Alexander von Tilly
Die Memoiren des Grafen von Tilly - Zweiter Band
Alexander von Tilly

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Sechzehntes Kapitel.

Ce contentement personnel, cette confiance, cette présomption de la jeunesse, cette supposition qu'il faut avoir du mérite pour plaire et pour réussir, vous en rirez vous-même quand vous serez un peu plus philosophe (dans l'acception honnête de ce mot) et quand une façon de penser plus mûre aura remplacé cet amas de prestiges qui s'évanouissent avec le printemps de la vie, chez ceux qui ne sont pas destinés à mourir de vieux enfants; car vous aurez plus d'esprit que vous n'en avez, vous ne ferez pas même grand cas de celui que vous aurez eu jusqu'ici, et à peine en ferez-vous un peu de tout celui qu'on peut avoir.

Wie kurzsichtig ist der Jüngling, der in der vollen Gewalt der Leidenschaften, im Fiebertraum noch ungetrübter Täuschungen, alle Eindrücke des Vergnügens, alle Schmeichelworte falscher Freunde, alle Liebes- und Lobeserklärungen seiner treulosen Freundin, mit Selbstgefälligkeit in sich aufnimmt! Wie tief liegt in ihm das Gefühl der Kräfte, die er hat, und die Einbildung derer, die er nicht hat! Wie leicht ist es in seinen Augen, zu gefallen! Welch' ein ernsthaftes Geschäft ist für ihn das Bestreben, Geist und Verstand zu zeigen! Wie anstrengend das Bemühen, liebenswürdig zu erscheinen! Wie weit ist er entfernt, einzusehen, daß er es um so weniger ist, je mehr er es sein will! Alles um ihn verbreitet in seinen Augen einen größeren Glanz, eben weil er alles um sich verdunkeln und überstrahlen will. Je höher er zu steigen gedenkt, desto tiefer fällt er. Wie hoch schätzt er, was er in späteren Jahren gering achten wird! Ein Wort verletzt ihn, ein Wort entzückt ihn. Er setzt alles aufs Spiel des Ungefähre und hält doch alles für sein Werk. In jeder Minute des glücklichen Jugendalters blind und unbesonnen, scheinen ihm alle Widerwärtigkeiten seines Lebens Wunden, die ihm ein feindliches Schicksal schlägt, und alle glücklichen Erfolge der gerechte Lohn seiner Verdienste und das unfehlbare Resultat der wohlberechneten Entwürfe seiner Weisheit. Nichts erschüttert ihn als wenn seine Eigenliebe verletzt wird, nichts hemmt seinen Lauf als seine Eitelkeit, nichts tröstet ihn als sein Stolz. In seiner Unerfahrenheit und in seinem Eigendünkel verläßt er sich auf Menschen und Handlungen. Was kann (denkt er) seinem Scharfsinn entgehen? Mögen andere fein und klug sein, er ist es mehr als alle! Für ihn hat das Leben keine Geheimnisse, keine Schleier, nur Reize. Er liebt es um seinetwillen, er schätzt es, weil er sich anbetet. Zwar gibt es auch Zeiten, wo er die Welt verachtet, doch verachtet er sie nur, wenn er sie mit sich vergleicht, im nächsten Augenblick erblickt er sie wieder durch das zauberische Prisma, im Schmuck aller ihrer Farben. Allein die Zeit wird kommen, wo es ihm leicht dünken wird, sich von allem loszusagen, alles herabzusetzen, und sich selbst mehr als alles, die Zeit wird kommen, wo ihn nichts in Verwunderung setzen, nichts entzücken, nichts verführen, nichts schmeicheln wird, nicht einmal das Bewußtsein, daß er gründliche Philosophie genug besitzt, die Wahrheit zu finden, ehe er das Grab findet.

Für mich ist diese Zeit gekommen; daß sie es sei, rufe ich Erde und Himmel zu Zeugen! Und doch hatte mich der Rausch vielartiger Täuschungen so trunken gemacht, daß meine Freunde mich warnten, und meine Feinde frohlockten.

Ich fahre mit der Erzählung meiner oft schmachbringenden Siege fort, welche mich eher beschämt als stolz machen, und mich auf gesunde und heilsame Betrachtungen hätten führen sollen.

When I myself applaud,
Me people hiss abroadEigner Beifall erzeugt fremden Tadel.

Ein Neffe des Schwans von Cambray, der Marquis von Fénélon, dem es aber am Gesang und an der Reinheit seines Oheims fehlte, wagte im herannahenden Alter etwas, wozu mehr Mut und Beharrlichkeit gehört, als zu einem Telemach. – Er unterhielt ein Mädchen von sehr zweideutigem Rufe, deren Vater ein Amt im Finanzfach bekleidet hatte. Sie gab sich den Namen Bauvilliers, war ausnehmend schön, und richtete ihren vierzigjährigen Liebhaber zugrunde. Ihre Schönheit gereichte ihm einigermaßen zur Entschuldigung, denn es gibt wohl Beispiele, daß man sich von Häßlichen hat einnehmen lassen, und daß das Herz oft mit den Augen und dem Verstande davonläuft. Unsere Sirene, welche der Abbé Delille zu besingen gewürdigt hat (weit ärger, als wenn er ihr den Hof gemacht hätte!), mocht' es dem armen Fénélon angetan haben, der bei allen möglichen Fehlern dennoch mit großem natürlichen Verstande und einem schönen Aeußeren begabt, sich bisher vom weiblichen Joche frei erhalten hatte. Kurz, sie führte ihn, wie es denn immer zu geschehen pflegt, bei der Nase, und hatte ihm den ersten Tänzer in Europa, August Vestris,Le Dieu de la danse. Uebers. zum Gehilfen gegeben, oder besser gesagt, dieser spielte die Hauptrolle, und Fénélon doublierte ihn nur, wenn es jenem gefiel zu pausieren. Der eine glich dem Reichen im Evangelium, er saß an einer wohlbesetzten Tafel, der andere, ein zweiter Lazarus, nährte sich von den herabfallenden Brocken. Der Tänzer schwelgte im Ueberfluß, der Marquis zehrte vom Abhub. Um zugelassen zu werden, mußte er die Zimmer neu möblieren lassen, wo man ihn empfing. Sein Rival war der Herr des Palastes, er selbst trieb sich im Vorsaal umher. Endlich ward er seiner Bedientenrolle überdrüssig, benahm sich aber seltsam dabei. Er ersuchte mich nämlich, ohne einen Grund anzugeben, ihn eines Abends in die Comedie française zu begleiten, und ihm nicht von der Seite zu weichen. Ich vermutete eine Ehrensache von Wichtigkeit und schickte mich an, seinem Vertrauen bestens zu entsprechen, als ich ihn plötzlich auf den jungen Vestris, wie einen Raubvogel auf seine Beute, herabschießen sah und anhören mußte, daß er ihn mit allen Verwünschungen belegte, die der Mensch nur der Hölle abgeborgt haben kann. Ich schämte mich seiner, machte ihm über diesen niedrigen Ausbruch seiner Wut Vorwürfe, und zog ihn mit mir fort.Der Herzog von Fitz-James, der sich in der Revolution auf eine so edle Art vom, Falle erhoben hat, zeigte bei einer ähnlichen Gelegenheit mehr Geist und Kopf. Als er nämlich eines Tages eben diesen liebenswürdigen und leichtfüßigen Rival bei der Contat angetroffen hatte, sagte er mit herablassendem Tone zu ihm: »Ich werde stets Achtung für Ihre Beine haben; setzen Sie aber noch einen Fuß über diese Schwelle, so schlage ich Ihnen die Arme entzwei.« Jetzt gab er mir Aufschluß über sein Benehmen, setzte seine Gründe weitläufig auseinander, bekannte mir seine Leidenschaft, welche eine so tragische Gewalt über ihn ausübe, und der bisher Unempfindliche mit dem ehernen Herzen brach zuletzt in einen Tränenstrom aus, und beschwor mich, der ihm verwundert zuhörte, zu seiner Grausamen zu gehen, und sie zur Treue zu überreden. Die Dame hatte den Vorgang schon erfahren; zitternd über die Gefahr, in welcher ihr junger Gott, der junge Tanzgott, geschwebt hatte, kam sie mir zuvor, war an meiner Tür, noch ehe ich an der ihrigen, und bat mich inständigst, die Sache zu vermitteln. Ich befolgte die in solchen Fällen übliche Vorschrift, riet ihr, behutsamer zu Werke zu gehen, und diesen Vorfall für mich selbst benutzend, und mit der Lehre das Beispiel verbindend, zog ich eignen Vorteil aus der Sache, bis sie selbst mich zwang, der verbotenen Frucht zu entsagen, als ich einst in einem jener kurzen und glücklichen Augenblicke des Selbstvergessens – wo sie aber mich nicht hätte vergessen sollen – mich August nannte, und mir den Taufnamen desjenigen gab, der allein in ihrem Herzen thronte. Ich ließ sie von Stund an mit ihrem Tänzer – ihr Pas de deux fortsetzen.


Die alten Chroniken haben den Namen des Sire de Pons aufbewahrt, gleich berühmt durch seine Liebes- und durch seine Kriegsabenteuer, durch sein Glück und Unglück, ein zweiter Ulysses, der, von Himmel und Erde verfolgt, ein Spiel des Schicksals und der Wellen, und in der Schlacht von MapoureIn Aegypten, wohin er den König Ludwig IX., den Heiligen, begleitet hatte. Uebers. verwundet, unerkannt in sein Haus zurückkam, seine Gattin etwas weniger treu als Penelope fand, und bloß von seinem Hunde freundlich empfangen ward. Einer seiner Ururenkel, der Vicomte de Pons, lange glücklicher als er, nahm ein trauriges Ende, denn er fiel unter dem Beile und auf der Schlachtbank der Revolution und der mit Recht so genannten Schreckensmänner. Er war in besseren Tagen wie sein erlauchter Ahnherr und wie alle Helden – Friedrich II. ausgenommen – ein Anbeter des schönen Geschlechts gewesen. Ein von allen Flammen der Liebe loderndes Herz schlug in dem schönbegabten, doch schon etwas gebrechlichen Körper, für den es besser gewesen wäre, früher zusammenzustürzen, anstatt auf dem Blutgerüst Opfer aus allen Klassen fallen zu sehen und selbst als Opfer zu fallen. Sein Blut rötete die noch rauchenden Bretter und vermischte sich mit den herabfließenden Strömen.

Der Vicomte de Pons(um in der Zeit zurückzugehen) liebte vor der Revolution eine gewisse Frau von C..., in Paris wenig bekannt, aber die himmlischste der Houris in Mahomets Paradiese. Eines Tages, als ich mich mit aller angenommenen Gleichgültigkeit in Ton und Wesen bei ihm nach ihr erkundigte, gab er mir mit eben der anscheinenden Gutherzigkeit zur Antwort, sie sei aus der Provinz und reise in einigen Tagen wieder zurück. Mit dieser Antwort – im Grunde so gut als gar keine – war mir wenig geholfen. Ich ging der Spur der schönen Unbekannten nach, fand sie in dem Kloster, worin sie lebte, und in ihr – einen Engel. Zugleich entdeckte ich tausend angenehme Talente, die den Reiz ihrer Schönheit erhöhten. Der Vicomte war schon ziemlich über die Jahre hinaus, welche für die Liebe geschaffen sind; er fing sogar an, ein wenig von der Gebrechlichkeit zu verraten, woran der Beiname Pompon, den man ihm beigelegt hatte, erinnerte; man fand, daß er der kleinlichen, sorgfältigen Toilette bedurfte, um das herannahende Alter zu verbergen, übrigens war er der beste Mann von der Welt. Ich hatte mir, ich weiß selbst nicht warum, eingebildet, daß es schwer halten würde, an seine Geliebte heranzukommen, aber es bedurfte nicht vieler Umstände, ihr selbst ohne zu schreiben meine Absichten zu erklären. Schreiben wollte ich nicht. Es ist von jeher mein Grundsatz gewesen, mich durch keinen Brief oder Zettel, durch keinen stummen und doch sprechenden Zeugen bloßzustellen, bevor diejenige, an welche ich die Schrift richte, in den Fall gekommen ist, verschwiegen sein zu müssen, um sich nicht durch die Mitteilung des Geschriebenen in Gefahr zu setzen. Ich hege noch immer die größte Achtung und Hochachtung vor einem sehr gewandten, feinen Mann, der alle seine Billett doux ungefähr mit einer der folgenden Eingänge anfing:

»Das reizende Geständnis, welches Sie mir von Ihrer Zuneigung abgelegt haben –« oder

»Die vielfältigen Beweise, die ich von Ihrer Liebe erhalten habe –« oder

»Die Gefühle, die ich das Glück gehabt habe, in Ihnen zu erregen –« usw. usw.

Wie könnte ich einer Methode meinen Beifall versagen, welche dem dreistesten Wesen auf Erden – einer Frau – Verschwiegenheit zur Pflicht macht, der Schwatzhaftigkeit ein Schloß anlegt, und den leichtsinnigen Lippen das Siegel des Geheimnisses aufdrückt? Ich finde diese Wendung wirklich erhaben.

Vergebens quälte ich mich, zu einem glücklichen Erfolg zu gelangen, als das Ungefähr – oft ein größerer Meister und Ratgeber als die Klugheit – mir zu Hilfe kam.

Man weiß, daß Herr von Montesquiou einer der stolzesten Edelleute von Frankreich war, daß er unendlich viel Verstand besaß, nur den nicht, welcher ihm die Türen der Academie française geöffnet hat, aber man weiß auch, wie undankbar er gegen die Krone gehandelt, und daß er sich nur deswegen in das Finanzfach des Staats eingedrängt hat, weil die seinigen in einem unheilbaren Zustande waren;Am Vorabend meiner Reise nach England (1780) brachte ich einige Stunden bei L ... zu, wo ein Höllenspiel gespielt wurde. Ich fand Herrn von Montesquiou daselbst; er verlor ungeheuer, und zuletzt belief sich sein Verlust auf hunderttausend Taler. Er verließ den Spieltisch, um in der Nationalversammlung einen Bericht über die Finanzen des Reichs abzulesen. Ein Aretin, der von Keuschheit spricht! Verf. man weiß ferner, daß er sich in der Revolution als einen ebenso schlechten, republikanischen General gezeigt hat, als er unter der Monarchie ein gewandter Hofmann gewesen war, man weiß, daß er einen Verwandten hatte, den Abbé de Montesquiou, einen feinen Unterhändler R*,Intrigant fieffé. welchen viel harmlose Leute für einen sehr rechtlichen Mann und alle Parteien für ihren aufrichtigen Anhänger gehalten haben, so sehr wußte er durch glücklich angewandte Gemeinplätze und durch einen Anstrich von Bonhomie sich das Ansehen eines klugen, aber biedern Mannes zu geben. Man weiß auch, daß der General von Montesquiou gestorben ist, ohne das Andenken und Bedauern einer Nation mit ins Grab zu nehmen, die nur dasjenige schätzt und aufbewahrt, was wirklich und wesentlich groß ist. Was aber von ihm, dem Nachkommen und Sprößling aus Chlodwigs Blute, weniger bekannt sein mag, ist, daß er ein wahrer Tyrann in der Liebe war, daß er die ganze Tiefe der Verstellung und Heuchelei besaß, welche sich hinter einer kalten Unempfindlichkeit verbirgt, daß er der eifersüchtigste Liebhaber war, gebieterisch in seinen Anmaßungen, langweilig in seinen Reden, ein alter Narr in seinen Grillen und Einfällen, daß er anderen die Rechte versagte, die er selbst auf eine Frau zu haben glaubte, daß er sich die Rechte verbarg, die die Frau auf ihn hatte, und daß er die Vorwürfe, die er sich hätte machen sollen, durch wiederholte Anfälle von Roheit erstickte. Herz und Sinne standen bei ihm im Gegensatz. Er quälte seine Geliebte, als wäre sie sein ausschließliches Eigentum, ließ jede Minute den Besuch erwarten, den er von Tag zu. Tag aufschob, und hielt – ein langweiliger gelangweilter Sultan – das Tuch beständig in der Hand, ohne es fallen zu lassen.

