisch über den Marschall von Ségur, und vor allem über Herrn von Calonne ausübte. Aus diesen zwei ergiebigen Quellen schöpfte seine Habsucht und seine Unersättlichkeit. Man kann nicht von ihm sagen, daß er ein Mann von Geist gewesen, aber ein Mann von Kopf war er, das heißt, er war ein tüchtiger Arbeiter und ein spekulativer Finanzier. Doch war er es nur bis zu dem Augenblick, wo sich die Liebe seiner bemächtigte und er in die Schlingen der Sirene fiel – in einem Alter, wo der Verliebte wieder Kind wird und wo die Leidenschaft an Stärke zunimmt, weil sie den Menschen am schwächsten findet. So erging es ihm, die Liebe machte ihn für die Geschäfte ungeschickt und stürzte ihn in tausend Torheiten. Früher galt er für den Verfasser lichtvoller Aufsätze und Abhandlungen, worin freilich die Akademie eine Menge Fehler der Schreibart gefunden haben würde, die aber für das Finanzfach und die Staatsverwaltung das waren, was sie sein sollten, weil sie das Ziel im Auge behielten, die Fragen erörterten, sie unter ihren verschiedenen Gesichtspunkten darstellten und die Aufgaben lösten. Ich für mein Teil habe nichts von ihm gesehen, als einige Briefchen an den Gegenstand seiner Zärtlichkeit, an die Dame seiner Gedanken, die sich die Freiheit nahm, sich über ihn lustig zu machen. Diese Episteln waren Erzeugnisse der stockdummsten Anbetung, dabei erbärmlich stilisiert, kaum französisch und, auf Ehre! nicht einmal orthographisch geschrieben.
Das ist – auf Ehre! – die reine lautere Wahrheit!
Ruf und Nachruhm! Stimme des Publikums! Wie oft seid ihr der schallende Nachhall der Lüge! O Fortuna! Blinde Göttin, wie wenig entscheidend sind deine Urteile, wie bedeutungsleer deine Gunstbezeigungen!
Damals wurde Veimeranges' Geliebte, Adeline, von vielen jungen Leuten meiner Bekanntschaft förmlich belagert, deren Absicht nicht so sehr war, sie ihrem Anbeter abzugewinnen, als ihn zu foppen. So pflegt es zu gehen: Mancher, den man nicht achtet, weil er nichts in den Augen der Welt ist, wird zu etwas, wenn man Vergnügen daran findet, ihn zu demütigen. Adelinens Herz war frei. Sie betrachtete sich als Witwe. Ihre letzte Liebe war abgestorben; getrennt von demder Marquis von Sennecterre., der sie in hohem Grade besessen hatte, fühlte sie keinen Trieb, ihm einen Nachfolger zu geben. Seinem Andenken treu, und aus Herzensleere auch Veimeranges – nicht untreu, war ihre Wahl noch auf keinen Dritten gefallen, als einer meiner Freunde, der einen hohen Begriff von seinen Verdiensten hatte und sich für unüberwindlich hielt, mich unbedachtsamerweise und fast wider meinen Willen mit sich ins Foyer fortzog. War es meine niedergeschlagene Miene, die sie rührte, genug, meine Traurigkeit machte Eindruck auf sie, so wie ihre Reize aufhörten, gleichgültig für mich zu sein, sie machte meine Eroberung, ohne daß ich es merkte, sie bestimmte mir eine Stelle, um die so viele buhlten, ich fühlte mich zu ihr hingezogen und erhielt den Zutritt zu ihr. So geschah es, daß sich ein Verhältnis entspann, das von meiner Seite mit so viel Anstand, so viel Methode, mit einer so reinen Ehrbarkeit angefangen wurde, als käme es darauf an, das Herz einer Jungfrau, einer Vestalin, einer zweiten Frau von TourvelIn den Liaisons dangereuses. zu gewinnen. Indem ich ihr von meiner früheren Liebe erzählte, fand ich mich, ohne es zu wissen, in eine neue verwickelt.
Habe ich hier nicht das menschliche Herz mit allen seinen Gebrechlichkeiten und Schwächen nach dem Leben geschildert?
Dieser Verkehr, anfänglich nur dem Vergnügen gewidmet, verwandelte sich bald in die zärtlichste Zuneigung und gewann volle Herrschaft über mich. Ich überließ mich meiner Leidenschaft um so mehr, da mir von allen Seiten Hindernisse in den Weg gelegt wurden und eine starke Opposition sich gegen mich erhob. Dadurch, daß man aus unzeitigem Eifer das Verhältnis kurz und schnell abbrechen wollte und sich dabei ungeschickt benahm, befestigte man den Bund unserer Herzen. Der Mensch leistet Widerstand, wenn man ihn mit Gewalt zwingen will, er gibt nach, sobald man sich das Ansehen gibt, ihn sich selbst zu überlassen. Nitimur in vetitum semper.
Es bildete sich eine förmliche Verschwörung von seiten derer, die wirklichen oder vorgeblichen Anteil an mir nahmen; man wolle mich, so hieß es, aus den Schlingen retten, die mir gelegt würden; man wolle mich den Gefahren entreißen, die mir drohten, man wolle meiner Moralität, die im Begriffe stehe, Schiffbruch zu leiden, zu Hilfe kommen. Sogar die erste Dame in Frankreich – ich könnte sagen, in Europa – ließ sich herab, mir bittere Vorwürfe machen zu lassen. Die grundloseste Verleumdung hat diesen Zeitpunkt meines Lebens mit ihrem Gifte überschüttet und denselben mit den schwärzesten und gehässigsten Farben ausgemalt. Wie die Unglücklichen, die den wilden Tieren vorgeworfen wurden, wurde ich es dem Teile des Publikums, dessen Geschäft und Leben darin besteht, den guten Namen anderer zu schänden.Hier ist im Original folgende Stelle gestrichen aber noch lesbar: »Mademoiselle Adeline – so hieß es von mir – betröge Herrn von Veimeranges, und ich betröge sie beide.« Man setzte hinzu: »Ich richte Herrn von Veimeranges zugrunde und bediene mich dazu der Gewalt Adelinens über ihn. Das sei der Grund und die Erklärung meiner Beharrlichkeit bei einer Person, die nichts an sich habe, wodurch sich eine unedle Leidenschaft rechtfertigen ließe, eine Leidenschaft, die, wenn sie ernsthaft gemeint sei, nur um so lächerlicher sein würde.«
Nichtsdestoweniger hat es seine Richtigkeit. Wer Adeline gesehen und gekannt hat, ist leidenschaftlich in sie verliebt gewesen; bei einer großen Verführungsgabe war sie – obschon nicht ohne Fehler – weniger tadelns- und verdammungswert als viele Frauen, von denen man Gutes sagt.
Ebenfalls hat es seine Richtigkeit, daß Herr H... de Saint-Foy, als Börsen- und Spielspekulant und Agioteur in ganz Paris bekannt, mir damals einen Reingewinn von zweihunderttausend Franken bei einem Geschäft anbot, welches er mit dem Abbé d'Espagnac betrieb, und daß beide Herren mir auf meinen Anteil einen ersten Vorschuß von zehntausend Franken, machten. Herr von Saint-Foy stellte mir ein BlattUne Carte zu. Auf diesem Blatte, so viel ich mich dessen entsinnen kann – denn von einem Geschäft dieser Art, von dem ich so wenig verstand und das meiner Lebensweise so fremd war, ist es unmöglich, die genauen Einzelheiten anzugeben – standen fünf Zahlen. Es kam darauf an, daß Veimeranges seinerseits fünf damit übereinstimmende darunter setzte. Ich ersuchte Adelinen um die Gefälligkeit, diesen Auftrag zu übernehmen. Sie tat es in der Ueberzeugung, mir einen Dienst zu leisten und stellte mir am folgenden Tage das gehörig agnoszierte Blatt wieder zu. Ich legte es einem Wechselmakler, Namens P... de C... vor, der, ich weiß nicht was, darunter schrieb und es mir zurückgab. So kam es endlich in Herrn de Saint-Foys Hände, und dieser zahlte mir einige Tage nachher zweiundzwanzig Kassenscheine, jeden von tausend Franken, aus. Er begleitete die Papiere mit einer langen Auseinandersetzung, die ich kaum anhörte, und worin er sich Mühe gab, mir zu beweisen, es finde sich in der Berechnung ein Irrtum von fünfhundertvierunddreißigtausend Franken, woraus sich denn nur ein Reingewinn von sechsundsechzigtausend Franken ergebe, dessen Dritteil – nämlich zweiundzwanzigtausend Franken – er die Ehre habe, mir als meinen Anteil bar zuzustellen. Barême selbst hätte nicht besser rechnen können.Hier findet sich wieder in der Handschrift eine ausgestrichene Stelle. Hier ist sie: »Was aber noch mehr seine Richtigkeit hat, ist, daß ich von Adeline nie, nicht einmal als Darlehn, die geringste Summe begehrt habe: eine Niederträchtigkeit, die mir meine Vernunft untersagt haben würde, wenn auch mein Herz der Versuchung hätte unterliegen können. Ich war innigst überzeugt, daß sie mir mein Verlangen aus Eigenliebe abgeschlagen und mich selbst mit Verachtung entlassen haben würde. Deswegen sage ich auch in einem Briefe, den ich mich gedrungen fühlte an die Königin zu schreiben, und worin ich sie um die Gnade ersuchte, einen Augenblick bei einem für die Königl. Majestät so unwürdigen Gegenstand zu verweilen: »Meine Ehre, die ich, wenn's möglich ist, noch höher halte als Ew. Majestät, zwingt mich zu dieser Rechtfertigung.« – Man wird bald unten sehen, was zu diesem Briefe die Veranlassung gewesen.«
Inzwischen schloß ich mich mehr und mehr an die an, von welcher man mich durchaus, selbst durch die unwürdigsten Mittel, trennen wollte. Diese Verfolgung knüpfte das Band nur fester, und machte zur Leidenschaft, was sonst vielleicht eine vorübergehende Neigung und GrilleFantaisie gewesen sein würde. Eine Frau von großem Verstande, eine Freundin von mir oder vielmehr von meiner Familie, ließ mich ersuchen, zu ihr zu kommen und bearbeitete mich förmlich mit Gründen, die mich bewegen sollten, von Adeline abzulassen; da aber ihre Gründe nichts vermochten, setzte sie Schmähungen an die Stelle, schimpfte auf Adeline und auf mich, und ereiferte sich dergestalt, daß ich lachen mußte, weil der Zorn ihre an sich häßlichen Züge vollends verunstaltete. Unter andern fragte sie mich: Was ich zwischen der ersten und vornehmsten Buhlerin in ParisLa courtisane la plus huppée de Paris. und einer Straßendirne von der Rue St. Honoré für einen Unterschied fände; worauf ich zur Antwort gab: »Diesen, daß letztere, ohne Erziehung, ohne Geschmack, nur für Ihren Lakaien gefährlich ist, während jene, mit dem reichen Schmuck der Verführung angetan, Ihren Freund, Madame, Ihren Bruder an sich lockt, und wohl gar Sie Ihres Liebhabers, Ihres Gatten beraubt.« – Diese Antwort mißfiel der Dame sehr, denn ihr Herr Gemahl, auf den sie, bei ihrem Mangel an Reizen, kindisch genug war, eifersüchtig zu sein, unterhielt damals eine kleine Tänzerin.
Inzwischen beging die Königin (denn ich sehe mich genötigt, bei dieser Veranlassung, wo ihr erhabener Name ungenannt bleiben sollte, ihrer noch einmal zu erwähnen) die folgewidrige Ungerechtigkeit, durch ein Wort – das vom Throne herab denjenigen, den es trifft, auf der Stelle vernichtet – einem jungen Manne die Ehre zu rauben. »Ich mag (sagte sie) nichts mehr von Herrn von Tilly wissen, der öffentlich mit einer Schauspielerin auf Kosten des Herrn von Veimeranges lebt, welcher den Staat bestiehlt.«An dieser Stelle stand vorher: »Der öffentlich auf Kosten einer Aktrice und des Herrn von V ... lebt, welcher, wie man sagt usw.
Das letzte war begründeter als das erste. Veimeranges schöpfte aus den öffentlichen Quellen, ich hingegen aus den Quellen meines Privatvermögens, die von Jahr zu Jahr mehr versiegten. Er, versunken und verloren in dem Strudel von Paris und sich nicht zum besten mit seinem Gewissen stehend, stellte sich, als habe er die Donnerworte nicht gehört: Ich hingegen hätte sie gehört und wollte sie gehört haben. Ich fliege nach Versailles, pallidus morte futura, die Wut im Herzen, einer Verzweiflung preisgegeben, die ich nicht zu verbergen suchte. Ich eile zur ersten Kammerfrau der Königin, um eine Audienz bei Ihrer Majestät zu erhalten. Ich erfahre nachmittags, sie sei mir verweigert worden. Ich wende mich an die Palastdame, Herzogin von F ..., die es nicht vergessen haben kann. Wieder eine abschlägige Antwort. Jetzt schrieb ich an die Königin:
»Allerdurchlauchtigste usw.Madame.
Mit einem Erstaunen, dem nur meine Verzweiflung gleichkommt, habe ich den AusspruchLes reflexions. Ew. Majestät über mich vernommen. Die Ew. Majestät schuldige Ehrerbietung schließt weder die Wahrheit, noch die Pflicht meine Ehre zu retten aus. Die Ehre ist mir teurer als das Leben. Auf die Gefahr, Ihre Königliche Gnade auf immer zu verlieren, wage ich es, Ew. Majestät untertänigst vorzustellen, daß Sie, gewiß ohne es zu wollen, mir die grausamste,La plus sanglante. die unheilbarste Wunde geschlagen haben.
Es kann Ew. Majestät nicht unbekannt sein, daß mich die Vorsehung durch Geburt erhoben und mit Glücksgütern beschenkt hat. Noch mehr aber bin ich mit Abscheu gegen alles geboren, was unedel ist. Es liegt vielleicht in meinem Charakter, Eigenes zu verschwenden, aber die Niederträchtigkeit, Fremdes anzunehmen, ist fern von mir.
Ich muß Ew. Majestät um Verzeihung bitten, wenn ich auf Einzelheiten eingehe, wenn ich Ihr Zartgefühl verletze. Aber meine tödlich gekränkte Ehre zwingt mich dazu, – meine Ehre, die ich, wenn's möglich ist, noch höher halte als Ew. Majestät selbst.
Ich gestehe, daß ein Verkehr, der sich die Mißbilligung Ew. Majestät zugezogen hat, tadelnswert ist, daß er aber eine so öffentliche Rüge, und zwar aus dem Munde Ew. Majestät verdiene, kann ich mich nicht überzeugen. Sie ist das Resultat verleumderischer Anschuldigungen, deren Opfer geworden zu sein ich mich nie trösten werde.
Ew. Majestät wissen, daß in Frankreich die Verleumdung niemanden schont, daß ihre Waffe alles trifft, selbst den Thron. (!) In meiner frühesten JugendDans mon enfance: als Page. bin ich Zeuge gewesen, daß Ew. Majestät Tränen vergossen haben, weil Sie verleumdet wurden; – und jetzt, jetzt da ich der Gegenstand der Verleumdung bin, geben Sie dieser Furie so leichtes Gehör, jetzt findet die Furie Glauben bei Ew. Majestät? Habe ich denn, ich, der das Glück gehabt, unter Ihren Augen erzogen zu werden, Ihren Haß verdient? Habe ich mich so vieler Gnade unwürdig gemacht? Die Furie findet Glauben bei Ew. Majestät, als wenn Ew. Majestät, von der Vorsehung so hoch gestellt, die Welt nicht kennen müßten.
Ich werde mich hinfort enthalten, vor Ew. Majestät zu erscheinen, wie ich es schon seit geraumer Zeit getan, obschon Sie geruht haben, mir sagen zu lassen: »Ihre Ungnade erstrecke sich nicht so weit, mich aus Ihrer Gegenwart zu verbannen, die erbetene Audienz sei mir bloß versagt worden, weil Sie mir nichts zu sagen hätten.« Der Himmel würde mir alles gewährt haben, hätten Ew. Majestät mich von jeher des Schweigens gewürdigt, mein Leben würde nicht vergiftet, meine Ehre nicht verletzt worden sein.
Sollte dieses Schreiben, dieser schwache Ausdruck meines Schmerzes, mir Verfolgung zuziehen, so wage ich es, Ew. Majestät zu beteuern, daß, nach dem was geschehen ist, jeder neue Unfall mich nur unempfindlich finden würde. Ew. Majestät haben mir alles genommen, selbst die Macht, Ihre Gnade wieder zu gewinnen, sie würde mir kein Ersatz für Ihre verlorene Achtung sein.
Mein sehnlichster Wunsch ist, daß kein tiefer Kummer je das Herz Ew. Majestät verwunde. Der höchste Rang hat seine Leiden. Das Glück Ew. Majestät ist mein sehnlichster Wunsch, obschon meine Jugend von Ihnen gebrandmarkt worden ist. Ich werfe mich Ihnen zu Füßen und flehe nochmals untertänigst Um Verzeihung, wenn ich Ew. Majestät von Dingen habe unterhalten dürfen, die Ihrer Beachtung unwürdig sind. Ich ersterbe usw.«
Meine Freunde sahen mich schon in der Bastille; ich selbst zweifelte nicht daran und erwartete meine Haft mit so wenig Unruhe, daß ich mich nicht einmal wunderte, als sie nicht erfolgte. Ich nahm Abschied von Versailles und habe es nicht eher wiedergesehen als in den ersten Stürmen und Gefahren des Hofes. Die Königin wunderte sich über meine Erscheinung; es schien sie zu befremden, mich unter denen zu sehen, die sie ihre Partei nannte, und die in meinen Augen von der Partei waren, zu welcher sich der ganze französische Adel hätte bekennen sollen. Ich blieb bei einigen Zeichen ihrer Gnade kalt und wunderte mich über ihre Verwunderung. Ich hätte das nicht tun sollen, sie handelte ihrem Charakter gemäß. Da sie selbst nicht verzeihen und ein gefaßtes Vorurteil nicht ablegen, konnte, so war es natürlich, daß sie mir eine gleiche Denkungsart zuschrieb und über meine plötzliche Wiederkehr stutzte.
Können diejenigen, welche über Völker herrschen, wohl die Bedachtsamkeit in ihrem Tadel, in ihrer Ungnade zu weit treiben? Können sie behutsam genug im Strafen sein, da ihre Strafen einem ganzen Leben Glanz und Farbe rauben? Sollten sie nicht mit einem Urteil, mit einer Rüge, die so viel Folgen nach sich zieht, ratsam umgehen? Sollten sie nicht vor einer Ungerechtigkeit zittern, welche die Schicksale eines Unschuldigen aus den Angeln hebt und ihn allen feindseligen Leidenschaften, allen Verschwörungen des Hasses und Neides entgegenschleudert, welche nie tätiger und giftiger sind, als wenn der, den sie verletzten, stolz genug ist, der Gefahr zu trotzen, und mutig genug, sich nicht hinter dem Schild der Mittelmäßigkeit verbergen zu wollen. Die Beherrscher der Völker sollten Anstand nehmen, über den Schuldigen den Stab zu brechen, denn ein Wort aus ihrem Munde ist oft eine zu schwere Strafe für ihn, sie sollten ihre großen Ziviltodesurteile nur für diejenigen aufbewahren, welche der Spruch der allgemeinen Meinung schon aus dem Schoß der Gesellschaft verstoßen hat, weil sie, Verbrechen begingen, über die zwar das Gesetz nicht entschieden hat, die aber von der Gesamtheit der MenschenLa republique. dem Richterstuhl der Menschheit zugewiesen sind. Zum Unglück ist in dem Zeitpunkt, wo ich schreibe, diese Waffe in den Händen der Machthaber beinahe zerbrochen; ihre Gewalt, selbst auf dem Throne des asiatischen Despotismus, hat vor dem inneren Gerichtshofe des Verstandes zu viel verloren, um ihr altes Ansehen noch behaupten zu können, wo ein Wort strafte, wo ein Band belohnte. Ehedem galt eine Idee für eine Macht, jetzt sind die großen Hebel zersprungen und liegen unter Gebirgen von Trümmern begraben. Neue Meinungen sind aus den Ruinen hervorgegangen und die alten haben sich mit der Gestalt der Erde verändert.
