Alexander von Tilly
Die Memoiren des Grafen von Tilly - Zweiter Band
Alexander von Tilly

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Siebzehntes Kapitel.

Nescio quâ natale solum dulcedine cunctos
Ducit, et immemores non sinit esse sui.
                                              Ovid.

Wie unauslöschlich ist doch der Eindruck, den der Zauber unsrer Heimat in uns zurückläßt! Wieviel reiner, süßer und aromatischer ist die Luft, welche wir als Kinder einatmen, als alle Wohlgerüche Arabiens! Welchen Verfolgungen und Trübsalen ist der Unglückliche ausgesetzt, der sich gezwungen sieht, seinem Vaterlande zu entsagen und das Land, die Wiege seiner Kindheit, den Spielplatz seiner frühesten Jahre – das Land, welches die ersten Laute seines stammelnden Mundes, seiner ewig teuren Muttersprache auffing – das Land, dessen Staub sich mit der verehrten Asche seiner Väter vermischt – mit einem fremden Boden zu vertauschen! Sein Vaterland auf lange Zeit verlassen, ist eine langsam fortgesetzte Todesqual, es auf immer verlassen, würde für den, der die Gewißheit dieses Unglücks vernähme, ein überraschendes Todesurteil, der augenblickliche Tod sein!

Der Weg von Paris nach Calais, obschon die Reise mit meinem Freunde sehr rasch vor sich ging, erregte in mir ein tiefes Gefühl von Traurigkeit. Schon las ich auf allen Gesichtern eine Art scheuen und wilden Mißtrauens. In allen Zügen malte sich hier ein strenger, dort ein ausgelassener Patriotismus, mit dem Unterschiede, daß ihn einige natürlich in sich fühlten, andere sich Gewalt antaten, ihn zu erheucheln. Diese Reise, zu welcher mich noch kein gebieterischer Umstand zwang, und die ich nicht als zitternder Flüchtling unternahm, war dennoch meinem Herzen peinlich; es würde aber noch peinlicher für mich gewesen sein, sie nicht gemacht zu haben. Es war mir zum Bedürfnis geworden, eine Zeitlang unter einem andern Himmel zu leben, eine andere Luft zu atmen. Ich sagte mir zwar: du kannst Frankreich wiedersehen, sobald du willst, nichts läßt dich vermuten, daß Umstände eintreten könnten, die dir den Rückweg versperrten. Und doch ahnte ich schon dunkel, daß die Auswanderung – gegen welche ich von jeher gesprochen und geschrieben hatte – ein unvermeidliches Exil zur Folge haben müsse. Was ich hier tat, tat ich nicht so sehr, um einer Gefahr zu entgehen, als um dem Widerwillen meines Bleibens in Paris ein Ende zu machen; ich wollte mich bloß aus einer persönlichen Lage befreien, welche täglich lästiger und unausstehlicher zu werden drohte. Bitteren Betrachtungen hingegeben fühlte ich mich unglücklicher, als ich es in den glänzenden Tagen meiner Jugend und im Leichtsinn meines damaligen Lebens für möglich gehalten hatte. Ich kannte mich nicht wieder, mich, dessen Vernunft bei den ersten Unfällen, deren Zeuge ich ward, gereift und gealtert war, dessen Herz einen so großen Reiz an düsterem Hinbrüten fand, obwohl es bis jetzt sich nur der Liebe, der Freude und dem Vergnügen geöffnet hatte. Ich betrachtete mein Jahrhundert mit melancholischem Entsetzen und konnte mir es nicht verbergen, daß wir die Geschichte desselben sein, und daß unsre Geschichte alle übrigen verdunkeln, verschlingen würde. Was ich von uns gelesen hatte, deutete mir an, was man einst von uns lesen würde.

In London fand ich den Herzog von Orleans. Ich fand ihn weniger verachtet, als er es verdiente. Die französische Revolution hatte noch viele Anhänger, die es treu und redlich mit ihr hielten, andere, die sich als ihre Bewunderer stellten, noch andere, deren Interesse es war, sie zu begünstigen und zu unterstützen. Der Widerstand eines Prinzen von Geblüte gegen das, was man Hofdespotismus nannte, erschien als eine erhabene Kraftäußerung, sowie dessen Mitwirkung zur Abstellung der Mißbräuche für ein großmütiges Opfer galt. Ueber seine Verbrechen breitete sich der Schleier des Zweifels aus, als eine Folge der Achtung vor seinem Rang; dieser Rang und die damit verbundenen Glücksumstände und Reichtümer warfen einen zweiten, noch dichteren Schleier auf die Verworfenheit seiner Politik und seiner damals noch geheimen, unerwiesenen Absichten. Sein Haus war der Vereinigungspunkt für viele ausgezeichnete Männer von allen Parteien, von der Opposition insonderheit, aber auch von den Ministeriellen. So sehr sie auch in anderen Hinsichten voneinander abweichen mochten, vereinigten sie sich wenigstens zu einem Zweck – zu einer wohlbesetzten Tafel, deren Mittelpunkt die Gräfin von Büffon war.Des Herzogs Mätresse, Schwiegertochter des unsterblichen Büffon und Gattin seines Sohnes, eines jungen Mannes, der zu sterben verstand und auf dem Schafott die unsterblichen Worte sprach: »Bürger, mein Name ist Büffon!« Verf. Der Herzog stand sozusagen auf der Lauer, und sobald jemand aus Frankreich herüberkam, suchte er sich seiner zu versichern und wenn auch nicht die innere Zustimmung, doch die äußere Huldigung ihm abzugewinnen, an welche er ehedem so gewöhnt war, und die er so sehr zu verlieren fürchtete, daß, während er selbst nicht wußte, wie er grüßen sollte, er den Gegengruß ängstlich beobachtete. Freilich hätte alles, was er durch den Marquis von Sillery (Genlis) von mir vernommen, oder was er aus meinem Munde selbst gehört hatte, sowie überhaupt die Natur der Grundsätze, zu denen ich mich öffentlich bekannte, ihn überzeugen sollen, daß er auf keine Weise auf mich rechnen könne, daß ich nie in die geringste Verbindung mit ihm treten würde, und daß er, der noch immer in meinen Augen ein Prinz, ein naher Blutsverwandter des königlichen Hauses war, sich doch in meinen Augen viel zu sehr entwürdigt habe, als daß ich selbst mich so sehr hätte entwürdigen können, ihm den Hof zu machen. Nur aus persönlichen Gründen, die stets auf ein Gemüt wie das meinige einwirken werden, hatte ich mich bei ihm einschreiben lassen, hatte aber den Augenblick gewählt, wo ich wußte, daß er nicht zu Hause war. Das erstemal, als er mich beim Könige sah, kam er auf eine so einschmeichelnde Weise an mich heran, daß seine Aufmerksamkeit mich in Verlegenheit setzte. Wie leicht hätte man daraus schließen können, daß ich diese Auszeichnung wirklich verdiente, daß ich ein angehender Verschwörer sei, der seine Lehrzeit anträte. Um diesem Verdachte zu entgehen, nahm ich ein kaltes, gezwungenes Wesen an; es sollte ihm zum Beweise dienen, daß sein freundlicher Empfang mehr unangenehm als schmeichelhaft für mich sei. Er machte noch einen zweiten Versuch, mich zu ergründen, aber als er sich auch diesmal durch kalte Ehrfurcht oder vielmehr durch Ehrfurchtsbezeigung abgewiesen sah, wurde er auf seine Weise mein Feind. Herr de Laclos, mit welchem ich mich gern unterhielt, weil er, obschon gefährlicher als der Herzog, doch nicht so bedeutend war, eröffnete mir: Monseigneur habe einige Worte fallen lassen, welche zu erkennen gäben, er sei unzufrieden mit mir. Ich gab ihm, indem ich jedes Wort auf die Goldwage legte (denn die Aufgabe war nicht leicht, ich hatte es mit einem der Einbläser des Herzogs zu tun und mußte mich zutraulich stellen) zu verstehen: in meiner Lage, mitten unter so vielen Franzosen, mit denen ich täglichen Umgang hätte, könne ich, auch wenn ich meine eigne Denkungsart nicht in Anschlag bringen wollte, unmöglich einen andern Weg befolgen. Ich berief mich auf ihn selbst, auf ihn, der sich so gut auf dergleichen verstehe, ob sein Prinz nicht für alle eine Liaison dangereuse sei.Eine feine und witzige Anspielung auf den Roman des Herrn De Laclos: les Liaisons dangereuses. Freilich war der Herzog von Orleans schon damals für die Hofpartei eine äußerst gefährliche Verbindung. Uebers.

Eine hohe PersonDer Prinz von Wales. Uebers. des königlichen Hauses, mit welcher der Herzog von Orleans eng verbunden war, und von der ich auf meiner ersten Reise und selbst auch zu Anfang der zweiten einen schmeichelhaften Empfang erhalten hatte, schlug plötzlich um und entzog mir die vorige Gunst. Pitt, welcher bei dieser hohen Person sehr in Gnaden stand und fast täglich mit ihr umging, versicherte mir, der französische Prinz habe sich nachteilig über mich geäußert und widrige Eindrücke gegen mich erregt. Ich entschloß mich rasch und kurz. Eines Abends, auf einer RoutAssemblee, Gesellschaft. bei Lord Luc..., nahm ich die Gelegenheit wahr, dem Herzoge zu sagen: »Monseigneur, England ist meinen Beziehungen zu Ew. Hoheit nicht zuträglich; das erstemal, als ich diesen Boden betrat, nahmen Sie sich eines Stallknechts gegen mich an und taten mir vorsätzlich wehe.vexé. Dieses Mal wollen Sie einen Prinzen mir entfremden. ... Ich muß mich darüber trösten, aber zugleich darf ich Sie bitten, gnädigster Herr, mich für tot zu halten, weil ich Ihnen sonst die Mühe machen muß, mich – zu töten.« Dem Herzoge von Luxembourg, welcher die aufrichtigste Freundschaft für mich hegte und alles mögliche getan hatte, mich von diesem Ausfall abzuhalten, ehe ich ihn tat, blieb nichts übrig, als die Folgen zu verhüten. Er fiel mir in die Rede, brachte mich wieder zu mir selbst, zog mich mit sich fort, ehe die Sache zum Ausbruch kommen konnte. Seitdem verflossen einige Monate. Ich suchte die Blicke des Herzogs nicht auf; die seinigen gingen den meinigen aus dem Wege. Nur einmal – es war um die Zeit, als Boinville zum Herzoge gekommen war, ihm die Aufträge des Herrn von Lafayette zu überbringen, denen er nicht Folge leistete – war ich im Opernparkett (the pit), als der Herzog eintrat. Er stand mir so nahe, daß ich mich verneigen mußte. Mit sardonischem Lächeln und ohne weiteren Eingang erwiderte er meinen Gruß mit folgenden Worten, die er rasch und ungestüm aussprach: »Nicht wahr, der Herzog von Aiguillon kann gut fechten?«Diese Frage war eine Beziehung auf einen lebhaften Wortwechsel, den ich in Versailles bei Herrn von Sillery mit dem Herzoge von Aiguillon gehabt hatte, als dieser sich einst über die Königin mit giftiger Unanständigkeit ausließ. Ich war wahrlich nicht bezahlt, mich ihrer anzunehmen; allein, es gibt Pflichten, welche man nie mit feurigerem Eifer übt, als wenn man ihrer enthoben zu sein scheint. So ging es mir, ich legte in meine Schutzrede alles Feuer der Jugend, alle Lebendigkeit des Eifers. Sillery war Zeuge, mein Betragen rührte ihn, er legte sich ins Mittel und beschwor beide Teile, nicht weiter zu gehen. Einige Zeit nachher sagte mir der Herzog von Orleans: »Ich habe von Ihnen gehört, Graf Tilly, warum spielen Sie den Don-Quixote?« – Meine Antwort war: »Ich kann den Herzog von Aiguillon nicht hindern, etwas zu sagen oder zu tun, was der Ehre zuwider ist, aber ich will nicht, daß er mich zum Vertrauten seiner Gesinnungen mache, in der Meinung und Absicht, daß ich sie teile.« Verf. Dieses Mal blieb ich ihm die Antwort nicht schuldig. Schnell versetzte ich: »Monseigneur, fechten Sie auch?« – Er verlor die Fassung, erblaßte; denn bei ihm war Blässe, wie bei anderen die Röte, das Zeichen, daß er sich schäme. Er wendete sich von mir zu einem anderen. Seitdem hat er kein Wort mit mir gesprochen.

Er ist zwar weitergegangen und hat mich, als ich wieder nach Paris kam – auf die Seite schaffen wollen.me faire assassiner. Doch das hat mich nicht abgehalten, ihm bis auf den letzten Augenblick alle Gerechtigkeit, die er verdiente, widerfahren zu lassen.

Man hat von dem Herzog gesagt und man wird von ihm sagen, er sei ein Ungeheuer gewesen. Allgemein und im ganzen genommen, läßt sich dieser Satz behaupten; will man aber auch einzelne Tatsachen, abgerissene Teile seines Lebens in Anschlag bringen, so ist der Ausdruck Ungeheuer einer näheren Bestimmung und mancher Einschränkung und Milderung fähig. Sein angeborener Charakter war – mit Metallen verglichen – geschmeidig, dehnbar, biegsam; er fügte sich in alle Verbrechen, war aber auch für einige Tugenden empfänglich; es war ein leichtes, ihn fortzureißen und zu überreden, weil sein Verstand beschränkt war und dem wenigen, was er davon besaß, ein Anstrich von Leichtgläubigkeit anklebte. Was ihm an angeborenen Mitteln und Fähigkeiten abging, ersetzte er durch einen ausgesuchten Geschmack und durch eine rasche und leichte Gabe zu scherzen, die mit dem schlechten Gehalt seiner Sitten nichts gemein hatte. Mit einer übermäßigen Eigenliebe ausgestattet, an welche sich ein noch größerer Leichtsinn anschloß, beging er tausend kleine, schlechte und niedrige Streiche, vor welchen ihn eben diese, dem Stolze so nahe verschwisterte Eigenliebe, hätte bewahren sollen; und da er überdies bei der stirn- und schamlosesten Dreistigkeit zugleich schüchtern und blöde war, so war es ihm nicht gegeben, wenn er sich einmal verirrt hatte, umzukehren und den rechten Weg wiederzufinden. Dabei ließ er sich von zwei Hauptleidenschaften seines Charakters, von Empfindlichkeit und Rachsucht, beherrschen und zu allen Verbrechen, wozu man ihm riet, verleiten. Er beging sie zwar ohne Reue, aber auch ohne entschiedene Neigungils le gênaient. und, wie ich es schon oben gesagt zu haben glaube, wenn er auch nicht vor dem Verbrechen zurückscheute, so machte es ihm doch Mißbehagen.de mauvaise grâce. Das läßt sich um so leichter erklären, da der Schlamm, in welchem er seine letzten zwei bis drei Lebensjahre zubrachte, und von dem er sich in Strömen Champagner zu reinigen suchte, mit der Prinzen-Eitelkeit, die er in nicht geringem Maße besaß, im Widerspruch stand. Was ihm am Stolze des Mannes, des Menschen, abging, bestrebte er sich durch diese Eitelkeit zu ersetzen, so oft er sich berufen glaubte, Bedeutung auf etwas zu legen, – er, in dessen Augen an und für sich nichts in der Welt Bedeutung hatte.