Er war infolge einer vorübergehenden Grille mit der Witwe eines Mannes in Verbindung getreten, den seine Verdienste nicht hatten vor Elend und Tod schützen können, obschon Name und Abkunft ihn zu Glück und Leben berechtigten. Ist Reichtum immer das Los dessen, der ihn verdient, und immer seine Belohnung? Der Unglückliche, von dem ich hier rede, darbte und starb. Seiner hinterlassenen Witwe blieb kaum das Unentbehrliche, und sie begehrte Überfluß. Was tat sie? Sie opferte das Herz dem Kopfe, vertauschte Mangel mit Schande, Dürftigkeit mit Laster, veräußerte die bessere Hälfte ihres Wesens um der andern das kurze Vergnügen des Luxus zu verschaffen, womit so viele Frauen sich über den Verlust ihrer Tugend und Freiheit trösten. Zu ihrem Glück ließ sie sich nicht lange blenden, ermannte sich, und faßte den Mut, in der Provinz ein unbeachtetes Leben zu führen, nachdem sie in Paris einen Namen entehrt hatte, den sie höher geachtet haben würde, wenn sie meinem Rate gefolgt wäre. Aber halt! ... Wenn sie diese Zeilen lesen sollte!? Ich lege die Feder nieder, um sie nicht wie einen Dolch ihr in die Brust zu stoßen, und ein Herz zu verwunden, welches nur durch Umstände hingerissen und dem Elende unterliegend die angeborene Tugend verleugnet hat. Es genüge mir das Bewußtsein, sie, die ich hier tadle, nicht auf Irrwege gebracht zu haben. Ich muß mir aber auch zugleich ein Unrecht vorwerfen; ohne gegen sie eine edle Liebe gefühlt zu haben, deren sie in der Tat würdig war, habe ich sie zu Gefälligkeiten bewogen, die ich nicht begehrt haben würde, wäre sie nicht schon früher gefallen; das Aergste war geschehen.

Herr von Montesquiou war oft in sie gedrungen, daß sie sich in ein Kloster zurückziehen sollte. Ich bediente mich der Gewalt, die ich über sie hatte, sie zu überreden; es gelang mir. Ihr Aufenthalt war kaum hundert Schritte von dem der Frau von C... entfernt, deren ich oben erwähnt habe, und die ich über alleséperdûment liebte; ein Ausdruck, der beiläufig in der Gebrauchssprache wenig oder nichts bedeutet, aber in der Jugend den Stempel der Wahrheit trägt. Beide Damen machten Bekanntschaft miteinander, wurden ein Herz und eine Seele, und ihre beiderseitige Freundschaft erwies mir, dem Dritten, einen Liebesdienst, denn obschon es mir wahrscheinlich würde gelungen sein, mein Geschäft allein durchzusetzen, so kann ich doch nicht leugnen, daß es dadurch, daß sich ein weiblicher Sachwalter für mich ins Mittel schlug, weit schneller fortrückte. Bekanntlich ist jede Frau die geborene Feindin der Tugend aller anderen und die feinste Verteidigerin. Wenn eine Frau den ersten Mann verführt hat, wieviel leichter würde es ihr gelungen sein, das erste Weib zu beschwatzen!

Mein Prozeß war gewonnen, und der Vicomte hatte den seinigen in letzter Instanz verloren. Mein Wille war, daß er es erführe, Madame wollte es nicht; sie hatte die Absicht, uns beide zugleich zu behalten, mir war daran gelegen, daß er verzichten und mir Platz machen sollte. Um meinen Zweck zu erreichen, beging ich absichtlich eine Unvorsichtigkeit nach der andern im Reden und Handeln, er aber stellte sich, als merke er nichts. Seine Rolle war schwerer als die meinige. Er wußte aber seinen Racheplan gegen sie, gegen mich, gegen sich selbst so fein anzulegen, ihn hinter einer scheinbaren Ruhe so tief zu verbergen, daß wir beide nichts davon merken konnten. Das Lächeln war auf seinen Lippen, die Hölle kochte in seinem Busen. So tröstet man sich über eigne Pein durch die, welche man anderen bereitet. O Natur! Du besitzest schändliche Geheimnisse!

Ich bin, ehe ich fortfahre, meinen Lesern noch zweierlei schuldig: den Charakter der Frau von C... und ihre Schicksale, die sie dem Vicomte von Pons zuführten. Frau von C... hatte keinen überwiegenden Verstand, aber was sie davon besaß, gefiel mehr als das, was ihr abging, auffiel. Sie war schlau, aber ihre Verschlagenheit lag mehr in ihrem Blick als in ihren Reden. Sie log nie geschickter als wenn sie die Wahrheit sprach, denn ihr Blick schien zu sagen: »Ich lüge!« Selbst die Weiße ihrer Haut gab ihr ein Ansehen von Unschuld, dem das Feuer ihrer Augen widersprach. Ihr sanftes, blondes Haar gab ihrer Stirn etwas Verräterisches – aber ungefähr wie das Verräterische bei einem Kinde. Ein weiches Wesen in Wuchs und Haltung, welches die Italiener durch ihr disinvolturaUngezwungenheit, natürliche Nachlässigkeit auszudrücken pflegen, verlieh ihr einen unwiderstehlichen Reiz, man hätte schwören mögen, daß eine so wollüstige Nachlässigkeit, ein solches Sichgehenlassen weder Zeit noch Kraft finde, an Betrug zu denken und Betrug zu üben; sie war zugleich unbeständig wie die Wellen und fest wie der Fels im Meere, sobald es ihr Eigensinn sein wollte. Alles, was ihr Vergnügen machte (alles ohne Ausnahme), hatte seinen Sitz in ihrem Kopfe. Bei ihrem Gatten, an den sie vom Schicksal gefesselt worden war, waren die meisten ihrer Eigenschaften verloren gegangen. Es war ein ungebildeter, beschränkter Mensch, der sie mißhandelt, ehe sie es noch verdient hatte. Sein rohes Verfahren regte sie auf, sie ergriff endlich ein gewaltsames Mittel, gab ihm Opium, und während seines unnatürlichen Schlafs entsprang sie mit zehn Louis in der Tasche, machte dreißig Lieues zu Fuß und gelangte aus dem äußersten Bearn nach Paris auf einem einspännigen Karren, den sie selbst führte. So oft sie dieses fabelhafte Abenteuer mit einer Grazie erzählte, die ich vergebens wünschte, in meine Erzählung zu legen, mußte man erstaunen, wie sie diese Irrfahrt hat überleben können. Sie ging gerade zu Herrn Amelot, damals Polizeiminister von Paris; sie war seine entfernte Verwandte. Wäre sie häßlich gewesen, würde er sie vermutlich verleugnet haben, so aber war sie hübsch, so daß er sie vor den Augen des Königs für seine Kusine gelten lassen konnte. Beim ersten Anblick versprach ihr der hochachtbare Staatssekretär Schutz und Sicherheit, aber schon nach Verlauf von drei Monaten überwarf er sich mit ihr, weil er es satt hatte, Hoffnungen zu nähren, zu denen sie ihn nie berechtigt hatte. Jetzt würde ihr Gatte gewonnenes Spiel gehabt, und sie als flüchtig, wohl gar als Giftmischerin verfolgt und peinlich angeklagt haben, wäre sie nicht mit dem Vicomte von Pons zusammengetroffen, der sie – oder wenigstens eine Frau suchte, die ihm eine andere, welche er verloren hatte, und von der ihm eine schmerzhafte Rückerinnerung geblieben war, ersetzen könnte. Diese andere war Frau von F..., welche plötzlich allen ihren Freunden ihre Türe verschloß, um sich dem Operntänzer Nivelon ausschließlich zu ergeben. Der Vicomte mußte den Schimpf erleben, nachdem er fünf Jahre lang in ihrem Tempel seinen Weihrauch gestreut hatte, sich einen so unwürdigen Nachfolger gegeben zu sehen, was für einen Mann höchst schmerzlich sein mußte, der die Empfindsamkeit aufs äußerste zu treiben gewohnt war. Jetzt fand er, wie gerufen, um sich und seinen Kummer zu zerstreuen, eine Zauberin, welche Schutz Und Beistand gegen ihren Ehetyrannen suchte, er versprach ihr beides, und half ihr mit Vermögen und Ansehen. Es war die höchste Zeit. Der Eigentümer des fraglichen Gutes war nach Paris gekommen, um seine Besitzrechte geltend zu machen, und sein Eigentum einzuklagen, er fand aber gehörigen Widerstand und zog ab wie er gekommen war.

Noch muß ich, ehe ich weiter gehe, den Vicomte von Pons näher beschreiben. Er war ein sonderbarer Charakter. Mit einem süßlichen, hasenfüßigen Aeußeren verband er innere Festigkeit und Gesetztheit. Er legte viel Wichtigkeit auf Kleinigkeiten des Anzugs, behandelte die Toilette wie eine freie Kunst, die Liebe wie die Toilette, zeigte sich immer im Rocke nach dem neuesten Schnitt, und galt in seiner kleinen Sphäre für einen Magister elegantiarum. Hätten die damaligen Minister ihr Fach so gut gekannt und studiert, wie er das edle Schneiderhandwerk, die Hofkostüme, den Zuschnitt eines Gilets, die Breite der Schuhschnallen, den Stutz des Hutes, Pferde- und Wagengeschirr, usw. usw. – Frankreich wäre noch wie vor dem Jahre 1789.

Dieses war die Außenseite des Vicomte. Desto verborgener war sein Inneres, desto tiefer seine Verstellungsgabe, desto versteckter seine Rache. Er hatte, wie gesagt, mein Verständnis mit Frau von C... längst bemerkt. Jetzt schien ihm der Zeitpunkt gekommen zu sein, sie zu bestrafen. Er ließ an ihren Gatten schreiben, seine Frau stehe allein, schutz- und wehrlos; er solle kommen und sie abholen. Der Brief wirkt, ihn lesen, abreisen, ankommen, war die Sache eines Augenblicks. Der Geier war schon an den Barrieren von Paris, als es die Taube erfuhr. Sie wollte in die Arme des Vicomte, ihres natürlichen Verteidigers, eilen, als er ihr mit der ausgesuchtesten Grausamkeit zur Antwort gab: »er habe sein Herz einer ändern geschenkt und nicht Lust, ihretwegen seine Pferde noch einmal tot jagen zu lassen.« Ich war nun ihre einzige Zuflucht, ihre Hoffnung, ihr Alles. Ich erfüllte die heilige Pflicht, sie zu retten. Der Prinz von Montbarey, obschon Reichsfürst, Grande von Spanien, ehemaliger Kriegsminister, hatte seit dem Tode des Grafen von Maurepas viel von dem Ansehen und der Achtung, worin er früher stand, verloren; gleichwohl war er noch immer bedeutend genug, um Frau von C... aus ihrer schlimmen Lage zu befreien. Ich war intim mit ihm bekannt und wußte, daß er zu solchen Diensten gern die Hand bot. Ich brachte also die Dame zu ihm, empfahl sie ihm, vertraute sie ihm an. Er traf die nötigen Maßregeln, schlug die geeignetsten Wege ein, und es gelang ihm, meinen Wunsch zu erfüllen und sie zu retten. Er machte nicht einmal den Anspruch auf zärtlichen Minnelohn und ersparte ihr die Verlegenheit des Widerstrebens oder des Nachgebens. Als weiblicher Troubadour spielte sie die Harfe vor ihm, sang dazu, und liebte – einen andern. Dieser andere bin ich nicht lange gewesen; lag die Schuld an ihr oder an mir? Die Frage ist jetzt zu unwichtig, um beantwortet zu werden. Wie man mir versichert, lebt sie in der Schweiz, unweit des schönen Sees,Des Bieler Sees. Uebers. den J. J. Rousseau (und seine Forellen unsterblich gemacht haben. Sie mag ihre neununddreißig Jahre alt, und noch immer schön und angenehm sein, wenigstens wollte ich darauf wetten. Ihr Geist hilft ihren Zügen nach, und ihre Züge verjüngen ihren Geist. Möge sie in ihrer Lage glücklich sein, sie bedarf mehr als viele andere des Vergnügens, sie harrt darauf und lebt davon.

Ich bin nicht vorwurfsfrei; ja, ich fühle und besorge, daß dies Ereignis auf den tragischen Tod des Vicomte von Pons hat Einfluß haben können, indem es vielleicht dazu beigetragen hat, ihn wieder in die Gesellschaft der Frau von Saint-Amarante hinein zu ziehen, welche er seit geraumer Zeit weniger sah. Er wurde nach dem berühmten Robspierreschen Mahl, welches allen Gästen das Leben kostete, auf die Proskriptionsliste gesetzt, und zugleich mit der Mutter, dem Sohne und der englischen Tochter auf dem Revolutionsplatze hingerichtet. Wie hätte er mit dem Namen, den er führte, und einem jährlichen Einkommen von vierzigtausend Franken diesem Schicksal entgehen können?