Ich meinesteils appellierte von diesem Verdammungsspruch der Königin, der mich bürgerlich tötete, an die Geduld, ich appellierte mit Gelassenheit und Stolz an die Wahrheit, die nicht immer siegt, aber immer tröstet Der gesunde Teil des Publikums und wer mich kannte, ließ mir Gerechtigkeit widerfahren; wer aber Vergnügen daran findet, das Böse zu glauben, verdient nicht, daß man ihn zurechtweise. Im Grunde meines Herzens war ich der Todfeind der Königin geworden; aber ich achtete mich selbst, folglich untersagte ich mir, von ihr zu sprechen, oder wenn ich es tat, geschah es immer mit der schuldigen Ehrerbietung, selbst zu einer Zeit, wo es schon Sitte war, ihren Namen ohne Schonung zu nennen. Die Revolution und die Schicksale der unglücklichen Fürstin söhnten mich ebenso schnell mit ihr aus, als das ihr entfallene Wort mich ihr entfremdet hatte. Es kostete mich kein Opfer, der Wollust der Rache zu entsagen, und noch jetzt weiß ich es mir Dank,Zur Zeit der ersten National-Versammlung speiste ich einst beim Herzog von Biron in Versailles. Ich sprach mit Feuer über die Zeitumstände und machte Eindruck. Mirabeau, einer von den Gästen, obschon von entgegengesetzten Grundsätzen, schloß sich mir an, als wir aufstanden. »Mein guter Freund,« so lauteten seine eigenen Worte, »schlagen Sie sich zu uns; Venez avec nous. ich verspreche Ihnen Glück und Ruhm.« – »Stehen Sie mir aber auch,« versetzte ich, »vor der Reue und vor dem Galgen?« und wünsche mir Glück, seit langer Zeit nur an ihren Mut im Sturm, an ihre Seelengröße im Schiffbruch gedacht zu haben.
So war ich denn, noch so jung, in dem unermeßlichen Paris verloren, ohne Bestimmung, ohne Zweck, ohne Führer. Die mächtige Hand, die in meinen frühesten Jahren sich über mich erstreckt hatte, war mir entzogen! Ich überließ mich dem Ungefähr. Ohne Plan, ohne Absichten, entmutigt, ungewiß wie ein Reisender, welchen Weg ich einschlagen sollte, wählte ich den ersten besten, und – traf den schlechtesten. Abgestumpft, erbittert, bestätigte ich das über mich ergangene ungerechte Urteil durch Gleichgültigkeit, Leichtsinn und Mißgriffe aller Art!!
Ich habe diesen Teil meiner Memoiren weitläufiger auseinandersetzen müssen, weil die Epoche für mein ganzes Leben wichtig und entscheidend gewesen ist, weil sie mich in eine neue Richtung versetzt hat. Von nun an stürzte ich mich in den Strom der Lüste, suchte Wirklichkeit in dem Scheine, stieß von mir, was ich Hirngespinste des Ehrgeizes und Emporkommens nannte, begab mich sogar der Achtung, die man durch Entsagung und Opfer erkauft, und lebte nur für Genuß und Vergnügungen, die mir Gewohnheit und Mißbrauch zum Bedürfnis gemacht hatten.
Hätte ich an dem Gebäude meines Glücks gearbeitet, wer weiß, ob in den Tagen, wo alles umgestürzt wurde, auch dieses nicht zertrümmert worden wäre? Würde ich in diesem Fall wohl weniger verloren und meinen Verlust weniger gefühlt haben? Ist mir nicht die Erinnerung an jene Tage geblieben, an jene glücklich verträumten Tage, deren Bild mir noch immer vorschwebt? Habe ich nicht mein Leben genossen? Habe ich mir doch nur Leichtsinn und keine grobe Lasterhaftigkeit vorzuwerfen!
Folgt aber daraus, daß ich gut gewählt habe, und daß andere ebenso wählen müssen? Keineswegs. Ich warne jeden Jüngling, meinem Beispiele zu folgen. Er vermeide den Weg, den ich betreten habe! Er lerne von mir, wie sehr man sich auf diesem Wege verrechnet und verirrt; lauter Nichtigkeit und Täuschung, lauter Ekel und Sättigung, Verachtung, Verworfenheit, zu spätes Erwachen vom Rausche der Wollust, zu späte Reue über vernachlässigte Pflichten, über eine verlorene Zeit, welche Flügel hat und keine ehrenvolle Spur hinterläßt.
Ich erzähle weiter und komme auf meine Liebschaft mit Adelinen zurück.Der Verfasser macht hier die Anmerkung: »Man wundere sich nicht, wenn man auf Versetzungen, auf Vor- und Rücksprünge in der Zeitordnung stößt. Dieses und die eingestreuten Abschweifungen mögen immerhin die Leser ein wenig stören, wenn sie nur das Interesse der Erzählung heben. Ich fühle, wie sehr dieser Teil meines Lebens, bestehend in Jugendhändeln und Liebesabenteuern, dieses Hilfsmittels bedarf.«
Diese Liebschaft war eine förmliche Leidenschaft. Adeline teilte sie mit mir, und wenn es irgend möglich ist, die weiblichen Gefühle zu durchschauen, so darf ich nicht zweifeln, Adeline, die sich unserm Geschlechte so sehr nahte, habe mich wirklich geliebt, obschon man ihr schuld gab: sie liebe nichts. Veimereanges erschöpfte sich in den Erregungen einer fruchtlosen Eifersucht. Er versuchte alles, mich von Adelinen zu trennen; es gelang ihm nicht. Endlich wendete er sich geradezu an mich; er machte zwei verschiedene Angriffe, um zu seinem Zweck zu gelangen. Der erste bestand darin, daß er mir ein Stück Hausmauer auf den Leib stürzen ließ. Ja, ja, ein Stück Gemäuer im eigentlichsten Sinn! Ich war gewohnt, mein Kabriolett etwa hundert Schritte von der Wohnung seiner Ungetreuen halten zu lassen, wenn ich seinen Wagen vor der Tür fand. Dann stieg ich aus und brachte die Zeit bis Mitternacht bei dem Prinzen d' Henin zu, dessen Hotel an ihre Wohnung stieß. Der Prinz mochte zu Hause sein oder nicht, gleichviel, ich fand, was ich brauchte, ein geheiztes Zimmer, Licht und Bücher. Veimeranges hatte durch Kundschafter, woran es ihm, da er reichlich bezahlte, nicht gebrach, Wind bekommen. Auf seinen Befehl mußte jemand auf die Vormauer klettern (das Haus gehörte dem berühmten Paul Jones), sich verbergen, und mir beim Vorübergehen einen steinernen Löwen, einen Helm, ein Stück Karnies, nebst anderen Zieraten von Stukkaturarbeit auf den Leib herabschleudern. Die Masse, die meinem Kopfe galt, rollte aber zu meinen Füßen hin, und bedeckte mich mit Staub und Sand. Hätte sie mich getroffen, so wäre ich wenigstens drei Monate nicht imstande gewesen, das Bett zu verlassen, und nichts beruhigt über einen Rival so sehr als eine dreimonatliche Abwesenheit. Mir blieb hier nichts übrig, als den Vorfall zu belachen und künftig hübsch mitten in der Straße zu bleiben. – Sechs Wochen später hatte ich mit Veimeranges eine Zusammenkunft, ich weiß nicht mehr wo und weshalb. Er betrug sich sehr gleisnerisch, sprach mit Salbung, wie ein Vater zu seinem Sohne, sagte, es sei unverantwortlich, daß ein Mann wie ich nichts tue als sich mit Liebeleien abgebenFaire l'amour. Er setzte hinzu: sein Glück habe ihm zu einem Kredit verholfen, den er nicht besser benutzen könne, als zu meinem Vorteil; er schätze sich glücklich, mir dienen zu können; es hänge bloß von mir ab, als Oberst nach Ostindien zu gehen, und mit Vergnügen biete er mir hunderttausend Franken an, zur Reise und meine Schulden zu bezahlen. Ich entging seinen Schlingen, wie ich seinem Löwen entgangen war, und brach die Unterhandlung ab.
Ich war es endlich satt, den lästigen Veimeranges immer auf meinem Wege zu finden, und, verliebt wie ich es war – und wie ich es so oft im Leben gewesen bin – erklärte ich Adelinen, sie sei reich genug, um unabhängig zu sein, ein geteiltes Herz sei nichts für mich, sie müsse zwischen Veimeranges und mir wählen, und kurz, wenn sie ihm nicht den Abschied gäbe, würde ich den meinigen nehmen.
Sie gab nach – ob gern oder ungern, will ich nicht entscheiden – genug, sie gab nach, und brachte mir gewiß ein kleines Opfer.
Für Veimeranges war dieses der empfindlichste Schlag. Bein Schmerz, der einem jungen Anfänger in der Liebe zur Ehre gereicht haben würde, machte ihn den alten Liebhaber, höchst lächerlich. Seit der Zeit lebte er nicht mehr, er vegetierte. Sein Stern war erblaßt. Ein Unglück zog das andere nach sich. Ein bekannt gewordenes ärgerliches Ereignis gab ihm den letzten Stoß, er verlor die Bedeutung, die er, man weiß nicht wie, erworben hatte, und das Spiel, zu welchem, er in Versailles seine Zuflucht nahm, richtete ihn vollends zugrunde. Wie gesagt, Herr Pal*** (so hieß des Emporkömmlings Familienname) führte von nun an ein unscheinbares Pflanzenleben, verlor sein Ansehen, und sogar den Ruf eines reichen Mannes. Spekulanten und Spieler wissen nie selbst, was sie besitzen, und wie lange sie es besitzen. Und überdies schlägt sich Fortuna fast immer auf die Seite derer, die ihren vorigen Günstling beneiden und ihn zu stürzen suchen, sie verbündet sich gegen ihn mit den jüngeren Nachfolgern, hilft sein Glück untergraben und freut sich seines Falles. Sind es nicht immer die höchsten Eichen, die der Blitz am ersten trifft und spaltet?
Ich habe Gelegenheit gehabt, Veimeranges einigemal wiederzusehen, als ich die Ketten längst nicht mehr trug, die uns gemeinschaftlich gefesselt hatten. Er war unverständig genug, sich ihrer zu erinnern, und mir nicht zu verzeihen. Seine Augenbrauen buschten sich zusammen und gaben ihm, so oft ich ihm begegnete, das Ansehen eines kranken Ebers. Vergebens lächelte ich ihm zu; er wollte immer seine Hauer in mich einsetzen.
Beim Ausbruch der Revolution wurde er etwas menschlicher. Es war sein Glück; dieser Annäherung hat er vielleicht sein Leben zu verdanken. Wir waren in der Kirche unserer Sektion zusammengetroffen. Er hatte eben einen harten Stand, in ungleichen Streit verwickelt mit einem Volksrepräsentanten, der früher Kutscher bei der Herzogin von Polignac gewesen war. Dieser Herr ging ihm scharf zu Leibe, und forderte nichts Geringeres von ihm als den Kopf. Seine Beredsamkeit war nicht kunstgerecht, aber desto eindringlicher, und gerade so, wie sie sich für den großen Haufen der Zuhörer paßte. Ich erinnere mich unter andern, daß der Redner den unglücklichen Veimeranges als Mitglied des Comité Autrichien angab (die allerfürchterlichste Anschuldigung beim Volke, noch gefährlicher, als die des Aristokratismus). Er beantragte eine Haussuchung, nannte den Zitternden einen Staatsaussauger, einen zweiten Foulon, und versprach sich und der Versammlung, Tonnen Goldes bei ihm zu finden. Veimeranges, der sein Leben lang kein gewandter Redner gewesen war, verwirrte sich dergestalt in seiner Verteidigung, daß er Gefahr lief, augenblicklich zur Laterne geführt zu werden. Sein Dickkopf hatte ein so durchaus stupides Ansehen gewonnen, sein offener Mund stammelte Verneinungen, welche wie Bejahungen lauteten, und ihn härter anklagten, als ein festes, ruhiges Schweigen. Auf seinen gewöhnlich so roten, jetzt so blassen Wangen schwebte der Tod. Alle Symptome der Straffälligkeit standen auf seiner Stirn geschrieben. In seinen Augen las man sein Verdammungsurteil und das Geständnis eines Veruntreuers, der seinen Henkern zuruft: »Knüpft mich auf!«
Der Zeitabschnitt, von dem ich rede, fällt in die drei bis vier Tage, die der Abholung des Königs von Versailles nach dem Stadthause von Paris vorausgingen. Damals rettete die angesteckte dreifarbige Kokarde dem Könige das Leben; allem Anschein nach war aber die Absicht nicht gewesen, ihn so wohlfeilen Kaufs davon kommen zu lassen. Diesmal noch wurde den Faktionen ein Strich durch die Rechnung gemacht. Noch war der bittere Kelch, den er, wie der Weltheiland, dessen Ergebung in den Willen Gottes ihm zum Muster diente, leeren sollte, nicht bis an den Rand gefüllt, er sollte ihn bis auf die Hefe ausleeren. Noch einmal ward ihm erlaubt, die Tuilerien wiederzusehen, um sich von dort aus auf den grenzenlosen Ozean der Revolution einzuschiffen. Noch brachte er das Leben, aber mit den bittersten Kränkungen, in das Schloß zurück. Aber königliche Würde, Thron, Zepter und Krone sind verschwunden, die Tore der Hauptstadt sind verschlossen, Männer, schrecklicher noch durch ihr Ansehen als durch ihre Waffen, durchlaufen die Gassen und laden vor jeder Tür die Bürger ein, sich in den Sektionen oder auf dem Stadthaus einzufinden. Für die Sektionen werden Tempel und Kirchen bestimmt, weil es naturgemäß scheint, wenn Menschen sich versammeln, um unnatürlichen Drangsalen und ebenso unnatürlichen Verbrechen Einhalt zu tun, daß es vor Gottes Antlitz geschehe, damit sie in ihrer gemeinsamen Not die Säulen umfassen mögen, welche die Erde mit dem Himmel verbinden.
So geschah es denn, wie ich oben gesagt habe, daß ich nach einem vergeblichen Versuche, aus Paris zu entkommen, zugleich mit dem Herzog von Aumont, mit Sartines und Morinval in unserer Sektionskirche eintraf. Hier wurden wir alle drei einstimmig zu Vorständen gewählt; mir ward die Stelle eines Sekretärs für die militärische Abteilung. Diese Erfahrung hat mich belehrt, daß, wenn alles, was in Frankreich etwas vorstellte oder besaß, im Lande geblieben wäre, die Revolution eine andere Richtung genommen und zu anderen Resultaten geführt haben würde. Uebrigens war es bei dieser Gelegenheit, daß ich meinem Rival den Dienst leistete, den er nicht imstande war, von sich selbst zu erhalten. Ich sprang auf einen Tisch, und mit Hilfe meiner guten Lunge und einiger wohlklingender Redensarten brachte ich es dahin, daß der Ex-Automedon auf die Straße gestoßen, und der arme Veimeranges, auf den er es gemünzt hatte, in eine kleine Kapelle gebracht wurde, aus der ich ihn heimlich befreite, noch ehe er Zeit gefunden, sich auf die Knie zu werfen und sein Stoßgebet zu verrichten. Doch muß ich zur Steuer der Wahrheit nicht zu berichten vergessen, daß er noch vorher einen lichten Finanzgedanken von sich gab, er fügte nämlich am Schluß meiner Schutzrede für ihn als Peroration die Worte hinzu: »Meine Herren Präsidenten (die Herren H... und S... von der französischen Akademie waren es beide), ich bin ein guter, patriotischer Bürger, und lege tausend Taler auf den Altar des Vaterlandes nieder.« Das nenne ich Beredsamkeit á la Veimeranges und ä la Beaujon, und stelle sie weit über die des Cicero und aller, Rhetoriker und Rhetoren. Gleichwohl war' es vielleicht für den unglücklichen Mann besser gewesen, bei dieser Gelegenheit umzukommen, wenigstens würde er nicht eines so entsetzlichen Todes gestorben sein, als den er sich bald nachher selbst gegeben hat. Denn, um der Verfolgung der Trabanten des Terrorismus zu entfliehen, sprang er von einem fünften oder sechsten Stock auf die Straße und wurde zerschmettert in ein Hospital gebracht, wo er – welch ein Glückswechsel und welch ein Lebensende für ihn – den Geist aufgab.
Ich verlasse ihn, und komme auf mich zurück. Meine Circe und ich fanden noch immer Vergnügen, uns zu lieben, und durch unsre Liebe die Stadt zu erbauen,Edifier. aber der mächtige Talisman, das Vergnügen, den Argus zu täuschen – und der noch mächtigere, das Vergnügen, immer neue Schwierigkeiten zu überwinden, war für uns verloren gegangen. Mars und Venus, mit denen wir uns übrigens nicht vergleichen wollen, liebten sich nur deswegen so lange und so heftig, weil sie sich vor den Schlingen und Verfolgungen Vulkans in acht zu nehmen hatten, aber einmal aus den künstlichen Netzen befreit, fing ihre Liebe an abzunehmen. Auch wir gerieten in das Netz – der Langeweile, das haltbarste und unauflöslichste von allen. Unsre Zärtlichkeit hatte bereits ein ganzes Jahr gedauert, als meine treulose Geliebte mir in der Person des kleinen Sartine, welcher wie so viel andere unter dem Beile Robespierres gefallen ist, einen Gehilfen und Stellvertreter gab.
Dieses Männchen war eine Geldmaschine für alle Pariser Mädchen, die von ihm zogen und sich über ihn lustig machten. Ich selbst habe mir vorzuwerfen, ihn manches liebe Mal gequält und eingeschüchtert zu haben. Um so unlieber war mir seine Adjunktur; ich suchte vergebens, der neuen Spekulation Adelinens Hindernisse in den Weg zu legen. Meine Ungetreue ließ sich nichts anfechten, und gab mir den Abschied, ohne daß ein vorhergegangener Blitz mir diesen Donnerschlag angekündigt hätte.
Ich hatte sie nach einer zärtlichen Nacht verlassen, und hielt mich ihrer Liebe so gewiß, wie la Châtre der schriftlichen Versicherung seiner Ninon,Anspielung auf den bekannten Ausruf der Ninon Lenclos: »Ah le bon billet qu'a la Châtre!« Sie hatte ihm schriftlich ewige Treue geschworen und erinnerte sich dieses Versprechens in den Armen eines anderen. Uebers. als ich am folgenden Morgen eine Bonbonniere mit ihrem Porträt, welche ich bei ihr hatte liegen lassen, zurückerhielt. Sie enthielt ein Zettelchen, und der Zettel meinen förmlichen, feierlichen Abschied und ein Lebewohl. Er war geschrieben, wie dergleichen Billetts, worin man einen Liebhaber verabschiedet, seit Anbeginn der Welt geschrieben worden sind, und es bis an der Welt Ende sein werden. Man rechnete auf meine Freundschaft; man versprach mir gegenseitige Freundschaft ... es war rührend, es war herrlich! Man sah sich wider Willen zu diesem Schritte gezwungen, man mußte, wie Zemirens Vater, eine Reise machen, vielleicht eine sehr lange, usw.
Mein aufgeregtes Gemüt zeigte sich in seiner vollen Leidenschaftlichkeit. Mich auf solche Weise mit einer so platten Wendung verstoßen zu sehen! Ich kochte vor Rache und Liebe. Ich bestellte Postpferde, bestellte sie wieder ab. Den ganzen Tag suchte ich Adelinen in der unermeßlichen Steinmasse auf, die ich vielleicht nie wiedersehen werde, in Paris, wo sie eigentlich nicht war, denn sie hatte sich in ein kleines Haus am Ende der Elysäischen Felder zurückgezogen.
Bald schämte ich mich meiner Schwäche, mein Stolz erwachte, aber das Herz ist wie der Puls, beide schlagen nachlassend und ungleich. Ich wollte Adelinen vergessen, aber die vergessen, die uns den Abschied gegeben hat, ist nicht so leicht. O Frauen, Frauen! Wenn ihr alle eure Vorteile kenntet, ihr würdet noch mehr unsre Tyrannen sein, als ihr es seid! Vierzehn Tage quälte ich mich mit einer ohnmächtigen Wut; endlich, um es auf einem neuen Wege zu versuchen, ward ich krank. Das half. Adeline zeigte sich wieder. Ich erhielt Zutritt. Man versprach mir, wenn ich mich ruhig verhalten wollte, einzig für mich zu leben. Ich verstand den Sinn dieser Redensart, sie war zu abgenutzt. Das Wort ruhig gab meiner Liebe den Gnadenstoß und ließ in meinem Herzen nur einen Wunsch zurück, den Wunsch der Rache. Auf der Stelle suchte ich ihn zu erfüllen, und um meiner ganz gewiß zu sein, wählte ich Adelinens geschworene Feindin, und machte der Schauspielerin Dufayel den Hof. Mademoiselle Dufayel war damals ein liebenswürdiges Mädchen; über ihre Grazie vergaß man fast ihre Libertinage, eine angenehme Figur erhob ihren Verstand. Sie hatte mit Adelinen bei demselben Theater gestanden, war wegen eines schändlichen Verbrechens – welches sie übrigens nicht begangen hatte – entlassen worden; sie und Adeline verabscheuten einander und trieben Haß und Feindschaft so weit, daß sie aus fein ausgesonnener Lokalrache sich in derselben Straße, nur wenige Häuser voneinander, eingemietet hatten.