Ehe ich weitergehe, will ich diesen Zug seines Charakters mit einigen Pinselstrichen – d.i. Belegen – schärfer angeben.

Einer meiner Bekannten, bei welchem der Herzog versprochen hatte zu speisen, erinnerte ihn an sein Versprechen. – »Wollen mir Monseigneur die Ehre erzeigen, morgen bei mir zu speisen?« – »Nein, mein Herr, nicht morgen; es würde mir nicht unlieb sein, wenn Sie etwas mehr Umstände mit mir machten; ich gebe Ihnen drei Tage Frist.« – Ein andermal, als er bei Du Dresnays spielte und mit guter Art verlor – denn nur, wenn er gewann, war er ein unausstehlicher Spieler – bot ihm jemand von der runden Tafel ein pari de traverseEine außerordentliche Wette, bei Spielen, wo das Parieren nicht gewöhnlich ist. Uebers. von hundert Louis an: »Wann ich werde wetten wollen, will ich es Ihnen schon sagen.« – »Monseigneur,« wurde erwidert, »alsdann werde ich vielleicht nicht mehr Lust haben.« – Nach einem langen Gelage ereignete sich's, daß der mehr als halbtrunkene Herzog von Fronsac ihn duzte (ein Unsinn, eine Unmöglichkeit, wenn er kaltblütig und seiner Sinne mächtig gewesen wäre!). Der Fürst, den dieses du plötzlich wieder nüchtern gemacht hatte, sagte zu ihm: »Herr Herzog, man nennt uns bei Hofe ein Paar Freunde; machen Sie nicht, daß man uns ein Paar Narren nenne!« Es war fein von ihm, sich selbst ein Beiwort zu geben, welches nur auf den andern gehen sollte. – Einst, als er in Paris oder auf dem Landgut les Ormes bei Herrn Le Voyer war, kam das Gespräch auf den Zwist, der zwischen dem Prinzen von Condé (dem großen Condé) und dem Grafen de Rieux vorgefallen war. Der Prinz hatte dem andern einen Schlag versetzt, und dieser hatte dem Sieger von Freiburg, von Nördlingen, von Lenz seinen Teller an den Kopf geworfen. Der Prinz ward auf einige Zeit nach Chantilly verwiesen und Herr von Rieux wurde auf einige Tage nach der Bastille geschickt. Des Herrn Le Voyer Meinung lief darauf hinaus, daß sich beide, dem Verbote des Königs zuwider, hätten schlagen sollen. – »Was denken Sie davon?« fragte er den Herzog. – »Ich mag in einer Sache, die mir nie begegnen wird, keine Meinung haben.« Der Graf von Lauraguais, welcher zugegen war, hat mir diese Anekdote erzählt. – Ich schließe mit folgender, denn ich könnte noch eine Menge anführen: Ihm begegnet auf der großen Stiege des Palais-Royal ein schlichter Ludwigsritter. Der Herzog war ohne Gefolge. Jener tritt auf ihn zu: – »Ich glaube, die Ehre zu haben, mit Seiner Hoheit dem Herzoge von Orleans zu sprechen.« – »Und ich, ich glaube nicht,« erwiderte dieser, »daß Sie es glauben.«

Eine falsche Urteilskraft, wie man sie bei ihm fand und ein Herz, welches nur selten sich kundgab, machten es anderen leicht, ihn zu überreden, nach seinen ersten revolutionären Fehlschritten sei für ihn keine Verzeihung zu hoffen. Er, dessen Rachsucht keinen Ruhepunkt kannte, mußte sich einbilden, die Rache des Hofes sei ebenfalls schonungslos. Mirabeau, der einen Augenblick die Absicht hatte, ihn, wo nicht auf den Thron zu erheben, doch zum General-StatthalterLieutenant-général. des Reiches zu machen und unter ihm zu regieren, unterhielt absichtlich und angelegentlich diese Besorgnis. Man verleitete ihn zu allen Verbrechern, unter der Vorspiegelung, jedes werde das letzte sein und ihn von allen übrigen reinigen und freisprechen.

Der Herzog war ein Philosoph im uneigentlichen und gefährlichsten Sinne; er achtete nichts auf der Welt, nicht einmal das Leben,Er starb mit einem falschen Schluß und einem Bonmot. Als ihm der Henker die Stiefeln abziehen wollte, sprach er zu ihm: »Lass' sie mir an, du wirst sie leichter von den toten Beinen abstreifen können.« welches man ihn mit Unrecht beschuldigt hat, übermäßig geliebt zu haben; nicht einmal das Geld, welches er auf die unzarteste Weise zusammenscharrte, um es ohne Sinn und Verstand zu verschwenden. Laster und Tugend waren ihm gleich, Verachtung und Ehre bare Undinge und alle menschlichen Handlungen gleichgültig. Nur die materiellen Lebensgenüsse hatten Wert für ihn; sie waren die einzige metaphysische Gewißheit, die er sich aus allem, was uns in dieser Welt begegnet und was man in jener hofft, abstrahiert hatte; seine physische Beschaffenheit war von der Art, daß ihn das Vergnügen eher sättigte als ermüdete. Gall würde über ihn geurteilt haben, er besitze das Organ niedriger Schwelgerei,l'organe de la crapule. aber keineswegs das Umwälzungsorgan; und mit recht: Denn jenes hatte ihm die Natur gegeben, die Lust zu diesem war ihm von denen, welche ihn beherrschten, eingeimpft worden. Dadurch, daß er so tief gesunken war,le mauvais goût. zu erklären: »Die öffentliche Meinung gelte ihm keinen kleinen Taler,« fand man sich veranlaßt, von ihm zu urteilen, er selbst habe das Maß und den Tarif seines eigenen Wertes und Gehaltes angegeben. Die Nachwelt wird freilich das Recht haben, ihn zu den abscheulichsten Bösewichtern zu rechnen; diejenigen aber, die näher um ihn und Zeugen gewesen sind, daß er ein guter Vater, ein guter Gatte (bis auf den Punkt der ehelichen Treue), ein milder, nachsichtiger Herr, der nie jemandem etwas schlechthin abschlagen konnte, ein leidenschaftlicher Freund des Privatlebens war, – werden ihn nicht so streng verdammen und nur von ihm sagen: Er war unmoralisch und charakterlos. Sie werden vielleicht hinzusetzen: Weniger Strenge von seiten des Hofes und des Publikums, eine bessere Erziehung, gute Ratgeber würden ihm die Maske eines Ehrenmannes und den Ruf eines gefälligen, liebenswürdigen Prinzen erworben haben. Für ihn, den ersten aller Badauds im ganzen Sinn und Umfange des Wortes, muß seine eigene Verhaftung, sein Gefängnis, das revolutionäre Blutgericht, sein Verhör, sein Zug durch die Pariser Straßen, ja selbst das Schafott und seine Hinrichtung ein wahres Schauspiel gewesen sein. Er hatte so viel Köpfe und namentlich das heiligste Haupt fallen gesehen; er hatte in der neueingeführten Guillotine einen Zeitvertrieb für die Neugierde gefunden; ebenso wird er auch die Vorrichtungen zu seinem Tode betrachtet und sich sozusagen selbst sterben gesehen haben.

Ich habe mich vielleicht zu lange bei diesem Prinzen aufgehalten. Meine Entschuldigung ist: »Ohne ihn – der sie doch nicht gemacht hat – wäre keine Revolution gewesen.« Nach Herrn Necker fällt die schwerste Schuld und Verantwortlichkeit auf den Herzog von Orleans.

Der Herzog von Luxembourg, derselbe, welcher in der ersten Versammlung der Reichsstände beim Adel den Vorsitz geführt und, nachdem er sich anfänglich der Vereinigung der drei Ordnungen aus allen Kreisen widersetzt, Frankreich verlassen hatte, befand sich in London. Er verband mit mehr Geist, als ihm allgemein zugeschrieben worden ist, einen liebenswürdigen, einnehmenden Charakter. Viele waren der Meinung, er würde sich zur Partei der Neuerer schlagen. Seine stürmische Jugend, als er noch Marquis de Royan war, die Strenge und Ungerechtigkeit seines Vaters und die daraus entstandene Spaltung zwischen Vater und Sohn hatten ungünstige Vorurteile gegen ihn erregt und vermuten lassen, er werde seiner Leidenschaft freien Lauf geben. Er ließ die Leute nicht lange in Ungewißheit. Gleichwohl habe ich häufig sagen gehört, er habe sich zu sehr beeilt, die Hofpartei zu verlassen; seine schnelle Abreise (hieß es) sei eine Folge des Kleinmuts und der Uebereilung gewesen. Doch so pflegen diejenigen immer zu urteilen, welchen jede Gelegenheit zu einem Vorwurfe willkommen ist. Ich denke nicht so. Die Nachgiebigkeit, mit welcher er sich in den Willen des Königs fügte, der nicht sein Wille war, verleitete ihn zu einem Schritte, dem er anfangs aus allen Kräften widerstanden hatte. In einer langen Unterredung mit Ludwig XVI. war die Rede von der Vereinigung der drei Stände gewesen; der Herzog hatte mit siegenden, überwiegenden Gründen die Gefahr der Maßregel auseinander gesetzt; er hatte dargetan, daß eben dadurch das königliche Ansehen ohne Gewähr, Schutz und Sicherheit bliebe und die Volksmacht ohne Schranken und Gegengewicht herrschen würde. Ludwig XVI., der zu klar sah und zu richtig dachte, um das volle Gewicht dieser Gründe nicht einzusehen, ließ sich dennoch nicht bewegen, ihnen Eingang zu gestatten. Schon gewohnt, in allen Punkten einer Revolution sich nachgiebig zu zeigen, die es darauf angelegt hatte, ihm Krone und Leben zu rauben, hieß er seine Vernunft und sein Interesse schweigen, sobald er glaubte, es der Liebe zu dem, was in seinen Augen »das öffentliche Wohl« war, zum Opfer bringen zu müssen. Der König befahl. Der Herzog, ein treuer Untertan, gehorchte. Dazu kam noch, daß der Graf von Artois aus Besorgnis für die Ruhe seines erhabenen Bruders an den Adelstand ein bewegliches Schreiben erließ, welches allem Schwanken der Unentschlossenheit ein Ende machte. Die Pflicht des Untertans war nun erfüllt. Der Herzog von Luxembourg brachte seinem Gebieter das Opfer seiner persönlichen Meinung und fügte sich in eine Maßregel, welche sein Verstand, sein Herz und sein Gewissen verwarfen. Wer war berechtigt, mehr von ihm zu erwarten? Wer durfte verlangen, daß er durch seine Gegenwart, – ja noch mehr, durch seine Handlungen, – Schritte und Einrichtungen, die er getadelt hatte, und ein System, welches er mit ganzer Seele und mit allen Kräften seiner Vernunft von sich stieß, feierlich annähme?sanctionner. Er zog es vor, sich in eine ruhige Abgeschiedenheit zurückzuziehen und nicht länger auf einem großen Schauplatz zu verweilen, wo er nicht abgeneigt gewesen wäre, wie so viel andere, eine Rolle zu spielen, hätte er nicht frühzeitig die Stimmung der Gemüter ergründet und eingesehen, daß diese Rolle eine undankbare gewesen sein würde. Er blieb folgerecht, und sein Benehmen macht seinen edlen Gesinnungen Ehre. Ich habe ihn selbst die hier angeführten Gründe entwickeln gehört, und zwar nicht erst späterhin, sondern gleich im Anfange, ohne Prahlerei und Laune, so daß diejenigen, welche seine Entfernung aus Frankreich der Furcht zugeschrieben haben, in derselben das Lob seines Scharfsinns hätten finden können. Ich werde es nie vergessen, daß ich zum ersten Male bei ihm den berühmten BurkeIch habe an einem anderen Orte den Ausdruck meiner persönlichen Erkenntlichkeit über den rührenden Empfang drucken lassen, welchen ich nach den Greueln vom 10. August 1792 bei Burke fand, und über alles, was er mir damals aus der Fülle seiner Gefühle von seiner Teilnahme an dem Unglück meines Vaterlandes sagte. Sein Herz war so edel wie sein Talent ausgezeichnet und selten. Ohne je aufhören zu können, ein wahrer Engländer zu sein, ließ er der französischen Nation volle Gerechtigkeit widerfahren. Er schätzte sie, weil er sie kannte; er schätzte ihre Literatur, ihre Ansprüche auf Ruhm, ihre Künste. Späterhin, als er sich überzeugt hatte, daß ich Englisch genug verstand, machte er mir in Gegenwart des Herrn von Calonne den Antrag, sein Werk über die Revolution zu übersetzen, welches um so mehr einer Uebersetzung bedurfte, da schon eine solche erschienen war. Ich lehnte es aus Gründen ab, die ich ihm nicht auseinandersetzen konnte; vollends nicht den, daß eine gute Uebersetzung der Ehre wenig, eine schlechte aber noch weniger als Ehre einbringt.(Verf.) gesehen und gehört habe, zu dessen näherer Bekanntschaft Herr von Calonne mir verhelfen hatte. Burke, dieser alte Verfechter der Opposition, war von ihr abgesprungen, sobald er in der Opposition selbst Gefahr für den Staat ahnte. Sein Abfall erregte Erstaunen bei einigen, führte andere zu gemäßigteren Grundsätzen zurück, sammelte viele näher um den Thron, mehr noch durch sein Beispiel, als durch seine Behauptungen in den Parlamentsreden: »Man müsse sich der obersten Gewalt fest anschließen.« Es ist allgemein bekannt, daß keine der Entwicklungen und Folgen der französischen Revolution in ihrem Entstehen seinem Späherblick entgangen ist, und daß, wenn sich in seiner beredten Schrift einige Uebertreibungen befinden, die ein deklamatorischer Vortrag noch mehr hervortreten läßt, dieses Buch dennoch für die unfehlbare Weissagung eines Staatsmannes, für den Beweis eines schönen Enthusiasmus und für das Denkmal eines edlen Talents gelten kann. Burkes Unterhaltung war vielleicht noch wärmer,plus chaleureuse. noch gediegener, noch gedrängter.plus pleine. Er fand viel Vergnügen daran, von seinem politischen Leben zu erzählen und sein Gespräch mit dem Feuer seiner öffentlich gehaltenen Reden zu beleben und zu würzen.Unter den vielen Stellen und Fragmenten, worin sich seine Beredsamkeit entwickelte, erinnere ich mich besonders an den Eingang einer Wahlrede in Bath oder Bristol, als einer der Kandidaten plötzlich gestorben war: »The unexpected event of this day teaches us feelingly, what shadows we are, and what shadows we pursue, usw.« (Das unerwartete Ereignis dieses Tages lehrt uns fühlbar, welche Schatten wir sind, und welchen Schatten wir nachjagen.) Er urteilte über die Zukunft mit Hilfe des Probiersteins der Vergangenheit; ein enthusiastischer Verehrer der englischen Konstitution, entgingen ihm zwar in derselben die Flecken nicht, die der menschlichen Schwäche ankleben, aber nichtsdestoweniger sah er sie als das Palladium der Freiheiten einer großen Nation an. Schon im Jahre 1790 hörte ich ihn (wie ich hiermit feierlich versichere) die französische Revolution auf zwei Hypothesen zurückführen und ein Räsonnement auf sie anwenden, welches sie ganz so aufdeckte, wie sie sich bis zum Jahre 1800 entwickelt hat. Alles, alles hatte er vorausgesehen, nur die Riesengestalt des Mannes nicht, der sie abschließen sollte.qui fermerait la caverne. – Damals noch ein fünfundzwanzigjähriger Jüngling, hörte ich ihm gelehrig zu, und mit Hilfe seiner Vorträge und meines Nachdenkens bildete ich mich in einer Schule, welche mir wenigstens das Staunen über unerwartete Ereignisse erspart hat.