Ich war seit mehreren Jahren nicht in Versailles gewesen, als der Entschluß, eine zweite Reise nach England zu machen – die ich aber später angetreten habe – mich dahin rief, um mir Pässe vom Minister Grafen Montmorin und ein ministerielles Schreiben an den englischen Hof zu erbitten. Er gab mir mit vieler Artigkeit den Bescheid, ich würde beides nächsten Sonntag fertig finden, wenn ich mir die Mühe geben wollte, es in Person bei ihm abzuholen. Der Graf Montmorin beschäftigte sich in seinem Departement mit Kleinigkeiten, ging seinem kleinlichen Ehrgeiz nach, übte kleine Tugenden, suchte durch kleine Dienstleistungen die Gnade seines Königs zu verdienen, den er zwar nicht verraten, aber schlecht unterstützt hat. Er hielt mich für einen der Hofleute, welche die Ehre einer angebotenen Mahlzeit mit einer Hin- und Herreise von vier Lieues nicht teuer genug bezahlt glaubten. Ich gab mich nach der Audienz einen Augenblick in das Oeil-de-boeuf, und unterhielt mich mit einigen Personen, unter andern mit der blinden Raupe Moreton de Chabrillant, mit dem ich so hart zusammen stieß, daß ich Mühe hatte, den geheiligten Vorsaal der Höflinge nicht zu entweihen. Es kam, wie man denken kann, zu einer Herausforderung. Beajon und sein Vetter, der Marquis von Chabot (unter dem Namen le gros chat bekannt), machten mich aber auf die Lächerlichkeit aufmerksam, mich mit einem Manne zu schlagen, dessen Verstand so kurzsichtig war wie seine Augen, mit einem Manne, der am hellen Tage einen Koloß von Gardeschweizer für eine Operntänzerin ansah, und auf ihn losging, sie zu umarmen, mit einem Manne, der sich zu Metz in voller Karriere auf eine Jägerschwadron hinstürzte, die er für eine grüne Wiese hielt, sowie den Staub, den die Reiter machten, für leichte Tauwolken. Ein andermal war er in einen Ehrenhandel verwickelt und sollte sich schießen; man pflanzte eine Stange auf, befestigte einen roten Mantel daran, setzte einen Hut darauf, und machte ihm weis, das sei sein Gegner. Er hatte den ersten Schuß und tat ihn auf die Vogelscheuche. Der wahre Gegner, welcher zehn Schritte davon abstand, trat nun vor, stellte sich verwundet, und die Sekundanten, welche mit ihm einverstanden waren, legten die Sache bei. Unter solchen Umständen war für mich keine sonderliche Ehre bei diesem Ehrenstreite zu holen. Die Fehde endigte mit einem Frühstück, und im Grunde ist das schlechteste Frühstück doch dem glänzendsten Duell vorzuziehen.

Ich selbst bin auch einmal mystifiziert worden, doch auf andere Weise als Moreton de Chabrillant.

Ich war im Theatre Feydeau in der Loge des unglücklichen Barons von Grimm, der so oft an seiner eigenen Tafel mystifiziert worden ist, den man unter einem Spottnamen lächerlich gemacht hat, weil er im Salon glänzen wollte, da er doch nur in die Antichambre gehörte, und mit dem man glimpflicher hätte umgehen sollen, weil er im Grunde nicht sowohl lächerlich als gutmütig war. – Es fehlte ihm an Bescheidenheit, das gebe ich zu, aber man verlangte auch in diesem Punkt das Unmögliche von ihm. Um die Menge derer, welche die Freunde – seines Kochs waren, und sich die seinigen nannten, zu befriedigen, hätte es bedurft, daß er, wie jener Millionär zur Zeit der Regentschaft und des Mississippisystems, aus Gewohnheit hinter seinem Wagen gegangen wäre. Das war doch zu viel verlangt!

Ich war, wie gesagt, in seiner Loge. Nebenan saß eine Engländerin, welche in ihrem Vaterlande mehr durch Gestalt und Grazie, als durch gute Sitten und Aufführung bekannt war. Ich war mehrere Male mit ihr beim Kommandeur von Boniface zusammengetroffen, der den Fremden und Ausländern die Honneurs von Paris machte, und in mehr als einem Sinne Unterhändler war. Ich kannte sie zu gut, um nicht eine noch nähere Bekanntschaft mit ihr zu suchen. Auf meiner ersten Londoner Reise hatte sie mir verweigert, was sie anderen gewährte; ich hatte nicht das Glück gehabt, ihr zu gefallen, und das läßt sich leicht begreifen und erklären. Dem sei wie ihm wolle, hier fand sich eine Gelegenheit, den Faden wieder anzuknüpfen. Ich benutzte sie. Mit den ins Herz dringenden Tönen eines Paesiello und eines Cimarosa, mit dieser Musik, welche den Zuhörer weich und zärtlich stimmt, glaubte ich zu meinem Vorteil die Töne einer Erklärung verbinden und in bester Form ausdrücken zu können. Es schien mir, als dürfte ich mich eines guten Erfolges zu erfreuen haben. Nach einigen leise gewechselten Worten bestimmte sie mir Mitternacht als die glückliche Stunde, in welcher sie alle meine Fragen beantworten werde. Der Tempel, wo ich dieser Göttin mein Opfer bringen wollte, war ein Hotel-garni in der Vorstadt Saint-Germain. Ich stellte mich auf die Minute ein. Eine Art Kammerfrau empfängt mich, ladet mit in geradebrechtem Französisch ein, mich zu Bett zu legen. Sie setzt hinzu: »Mistreß ..., ihre Herrschaft, sei noch nicht zurück, werde durch ein wichtiges Geschäft aufgehalten, werde aber unverzüglich eintreffen.« Ich bilde mir ein, daß die Dame nach der Oper einen Augenblick nach Hause gekommen ist, und ihrer Vertrauten aufgetragen hat, die Bestellung an mich auszurichten. Indessen ließ ich doch über eine Stunde verstreichen, ehe ich von der Freiheit Gebrauch machte, die man mir auf eine so treuherzige Weise angeboten hatte. Jetzt aber entkleide ich mich, lege mich nieder, schlafe ein, schlafe bis zum Morgen, ohne mein Licht ausgelöscht zu haben, so daß es einen Hauptspaß gegeben haben würde, wenn ich das Haus in Brand gesteckt hätte. Es schlug elf Uhr vormittags, als ich erwachte. Ich schickte mich eben an, Erkundigung einzuziehen, als die Kammerfrau von gestern meine Tür leise aufschob, wie jemand, der sich fürchtet, einen aus dem Schlafe zu stören. Sie stellt mir ein Billett zu, worin es hieß: »Eine Menge unerwarteter und unangenehmer Hindernisse hätten eine angenehme Zusammenkunft verhindert; man behalte es sich vor, mir alles zu meiner größten Befriedigung zu erklären, und gebe mir ein Rendezvous in Chantilly, zum Abend; ich sollte entweder im Posthause absteigen oder wenigstens in der Post einen Zettel abgeben, mit der Anzeige, wo ich Quartier genommen.« Zwar fühlte ich mich etwas verstimmt, traf jedoch neue Maßregeln, und richtete mich so ein, daß ich zur rechten Zeit in dem schönen Chantilly anlangte, von dem nichts übrig geblieben ist, als der Name. Mit aller Gelehrigkeit und Pünktlichkeit eines Tropfs, den man an der Nase herumführt, ohne daß es der Mühe verlohne, tat ich alles, was und wie es mir vorgeschrieben war; und erst nach Verlauf von zwölf Stunden ward ich gewahr, daß die Schelmin mich zum besten gehabt hatte. Ich kehrte verwirrt und halb sinnlostrès-effarouché. nach Paris zurück, und blieb stumm wie ein Fisch, vor Scham und Furcht, mich zu verraten. Die Dame hatte das Mittel gefunden, mir den Mund zu verschließen; sie hätte mich in allen Betten von Frankreich mein Lager allein aufschlagen und Schildwache stehen lassen, wenn es mir eingefallen wäre, sie noch ferner um Mitternacht zu erwarten. Doch nahm ich mir die Freiheit, und machte mir das Vergnügen, sechs Jahre später, durch einen ebenso unartigen Scherz den Wechsel, den sie am Ufer der Seine auf mich trassiert hatte, am Ufer der Themse zu honorieren.

Ob viel Witz und viel Attisches Salz in jener britischen Mystifikation liegen mag? Ich glaube nein, aber ich bin zu sehr Partei in der Sache, um Richter sein zu dürfen.Ich, der ich nicht Partei in der Sache bin und folglich nach Maßgabe meines Gefühls und meiner Ueberzeugung in Geschmackssachen Richter sein darf – habe bei allen englischen Schriftstellern, und im Umgang mit allen Engländern überhaupt, gefunden, daß ihre an Grobheit grenzende Derbheit und Geradheit ihnen die Mittel benimmt, Witz und Attisches Salz über ihre Späße und Mystifikationen zu streuen. Man lese ihre Romane, ihre Schauspiele. Selbst die in denselben eingeführten Frauen nähern sich dem männlichen, und zwar dem englisch-männlichen Geschlechte. So wenig Hogarth sich darauf verstand, Frauen zu malen, so wenig verstehen sich, mit wenigen Ausnahmen, die englischen Roman- und Schauspieldichter darauf, ihnen den Attischen Witz, die Attische Grazie und das Attische Salz in den Mund zu legen. Uebers. Diese kleine Erzählung sei eine gute Lehre für die Jugend, die sich gar zu leicht in den gröbsten Schlingen fangen läßt, weil sie sich für fein hält, und weil der Eigendünkel der Bruder der Dummheit, und die Eigenliebe das Betrüglichste der Vergrößerungsgläser ist.

Mademoiselle Arnould galt allgemein für eine der witzigsten Frauen in Paris, als ich ihre Bekanntschaft machte. Ihre Bonmots waren durch andere an mich gelangt, die sie auffaßten, behielten und weiter verbreiteten. Aus ihrem Munde habe ich aber nie ein Bonmot gehört. Ich habe sie zwei bis drei Jahre lang ziemlich oft gesehen, muß aber bekennen, in der ganzen langen Zeit kein einziges pikantes, geistreiches Witzwort aus erster Hand von ihr erhalten zu haben, so reich man sie auch in dieser Gattung von Geist und Verstand hielt – und ausschrie. Aber mit dem Geiste geht es wie mit dem Körper, beide haben ihr Stufenjahr, nur daß der Geist nicht so schnell abnimmt wie die Schönheit. Ich horchte, und erwartete immer von ihr zu hören, was andere aus ihrem Munde gehört hatten, und hörte immer nur das, was sie sagte, nichts Außerordentliches, nur Gewöhnliches; keine Witzfunken, nur schwachen Schimmer, Flittern, keine Epigramme, leichtes Geschwätz, keinen hervorstechenden Zug, vorübergehenden Redefluß, kein bleibendes Gepräge. Sie täuschte ihre Bewunderer, diese, um es nicht Wort zu haben, täuschten das Publikum, und rühmten den ungemeinen Witz der Demoiselle Arnould. Ihre Soupers waren noch weniger schmackhaft als ihre Unterhaltung und ihre sogenannten Bonmots, man setzte sich zu beiden – aus Gewohnheit, und fand in beiden keine Leckerbissen. Ihr Verkehr bestand aus Personen, welche eigenen Verstand zeigen wollten, Verse machten zum Zeitvertreib, oder gar mit Anspruch, und sich dadurch lächerlich machten – aus schönen Geistern, welche sich bei ihr einfanden, um sich zu zerstreuen, und weil sie gute und vornehme Gesellschaft anzutreffen glaubten – aus einer sogenannten vornehmen Gesellschaft, welche das Ansehen haben wollte, sich mit Schriftstellern zu messen, und kaum die Schrift ihrer Briefsteller lesen konnten (man verzeihe mir den erbärmlichen Calembourg)Im Original heißt es: des gens de qualité prétentieux, qui aimaient à se frotter aux gens de lettres, quoiqu'ils sussent à peine lire celles qu'ils recevaient de la poste (voilà un détestable calembourg!!). – aus Reisenden von Profession, welche überall, nur nicht in ihrem Vaterlande, zu Hause waren, alles sehen und hören wollten, sich allenthalben eindrängten und einbürgerten – aus Hofleuten, welche sich etwas über die Dummköpfe dieser Klasse erhoben – aus Schauspielerinnen, welche Talent gehabt hatten, oder (was noch besser ist) Talent zu entwickeln versprachen – aus Männern von Namen und Geburt, welche aber in der großen Welt nur eine kleine Rolle spielten – endlich aus solchen, denen an einem Souper mehr gelegen war, als an der öffentlichen Achtung.

Der Graf von Lauraguais, Verfasser der Jocaste, besuchte diesen Kreis nicht mehr, man hatte sein Trauerspiel nicht genug bewundert, wahrscheinlich, weil es noch unverständlicher war, als das Rätsel der Sphinx.

Dagegen lernte ich daselbst Molé kennen, diesen unnachahmlichen, selbst in seinen Fehlern liebenswürdigen Künstler. Er wußte allen seinen Rollen, den Versen, die er sprach, Reiz und Wert zu geben, obschon er sie oft durch kleine, unnütze Zusätze entstellte, und überdies sich und das Publikum an ein dem Stammeln nicht unähnliches Anstoßen in der Deklamation gewöhnt hatte, welches ihn zwar nicht übel kleidete, aber das Heer der Schauspieler, dem es an feinen Talenten fehlte, und das nicht wie er diese Unvollkommenheit liebenswürdig machen konnte, zur Nachahmung verleitete. Seitdem hat sich alles in Frankreich, besonders in Ton, Sitten und Haltung, so sehr verändert, daß ich mit Recht fürchten muß, Molé habe sein Geheimnis, seine Pinsel und Farben, und die Gabe, eine gewisse Welt zu schildern, von welcher die Spur und wohl gar die Tradition verwischt ist, mit ins Grab genommen. Seine Gruft verbirgt eine nicht gewöhnliche Immoralität, einige zum Teil lächerliche, und zum Teil schändliche Laster, doch ein Schauspieler bedarf nicht eben der Achtung des Publikums, um dessen Liebling zu sein.