Auch meine Rache war gut ausgesonnen. Zum Schein mit Adelinen versöhnt, war ich der Dufayel geheimer Liebhaber geworden, und zu gleicher Zeit beider untertäniger Diener und Anbeter. Ich schreibe der einen (Dufayel), daß ich eine Landpartie vorhabe, der anderen (Adelinen), daß ich ihr am Abend zu Befehl stehe. Alles gelingt, und ich finde mich als den neuen Liebhaber meiner alten Gebieterin ein. Zärtliche Eidschwüre, verliebtes Entzücken, wiederholte Beteuerungen einer unverbrüchlichen Liebe, Bitte um Verzeihung: wir ließen es an nichts fehlen... Der Morgen bricht an, ich spiele die Verzweiflung ... war ich doch so glücklich gewesen! ... mußten uns schon trennen! Ich: »Also liebst du mich?« Sie: »Mehr als jemals!« – Ich: »Und willst mich nie wieder verlassen?« – Sie: »Eher sterben!« – Ich: »Nun, so stirb, denn nimmermehr siehst du mich wieder! Vergiß mich,« setzte ich mit einer Theaterstimme hinzu, »vergiß mich, ich liebe eine andere!«
Man wollte aufschreien, mich halten, aber ich war schon fort.
Wie unerschöpflich sind die Hilfsquellen der Eigenliebe! Ich war von meiner Leidenschaft geheilt, weil ich Zeit gehabt hatte, auf ihre Kosten meiner Eitelkeit Nahrung zu geben, weil ich meiner Einbildungskraft tausendmal vorgesagt und wiederholt hatte: Du wirst sie nicht wiedersehen, aber es ist dein Wille, du trennst dich von ihr, aber es ist dein Vorsatz, du bist es, nicht sie, der die Worte gesprochen hat: »Wir sehen uns nicht wieder!«
Ihr armen, schwachen Liebhaber, die ihr euch nicht trösten könnt, und euch nie trösten werdet, daß man euch entlassen hat (und ich habe dergleichen gekannt und kenne noch heutigen Tages dergleichen!), hättet ihr am Tage eurer Verabschiedung eurer treulosen Geliebten den Wind aus den Segeln genommen, ihr würdet am Morgen ruhig erwacht sein, ihr würdet die Nacht sanft und süß geschlummert haben, euer Herz wäre rein und lauter geworden, wie das Wasser der Springquellen.
Den Vorsprung gewinnen – das ist das ganze Geheimnis: Hoc opus, hic labor est.
Denselben Abend schickte ich zu Mademoiselle Dufayel, ließ ihr sagen, ich sei zurück, und ersuchte sie um ein Nachtessen und Frühstück. Sie werde mich erwarten, war die Antwort. Mit dem Schlage Mitternacht bin ich bei ihr. Mitternacht ist die Schäferstunde. Wir sind halb eingeschlafen, es wird an die Haustür gepocht, als wolle man sie einschlagen. Ein halb entkleidetes Kammermädchen stürzt zu uns herein, und fragt, ob geöffnet werden solle. »Nein«, ist die Antwort, aber es war zu spät. Ein plumper oder bestochener Kutscher hat schon die reißenden Wölfe in den Schafstall gelassen. Wer waren diese Wölfe? Adeline und der Prinz d' Henin, der bei ihr zu Nacht gespeist hatte und nun – höchst albernComme un nigaud. – es auf sich nehmen wollte, uns auszusöhnen, sie vernünftig zu machen, und mich wieder zu ihren Füßen zurückzuführen. »Aufgemacht!« rief im Vorzimmer eine wütende Stimme, »aufgemacht, unwürdige Rivalin, Bübin, die mir meinen Liebhaber geraubt hat.« Und sich nun an mich wendend: »Ungeheuer, du sollst sehen...« Jetzt ließ auch der Prinz seine Worte vernehmen. Ich schweige mäuschenstill. Mademoiselle Dufayel erhebt ihre Stimme, spielt die Verwunderte, legt Würde in ihre Antwort, droht mit der Polizei, weil man sich unterfange, sie zur ungebührlichen Stunde in ihrer Wohnung zu stören, und das Hausrecht verletze, und die Nachbarschaft in Aufruhr bringe, und eine Person, wie sie, von einem so unbescholtenen Rufe, einem nächtlichen Skandal aussetze. Während so von beiden Seiten der verschlossenen Türe parlamentiert wird, hatte ich mich in aller Eile angekleidet und auf einer kleinen, geheimen Treppe ein kleines, verborgenes Zimmerchen erstiegen, nämlich das geheime Laboratorium der Grazien, das Zeughaus der künstlichen Schönheitsmittel, die Rüstkammer, in welcher die Waffen geschmiedet wurden, wodurch meine Gottheit ihre Triumphe erfocht. – Ach, diese Gottheit hat mir hinterdrein den Text tüchtig dafür gelesen, daß ich in das Innerste ihres Tempels und Heiligtums eingedrungen war. Ich hatte aber nicht Lust, mich bei einem Vorfall sehen zu lassen, der eine gewisse Oeffentlichkeit erhalten konnte, und wo meine Gegenwart ein Zeugnis zu meinem Nachteil abgelegt haben würde.
Nach langem Parlamentieren zog sich die verlassene Adeline zurück. Der Prinz gab ihr den Arm, eine Freundin begleitete sie, eine Vertraute zog hinterdrein, vor ihr ging ein Bedienter mit einer Fackel. Der Rückzug erfolgte in voller Schlachtordnung; man begab sich in ein hübsches Haus, das Adeline vor kurzem in der Nähe hatte einrichten lassen. Ich war indessen fast vor Kälte umgekommen, ohne daß er's hören konnte, rief ich dem Prinzen d' Henin vom Fenster eine gute Nacht zu und legte mich schlafen, um mich wieder zu erwärmen.
Die Didone abbandonata fühlte den Schimpf so tief, daß sie darüber in eine Krankheit verfiel. Ich trieb die Grausamkeit so weit, daß ich acht Tage lang mein Kabriolett öffentlich vor der Tür ihrer Rivalin halten ließ, nach deren Ablauf ich Mademoiselle Dufayel für ihre Artigkeit dankte und mich nach einer andern umsah.
Wäre Adeline so klug gewesen, eine vollkommene Gleichgültigkeit vorzutäuschen, so würde ich meine Rache für abgeschlossen gehalten und sie nicht weiter getrieben haben. So aber hinterbrachte man mir, sie mache einen gewaltigen Lärm von der Sache, und gebe zu erkennen, daß sie empfindlich gereizt sei. Das bewog mich, eine zweite Person aufzusuchen. Ich hielt es für Pflicht, bei einer jungen Aktrice von demselben Theater vorzusprechen, und dieser, von der ich wußte, wie verhaßt sie ihr war, meine Huldigung anzubieten. Es war Mademoiselle Rosalie, gegenwärtig die Gattin eines unsrer vorzüglichsten Landesverteidiger, des Generals Leg... Beide Damen hatten, was man eine Kulissenfehde nennt, miteinander gehabt. Vor allen Dingen waltete aber unter ihnen der Streit ob, wer die besten Liebhaber und die schönste Garderobe besitze. Ich legte eine ziemliche Beharrlichkeit in die Versuche, die ich anstellte, zum näheren Umgang mit Rosallen zu gelangen; während die lebhafte Blondine, in den Grenzen einer preiswürdigen Leidenschaft mit dem Prinzen Josef von Monaco befangen, meinen zärtlichen Bewerbungen einen übel angebrachten Widerstand entgegensetzte. Allein da sie das beste Herz von der Welt hatte und der größte TollkopfMauvaise tête. in ganz Frankreich war, so gewann ich sie in kurzer Zeit durch die Erzählung meines Abenteuers mit Adelinen, und zog sie in meine Verschwörung gegen sie hinein. Es vergingen ein paar Wochen, es wurden zwei bis drei Briefe gewechselt, zuletzt verschaffte mir das Opfer eines Porträts, das ich brachte, die Erhörung meiner Wünsche, und alles Glück was man haben kann, wenn man erhält, was man verlangt. Als Adeline diesen neuen Sieg erfuhr, verlor sie den Kopf, ihre Verzweiflung war grenzenlos. Es wurden ehrwürdige Abgeordnete abgeschickt. Schon hatte sie (es ist zum Totlachen!) zu einer Audienz beim Polizeiminister eine Witwentoilette gemacht, sie wollte in dieser Audienz ihr Bild zurückverlangen, welches in die Hände einer kleinen Person gefallen sei, der, ein Erzbösewicht, sie (Adelinen) verraten und aufgeopfert habe. Schon war sie im Begriff, diese lächerliche Klage einzureichen, als infolge eines noch lächerlicheren Hin- und Hertreibens und ernsthafter Konferenzen beschlossen, bedungen und festgesetzt ward, daß beide Damen eine Zusammenkunft haben sollten, worin Mademoiselle Adeline die Großmut ihrer Rivalin in Anspruch nehmen, diese ihr mit aller dem Gegenstande angemessenen Würde das fragliche preisgegebene Bildnis zurückstellen und ich allein bei meinen weiblichen Zeitgenossen und bei der weiblichen Nachwelt für ein Ungeheuer erklärt werden sollte. Von beiden kontrahierenden hohen Teilen wurde nun der Vergleich unterzeichnet, eine ewige, unverbrüchliche Freundschaft beschworen, ein enges Bündnis verabredet. In dieser offiziellen Akte befand sich kein geheimer Artikel zu meinen Gunsten. Ueberhaupt liegt etwas so Ansteckendes in der Schadenfreude, die das wankelmütige schöne Geschlecht darin findet, uns zu verleumden, daß selbst meine neue Geliebte, die göttliche Rosalie, die größten Schmähreden über ihren teuren Liebhaber führte, ihn unaussprechlich straffällig fand, und mit ihrer alten Feindin, meiner ehemaligen Geliebten, gemeinschaftlich gegen mich loszog. Als ich sie wieder besuchte, fand ich sie noch dergestalt von diesem rührenden Auftritte erschüttert, daß es mir ein gut Teil Mühe und Arbeit kostete, den Grund, den ich durch die Zusammenkunft beider Mächte verloren hatte, wieder zu gewinnen. Ich hatte aber das große Glück gehabt, ihnen zum Annäherungspunkte zu dienen ... Und nun traue man noch den Weibern, und verlasse sich auf sie, man sei ihnen nah oder fern! Geht's aber wohl mit den Freunden besser? Man gehe und sehe!
Wie das Reich der Mazedonier aufgehört hat, wie Troja gefallen ist, wie so viel andere Denkmäler, die wir für unvergänglich hielten, in Staub und Asche zerstiebt sind – so hatte auch meine Leidenschaft für die feinste aller Koketten, für Adeline, aufgehört. Alcibiades, Sokrates, selbst Alexander der Große, Helden, deren Wert den meinigen weit übersteigt, haben die reizenden Mädchen ihrer Zeit geliebt und gefeiert, welche, ohne sich mit den unsrigen messen zu können, gleichwohl im geistreichen Griechenland die Königinnen spielten. Das Blumenmädchen von Sicyon, Glycerion, deren Name allein schon die Herzen bewegt und in Gefahr bringt, ist von dem zahlreichen Heere ihrer Anbeter, denen sie selbstgeflochtene Lorbeer- und Rosenkränze aufsetzte, übermenschlich gepriesen, abgöttisch verehrt worden. Ihr und aller ihrer Schwestern Andenken ist jedem Herzen, das für Liebe geschaffen ist, heilig. Die Buchstaben und Silben, die jene Namen bilden, sind von Mund zu Mund, von Jahrhundert zu Jahrhundert geflogen, und werden auf jedem Blatte der Bücher der Liebe gefunden. Die Züge und Handlungen ihres ganz erotischen Lebens hat die Geschichte bei einer Nachwelt verewigt, welche zur größern Hälfte in dem Wahne steht, Leben sei Liebe, und Liebe sei die einzige Wirklichkeit im Leben, und der Ruhm nur eine Chimäre. Ihre Reize findet man überall abgebildet, ihre Namen auf allen Lippen. Und ich sollte verdammt sein, von denen zu schweigen, welche sie nachgeahmt, vielleicht übertroffen haben? Nein, mag auch ein mürrischer Rezensent, ein strenger Leser, bei meinen treuen Erzählungen den Kopf schütteln, und sie für unwürdig erklären, in der Geschichte einen Raum einzunehmen, mag er über meine Gemälde den verschämten Schleier der Moralität ausbreiten, meine modernen Laïs und Phrynen werden ihn lüften; ich werde ihnen eine Säule errichten, da ich ihnen keinen Tempel bauen kann, wie es ihresgleichen in Athen widerfuhr, in Athen, das sich so gut und besser als unsre heutigen Richter auf wahres Verdienst verstand.
Meine neue Verbindung mit Rosalien ging ihren Weg, war aber kein Himmel ohne Wolken. Der Prinz Josef von Monaco war nicht der einzige Rival, dessen Mitbewerbung ich entgegenarbeiten mußte; ein anderer, der Chevalier de la Curne, ein junger, freigebiger Mann, von vortrefflichstem Herzen, war fast noch verliebter als ich. Allen Wünschen der liebenswürdigen Rosalie zuvorkommend, machte er Anspruch auf eine Gunst, die man nicht immer mit Schätzen erkauft, weil Dankbarkeit nicht immer Liebe ist. Ich erinnere mich, aus dem Munde dieser Zauberin, die uns vielleicht alle drei ein wenig an der Nase herumführte, gehört zu haben: »La Curne sei derjenige von uns, für den sie die meiste, auf Achtung gegründete Freundschaft empfinde.« Man kennt aber den Sinn dieses Wortes. Was ist Freundschaft für den, der Liebe begehrt? Ein Bündnis zwischen Schwäche und Stärke; eine Verbindung zwischen dem unschuldigen Lamme und dem reißenden Tiger; ein Kranker, der sich nach Hilfe sehnt, und den man mit kalten Trostesworten hinhält. Uebrigens wurden wir auf eine neue Probe gestellt. Rosalie ward Mutter. Jeder von uns hielt sich für den Vater. Eine Tochter wurde geboren. Man sagte damals, daß sie mir ähnlich sei. Ich weiß es nicht und werde es nie wissen, wie so viele Dinge auf dieser Erde.
Ich kann diesen Abschnitt nicht schließen, ohne Rosalien und ihren Charakter näher zu beschreiben. Sie war eine allerliebste Person; reizend, geistreich, heftig, mutwillig, aber im Grunde wirklich gut. Ich bin ihr ewige Freundschaft schuldig, und habe nie aufgehört, ihr Freund zu sein. Mein Herz ist ihr auf allen ihren Glückswegen gefolgt; ich weiß, sie hat den Hafen erreicht, und freue mich darüber, wie über mein eigenes Schicksal. Ich werde Gelegenheit finden, im Laufe dieser Memoiren wieder von ihr zu sprechen. Bis dahin begnüge sich der Leser mit zwei oder drei Anekdoten.
Der Marquis von Genlis war ihre erste Liebe. Sie gestand ihm einst, mit vieler Naivheit: »Wenn das, was du für mich, und ich für dich fühle, mich glücklich machen soll, so muß ich dir offenherzig gestehen, daß ich mich in der Wahl meiner Bestimmung vergriffen habe.«
Der Prinz von Saint-Maurice hatte sie verlassen und ihr eine gewisse Demoiselle Thévenot vorgezogen, die sich durch große, stark hervorstehende Augen bemerklich machte. Rosalie sagte einst von ihm: »Man sieht wohl, daß Saint-Maurice ein vollkommener Hofmann ist; er lebt und webt im Oeil de boeuf.«Ein Wortspiel. Das Oeil de boeuf war in den Tuilerien der Aufenthalt der Hofleute, die beim Könige ihre Aufwartung machten; aber Oeil de boeuf, zu Deutsch Ochsenauge, erinnert an den Beinamen der Juno im Homer. Uebers.
Der Herzog von Fronsac hatte die Schwäche, vom Theaterpersonale, das unter ihm, als Oberkammerherrn, stand, gebieterischTrès-impérativement. das Prädikat Monseigneur zu verlangen. Einst, als er Rosalien im Foyer, in Gegenwart mehrerer, sehr hart behandelte, machte sie ihm, statt aller Antwort, eine tiefe Verbeugung und sagte: »Monseigneur, was Sie da sagen, ist erlogen!«Monseigneur, vous en avez menti! Das war gut oder nicht gut, wie man will; mich ging's nicht an. Aber den Abend darauf begegnet mir der Herzog im Theater auf der Treppe, hält mich auf, und sagt mir zu meinem Befremden: »Ich ersuche Sie, Herr Graf, der Demoiselle Rosalie begreiflich zu machen, was sie mir schuldig ist; widrigenfalls werde ich Sie beide trennen müssen und die Demoiselle auf sechs Wochen nach der ForceEin bekanntes Gefängnis in Paris, wohin man, wie nach Four l'Evêque oder Fort l'Evêque, die widerstrebenden Schauspieler bringen ließ. Uebers. bringen lassen.« – Meine Antwort war: »Ich habe zweierlei nicht gewußt: Erstlich, daß Sie mich für denjenigen halten, der die Aktricen in der Achtung, die sie Ihnen schuldig sind, unterrichten soll; Und zweitens, daß Sie ein genaues Tagebuch über meine Besuche bei ihnen führen.« Ich sah ihn dabei starr an; es entstand eine Pause. Er schwieg. Wir setzten unsern Weg fort; er die Treppe hinauf, ich die Treppe hinab.
Ich kann mich nicht enthalten, noch folgenden lustigen Streich von Rosalien zu erzählen. Ich war eines Morgens bei ihr, als man mir ein Billett von einer Dame brachte, das den Wunsch enthielt, eine Verbindung mit mir anzuknüpfen, und mir eine Bestellung unter der Arcade Soubise in der Mittagsstunde gab. »Man werde mich,« sagte das Billett, »in einem Fiaker erwarten, da man aus Rücksichten den eigenen Wagen nicht nehmen dürfe,« – Rosalie fragte mit scheinbarer Gleichgültigkeit nach dem Inhalt des Zettels, – »Ein höflicher Mahnbrief,« sagte ich, »von einem Gläubiger, ganz im langweiligen Stil dieser Herren.« Ich nehme bald darauf Abschied, mache zu Hause die ausgesuchteste Toilette, fliege zum Rendezvous, finde den Fiaker, springe hinein, falle der Frau, die ich mir als einen Engel, als eine Göttin denke, zu Füßen. Sie ist dicht verschleiert; ich spreche von Liebe, von Verlangen; will die Wolkenhülle zerteilen. ... Plötzlich regnet es Schläge, Vorwürfe, Scheltworte; sie war's, Rosalie war's. – Ich sammle mich und spreche mit angenommener Kälte: »Ich habe mich dir zu Gefallen einem Scherze hingegeben, der dir Vergnügen zu machen schien: Glaubst du, ich hätte nicht gewußt, von wem der Zettel kam?« – Mit diesen Worten begleitete ich sie nach Hause. Doch war mir nicht wohl zumute, denn sie hatte sich nicht täuschen lassen. Wir schmollten beide unterwegs. – Desto besser; um so süßer war die Versöhnung.
Nun auch ein Wort von Adelinen. Indem ich heute, nach zwanzig Jahren, meiner Feder freien Lauf lasse und über die leichtsinnigste Periode meines Lebens scherzend hinwegzuhüpfen scheine, muß ich sehr ernsthaft gestehen, daß meine Leidenschaft für sie mich länger als jede andere beherrscht, mich auf eine unbegreifliche Art unterjocht hat. Einige Jahre waren wir Feinde geblieben, und Adeline hatte kein Geheimnis daraus gemacht. Aber bei einer gewissen Gelegenheit, in einer wichtigen Lage, leistete sie mir einen Dienst, der eine aufrichtige Aussöhnung zur Folge hatte. Adeline besaß ein zartes Gefühl, ein gutes Herz; sie siegte über die Eitelkeit ihres Geschlechts, dem die Rache so natürlich ist. – Die Liebe war verschwunden; mit ihr der Haß. Es blieb kein Gegenstand der Fehde zurück. Sie benahm sich mit einer Größe, der ich hier Gerechtigkeit widerfahren lasse.