Der Herzog von Luxembourg vermied, ohne es auffallend zu machen, den Herzog von Orleans, den er verachtete, und lebte in gespanntem Verhältnisse mit dem französischen Botschafter, den er nicht achtete und von dem er gehaßt wurde. Dieser, der Graf de la Luzerne, war ein Bruder des Marineministers dieses Namens; ihre Grundsätze wichen ganz voneinander ab. Es mußte befremden, daß der Hof einen so unfähigen Mann zu einem Posten ernannt hatte, der einen sehr gewandten erforderte, um den vorigen Glanz und die vorige Wichtigkeit wieder zu erlangen. Der Graf war in physischer und moralischer Hinsicht ein verschrobener, linkischer Mensch, von einem so beschränkten Verstande, daß sein Ehrgeiz nichts zu seiner Beförderung beigetragen hatte und seine Beförderung nicht dazu diente, seinen Ehrgeiz zu wecken. Er befolgte in tiefster Unterwürfigkeit den Gang und die Vorschriften der Assemblée Constituante, glich jede Sottise, die er begangen, mit einer Niederträchtigkeit aus, hatte sich für die Monarchie erklärt, war aber jeden Augenblick bereit, sie umstürzen zu helfen. Sein erster Gesandtschaftsposten war bei den Vereinigten Staaten von Amerika gewesen (beiläufig nicht eben der geradeste, schicklichste Weg nach London). Was er dort gesehen und gehört hatte, war schlecht aufgefaßt und noch schlechter verdaut worden. Er benahm sich unbedeutend und schwankend; nächst sich war der König von Frankreich die Person, welche er am meisten dem Tadel bloßstellte. Nur in einem einzigen Punkte ging er offen zu Werke; in seiner verliebten Narrheit zu einer gewissen Frau von Saint A..., einer abgefeimten Kokette, der Mätresse des Lord Ch... Sie benahm sich ebenfalls offen und ohne Hehl gegen ihn, spottete seiner, lachte über seine Liebe, eine Liebe, die ihn noch häßlicher machte, als er von Natur war. Mehr sich auf den Wunsch beschränkend, seine Stelle zu behalten, als auf die Mittel bedacht, sich in derselben zu behaupten, mußte er sie abgeben, nachdem er einen von den tausend Eiden geleistet hatte, die man damals denen auferlegte, von welchen man gewiß war, daß sie keinen einzigen halten würden. Doch hatte der kurzsichtige Mann seine Abberufung ebensowenig vorausgesehen als seinen Tod, welcher kurze Zeit nachher erfolgte. Wie oft hat der Herzog von Luxembourg Vergnügen gefunden, ihn mit Theorien des Despotismus zu quälen, denen er nichts entgegensetzen konnte, als zwei Kammern und das Gegengewicht der Gewalten; denn darin bestand seine ganze Verteidigungstaktik; eine lakonische Wiederholung der hier unterstrichenen Zeile war alles, was er hervorbrachte, denn es ist nicht jedem gegeben, mit einigem Anschein von Vernunft zu deräsonnieren. Ihr guten Leute, ihr strittet euch in offener See über die beste Bauart eines Schiffes, ohne zu bemerken, daß das eurige leck geworden und auf Klippen geraten war!Es hat in allen französischen Nationalversammlungen keine Männer gegeben, welche sich an Patriotismus und Tugend einem Algernon Sidney, einem Hambden in England an die Seite stellen dürften; und doch haben sich beide, als Umbildner ihrer Regierungen, den schwersten Vorwürfen ausgesetzt und vor dem Richterstuhl der Geschichte nicht Gnade gefunden. Der erste hat sich des Undanks schuldig gemacht, nachdem ihm von der königlichen Huld die ersten Versuche verziehen worden, und hat sich in neue Umtriebe gegen den Hof gestürzt. Es ist nicht genug zu sagen: »Ich bin ein guter Republikaner im Herzen.« – »Willst du Republikaner sein, so verlasse den monarchischen Staat und ziehe nach Ragusa.« Hambden, minder schuldig und höher begabt, kann gleichwohl bei allen Eigenschaften, des Privatmannes, welche ihm Achtung und Bewunderung im Privatleben verdienen, auf den Namen und Ruhm eines guten Staatsbürgers keinen Anspruch machen. (Verf.)

Der Gesellschaftssaal des Grafen de la Luzerne war zum Kampfplatz von Scharmützeln dieser Art geworden. Selbst Frauen nahmen Anteil an den Fehden und leichten Gehalts, wie die Gegenstände selbst, schnatterten sie zwischendrein. Da war zum Beispiel eine Herzogin von Laval, rot wie ein Streithahn, herbe wie ein unreifer Holzapfel, wütend über ein herannahendes Alter, welches sich nicht – wegstreiten lassen wollte, noch wütender, daß sie nie hübsch gewesen, obschon sie sich immer hatte den Hof machen lassen. Da war eine Frau von Ossun, Schwester eines der älteren Liebhaber – d. h. der sogenannten Liebhaber – der Herzogin, der es nur gewesen war, um von ihrem Kredit und Vermögen Vorteil zu haben. Diese Frau von Ossun war interessant auf der Schönheitsgrenze, eine sentimentale Blondine, die sich die Last eines tugendhaften Rufes aufgebürdet hatte und sie nun tragen mußte. Sie war an einen wackeren, achtungswerten Mann vermählt, dem Ludwig XVI., der sich zu allen rechtlichen Männern hingezogen fühlte, mit Recht gewogen war. Er sollte den Grafen von Ségur als Gesandten in Rußland ersetzen. Da war eine kleine Gräfin de la Luzerne, geborene Mon..., ein bissiges, borstiges Eichkätzchen, dem man die Nüsse weggenommen hat. – Doch vor allen diesen Damen hätte Herr von B... genannt werden sollen, der sich wenig oder gar nicht hingab, sondern kalt, zurückhaltend, zugeknöpft wie ein Premierminister, das Geheimnis seiner künftigen Schicksale im Busen zu tragen schien. Er war die Providenz des Hauses.

Es fehlte mir nicht, wie man sieht, in dieser Gesellschaft an einem weiten Felde zu Betrachtungen und Beobachtungen aller Art. Nur ließ sich meine feurige leidenschaftliche Jugend nicht daran genügen und verlangte nach anderer Kost. Sie wurde mir gereicht. Ich machte die Bekanntschaft der Mistress Pove, einer Frau, welche sich ebensosehr durch ihren Charakter als durch ihre Schönheit auszeichnete, und deren Geschichte und Lebensereignisse so sonderbar sind, daß sie in einem Roman keine unbedeutende Stelle einnehmen würden. Sie stammte aus einer achtbaren Familie. Ein Edelmann aus der Grafschaft Kent sah sie und entbrannte in Liebe, stellte ihr nach und erfuhr, daß sie eine Reise vorhabe, um ihre Mutter und Schwester nach Canterbury zu begleiten. Drei Frauen auf der Landstraße in einer Postchaise sind keines langen Widerstandes fähig, zumal wenn, wie es hier der Fall war, der Führer im voraus gewonnen ist. Gegen Abend werden unsere Damen von ein paar Männern, die sie für Straßenräuber (highwaymen) halten, überfallen, – in England etwas so Gewöhnliches, daß es fast nicht auffällt, zumal da die den Engländern angeborene Menschlichkeit und ihr natürlicher Abscheu vor Blutvergießen dergleichen Auftritte selten oder nie zu Mordszenen macht. Gleichwohl sind diese alltäglichen Ueberfälle, Straßenräubereien und gewaltsame Plünderungen keineswegs angenehm, veranlassen ein augenblickliches Erschrecken und machen einem Lande, welches sich einer so vorzüglichen Verfassung rühmt, wenig Ehre. Ohne mich aber auf die Polizeiordnung von England einzulassen, erzähle ich weiter. Man ließ die zitternden Damen aussteigen, trennte sie voneinander, und in der entstandenen Verwirrung wurde Cäcilie rasch abgeführt, in eine unweit wartende Chaise gehoben und mit Blitzesschnelle nach Devonshire gebracht. Nachdem sie hier einige Monate eingeschlossen, allen Verfolgungen und Drohungen eines Mannes ausgesetzt war, dessen Liebe sie standhaft zurückwies, ermüdete er endlich in dem Kampfe, ging mit ihr nach Irland, beschenkte sie reichlich, setzte sie in Freiheit, verließ sie und reiste nach Italien. So hat sie es mir wenigstens erzählt. Nur hat mir manches in ihrer Erzählung nicht ganz einleuchten wollen. Im Gegenteil. Ich fand Grund mich zu überzeugen, daß sie, an ihr Sklavenjoch und an ihren Tyrannen gewöhnt, jenes immer leichter gefunden, diesem immer mehr seine Behandlung verziehen haben muß. Lebte sie doch in einem Lande, wo sich das schöne Geschlecht nicht so leicht einschüchtern läßt, wo man nicht aus Furcht schweigen darf, wo die Gesetze gegen Verfolgung und Unterdrückung Schutz gewähren! – Ein irländischer Pair ward ihr zweiter Liebhaber (sie verzeihe mir, wenn ich ihren Entführer, ihren Tyrannen als den ersten zähle). Nach einem Schritt, zu welchem sie gezwungen worden war, schien ihr ein freiwilliger ganz natürlich. Lord D... war ein ganz großer Verehrer Shakespeares; der Geschmack an Deklamation war bei ihm zur Leidenschaft geworden. Er beschwerte das Gedächtnis der jungen Cäcilie mit den Hauptstellen aus seinem Lieblingsdichter, entwickelte ihr Organ, bildete ihre Haltung aus, gab beiden einen Theateranstrich, der ihr in der Folge anklebte und sie der Natürlichkeit beraubte, – das einzige, was dieser schönen, herrlichen Gestalt abging! – Lord D..., der Shakespearianer, hatte einen Neffen, einen sehr hübschen Neffen, der wenig Gedichte las, noch weniger sie auswendig lernte, gar keine machte, der aber zwanzig Jahre zählte und das glückliche Alter erreicht hatte, wo man, selbst ohne Verstand, zu allem geschickt ist und in gewissen Augen immer Verstand zu haben scheint. Er spielte seinem Herrn Oheim den Streich, ihm an einem frühen Morgen seine treulose Schülerin und Geliebte zu entführen. Um sich dabei folgerecht zu benehmen, machte er die Quasitante zur Nichte und zur Mutter, ging mit ihr ein wenig in die weite Welt, brachte sie nach London, wo sie Wochen hielt, während er in Temple-Bar die Rechte studierte. Ein Sohn, mit dem sie ihn beschenkte, schien das Band ihrer Liebe mehr zu lockern als zu befestigen. Für Herrn Pove (so hieß der saubere Neffe und Entführer) hatte der Trieb, Vater zu werden, größeren Reiz als die Freude, es geworden zu sein. Er versuchte sein Heil an mehreren Schönen; sie wurden für den Augenblick seine Gattinnen und Mütter für das Leben. Cäcilie hatte Augen und Verstand. Sie ergriff die gute Partei, zankte und schmollte nicht; rächte sich aber und übte Wiedervergeltungsrecht. Nichts bringt eine Frau so weit, als eine anfängliche gewaltsame Entführung. Sie ging noch weiter als ihr Vorbild, verließ ihn und warf sich einem mächtigen Manne in die Arme, welcher alles für ihr Glück tun konnte und es auch getan haben würde, wäre die Leichtsinnige nicht plötzlich zu ihrem Rechtsbeflissenen zurückgekehrt, welchen ihr, dem Anscheine nach, die Trennung teurer gemacht hatte. Ihr Feuer mochte sich aber schon wieder in der Ruhe und Einförmigkeit des alltäglichen Lebens abgekühlt haben, als ich das Paar bei Herrn von C..., ehemals Obersten in der irländischen Brigade in Frankreich, antraf, von dem wir zufällig zusammen eingeladen waren. Ich betrachtete die Dame lange und genau; die Folge davon war, daß ich ihr erklärte: Ich würde sie lieben. Sie gab mir die Versicherung, dieses Gefühl erwidern zu wollen. Acht bis zehn Tage später besiegelte sie das Versprechen mit dem Munde und kurz nachher mit ihrer Liebe. Wir führten zusammen ein lebhaftes Schäferspiel auf; nur kein solches, wie Asträa am Ufer des LignonL'Astrée von Honoré d'Urfé, ein Schäferroman, welcher in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts außerordentliches Glück gemacht hat. Er schildert die platonische Liebe auf dem Lande. Der Schauplatz ist der Fluß Lignon in Auvergne. Der Verfasser sagt: Les bergers du Lignon n'y fesaient oeuvre. (Uebers.) im Bilde darstellt. Sie brachte täglich sechs Stunden bei mir zu, ohne die außerordentlichen mitzuzählen. Herr Pove, welcher seine Zeit in den Beschäftigungen von Temple-Bar, in Trinkgelagen und Spielhäusern verlebte, merkte spät Unrat, und als er ihn merkte, gab er der Sache eine sonderbare Wendung, die mir aber nichts weniger als lustig vorkam. Es war ein verzweifelt origineller Scherz, mehr ernst als komisch, und besonders für mich gar unleidlich. Herr Pove erzeigte mir nämlich die Ehre, mir ein lebendiges Geschenk mit einem kleinen Nachkommen zu machen, und schickte mir zugleich ein Kind und ein Billett. Das Kind schrie aus vollem Halse, das Billett sagte weiter nichts, als daß es recht und billig sei, Baum und Frucht, Mutter und Sohn nicht zu trennen, und daß er mir folglich sehr verbunden sein würde, wenn ich beides auf mich nehmen wollte. In meinen Augen war der Mann verrückt geworden. Ich bewog die Dame, die ich ihn so oft mit dem Namen seiner Gemahlin hatte beehren gehört, ihren kleinen Astyanax auf den Arm zu nehmen, und sich zu Hektor zu verfügen, um seinen Gemütszustand näher zu untersuchen. Sie tat es, und nun bestand ich darauf, daß sie diesen Rabenvater mit den tollen Einfällen nicht einen Augenblick aus den Augen lassen dürfe. Sie befolgte eine Zeitlang meinen Rat, aber ihre Unbeständigkeit führte sie bald einem ersten Helden einer herumziehenden Schauspielergesellschafta strolling player. in die Arme, der als Romeo auf dem Theater von Drurylane oder Coventgarden ihr Herz gewonnen hatte. Sie ward seine Julia, folgte ihm – auf die Bühne, spielte die Rollen der Mistreß Siddons, doch ohne jene vergessen zu machen. Desto mehr gefiel sie einem Baronett, der, von ihren Reizen bezaubert, ihr sein Herz anbot, sie verwarf es – seine Reichtümer, sie verschmähte sie – endlich Namen, Titel und Hand, sie geruhte, sie anzunehmen. Sie hat sich seitdem als respektable Gattin vorwurfsfrei betragen, weil ihr das Gegenteil unmöglich gemacht wurde, denn ihr Herr Gemahl spielt den tragischen Tyrannen mit ihr und hält sie neun Monate im Jahre in seinem Schlosse gefangen, welches zwar kein verzaubertes, wohl aber für sie ein verwünschtes ist.