Ich sah Molé bei Mademoiselle Arnould, und machte zugleich die Bekanntschaft seiner Stieftochter, seiner Mätresse, des unglücklichen Opfers seiner Intrigen, mit einem Worte, der Madame R... mit dem Roxelanengesichte, mit der Falschheit eines Romans, mit der Treulosigkeit eines boshaften Herzens. Ihre Mutter war eine Demoiselle Dépinay, ebenfalls Schauspielerin, späterhin unter dem Namen der Madame Molé bekannt; ihr Vater war der Marquis und nachmalige Herzog von Villeroy, welcher unter Fouquier-Tinvilles und dessen Scharfrichters Regierung bei aller seiner Nichtigkeit und Kriecherei wegen seines unermeßlichen Reichtums unter der Guillotine bluten mußte. Das junge Mädchen war an einen Schauspieler der dritten Ordnung, einen gewissen R..., verheiratet, welcher jedoch so viel Geist und Takt besaß, um bald einzusehen, daß sein Schwiegervater ein RouéDas Wort hier im allerempörendsten Sinne genommen. und seine Frau eine abgefeimte Buhlerin war. Deswegen trennte er sich wieder von ihr, und überließ sie einer Anzahl junger Wüstlinge, wozu auch ich gehörte. Sie war nicht schön, nicht einmal hübsch, aber sie besaß einen unnennbaren Reiz, ein gewisses Etwas, was sie begehrenswertdésirable. machte – ein Ausdruck, der gerade für sie geschaffen zu sein scheint. Bei geringem Verstande war sie so verschlagen, daß sie mir den höchsten Abscheu gegen alles, was List und Arglist heißt, eingeflößt hat. Ohne eine vorzügliche Schauspielerin zu sein, hob sie mehrere Rollen und verdarb keine. Sie hatte sich beim Publikum den Ruf der Zurückgezogenheit erworben, sah nur ausgesuchte Gesellschaft, trat selten auf, hatte sogar durch Vermittlung des alten Camerani bei der Comédie Italienne ein Abkommen mit diesem Theater getroffen, welches ihr das halbe Gehalt sicherte, auch wenn sie gar nicht spielte, eine Freiheit, deren sie sich gern bediente. Kurz, durch Verstellung und Kunst galt sie fast überall für eine Vestalin. Dem geübtesten Auge machte sie die Entdeckung unmöglich, daß sie sich zwischen ihrem Stiefvater und einem italienischen Faun teilte, der selbst die Gunstbezeigungen der Venus einem Nebenbuhler verekelt haben würde. So war dieses Weib beschaffen, welches sich durch den dichten Schleier einer erkünstelten Außenseite einen besseren Ruf zu erstehlen gewußt hatte, als so viel andere Priesterinnen Thaliens und Polyhymniens, die auf höherer Stufe standen.


Und diese Frau war ich zu lieben bestimmt! Diese Frau war es, die mir beim ersten Anblick den Kopf verdrehte. Sie machte Mlle. Arnould zu allem, wofür man diese hielt, denn sie diente ihren Reden, ihren Reizen zur Folie. Bald gab sie mir Hoffnung, bald zerstörte sie ihr Gebäude wieder, bald war sie streng, bald nachgiebig, heute stellte sie sich, als liebe sie mich ein wenig, morgen, als sei es ihr leid, mich gut behandelt zu haben. Eine zweite Penelope, trennte sie ihr eigen Werk auf. Meine Leidenschaft war so übermäßig, meine Geduld so übergroß, daß, als sie eines Tages, ohne es zu wollen, mir beinahe mit der Schere ein Auge ausgestoßen hätte, und über den möglichen Unfall erschreckend, mir Teilnahme bezeigte, – ich sie in allem Ernst bat, es wirklich zu tun und mich einäugig zu machen ...

So kann uns also Leidenschaft noch stupider machen als Wahnsinn! Was Wahnsinn ist, weiß man einmal, man weiß, daß dieser allerunglücklichste Zustand der menschlichen Vernunft unser ganzes Mitleiden rege macht, daß wir den Wahnsinnigen für tot achten, selbst wenn er noch lebt – aber jene Verblödung ist ein unwürdiges Herabsinken des Menschen, eine gänzliche Abwesenheit seiner Würde, seiner Willenskraft, seiner Tätigkeit zum Guten, ein Zustand, dem man weder Tränen noch Teilnahme schenken kann. Unsere Sirene hatte damals einen jungen, eitlen, unerfahrenen, mittelmäßig begabten Jünglingécolier. zum Liebhaber, der es gar nicht für denkbar hielt, daß sie ihn hinters Licht führen könne. Würde er es wohl – der Scharfsinnige – nicht gleich gemerkt haben? Konnte sie ihm untreu sein, ihm, der so liebenswürdig war? Dieser Pfau, dieser Gimpel ohne Stimme, selbst ohne das glänzende Gefieder, welches er an sich bewunderte, ist alt geworden und jung geblieben, und hat zuletzt mit einem so dummen Streich geendet, daß seine Feinde darüber gejubelt haben würden, wenn er bei seinem einfältigen Benehmen sich wirkliche Feinde hätte machen können.

Die Kulissenprinzessin, die Merteuil der Comödie, oder, wie ich sie noch lieber nenne, die Sirene, hatte mit ihrem jungen Liebhaber so viel zu tun, daß sie für mich wenig tat, und ich in ihrer Gunst keine Fortschritte machte. Ich kann nicht sagen, daß mir diese Windstille unangenehm gewesen sei, weil ich voraussah, daß ich doch früher oder später mit vollen Segeln in den Hafen einlaufen würde. Aber es erfolgte ein unvorhergesehenes Ereignis, das meine Erwartungen aufhielt und meine Hoffnung auf lange Zeit – zu Wasser machte.


Hier ist eine Abschweifung um so notwendiger, da sie mit meiner Persönlichkeit in genauer Verbindung steht.

Zwei Hauptursachen, auf welche man nicht besondere Rücksichten genommen zu haben scheint, haben zu der revolutionären Umwälzung Frankreichs das ihrige beigetragen.

Erstens:

Um dienen zu können, mußte man seinen Adel bis zum Aeltervater beweisen. Diese Bedingung machte den neuen Adel und den höheren Bürgerstand unzufrieden, weil sie eine reiche, gebildete, wohlerzogene Klasse gewissermaßen von dieser Laufbahn ausschloß. Dem alten Adel gebührte billig der erste Zutritt, nur hätte man kein Strafgesetz darüber erlassen sollen. Man konnte auf diese Weise der Geburt den Vorzug lassen, bei Nichtadeligen Ausnahmen machen, und diese der Weisheit des Chefs, des Kriegsministers und der endlichen Entscheidung der höchsten Behörde, dem Ausspruche des Königs, überlassen. Statt dessen machte der kurzsichtige, ungeschickte Marschall von Ségur aus einem stillschweigenden Uebereinkommen eine Regel, ein Reglement, eine Ordonnanz, ein Gesetz.

Zweitens:

Die Kurzsichtigkeit und der Fehlgriff eines andern Marschalls, der den Grafen von Ségur weder an Bravheit noch an Rechtlichkeit übertraf, woran es diesem gewiß nicht fehlte, ihm aber in einer anderen Hinsicht überlegen war, nämlich an Rittergeist, an Hofart und Hofsitte, an der Etikettenkunde – kurz, ein Mißgriff des Marschalls von Duras erhielt vom Könige die Zustimmung zur bekannten Ordonnance des preuves, dites »des carrosses«. Diese Ordonnanz setzte fest, daß, um in die königlichen Wagen steigen zu können (was man debütieren nannte) und um Sr. Majestät vorgestellt zu werden, man die Beweise eines Adels führen und vorlegen mußte, welcher bis zum Jahre Vierzehnhundert hinaufstieg, und zum Ritteradel (noblesse de chevalerie) nicht zum Gnadenadel (anoblissement) gehörte. Das alles war an sich gut, sehr gut und in der Ordnung; wozu es aber sozusagen mit Trompetenschall und Paukenschlag bekannt machen? Wozu eine Ordonnanz, ein Reglement, welches einem guten Drittel des französischen Adels das Recht absprach, dem Könige vorgestellt zu werden – seinem Könige, welcher, selbst der dreiundsechzigste seines Stammes und das Haupt der ältesten Monarchie der Welt, es für gut findet, die Ehre, ihm vorgestellt zu werden, an Bedingungen zu knüpfen, welche die übrigen Souveräne Europas nur in einem Fieberanfall erträumt haben könnten, weil die erste Verpflichtung der königlichen Würde darin besteht, daß der Monarch zugänglich – ich möchte fast sagen populär – sei. Daß der Fürst das Recht habe, wie jeder Privatmann in seiner Wohnung, frei zu sein, und nur diejenigen in seine Wagen, an seine Tafel aufzunehmen, deren mutmaßliche Ahnen den Boden des gelobten Landes betreten, sich im Jordan gebadet, sich mit dem heiligen Wasser aus dem Bache Cedron besprengt und gereinigt, oder, wie einer meiner Vorfahren, der alte Ritter Tilly, sechsundzwanzig Ungläubige mit eigner HandDiese Hand muß fünfundzwanzigmal so groß und stark gewesen sein, als die meinige. Verf. erlegt haben – nur Männer, deren Stammväter in Syrien vor Hunger, Durst und Ermattung umgekommen sind – nur Abkömmlinge und Ueberreste derer, die ihr Blut, das reinste französische Blut, bei Massoure vergossen haben – das mag sein, das finde ich recht und billig, dem unterwerfe ich mich ohne Laune und Widerrede, ich mag Montmorency heißen oder Gorsas. Waren denn aber die mehr oder weniger geschichtlichen Namen unsrer alten Familien, welche Anteil an diesem Gnadenvorzug hatten, nicht bekannt genug? Klangen sie nicht harmonisch genug, ohne daß es nötig gewesen wäre, die Bedingung ausdrücklich zu bestimmen, und sie unpolitisch als conditio sine qua non aufzustellen? War der König nicht Herr genug, um diejenigen aufzunehmen oder zurückzuweisen, welche in seinen Augen und nach den eingeführten Begriffen dieser Ehre wert oder unwert waren? War es notwendig, ein für die Mehrzahl des Landadels kränkendes, herabwürdigendes Gesetz öffentlich zu erlassen, das nur gegen sie gerichtet sein konnte? – ein Gesetz, das weder einen Pair von Frankreich, noch den Sohn eines Marschalls von Frankreich, noch den eines Ordensritters usw. traf? – Ein Gesetz, wodurch große Grundeigentümer ihren Schlössern entzogen wurden, in welchen ihre Gegenwart alles belebte, um sich in Paris niederzulassen und zugrunde zu richten – und weswegen? Damit sie ihren Nachbarn erzählen könnten, daß sie in Versailles gewesen wären, daß sie von Versailles kämen – von Versailles, wo man über ihre altväterische Gestalten, Gebärden und Trachten lachte, wo ihr lächerlicher Anzug, dessen Anschaffung ihnen einen Holzschlag, eine Wiese, einen Weinberg, eine Mühle gekostet hatte, weiter nichts bewies, als ihren Mangel an Geschmack.Man hat mehr als einmal das Beispiel eines Herrn von Pontavice angeführt, eines Schiffskapitäns aus einem guten Hause von Bretagne, dem es in seinem fünfzigsten Jahre einfiel, mit aller Eleganz der Hofsitte von Brest und Toulon, mit aller Grazie eines Höflings Neptuns und dem schlagenden Kontrast desselben mit der Etikette von Versailles, sich bei Hofe vorstellen zu lassen. Der ehrliche Seemann, wie ein Abendmahlskelch von innen und außen übergoldet, harrte lange vergebens im Oeil-de-boeuf, zeigte sich täglich in einem neuen gestickten Kleide, ruinierte sich, langweilte sich, bis endlich der Marineminister ihn im Vorbeigehen fragt: was er wolle und worauf er warte? – »Ich bin gekommen,« erhielt er zur Antwort, »um mit dem Patron eine Suppe zu essen, pour casser une croûte avec le maître. und ich weiche und wanke nicht eher von hinnen.« – Der König erfuhr es; man hatte Mitleid mit dem Wunsche des armen Mannes; er wurde einmal gerufen und angeredet, und glaubte nun – eine Seeschlacht gewonnen zu haben. Dieses unselige, unpolitische Gesetz hat mehr als einmal FreundeIch fragte einen Mann meiner Bekanntschaft: »Warum sehe ich Sie nicht mehr mit Herrn von B..., Ihrem Verwandten, Ihrem Landsmanne aus derselben Provinz, mit dem Sie erzogen sind?« Ernst und wichtig, gab er zur Antwort: »Wir sehen uns in der Provinz, hier geht es nicht an, er ist nicht vorgestellt worden, hier bedeutet er nichts, und wir treffen nie zusammen.« – Ich zweifle sehr, ob Herr von B... seinen – Sommerfreund auf dem Lande aufrichtig geliebt haben werde. und noch öfter Freundinnen entzweit, wenn die eine der andern mit stolzer Selbstgefälligkeit erzählte, wie es ihr auf dem Balle der Königin ergangen, wie selig sie sich gefühlt, was für ein Glück ihr Anzug gemacht habe, wie lächerlich Frau du R... sich mit dem Prinzen von B... benommen, wie arg verliebt sie sich in ihn gestellt, wie er sie in einem fort mit seinen großen stieren Augen angeglotzt habe, und wie unglaublich es sei, daß Frau von L... ihre Wahl habe auf den Herrn von C... G... fallen lassen können, der zwar ein ganz guter Mensch sei, aber sich's nicht einfallen lassen sollte, schön und verliebt zu tun; wie entzückend, reizend und schön die Königin gewesen sei, mit welcher gefälligen Grazie Ihre Majestät sich bei ihr nach ihrer Schwiegermutter erkundigt habe usw. usw. Das alles hieß nämlich zu ihrer Freundin (seit diesem Augenblicke zu ihrer Feindin) sprechen: »Mein Schatz, Sie waren nicht auf dem Balle, Sie werden niemals auf den Ball kommen, und ohne mein mit zarter Hoheit und stolzem Uebergewicht Ihnen hier hergeleiertes Geschnatter würden Sie, mein Engel, von dem Balle in Versailles nichts mehr oder weniger wissen, als von einem Balle in Peking!« – Dieses Gesetz hat bei Hofe mehr Feindschaften erregt als das Defizit Anhänger, Verfechter und Freunde gefunden hat. Dieses Gesetz hat endlich den Landadel gegen den Hofadel, den man sehr uneigentlich den Hohen Adel zu nennen gewohnt war, bewaffnet. Der eigentliche Hohe Adel ist der Alte Adel, nicht der Hofadel, denn bei Hofe findet man neben den ältesten und berühmtesten Familiennamen mehrere sehr moderne und neugebackene große Herren, und ich dächte doch, man könne nicht füglich ein großer Herr sein, wenn man nicht von altem gutem Adel ist. (Ich denke und rede hier, wie man ehedem in Frankreich redete und dachte.)Um so lächerlicher war es gleichwohl in der Emigration (weg mit dem schlechtgewählten Worte!), wenn der Enkel eines Königl. Staatssekretärs sich bedachte, ob er dem Herzog von Coigny oder dem Marschall von Castries den Vortritt einräumen oder streitig machen sollte. Aus diesem Babylonischen Turme sind alle Unfälle Frankreichs hervorgegangen.