Erinnern sich meine Leser noch der hübschen Sophie von Lorville, die ich in einem Alter geliebt hatte, wo das Herz jung und rein ist, und zum Lieben so wenig bedarf und verlangt. Doch was sage ich? Sophie gehörte nicht zu denen, die man leicht und oberflächlich lieben kann; sie besaß alles, was den WildestenLes plus sauvages. fesseln konnte. Ich hatte lange keine Nachrichten von ihr gehabt; mein Herz konnte ihrer entbehren, konnte sie aber nicht vergessen; ihr Bild schlief in mir. Es erwachte. Sie war jetzt Witwe. Als ihr Gatte, ein Edelmann aus einem sehr guten Hause, den sie halb wider Willen genommen hatte, gestorben war, lud sie mich auf ihr Landgut, hundert Lieues von Paris, ein. Beim ersten Anblick eines Gesichts, worauf Liebe und Schwermut nicht nur Spuren zurückgelassen, sondern sich tief und unauslöschlich eingegraben hatten, fühlte ich mich gerührt, erschüttert. Ich fand ihr Herz wo und wie ich es verlassen hatte; bloß ihre Person hatte sie ihrem Gemahl abgetreten. Wir verstanden uns im ersten Augenblick, und nach einigen Fragen und Antworten über ihn war nicht mehr die Rede davon. »Er war,« sagte sie, »ein schlichter, guter Mann,Honnête homme. der mich mehr liebte, als nötig war: Eine andere wäre glücklich mit ihm gewesen.« – Die Erinnerung an Frau von ... machte uns weichherzig. Wir teilten unsere Rührung einander mit. Nur in der Abgeschiedenheit kann man weinen. Ich vergoß bei ihrem Andenken Tränen, welche bei unserm Abschiede in Paris und bei der Nachricht von ihrem Tode nicht geflossen waren. Ich söhnte mich mit dem Schatten meiner Jugendfreundin aus. Die Unglückliche! Ihre einzige Schuld war, einen Leichtsinnigen, der es nicht verdiente, zu sehr geliebt zu haben.
Sophie war vollkommen gleichgültig gegen den Verdacht, den meine Erscheinung bei ihr in der Nachbarschaft erregen konnte. Ihre Absicht war, sich ins südliche Frankreich zurückzuziehen. Hier war sie geboren. Ihr Gemahl hatte sie in eine unabhängige Lage versetzt, und sie war entschlossen, ihrer Freiheit nicht wieder zu entsagen. Er hatte ihr sein ganzes Vermögen hinterlassen, und mit ihm einen einzigen Sohn, der aber schon im ersten Lebensjahre starb. In den Augen der Welt mußte sie glücklich scheinen, war es aber nicht: Der Zwang, in welchem sie gelebt hatte, war ihrem Herzen verderblich gewesen, hatte es auf lange Zeit zerdrückt. Noch immer lasteten die Bande, welche sie an einen zwar achtungswerten Mann, den sie aber nicht liebte, gefesselt hatten, mit vollem Gewicht auf ihrem schon von Natur trübsinnigen Gemüte; in dem langsamen und beständigen Gefühl der Geduld und der Ergebung war in ihr die Quelle eines Glückes versiegt, an welches die jugendliche Hitze zu leicht und die kalte Vernunft zu schwer glaubt. So drückte sie sich über diesen Gegenstand aus; ich habe ihre Worte nur nachgeschrieben.
Bald nach mir traf der Mann, mit welchem ich sie in der Folge verbunden habe, und der dieses Schatzes wert ist, auf seinem benachbarten Landgut ein. Ihn begleitete Herr von Cazalès, der mit ihm bei demselben Regiment stand. Cazalès war damals ein junger unbedeutender Dragoneroffizier, der noch nichts von der hohen Beredsamkeit ahnen ließ, von der er in der Assemblée constituante so glänzende Proben abgelegt hat. Er selbst hatte keine Ahnung davon, und noch weniger den Vorgeschmack seines nachherigen, in meinen Augen übertriebenen Rufes, welchen er großenteils seiner Dreistigkeit und seinen Lungen verdankte. Auch er würde nicht abgeneigt gewesen sein, bei Sophien sein Heil zu versuchen und mit eben der Stimme, welche seitdem auf der Rednertribüne gedonnert hat, zu ihren Füßen zu seufzen, – allein er besaß nichts von dem, was ihn ihr hätte empfehlen können; seine Formen und Manieren standen zu sehr im Widerspruch mit den ihrigen. Der Mann hingegen, welcher später ihr Gatte ward, liebte sie noch ehe sie den Mund geöffnet, und erriet sie, sobald er sie erblickt hatte. Sein eigenes Gemüt gab ihm den Aufschluß über das ihrige. Er sah, fühlte, handelte mit Gefühl; dabei war sein Verstand sehr ausgebildet, und die schönen Künste hatten sein EmpfindungsvermögenSa sensibilite. erhöht und verfeinert. Nur bei wenigen Menschen findet man so viel Talente beisammen, besonders solche, die sich bei Frauen anbringen lassen und sich ihres Ohrs bemächtigen, das ihrem Herzen immer so nahe liegt, während das bei uns Männern so selten der Fall und der Abstand zwischen beiden so groß ist. – Ich kannte ihn vorher nicht; er machte beim ersten Blick meine Eroberung und den tiefen Eindruck, vor welchem ich später, nach so vielen Veranlassungen zum Mißtrauen, mich zu verwahren habe lernen müssen. Er machte mir Entdeckungen, vertraute mir Geheimnisse, womit er länger hätte an sich halten sollen; ich nahm sie in mich auf, wie einer, der das Vertrauen zu verdienen glaubt; ich erwiderte sie wie einer, dessen Ehre ihn verpflichtet, die gute Meinung, die man von ihm hat, zu rechtfertigen. Er forschte nicht, ob ich der Liebhaber der Person sei, die er zu seiner Gattin zu machen wünschte; er ersuchte mich, ihn zu unterstützen, als könne ich mich nicht mit ihm kreuzen, und ich diente ihm so treu und redlich, als wäre Sophie von je her mir fremd gewesen. Er setzte mir, tief ins einzelne gehend, seine ganze Lage auseinander und schien überzeugt, daß, wenn ich die Partie angemessen für sie fände, sie sich durch mich dazu überreden lassen würde. Seine Verhältnisse waren von der Art, daß sie zum Leben in der Provinz hinreichten, und für Sophien annehmbar scheinen konnten. Was er ihr aber noch mehr anbot, was er ihr als höhere Mitgift anrechnete, war ein guter Ehegatte, auf den sie sich vertrauensvoll stützen konnte, um Arm in Arm durch das Leben zu wandeln, – ein schönes edles Gemüt, um sie während der kurzen Lebenstage zu trösten, die nur denen so lang dünken, die zusammen alt werden, ohne gelernt zu haben, sich einander zu schätzen und ihr gegenseitiges Dasein durch Freundschaft zu versüßen.
Ich übernahm das Geschäft, Sophien vernünftig zuzureden; ich legte alle meine Kunst in meine Ueberredungsgründe; es war kein leichtes Stück Arbeit. Selbst die anspruchsloseste Frau, mit welcher man aufrichtig zu reden berechtigt ist, vermag nicht der Weiblichkeit und Eitelkeit insoweit zu entsagen, daß sie Geschmack an der Erklärung des Mannes finden sollte, der zu ihr spricht: »Ich liebe Sie genug, um zu wünschen, Sie mit einem andern glücklich zu sehen.«
So ging's Sophien; sie weigerte sich, mich anzuhören und äußerte ein Befremden, das ich bei jeder anderen für VerdrußDépit. genommen haben würde, so sehr trug es die Farbe der getäuschten Erwartung. Ich drang in sie; jetzt verwandelte sich der Verdruß in Traurigkeit. Ich wollte nun kalte mathematische Gründe vorbringen; ich wollte ihr begreiflich machen, daß, was auf einige Zeit gefiele, den Vorteil nicht überwiegen müsse, der sich über ein ganzes Leben erstrecke usw. – »Es sei wohl recht, sagte sie, daß ich so denke und, da ich ihr das Leben verdorben hätte, auch einigermaßen bemüht sei, es zu verschönern; sie danke mir, könne mir aber keine Aussicht auf den glücklichen Erfolg meiner Vorschläge gewähren...« Dann folgten einige Tränen, welche noch deutlicher sprachen. Beides bestärkte mich aber in dem Vorsatz, bei meinem System der reinen Freundschaft zu verharren und die Bolzen zu einer schnellen Verheiratung zu schmieden. Diese Idee ward in mir die vorherrschende; ich ließ keine Gelegenheit vorübergehen, mit aller Zartheit, die ich vermochte, und die der Gegenstand erforderte, ihn und sie näher zu bringen;De les apprivoiser. ich ermutigte Herrn von V...(diesen Namen trägt jetzt Sophie), und hieß ihn an einem Siege nicht verzweifeln, welchen Beharrlichkeit von der einen Seite und dépit von der ändern immer zuletzt unfehlbar davontragen lassen.
Was man hier lesen wird, half der Sache mehr nach, als alle meine Bemühungen.
Ein Pariser Parlamentsrat meiner Bekanntschaft hatte eine Schwester. Diese lebte in der Nähe von Sophiens Landgut, in einer Stadt, wo ihr Gemahl Präsident war. Sophie hatte einen zwar nur unbedeutenden Prozeß vor seinem Gerichtshofe, wollte ihn aber doch gewinnen und bat mich, statt ihrer, mit dem Richter zu sprechen, dem sie sich empfehlen zu lassen bis jetzt versäumt hatte. Ich versprach ihr der Präsidentin Vermittlung, welche ich, wegen meiner früheren Verhältnisse mit deren Bruder, erwarten durfte. Demzufolge reiste ich nach der Stadt. Mein erster Gang war zum Präsidenten. Er war in der Session. Ich ließ mich bei seiner Gemahlin melden. Sie empfing mich mit aller Vorbereitung und sorgfältigen Aufmerksamkeit,Recherche. die man einem Pariser Besuch schuldig zu sein glaubt. Sie war ausnehmend schön und wäre nicht der Umstand gewesen, daß in ihrem Wesen sich ein Ernst, eine Bedächtigkeit, eine Steifheit äußerte, die wir collet-monté zu nennen pflegen, und die dem Hause eines Präsidenten wie der Schnupfen anklebt, so würde sie unter den Sirenen ihres Geschlechts eine der gefährlichsten gewesen sein.
Ich fing damit an, der Dame eine Litanei von Gemeinplätzen, über mein Entzücken, sie so vollkommen zu finden, über ihre Schönheit, ihre Reize usw. vorzuleiern; und da sie vermutlich seit langer Zeit nicht aus diesem Strom von Süßigkeiten getrunken hatte, so ließ sie keinen Tropfen vorbeifließen, hielt meine Worte für Floskeln des neuesten Geschmacks, ja noch mehr, für die Sprache der feurigsten Leidenschaft, für unverkennbare Symptome der Ueberraschung und Liebe.
Ihre Augen dankten mir; nur lag in ihnen ein Zug von Ruhe und weltklugem Ansichhalten, der mich hätte bescheiden und zurückhaltend machen sollen. Doch das waren nun einmal nicht meine Haupteigenschaften. Von Natur dreister und verwegener als man es bei Frauen sein soll, ward ich bei dieser Gelegenheit so dringend, so zärtlich, griff ihr Herz mit so großem Ungestüm und Sturmlaufen an, daß ich in einer halben Stunde weiter mit ihr kam, als mich eine förmliche Belagerung in einem Monat gebracht haben würde. Jetzt aber, wieder zu sich gekommen, überließ sie sich ihrem Schmerze, vergoß einen Tränenstrom, rief in ihrer Verzweiflung den Tod zu Hilfe – als der verehrlichste aller Männer, ihr würdiger Gemahl, ins Zimmer trat. Ich nahm mich zusammen und schien beschäftigt, sie methodisch über ein zufälliges Unglück zu trösten, dessen Urheber man in mir nicht erraten durfte. Gleichwohl gestehe ich, daß eine gespenstische Erscheinung keinen solchen Eindruck hätte auf mich machen können, als die ihres Gatten. Ich war noch unschlüssig, welches Unglück ich ersinnen, welche Wendung ich der Sache geben sollte, und begnügte mich, in meine Züge den Ausdruck des Schmerzes zu legen, der den Tröster und Teilnehmer begleitet, – als sie, unterstützt vom Genius des weiblichen Geschlechts, der in den wichtigsten Augenblicken keinen seiner Schützlinge im Stich läßt, auch wenn sie zu den Unerfahrensten gehören – ihren Gemahl anredet: »Sie sehen, mein Lieber, den Grafen von Tilly. Sein Besuch erschüttert mich; er hat Briefe aus Paris, die ihm melden, daß Frau von Bel ..., meine beste Freundin, wie Sie wissen, so gefährlich krank ist, daß beim Abgange der Post an ihrem Leben verzweifelt und mit jedem Augenblick ihr Ende erwartet wurde.«
Außer mir vor Verwirrung, vor Staunen, vor Bewunderung; in der Stellung eines Mannes, der über etwas Außerordentliches stutzt, und dem dieses ein schafmäßiges Ansehen gibt, – konnte ich nur die Worte: »Zu wahr! Zu wahr!«C'est trop vrai – ein Doppelsinn. stammeln und sie mit einer Art von Seufzer begleiten. Während aber der Präsident mit feierlichem Ton ein langes und schönes Klagelied über das Leben von Paris vorbrachte, über die Unvorsichtigkeit der jungen Frauen, die sich vor der Zeit ins Grab stürzen, – erholte ich mich so vollkommen, daß ich die strafbare Dreistigkeit hatte, seine Rede zu überbieten, und noch weiter zu gehen als seine Wohlweisheit. Ich machte nun die umständliche Beschreibung von der Krankheit der Dame Bel ..., setzte den Anfang derselben, die Fortschritte, den Charakter auseinander, bezeichnete die Abwechslung, sprach vom Entscheidungspunkt, ... gab das Bulletin jedes Tages, nannte die Aerzte, die sie behandelt hatten, die Fehler, die von ihnen begangen worden und die ihr unfehlbar das Leben kosten würden. Ich führte mehrere Personen namentlich an, die sich zweimal des Tages nach ihrem Zustand erkundigt hatten, mit einem Gefühl und einer Teilnahme, welche zu jetzigen Zeiten immer seltener würden, und deren Abnahme mich, in diesem Jahrhundert des Egoismus, einigermaßen zum Menschenhaß berechtigten. Der biedere Präsident hörte mir mit einem Gesicht zu, das ganz in Sentimentalität getaucht und aufgelöst war. Ich war im Zuge, die herrlichsten Dinge vorzubringen, als ich zufällig den Blick auf seine Gattin warf. Welche Aufmerksamkeit, welches natürlich scheinende Auffassen meiner Lügen! Welche Falschheit! Welche sprechende Anstrengung ihres ganzen Wesens bei meinen Worten! Welchen Wert ihre in Tränen schwimmenden Augen auf den Redner zu legen schienen! Dieses Kunstspiel,Manoeuvre. das den berüchtigsten Koketten Ehre gemacht haben würde, brachte mich wieder zu mir selbst, führte mich auf meine Lieblingsbetrachtungen über das weibliche Geschlecht und dessen unversiegbaren Schatz von angeborener Heuchelei zurück und erfüllte mich mit dem Eisgefühl der empörtesten Bewunderung.
Der Präsident lud mich mit vieler Artigkeit zu Mittag ein; ich nahm die Einladung mit Dank an, aber die schöne Wirtin entschuldigte sich: Es sei ihr unmöglich, zur Tafel zu kommen; der Schmerz habe ihr alle Eßlust geraubt; die ganze Welt sei ihr verhaßt. Zugleich richtete sie, mit vielem Anstand und auf den Boden gehefteten Augen, ihre Entschuldigung besonders an mich. Ihr gesenkter Blick verhinderte sie, in dem meinigen zu lesen, wie sehr zur Unzeit ich ihre Verstellung angebracht fände. Ein Oberstleutnant von der Kavallerie und der Prior eines Klosters stellten sich als Gäste ein, so daß unserer vier bei Tische saßen. Der Prior hatte in seiner Jugend in Paris die Fastenpredigten gehalten. Er führte uns aus seinen Vorträgen einige Stellen an, die ich wiedererkannte: Sie waren vom Pater Neuville.Ein bekannter Jesuit und geistlicher Redner, dessen Predigten in sieben Bänden erschienen sind. Uebers. Die beiden anderen Herren bewunderten über alles die Pracht der Antithesen, die, wie man weiß, der Hauptfehler dieses Redners und das Hauptkennzeichen seiner Schreibart sind. Der Oberst sprach mit Sachkenntnis von seinem Fache; der Präsident trug einige erstaunliche Causes célèbres aus seiner Praxis vor, und ich tischte ihnen zum Nachessen etwas aus der skandalösen Chronik von Paris auf, schilderte absichtlich meine Helden mit den schwärzesten Farben und stellte sie als Warnungstafeln auf, als moralische Landplagen, gegen welche die Gesellschaft in Masse auftreten und die strengste Gerechtigkeit üben sollte. Zum Schlusse wurden Kaffee und Liköre herumgereicht, und schon um vier Uhr befand ich mich recht sehr kleinstädtischProvincialement. auf der Straße, recht sehr großstädtisch über die Auftritte mit der Präsidentin lachend und mich wundernd, wie in der Provinz, ein Mann aus der feinen WeltUn homme de bonne compagnie. bei Leuten, die er nie gesehen, eine gute Mahlzeit finden und das Herz der Hausfrau gewinnen kann, während sich in Paris eine Menge Menschen vergebens um eine Mahlzeit und eine Frau bemühen.
Welch eine herrliche Polizei in der menschlichen Gesellschaft! Sie beweist, selbst den größten Holzköpfen, welche Fortschritte die Aufklärung und Bildung gemacht hat und wieviel weiter wir in dem System der Vervollkommnung vorgerückt sind.
Der gütige, freundliche Präsident, dessen Gast ich war, ermangelte nicht, mir in Sophiens Angelegenheit seinen ganzen Beistand zu versprechen; in der Sache schien ihm alles Recht auf ihrer Seite zu sein. Ich reiste ab, kam zu Sophien, und fühlte mich doppelt stolz; einmal über die Verhandlung mit dem Präsidenten, über die ich ihr Bericht erstattete; zweitens über meine VerhandlungExpedition. mit der Präsidentin, deren ich keine Erwähnung tat. Herr von V... war mit Sophien nicht weiter gekommen, obschon er nicht vom Schlosse und von ihrer Seite gewichen war. Den ganzen Tag spielte er abwechselnd die Geige und auf dem Klavier, sang dabei, bot alle seine Künste und Talente auf, weil er glaubte bemerkt zu haben, daß sein Spiel und sein Gesang mehr Wirkung auf Sophien hervorbrächten, als seine Person; denn Sophie selbst war eine große Virtuosin in der Musik. Trotz dem allen machte er gleichwohl so langsame Fortschritte, daß ich ungeduldig darüber wurde, und ungeduldiger als er selbst, denn er war der ruhigste, bescheidenste Liebhaber, unfähig eine Gelegenheit herbeizuführen oder zu benutzen, eine Ueberraschung zu erfinden und Vorteil daraus zu ziehen. Er wollte sich gerade so unschuldig verheiraten, wie sein Vater und sein Großvater und spann seinen Liebesroman aus, wie er es in irgendeinem Roman gelesen hatte. Oft fand ich ihn vor dem Piano, die melancholischen Augen schmachtend rollend, seine Seele in den Gesang legend, mit Stimme und Gebärden zur liebenswürdigen Tyrannin, die er noch nicht erweicht hatte, um Gunst und Gegenliebe flehend.
Ich durfte ihm nicht anders zu Hilfe kommen, als durch meinen Rat. Das tat ich denn auch redlich, wohl wissend, daß es kein besseres Mittel gibt, ein Weib stark zu machen, als wenn man es recht sehr bittet, schwach zu sein.
Was mich selbst betrifft, so trieb mich mein böser Genius wieder nach der Stadt, zu meiner schönen Betrübten. Der Präsident empfing mich mit offenen Armen. Wir speisten beide allein. Er liebte Lünel zu trinken, zog ihn dem RomanéeLa Romanée ist eine Gegend in Bourgogne im Kanton Nuits, unweit Vosnes, berühmt durch das herrlichste Burgundergewächs. Der dortige Wein kam nicht in den Handel und gehörte früher dem Hause Bourbon-Conti. Uebers. vor, pries mir das köstliche Getränk, erwartend, daß ich in sein Lob einstimmen sollte.