Für ein großes Talent ist die Ruhe ein Grab.

Wie kommt es, daß Eheverbindungen mit Schauspielerinnen in Frankreich so selten, in England nichts weniger als selten sind? Sollten folgende zwei Gründe nicht zur Erklärung und Beantwortung der Frage genügen? In England wird auf das Ungefähr der Geburt und auf Mißheiraten kein großes Gewicht gelegt. In England ist man beim Abschluß einer Ehe mehr darauf bedacht, was die Frau künftig sein soll, als darauf, was sie vorher gewesen ist. Beide Gründe lassen sich hören und verteidigen, obschon es hier nicht so sehr die Sache des Vorurteils als des Gefühls und Zartgefühls ist. Ich gestehe für mein Teil: so gern ich mir erlauben würde, die Frau meines Nachbars zur Untreue zu verleiten, so sehr würde ich wünschen, daß die meinige mit jungfräulicher Keuschheit mein Ehebett beträte und es als Gattin nie befleckte. Ich gestehe ferner, daß ich von zwei Uebeln das kleinste wählen würde, und dieses kleinste ist in meinen Augen – eine Frau, welche sich nach der Ehe schlecht aufführt. In dieser Hypothese sind ihre Fehler von meinem Willen unabhängig; ich konnte sie nicht voraussehen, sie hat mich betrogen. Im andern Fall habe ich alles gewußt, sie hat mich nicht betrogen, ich aber habe vorsätzlicher- und mutwilligerweise mich mit ihrer Schande vermählt, mich über alles hinweggesetzt, der öffentlichen Meinung getrotzt und der begründeten Furcht vor der Zukunft nicht geachtet. Wer könnte wohl über den Hagestolzen den Stab brechen? Wer könnte den ehelosen Stand verrufen, der uns allein vor diesem Wechselfall und vor den Gefahren dieser wichtigen Lebensfrage schützt? Aber ach, diesem Stande stehen von anderen Seiten andere Gefahren bevor, andere Waffen sind gegen ihn gerichtet, und auch selbst wenn die politische Verfassung der Gesellschaft ihm nicht den Krieg erklärte, würden es Wahrheit und Erfahrung tun und sprechen: »Der ehelose Stand macht das Leben leer und schwer und den Tod bitter.« – Ihr Männer, Spielwerke der Frauen, ihr großen Kinder, laßt euch lieber in der Jugend von ihnen betören, damit ihr im Alter den Trost ihrer Pflege genießt! Ihre Stimme ist dann nicht mehr trügerisch, wenn ihr Haar gebleicht ist, ihre schwachen Hände sind noch immer hilfreich und wohltätig. Naht der Tod, so drückt die Last der Jahre den Mann ganz darnieder, die Frau hat weniger Kräfte verschwendet und ausgegeben, fühlt sich weniger schwach und hinfällig, und am Ende der gemeinschaftlichen Lebensreise bietet sie ihrem Gefährten den sterbenden Arm zur Unterstützung, um an das Grab zu gelangen.

Ja, ich will wieder heiraten!Der Verfasser, der dieses im Jahre 1804 oder 1805 schrieb, hatte 1799 in Nordamerika ein Ehebündnis geschlossen und wieder aufgelöst. Er hat sich aber seitdem nicht wieder vermählt. (Uebers.)

Ein zweiter Punkt, worin sich die Engländer unstreitig verständiger und weiser zeigen als die Franzosen, ist die äußere Lebensweise ihrer Lustdirnen. In London trägt kein öffentliches Mädchen den Luxus zur Schau, der in Paris so auffallend anstößig und ärgerlich ist. Keine baut ein großes Haus auf Trümmern von zwanzig Häusern und Familien, auf Kosten ebenso vieler Narren und Gimpel, welche – während die Damen, die sie betrogen und gerupft haben, im vergoldeten Schlafgemache ruhen – auf der Straße ihr Lager suchen würden, wenn sie aus Furcht vor ihren Gläubigern diese betreten dürften. Keine englische Lustdirne läßt sich in ihrem Triumphwagen vor die Tür des Schauspielhauses fahren, um dort, mit dem glänzenden Schmucke der Edelsteine reich beladen, sich in der ersten Logenreihe mit diesen schändlichen Siegeszeichen zu brüsten, den öffentlichen Sitten Trotz zu bieten, Familienmütter zu beunruhigen, sich den Söhnen zur Schau zu stellen, um den Töchtern durch ihre Prachtausstellung schweigend zu beweisen, daß es Laster gibt, welche besser bezahlt werden als Unschuld und Tugend. – Zwar kann man in London ebenso gut wie in allen großen Hauptstädten fertige Liebe kaufen,Acheter l'amour tout fait. Eine Antwort, die ein Engländer dem König Ludwig XV. gab, als dieser ihn fragte: Ob er nach Paris gekommen sei, pour faire l'amour. Non, Sire, je l'achète tout fait. Die Redensarten faire l'amour (Liebe machen) und acheter l'amour (Liebe kaufen) sind zwar französisch und englisch, aber bis jetzt noch nicht deutsch. (Uebers.) aber diejenigen, welche sie dort feilbieten, erheben sich nie zu derjenigen Stufe von Reichtum, ich hätte bald gesagt, von Ansehen und Achtung,considération. auf welcher ich einige unserer Demoiselles gesehen habe. Die meisten Engländer halten sich an die gewöhnlichen Klassen der gutherzigen Schönen, die nicht viel Umstände machen, schließen mit ihnen einen Vertrag, welcher so lange dauert als das Vergnügen, worauf er sich gründet, schließen selten mit ihnen einen Bund der Treue, heuern sie auf gewisse Zeit und bringen dabei mehr die Gesundheit als die Beständigkeit in Anschlag. Ich habe Engländer von Rang gekannt, deren Geliebte im Hause einer gemeinen Kupplerin wohnte, sie zogen es vor, sie dort zu lassen und zu besuchen, anstatt sie in eigne Zimmer einzumieten und der Gefahr auszusetzen, ihren alten Wegen und Weisen nachzugehen. Kam es mit einigen so weit, daß sie ihre Schöne der Aufsicht der Duegna entzogen, sie in Möbel und Zimmer setzten, sie wohl gar zu sich ins Haus nahmen, so gingen sie bald noch einen Schritt weiter – so war es entweder der feinsten Verführungskunst von Seiten der Dame, oder einer geheimen Sympathie, einer Wahlverwandtschaft, zuzuschreiben, daß sie den Roman mit einer geheimen oder öffentlichen Ehe schlossen. Dagegen ist es aber auch wahr und zu bedauern, daß in London Straßen, Theater, Spaziergänge, Belustigungsorte mit Hetären aus den untergeordneten Klassen überfüllt sind, welche in ihren Lockungen den größten Zynismus entfalten und schamlos ihr schändliches Gewerbe treiben. Doch sind diese Evastöchter mit ihren Aepfeln nicht gefährlich; ich sehe in ihnen und ihren abstoßenden Reizen nur den Stamm ohne Frucht. In der Liebeskunst gilt die Nation, welche die höchste Feinheit hineinlegt, mit Recht für die gefährlichste, aber zugleich auch für die verdorbenste.

Mistreß Pove ist die einzige, welcher ich in dieser Reise meinen Weihrauch opferte. Die anderen vorübereilenden Gegenstände eines flüchtigen Götzendienstes hier anführen, hieße meinem Gedächtnisse und der Nachsicht meiner Leser Gewalt antun.

Ich erneuerte meine Bekanntschaft mit einer durch ihre Kenntnisse und ihre Liebe zu den schönen Wissenschaften berühmten Dame, Mistreß Montague. Sie war eine Halbgelehrte,une érudite. ein schöner Geist, und gehörte zu der Klasse, welche die Engländer mit dem Namen blue stockings (Blaustrümpfe) bezeichnen. Eine Engländerin durch und durch, wie fast alle einzelne in diesem Volke leidenschaftlich, enthusiastisch, fanatisch eingenommen für ihr Vaterland. Sie schätzte nichts als ihren Shakespeare und die Erzeugnisse des englischen Musenbodens. Zwar geruhte sie, uns und unserm Frankreich hier und da, aus Gnaden, eine Achtung zu schenken, doch war diese so mager und untergeordnet,secondaire. daß ich sie gern zurückgeschenkt hätte. Uebrigens war sie von der äußersten Höflichkeit gegen die Ausländer, für welche sie die Honneurs eines großen und guten Hauses machte, besonders übte sie die Gabe des Zuvorkommens und einer ausgesuchten Artigkeit gegenüber Franzosen – im Grunde den einzigen, welche Gnade vor ihren Augen fanden. Sie hatte mit Voltaire mehr als eine Lanze gebrochen, er war so artig gewesen, über Shakespeare mit ihr in die Schranken zu treten und mit beiden seinen Scherz zu treiben. Auf diese literarische Fehde hatte sie alles verwendet, was im Kunstfache Parteigeist und das enthusiastische Vorurteil des Eigensinns und der Leichtgläubigkeit vermag. Voltaire hatte in seinen Antworten nie die Grenzen der Mäßigung überschritten, worin er sich zu halten wußte, wenn es ihm der Anstand und die Artigkeit gegen Damen und gegen Männer, die er als Damen behandeln wollte, zur Pflicht machte. Der alte Kämpe spielte mit seiner ebenfalls nicht jungen Gegnerin; er, der Wolf, sie das – (nicht Lamm, sondern) Schaf, das er schor, ohne es zu verletzen, das er widerlegte und unterrichtete, ohne es zu überzeugen und zu bekehren. – Mistreß Montague hatte auch in ihren guten Stunden einige Schwächedu faible. und Vorliebe für Corneille, verfiel aber bald wieder in ihre unheilbare Krankheit, denn die Bedauernswürdige fühlte nichts für Racine; und, um sich noch strafbarer zu machen, behauptete sie, sie verstehe ihn. Die vortreffliche Frau sah im Achill einen französischen petit-maître und im Trauerspiel Athalia nur ein interessantes Kind. In diesem Geist und Geschmack hat sie gelebt und ist sie gestorben!!