Wieviel Familien, für die es eine Kleinigkeit war, ihre Courfähigkeit zu beweisen, wären gleichwohl verlegen gewesen, alle Schwierigkeiten und Einwürfe zu heben, alle Lücken auszufüllen, alle Beweise und Urkunden herbeizuschaffen, die über die gewöhnlichen Erfordernisse hinausgehen und in die ältesten Zeiten hinaufsteigen. Andre haben sie wirklich aufgesucht und sich durch die schweren Kosten zugrunde gerichtet, sie haben ungeheure Summen verschwendet, um in fremden Ländern, in fremden Archiven, Registraturen und SammlungenChartriers. nachzuforschen; bisweilen ist es ihnen gelungen, Titel und Denkmäler ihres uralten Adels, aber auch zugleich sprechende Beweise ihrer gegenwärtigen Dürftigkeit, ihrer verlorenen Glücksgüter, zu erhalten. Das hat manche Köpfe in Gärung gesetzt, noch andere mißvergnügt gemacht, in allen Leidenschaften erregt, Verdruß, Verwirrung, Stolz, Reizbarkeit, besonders aber geheimen Neid und Ingrimm gegen neuere Familien, die ihr Steigen und ihren Flor der Hofgunst verdankten und zu Würden gelangt waren, auf welche ältere Familien nähere, begründetere Ansprüche zu haben glaubten usw. War es unter solchen Umständen und bei solchen Rücksichten kein Fehler, kein Verstoß, keine falsche Maßregel, ein Adelsgesetz zu erlassen? Hieß es nicht, den Keim und Samen zu Spannung, Zwist, Uneinigkeit und Uebel ausstreuen?

Wirklich haben obige beide Ordonnanzen bewaffnete Revolutionsmänner, wie die aus den Drachenzähnen des Kadmus erstandenen Krieger, wie die aus dem Gehirn Jupiters hervorspringende Pallas, erzeugt, Revolutionsmänner aus den zwei unruhigsten und zugleich tätigsten Klassen des Reichs, nämlich aus den Häuptern des dritten Standes und aus dem Mittel-Adel, – denn der neue, der gestrige, hielt sich noch nicht für berechtigt, zu murren und sich aufzulehnen, er stand sozusagen noch in sich abgeschlossen da und trat nicht eher in Reihe und Glied, als bis die Revolution die Lärmglocke der losgelassenen Wut, der blinden Leidenschaften angezogen und ihnen alle Tore und Schranken geöffnet hatte. Bedenkt man noch überdies, daß früher die ersten Stellen, besonders im Militär, fast ausschließlich unter die Höflinge verteilt wurden, so wird man den besten Aufschluß zu einer Revolution haben, welche weit außerordentlicher in ihren Folgen gewesen ist, als sie auffallend in ihrem Ursprung war.

Doch dieser Gegenstand wird zu seiner Zeit ausführlicher besprochen werden, für jetzt beschäftige ich mich mit etwas, das mich selbst am nächsten betrifft.

Meinem Großvater, der, wie man sich aus dem Anfang dieser Memoiren erinnern wird, aus einem so alten Hause war, daß er alle Ahnenproben ablegen konnte, waren nur diejenigen Beweise abgefordert worden, welche ihn zum Eintritt in das Pagenkorps berechtigten.Die Pagen mußten einen zweihundertjährigen Adel nachweisen, einen Ritter-, – keinen ursprünglichen Gnaden-Adel Sans trace d'anoblissement au point de départ.), und so, wie ihn außerdem auch einige Domkapitel, wie z.B. das von Straßburg, Lyon, St. Claude, Remiremont usw., forderten. Die zum Pagen erforderlichen Adelsbeweise waren damals die strengsten; um in die Ecole Militaire, in St. Cyr, und selbst in den Malteserorden aufgenommen zu werden, wurden nur vier Geschlechtsfolgen erfordert. Er war bei Ludwig XV. und bei dessen Krönung in Rheims Page gewesen. Er hatte fünfundzwanzig Jahre beim Kavallerie-Regiment von R... gestanden, zu einer Zeit, als es noch nicht eingeführt und erforderlich war, daß ein alter Edelmann durchaus Oberst sein und ein Regiment haben mußte, um bei Hofe den gebührenden Platz einzunehmen.Der Marschall von Lévis war, wie mein Großvater, fünfundzwanzig Jahre Infanteriekapitän gewesen und hatte eine Grenadierkompagnie befehligt. Damals fiel es noch keinem jungen Fant ein, wie wir es späterhin erlebt haben,Als der Prinz von Monteynard Kriegsminister war, hielt ein Graf von G ... um ein Regiment an, und drohte, seinen Abschied zu nehmen, wenn sein Verlangen nicht berücksichtigt würde. Der Minister rief mit großer Kaltblütigkeit drei Männern, die sich in seinem Kabinett befanden, zu, näherzutreten. Diese drei Männer waren, nichts mehr nichts weniger, als die Herzoge von Lévis, von Rochechouart und der Graf von Beauvilliers. Sie dienten alle drei über zwanzig Jahre; keiner von ihnen hatte ein Regiment. »Messieurs,« redete sie der Minister an, »dem Könige steht ein großer Verlust bevor, Herr von G ... ist willens, den Dienst zu verlassen, aber da Seiner Majestät Männer bleiben wie Sie, meine Herren, so wird sich Se. Majestät wohl trösten müssen.« Dieser Zug macht dem Prinzen von Monteynard um so mehr Ehre, da Herr von G ... aus Dauphiné, mit ihm verwandt, und was noch mehr sagen will, ein Bruder des Komturs von G ... war, der mit dem Minister intim befreundet war, besonders als Tischgenosse, weil er, zumal in den Speisestunden, dessen Hotel nie verließ und sich beständig des Wörtleins Wir bediente, wenn von seinem Herrn Patron, dem Minister, die Rede war. Der Prinz von Beauffremont hat mir von diesem Komtur unter anderen folgende Anekdote erzählt. Der Graf von Saint-Mauris hatte sich aus Gründen vom Hofe zurückgezogen, die manchen wohl dazu bewegen konnten. Um aber seinem Sohne keinen Nachteil zu bringen, entschließt er sich, nicht länger zu schmollen; er reist nach Versailles, geht geradewegs zur Marquise von Pompadeur, mit welcher er sich früherhin sehr gut gestanden hatte, und erhält von ihr die Vergünstigung, nicht allein den König zu sprechen, sondern mit Seiner Majestät bei der Marquise zu speisen. Der alte Komtur weiß von dieser Audienz nichts, begegnet Herrn von Saint-Mauris in den Königl. Zimmern, macht sich gegen ihn mit seinem Ansehen bei Hofe breit, versichert ihm, daß kein Mensch auf Erden ihm ergebener sei als er, spricht mit ihm von ihrer alten Freundschaft, von der alten guten Zeit und schließt mit den Worten: »Sie wissen, liebster Graf, daß Wir einem glücklichen Ungefähr einen großen Kredit verdanken, daß Wir eine Stelle bekleiden, wo es Uns gegeben ist, vielen angenehm und nützlich zu sein; sagen Sie Uns frei heraus, was Sie für Ihren Sohn zu erhalten wünschen, seien Sie im voraus versichert, daß Wir alles tun werden, Sie beide wieder obenauf zu bringen und Ihnen zu etwas zu verhelfen. Reden Sie, liebster Freund, reden Sie frei ... was kann Ich für Sie tun?« – »Mir eine Prise Tabak geben.« – dem Könige und dem Staate damit zu drohen, daß er sie ihrem unglücklichen Schicksal überlassen wolle, wenn er nicht unverzüglich zum Oberst ernannt würde. – Mein Großvater, der ehrwürdige Greis, war mit ehrenvollen Wunden bedeckt; er hat mir oft in meiner Kindheit die Narben gezeigt. Seine Gattin stammte aus einem alten Hause, sie war die Verwandte eines Mannes, der bei Hofe und in der Armee sehr geachtet wurde, und vielleicht Marschall geworden wäre, wenn er länger gelebt hätte. Ihr Verstand und ihre Gaben erhoben sich nicht über das Mittelmaß, aber ihr Mut, ihr Biedersinn und ihre Tugenden würden den schönsten Zeiten der Welt Ehre gemacht haben. Ich bin um so straffälliger, meine Großeltern nicht zu Mustern genommen zu haben, da ich mich ihrer so genau und deutlich erinnere, und da meine erste Kindheit unter ihren Flügeln verfloß. Ohne den Stolz und Uebermut zu besitzen, welcher Haß erzeugt, fand sich in meinem edlen Großvater die schöne, einfache Würde eines Mannes, welcher weiß, daß er von hohen Ahnen abstammt, und als solcher von zwei großen ProvinzenNormandie und Maine. anerkannt wurde, die für ihn die höchste Achtung hatten. Dieser Vorzug galt viel in seinen eignen Augen, aber er rühmte sich dessen nur mit derjenigen Mäßigung, die denselben in den Augen der Neider verzeihlich machen kann. Mein Vater hingegen unterhielt mich von nichts als von den Urmüttern Percy und Harcourt (von diesem Stamme behauptete er sogar, daß der Herzog dieses Namens ein Afterabkömmling sei). Er sprach und träumte von nichts anderem, als von den alten Königen von Dänemark, von deren reinstem Blute er abstamme,Nati de stemmate Danorum. und womit er ein zweites königliches Haus, das Haus Bourbon, verband, dessen Blut ebenfalls in unsern Adern rolle. Das ging so weit, daß er sich durch seine behauptete Abstammung von WittekindMan spricht beständig in Deutschland von Wittekind, und wenn man etwas Wichtiges gegen das Haus Bourbon vorbringen will, welches man aus dem doppelten Grunde nicht liebt, weil es mächtig war und unglücklich ist (1804), so rückt man damit hervor, daß es regierende Häuser in Europa gebe, die von Wittekind abstammten und folglich älter seien als die französische Monarchie. Schön! Doch hier tritt der kleine Umstand ein, daß der französische Stamm und Wittekinds Stamm ein und derselbe sind. Wittekind (zweiter Sohn des berühmten Sachsenfürsten dieses Namens, welchen Karl der Große überwand und taufen ließ) erhielt, bei der Taufe seines Vaters, den Namen Robert. Sein Sohn, Robert der Starke, führte den Titel »Marquis von Frankreich«, und war Hugo Capets Urgroßvater. und von Ludwig dem Neunten unerträglich und lächerlich zugleich machte, zumal, da es ihm an Mitteln, Kräften und Ansehen fehlte, sie geltend zu machen.

Dem sei wie ihm wolle, so hatte mein Großvater sich nie persönlich mit Stammbaumuntersuchungen beschäftigt, noch sich darum bekümmert, ob der seinige in Ordnung sei oder nicht. Er zog sich mit seiner zahlreichen Familie vom Dienste zurück, lebte auf seinem Landgute S... in der Normandie, besaß ein Vermögen von zehn- bis zwölftausend Livres damaliger Renten, und stand in dem Ruf eines Patriarchen und des rechtlichsten Edelmannes in der ganzen Umgegend.

Der Marquis von Tilly-Blaru, General und Großkreuz des Ludwigsordens, hatte kaum in Erfahrung gebracht, daß sich ein Zweig seiner Familie unweit Alençon niedergelassen habe, als er mit dem Marquis von Scépeaux, einem Freunde und Jugendgenossen meines Großvaters, seinen Vetter auf einige Tage besuchte, und sich von ihm seine beiden jüngeren Söhne ausbat, welche das Jünglingsalter kaum erreicht hatten; der älteste stand schon beim Regiment Noailles. Seine Absicht war, ihre ersten militärischen Schritte zu leiten, sie von untenauf dienen zu lassen und als Gardedukorps in seiner Brigade anzustellen. So ehrenvoll dieser Antrag war, so wenig gefiel er meinem Großvater. Gleichwohl gab er den Bitten und Vorstellungen seines Verwandten und Familienhauptes nach, als dieser sich anheischig machte, einem der Söhne nächstens zu einer Eskadron und dem andern zu einer UnterleutnantsstelleDamals bâton d'exempt genannt. zu verhelfen. Er sei, versicherte er, seiner Sache gewiß, und werde zu rechter Zeit Wort halten. Der alte Marquis von Tilly-Blaru war kein Prahler, der sich mit einem Einfluß gebrüstet hätte, den er nicht besaß; im Gegenteil war er imstande, was er einmal versprochen hatte, zu halten. Allgemein geachtet und verehrt, vom Könige ausgezeichnet, vermochte er besonders viel über den Gardekapitän, Herzog von Villeroy. Er nahm die beiden Jünglinge mit sich nach Versailles; der ältere war siebzehn Jahr alt; aber beiden fehlte noch viel am Maße, welches man haben mußte, um in die Garde eintreten zu können. Als sie daher der König erblickte, lachte er und rief: »Wie klein! Wie klein!« – »Sire,« nahm mein Oheim das Wort, »geruhen Ew. Maj. sich zu erinnern, daß Sie mit mir verwandt sind.« – »Sie haben recht,« versetzte der König; »Jünglinge, die Ihren Namen führen, mißt man nicht mit der gewöhnlichen Elle.« –

So viel ist doch wohl gewiß, daß ein Mann, der aus eigenem Antriebe einen Verwandten auf seinem Landsitze aufsucht und ihm eine Art von Gewalt antut, um sich zweier von seinen Söhnen annehmen zu dürfen, – daß ferner ein Mann, der diese Söhne dem Könige als seine nahen Verwandten vorstellt, überzeugt sein mußte, daß sie wirklich zu seiner Familie gehörten.