Ich goß ein paar Gläser hinunter und war so gefällig, ihm nicht zu sagen: Daß sein Lünel ein Damenwein sei, ein Wein für junge Demoiselles, ein fader, süßlicher Wein ohne Kraft und Würze. Allmählich hatte ich mich daran gewöhnt, stellte mich wenigstens so, und mir wurde zuletzt das Lob des Lünel so geläufig, daß ich beim Präsidenten für einen stattlichen Weintrinker galt. Drei Tage später bat ich mich wieder zu Gaste, in der Hoffnung, nicht nur Lünel zu trinken, sondern auch meine schöne Wirtin an der Tafel zu finden, und da ein Präsident immer Geschäfte nach Tische hat, mit ihr allein bleiben zu können. Ich irrte mich nicht, sie erschien bei Tische. Er hatte ihr viel zu meinem Lobe gesagt und sie enthusiastisch versichert, ich sei ein junger Mann wie es wenige gäbe, ein junger Mann, der allen Gefahren und Versuchungen von Paris glücklich entgangen sei, ein seltenes Muster von Anstand und Sitten. Sie ihrerseits hatte von meinem ersten Betragen den Teil vergessen, der mir geschadet haben würde und nur dasjenige im Gedächtnis behalten, was sich entschuldigen ließ; denn die Frauen sind immer der Meinung, daß sie auf uns Männer einen so unwiderstehlichen Eindruck machen, daß es keinen leidenschaftlichen Ausbruch, keine Sottise gibt, die sie uns nicht zugute halten könnten. Ich hatte mich auf eine Weise bei ihr eingeführt, die ihr keine Zeit zur Besinnung ließ, und zu spätes Nachdenken sucht ein Frauenzimmer gern von sich zu entfernen. Die Frauen lieben an uns Mut, folglich auch Keckheit, selbst ein wenig Unverschämtheit. Die großen Bewegungen und Kraftäußerungen des Geistes setzten ihre zarte Organisation in Erstaunen; alles, was den Stempel der Sonderbarkeit trägt, richtet in ihren Köpfen eine augenblickliche Verwirrung an. Meine Präsidentin beobachtete sich sehr bei Tische, sie zeigte mir einen zürnenden Blick, aber keine Verachtung. Der meinige flehte um Gnade, aber mit Stolz und ohne Kriecherei. Sie zog während des ersten Ganges ihren Fuß zurück, wenn ihn der meinige suchte; als ich aber im Laufe der Unterredung von dem Kummer sprach, der seit einigen Tagen an meinem Herzen nagte, schlich sich unbemerkt ihr Fuß näher, um nach der Ursache zu fragen; die Hand folgte dem Fuße unter den Tisch; das Herz war schon vorausgeeilt.
Ein unfehlbares Mittel, die Frauen zu besiegen, wäre folgendes: Man müßte erst für sie sterben und dann wieder für sie leben... Nicht eine einzige würde standhalten!
Anbetungswürdiges Geschlecht, nimm die Scherze nicht zu genau, die mir die leichtsinnige Erzählung der leichtsinnigen Streiche meiner leichtsinnigen Jugend in die Feder gibt. Ohne euch Frauen, was wäre das Leben? Wer trüge Begehren danach? Ihr allein ebnet den Pfad des Tränentals, in welchem wir eine kurze Zeit fortwandeln, ohne den Ausgang abzusehen. Eure Stimme ist es, die uns tröstet. Der Wunsch, euch zu gewinnen, macht uns schlechter in dem, was euch betrifft, aber besser in allem übrigen. Ihr verbreitet euren Glanz über unser finsteres, unscheinbares Dasein. Der wilde Mensch, den ihr nicht zähmt und erweicht, ist ein schon in diesem Leben verworfenes Ungeheuer, ein Bösewicht. Die Männer würden sich untereinander zerfleischen, trätet ihr nicht als vermittelnde Engel unter sie und ließet sie fühlen, daß sie ein Herz haben!
Das ist mein Ernst, das übrige war Scherz.
Unser Mittagsmahl wollte kein Ende nehmen. Endlich wurde die Tafel aufgehoben; der Präsident entfernte sich und seine Gemahlin und ich blieben allein, wie ich es vorausgesehen hatte. Ich ging nun mit meiner Verteidigung logisch zu Werke, schob alles auf die Rechnung einer unwiderstehlichen Sympathie, eines überraschenden Gefühls, das mich augenblicklich ergriffen, fortgezogen und aus Rand und Band gebracht habe. Ich mußte eine Menge Vorwürfe anhören oder vielmehr nicht anhören, weil sie mir schon bekannt waren; alles, was sie mir sagte, hätte ich mir selbst sagen können. Es wurde mir die Versicherung gegeben: Mein Sieg würde keinen zweiten nach sich ziehen.N'aurait point de lendemain. Ich bewies dagegen, daß es unerhört, unzart, unverantwortlich von mir sein würde, ihn nicht zu verfolgen; ich stellte den Grundsatz auf: Eine Frau von Ehre und Gefühl, der so etwas begegnet sei, habe kein Mittel sich wieder zu rehabilitieren, als wenn sie sich einer Empfindung überlasse, deren Dauer und Leidenschaftlichkeit ihr zur Entschuldigung diene. Man wollte behaupten, man habe meine Schuld nicht geteilt, sei nicht für mein Verbrechen solidarisch verbindlich. Ich gab es zu, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, denn (bemerkte ich ganz leise), bei Tafel sei sie nicht neutral geblieben, und schon vorher (setzte ich hinzu) sei sie meine Retterin gewesen, als sie den Scheintod ihrer Freundin mit so wahren Tränen beweint habe. Ich gab ihr zu bedenken: In welche Verlegenheit ich sie gestürzt haben würde, hätte ich die Grausamkeit gehabt, sie im Stich zu lassen, oder das Ungeschick, in ihre glückliche Erfindung nicht einzustimmen. – Man errötete einmal über das andere ... man wußte nicht, was man antworten sollte ... man fing an, sich bloßzustellen, sich zu verraten. – Ich hielt ein, um ihrer zu schonen, und überließ sie ihrem Kampfe zwischen Sehnsucht und Scham. Es entstand ein langes Schweigen, während jede Minute von mir benutzt wurde. Ich unterbrach es durch einzelne Liebkosungen und durch die Beteuerung: ich wolle nur unter einer Bedingung glücklich sein – nur wenn sie mein Glück teile. Sie teilte es.
Dieses Glück dauerte zwei Monate ohne Störung, ohne Wolken. – Wie? Zwei ganze Monate? Ist es möglich? Hab' ich es wirklich so niedergeschrieben? – Nun ja, denn sie sprach mir von einer abwesenden Schwester, die sie alle Tage erwarte, und deren Bekanntschaft ich zu machen wünschte.
Aber ach:
Le Temps voile et dévoile tout.Die Zeit deckt alles zu und auf.
Ein nichtswürdiger Bedienter sah uns, verriet uns dem Präsidenten, wollte sich durch die Entdeckung bei ihm beliebt machen. Dem Präsidenten gab dieser Verrat den Todesstoß. Er würde gern die Unwissenheit, worin er lebte, und die der Angeber ihm raubte, mit dem Leben bezahlt haben. Er konnte dem Berichte nicht Glauben beimessen, wollte nur den eigenen Augen trauen, verbarg sich, und sah. Aber er vergoß kein Blut, er machte es wie Joconde,In den Contes de la Fontaine. ergriff die beste Partei, schonte und achtete das Leben seiner ungetreuen Hälfte. Beredter als der Fürst der Lombardei, hielt er uns eine Strafrede, wie sie Cicero in der Toga gehalten haben würde, und schloß sie damit, daß er mir das Haus verbot und seiner Gattin mit dem Kloster drohte.
Diese Drohung ließ ihn in meiner Achtung sinken.
Aber schon am Abend weinte sie so sehr ... so sehr, daß er nahe daran war, ihr Abbitte zu tun und sich einzubilden, er habe falsch gesehen. Er nahm sie mit sich aufs Land, weil es im Leben Vorfälle gibt, gegen welche die Einsamkeit die beste Arznei ist. Soviel ich weiß, hat sich ihre Strafe darauf beschränkt, ebenso ist mir versichert worden, daß er gegen sie den Vorfall niemals erwähnt hat.
Von nun an stieg er wieder in meiner Achtung. Wie glücklich sind die Ehemänner, die sich mit Klugheit und Mäßigung in ihr Schicksal zu finden und zu ergeben wissen! Der Präsident war einer davon, einer der ausgezeichnetsten, eine unbestechliche, unerschütterliche Magistratsperson aus dem goldenen Zeitalter – denn Sophie gewann den Prozeß, obschon ich mich für sie verwendet hatte.
So war der Präsident.
La Bruyère sagt irgendwo: »Wüßte man, was unser bester Freund von uns gesagt hat, man würde aufhören, der seinige zu sein.« Ich meinesteils sage: Wer würde mit seiner Frau glücklich sein, wüßte er um alle ihre Geheimnisse?
Der Präsident hat sich nie weiter danach erkundigt.
Ich erwartete, wie ich schon gesagt habe, seine Schwägerin. Aber die Art, wie ich mich hatte überraschen lassen, machte Aufsehen (denn jede Ueberraschung spricht gegen uns), und da nichts so schnell in Umlauf kommt, als das Böse, so erhielt auch Sophie Wind davon. Es verdroß sie; sie erklärte mir nun rund heraus, sie werde sich vermählen. Das war mir nichts Neues, ich hatte sogar aufgehört, ihr davon zu sprechen.
Als ich Herrn von V... sein Glück hinterbringen wollte, fand es sich, daß er es schon wußte. Hierdurch verletzt, machte ich ihm Vorwürfe, daß er mir die Sache verschwiegen hätte; er beantwortete sie mit Kälte und schob die Schuld auf Sophien, die ihm Stillschweigen auferlegt habe. Ich zog hieraus den Schluß, daß ich ihr Vertrauen zum Teil verloren hatte.
Auch die beste Frau verstellt sich! Allein sie hatte so viel Ursache, sich über mich zu beschweren, daß ich nicht den Mut hatte, ihr Vorwürfe zu machen. Es war mir im Gegenteil lieb, daß sie dem biederen Manne ihre Hand gab, daß sie sich von meinen Bitten und seiner Beharrlichkeit hatte rühren lassen, nur hätte ich gewünscht, daß sie länger widerstanden hätte. – Warum? Den geheimen Grund zu diesem Wunsche fand ich in meinem Herzen, als es zu spät war. Ich unterdrückte schnell die augenblickliche Aufwallung und ein schmerzliches Gefühl, dessen ich mich zu schämen hatte. Ich gewann den Sieg über mich und machte die letzte Anstrengung, um das Glück des Mannes beschleunigen zu helfen, den ich nicht mehr als einen Rivalen betrachten durfte. Ich führte das Paar in die Kirche. Sophie, blaß wie der Tod, hatte Mühe, ihre Fassung zu behalten, ohne Zweifel dachte sie an die Ludwigskirche in Versailles zurück und an die schwache Liebe, die wir auf Felsengrund zu bauen geglaubt hatten. Als sie mit bebender Stimme das Ja sprechen sollte, welches sie zum Eigentum eines andern machte, fragten mich ihre Augen um Rat und Erlaubnis. Ich wandte die meinen von ihr ab, sie schwammen in Tränen. Ich stürzte aus der Kirche, ohne die Vollendung der Weihe abzuwarten, um mich nicht der Gefahr auszusetzen, Zeuge und Ankläger ihres Meineides zu sein. Meine ersten Versuche, einen Schmerz zu überwältigen, den ich mir selbst geschaffen hatte, waren fruchtlos; ich war nicht imstande, den Ausbruch zu bemeistern, der sich meiner bemächtigt hatte und mir im ersten Augenblick, als ich sie wiedersah, die Worte auspreßte: »Möge die Schranke, die sich zwischen uns beiden erhoben hat, mich nicht so leicht Ihre Freundschaft verlieren lassen, als sie mich meiner anderen Rechte beraubt hat!« Dieser Vorwurf war durchaus unstatthaft und unzeitig. Auch hatte er eine plötzliche Ohnmacht zur Folge – ihre Antwort, meine Strafe.
Aber das war auch das letzte Symptom einer unsinnigen Eifersucht, der letzte Funke eines verlöschenden Feuers, die letzte Aeußerung eines Gefühls, welches einen so großen Einfluß auf mein Leben gehabt hat, und – treu bewahrt – mich vor unzähligen Klippen geschützt haben würde, an welchen das Schiff meiner Jugend gescheitert ist.
Lebe wohl, teure, zärtlich geliebte Sophie! Du warst die erste, die in meinem Herzen unbekannte Empfindungen und Rührungen weckte, die erste, für die ich Tränen über eine mit Schwierigkeiten kämpfende Leidenschaft vergossen habe. Lebe wohl, die engste zärtlichste Freundschaft wird uns bis ins Grab vereinen!! Dieses ist mein Trost. Noch einmal, lebe wohl, mögest du ebenso das Glück genießen, als du verdienst, es zu kennen, dieser Wunsch enthält alles, und ist dir Bürge für mich und dich.
Mit Tagesanbruch verließ ich das Schloß, und bei meiner natürlichen Abneigung gegen das Abschiednehmen hinterließ ich ein Schreiben an Sophien und an ihren Gatten.
»Sie werden hier beide den Ausdruck einer Zuneigung finden, die sich nie verleugnen wird, den Ausdruck des Wunsches, daß Ihr Leben ebenso ruhig und heiter sein möge, als das meinige bewegt und stürmisch ist. – Ich habe Ihnen ein Glück vorbereitet, dem ich entsage ... das größte von allen ... das Glück, sich mit einem Herzen zu verbinden, welches man schätzt, welches man liebt, und die Gewißheit zu haben – die schönste für die Zukunft – daß diese Verbindung nur mit dem Tode aufhören wird. Mögen Sie sich in Kindern überleben, die Ihrer würdig sind! Kinder sind ein Geschenk des Himmels, wenn er sie uns nicht zur Strafe gibt; die Ihrigen werden Ihr Trost sein. Wie könnten sie, von Ihnen entsprossen, nicht gedeihen? Um dieses Glück beneide ich Sie, fühle mich aber nicht berufen, es zu verdienen, denn um dessen wert zu sein, und es ganz zu genießen, bedarf es einer Beständigkeit, welche die Leidenschaften und der Strudel der Welt mir geraubt haben, und einer Treue, die mein Herz, vom flatterhaften Instinkt getrieben, nicht fest hält, und die ich im Strome böser Gewohnheit ohne Rückkehr verloren habe. Ich bedarf Ihrer Freundschaft, mich über die Opfer zu trösten, die ich Ihnen bringe, und bitte darum bis zu dem Augenblick, wo ich aufhören werde, sie zu verdienen, das heißt, bis zu meinem letzten Atemzuge. Ich verlasse Sie, aber das Beste in mir, meine innigste Seele, bleibt bei Ihnen zurück!« –
Ich verließ diesen Aufenthalt, als wäre es nicht mein Wille gewesen, ihn zu verlassen; ich verließ ihn ungern und mit Reue.
Die Leichtigkeit, sich in alle Lebensereignisse zu fügen, sich mit Ungestüm an etwas zu hängen, und sich mit Ergebung davon loszureißen, ist eines der sonderbarsten Attribute unsres Wesens. Die Fähigkeit, von einem Gegenstand zum andern überzugehen, die dem Menschengeschlechte überhaupt eigentümlich ist, und nur in den einzelnen sich modifiziert – diese Neigung, abgöttisch zu lieben, was man einst grausam vernachlässigen wird, ein Geschöpf wie eine Gottheit zu verehren, dessen Namen wir einst mit Gleichgültigkeit aussprechen hören und selbst aussprechen werden – diese Gewalt – diese Möglichkeit – dem fremd zu werden, was uns zu einem zweiten Ich geworden war, nichts für die zu empfinden, die einst unsre ganze Empfindung war, kein Herz für diejenige zu haben, für die einst unser Herz allein schlug – diese unerklärliche Wandelbarkeit im Menschen ist eine der unauflöslichen Aufgaben unserer Organisation, eines der dunkelsten Rätsel unseres Wesens, und vielleicht der Hauptvorwurf, den wir unsrer Natur, unserm Seelenbau zu machen haben, weil er uns beständig auf die Betrachtung zurückführt, daß alle unsre TriebeAffections. nur Trümmer sind, und unser ganzes Ich nur eine große Ruine.
Ich möchte einen Menschen kennen, der in seinem ganzen Leben nur zwei Frauen geliebt hätte. Ich setze noch ferner den Fall, er sei von beiden durch die Macht der Umstände, durch den Lauf der Dinge getrennt worden, welche immer mehr Kraft haben als die Menschen und sie mit sich fortreißen; ich nehme an, daß er keine von beiden wiederzusehen bekomme, ohne aufs innigste gerührt zu werden, ohne daß ihr Name ihn in Verwirrung setze; ich nehme ferner an, er spreche von ihnen nur mit einer Art von Andacht, oder noch lieber, er vermeide es, von ihnen zu sprechen; ich nehme an, daß ihr Andenken sein Herz unverwundbar gegen alle Pfeile der Liebe, gegen alles mache, was an Liebe grenzt oder ihren Namen trägt. – Würde ich einer der Glücklichen dieser Erde, wäre er unglücklich – ich würde ihn zu meinem Freunde machen; mein Vertrauen in ihn würde grenzenlos und unwillkürlich sein. Wäre er arm, ich machte ihn zum Herrn und Hüter meiner Schätze, wäre mein Tod sein Vorteil, ich legte unbedenklich mein Leben in seine Hände. Auch ohne Glauben an Gott, an Himmel und an Hölle, auch ohne Furcht vor menschlichen Gesetzen, und außer ihrem Bereich, würde ein Mann wie dieser in meinen Augen ein rechtschaffener Mann sein.
Es fing an Abend zu werden, als ich in die Stadt kam. Ich erfuhr, daß Frau von L. C..., die Schwester der Präsidentin, welche früher eingetroffen war, aus ihrem Unwillen gegen mich kein Geheimnis machte, daß sie ihren Beschwerden freien Lauf ließ, daß sie sich selbst zum Nachteil ihrer Schwester offen erklärte, und mich laut und bitter den Urheber ihres Unglücks nannte. Ich erfuhr zugleich, wie streng ihre Grundsätze, wie feindselig ihre Vorurteile gegen mich waren. – Wieviel Gründe für mich, sie anzugreifen, sie zu überwältigen! Wieviel Antriebe für einen Kopf, wie der meinige damals war, nichts aus der Acht zu lassen, was mir zu einer süßen Rache verhelfen, nichts zu versäumen, was mir den Triumph über ihre Liebe erwerben konnte. Dazu gehörte Nachdenken, Sammlung und ein genau entworfener Plan. Ich brachte die ganze Nacht damit zu.
Am Morgen erbat ich mir unter einem erborgten Namen die Erlaubnis, ihr in einer wichtigen Angelegenheit aufwarten zu dürfen. Ein Reisender wünsche sie zu sprechen, könne sich nur wenige Stunden in der Stadt aufhalten, und habe ihr die allerdringendsten Aufschlüsse mitzuteilen. Mein Jäger hinterbrachte mir, die Dame habe Anstand genommen, und sich vorläufig und angelegentlich nach dem Namen des Durchreisenden erkundigt, der sich auf eine so geheimnisvolle Weise melden ließe. Das bewog mich, auf der Stelle zu ihr zu gehen und mich für einen Grafen von Chantenay auszugeben. Chantenay war der Name eines meiner Güter. Ich wurde angenommen und fand eine Frau, die nicht nur alle Reize besaß, welche mir die öffentliche Stimme versprochen hatte, sondern auch solche, auf die ich nicht vorbereitet worden war, nämlich: ein Organ, einen Ton, eine Haltung, die mich entzückten, und dabei etwas Imposantes und Würdevolles im Wesen, das mich stutzig machte. Als es vollends dahin kam, daß ich mich nennen mußte, und ich es mit allen Zeichen der Bescheidenheit, der Reue, in gesenkter Stellung und mit niedergeschlagenen Augen tat – ja, da mußte ich die ganze Litanei der Gemeinplätze und Gemeinklagen über meine grenzenlose Vermessenheit anhören, sie in ihrem Hause, in ihrem eigenen Zimmer zu beleidigen, ihr Trotz zu bieten, nachdem ich ihre Familie beschimpft, und Trauer und Schande über sie gebracht hätte. Sie bat mich, mich augenblicklich zu entfernen, und legte in dieses Verlangen ein Feuer, eine dringende Ungeduld, welche an Haß grenzte. Sie begreife nicht, sagte sie, was ich für eine Mitteilung, für einen Auftrag haben könne, die nur im geringsten dem Widerwillen die Wage hielten, den sie gegen mich zu haben gestand. – »Verdiente ich ihn, diesen Widerwillen,« versetzte ich, »so würde ich untröstlich sein.« – »Wie?« unterbrach sie mich lebhaft, »sind Sie nicht ...? Aber keine Gegenklage, keine Vorwürfe, keine Erklärungen; geben Sie mir nur soviel zu, Herr Graf, daß wir beide uns nichts zu sagen haben, und zu sagen haben können.« – Mit diesen Worten verneigte sie sich mit vieler Würde gegen mich, und ging auf ihr Kabinett zu. Das durfte ich nicht zugeben; ich warf mich am Eingang auf die Knie und wagte es, die Hand zu berühren, welche in diesem Augenblicke mit kaltem Blute mein Todesurteil unterzeichnet haben würde, so blitzte ihr Auge, so bebte ihre Stimme vor Zorn. Sie entriß mir die Hand mit Abscheu, aber stärker als sie, und mir diesen Mißbrauch meiner Kraft erlaubend, hielt ich sie zurück und beschwor sie, mich anzuhören. Sie willigte ein, um einem größeren Uebel zu entgehen, dem (sagte sie), mir so nahe zu sein. Das waren ihre harten Worte. Jetzt fühlte ich, es sei Zeit, eine höhere Rolle zu spielen, und mich von der kleinen, augenblicklichen Erniedrigung zu erheben, zu der ich mich, um ein Kind zu beschwichtigen, herabgelassen hatte. Ich begann mit etwas Stolz: »Madame, alles, was ich soeben gehört habe, ist mir neu; ich verstehe nichts von Ihren Vorwürfen; ich glaube, Sie nie beleidigt zu haben. Ich komme in einer Angelegenheit zu Ihnen, die Sie nahe genug angeht, weil Sie den Ruf Ihrer Schwester zugleich mit dem meinigen betrifft, und ich habe die Ehre, Sie zu versichern, daß Sie mich anhören werden. Nach dem Vorfall, den man auf eine so lächerliche und unschickliche Weise entstellt hat, habe ich ein Recht, ihn in das wahre Licht zu setzen und ... diesem Rechte werde ich nicht entsagen. Uebrigens wünsche ich nicht,II ne me plaît pas. daß es heute geschehe, teils sind Sie nicht auf diese Erklärungen gefaßt, und ich bin es ebenso wenig, über einen Gegenstand zu reden, der meine ganze Sammlung, meine ganze Aufmerksamkeit und die Ihrige, Madame, erfordert ...« – Ich bemerkte ihr Staunen, und suchte es zu benutzen und sie zu erweichen. Nichts rührt eine edle Frau so sehr, nichts führt in der Liebe so schnell zum Ziel, als wenn man von einer früheren Liebe und von dem tiefen Eindruck spricht, den sie auf uns gemacht hat. Ich fuhr fort: »Erlauben Sie mir für jetzt nur das einzige. Ich hatte gehofft, jene Empfindung, der ich mein ganzes Herz aufgeschlossen, würde die letzte in mir sein, ich hatte gehofft, mein ganzes Leben würde unter den Augen derjenigen verfließen, der ich es widmen wollte, bei ihr wollte ich meinen Lauf vollenden, und in der Wonne wechselseitiger Zärtlichkeit, endlich, und nach so vielen Täuschungen, das Glück finden, für welches ich geboren bin, und welches nur in einer Liebe anzutreffen ist, die der Gegenstand derselben mit uns teilt, und die der einzige Wunsch eines Herzens, wie das meinige, ist.« Hier trocknete ich einige Tränen ab, die ich nicht vergossen hatte, und setzte hinzu, ohne daß sie Miene gemacht hätte, mich zu unterbrechen: »Ein unglücklicher Vorfall hat über meine Vorsicht gesiegt, und das Gebäude umgestürzt, welches meine Hoffnung aufgerichtet hatte; ich muß mich dem Geschick unterwerfen, das mir alles geraubt hat, wenigstens werde ich bis an mein Ende für diejenige alles sein und tun, die durch mich ihre Ruhe verloren hat; ihre Ehre wird ein mir anvertrautes Heiligtum sein, welches keine menschliche Kraft mir entreißen soll.« – Nach diesem pomphaften Bombast,Galimatias. begleitet und gehoben von einer feurigen und beredten Pantomime, hielt ich es für Zeit, mich wegzubegeben, nachdem ich der Dame zweierlei gezeigt hatte, erstlich meine Rührung, zweitens meinen Stolz. Jene ist ansteckend, dieser scheint zu verschmähen, was man zu wünschen das Ansehen gehabt hatte.