Ihr, die in England oder in anderen Ländern als Frankreich geboren seid, und die ihr das Unglück habt, die Meinung der Mistreß Montague zu teilen, vernehmt es: Ihr habt nie die Musik dieses großen Dichters begriffen, ihr seid nie in das Geheimnis seines einzigen Talents eingedrungen. Ich habe Grund, zu fürchten, man müsse in Frankreich geboren sein,Hört, ihr Nichtfranzosen, was Voltaire von ihm sagt: Je ne connais pas une bonne pièce depuis Racine, et aucune, avant lui, où il n'y ait d'horribles défauts. Lettre XXXII de l'année 1763. – Je trouve tout détestable, quand je lis les pièces de Racine, et je voudrais avoir brulé tout ce que j'ai fait. Il n'y a que Racine dans le monde. Ce n'est pas qu'il n'y ait de très-belles choses dans Corneille, mais pour une pièce parfaite de lui je n'en connais point. Ibid. Lettre XXXVIII. (Uebers.) um diesen großen Mann ganz und durchaus zu kennen. Er wird über alle partiellen Urteile siegen, solange es noch Geschmack geben wird. Neben Virgil und über Euripides gestellt, wird er ewig und überall der Liebling aller Männer von Geist und Gefühl bleiben. Doch um ihn begreifen zu können, muß man der französischen Sprache mächtig sein, und dies, mit Ihrer Erlaubnis, Mylady, ist nicht Ihr Fall – man muß außerdem kein ausschließliches Wohlgefallen an Gräbern, Scheiterhaufen, Blutgerüsten, Geistern und Hexen finden, man muß in alle Feinheiten der Sprache Racines, in alle Zartheiten seiner harmonischen Verse, in die teuren, mit den Farben der Natur ausgemalten Schilderungen der Stürme und Leidenschaften des Herzens eingeweiht sein, man muß die Griechen lieben, in ihren Theatern einheimisch sein, um an Racine Geschmack finden, um über seine Naturkunst entzückt sein zu können, um sich von dem echt attischen Mechanismus der vervollkommneten Tragödie angezogen zu fühlen. Ueberlassen wir immerhin die Shakespearesche Literatur und Manier denen, die Gefallen und Genüge daran finden. Seien wir mit dem Ruhme zufrieden, Griechenland wieder auf unseren Bühnen aus dem Grabe erweckt zu haben, seien wir damit zufrieden, daß in unseren Dramen mehr Philosophie und Pathos gefunden wird als bei den Alten, und daß wir in ihrer eignen Kunst ihre Sieger geworden sind. Ich gebe zu, daß Shakespeare ein großer Dichter, ein großer Maler ist, aber er hat kein einziges seiner Gemälde vollendet, er hat kein einziges Denkmal hinterlassen, welches neben dem Standbilde seines Genius nicht auch zugleich das Flußgestell und die Basreliefs des schlechten Geschmacks seines Zeitalters – und seines eignen dazu – aufstellt. Sein rohes Jahrhundert ist dergestalt auf ihn und in seine Erzeugnisse übergegangen, daß man sich wohl den Zweifel erlauben darf, ob er, zu einer späteren Zeit geboren, einen geläuterteten Geschmack gezeigt haben würde. Können Sie es leugnen, Mylady? Muß man nicht eine einzige schöne Szene mit zwei langweiligen Akten erkaufen, eine Wahrheit mit zwanzig Unwahrscheinlichkeiten? Selbst Ihre Nation ist geteilter Meinung über sein Verdienst: ein großer Teil Ihrer Landsleute schätzt ihn bei weitem nicht so hoch wie Sie, ein andrer Teil versteht ihn nicht, und Hume, einer ihrer gediegensten Schriftsteller, urteilt von ihm: »er sei ein Riese, weil er einen Höcker trage«. Wir Franzosen zergliedern gern, was uns Vergnügen machen soll; der Faltenwurf des über eine Statue ausgebreiteten Mantels versöhnt uns nicht mit ihr, wenn sie kolossal, aber dabei unförmlich gezeichnet ist, wenn es ihr an Grazie und an Ebenmaß fehlt. Man hat uns nicht ohne Leichtsinn des Leichtsinns beschuldigt, uns, die so schwer zu befriedigen sind, uns, die von der Kunst so viele Korrektheit und Ueberlegung verlangen. Doch muß ich zugeben, daß wir, um an etwas Gefallen zu finden, zu sehr auf ein Drittes sehen – auf Eleganz.«Der Verfasser bleibt uns die Antwort der Mistreß Montague schuldig. Sie, die Gegnerin Voltaires, wird hier, wo ihr der Sieg so leicht fiel, nicht geschwiegen haben. (Uebers.)

Die Spielhäuser in London, diese Vorhallen der Hölle, verdienten wohl ein besonderes Kapitel in meinen Memoiren, wenn ich Zeit und Lust hätte, mich in diese Gruben des Jammers und der Verzweiflung hinunterzulassen; alsdann aber müßte ich, um das Bild auszumalen, einen eisernen Griffel zum Pinsel wählen und ihn in Blut tauchen. Doch es bedarf nur eines einzigen Strichs, hier ist er. »Die Londoner Spielhäuser sind noch verderblicher, noch gefährlicher als die Pariser!« Die Trunkenheit, das herrschende Laster der englischen Nation, macht die Betrüger dreister und ihre Opfer verblendeter. Außerdem gab es (zu meiner Zeit) in Frankreich – mit Ausnahme der allerniedrigsten Schlupfwinkel – in allen Spielhäusern Frauen unter den Gästen und Teilnehmern, und obschon sie nicht zur auserlesenen guten Gesellschaft gehörten, so diente doch die angeborene Sittlichkeit ihres Geschlechts dazu, den Ingrimm der rasendsten Spieler zu zügeln. In London habe ich während meines dreimaligen Aufenthaltes eine solche Spielwut in den ersten Klassen der Gesellschaft angetroffen, daß in der großen Welt, und ganz besonders beim anderen Geschlechte, am höchsten gespielt und am meisten verloren wurde, so daß es Fälle gab, wo in einigen Nächten Frauen aus den ersten Ständen aller Gemächlichkeiten des Lebens für sich und die Ihrigen verlustig gingen. Doch ist es nicht meine Absicht, von den Spielgelagen dieser Art zu sprechen, obschon es traurig genug ist, bei gewissen Gelegenheiten, und um sich nicht von der Sitte auszuschließen, in großen Gesellschaften sich in Spielpartien verwickelt zu sehen, welche den Verlierer zugrunde richten können. Ich wollte nur hier die Winkelhäuser erwähnen, wo Beutel- und Gurgelabschneider auf ihren Raub lauern, wo jeder ohne Umstände eintreten kann, und wo man ebenso wenig Umstände macht, ihn zu rupfen und kahl zu machen.

Wäre ich König, so müßten zwei Uebel aus meinen Staaten verschwinden: das Spiel und die Bettelei. Mit Hilfe einer guten Logik und mit vollkommen gutem Gewissen könnte man den Satz aufstellen und durchsetzen, daß das Spiel noch verabscheuungswürdiger ist als der Diebstahl. Und doch wird dieser gebrandmarkt und bestraft, jenes wird geduldet und geehrt. Der Spieler lebt von dem Blute und den Tränen derer, die er beraubt, aber die Gesellschaft errichtet ihm Siegeszeichen und Triumphbögen.


Meine Erinnerungen würden mich in den Stand setzen, die Schilderung einer sehr ausgezeichneten Persond'un personnage très-marquant. Auch uns verbietet die schuldige Ehrfurcht, diese hohe Person, von deren früheren Jahren hier die Rede ist, zu nennen. (Uebers.) zu entwerfen. Vielleicht könnte ich diesen Herrn ähnlich darstellen, trotz der Beweglichkeit seiner moralischen Physiognomie, und trotz der Unbeständigkeit seiner Formen. Aber es gibt Gründe der Schicklichkeit und des Wohlstandes, die man nie verletzen darf. Diese Gründe, denen ich treu bleiben will, erlauben mir bloß, zu sagen, daß es Menschen gibt, welche von der Natur so freigebig und köstlich ausgestattet sind, daß ihre Gaben ein vollständiges System von Lebensverirrungen und Inkonsequenzen vergessen machen. Ich darf aber nicht verschweigen, daß, indem ich so urteile, ich nur die Worte eines alten HöflingsDer Marquis von Saint Helens, Ritter des Hosenbandes usw. usw. wiederhole, den ich zu wenig und zu spät kennen gelernt habe. Wenn ich ihn aber über diesen Punkt und über jene Person nicht weiter reden lasse, so will ich meine Leser auf eine andre Weise zu entschädigen suchen und diesen trefflichen Mann, der alle Sitten und den guten Geschmack der besseren Zeiten besaß, klagend und redend einführen. Er beschwerte sich oftmals gegen mich, daß in England die Leute seines Standes von der alten Weise abgegangen wären und sie mit einem kleinlichen, dürftigen Wesen – eine Folge des Leichtsinns und der Sittenverschlimmerung – vertauscht hätten. »Herr Graf,« fuhr er, sich folgender Wendung bedienend, fort, »wir haben uns sonst aus Ihrer Garderobe mit Kleidern versehen, und die Moden, welche Sie uns von Calais nach Dover übermachten, waren nicht allein gefällig, sie waren edel. Ich habe es mir in der Jugend zur Pflicht gemacht, so ziemlich Schritt mit ihnen zu halten, da es mir von jeher äußerst zuwider gewesen ist, von einem Aeußersten zum andern rasch überzuspringen. Daher ist es denn gekommen, daß mir seit den reiferen Jahren eine – wie soll ich's nennen? – französische Tradition anklebt, welche auf meine Bewegungen, meine Gebärden, meine Stellungen, meine Haltung, meine Reden übergegangen ist und mir dazu verholfen hat, die insularische Steifheit abzuschleifen. Es gibt eine glückliche Mischung von dem, was beide Nationen Gutes haben, diese Mischung sollte man in ein Ganzes zusammenschmelzen, und alles, was in beiden Nationen auf feine Bildung Anspruch macht, sollte davon Gebrauch machen. So habe ich es wenigstens gehalten, und diesem Studium und dessen Anwendung verdanke ich das Wenige, was ich wert bin. Mit Schmerz sehe ich fast unsere ganze heutige Jugend in Stall- und Pferdeknechte umgewandelt, die englische Höflichkeit und Sitte, in der wir nie außerordentlich geglänzt haben, nimmt mit jedem Tage mehr und mehr ab; unserer Nation wird bald nichts übrig bleiben, als ihr Original-Charakter, wodurch sich bei uns mehr als sonst irgendwo ein Mensch von einem andern unterscheidet. Doch damit ist noch nicht alles abgetan. Ein junger Engländer dünkt sich heutzutage viel und glaubt ein vollkommener Engländer zu sein, wenn er mit Enthusiasmus von seinem Vaterlande spricht, er weiß aber nicht, was sein Vaterland Großes getan und geleistet hat. Er hält sich für einen Römer, weil an unseren Straßenecken sich ein paar Lastträger boxen, er findet Vergnügen an Hahnenkämpfen, weil er das für ein Bild des Krieges und eines kriegerischen Nationalsinnes ansieht. Unsre unüberwindliche Seemacht macht den Inhalt aller seiner Unterhaltungen aus. Er geht acht Stunden des Tages gestiefelt und betrinkt sich – um doch etwas zu tun. Er würde sich gern zum Erbrechen reizen, wie es in Rom Sitte war, ehe man zur Tafel ging, das Hutabnehmen kommt ihm als eine Unart vor, der beste Ton besteht in seinen Augen darin, gegen die Frauen einen schlechten anzunehmen, wenn er ihnen die Ehre erzeigt und sich die seltene Mühe gibt, in ihrer Gesellschaft zu erscheinen, dann stößt er vor Herzoginnen sein Goddam und andere Modeflüche aus, dann wirft er sieh auf das Sofa,Wörtlich wahr! Der Uebersetzer ist Augenzeuge gewesen, daß ein englischer Gentleman, Sir Arthur Pag... in Berlin, in Gegenwart der Wirtin und ihrer Freundinnen von Stande, das Sofa allein einnahm, auf demselben unanständig lotterte, gähnte, sich die Zähne stocherte, während die Damen sich einander zuzischelten: Qu'il a de beaux yeux! – Wer war am meisten zu tadeln? (Uebers.) legt sich, streckt sich, anstatt sich zu setzen. –

Aber ihr Herren Franzosen habt einen noch schlechteren Handel getroffen; ihr habt uns nachahmen wollen, d.h. tun wollen, was mit euch im größten Gegensatz steht. Was uns hier vielleicht keine Gefahr bringt, ist in eurem Lande höchst gefährlich. Ich habe Frankreich bereist. In eurer Nation ist das Dekorum – die Schicklichkeit – wesentlich notwendig und eine Hauptsache. Jeder Stand muß bei euch seine Markscheideson quant à soi. haben; eine unerklärliche Narrheit hat euch aber bewogen, der höflichen Würde zu entsagen, welche den Charakter des französischen Adels ausmachte; ihr habt Räume und Klüfte ausgefüllt, welche ihr hättet bestehen lassen sollen. Ich suche eure großen Namen; ich erkundige mich, ob sie noch auf einer großen Bühne ihre Stelle einnehmen; man gibt mir Bescheid, daß viele von denen, die sie tragen, hinter den Kulissen und im Hintergrunde stehen, unfähig, eine Rolle zu spielen. Ich frage, ob es noch Montausiers, Du Guesclins,Der Marquis Du Guesclin (der letzte seines Namens, weil die Herzogin von Gesvre nicht dazu gerechnet werden kann), war schon tot, als der Marquis von Saint Helens seine Frage aufwarf. Aber sieben bis acht Jahre früher wäre die Frage sowohl als die Antwort begründet gewesen. (Verf.) Türennes,Die Nachkommenschaft Türennes in gerader Linie ist erloschen; aber Verwandte seines Hauses und Familiennamens, de la Tour d'Auvergne, haben sich bis zur Revolution Türenne genannt, und es gibt aller Wahrscheinlichkeit nach bis auf den heutigen Tag Abkömmlinge, welche diese schwere Namenslast zu tragen haben. (Verf.) Coucis, Fenelons in Frankreich gibt? Man antwortet: Ja. – Was sind sie, was stellen sie vor? – Nichts. Diese Leute hätten aber ihre Vorfahren fortsetzen sollen. Ich gehe noch weiter und sage: der König, ihr Herr, hätte sie dazu zwingen sollen. Wäre ich der König gewesen, ich würde ihnen hohe Stellungen gegeben haben. Hätten ihre Aemter und Würden sie auch erdrückt, ei nun! so würde ich, ihr König, sie doch, wie gesagt, gezwungen haben, wäre es auch nur bei Feierlichkeiten, ihre Väter zu repräsentieren.«