Nach Verlauf von anderthalb Jahren verließ mein Vater (der ältere dieser beiden Brüder) die Gardedukorps und trat in die Schule der Chevaux-Légers ein, wohin sich damals alles drängte. Mit allen erforderlichen Eigenschaften begabt, in den Waffen sein Glück zu machen, mit einer schönen Gestalt und einem erprobten Mut, verließ er bald nachher, zwanzig Jahre alt, den Dienst, um sich zu verheiraten, als wären Mars und Venus nicht von jeher die engsten Freunde gewesen! Jedoch, um ernsthaft zu reden, er quittierte aus Insubordinationsgeist, aus Unruhe, aus Ungeduld, aus einem mächtigen Hang zur Unbeständigkeit, welcher ihm sein Leben hindurch anhaftete. Unstetigkeit war sein Element, und nur im Tode hat er Ruhe gefunden. Sein Bruder war zwar stiller, methodischer, schritthaltender, ein Mann von vieler Ordnung, Regelmäßigkeit und strenger, unbescholtener Ehre; aber von beschränktem Verstande, so daß er es nie weiter brachte und in den Unterstellen der Legion das Ludwigskreuz mit Gelassenheitmollement abwartete, erhielt und trug. Der älteste Bruder starb als erster Kapitän im Regiment Noailles, mit dem Majors- oder Oberstleutnantspatent in der Tasche. Eine Schwester, ganz in Andacht und Frömmelei versunken, hatte die begründetsten Ansprüche auf eine hohe Stelle in jener Welt; in dieser machte sie kein Glück, und tat nichts, als ihren Rosenkranz beten. So geht's in großen Familien wie in großen Staaten zu; beide verlieren allmählich von ihrer Kraft und Frische; beide schwanken, verfallen; alles in der Welt nimmt zu und ab. So erging's auch diesem Ast unseres Hauses und Stammes; er trieb keine starken Zweige, keine blätterreichen Reiser und Schößlinge. Wem war es vorbehalten, ihm neue Säfte und Kräfte zu geben? Wer sollte ihm neuen Glanz mitteilen? Wer sollte die alte Ehre des alten Baumes wiederherstellen? ihn wieder treiben und grünen lassen? Wer sollte unter dem Schatten seines Laubes ein neues Geschlecht sammeln, das den unterbrochenen Ruhm seines Namens verjünge, und sich zugleich mit eigenem und Ahnenglanze bedecke? – Mir war – so sagte man wenigstens – dieses Los, diese Ehre bestimmt; mir, wenn ich den Mut des Ehrgeizes, die Fähigkeit, einen Plan aufzufassen und zu verfolgen, die Geduld, alles ruhig abzuwarten, die Gewohnheit eines regelmäßigen Lebens, wenn ich das Unglück der Leidenschaftlosigkeit oder die langweilige Standhaftigkeit, die Leidenschaft zu zügeln, gehabt hätte. Die Revolution würde mich dann mitten im Aufbau meines Glücks überrascht, unterbrochen und mein Gebäude umgestürzt haben; ich würde (schon oft habe ich es gesagt) vor Unmut, mich unter ihren Trümmern begraben zu sehen, umgekommen sein; Lebensfreuden und Lebensgenüsse würden mir ihre Hand nicht gereicht haben, mich wieder aufzurichten, um mit ihnen auf Blumenwegen zu wandeln. Oh, Candide, Candide, du hast recht.Nicht Candide, sondern Pangloß ruft aus: »Tout est pour le mieux dans ce meilleur des mondes.« Candide findet immer das Gegenteil. Uebers. Alles geht auf dieser besten Welt aufs beste zu! –

Meine Verwandten und der Graf von Tessé, Oberstallmeister der Königin, versprachen sich vermutlich so etwas von mir, als dieser eine Pagenstelle bei Ihrer Majestät für mich erwirkte und jene ihre Einwilligung gaben. Uebrigens habe ich im Eingang meiner Memoiren das Umständliche dieser Anstellung beschrieben, so daß ich hier darauf hinweise. Ich erwähne jenen Zeitraum meines Lebens nur insofern, als er mit dem Ereignis in Verbindung steht, welches ich hier zu berichten habe.

Als ich meinen Pagendienst antreten sollte, schrieb ich in der festen Ueberzeugung, daß sich mein Stammbaum in der besten Ordnung befinde, an meinen Oheim in Versailles, er möchte die Gewogenheit haben, die Familienpapiere (welche ich ihm zugleich übermachte) dem Genealogen Chérin zur Durchsicht und Bestätigung vorzulegen. Mein Oheim war von ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit so ganz überzeugt, daß er zur Antwort gab: Er werde nächstens deshalb nach Paris reisen und mich dann unverzüglich debütieren (dem Könige vorstellen) lassen. Er hielt Wort, kam nach Paris, nahm Rücksprache mit Herrn Chérin, übergab ihm die Papiere nebst denen, wodurch ich mich bereits beim Herzog Harcourt zur Pagenstelle beglaubigt hatte. Herr Chérin fand zwar in den Schriften den allgemeinen Beweis, daß unsere Familie »so alt sei, wie der König«, hielt sich aber nicht für berechtigt, auf Grund desselben mir das gehörige Zeugnis auszufertigen, weil sich in diesen Papieren Lücken befänden, welche jedoch mittels einiger Nachforschungen und einiger Kosten leicht ausgefüllt werden könnten. Er gab zugleich Andeutungen an, wo die fehlenden Beweise herbeizuholen wären: Man werde sie, versicherte er, im Tower von London, in Dänemark und zu Vareville in der Normandie auffinden. Demzufolge wurde mit schweren Kosten ein gewisser Abbé Guerin nach diesen Orten abgeschickt. Der Tag meiner feierlichen Vorstellung rückte näher; der Graf von Tessé hatte bereits mit dem Marschall von Duras die Verabredung getroffen, daß ich am nächsten Sonntag dem Könige und im Laufe der Woche der Königlichen Familie und den Prinzen vorgestellt werden sollte. Es geschah. Ich unterwarf mich diesem lästigen FrondiensteMan wird sehen, warum ich auf die Einzelheiten eines Ereignis, das mich in augenblickliche Verlegenheit setzte, einen so besonderen Wert lege. Es geschieht, um den Ungrund der Verleumdungen zu zeigen, welchen mich dieser Umstand aussetzte, den sich in der Folge die Bosheit so geflissentlich gegen mich zunutze gemacht hat. – Diderot sagt: »Dergleichen Längen sind notwendig, mag sich auch der Leser darüber beschweren. Man versteht nur dasjenige ganz, was ins Detail geht und genau auseinandergesetzt wird. Die kleinste Angelegenheit in der Welt nimmt so viel Zeit weg, kostet so viel Mühe und Anstrengung, und der Leser wollte nicht einen kleinen Teil davon tragen helfenVerf. (denn für das hielt ich in meinem Alter diese verschiedenen Vorstellungen, zu welchen ich mich von zwei meiner Verwandten hatte bereden lassen); – ich verbarg, so gut ich konnte, den Zwang, den ich mir antun mußte; ich erschien im prächtigsten Kostüm, und blieb meinem Schneider die gestickten Kleider lange nachher schuldig; meine schüchternen, linkischen Verneigungen gereichten meinem Tanzlehrer nicht zur Ehre. Ueberdies hatte ich kein Geheimnis aus der Unordnung gemacht, in welcher sich meine Papiere befanden. Ich nahm mir sogar die Freiheit, über diesen Punkt mit der Königin zu sprechen, und Ihre Majestät geruhte, mir kurz und einfach zu antworten: »Personen von Ihrer Familie haben das Recht, in königliche Wagen zu steigen: Sie selbst sind vorgestellt worden; was bedarf es mehr für den Augenblick? Das übrige wird sich finden und läßt sich mit Muße in Ordnung bringen und nachholen.« Ich hatte aber nicht Geduld, es abzuwarten und betrieb die Sache mit Eifer. Zuerst wandte ich mich an meinen Verwandten, den Marquis von Tilly, der sich meiner bisher so väterlich angenommen hatte, und auf allen meinen Besuchen mein Begleiter gewesen war. Er versicherte mir: Er werde alles tun, was mir angenehm sein könne; nur da sich unsere beide Linien seit Jahrhunderten abgesondert hätten, könne er nicht glauben, daß seine Beweise auch für mich gültig sein würden. Mittlerweile kam der Abbé Guérin von London zurück, wohin ich ihn geschickt hatte, um Erkundigungen einzuziehen. Er erbot sich, seine Nachforschungen fortzusetzen, verlangte aber neue Vorschüsse, die ich nicht Lust hatte, daran zu wagen, denn teils hatte ich meinen Zweck erreicht: Ich war vorgestellt worden; teils mußte ich den Zeitpunkt abwarten, wo meine Finanzen in einem blühenden Zustande sein würden, um die schweren Auslagen bestreiten zu können; teils wollte ich die Sache so weit hinausschieben, bis ich selbst nach England reisen würde. Denn von früher Jugend auf habe ich in mir den Trieb zum Reisen gefühlt; nur war ich damals noch weit entfernt von der leisesten Ahnung, daß ich von der Vorsehung zu unendlichen Wanderungen und Irrsalen bestimmt sei. Auf diese Weise bereitete ich mir, durch Sorglosigkeit in meinen früheren Jahren, durch eigene Enthüllung der Schwierigkeiten, die ich vorfand, meinen Stammbaum in seiner Vollständigkeit aufzustellen und durch Verabsäumung der Mittel, welche ihn in Ordnung gebracht haben würden, den ernsten und schwierigen Auftritt, dem mich mein Verhängnis zwölf Jahre später ausgesetzt hat. Ich erzähle weiter.


Der Abbé von Tilly-Blaru glaubte, Grund zur Klage gegen meinen Vater und meinen Oheim zu haben. Er hielt sich für einen großen Genealogen, trieb das Studium überhaupt mit Fleiß, beschäftigte sich aber vorzüglich mit seinem Namen, seiner Familie, dem Glanze und Alter derselben. Er war in seiner Jugend im Seminar mit dem Prinzen Ludwig von Aremberg erzogen worden, dem die Kirche seinen ersten Beruf erließ, und der auf eine so auffallende Weise von der geistlichen Laufbahn zur weltlichen überging. Einstens, als der Prinz und ich in Paris beim Grafen von B..., Kurfürstlich Kölnischem Gesandten am Versailler Hof, zusammentrafen, sagte mir jener mit dürren Worten, doch ohne der Sache Wichtigkeit geben zu wollen: »Ich bin mit dem Abbé von Tilly genau bekannt; er behauptet, du seiest nicht von seiner Familie.« – »Wenn er (erwiderte ich, ohne viel Gewicht daraufzulegen) unter Familienverwandtschaft einen nahen Grad von Vetterschaft versteht, so mag er recht haben; Geschwisterkinder sind wir nicht, aber wir führen einen Namen und ein Wappen,Das Tillysche Familienwappen führt eine weiße Lilie im goldnen Felde und das Motto: Sic tinctum sanguine nostro. und, obschon seit undenklichen Zeiten abgezweigt, haben wir eine und dieselbe Abstammung.

Hinterdrein wurmte mich die Sache. Aus Unruhe, aus Neugier, aus Verdruß ging ich einige Tage darauf zum Abbé von Tilly. Nach den gewöhnlichen Eingangsreden kam ich ohne Umschweif auf den Zweck meines Besuches. Der Abbé wollte zwar die eigentlichen Worte nicht gesprochen haben, die ich ihm vorhielt, meinte aber doch, er habe Nachforschungen angestellt, und das Resultat seiner Untersuchungen habe ihn auf die Vermutung geführt, daß wir nicht mit einander verwandt wären; er wolle damit keineswegs behaupten, daß wir nicht von ebenso altem Adel seien; nur sei es ihm sozusagen gewiß, daß wir zwei abgesonderte Familien ausmachen; »der Zufall (setzte er hinzu) mache die Verwandschaften, nicht der Wille« usw. usw. Ich gab ihm mein Befremden zu erkennen und versicherte ihm ohne alle Empfindlichkeit, ich würde nicht eher ruhen, bis ich eine Wahrheit einleuchtend gemacht hätte, an welcher ich nicht im geringsten zweifle, oder ich würde beim Versuche untergehen.Der Prinz von Aremberg sagte mir bei dieser Gelegenheit: »Jene werden ebenso viele Mühe haben, Ihnen zu beweisen, daß Sie nicht mit ihnen verwandt sind, als Sie, den Beweis zu führen, daß Sie es sind.« Verf. Wir schieden voneinander mit der kalten Höflichkeit eines gegenseitigen Stolzes.Die Geschlechtskundigen sprechen von einem Zweige der Familie Tilly, welcher von einem Harcourt, Bischof von Bayeux und einer Tilly ausgeht, deren Sohn, nachdem der Papst Paul III. (Alexander Farnese) durch den Erlaß einer Bulle und der König Franz I. durch einen Kabinettsbefehl vom Juli 1535 die Säkularisierung und Vermählung des Vaters zugegeben (unter dem Namen Tilly) anerkannt und legitimiert worden sei. Zu diesem Zweige wollte man mich rechnen und mir diese Abstammung zum Vorwurf machen, obschon sie ebenso ehrenvoll wäre, als jede andere; allein, unsere Familienpapiere, welche sich so lange in den Händen des Herzogs von Harcourt oder des Herrn Chérin befunden haben, beweisen den Ungrund der Behauptung. Der letzte aus jener Harcourt-Tillyschen Familie ist 1733 als Grand-Mousquetaire ohne Kinder verstorben. Verf.

Es ist mir unbekannt, wie es zugegangen ist; so viel ist aber gewiß, die Leidenschaftlichkeit des VicomteNachheriger Graf Karl. Uebers. von Tilly-Blaru wurde erregt; eine feindselige Hand schürte vollends das Feuer der Zwietracht an, welches schon (aus Ursachen, die mit dieser Angelegenheit in keiner Verbindung standen) zwischen uns glimmte. Wie dem auch sei, der heftige, feurige Mann, noch obendrein durch seinen Unstern erbittert, welcher ihn nicht so weit gebracht hatte, als er es wohl erwarten durfte und verdient hätte, – der bis zur Verwegenheit tapfere Mann warf sich zum Repräsentanten seines Zweiges auf, und hing mir in seinem und der seinen Namen einen Prozeß an, den er damit anfing, daß er beim Gericht der Marschälle von Frankreich Bittschrift und Klage gegen mich einreichte. Das war eine unzeitige, durchaus unnötige Maßregel, denn nach meiner Rücksprache mit dem Abbé von Tilly war ich fest entschlossen und mit der Familie einverstanden, zwei Genealogen (einen von jeder Seite) mit den Urkunden und Beweisen zu versehen, und die Entscheidung auf ihren Anspruch ankommen zu lassen. Ich hatte bereits diese Erklärung bei dem Marquis von Tilly abgegeben und von ihm die mündliche Versicherung erhalten, daß er an der Untersuchung keinen tätigen Anteil nehmen wolle. Auf diesem Wege wäre die Affäre weit schneller und kürzer abgemacht worden, als auf dem langweiligen Wege der Prozesse, deren Schneckengang mehr dem Publikum zur Belustigung dient, als er die Beteiligten zum Schlusse führt. Es stand aber im Buche des Schicksals geschrieben, daß die Frage mit dem Schwerte entschieden werden und daß ein in ganz Frankreich bekannt gewordener Zweikampf die Folge und das Ende davon sein sollte.

Die zärtliche Freundschaft, die mich heute mit meinem damaligen Widersacher verbindet, das enge Band, welches sich um uns geschlungen und durch die Erinnerung an unsere blutige Fehde neue Festigkeit erhalten hat, erlaubt es mir nicht, auf weitere Umständlichkeiten einzugehen und gehässige Gegenbeschuldigungen namhaft zu machen, da mir die Freundschaft die Pflicht des Schweigens auferlegt und Männer von Ehre, die sich gemessen haben, dergleichen Erklärungen verachten.Der Graf Charles de Tilly-Blaru hat in seiner Emigration dem Grafen von Tilly, den er früher nicht als seinen Verwandten erkennen wollte, viel zu verdanken gehabt und seinen Dank in folgenden Worten schriftlich hinterlassen: »Le comte de Tilly a mis dans sa manière de m'obliger, une grâce et une noblesse faites pour fixer ma reconnaissance, ainsi que celle de ma famille.« Uebers.