Ich war dem Prior des Klosters von ... nicht abhold, der seinerseits für mich in heißer Freundschaft entbrannte. Er hatte einen Koch, dessen sich kein Lukullus geschämt haben würde, und eine schöne Bibliothek, die er im ganzen Ernste glaubte in sich aufgenommen zu haben. Ich hatte ihm zu verstehen gegeben, er sei in meinen Augen der größte Gelehrte; dadurch und auf andere Weise war ich dazu gelangt, ihn in ebenso kurzer Zeit zu meinem Freunde zu machen, als man gewöhnlich braucht, seine Freunde zu verlieren. Er übte eine despotische Gewalt über das sehr reiche Kloster aus. Ich bat ihn um ein Zimmer und um Verschwiegenheit. Er räumte mir jenes ein und versprach mir diese. Endlich, nach einigen Tagen ließ ich mich bei meiner Unerbittlichen melden, fest überzeugt, daß sie mich dieses Mal nicht abweisen würde, um so mehr, da es mein letzter Besuch sein sollte, wie ich ihr sagen ließ, ein Abschied vor meiner nahen Reise nach Paris – eine Audienz, die ich mir erbäte, und in welcher ich versprach, alles aufzuklären.
Ich wurde angenommen. Im Eingange sagte ich: »Ich hoffte, Madame, die Sache, welche sich auf einen Gegenstand bezieht, den ich nicht erwähnen darf, und wodurch sich mein Aufenthalt in der Provinz verlängert hat, heute abzutun, und Ihnen die darauf Bezug habenden Papiere, die ich vorher in Ordnung bringen mußte, zustellen zu können (hier malte sich ein jähes Erstaunen auf ihren Zügen), allein meine auf immer untergrabene Gesundheit, der Zustand meines Herzens, dem die Ruhe geraubt ist, und ein neuer Sturm, der sich seit einigen Tagen in demselben erhoben hat, machen mich zu einer Arbeit unfähig, welche, so leicht sie ist, für jetzt meine Kräfte übersteigt ... Nicht ohne die größte Anstrengung kann ich sie vollenden, und, mit einem Worte, mich aus meinem Nichts erheben und abreisen.«
Sie könne nicht einsehen, sagte sie, inwiefern meine Anordnungen sie angehen könnten ... doch weil ich es so haben wolle ... und es sogar peremtorisch verlange ... sei sie bereit, sich in Erörterungen einzulassen, die ich für unvermeidlich hielte ... Sie sei keineswegs darauf vorbereitet, ein Blatt meines Romans einzunehmen (gut gesagt! dachte ich bei mir selbst), und könne nicht begreifen, was sie in Berührung und in Verwicklung mit jemandem bringen könnte – ich möchte sie entschuldigen! – mit dem sie so wenig als möglich zu verkehren wünschte. ... Gleichwohl fühle sie sich zu einem Schritte hingezogen, gegen welchen sie so viel einzuwenden habe. ... Dessen ungeachtet möchte ich aber überzeugt sein, daß sie zu allem geneigt sein werde, was mit der Ehre und ihren Pflichten bestehen könne (welche Pflichten? Sie hatte keine, sie war Witwe). Ich könne darauf rechnen, daß sie, ihres anfänglichen Vorsatzes ungeachtet, zu allem geneigt sein würde, was sich mit ihren Grundsätzen vertrüge (schöne Redensarten, Worte, Worte! dachte ich).
Während sie sprach, hatte ich nur in den kurzen Augenblicken die Augen von ihr abgewendet, wo es schicklich schien, den ihrigen, wenn sie auf mich fallen wollten, auszuweichen. Meine waren trübe, ohne Feuer, niedergeschlagen, und drückten tiefen Seelenschmerz aus. Und da mir überdies wenig oder nichts zu sagen übrigblieb, da mein Plan so weit gediehen war, als ich es wollte, und es nur noch einer lebhaften Anregung, einer starken Erschütterung bei ihr bedurfte, wagte ich es mit einer Ohnmacht, deren Erfolg meine Erwartung weit überstieg. Denn da die Dame nicht schellen durfte, aus Furcht, sich vor ihren Leuten zu kompromittieren, war sie bereit, mir selbst Hilfe zu leisten, und tat es mit der ängstlichsten Sorgfalt. Es ging so weit, daß sie schon anfing, mir die Brust zu lüften, als ich für gut fand, dem Spiele ein Ende zu machen, damit ihr Eifer nicht erkalten und in bloßes Mitleid übergehen möchte. Ich schlug die Augen auf, einige Tränen kamen mir, ich weiß selbst nicht woher, zu Hilfe, und vollendeten die Täuschung des pathetischen Auftritts. Fanden sie vielleicht ihre Quelle in der Mühe, die ich mir gab, sie zu vergießen, oder waren sie eine natürliche Folge der Rolle, die ich zu spielen hatte, und der Ausdruck einer Rührung, die ich heuchelte? Genug, ich war in diesem Augenblicke der Schauspieler, der sein Talent aus seiner Seele schöpft und weint, weil der Dichter ihn weinen läßt. – Was ich aber mit Entzücken bemerkte, war, daß Frau von L. C... ebenso gerührt war als ich. Ich bedeckte ihre Hand mit Küssen, erholte mich, entschuldigte mich bestens wegen meiner tiefen, rechtmäßigen Empfindung, und schied mit der Miene eines Mannes, der sich anschickt, in den Tod zu gehen.
Ich verließ sie, in Betrachtungen versunken, die sie zu einer unbeweglichen Bildsäule gemacht hatten.
Zwei Tage später bewog ich den Prior, zu ihr zu gehen. Er hinterbrachte ihr, ich sei außer stande, ihr aufzuwarten, und liege seit achtundzierzig Stunden in einem heftigen Fieber. Der gute Mann, der es wirklich glaubte, richtete meinen Auftrag mit einer Wärme aus, und teilte der Dame seine Besorgnisse mit. Sie hielt nicht an sich, schien sich meine Unpäßlichkeit zu Herzen zu nehmen und entließ den Prior nach einem kurzen Besuche mit sichtbarer Gemütsbewegung. Jetzt griff ich sie von einer andern Seite an. Ich schrieb. Der Inhalt meines Billetts war: »Ich hätte eine unerläßliche Pflicht erfüllen wollen, und mich dadurch unglücklich gemacht; ihr könne es nicht verborgen sein, von welcher Pflicht die Rede sei. Indem ich mich gegen ihre Schwester einer schuldigen Verbindlichkeit hätte entledigen wollen, habe ein Augenblick über mein Schicksal entschieden, und zeige mir in der Zukunft nichts als Unglück und Verzweiflung. Es gäbe Leidenschaften, die das Ungefähr erzeuge, und die nur schwache Spuren zurückließen; es gäbe aber auch unzerstörbare Eindrücke, ebenfalls das Werk eines ersten Augenblicks, Strafen des Himmels, für welche die Erde keine Arznei habe. Nachdem ich mit so vieler Inbrunst eine Unterhaltung mit Ihr gewünscht hätte, so würde ihr mein Benehmen ebenso unschicklich als ungereimt scheinen, wenn ich sie jetzt verließe, ohne den Grund anzugeben, warum ich jenen Wunsch geäußert habe; ich müsse sie aber ersuchen, mich zu entschuldigen, wenn ich vernünftig genug sei, einer Gefahr mich zu entziehen, die ich nicht geahnt, nicht gekannt hätte. Ich beschwor sie, keinen romanhaften und verkehrten Ideen den Entschluß zuzuschreiben, sie zu fliehen, indem ich nur zu sehr die traurige Erfahrung gemacht hätte, man müsse sie immer sehen oder sie nie gesehen haben.«
In ihrer Antwort – die ich nicht erwartet hatte – sagte sie: »Ich könne besser als sie die Gründe wissen, die mich früher bewogen hätten, eine Unterredung mit ihr nachzusuchen, und die mir jetzt Anlaß gäben, sie nicht fortzusetzen, sie billige, obschon ungern, alles, was mir Vernunft und Weisheit vorschrieben, sie ersuche mich jedoch, nicht abzureisen, ohne ihr die Papiere zuzustellen, denen ich eine solche Wichtigkeit beizulegen schiene, und welche, wie ich ihr versichert hätte, ihre Schwester so nahe betrafen, mein Billett enthalte manches, was ihr unerklärlich sei, worüber sie aber keinen Aufschluß von mir erwarte; übrigens schätze sie mich jetzt höher, als sie es früher infolge eines unfreiwilligen, aber sehr natürlichen Vorurteiles getan habe; sie ersuche mich, nicht daran zu zweifeln, daß sie in vielen Stücken ihre Meinung geändert habe,Qu'elle ne fût beaucoup revenue. und daß der Gedanke, mir vielleicht Unrecht getan zu haben, in ihr den aufrichtigen Wunsch für mein Glück hervorrufe.«
Nach allem diesem konnte ich mich ohne Bedenken wieder bei ihr einfinden, und mir den Schein geben, als hätte ich in ihrer Antwort eine Art von Einladung, und die Veranlassung gefunden, mich eines Bessern zu besinnen.
Wie glücklich war sie, mich wiederzusehen! Ich bemerkte es im ersten Augenblick, so sehr sie sich auch Gewalt antat, ihre Gemütsbewegung zu verbergen. Kaum aber hatte sie mich ins Auge gefaßt, als der Sonnenstrahl der reinen Freude sich hinter einer dunklen Traurigkeitswolke verbarg!
Schwarz gekleidet, ohne Puder (damals etwas ganz Ungewöhnliches), die Haare verschnitten (d. h. größtenteils unter die Halsbinde versteckt), bleich von allem Wasser, das ich den Tag über getrunken hatte (ein unfehlbares Mittel, so blaß zu werden als ich will), auf den Wangen Spuren vom Tränen (d. h. von Gummi-Arabikum-Tropfen, in Wasser aufgelöst, auf die Haut geträufelt, dann leicht verwischt und getrocknet), die Stirn gesenkt und niedergeschlagen – in diesem Aufzuge, mit diesem Anstand, hatte ich mich am Abend eines trüben Regentages gegen neun Uhr bei ihr eingefunden.
Gemüt und Augen schienen noch trauriger und melancholischer als der Abend.
Ich stellte ihr ein schwarz versiegeltes Paket zu, mit dem Ersuchen, es in meinem Beisein nicht zu öffnen. Ich beschwor sie um die Gunst, mich aufmerksam anzuhören. Sie war nicht imstande, auch wenn sie es gewollt hätte, mich zu unterbrechen. Ich sah in ihr das versteinerte Bild des Schweigens und der Beängstigung.
Ich redete sie an: »Ich kann mir selbst, Madame, über einen Punkt Glück wünschen. Die Irrtümer meiner Jugend haben keinen unheilbaren Einfluß auf mein von Natur gefühlvoll und gut geschaffenes Herz gehabt. (Hier sagte ich glücklicherweise die Wahrheit.) – Hätte der Tod nicht eine Frau von mir getrennt, welche mich mit einer Liebe beglückt hatte, wie man sie in den ersten Tagen der Welt und der Tugend kannte, so würde ich noch immer zu ihren Füßen liegen (auch hier sprach ich wahr!). Wären die Frauen, die nach ihr meine Huldigungen angekommen haben, mir treu geblieben, wären sie mir nicht durch Ereignisse und Umstände entrissen worden, die nicht von meinem Willen abhingen, so würde man mich als ein Vorbild haben aufstellen können, wie man sich einem Gefühl überlassen dürfe, welches die Zeit rechtfertigt, adelt und heiligt. So aber hat alles dazu beitragen müssen, meine Jugend und mein Herz zu vergiften. –
Alles, sage ich, meine Umgebungen, der Strom der Verderbnis, einige Vorzüge und Naturgaben, die ich leider gemißbraucht habe, eine allgemeine moralische ErschlaffungRelâchement. der Grundsätze, welche auch die meinigen lockerer gemacht hat, eine kindische Eitelkeit, welche ihre Ehre und ihren Stolz in Verirrungen sucht, die nur Unruhe und Reue zur Folge haben sollten; meine Gesellschaften und mein Umgang, alles, was ich gehört und gesehen habe – das alles, sage ich noch einmal, hat mich irregeführt, noch ehe ich die Bahn der Erfahrung betreten, und mir den richtigen Gang vorgeschrieben hatte, der das Gute finden und das Böse meiden läßt. Ihre Schwester ist das letzte Opfer des unersättlichen Triebes in mir geworden, Ihr ganzes Geschlecht zu besitzen, eines Triebes, den die Natur in mich gepflanzt hat, und welchem ein durchdachtes System, die Mode und die Leichtigkeit der Erfolge, neue Kräfte lieh. So bringt es die Gebrechlichkeit unserer Natur mit sich, der Mensch begehrt, was er tadelt, und die Neigung zu dem, was ihn verführt, verwandelt sich, selbst wenn er es verwirft und von sich stößt, in ein unwiderstehliches Bedürfnis. Ich bin dafür bestraft worden ... ich bin nicht glücklich gewesen ... nein, ich war es nie, nie habe ich ein Glück von der Art genossen, wozu mein Herz und mein angeborenes Gefühl mich berufen und berechtigt zu haben schienen ... Die Welt bildet sich ein, wir ergötzen, wir amüsieren uns, nichts weniger: unser Herz ist da und straft die Welt Lügen, unter den Rosenblättern liegt der nagende Wurm verborgen ... Es ist beschlossen, ich will meine Strafe beenden, ich will meiner Qual ein Ende machen.« – »Wie, mein Herr« (rief sie mit einem durchdringenden Schrei und blasser als ich) – »Ja, das Leben ist mir zur Last ... seitdem ich Sie gesehen habe.« – »Wie, mein Herr?« – »Ja, ich muß diesem Zustand ein Ende machen, und zwischen der Welt und mir eine Kluft ... die Einsamkeit ... ein ewiges Bollwerk aufrichten. Zu sehr habe ich sie kennen gelernt, die trügerische Welt; nur das Geschenk Ihres Herzens könnte mich ins Leben zurückrufen ... Trost und Ersatz für mich sein ... Aber ich bin es nicht wert, Sie zu besitzen ... Der schnelle, unbegreifliche Eindruck, den Sie auf mich gemacht haben, berechtigt mich nicht, zu wünschen ... ist kein hinreichender Grund zu einem Bunde zwischen Verbrechen und Tugend. ... Doch davon kann die Rede nicht sein. ... Schon lange nährte ich den Entschluß, den jetzt die Leiden, welche den Frühling meines Lebens vor der Zeit haben verdorren lassen und die noch größeren Qualen einer neuen Leidenschaft, die mich überwältigt, unwiderruflich machen. ... Ich will mich von allem losreißen, mich durch Gelübde binden und in den finsteren Mauern eines Klosters, Ruhe – oder den Tod – finden. Unser würdiger Prior leitet und bestärkt mich in diesem Vorhaben, ich selbst beschäftige mich mit Inbrunst damit. Ich lasse nur eine Rückerinnerung zurück, die mein Leben vergiften wird; allein, mein frommer Freund wird mir den Pfad der Buße ebnen, ich höre in ihm die Stimme meines Berufs.«
Hier schwieg ich, es war hohe Zeit.
Jetzt sie:
»Der Zustand, worin ich Sie sehe, überwältigt mich (ein seltsamer Ausdruck! dachte ich). Ich fühle mich selbst, ich weiß nicht wie. Was kann Sie zu einem so verzweifelten Entschluß bringen? Wäre es nicht vernünftiger, zu warten, bis sich Ihre Gesundheit befestigt hat? Unser physisches Wesen hat weit mehr Einfluß auf unser geistiges, als man denkt. Sie sind nichts weniger als wohl; ja, seit dem letzten; Mal, da ich Sie sah, sind Sie fast unkenntlich geworden. Von welcher unüberwindlichen Leidenschaft ist denn die Rede? Ist es wohl denkbar, bei der Gewalt, die Sie über sich selbst – und unglücklicherweise über so viele andere – haben, daß Sie so schwach sein werden, unter einem Eindruck zu erliegen, den Sie hätten bekämpfen sollen, ehe Sie ihn für unbezwingbar erklärt haben? ... Wie können Sie eine Lebensart ergreifen, die so bizarr ist, so sehr mit Ihren Neigungen und Gewohnheiten im Widerspruch steht? Ich warne Sie vor dem bitter täuschenden Glauben an einen Beruf! Vor dem Eintritt in die Lebenshölle, über deren Eingang die Worte geschrieben sind: »Hier bleibt die Hoffnung zurück!«Worte des Dante in seinem Gedicht: Die Hölle. – Ich. »Wie schön dies gesagt ist! Aber Ihr Verstand scheitert, wo Ihr Herz allein mich in den Hafen steuern könnte. Sie könnten ...« – Sie. »Was könnte ich?« – Ich. »Mich ins Dasein zurückrufen; meinem Leben einen Wert geben, den es verloren hat.« – Sie. »Ich könnte es? Wie sollte ich?« – Ich. »Mich der Tugend wiedergeben!« – Sie. »Suchen Sie vor allen Dingen, Ihre Vernunft wieder aufzufinden.« –
Ich. »Unmöglich! Bei Ihnen habe ich sie verloren, und so lange ich Sie sehe, ist keine Hoffnung. ...« – Sie. »Halten Sie ein! Sie haben meine Schwester unglücklich gemacht, wollen Sie auch noch ...« – Ich. »Ihre Schwester? Sie vergleichen sich mit Ihrer Schwester? Wie können Sie sich so weit ...« – Sie. »Halten Sie ein. Meine Schwester ist eine liebe, liebenswürdige, ausgezeichnete Frau.« – Ich. »Ich gebe es zu, aber sie ist – eine Frau. Sie hingegen sind höherer Natur. Wären Sie zwei Schwestern, warum hätte ich nicht aus den Augen der älteren das verzehrende Gift, die unauslöschliche Flamme gesogen; die mir aus den Ihrigen entgegenströmt und mein Herz verzehrt? Ja, (indem ich mich ihr zu Füßen warf) mein Herz hat nur die Wahl zwischen Ihnen und dem Tode, wenn ich nicht eile, eine ewige Scheidewand zwischen uns aufzurichten! Aber auch dann verschmähen Sie meine letzte Bitte nicht, vergessen Sie nicht ganz den Unglücklichen, der, weil Sie ihm nicht vergönnen, in Ihrer Nähe zu leben, sich in die Einsamkeit verbannt hat, um, fern von aller Zerstreuung, mit ihrem Bilde im Herzen ein elendes Leben zu führen und zu enden!«
Als ich so sprach, hatte sich ihr Kopf an meine Schulter gelehnt; brennen die Tränen übergossen mich – tiefe Seufzer erstickten sie; – der Augenblick war erschienen; – vielleicht der einzige – ich ließ ihn nicht vorüber.