»Sehr wohl, Mylord,« rief ich aus, »vortrefflich! Der große Chatham selbst könnte nicht besser gesprochen haben! In Ihnen fließt noch das Blut des alten Rittertums; aber ach, es ist der letzte Funke einer Flamme, welche erlischt, und welche Sie vergebens versuchen wieder anzufachen. Mehr als je ist die Zeit einer analysierenden Philosophie an der Tagesordnung. Die großen Familien haben es jetzt mehr als je nötig, sich durch große Taten wieder emporzuheben und zu Ansehen zu bringen. Man muß die Buchstaben berühmter Namen wieder mit feinem Golde überziehen, wenn sie nicht unleserlich werden sollen, und ich fürchte sehr, daß um Achtung zu gebieten, kein Name an sich, allein und ohne Zusatz, sonorisch genug klingen wird. Es kann vom Könige kein Befehl ergehen, welcher einem Hause, wo sie fehlen, die großen Männer wiedergeben kann, die es entbehrt; so wie es keinen Gärtner gibt, der eine Pflanze wachsen lassen kann, wenn kein Same ausgestreut ist. Die alten Namen gleichen alten Schlössern und Burgen, deren Mauern verwittert sind; vergebens sucht man ihre Antlitzseite durch Mörtel und Anstrich zu verjüngen. Europa muß sich durchaus einer neuen Erziehung unterwerfen, um neue Begriffe zu erhalten, um alte Vorurteile abzulegen. Diese Vorurteile hatten ihr Gutes; sie verhalfen einigen zur Achtung, dienten anderen als Zügel, retteten alle vor Ungebundenheit und Sklaverei. Aber die Wahrheit liegt immer in der Mitte; geht man zu weit, tritt man die Einrichtungen und Satzungen der Vorzeit mit Füßen, was kann daraus entstehen? Wird man nicht mit Glück und Ruhe die Erfahrung teuer bezahlen, daß was man Vorurteile nannte, unerläßliche Bedingungen der Gesellschaft und Lebensteile des politischen Körpers sind? Dagegen muß ein schlafender Adel,Es würde in Frankreich keine Revolution erfolgt, wenigstens keine besonders gegen den Adel gerichtet worden sein, wären wir nicht in einem zu langen Frieden eingeschlummert. (Verf.) dem keine Pflicht obläge, als in stolzer Ruhe seine Titel und Urkunden aufzurollen, gewärtig sein, den Streich zu erhalten, der das Herz trifft und dem Leben ein Ende macht; so wie ein Volk, das keine Macht der öffentlichen Meinung kennt, unfehlbar willkürlicher Gewalt zum Raube und das Eigentum eines Despoten werden muß. Ihr Räsonnement, Mylord, muß auf eine zusammengesetzte Grundlage gestellt werden; Sie müssen nicht verlangen, daß die großen Häuser immer große Männer liefern; Sie müssen aber darauf bestehen, daß, wenn es der Fall ist, solchen auch ehrenvoll begegnet werde. Sie müssen das Volk auffordern, den Adel gehörig zu achten, und es dem Adel zur Pflicht machen, sich des Volks wegen selbst zu achten. Mit einem Worte, Mylord, eines von beiden: lange Kriege oder neue Sitten, wo nicht, so ist das achtzehnte Jahrhundert die unvermeidliche Epoche unseres Verderbens!«

Kaum hatte ich den Marquis von Saint Helens, mit welchem ich diese halb feudale, halb philosophische Unterhaltung hatte, verlassen, als ich dem Marquis D'... begegnete, der, ehemals Offizier bei der Gendarmerie, vor mir in England angekommen war, zu seinem Unglück wieder nach Frankreich ging und auf dem Landsitz des Herrn von Cl... den martervollsten Tod fand.Er wurde in einem Backofen, worin er sich geflüchtet, mit Bajonettstichen durchbohrt. (Verf.) Sein Anzug war in einer Unordnung, welche zugleich Mitleiden und Ekel erregte und den Beweis des schmutzigsten Elends gab. Sein Auge war hohl, sein Gesicht abgemagert, mit hervorstehenden Backenknochen, und zeigte eine Todesblässe, die das Los anzukündigen schien, welches ihn treffen sollte. In diesem ZustandeNihil sub sole novum. Schon Philipp von Commines berichtet: Nach der Niederlage der Partei des Hauses Lancaster im Kriege der roten mit der weißen Rose, habe er in den Niederlanden den Herzog von Somerset, dessen Vater nach der Schlacht von Hexham enthauptet worden war, in der Lage und Tracht eines Bettlers angetroffen und mit eigenen Augen gesehen, wie er sowohl als der Herzog von Exeter im eigentlichsten Sinne auf der Straße die Leute um Almosen ansprachen. Jener war lange Zeit die Seele und das Haupt seiner Partei gewesen. – Ganz spät setzte Philipp, Herzog von Burgund, beiden einen kärglichen Gnadengehalt aus, von welchem sie in der Stille und in der Vergessenheit lebten, bis ein vorübergehendes Uebergewicht ihrer Partei sie nach England zurückrief, wo aber neues Unglück ihrer wartete und sie ihr Haupt auf den Block legen sollten. – Ebenso lebte, während der Kriege Karls I. mit dem langen Parlament, in einer an Mangel grenzenden Lage, auf dem Festlande, sechzehn Jahre, der Marquis von Newcastle, einer der trefflichsten, ausgezeichnetsten Männer in diesen Zeiten der Verwirrung und Unruhe, einer der reichsten Eigentümer des Landes. (Verf.) traf ich ihn zu seinem und auch meinem Glücke; denn ich konnte ihm einen Dienst erzeigen, ohne mich in die Verlegenheit zu setzen, ihm denselben erst anbieten zu dürfen; so sehr sah ich ihm den Hunger an, der ihn quälte, so sehr zu gelegener Zeit und im entscheidenden Augenblick kam ihm meine Hilfe. Er dankte mir, aber wie stutzte ich, als er hinzusetzte, er wolle mich aus Dankbarkeit glücklich machen. Mein Erstaunen stieg aufs äußerste. Ich mußte ihn für verrückt halten und eilte daher, ihn zu einer Erklärung zu bringen. Er gab sie mir, und nun wußte ich nicht: sollte ich über ihn lachen oder Mitleid mit ihm haben, als der Mann nahe an mich heranrückte und mir ins Ohr sagte, er habe den Stein der Weisen gefunden und die Kunst entdeckt, unsterblich zu sein. Jetzt erst bemerkte er meine Bestürzung und setzte mit tragischem Akzente hinzu: »Beleidigen Sie mich nicht durch Zweifel; Sie wären es sonst nicht wert, die Bekanntschaft des erlauchtesten Sektenhauptes zu machen, des Chevaliers von Saint Yld..., der kein anderer ist als der Nachfolger des großen Cosma,Des Groß-Cophta ? (Uebers.) welcher ihm vor tausend Jahren in Memphis die Geheimnisse seiner Kunst mitteilte, ehe er sich mit Jesus Christus vereinigte. Der Chevalier verlangt einen blinden Glauben, und mit dem besten Willen von der Welt würde es mir unmöglich sein, Sie dem Meister näher zu bringen, Ihnen an seinen unschätzbaren Wohltaten Anteil zu verschaffen, wenn Sie ihm kein lenksames, gelehriges Herz zubrächten.« – Ich kniff mir den Arm, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß ich wachte und nicht träumte. Wir waren in Pall-Mall. Ich schlug ihm vor, mit mir in ein Kaffeehaus (in den Kokusbaum) zu treten, teils, damit er nicht fortführe, mich auf offener Straße, populi stante corona, von seinen Geheimnissen zu unterrichten, teils auch aus Neugierde, damit er mir seine Torheiten und sein System weiter entwickeln möchte. Hier setzte er das Gespräch fort: »Der Mann, welcher die unedlen Metalle in Gold umwandelt und die Kiesel in Diamanten, der Ueberwinder des Todes, wird Ihnen unleugbar beweisen, daß er bei der Eroberung von Konstantinopel durch Mahomet II. zugegen war. Sie werden seine Gattin, die Prinzessin Irene, kennen lernen, dieselbe, von welcher einfältige Geschichtsschreiber behaupten, sie sei von dem Sultan geschändet und nachher enthauptet worden. Denn so schreibt man und, was noch ärger ist, so liest man die Geschichte! Wollen Sie noch mehr und noch Ueberzeugenderes? Mein Meister, und bald auch der Ihrige, war in Palermo zur Zeit der Sizilianischen Vesper, und da er das Probewort Ciceri nicht rein und richtig aussprechen konnte, erhielt er zehn Dolchstiche, und deren fünf mitten durchs Herz. Er stellte sich tot, machte sich auf, schiffte sich ein. – Sie werden seinen Stammbaum zu sehen bekommen, Er stammt von Aegialeus, dem Bruder des Osiris, und weiblicherseits in gerader Linie von der Isis ab. Der Glanz der größten und ältesten souveränen Häuser erblaßt, wie Sie hören, gegen den seinigen, doch was Sie noch mehr rühren wird – denn ich kenne Ihre gefühlvolle Teilnahme an den Schicksalen der Menschen – er, er selbst, er allein ist die berühmte Eisenmaske. Sie können wohl denken, mein geliebter Tilly, daß ich Ihnen alle diese Tatsachen nur in der festen Versicherung mitteile, Sie bald zu den Unsrigen zu zählen. Doch was sage ich, bald? Schon in diesem Augenblick merke ich es Ihnen und der Aufmerksamkeit, mit welcher Sie mir zuhören, an, daß Sie bereits mit Ohren und Herzen der Unseren einer sind. So wissen Sie denn, mein glücklicher Freund, daß eine wohltätige Menschenliebe die erste, angeborene Eigenschaft des unsterblichen Chevaliers ist. Gegen das Jahr Eintausendsechshundertundvierzig kam er nach Frankreich, um daselbst Aufklärungen zu geben und Offenbarungen zu machen, deren heilsame Wichtigkeit die Revolution verhindert haben würde, wenn man auf ihn gehört und geachtet hätte – die Revolution, welche mir kein Hemde auf dem Leibe gelassen hat! Aber Sie müssen sich's noch erinnern, wie der Chevalier – als Eisenmaske – vom Kardinal Mazarin behandelt ward, und nachher vom stolzen Louvois, der ihn so lange gequält hat. Er ist noch immer, wie damals, ein Freund von feiner Leibwäsche und kritzelt gern mit der Messerspitze Hieroglyphen auf silberne Teller. Endlich spielte er wieder in Paris die Rolle, welche ihm schon in Sizilien gelungen war, er stellte sich tot. Man begrub ihn in unsrer Bastille, welche nachher vom Maulaffen-Pöbeldes badauds. umgestürzt worden ist. Im Einverständnis mit Cagliostro, der seitdem ..., aber damals sein treuer Kammerdiener war,Anspielung auf Biron und auf den Vers der Henriade: Qui depuis ... mais alors il était vertueux. (Uebers.) wurde er unter seinen Augen und mit dessen Hilfe beerdigt, dann wieder ausgegraben, reiste nach Peking, ruhte sich dort ein paar Jahre aus, verband sich mit der Prinzessin Irene und erhielt die erste Ministerstelle beim Kaiser von China. »Das sind«, setzte er mit einer Bewegung des Hauptes hinzu, »keine alltäglichen Begebenheiten.« – »Nein, wahrlich,« erwiderte ich, »keine gewöhnlichen; aber ein Mensch, welcher nicht stirbt, ist noch ungewöhnlicher.« – »Ich bitte um Verzeihung,« unterbrach er mich, »nicht so ungewöhnlich, wie Sie wohl glauben. Wir sind unserer sechsundfünfzig Unsterbliche auf Erden. Es wird nun von Ihnen abhängen, der siebenundfünfzigste zu sein; die Anzahl wird aber nur bis sechzig gebracht, weiter hinaus erstreckt sich die mitteilende Kraftla force dispensatrice. des Meisters nicht. Jesus Christus, mit dem er sie bald zusammenbringen wird, da er ihn wenigstens alle Woche einmal spricht, besitzt allein die volle, unsterblich machende Kraft, doch hat man uns zu verstehen gegeben, daß er nur selten und aus ganz besonderen Gründen und Rücksichten Gebrauch davon macht. Es wird auch bloß von Ihnen abhängen, Personen aus Ihrer Familie, welche vor fünfzig Jahren gestorben sind, oder einen Freund oder eine verlorene Geliebte wiederzusehen, sobald Sie es wünschen. Der Meister wird Sie überdies so reich machen, daß Sie nach den ersten Tagen kein Vergnügen mehr an Schätzen finden werden. Sie sehen mich freilich (setzte er hinzu, als er hier den Blick auffing, den ich unwillkürlich auf sein höchst ärmliches Aeußeres warf) etwas im Anzuge vernachlässigt, und der Vorschuß, den Sie soeben die Güte hatten, mir zu machen, beweist, daß meine Finanzen sich augenblicklich in keinem blühenden Zustande befinden; aber das kommt daher, weil sich seit acht Tagen der Chevalier in der finstern Kammer verschlossen hält. Er macht Gold für zwei nordische Mächte, welche sich zugunsten Ludwigs XVI. rüsten, um seinen etwas wurmstichigen Thron (wie ihn Mirabeau in einer Abendsitzung nannte) zu begründen und zu befestigen. Morgen ist die Arbeit vollendet, der Chevalier erscheint, schüttelt den Goldstaub ab und glänzt wie der schmachtende Opal und wie der blendende Saphir, die unter seinen Händen hervorgehen.«

Hier schwieg der Marquis D'... Ich blieb stumm; er hingegen glaubte steif und fest an alles, was er sagte.

»Bis jetzt war ich der Meinung gewesen,« nahm ich das Wort, »Gott oder der Sohn Gottes pflegten sich auf Erden ihren Auserwählten nicht so vertraulich zu zeigen. Ich dachte so: wer sie einmal gesehen hat, bleibt ewig im Lichte ihrer Herrlichkeit leben. Ich dachte ferner: der Stein der Weisen befinde sich nur in den Furchen eines wohlbestellten Feldes. Ich muß Ihnen auch gestehen, daß ich mit der Idee einer irdischen Unsterblichkeit noch nicht hinlänglich vertraut bin, und daß ich sogar mehr als einmal über die Langeweile nachgedacht habe, welche ein solcher Zustand hier auf Erden auf die Dauer mit sich bringen würde, zumal wenn man so übermäßig reich ist, daß uns weiter nichts zu wünschen übrig bleibt als – der Tod. Uebrigens aber beglückwünsche ich Sie zu Ihrer Verbindung mit einer Person, von der Sie ohne Zweifel alles erhalten werden, was Sie in diesem Augenblicke zu bedürfen scheinen: Gesundheit und Geld. Ich sage: Gesundheit, denn ich kann nicht voraussetzen, daß Ihr Freund Ihnen ein unverwüstliches Leben zugute kommen lassen und ein solches Geschenk mit Ungesundheit verbinden wird, da in meinen Augen »gar nicht leben« besser ist als »ein sieches Leben führen«. Ich weiß wohl, daß man das Leben mit einer Geliebten verglichen hat, über welche man den ganzen Tag lang Klage führt, und mit welcher man die Nacht zubringt; auch angenommen, daß dieses übertrieben sei, so bleibt doch so viel wahr, daß das Leben, um eine Wohltat zu sein, keine Last sein muß.«

»Sehen Sie,« unterbrach er mich hier mit erhobener Stimme, »Sie haben ganz das Ansehen des Spötters, den Ton des Spottes und eine leichtfertige Miene, der ich nicht traue. Brechen wir ab. Doch da ich es mir einmal vorgenommen habe, über Ihren Unglauben Herr zu werden und Sie zu bekehren, so frage ich Sie: wo sind Sie übermorgen abend sechs Uhr anzutreffen? Geben Sie mir einen Ort an.« –

Ich lief keine andre Gefahr, als mich zu langweilen; vielleicht, dachte ich, gibt es auch Kurzweil. Ich nahm das Anerbieten an und bestimmte den Ort.