Welch Gemälde könnte ich hier entwerfen ? Folgendes würden die Hauptzüge sein: – Ein Auftritt an einem öffentlichen Orte, von welchem ich selbst dem König und dem Königlichen Hause schriftlich Kenntnis gab, – die darauf erfolgte Vorladung vor den Richterstuhl der Marschälle von Frankreich; – das dahin abgegebene und durch eine Grenzreise umgangene Versprechen, sich innerhalb Frankreichs nicht zu schlagen; – ein schweres Duell; – eine hübsche Frau, welche, von ihrer Unruhe getrieben, mir mit Postpferden nachreist;Eine andere ,(Adeline) wünschte, sich vor meiner Abreise mit mir auszusöhnen. Ich erfuhr es, und sah sie in derselben Nacht, als ich mich entfernte; sah und sprach sie – nach vielen Jahren zum erstenmal wieder – in einem der zierlichsten Boudoirs, wo sie mir Beweise der Freundschaft und Traurigkeit gab; wo ich sie aufheitern wollte, wo ich von Liebe sprach; wo sie aber mit einer Art von Abscheu vor diesem Worte zurückschauderte, als müßte ihre Liebe mir Unglück bringen, als sei die meinige das Gefühl eines Sterbenden. Ich erinnere mich, nachdem ich sie verlassen hatte, in einem Kodizill zu meinem letzten Willen ihr eine Bonbonnière vermacht zu haben, die ich einige Tage früher von einer andern mit meinem Porträt zurückerhalten hatte. Verf. – meine Rückkehr nach Paris; – der Marschall von Stainville, der mich in der Oper festnehmen lassen will; – die treulose romanhafte Frau Ray, der ich alle Opfer der Liebe bringe, und von der ich alle Opfer der Scham erhalte; – die Verfolgungen des Inquisitionsgerichts der Connetablie; – der Graf von L ..., der mich auf sein Schloß in der Normandie abführt, um mich der Gefahr zu entziehen; – ein Diener des liebreichsten aller Tribunale, der mich dort aufsucht; – die Anhänglichkeit meiner Freunde,Ich habe deine Tränen nicht vergessen, großmütiger D ..., nicht deine Bruderliebe, mein teurer M ..., nicht deine schnelle und edle Aussöhnung mit mir, tapferer L... , C... , nicht die zärtliche unruhige Teilnahme des unglücklichen Prinzen d'Hénin, der bei allen seinen Lächerlichkeiten ein so grundgutes Herz besaß! Verf. deren sich mein Herz mit der reinsten Freude erinnert; – mein Verhör vor den Marschällen; – meine einfachen, kräftigen Antworten; – das Interesse, welches mir mehrere Mitglieder des Gerichts zu erkennen geben; – die leidenschaftliche Wut einiger anderen; – meine dreimonatliche Haft in der Abtei Saint-Germain-des Prés; – einige Liebesabenteuer in diesem finstern Verließ, das ich dergestalt aufgeweckt und aufgeheitert hatte, daß Nos SeigneursTitel und Ueberschrift, deren man sich bediente, wenn man an die Herren Marschälle schrieb. Uebers. es ungnädig aufnahmen; – d'Esprémenil, der zu mir kam und mir den Vorschlag machte, meine Sache vor das Parlament zu bringen, welches dem ersten Staatskörper so gern in den Weg getreten wäre; – meine, durch die Hand der Königin, wieder erlangte Freiheit, obschon ich nichts davon wissen sollte;Hier folgen die eigenen Worte Ihrer Majestät: »Hat man die Absicht, Herrn von Tilly zu verfolgen, so werde ich dies nicht zugeben; aber ein paar Monate Gefängnis werden ihm gut bekommen.« Verf. Sillery, der mir die Erklärung des Herzogs von Orleans an den Marschall von Stainville hinterbrachte: »Es steht den Herren frei, sich bei dieser Gelegenheit zu entehren; den beiden Herren von Tilly die Ehre zu rauben, steht nicht bei ihnen«; – und zuletzt das unaussprechliche Wonnegefühl des Verhafteten, vor dem sich die Tür seines Gefängnisses auftut usw. usw. usw.

Endlich verließ ich den Kerker, die Gefängnishöhle, in welche mich ein Inquisitionsgericht hinabgestürzt hatte, unter dessen Joch damals der französische Adel seinen Hals schmiegen mußte, ohne sich darüber beschweren, ohne sich's merken lassen zu dürfen: »Denn,« hieß es ja, »wird der Adel nicht auf eine ehrenvolle Weise durch seinesgleichen – durch seine Pairs – gerichtet?« Nun blieb mir noch übrig, hinzugehen, und den Herren Marschällen für die von ihnen begangene Ungerechtigkeit meinen verbindlichsten Dank abzustatten; denn eine Ungerechtigkeit war es, selbst wenn ich zugeben wollte, daß ihr angemaßtes Recht ein wirkliches gesetzliches gewesen sei; selbst wenn ich nicht in einem Aufsatz bewiesen hätte, daß sie ein mit der Urwürde ihres Standes unvereinbares Amt überkommen hätten; selbst wenn ich nicht den Fehler begangen hätte, diesen Aufsatz der konstituierenden Versammlung vorzulegen. Der Spruch der Marschälle war wegen der Gesetze, die wir nicht verletzt hatten, da wir uns jenseit der Grenze schlugen; wir hatten nicht wider den Grundsatz verstoßen, der will, daß für alle Glieder der Monarchie gleiche Pflichten und gleiche Rechte gelten sollen.

Daß die Marschälle die ihrigen überschritten, gaben selbst einige aus ihrer Mitte zu. Wenigstens ließ mir der tapfere Marschall von Duras in dem Dankbesuche, den ich ihm abstattete, etwas Aehnliches nicht undeutlich merken. Er ging auf Einzelheiten ein, welche mir bewiesen, daß ihm der Gerichtshof, zu welchem er gehörte, von Grund aus bekannt sei; daß ihm die Mißbräuche, die Schädlichkeit desselben nicht entgingen, und daß er der Aufhebung einer Einrichtung mit Vergnügen entgegensehe, welche der Ehre, der Würde und dem verdienten Lohne der ersten Krieger des Staates nicht angemessen sei. Er behandelte mich wie ein Vater seinen Sohn, und behielt mich sogar zu Tische, was an sich nichts weniger als gleichgültig war, da er so ziemlich allgemein für den Mann galt, bei welchem man am besten speiste. Ich sagte ihm: Er sei in seiner Jugend viel zu sehr Cäsar gewesen, um mich bestrafen zu wollen, daß ich meine Schuldigkeit getan habe; es sei mir bewußt, daß seine Meinung mir günstig gewesen. Ueber meine dreisten Reden und Ausfälle auf den Marschall von Stainville lächelte er; mich nicht unterbrechen, hieß so viel, als mich ermutigen, fortzufahren, was ich denn nach Herzenslust tat; ich fand es unvergleichlich von ihm, daß er seinen Herrn Kollegen nicht in Schutz nahm und selbst noch jung genug war, um meiner Jugend Nachsicht zu schenken. Er erinnerte sich deutlich, daß er das Dienstvierteljahr beim Könige gehabt hätte, als ich in den Pagendienst getreten wäre, und daß er mich dem Könige vorgestellt habe. Er machte die Bemerkung, daß die Jugend das Alter mit einer für beide Teile schreckhaften Schnelligkeit vor sich hintriebe. Es tat ihm leid, daß ich mich so früh vom Militärdienst zurückgezogen hätte; der Dienst sei in Frankreich für einen Edelmann das Hauptgeschäft; ich möchte so bald als möglich wieder eintreten und es bei allen Zipfeln anfassen,en faire de toutes les façons. um einst Marschall von Frankreich zu werden. Alsdann, meinte er, würde ich die beste Gelegenheit haben, gute Reformen in einem Gerichtshofe einzuführen, welcher meinen Beifall nicht zu haben schiene usw. usw.dont je ne lui paraissais pas engoué. Er sprach dies alles mit außerordentlicher Grazie und mit ebenso vieler Würde.

Mit diesem Besuche war ich fertig, noch blieb mir ein anderer bei dem ungarischen Korporal, Marschall von Stainville, übrig, der mir diese ganze Verfolgung zugezogen hatte. Ich mache mich auf den Weg, komme an, bin da. »Sie sind mir, mein Herr, keinen Dank schuldig«, das war seine barschebrutalement. Eingangsrede; (wem sagte er es!); »wäre meine Meinung durchgegangen, so würden Sie Ihr Haupt auf den Block haben legen müssen.« – »Ich hoffe, Herr Marschall,« versetzte ich, »daß ein solches Resultat über die Macht und den Bereich des Gerichtshofes hinausgegangen wäre, selbst in dem Fall, wo ich keine Freunde, keine Verwandte, keine Verbindungen gehabt hätte. Es gibt in Frankreich noch andere Gesetze, als das, welches vom Schwert der Connetablie ausgeht.« – »Mein Herr!« – Ich wiederholte das Gesagte. »Allein,« setzte ich hinzu, »die schuldige Ehrerbietung verbietet mir, in diese Frage weiter einzudringen. Ich beobachte meine Pflicht, indem ich vorgeschriebenermaßen nicht zum Grafen von Stainville, sondern zum Marschall von Frankreich komme.«Einer seiner Kollegen, der sich ebenso sehr gegen mich ausgesprochen hatte, ließ sich entschuldigen; er könne mich nicht annehmen, er habe einen Fieberanfall. Ich ging fort, kam nicht wieder, und ließ 'mich nicht nach seiner Gesundheit erkundigen.

Hier sah er auf sein Wams von grauem Ratin, das ihm zum Schlafrock diente. War es ein Blick der Demut oder der Selbstgefälligkeit? Ich muß das erstere vermuten, denn er hatte die Höflichkeit, einige Entschuldigungsworte zu stammeln, daß er mich so ohne alle Umstände im Morgenanzuge empfangen habe. Ich verneigte mich tief und ließ ihm Zeit, sich umzukleiden. Gewiß bedurfte er der Toilette, ohne daß man hätte sagen können, die Toilette verschönere ihn. Der erbärmliche Mann war durch das Ansehen seines Bruders, des Herzogs von Choiseul, als dieser schon Minister war, in den französischen Dienst gezogen worden. Die Königin trug viel dazu bei, ihm den Marschallstab zu verschaffen, da sie dem Herzoge, seinem Bruder, dessen Werk ihre Vermählung mit Ludwig XVI. gewesen war, denselben nicht zuteilen konnte, – eine Verbindung, die sie damals als ein Geschenk des Himmels ansah, welche sich aber späterhin als ein Geschenk der Hölle erwies. Um wieder auf unsern Marschall zu kommen, so war dieser teure Mann, der mir so gern das Schwert an die Kehlte gesetzt hätte, kaum ein mittelmäßiger Garnison-Dienstmann gewesen. Er stand früher in österreichischen Diensten als Titular-Generalleutnant, nachdem er sich fünfzehn Jahre in den Regimentern Kollowrath und Löwenstein herumgetrieben und nicht verdient hatte, bis zum Kaiserlichen Feldmarschall aufzusteigen. Ebensowenig verdiente er Marschall von Frankreich zu werden. Jenes wurde er nicht; dieses ist er geworden! Doch – gestehen wir es nur! – in den letzten Zeiten war diese Würde ebensosehr gesunken, als die der übrigen Militärgrade. Der Offiziere waren bei weitem zu viele im Verhältnis zu einer Armee, welche, in Vergleichung mit unserer Macht und unserm Flächenraum, viel zu klein war. Die Pairswürde war die einzige,Die Herzoge von Castres, von Guines, sogar der Herzog du Châtelet, der so sehr zu allem berufen war, was man durch Geburt werden und erlangen kann, – waren nur erbliche oder Patent-Herzoge. Der Herzog von Coigny wurde zum Pair erhoben, und man kann diese Erhebung als eine Art von Schadloshaltung wegen des Verlustes ansehen, den er durch die Einziehung der Oberst-Stallmeistersteile erlitt, als der Prinz von Hambese sie erhielt. Dieser Prinz, aus dem Hause Lothringen, übte sich, schon vor der Revolution, in Brüssel darin, den fremden Fürsten zu spielen, denn frühzeitig sah er den Umsturz der Monarchie voraus und verzweifelte am Wohle des Landes. Einst erlaubte er es sich, als von Ludwig XVI. die Rede war, zu sagen: »Ihr König.« – »Was nennen Sie Votre Roi?« rief ihm Frau von Matignon zu, welche die Gabe der nachdrücklichen Zurechtweisung in hohem Grade besaß. – »Ludwig XVI. ist mehr Ihr König, als der König von irgend jemandem unter uns. Sie hatten eine nicht schlechte Stelle, und wurden gut genug bezahlt, um sie für eine sehr gute halten zu können.« – Der Zweig des Hauses Lothringen, von welchem der Prinz abstammte, war seit 1500 nach Frankreich verpflanzt, und besaß seit 1527 die Pairswürde. Folglich war Herr von Lambese in jeder Hinsicht Franzose und ein Untertan des Königs von Frankreich. – Hierbei fällt mir eine zweite wenig bekannte, aber durchaus authentische Anekdote bei. Der Prinz von Poix war Gouverneur von Versailles und Kapitän der Garden. Er stand in dem Rufe, nicht immer der Feinheit des Hoflebens getreu zu bleiben. Einst, als er sich vom Grafen von Artois eine mehr als strenge Antwort und Rüge zugezogen hatte, wußte er sich auf eine edle und die Ehrerbietung nicht beleidigende Weise herauszuziehen. Er hatte sich nämlich unterfangen, dem Fürsten ins Gesicht zu sagen: »Monseigneur, wäre es zur Zeit der Ligue dem Hause Lothringen gelungen, die Oberhand zu gewinnen, so hätte sich's fügen können, daß Herr von Lambese König von Frankreich, und Ew. Königl. Hoheit Oberst-Stallmeister bei ihm geworden wären.« – »Und was wäre dann aus Ihnen geworden?« versetzte der Fürst, »etwa ein Stallknecht?« – »Nein, gnädigster Herr,« erwiderte der Prinz von Poix, »nicht weniger als jetzt, ein Edelmann.« womit die vorige Regierung geizte. Ihr gebührt Lob deswegen, denn nichts ist ein so sicherer, unfehlbarer Vorbote des nahen Falls und Untergangs eines Reiches, als die Verschwendung, welche mit den ersten Würden desselben getrieben wird.