Mein Sieg war entschieden, sie lag in Ohnmacht; das schwarzgesiegelte Paket war auf den Boden gefallen; ich hob es auf, steckte es zu mir, benetzte meine Augen mit Kölner Wasser, das für Tränen gelten sollte, spritzte ihr davon ins Gesicht; sie erwachte, schlug die schönen beschämten Augen auf, heftete sie auf mich, mehr mit Verwirrung als zürnend.
Mit Rührung gedenke ich ihres Zustandes; er war von aller Ziererei so entfernt, daß sie es verschmähte, in Vorwürfe und Klagen auszubrechen und zu den bekannten Künsten und Auftritten ihre Zuflucht zu nehmen, die so alt sind wie die Liebe, wie ihre Niederlagen und Siege. Nur die wenigen Worte sprach sie: »Nicht wahr? Sie entsagen Ihrem sinnlosen Entschlusse? Ich allein will die Unglückliche sein! Doch nein, ich bin es nicht, denn Sie werden mich nicht verlassen!«
Gewöhnliche Männer sind der Meinung, daß sich alle Frauen auf eine und dieselbe Weise ergeben, so wie gewöhnliche Frauen der Meinung sind, daß alle Männer nur auf eine Weise sich hinreißen lassen. Wie unedel! Wie unzart! Selbst die Schönste der Schönen bedarf eines magischen Reizes, um ihren Fall zu veredeln und sich von ihrem Fall zu erheben. Die Reminiszenz nach dem Siege macht uns zu wahrhaft Verliebten oder Nichtverliebten.Dasselbe sagt Rousseau: Femme trop facile, voule-vous savoir si vous êtes aimée? Examinez votre amant sorti de vos bras. O amour! si je regrette l'âge où l'on te goûte, ce n'est pas pour l'heure de la jouissance, c'est pour l'heure qui la suit. Eine mittelmäßig schöne Frau, die in ihre letzte Gunst Grazie und Anstand legt, hat einen Vorzug vor denen, welche nur Reize entfalten und sich ohne angeborenen Zartsinn, ohne das natürliche, wenigstens ohne das unmerklich erkünstelte Sträuben der Unschuld, preisgeben. Nur ein solches schafft den Liebeszauber, setzt ihn weit über den Genuß hinaus und vervielfältigt ihn durch das Nachdenken. Venus selbst löst ihren Gürtel mit schamhaftem Erröten.
Diese Kunst, diese schöne Natur lagen in Frau von L. C. ...
Unsere Tage flossen in einer süßen Sorglosigkeit dahin, welche die Frucht gegenseitiger Liebe ist, wenn Tag und Nacht, Nacht und Tag in beständiger Wonne abwechseln und nichts das Glück gleichfühlender Herzen stört. – Nichts? – Ach, unser Glück wurde grausam gestört. Das furchtbare Uebel, das nur in der Impfung sein Gegengift findet, richtete auf einem Gesichte, das ich anbetete, seine Verheerungen an. Während der ganzen langen und gefährlichen Krankheit verließ ich das Zimmer der Leidenden nicht. Ich setzte mich der Gefahr der Ansteckung aus, wich nicht von ihrem Lager, übernahm allein alle Hilfeleistung und Pflege, und jeder Dienst, den sie aus meinen Händen erhielt, machte sie mir teurer. Noch mehr: Ich dachte nicht einmal daran, daß sie mir das Gift mitteilen könne, oder, wenn ich daran dachte, so geschah es mit einer Art von Entzücken: »Du teilst die Gefahr mit ihr, folglich ist es keine, – im Gegenteil ein Glück – das Glück, mit der zu sterben, die du liebst!« – Das Ausbruchfieber war von beständigem Irrereden begleitet; sie rief mich unaufhörlich bei Namen, ich saß ihr zu Häupten und sie sah mich nicht, meine Verzweiflung war grenzenlos. Dabei war es aber eine überlegte Verzweiflung, der es nicht gleichgültig war, daß sie mich zum einzigen Gegenstand ihrer Gedanken machte, daß mitten unter ihren körperlichen Leiden ihr Geist sich mit dem meinigen beschäftigte. Aber das entsetzlichste erwartete sie. Schmerzen sind nichts in Vergleichung mit der fürchterlichen Ueberraschung, mit dem Schreck über – Verunstaltung. Wie entsetzte sie sich, als sie zum erstenmal, meinem langen Widerstande einen stärkern entgegenstellend, in den Spiegel blickte und ihre verwandelten Züge sie sich selbst unkenntlich machten. Vergeblich tat ich aus vollem Herzen den Schwur, daß sie für mich noch immer dieselbe sei. Sie traute wohl der Wahrheit meiner Eide, aber noch mehr der Wahrheit des Spiegels.
»Ich lasse Ihnen Gerechtigkeit widerfahren,« sagte sie, »aber auch mir!« Ich durchschaute nicht gleich den Sinn dieser Worte; einige Wochen später wurde er mir klar. Frau von L. C. ... zog sich in ein Kloster zurück, aus welchem (sie ging hierin ehrlicher und aufrichtiger zu Werke als ich) meine Bitten und Vorstellungen sie nicht zurückbringen konnten. Sie selbst bat mich, nach Paris zu gehen und versprach mir, für den Fall erprobter Treue, ihrem Vorhaben zu entsagen und sich mir zu schenken. Ich bot ihr meine Hand an, und zwar unverzüglich (ehrlich und aufrichtig); sie war fest wie Eisen und Stahl und widerstand meinem Flehen und meiner Liebe. – Was blieb mir übrig? Ungern und mit Kummer reiste ich ab, fühlte mich unglücklich und ward es noch mehr, als ich erfuhr, daß sie ihre Gelübde abgelegt hatte – Gelübde, die sie mir auf immer entzogen.
Welch ein Zauber liegt im Hindernis! Welche Macht in der Unmöglichkeit! Welche Ungeduld erregen beide, welche Reue ohne Trost, welche hoffnungslose Wünsche!
In ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit erlebte Frau von L. C. ... den Anfang der Revolution, und vertauschte seitdem diesen Aufenthalt mit einem Kloster in Deutschland. Hier lebt sie noch, indem ich dieses schreibe. Möge sie sich ebenso glücklich fühlen, als sie, mit allem Jugendreiz übergossen, zur Zeit unserer Bekanntschaft es zu sein glaubte! (Sollte sie dem flüchtigen Augenblick unseres Frühlings und dem schönen Vaterlande, welches wir beide verloren haben, eine Träne widmen, so fließe sie ohne Bitterkeit, als Ausdruck einer schwärmerischen Melancholie, welche köstlicher ist, als die Freude!
Die Vorsehung bediente sich meiner ungeweihten Hand, sie der Gottheit zuzuführen; ich ward für sie ein Gnadenwerkzeug; ich öffnete ihr die Tür zum Heiligtum, ungefähr wie der mechanische Arbeiter den Ton zubereitet, aus welchem die Porzellanvase geformt wird, welche im reichen Schmuck der Kunst die Tafel der Könige ziert.
Aber der große Hebel weiblicher Bekehrungen ist die Häßlichkeit. Häßlichkeit macht die Weiber zu Betschwestern oder zu Teufeln – nicht selten zu beiden zugleich.
Der Graf von Maillebois lebte damals auf seinem Landsitze und dachte über die Ungerechtigkeit nach, die ihm den Marschallstab vorenthielt. Dieses Unrecht beschäftigte ihn ausschließlich und war das Lieblingsthema seiner Unterhaltungen; übrigens wußte er sie auch mit anderen Gegenständen zu würzen, welche für seine Freunde ein lebhafteres Interesse hatten. Er hatte mich oft eingeladen, seine Einsamkeit mit ihm zu teilen, deren Zierde eine geistreiche Gattin war, die er früher angebetet hatte und noch zu lieben glaubte. Ein allerliebstes junges Mädchen war ihre Gesellschafterin. La Fontaines bekannter Vers:
Et la grâce, plus belle encore que la beauté,
schien für und auf diese gemacht zu sein. Ich kam an, als sie eben ging und sah sie kaum, als sie verschwand, gleich einem letzten Sonnenstrahl, welchen die Wolke auffängt. Vierundzwanzig Stunden nach meiner Ankunft verließ sie das Haus und schenkte mir zum Andenken eine niedliche Zeichnung, ihr oder eines Engels Werk. Dieses kleine Geschenk hätte mir beinahe das Leben gekostet: Denn als mich lange nachher in der Nähe von London Straßenräuber überfielen und ich ihnen ohne Widerstand Uhr und Börse überließ, aber mich durchaus nicht von einer kleinen hölzernen, rosafarbenen Büchse trennen wollte, worin Kleinigkeiten und besonders die kleine, hübsche Zeichnung lag, die so großen Wert für mich hatte, war einer dieser Herren übelgelaunt genug, zur Strafe, beim Wegreiten, sein Pistol durch das Wagenfenster auf mich abzudrücken. Ich habe ihr Talent und die hübsche Hand nicht vergessen, womit sie so allerliebst malte. Noch weniger habe ich vergessen, wie sehr sie in das Altertum, in die antiken Modelle und Kostüme verliebt war, und schon damals sich kleidete, wie es später unter uns Sitte geworden, und wie man sich im alten Athen, unter dem schönen Himmel Griechenlands, trug.
Sie ist das erste Weib, welches ich den Beweis führen gehört hatte, daß Europas weibliche Tracht naturwidrig sei, daß es ihr an Grazie, an Bequemlichkeit fehle, und daß selbst die Gesundheit darunter leide. Sie trug statt aller Bekleidung eine lange, weiße Tunika, vorn übergeschlagen, unter der Brust mit einer Rosaschärpe befestigt. Ihr Kopfputz bestand aus einer Blume im Haar. Nie habe ich schönere Formen gesehen, edler gezeichnete Konturen, eine anständigere Nacktheit einzelner Teile, es ist unmöglich, sich von ihrer so anziehenden und zugleich schmucklosen Toilette einen Begriff zu machen. Sie schien zum Beglücken geschaffen und gebildet. Sie hatte die Güte, mir in einem kurzen, erklärenden Aufsatz das ganze System ihrer Tracht zu entwerfen. Ich teilte einigen Freundinnen in Paris die kleine Schrift mit; allein es fehlte ihnen an Mut, schon damals die antike Grazie und Vernunftmäßigkeit anzunehmen. Doch muß man auch gestehen, daß zur Annahme einer solchen Bekleidung ein anderes Klima, als das Pariser erforderlich ist, wo die zu leichte Tracht so manche Schöne in ihrem Lenze dahinwelken läßt wie frühzeitige Blumen, wenn sie des Schutzes entbehren, der sie vor der rauhen Jahreszeit verwahren soll.
Nachdem ich den Grafen von Maillebois verlassen hatte, welcher damals so wenig wie ich eine Revolution vorhersah, die sich immer wider meinen Willen in meine Feder drängt, begab ich mich wieder nach Paris, und ließ, so viel es nur möglich war, alle Rückerinnerungen an die Provinz und an das, was mir begegnet war, hinter mir zurück. Eine der ersten Zerstreuungen, die mir begegneten, führte mir das Ungefähr an einem Abend zu, als ich die Oper verließ. Ich erneuerte daselbst die Bekanntschaft mit der liebenswürdigen Frau von L. ..., die ich früher in Mans und später bei Fräulein von Coulanges gesehen hatte. Letztere galt für die erste Schönheit von Paris; aber sie blieb nicht lange im Besitz dieser Ehre. Der Tod mähte die zarte Blume in der ersten Hälfte des Tages ab. Sie starb, angebetet vom Prinzen von Bauffremont, welcher das Eis seines Winters an der Glut ihrer Frühlingssonne erwärmte und mich selbst bei seiner Geliebten eingeführt hatte, ohne es zu ahnen, daß ich ihm einen – Pagenstreich spielen würde, obschon ich nicht mehr Page war. Aber es geschah; und wenn ich von diesem Vorfall nicht zu seiner Zeit gesprochen habe, so war's, weil die Liebelei nur kurze Zeit dauerte, nichts Besonderes hatte, der Zerstreuung und der Gleichgültigkeit Platz machte, und weil es kleinlich und langweilig ist, alles zu sagen. – Ich fand Frau von L. ...wieder, wie ich sie vor ihrer Verheiratung nur flüchtig gesehen hatte; ich fand sie ebenso allerliebst, aber ausgebildeter; sie entfaltete alle Grazien, alle Reize, welche sie früher nur angedeutet hatte.Auxquels elle préludait alors. Ich sah sie wieder und fand in ihr die erlernte Haltung, die pikante Sicherheit, die der Ehestand gibt und denen ich vor den schüchternen, gespielten oder wirklichen Zierereien des jungen Mädchens, das sich in der Liebe versuchen oder sich gegen die Liebe sperren will, den Vorzug gebe. Ich hatte bei unserer ersten Bekanntschaft nicht übel Lust gehabt, mich ihrem Herzen zu nähern, hatte mich aber nicht tiefer eingelassen, weil mir die Mama – eine beschränkte Seele, die bei allem aufschrak, und über alles zitterte, was ihre Tochter betraf – Felsen in den Weg rollte. Ich darf nicht aus der Acht lassen, daß an jenem Opernabend eben diese Mutter, in Abwesenheit des Gatten, ihre Tochter begleitete, und daß sie selbst noch alle Vollkommenheiten der Schönheit, aber einer Schönheit an sich trug, welche täglich einen Vorzug nach dem andern einbüßt und sich mit starken Schritten dem Niedergang nähert. Ueberhaupt gibt es im Frauenleben einen glücklichen Zeitpunkt, wo die Reize sozusagen stationieren, und wo die Augen noch glänzend vom Feuer der Jugend der gehorchenden Zeit den Befehl zuwinken, vor ihnen vorüberzugehen. Auf diese Periode folgt aber rasch einfallend eine zweite, wo jede Minute eine Blume welken macht, einen Reiz raubt, ein Verführungsmittel zerstört; dann bringt jeder Augenblick eine Verheerung, dann sind die Frauen noch heute begehrenswert, morgen sind sie es weniger, übermorgen gar nicht. Wie teuer ist alsdann jeder Augenblick! Wie kostbar jede Gelegenheit, zu der Jugend und ihren Freuden zurückzukehren, ehe die Zeit kommt, wo sie für uns abgeschlossen sind! Da heißt es bei der Frau nicht mehr »Ueberlegen«, sondern »Genießen«.
In dieser Lage befand sich die Mutter der Frau von L..., und ihre Ideen über diesen wichtigen Punkt stimmten ganz mit den meinigen, wie ich sie hier aufgestellt habe, überein. – Strenge gegen ihre Tochter, welche noch Raum und Zeit vor sich hatte; Nachsicht gegen sich selbst, welcher beides abging. Beides ließ sich erklären. Beides war recht schön, aber zu gotisch für mich. Ich entschied mich schnell zu einem Vergleich: Die Nachsicht gab ich zu; die Strenge bekämpfte ich.
Ich fing damit an, der jungen Person zu eröffnen, daß ich seit langer Zeit ihr Anbeter sei, und daß ihre Mutter es nicht zugeben wolle, weil sie mich ganz allein in Beschlag zu nehmen, und mein Herz für sich zu besitzen gewillt sei. Der Mutter sagte ich: Sie habe mir vom ersten Augenblick an eine überlegteRaisonnée. Leidenschaft eingeflößt; dabei dürfte ich ihr aber nicht verbergen, daß ihre Tochter Absichten auf mich habe. Ich setzte hinzu: Meinem Herzen sei eine übermäßige EmpfänglichkeitSensibilite. angeboren; und da ich nur dies eine Herz besäße und es von ihr erobert sei, könne ich mich unmöglich in zwei Liebschaften teilen; daher müsse ich sie beschwören, es für sich zu behalten und nur zuzugeben, daß ich mich gegen ihre Tochter gefällig zeige, um ihrer Eigenliebe zu schmeicheln und uns von dieser Seite Ruhe zu verschaffen. – Die junge Person schien mir nicht ganz zu trauen; aber die Mutter zog gelindere Saiten auf. Wieviel weibliche Tugenden sind nur rauh und lärmend, weil man sie nicht angreift! Aus diesem Grunde griff ich die ältere Tugend an, und als sie nachgegeben hatte, richtete ich es so ein, daß die Tochter die Niederlage merken mußte. Ich gab ihr einen Wink und erleichterte ihr die Mittel, uns zu überraschen. Die Mutter, wohl oder übel, ließ sich alles gefallen, um Friede und Verschwiegenheit zu erkaufen. Sie mußte einen Liebhaber abtreten, der so ungeschickt gewesen war, sich betreffen zu lassen, weil er eine Türe abzuschließen – vergessen hatte, und ebensowenig, als seine junge Mitschuldige, den schwarzen Verrat zu gestehen Lust hatte. Auf diese Weise konnte meine Huldigung zur Tochter, als zu ihrem ersten und natürlichen Gegenstand, zurückkehren. Doch, da es Pflicht ist, Verräter zu bestrafen, selbst wenn man aus ihrem Treubruch Nutzen zieht, so war ich Bösewicht genug, neue Mittel zu finden, die verlassene Dido zu trösten, ohne daß es ihre hübsche junge Rivalin geahnt hätte. Ja noch mehr: Ich war nahe dabei, der Tochter überdrüssig und der Mutter treu zu werden. Jedoch, ich besann mich noch zu rechter Zeit, brach beider Umgang zugleich ab, schrieb nach einigen Wochen beiden zugleich ein Abschiedsbillett gleichen Inhalts, und dieser große Gedanke, der ohne Mühe in mir entstanden war, schenkte uns dreien zugleich die Freiheit wieder.
Frau von L ... fand sich anfangs durch einen Schritt, den sie ein schlechtes Verfahren nannte, beleidigt,Choquée. hatte aber bald Takt und Verstand genug, darüber zu lachen (denn worüber lacht die Jugend nicht?). Ihre Frau Mutter nahm die Sache nicht so leicht (ich habe es schon gesagt: In ihren Jahren versteht man keinen Spaß in diesem Punkte). Sie grollte und benahm sich viel zu theatralisch, denn das Ereignis war unbedeutend und ich hatte ihr ziemlich lange gehuldigt. Sie hat mir den Abfall nie verziehen.
Beide Damen wohnten im Hotel Choiseul. Der Vater hatte eine Anstellung in dem Bureau des Herzogs gehabt, und es ist möglich, daß die liebenswürdige Frau von L...diesen geistreichen aber unmoralischen Minister zum Vater gehabt habe. Der Herzog von Choiseul hatte sich an das Ausland verkauft; er ist eine Pest für den Staat gewesen und hat die Krone entwürdigt; gleichwohl ist er nicht des Verbrechens schuldig, womit man sein Andenken hat belasten wollen; er hat den Tod des unglücklichen Vaters Ludwigs XVI. nicht auf dem Gewissen. Sein Bruder, der Marschall von Stainville, ein mittelmäßiger Kopf, ein hartherziger und gehässiger Charakter, reichte ihm nicht das Wasser. Ich werde diesen näher schildern, wenn ich zu einem Zeitpunkt komme, wo ich zu meinem großen Nachteil gegen ihn, gegen seine Dummheit und seine Ungerechtigkeit anzukämpfen hatte.
So hat denn eine Folge schlechter Minister das schöne Frankreich in eine unheilbare Verwirrung gestürzt. So tragen überhaupt schlechte Wahlen dazu bei, daß ganze Dynastien untergehen und verschwinden. So schreiten bestochene oder untüchtige Minister als höllische Erscheinungen daher, gehen dem Fall der Reiche voraus und stürzen die festesten Throne in den Staub. Sie selbst gehen vorüber, treten vom Schauplatze ab, lassen das herrschende Geschlecht hinter sich, welches bald nachher durch ihre Schuld verloren geht, für ihre Fehler und Verbrechen büßt, oft ein ganzes Volk, oft mehrere Völker in seinen Fall mit fortreißt, und einen allgemeinen Umsturz der bürgerlichen Ordnung nach sich zieht.