Mein Adept war pünktlich. Es war aber nicht mehr der Mann von vorgestern. Seine erloschenen Augen waren neu belebt. Sein Anzug war sorgfältig gewählt; er hatte sich noch auf andre Weise gestärkt und vom edlen Wein gekostet. Halbtrunken, schien er mir nur halbverrückt; seine Schwärmerei hatte einen weniger finsteren Anstrich bekommen. Er kam und holte mich – in seinem Wagen ab. – »Wohin führen Sie mich?« – »In den Tempel der Tempel: nach Chelsea, wo der Statthalter des Ewigen diesen Abend – ich glaube fast, Ihnen und drei anderen Gläubigen zu Ehren – eine Sitzung abhält. Sie sind freilich noch ein Ungläubiger, aber Sie sollen bald bekehrt werden.«

Mußte ich nicht lachen? Ich war weit davon entfernt, den Schluß der Posse vorauszusehen. Wie konnte ich meine Befremdung über einen Mann bemeistern, den ich so lange für vernünftig gehalten, und als solchen gekannt hatte, und den ich so plötzlich in einen leichtgläubigen, einfältigen Duns umgewandelt sah? Aber das Elend ist eine Vorbereitung zu allen Arten und Gattungen von Schwachheit; es erklärt viele traurige Erscheinungen, aber auch ohne diesen Antrieb gibt es keine Art von Verirrungen, welche eine fixe Idee nicht in unserm Gehirn hervorbringen könnte? Pascal, der große Pascal, sah beständig einen Abgrund zu seiner Linken. Es ist klar und ausgemacht, daß er diesen Abgrund einmal gesehen hatte; seitdem träumte er ihn sein übriges Leben hindurch, weil er sich davor fürchtete. Konnte der Marquis D'... nicht ebenso gut einen Goldfluß vor seinen Füßen gesehen haben? Sein Patron war ein Gauner ... ist so mancher ehrliche Mann es nicht geworden? Hat aber wohl die Goldmacherkunst, oder wie sie von ihren Adepten genannt wird, die Hermetische Philosophie, so viele Uebel angerichtet als eine gewisse andre Philosophie, gegen welche ich mich nicht zu laut aussprechen will, weil man sie schon ohnehin mit zu vielen Vorwürfen überhäuft hat, und weil es mächtige Rezensenten und ausgezeichnete Literaten gibt, welche verlangen, man solle sie heutigen Tages in Ruhe lassen und sie nicht als Sündenbock in die Wüste verstoßen.

Mitten unter meinen Betrachtungen, welche aber den Wagen nicht am Fortrollen hinderten, kamen wir an, hielten still, stiegen aus und fanden uns am Eingang eines abgelegenen Hauses. Man empfing uns in einer schwarzbehängten, mit einer silbernen Lampe beleuchteten Vorhalle. Die Stiege, welche zu dem Saal führte, war ebenfalls mit schwarzem Tuch belegt, schwarz war die Livree der Dienerschaft. Ich trat ein und sah eine Versammlung von dreißig Personen aus allen Ländern, welche sich in mehreren Sprachen, aber leise, unterhielten. Der Herr, der Meister, das Haupt des Hauses war noch nicht sichtbar. D'... sagte mir von ihm, er befinde sich im innern Kabinett, wo er mit der Begeisterung im Kampf begriffen sei. Zugleich erbot er sich, das Amt eines Einführers zu verrichten und mich der Prinzessin Irene vorzustellen. Sie war, wie er mich belehrte, den fünfzehnten des Monats Februar im Jahre Eintausendvierhundertsechsunddreißig, abends elf Uhr, geboren. Alles Geschmeide von Golconda und Masulipatam blitzte in ihren Haaren, auf ihren Armen, auf ihrer Brust, auf ihrem Gewande. Da es eine Kunst und eine Masse gibt, welche die edlen Steine so treu und täuschend nachahmt, daß man ein Juwelier von Handwerk sein muß, um den Betrug zu merken, so unternehme ich es hier nicht, den Grad des Zutrauens zu bestimmen, den das Geschmeide der Prinzessin verdiente. Ihre Toilette war vollständig, ihre Person entzückend; die Schelmin war hübsch. Mein Begleiter stellte mich ebenfalls dem Lord B... vor, einem ausgemachten Narren. Er war einer der Unsterblichen und des Meisters Stellvertreter.subdélégué. Irene führte das Gespräch mit Geist und Grazie. Da ich aber gewohnt bin, eine Frau, selbst wenn ich sie sehe, weniger mit den Augen als mit der Einbildungskraft zu beurteilen, so schien mir ihre Schönheit – sowie alles übrige an ihr – verdächtig. Ich ließ mich von ihr nicht einnehmen, nicht bezaubern. Ueberall ahnte ich Betrug. – Endlich gingen beide Türflügel mit großem Geräusch auf; ein Mann von hoher Gestalt trat ein. Sein braunes, verbranntes Gesicht hatte etwas Angenehmes. Sein Blick war durchdringend, sein Gang auf Eindruck berechnet; er warf auf den Kreis einen Blick, welcher mehr Schlauheit als Freundlichkeit verriet. Ich brauche nicht zu sagen, daß mein Einführer mich ihm mit lächerlicher Ehrerbietung vorstellte. Ich verhielt mich passiv. Der Chevalier drückte mir die Hand, aber sein wohlwollender Händedruck war mir um so empfindlicher und schmerzhafter, als ich von jeher gern Ringe an den Fingern getragen habe. Seine erste Frage machte mich bestürzt. »Wollen Sie mich lieben?« redete der Zauberer mich an. Und als ich ihm die Antwort schuldig blieb, eilte D'..., mich zu vertreten, und versicherte dem Meister, mein brennendes Verlangen, eingeführt zu werden, habe ihn erbaut, und mein gegenwärtiges Schweigen, mein Erstaunen und meine Religion wären gleichbedeutende, ineinanderfließende Gefühle. – Jetzt wurde ich, im Gegensatz zu den Sitten des Landes, wo wir uns befanden, vom Meister umarmt, wobei ich mich etwas ungebärdig benahm, ihm die Erklärung dieser Bewegung ad libitum überlassend. Der Herr führte mich auf ein Sofa, ließ mich neben sich sitzen, fing an, mich methodisch zu befragen und zu bearbeiten. Mein Alter, mein Vaterland, der Tag meiner Geburt, die Art und Weise meiner Neigung für das schöne Geschlecht – das waren die Hauptgegenstände, womit sich der Fragende beschäftigte, und wobei er auf die umständlichsten Einzelheiten einging. Ich antwortete auf alles, wie es mir gerade einfiel, fast immer in die Quer und der Wahrheit zuwider.

Auf einmal erloschen zwanzig im Zimmer brennende Wachskerzen wie durch einen magischen Hauch. Ich sah nun eine Gestalt von übernatürlicher Größe erscheinen; sie war weiß gekleidet und trug auf dem Kopfe eine rote Kapuze, aus welcher Blut auf das weiße Gewand herabträufelte. Ein phosphorisches Licht schlängelte sich um die Haare und erhellte auch den Saal hinlänglich, um das Entsetzen zu vermehren und dem Zuschauer von dem, was er sehen sollte, nichts zu entziehen. Das Gespenst sprach einige seltsam klingende Worte, worüber der Meister unwillkürlich und natürlich zu schaudern schien. Mitten im Zimmer stand der Stumpf einer Säule von Jaspis; sie trug einen kleinen Schmelzofen. Das darin enthaltene Metall kochte mit großem Geräusch; eine grüne, durchsichtige Rauchwolke stieg in Zylinderform die Decke hinan. Einige der Herren stießen bei diesem Anblick ein Freudengeschrei aus, das meinen Ohren nicht anders klang als das Geschrei der Wahnsinnigen im Irrenhause. Der Stellvertreter des Meisters gebot Schweigen; und jetzt erfolgte tiefe Stille und Sammlung. Mein Nachbar war in ekstatisches Nachdenken versunken, woraus ihn aber ein plötzlicher Donnerschlag weckte; das Haus zitterte, der Donner rollte lange und dumpf nach, und auf ihn folgte eine mitternächtliche Finsternis. Diese machte sehr bald einem sanften Lichtscheine Platz, welchen einzelne Punkte an der Decke hervorbrachten. Jesus Christus, ein Kreuz tragend, erschien. Aus seinen Augen leuchtete ein etwas melancholischer, aber zugleich wahrhaft göttlicher Blick. Sein goldgelbes Haar trug die Dornenkrone. Das Kreuz war von ungewöhnlicher Größe und schien mir von Holz zu sein wie das, woran er sein Leben für unser Heil aushauchte. Er warf es von sich, es zersplitterte wie Glas; im Fallen knisterten die Scherben. Christus hielt hierauf seinen Umgang im Saale, und als er an mich herankam, berührte er meine Stirn mit dem Finger, stellte sich dann mitten in den Kreis, schaute um sich, redete die Versammlung hebräisch, französisch und englisch an und wiederholte in diesen drei Sprachen, »daß er seinen Frieden und seinen Geist unter uns lasse und uns ermahne zur brüderlichen Eintracht und zum Glauben an ihn und an seine Allgegenwart.« Er ließ hierauf aus seinen geöffneten Händen einen knisternden Goldstaub fallen, der uns mit einer Menge Lichtfunken überströmte, und den angenehmsten Wohlgeruch verbreitete. Der Chevalier, der indessen aufgestanden war, stürzte sich ihm zu Füßen, hob Bruchstücke vom Kreuz auf, küßte sie ehrerbietig und sammelte sie sorgfältig in eine goldene Büchse. Jesus Christus reichte ihm mit Wohlwollen die Hand, ergriff die seinige und ging mit ihm an das äußerste Ende des Saals, wo er sich ziemlich lange und leise mit ihm unterhielt. – Ein zweiter Donnerschlag stürzte uns von neuem in die Finsternis. Kaum aber war die Gottheitle bon Dieu. verschwunden, als das Zimmer zu einem Feuermeer wurde. Armidens Palast in Flammen war nichts in Vergleichung mit dieser Glut. Sie nahm unmerklich ab, ließ aber Schein genug zurück, um oben aus der Decke die Gestalt eines vor fünfzehn bis zwanzig Jahren verstorbenen Mannes herabsteigen zu sehen, dessen Erscheinen sein Sohn, einer aus unsrer Gesellschaft, begehrt hatte. Es war die vollkommenste Karikatur des Komthurs im Don Juan. Sie rief mit lauter Stimme den Sohn bei Namen und redete ihm auf Italienisch zu, sich ohne Furcht zu nähern. Der Sohn tritt aus dem Kreise, geht auf den Schatten zu, will ihm in die Arme fallen und sinkt ohnmächtig nieder. Der Chevalier schellt; es bricht wieder tiefe Finsternis herein, zwei Kammerdiener erscheinen mit Kerzen, und an den Marquis von Massimi aus Mailand werden alle Hilfsleistungen verschwendet, bis er wieder zu sich kommt. Spielte man mit ihm, oder spielte er selbst eine Rolle?s'il était bafoué ou mystificateur. Ich weiß es nicht, konnte es ihm wenigstens nicht anmerken; er schien ehrlich zu Werke zu gehen, und sein Entsetzen kam mir nicht erkünstelt vor. – Dem Meister gefiel es nun, mich zum zweitenmal, ohne mich zu befragen, mit seiner Umarmung zu beehren; er legte mir zwei Finger auf die Stirn und berührte gerade die Stelle, welche Christus vorher berührt hatte. Zugleich wurde mir zu der Kaltblütigkeit Glück gewünscht, welche mich während der erhabenen Feierlichkeit keinen Augenblick verlassen hatte; und mir ward die Versicherung gegeben, bei der nächsten Versammlung, wovon die gegenwärtige nur ein unvollkommenes Bild sei, werde man mir Geheimnisse offenbaren, von denen der gemeine Haufe keine Ahnung habe; ich solle dann in die große geheime Loge eingeweiht und für unsterblich erklärt werden. – Im Vorübergehen vor einem Spiegel bemerkte ich auf der Stirn einen goldenen Flecken. Meine erste Bewegung war, ihn wegzuwischen, doch um mir nicht vergebens die Haut zu verletzen, faßte ich mich in Geduld und ließ ihn sitzen. – Jetzt verließen wir das Zimmer und traten in den Speisesaal. Ein köstliches Abendessen wurde aufgetragen; die Gäste fielen wie Ausgehungerte darüber her und zeigten sich als Kenner, Schmecker und Hochgelahrte in der edlen Kochkunst und in der Gastronomie. Ich machte die stillschweigende Bemerkung, daß die Unsterblichen, der Meister an der Spitze, ebenso gut aßen und tranken als die gemeinen Sterblichen. Doch, wie konnte das mich wundernehmen? Haben wir nicht alle von den Göttergelagen im Olymp gehört? Heißt es nicht im Sprichwort: »ein Göttermahl«? Mein Platz wurde mir neben der Göttin des Hauses, neben der Prinzessin Irene, angewiesen. Sie führte die Unterhaltung mit Geist und Verstand. Anfangs sprach man von gleichgültigen Dingen; kein Wort über das, was vorgefallen war, keine Anspielung, keine Hindeutung. Nur zuletzt, als jemand von der Gesellschaft sich des Glücks rühmte und freute, tags vorher zwei Bekannte, welche eine Fehde auf Leben und Tod vorhatten, ausgesöhnt zu haben, sagte der Chevalier, er habe einmal in seinem Leben mit zwei Freunden viel Mühe gehabt; sie hätten ihm, als dem Vermittler, viel Kummer verursacht, und er müsse sogar gestehen, es sei ihm nie gelungen, sie ganz vollkommen miteinander auszusöhnen. »Meine beiden Freunde«, setzte er im nachlässigen Tone hinzu, »waren Franz der Erste und Carl der Fünfte. Ich besaß beider ganzes Zutrauen und machte wohl zwanzig Reisen hin und her, um die Stimme der Vernunft zu ihren Herzen dringen zu lassen. Ganz wider meinen Willen wurde die Schlacht von Pavia geliefert ...« Niemand lachte – nur ich konnte bei aller Anstrengung das Lachen nicht ganz verbeißen. Die Prinzessin Irene bemerkte es; sie warf mir einen ernsten Blick zu. »Pfui,« sagte sie, »wer wollte hier lachen? Das ist nicht gut, ebenso wenig und noch weniger, als daß Sie das Reiben der Stirn nicht lassen können; der Fleck wird schon von selbst vergehen.«

Nach Tische begaben wir uns in eine ziemlich große Galerie, welche, mit Blumengewinden behangen und von Säulen in Baumgestalt getragen, woran Waffenrüstungen und Trophäen befestigt waren, einem bezauberten Walde im Kleinen glich. Hier wurde – zur Strafe für mein Spottlachen – der Geist Franz des Ersten gerufen; diese Erscheinung sollte der letzte Betrug, oder, um die Marktschreiersprache zu reden, der fetzte Sieg über den Unglauben sein. Der Monarch gehorchte dem Aufruf; er erschien auf des Meisters Stimme, hoch zu Pferde, auf einem prächtig angeschirrten Apfelschimmel, in Begleitung des Admirals Bonnivet und eines armen Teufels von Stallmeister, ebenso unbekannt nach dem Tode wie im Leben. Das Kostüm des Zeitalters, die Tracht jener Kriegsepoche, Waffen, Bekleidung, alles war zeitgemäß, oder, wenn ich mich so ausdrücken darf, chronologisch richtig. Ich muß sogar gestehen, daß dieser Franz der Erste den besten Bildern, die ich von ihm gesehen habe, auf das vollkommenste glich. Er trug denjenigen Bart, den er zuerst eingeführt hatte, und, was noch mehr ist, sein Bart verbarg die Wunde nur halb, welche das Unterteil seines Gesichts verunstaltete. Tränen flossen ihm aus den Augen und benetzten seine Wangen. Er beweinte das Unglück, welches nach Jahrhunderten sein Haus treffen sollte. Beim Absteigen vom Pferde half ihm sein Stallmeister und übergab ihm zwei kreuzweise übereinandergelegte Schwerter. Er nahm sie, reichte eines dem Marquis D'.., das andere mir hin. »Möget ihr«,, rief er uns mit furchtbarer Stimme zu, »einen edlen und nützlichen Gebrauch davon machen!« Ich gestehe, daß dieser Auftritt einen unbeschreiblichen Eindruck auf meine Phantasie machte, welche schon vorher vom Champagner und von den Augen der Prinzessin war bearbeitet worden. Ich kann überhaupt nicht genug sagen, wie fein, künstlich und pathetisch diese ernsthafte Posse angelegt war; mir ist, als sei sie erst gestern vor sich gegangen, so tief hat sie auf mich eingewirkt. Waren zum Beispiel die beiden Schwerter nicht ein redendes, weissagendes Sinnbild der Zukunft und der Sache, die wir verteidigen sollten? Zudem bestanden sie aus einer so zerbrechlichen Masse, daß sie, kaum in unseren Händen, zusammenfielen. Franz der Erste zog sich unter dem Trompetenschall einer kriegerischen Musik zurück, und gleich nachher sang die Prinzessin Irene unter eigener meisterhafter Begleitung eine Bravour-Arie.

C'est ainsi qu'en partant je vous fais mes adieux, sagte mir der Marquis D'..., und wir nahmen Abschied.

Als wir im Wagen saßen, redete er zuerst: »Nun, Herr Graf?« – Ich erwiderte: »Nun, Herr Marquis? Sie wollen meine Meinung wissen? Hier ist sie. Alles, was ich gesehen habe, ist seltsam, ist mehr und außerordentlicher als alles, was ich früher gesehen hatte; aber Ihr Meister – wie Sie ihn nennen, ist weder ein Zauberer, noch ein Unsterblicher.« – »Sie werden vielleicht an seine Macht glauben, wenn er sie mit Ihnen geteilt haben wird, wenn Sie, mit Schätzen und Lebensjahren beschenkt und überhäuft, nach tausend Jahren wieder mit mir zusammentreffen und wir weiter davon reden.«

Jetzt waren wir vor meiner Tür angelangt. Ich stieg aus, und wir kamen überein, uns nächstens wiederzusehen.

Mein Schlaf war äußerst unruhig. Ich war kein solcher Tor, daß ich in den Ereignissen des Abends etwas Uebernatürliches gesucht und gefunden hätte, doch erregt, erschüttert hatten sie mich, und mein bewegtes Blut wollte sich nicht beruhigen lassen. Ich berechnete die ungeheuren Kosten einer so zusammengesetzten Maschinerie und so künstlicher Anlagen, wodurch die Täuschungen hervorgebracht und unterhalten werden mußten. Ich dachte über den tief und weit angelegten Plan nach und über die zur Ausführung erforderlichen Geldmittel. Endlich schlief ich ein.

Am folgenden Morgen, als ich mich im Spiegel besah, war es mir lieb, die Spur des Goldfleckes nicht mehr zu finden. Meine Freude glich der so vieler Ehe- und Ehrenmänner, welche ebenfalls Ursache haben, sich zu freuen, wenn ihre äußere Stirn fein glatt und eben ist, obschon sie Grund genug hätten, das Gegenteil zu befürchten. Als ich noch darüber nachdachte, ließ sich der Sekretär eines fremden Fürsten bei mir melden. Diese Eigenschaft und der Titel, den er sich gab, kamen mir bedenklich vor. Ich ließ nach näherem Aufschluß fragen. Man konnte aber nichts weiter aus ihm bringen. Jetzt nahm ich ihn an. Beim Eintreten erkannte ich ein Bruchstückun débris. des vornächtigen Mahles. Er überbrachte mir eine Quittung, auf dreißig Guineen für meine Einführung lautend. »Sie begreifen wohl, Herr Graf,« sprach er mit einem gezwungenen, verzerrten Lächeln, »daß ein Mann, welcher Gold macht, keines von anderen bedarf, aber dieser Beitrag gilt für einen talismanischen Handel; wir nennen ihn in der Sprache der Alchimie die Jungfrauschaft des Schmelztiegels; er ist das Eigentumsteilla quotité. des untergeordneten Geistes, welcher dem Keime vorsteht; er ist der erste auszustreuende Same, aus welchem die allgemeine Ernte aufgeht. – Mit einem Worte, was hier beobachtet wird, ist eine philosophale Form des Steins der Weisen, und, um Ihnen alles zu sagen, aus diesen dreißig Guineen erwächst binnen vierzehn Tagen Ew. Exzellenz so viel Gold, daß Sie nicht wissen werden, wo es zu lassen, und was damit anzufangen ist.«

Jetzt klärten sich meine Ideen auf, das Rätsel war mir gelöst. Ich sann auf eine Antwort, fand es aber bequemer und einfacher, den Sekretär zu ersuchen, wieder vorzusprechen, und kaum war er gegangen, als ich schon Befehl gab, ihn nicht wieder vorzulassen.

»Sie haben recht, mein Herr von Saint Yldro,« dachte ich bei mir selbst, »Sie machen Gold, aber Sie würden Mühe haben, Kupfer zu machen, wenn alle Ihre Kunden ihr Geld so gut verteidigen wie ich!«

Ich habe seitdem erfahren, daß er einen englischen Pair und einen reichen Neapolitaner, der ihm von Rom aus nach London gefolgt war, zugrunde gerichtet hatte und sich jetzt ihrer bediente, andere ebenfalls zugrunde zu richten. Auf alle Fälle kamen ihm die Reize der schönen Irene zu Hilfe, welche, so oft sich eine gute Gelegenheit darbot, sich zu geheimen chemischen Prozessen verstand und sich selbst in Umlauf setzte.

Was D'... betrifft, so hatte sein Glaube und sein Feuereifer so tiefe Wurzeln geschlagen, daß keine Hoffnung, ob er je von seiner Tollheit genesen würde, übrig blieb. Was überdies hatte ein Mensch zu wagen, der auf Gottes ganzer Welt weiter nichts besaß als einen schwarzen Rock und seinen Magen? Ich mußte noch eine Zeitlang seine Beweise zugunsten des erlauchtesten aller Menschen (bald hätte ich »aller Sterblichen« geschrieben) und seine Klagen und Verweise über das Unschickliche meines Verhaltens anhören. Er hatte schon alle Spitzfindigkeiten und Kniffe seiner Schule dergestalt inne, daß ich ihn für unheilbar halten und aufgeben mußte. Ich begnügte mich, ihm zu versichern, daß solche herrliche Entdeckungen meiner Vernunft zuwider wären und meine schwachen Organe zu sehr angriffen. Ich gab ihm zu verstehen, es müsse wohl durchaus unmöglich für mich sein, in diesem Punkte Herr über mich zu werden, da eine so glänzende Laufbahn, die sich mir eröffne, nicht imstande sei, mich eines Bessern zu belehren. Aber als ich ihm vollends erklärte, daß mich die verheißenen Schätze nicht so sehr als das versprochene ewige Erdenleben von dem Entschlüsse abschreckten, weiter auf die Sache einzugehen, – da konnte er mich vollends nicht begreifen, und ich schied von ihm mit dem Wunsche, daß er jene sowohl als dieses besitzen möge. Der Unglückliche hätte besser daran getan, bei dieser doppelten Hoffnung in England zu bleiben, als nach Frankreich zurückzukehren und daselbst (wie schon erwähnt worden) des grausamsten Todes zu sterben.

Lord F..., ein Sohn des Grafen von D..., hatte Gelegenheit gehabt, den Alchimisten Saint Yldro kennen zu lernen, und hat mir Nachrichten über ihn mitgeteilt, welche mich auf die ersten Spuren dieses Abenteurers gebracht haben.

Er war auf einer Insel des Archipelagus geboren und der Sohn eines Griechen, welcher sich im Handel mit Edelsteinen bereichert hatte. Der Sohn beging tolle Streiche,des fredaines. sah sich genötigt, nach Smyrna zu fliehen, versah sich aber auf der Reise mit einer Handvoll Perlen, Brillanten, Rubinen, Smaragden, Topassen usw. In Smyrna machte er die Bekanntschaft eines Gelehrten, der ihm seine Steine abnahm und sich damit für die Stunden, die er ihm gab, bezahlt machte. Jetzt blieb ihm nichts übrig, als in die weite Welt zu gehen. Er kam nach Italien, das damals der große Schauplatz war, auf welchem sich Scharlatane und Betrüger aller Art herumtummelten. In Florenz verband er sich mit einem Freudenmädchen, ganz dazu geboren, ihm in seiner Rolle beizustehen und selbst mitzuspielen. Er machte sie zur Prinzessin Irene. Eine Zeitlang ging alles vortrefflich; sie lebten im Ueberfluß. Als er es aber zu grob anfing und das Kirchengut, in dem Besitztum zweier Kardinäle, angetastet hatte, wurde er von diesen bei der heiligen Inquisition angegeben, mußte Italien verlassen, kam nach London, fing sein Spiel von neuem an, fand aber Widerstand von seiten der besonnenen, kaltblütigen Nation. Ich weiß aus bester Quelle, daß er nach Karthagena gegangen und daselbst (gewiß nur augenblicklich) gestorben ist. Seine Quasi-Witwe hat sich während der Entfernung ihres Gatten nach Kadiz zurückgezogen, wo sie ihren Schatz von Juwelen und Kleinodien weislich verborgen hält und unter einem andern Namen Musik und Liebe treibt. Ihre Stimme ist ihr Talisman, ihre Augen sind ihre Zauberkraft.

Mein Zusammentreffen mit dem Könige Franz dem Ersten brachte mir Unglück. Einige Wochen nachdem ich die Ehre gehabt hatte, seiner verstorbenen Majestät aufzuwarten, überfiel mich (zu meiner Schande sei es gesagt!) die Krankheit, an welcher er selbst gestorben ist. Hätte ich dem Sekretär des großen Meisters die eingeforderten dreißig Guineen zugestellt, wäre ich der gehorsame Diener und Verehrer der Prinzessin Irene geworden, hätte ich mich zum Adepten der Kunst anwerben und einweihen lassen, so würde ich wenigstens eine Beschäftigung gefunden haben, die mich vor einer ab- und ausschweifenden Lebensart bewahrt hätte. So aber ist nichts so gefährlich als Untätigkeit und Müßiggang. Der junge Mann, welcher sich dem Vergnügen hingibt, weil der Liebe das Vergnügen nicht unähnlich ist, findet mit jedem Schritte einen Fallstrick, worin er sich fängt. Ich fiel wie tausend andere und mußte einem Wundarzt das Geständnis machen, daß ich mich in der Person vergriffen hätte. Er hatte es in der Kunst nicht viel weiter gebracht als sein Mitbruder, welcher Franz den Ersten in die Kur nahm, und es lag nicht an ihm, wenn ich dem Monarchen, der mir in dieser Welt erschienen war, nicht in jene gefolgt bin. Der Quacksalber war auf gutem Wege, mich ihm nachzuschicken, als ich, zu meinem Glücke und zu meiner Rettung, nach Brüssel mußte. Ich gab dem Zöglinge Aeskulaps mein Geld, und er gab mir dafür in einer kleinen Schachtel seine Pillen, welche seiner Versicherung nach Wunder tun sollten, noch ehe ich Brabant erreicht haben würde. Wie fand ich mich aber in dieser Hoffnung getäuscht, um so mehr, da ich seine Vorschriften sehr genau befolgt hatte. Zu diesen gehörte freilich der Umstand nicht, der mich in der Nähe von Dartford, zehn bis zwölf Meilen von London, befiel. Hier wurde ich von drei Männern zu Pferde mit verlarvten Gesichtern angefallen, welche mir auf ziemlich gebieterische Weise die Wahl ließen, ihnen meine Börse zu geben oder mich durch den Kopf schießen zu lassen. Die Wahl fiel desto leichter aus, da ich, eben aus dem Schlafe geweckt, nicht Zeit gewann, mich zu besinnen, denn als ich die Augen aufschlug, begrüßte mich der Mund eines höflichen Pistols rechts und zu gleicher Zeit ein zweiter Mund ebenso höflich und beredt links. Die Herren schienen eiliger als ich zu sein, doch waren sie so artig, nachdem sie mir vierzig Guineen, meine Uhr, und dem Kammerdiener die seinige abgenommen – uns beiderseits eine glückliche Reise zu wünschen. Entzückt über alles, was mir seit einiger Zeit begegnet war, eilte ich, mich einzuschiffen, und setzte nach Boulogne über, wo ich ans Land ging. Ohne mich aufzuhalten, ging's von da nach Brüssel, wo ich Zeit hatte, Betrachtungen anzustellen, ehe ich zur völligen Genesung gelangte.


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