Ihr neidischen, abgünstigen, unzufriedenen Seelen, die ihr euch nicht über die Vorzüge trösten könnt, welche man, mit Recht oder Unrecht, vor euch hat; ihr, denen die Glücklichen ein Dorn im Auge sind; ihr, die eure Verdienste unaufhörlich mit denen anderer vergleichet, um euch mit der Einbildung zu quälen, wie ungerecht, wie blind das Glück sei; schaut her, überzeugt euch, daß die großen Lücken, die in den eingeführten Rang- und Klassenordnungen entstanden sind, daß der furchtbare Einriß in das hierarchische Blatt des geistlichen Kodex dazu da sind, um die Ruhe wiederherzustellen; laßt euch sagen, wie nichtig die Gaben der Glücksgöttin, und wie gehaltlos die Urkunden sind, die sich nicht auf den wirklichen inneren Wert des Begabten gründen.
Macht es euch bequem; arbeitet euch nicht ab, Grundsätze aufzustellen, Folgerungen zu ziehen, auf gegebene Grundlagen zu bauen; verliert keine Zeit mit verwickelten Berechnungen, verwendet keine Kräfte auf Vergleichung der Wahrscheinlichkeiten,Calculs de probabilités. schließt nicht von dem, was ist, auf das, was sein soll: Denn das unbezwingliche Schicksal, das Fatum, welches die Alten zu einer Gottheit erhoben haben, wird eure Kombinationen umstoßen und euch zeigen, daß, was die Menschen für die Regel halten, nichts weiter ist als flüchtiges Uebereinkommen; das Fatum wird euch die Ungewißheit und Leere eurer eingeführten Gebräuche lehren; es wird euch dartun, daß es für euch keine feste, sichere Stellen gibt, daß in der Natur nichts unwandelbar ist als die Wandelbarkeit, nichts stetig als unsere Unwissenheit, nichts erwiesen als unsere Blindheit, und daß alle Folgen und Wirkungen, die uns selbst im System unserer armen menschlichen Ordnungen in Verwunderung setzen, uns nur deswegen wundernehmen, weil unseren schwachen Augen alle Grundursachen entgehen.
Dem, der ernstlich darüber nachdenkt, wird die Lust vergehen, sich auf seinen Scharfsinn etwas zugute zu tun.
Ich beschäftigte mich nicht mit Gedanken dieser Art, als ich eines Abends mit dem Marquis von Genlis durch das Palais-Royal ging und von einer Frau angehalten wurde, die mich einlud, ihr zu folgen. Ich hatte eben keine Lust, ihr Gehör zu geben; aber Genlis betrachtete sie näher, fand in ihr einen Schatz von Reizen und las auf ihrem Gesichte, daß sie nicht für ihr Gewerbe geboren sei. Je mehr er ihre Haltung und ihr Wesen herausstrich, desto mehr lachte ich ihn aus und drang in ihn, sich zu entfernen. Wie wenig sah ich voraus, was meiner wartete und welches pathetische Widererkennen mir bevorstand! Diese Frau war – meine AlineBeziehung auf Boufflers Aline, reine de Golconde. Uebers. (hat nicht jedermann die seinige?), meine junge, frische Bäuerin, welche in einem der lieblichsten Dörfer von Frankreich, unter dem Himmelsgewölbe, die erste Huldigung der Liebe von mir erhalten hatte. Wie wäre es nun möglich gewesen, ihr nicht in ihr Dachstübchen zu folgen und ihre Geschichte sich erzählen zu lassen? Sie war nur einfach; ihrer Lebensereignisse waren wenige; ach, und diese wenigen waren die natürliche Folge ihres und meines ersten Fehltritts. Was sie mir erlaubt hatte, erlaubte sie anderen; ihre Eltern hatten sie verstoßen.
Die Libertinage ist anfangs ein scheues, furchtsames Kind, wird aber bald zum Riesen und wächst in einem fort, bis sie zusammenstürzt. So war es dem Mädchen ergangen. Sie war nach Paris gekommen und in den Abgrund versunken, der unter der Gestalt eines einzigen Lasters sie alle verbirgt. Nach manchem Glückswechsel war sie in ein Elend geraten, aus welchem wahrscheinlich nichts sie gerettet haben würde. Sie schien nicht, sie war bei dieser Erzählung gerührt. Uns lockte sie Tränen ab, uns, besonders mir, der sich den strafbaren Anteil an ihrer Lage, an ihrer unwürdigen Lebensart nicht verbergen konnte. Herr von Genlis gab ihr mit der ihm angeborenen Freigebigkeit und Großmut alles, was er bei sich hatte, und sagte dabei: Er fühle sich glücklich, das Unrecht eines Freundes zum Teil wieder gutmachen zu können, in der Hoffnung, daß es ein andermal ein Freund ebenso mit ihm machen würde. Ich meinesteils handelte noch besser, handelte aber aus Pflicht so. Ich brachte sie in die Vorstadt Saint Jaques zum Arzte S..., und nachdem ihre Gesundheit wieder hergestellt war, versah ich sie mit dem nötigen Reisegelde, schickte sie nach der Normandie und verheiratete sie mit einem Hägereiter, der ihr ohne Umschweif alle seine verliebten Waldabenteuer gebeichtet hatte; ob sie ihm die ihrigen gestanden und die Quittungen vorgezeigt haben werde, lasse ich unentschieden.
Warum habe ich nicht immer auf diese Weise mit wenig Gutem, was so leicht getan ist, das Böse wieder ausgeglichen, welches oft so viel Mühe kostet, und so selten ungeschehen gemacht werden kann! Fehler verbessern, ist die Tugend derer, denen die übrigen fehlen.
Dieser Teil meines Lebens zeichnete sich durch zwei, mir zur Gewohnheit gewordene Gemütsrichtungen aus, welche ich nur mit großer Mühe habe bekämpfen und mit noch größerer überwinden können. Die erste war: Der beständige Gedanke an den Tod, keineswegs aber mit Furcht verbunden. Die zweite war: Eine unwillkürliche Beschäftigung meines Geistes, bestehend in Träumen einer zügellosen Einbildungskraft, in Hirngespinsten, Täuschungen und Luftschlössern.Châteaux en Espagne. Es war mir oft stunden- und tagelang unmöglich, mich aus Lagen herauszuarbeiten, in welche mich meine Phantasie gebracht hatte. Heute war ich der Anführer eines siegreichen Heeres; ich eroberte eine Festung mit Sturm; meine Krieger hatten Wunder der Tapferkeit vollbracht; ich hielt nun die Wut des Siegers zurück, und meine Milde wurde von den Ueberwundenen gesegnet. Morgen war ich König. Mein Hof war der glänzendste in Europa; ich ernannte zu den Großwürden meines Reiches; ich setzte lange Verzeichnisse tüchtiger Staatsbeamten auf; ihr Fleiß und ihre Brauchbarkeit rechtfertigten meine Wahlen. Nur fand ich oft große Schwierigkeiten, die von mir gemachten Entwürfe zu verwirklichen; dies kostete mir viel Kopfzerbrechen. Ich begünstigte die Künste, tat weniger zur Aufmunterung der Literaten, denn mir war ihre große Unkenntnis der Welt, ihr noch größerer Eigendünkel, ihre Undankbarkeit und der Widerwille bekannt, mit dem sie sich in das Joch der Oberherrschaft und in die Untergebenheit fügen. Ich gab Feste; Feste gehören zu den Pflichten eines Königs, wenn er die übrigen erfüllt hat. Ich war auf den Glanz meines Thrones bedacht; denn das heißt, auf die Erhaltung desselben bedacht sein. Wer diesen Satz leugnet, verdient zu den Dummköpfen gerechnet zu werden oder zu den Faktionsmännern, für die es die größte Freude ist, das herabzusetzen, was sie hassen. – Ein anderes Mal verwandelte ich mich in einen christlichen Redner. Als ein zweiter Bossuet donnerte ich von der Kanzel herab; Könige und Völker erbebten vor der erhabenen Sprache, die ich führte, und das Lob, welches ich den Großen im Grabe erteilte, war für sie eine Hindeutung auf ihr lebendes Nichts. – Wieder ein anderes Mal war ich der begünstigtste Liebhaber einer großen Königin, der meine reiche und freigebige Einbildungskraft eine Macht ohne Grenzen, eine Schönheit ohne Flecken lieh. Ich hatte alle meine Nebenbuhler entfernt; die Welt lag zu ihren Füßen; sie lag zu den meinen. – Noch ein anderes Mal hatte ich die Narrheit (denn eine Narrheit war's), mein Leben über mehrere Jahrhunderte ausdehnen zu wollen. Ich legte mir die Macht bei, alle Formen, die mir gefielen, anzunehmen; ich durchreiste Europa unter verschiedenen Namen und Gestalten; ich erfüllte es mit meinem Rufe, mit tausend abwechselnd rühmlichen und scherzhaften Abenteuern; nur mußten beide immer etwas Wunderbares an sich tragen. – Das traurigste bei dieser Seelenkrankheit war, daß, sobald sich eine solche Idee meiner bemächtigt hatte, sie mich nicht wieder verließ, sondern zur fixen wurde, die mich in die Welt begleitete, allen Zerstreuungen widerstand, in meiner Phantasie tiefe Wurzeln schlug, mich von allem ablenkte, wachend und schlafend in mir lebte und webte, keimte und wuchs, mich oft am Schlafe hinderte oder beim Erwachen sich an die Spitze aller meiner Gedanken stellte, ja oft mein einziger Gedanke war.
Sich auf diese Weise an eine fixe Idee hängen, heißt den kürzesten Weg zur Narrheit und Tollheit einschlagen.
Der Mann, welcher sich abwechselnd für Tancred, Alcibiades, Bajazet, Ludwig XIV., Demosthenes halten wollte, würde zuletzt das Los des Unglücklichen teilen, den man einsperren mußte, weil er sich einbildete, Gott der Vater zu sein. Der arme Mann war in allem übrigen so vernünftig wie ein anderer. Ich weiß nicht, warum man sich so streng gegen ihn benahm. Er hatte seine Art von Narrheit; ich gebe es zu; haben wir aber nicht alle die unsrige? Und wie viele Narren gibt es, welche gefährlicher und schädlicher sind, besonders wenn ihnen auf Erden diejenige Macht und Gewalt zugeteilt ist, welche er in seinem unschuldigen und unschädlichen Wahn über Himmel und Erde glaubte ausüben zu können!
Ich faßte den Entschluß, meiner Phantasie diese romanhaften Ausflüge zu untersagen, sie von der Gefahr, sich durch Afterschöpfungen unglücklich zu machen, zu befreien, meinen Selbstverwandlungen so wenig Gewicht als möglich beizulegen; mit einem Worte, in der Wirklichkeit zu leben und nicht länger den nichtigen Träumen eines wachenden Toren nachzuhängen. Es kostete mich viel Mühe, eine Gewohnheit abzulegen, die mich in die ungemessenen Räume der Einbildung versetzte, und dem Wahne eines grenzenlosen Horizonts zu entsagen. So viel Herbes hat das wirkliche Leben! So sehr sucht die Natur den bitteren Kelch zu versüßen!
Von diesen immerwährenden Luftbildern und abgezogenen Ideen konnte mich nur eine andere Grille befreien – der Gedanke an den Tod. Der Tod war mir beständig gegenwärtig, obschon ohne mich zu schrecken. Doch berührte seine Knochenhand die Blumen meines Lebens, und machte sie verdorren. Alles Glück, alle Freude, die mir ward, störte und zerstörte sein Anblick. Was ist, sagte ich zu mir selbst, das Dasein eines Tages und alles, was diesem Dasein Wonne oder Schmerz, Ruhm oder Schmach geben kann? Welchen Wert kann ich den Täuschungen einer Stunde beilegen, welchen schon morgen der Tod ein Ende macht? Wird auf meinen Lippen das Lachen schweben, wird in meinem Herzen die Freude wohnen, wenn alles mir zuruft, daß ich zum größten aller Leiden verdammt bin, zum Unglück, geboren zu sein? – Wenn alles Zeugnis ablegt, wie wenig das Sein für uns ist? – Wenn alles bezeugt, daß wir nur belebter Staub sind, den der Hauch der Winde zerstiebt! Das schönste Werk und Meisterstück der Natur, das Weib, vollkommen an Reiz und Gaben, hat alle Schätze ihrer Liebe an mich verschwendet ... das wenige Glück, was auf Erden ist, habe ich, wenn es irgendwo anzutreffen ist, in ihren Armen gefunden ... ich glaubte es gefunden zu haben, als die Ueberlegung es vergiftete. Die einladenden Spaziergänge, die großen gesellschaftlichen Zirkel, die prächtigen Feierlichkeiten und Aufzüge, die Bälle, die Schauspiele – alles wollte mich locken, mich anziehen, mir schmeicheln, mir gefallen ... aber immer überraschte mich mitten im Genuß das Bild des Todes, es erschien mir bei der Biegung einer Allee, trat hinter einer Säule des Ballsaals hervor, stellte sich mir im Schatten eines halb erleuchteten Boudoirs entgegen, setzte sich neben mich an die Festtafel. Ueberall sah ich den Tod ... selbst auf den Rosenlippen der lachenden Schönen, die ich für seinen morgenden Raub hielt. ... Ueberall ist er, und wir, was sind wir? Sterbliche, Sterbende! – Und ich sollte mich von Eindrücken lebhaft hinreißen lassen, für etwas, das keine Spur zurückläßt? Ich sollte Chimären, die keinen Wert haben, weil es ihnen an Wirklichkeit fehlt, Wert beilegen? Ich sollte Hirngespinsten nachgehen, die hinfälliger sind als das Laub, welches sich mit jedem Frühling erneut, flüchtiger als der Sand, den der Wind zerstreut und wieder zusammenweht? – Ich lese ein Buch, das mich rührt, und mich zu Tränen rühren würde, wenn ich beim Lesen mich gehen ließe. ... Aber mich unterbricht der Gedanke an den Tod, und mit ihm endet plötzlich alles. Ich schlage das Buch zu, wäre es wohl der Mühe wert, es auszulesen? Wird der Tod den Leser nicht vielleicht überraschen? – Kann ein Lob mir Lebenden schmeicheln? Kann ich nur ein Lob verdienen? Was ist in diesem allen mein? Was gibt es auf Erden, das nicht mangelhaft sei? Mangelhaft an Kraft und an Dauer? Läßt sich Gutes da finden, wo alles auf Vergänglichkeit und Kürze hindeutet? Ist das, was wir Vollkommenheit nennen, weil es weniger unvollkommen ist, nicht ein doppeltes Unglück, da ihm die Eigenschaft abgeht, zu dauern und Wurzel zu schlagen? – »Wohlan,« rief ich aus, »so gibt es also im Leben keine Substanzen, nichts als Phänomene, Erscheinungen ohne Körper und Grundlage, und die ganze Menschheit ist nichts als eine Familie von Schattenbildern! Ja, ich bin nicht einmal gewiß, ob das, was ich mein Ich nenne, mir mehr angehört als was ich bei einem anderen sein Ich nenne, Nur eines ist gewiß – der Tod, und vielleicht ist auch dies Wort ein leerer Schall, denn ist es möglich, daß, was nicht angefangen hat, aufhören könne?
Das waren die beiden Feinde, welche ich lange zu bekämpfen hatte, und von denen mir eine tiefe Verachtung des Lebens und ein hoher Grad von Schwermut zurückgeblieben ist. Jene habe ich nie verleugnet, diese verbarg ich lange unter der Außenseite von Leichtsinn und Etourderie, jetzt aber zeigt sie sich offenbar. – Ich kann nicht begreifen, wie andere sich lebhaft freuen, wie sie über etwas sich höflich verwundern können, ich muß ohne Rückhalt gestehen, daß ich nur mit einer Art von Unwillen und Geringschätzung auf Leute herabsehe, welche Entwürfe für die Zukunft machen, oder mit ernstem Eifer die Interessen des Lebens wahrnehmen und betreiben, wo alles nur Ungewißheit, Dunkel, Abgrund und Armseligkeit ist. Kann man wohl anders empfinden, wenn man über die Natur des Menschen nachgedacht hat? Können wir aus der Betrachtung unserer Schwachheit, unseres Wissens, unserer Unwissenheit einen andern Schluß ziehen?
Es gibt Menschen, welche nie darüber nachgedacht haben, andere, die so schnell und leicht darüber hinweggeglitten sind, daß Betrachtungen dieser Art in dem unfruchtbaren Boden ihres Gemüts keine Wurzeln schlagen, keine Früchte hervorbringen konnten. Am Morgen haben sie in Erfahrung gebracht, daß ihre sterbliche Hülle umkommen müsse; am Abend haben sie den Stolz einer Gottheit gefühlt, die das Bewußtsein ihrer Unsterblichkeit in sich trägt. Sie haben in Erfahrung gebracht, daß nichts von dem, was man auf Erden verfolgt oder erreicht, für die Bestrebungen, Anstrengungen, schlaflosen Nächte und Kriechereien des Ehrgeizes und der Habsucht schadlos hält, und am Ende stehen sie da, bestürzt, betrogen, umgeben von allen Beängstigungen der Ungewißheit, von allen Peinigungen des Mißlingens, von allen Bewegungen der Hoffnung, von dem Rausche der Scheintriumphe, von der Eitelkeit des Gelingens, und von den Erschütterungen der vorübergehenden Freude. Sie haben in Erfahrung gebracht, daß nichts dauerhaft sei – und handeln, als wenn sie das Privilegium der Ewigkeit erhalten hätten. Sie haben in Erfahrung gebracht, daß Titel, Würden und Ehren nichts weniger als Titel, Würden und Ehren sind, daß mit Schätzen Goldes keine Lebensstunde erkauft wird, daß die unsinnige Anhäufung des blendenden Metalls uns überlebt. Sie haben endlich in Erfahrung gebracht, daß alles unterm Monde Rauch und Dunst ist – und doch finde ich sie in Rauch und Dunst gehüllt, und der ewigen Wahrheit vergessend: »Alles unter der Sonne ist eitel.«
Es sind zwei Menschen in ihnen (und vielleicht auch in mir). Sie haben, wie alles, zwei Seiten, es geht ihnen und uns allen, wie dem Pentheus
... vidit Pentheus
Et solem geminum et duplices se ostendere Thebas.Ovid. Metam. III. 9.
Wir sehen doppelt – und oft sehen wir nichts.
Lebt wohl, ihr Täuschungen des Ruhms, von denen auch mir bisweilen geträumt hat, lebt wohl, einschmeichelnde Täuschungen der Liebe, denen ich einen großen Teil meines Lebens gewidmet habe, lebt wohl, glänzende Spiele der Phantasie, die mir oft diese Welt mit bunten Luftbildern ausgemalt hat, lebt wohl, eure Nichtigkeit ist mir bekannt, eure Leere ist mir in ihrem ganzen Umfang offenbar geworden. Dieses Lebewohl kommt mir von Herzen und ist – mein letzter Abschied. Schaubühne ohne Fundament, Schauspiel ohne wirkliche Intrige, ohne deutliche Entwicklung. – Du hast keine Rollen mehr für mich! Unfruchtbares Feld, du trägst nur farblose Blumen, nur saftlose Früchte, in deinem so weiten und doch so engen Bezirk werde ich nicht mehr herumschweifen. Ich bin von allem enttäuscht – von allem losgesagt.Désillusionné, désintéressé. In meinen Augen ist kein Unterschied zwischen dem Pantheon und den Gemonien.Abschüssiger Platz in Rom, von dem die Leiber der Hingerichteten mit einem Haken fortgeschleift wurden. Uebers. Ich habe die Welt gesehen, überall hat mich ihre Leere verfolgt, ich habe Könige und Völker kennen gelernt, Nationen besucht, ich habe versucht und erprobt, was in den menschlichen Tätigkeiten das tätigste ist – und habe als Endresultat das Nichts herausgebracht.
Nach so vielen krampfhaften Gemütsbewegungen hatte ich eine Frau gefunden, den Inbegriff von allem Guten und Schönen, eine Frau, der ein Engel seine Züge, eine Gottheit ihre himmlische Milde geliehen hatte; »die süßesten Empfindungen – so dachte und sprach ich – werden ihren Reiz über mein ganzes übriges Leben verbreiten.« ... Aber auch hier halte ich ein, und stehe vor dem Abgrund, vor der bodenlosen Tiefe meiner letzten getäuschten Hoffnung, vor einem Ergebnis, welches so traurig, so außerordentlich ist, daß mein Schmerz darüber mich in das Grab begleiten wird – ein Schmerz, der mein Herz dergestalt zermalmt, daß selbst die Verleumdung, von der dieser Gegenstand meiner Anbetung nicht verschont worden ist,Diese Geliebte hatte sich ertränkt. Uebers. mich ebenso unempfindlich gegen ihre giftigen Pfeile gefunden hat, als ich es gegen die künstlichen Trostgründe geblieben bin.