Ungefähr um diese Zeit machte ich eine Entdeckung, die mir wehe tat und mir zugleich über einige Rätsel Aufschluß gab, deren Lösung mich in Verlegenheit gesetzt hatte. Der Präsident von Nicolaï war es, der mir Licht in der Sache gab. Er eröffnete mir nämlich, daß jemand, der meinen Namen führe, auf Antrag seiner Gläubiger festgenommen und nach dem Gefängnisse de la Force gebracht worden sei. Er selbst hatte zwar mit diesem obrigkeitlichen Zweige wenig oder nichts zu tun, war aber durch seinen Sekretär, dessen Bruder bei der Kriminalbehörde eine Anstellung hatte, unterrichtet worden, daß dieser Mensch,Ce Quidam. ein ganz verworfenes Subjekt, eines falschen Wechsels wegen angeklagt sei. Ich begab mich in Eile zum Präsidenten, der mich auf das artigste und anständigste empfing, und von da, mit einer eigenhändigen Schrift von ihm versehen, und von einem Beamten, den er mir zugab, begleitet, in das Gefängnis. Hier fand ich einen Menschen aus der niedrigsten Klasse, ohne alle Erziehung und Bildung, und von der rohesten Gestalt. Ich nahm mir die Freiheit auf meine Gefahr, ihm handgreifliche Beweise meiner tiefen Verachtung zu geben, und ließ über seinen mehr als zweijährigen Aufenthalt in Paris, über seinen Verkehr, über seine Verhaftung und die einzelnen Umstände derselben ein Protokoll aufnehmen. Er warf sich, im wörtlichen Sinne, mir zu Füßen, gestand mir alle seine schändlichen Streiche und entdeckte mir seinen wahren Namen. Er hieß Le Blanc und war ein Kreole. Seine Mutter hatte lange mit dem General Grafen von Tilly, welcher sich mehrere Jahre in Westindien aufgehalten, vertraute Beziehungen unterhalten. Aus diesem Grunde war der Elende auf den Gedanken verfallen, dessen Namen anzunehmen. Ich ließ seine Geständnisse und Aussagen gerichtlich erhärten und ruhte nicht eher, bis er aus Paris gejagt wurde, mit dem Verbot, je wieder einen Fuß in die Stadt zu setzen. Seitdem ist er, wie ich zuverlässig weiß, dennoch wiedergekommen und unter Robespierres Diktatur im wirklichen Dienst angestellt worden, als Frankreich sich in Blutströme, wie in ein Bad der Wiedergeburt tauchte, als Räuber und Mörder ihr Patriotismus-Patent vom Galgenpfahl losklebten. Ich habe allen Grund zu vermuten, daß der feine Herr, wenn ich ihm damals begegnet wäre, einen sehr zärtlichen Anteil an mir genommen und mich geradezu aufs Blutgerüst gebracht haben würde.

Einiges Aufsehen, das ich gemacht hatte, und das wie Ruf klang, ein Ehrenhandel über einen nicht gemeinen Gegenstand, mußte wohl meine Aktien bei einem Geschlechte steigern, dessen zarte Sinne und noch feinere Gefühle es auf so vielfache Weise eindrucksfähigimpressionable. machen. Allein, dieser Vorzug genügte mir nicht. In meiner Seele blieb, ich weiß selbst nicht was für eine unstäte Unruhe über die Zukunft zurück, deren Ursache sich mir später nur zu deutlich aufgeklärt hat. Damals war es noch eine trübe Wolke, durch welche mein Blick nicht zu dringen vermochte; ich konnte nur einen Sturm ahnen, ungefähr wie in den Tagen einer unerträglichen Hitze das Mißbehagen in uns und die physische Schwere und Mißstimmung uns ein Gewitter verkünden. – Nach Wiedererlangung meiner Freiheit war ich zum Herzog von Orleans gegangen, um ihm für den Anteil, den er an mir genommen, Dank abzustatten. Hier wohnte ich einer Unterhaltung bei, von der ich unwillkürlich ergriffen wurde. Ich sah den Herzog von Leuten umgeben, von denen die meisten zwar Männer von Ehre, aber vom Durst der Ehrsucht und der Oeffentlichkeit und von einem Feuer durchdrungen waren, dem nur noch die Klugheit des persönlichen Interesses eine Mäßigung entgegenstellte. Andere in seiner Umgebung zeigten sich als solche, denen alle Mittel zum Glück zu gelangen gleich edel und gut schienen, und deren Theorien deutlich genug zu erkennen gaben, daß sie, unbekümmert um die Folgen, vor keinem Verbrechen zurückbeben würden. Noch andere von des Herzogs Vertrauten waren Leute, in deren Augen der Ruf, ihren Namen an nützliche und preiswürdige Veränderungen geknüpft zu haben, die Gefahren des Unternehmens verminderte, verschleierte, verschwinden machte; Männer, die von nichts träumten als von Reformen, von einer englischen Konstitution, von Abschaffung der Mißbräuche,Das erinnert mich an ein Bonmot des Grafen von Estaing, zu dem der Chevalier d'Oraison sprach: »Wir wollen den Tod der »Mißbräuche.« – »Herr Chevalier,« gab ihm jener zur Antwort, »Sie sind also des Lebens müde, denn Sie selbst sind ja auch ein Mißbrauch.« Er sprach wahr. Verf. von freisinnigen Ideen, von Fesseln, die dem Despotismus angelegt werden müßten, von Beschränkungen der Gewalt des Hofes und seiner Agenten. Auf dem Kaminsimse lagen eine Menge Scharteken, Pamphlets, Cahiers, Systeme, Entwürfe, lauter Erzeugnisse schreibender Handlanger des Herzogs, worin jeder den Traum seines Utopiens niedergelegt hatte. Das erste Wort, das der Herzog bei diesem Besuche zu mir sprach, war: »Beruhigen Sie sich, eine zweite Verfolgung wie die, der Sie soeben entgangen sind, ist unmöglich; bald werden wir gute, einfache Gesetze haben, denen die Willkür keinen phantastischen Sinn unterlegen wird. Die lettres de cachet, die Bastillen aller Art werden nicht lange mehr bestehen.« – Als ich ihm sagte, meine Absicht sei, einige Monate in England zuzubringen,Zweite Reise des Grafen im Jahre 1789 und 1790. Uebers. unterbrach er mich mit sichtbarer Bewegung: »Parbleu,« rief er, »man wird bald nach England und überall hingehen können, ohne einer Erlaubnis zu bedürfen, oder eine Verweigerung befürchten zu müssen.«Die Erlaubnis, nach England zu reisen, war kurz vorher dem Herzoge verweigert worden. Uebers.

Ich fiel wie aus den Wolken, als ich diese rachsüchtigen Worte aus dem Munde des Herzogs vernahm, doch das war noch nichts, denn kaum hatte ich Zeit gehabt, mich von meinem Erstaunen zu erholen, als ich, in den großen Saal tretend, dort ganz andere Reden führen hörte. Ich hatte kaum die Rede auf die Marschälle von Frankreich gebracht – damals mein ewiges Thema, mein Steckenpferd und der einzige Zoll, den ich der allgemeinen Ansteckung gebracht habe – als unter anderen der Vicomte von Noailles mit jener exaltierten Schwärmerei, die ihm eigen war und den Grund seines Charakters ausmachte, rief: »Es muß in Frankreich dahin kommen, daß es dem gemeinen Soldaten leichter werde, als Marschall von Frankreich zu sterben, als es jetzt dem Offizier wird, es zu werden.« Ich konnte mir den unbestimmten Eindruck, welchen alle diese Reden auf mich machten, nicht eher erklären, als bis ich das Palais Royal verlassen hatte.

Mit dem Phantom einer Revolution, deren Wesen und Natur ich nicht angeben konnte, erschien mir zugleich die Gestalt der Monarchie in Tränen. ... Oder, um ohne Figur zu reden: ich sah von diesem Augenblick an einem Bürgerkriege entgegen, die Gegenwart zeigte mir dieses halbdunkle Bild im Hintergrund. In meiner Unruhe eilte ich am andern Morgen zum Vicomte von Noailles, der mich mit seinem Bruder, dem Prinzen von Poix, wieder ausgesöhnt hatte, und offenbarte ihm mein Herz. Er war nicht meiner Meinung. »Ich kann mir die Sache nicht so denken,« sagte er. »Wir befolgen unsre Vorschriften, und die Cahiers, wir werden freilich etwas darüber hinausgehn, der König will aber das Beste; er wird uns unterstützen, und müssen wir uns schlagen, ei nun! So ist's gut für die Gesundheit, und wir schlagen uns!« Noailles hatte einen ausgemachten Hang und Beruf zur Revolution. Er war La Fayettes Schwager und Rival, war neidisch auf ihn, als auf einen, dem er den Vorzug über sich einräumen, und eifersüchtig auf ihn als auf einen, dem er diesen Vorzug streitig machen wolle. Dieses doppelte Gefühl hatte ihn längst und überall verfolgt, im Weltumgange, bei Hofe, im Dienste, sogar im Regiment, bei welchem sie zusammen standen. Es hatte sich in den Nordamerikanischen Freistaaten verstärkt. Beide waren von dort mit ausgebildeten Hirngespinsten zurückgekommen, deren Keim sie dahin mitgenommen hatten, mit einem Freiheits- und Gleichheitssinn, welches sie sich schlecht definiert und noch schlechter entwickelt hatten – mit einem System, welches keiner entarteten europäischen Monarchie angepaßt werden kann, und am wenigsten von allen der französischen. Ich will nicht damit gesagt haben, daß Frankreich verderbter und entarteter sei als die übrigen Staaten, allein Nachdenken und Erfahrung haben mich belehrt, daß wir unter allen Nationen diejenige sind, welche durch Grübeln und Beratschlagen über Freiheit und Gleichheit immer tiefer in den Sklavenstand zurückgebracht wird.

Ermaß ich damals noch nicht die ganze Tiefe des Abgrunds, so wurde ich sie doch gewahr. Um das Gemälde der Revolution zu entwerfen, wäre ein Tacitus nötig; und auch selbst ein Tacitus, wäre er Augenzeuge gewesen, würde beim Versuche scheitern, so unwidersprechlich wahr und gewiß ist es, daß kein einziger von allen denen, welche vor und mit der Revolution geboren und durch dieselbe gegangen sind, eine gute Geschichte davon liefern kann.

Ich komme wieder auf meine Reise nach England (1789-1790) zurück. Ich fühlte das Bedürfnis, zu reisen, und gerade nach England. Ich hatte damals Gelegenheit und Muße, diese Grille zu befriedigen. Doch als ich die Reise unternahm, war es keine Grille, es war eine geheime, unerklärbare Unruhe, die mich trieb. Man hätte glauben sollen, mir riefe eine innere Stimme zu, der ersten Entwicklung der Trübsale, welche Frankreich befallen sollten, aus dem Wege zu gehen, um von dem Verschwinden der letzten schönen Tage der Monarchie kein Zeuge zu sein. Die Zukunft ließ sich in mir wie eine Weissagung hören, ich gehorchte ihrem Befehle.

Ich fühlte das Bedürfnis, mich zu entfernen, als Sir John Lambert, welchen man in Paris als einen der reichsten Bankiers gekannt hat, mir den Antrag machte, ein wichtiges und ehrenvolles Geschäft für ihn in London zu übernehmen. Sir John war in allen Stücken ein Sonderling. So liebte er z. B. nur Frauen, die sich durch eine gefährlichedangereuse. Magerkeit auszeichneten, und denen es so ganz am Busen mangelte, daß man ihr Geschlecht hätte in Zweifel ziehen können. Vor meiner Abreise war ich bei ihm zum Abendessen eingeladen, um seine Papiere in Empfang zu nehmen, und fand im Halbkreise auf Lehnsesseln eine Sammlung ausgetrockneter Mumien, mit denen ich würde Bedenken getragen haben, mein Besuchszimmer auszuschmücken. Es war eine Ausstellung von allem, was die Tanzoper an beweglichen, fleischlosen Knochengebilden, und die Klasse von Freudenmädchen an menschlichen Gerippen und skelettartigen Gliederweiberndangereuse. liefern kann. Ich konnte mich nicht genug wundern, daß ein so reicher und wollüstiger Mann sich mit Gegenständen umgab, welche den Trieb ersticken und das Feuer der Begierde auslöschen mußten. Zwar schienen einige Freunde diesen seltsamen Geschmack mit ihm zu teilen, doch stellten sie sich wohl nur so, denn wer weiß im Grunde nicht, daß eine mäßige Wohlbeleibtheit ein ganz anderer Reiz ist als – Haut und Knochen, als Dörrsucht und Auszehrung? Nur der einzige Vicomte von C... schien wirklich seine Vorliebe für das Studium der – Knochenlehre nach dem Leben, der anschaulich gemachten Osteologie, zu teilen. Er hat mich mehr als einmal versichert (der Vicomte nämlich), daß, um in seinen Augen eine Frau begehrenswert zu machen, es nötig sei, daß ihre Taille sich von ihren sammeten Armbändern umspannen lasse, daß es ihr an sichtbaren Kennzeichen unsichtbarer Reize fehlen, und daß ihr Aeußeres keine geheime Schönheit verraten müsse. Man kann – auch ohne Wortspiel – diesen Geschmack einen mathematischen für das Vieleck, einen mineralogischen für das scharfkantige Kristallsystem, und einen Widerwillen gegen die astronomischen Sphäroiden nennen.

Ich fand bei diesem Souper einen gewissen Abbé D'Arcès, einen dreisten Schmarotzer, einen profanen Speichellecker des Hauswirts. Um ihm den Hof zu machen, nahm er alle Frauen von Paris hintereinander durch, welche das Unglück hatten, die verwerfliche Eigenschaft eines schönen Busens zu besitzen. Er hörte mit der Dlle. Lebeau auf, und machte ihr das Kompliment, daß sie von diesem Uebelstand frei sei – welches Lob sie übrigens nicht verdiente. Er sprach von ihr als von einer angenehmen, talentvollen Schauspielerin, noch mehr aber als von einer Kokette der ersten und vornehmsten Klasse. Er erzählte von ihr ärgerliche Geschichtchen voller Bosheit und Witz, in einem pikanten, originellen Geschmack. Ich kannte diese Aspasia nur obenhin. Seine Erzählung reizte meine Neugierde; ich schämte mich meines Irrtums und des Unrechts, welches ich ihr angetan hatte, und um beide zu verbessern, entschloß ich mich, ihre nähere Bekanntschaft zu machen, und eine so liebenswürdige Frau – zu lieben, wenigstens zu versuchen, ob sie alles leisten würde, was ihr Lobredner von ihr anführte, und nicht eher abzureisen, bis sie mich verabschiedet haben würde, was zu erhalten nicht schwer hält, und nicht viel Zeit kostet, wenn man es nur recht anzufangen weiß. – Ich ruhte von nun an nicht eher, als bis ich eine Gelegenheit gefunden hatte, sie zu sprechen, und die Erlaubnis erhielt, sie zu besuchen, und ihr zu schwören – sie nie wieder zu verlassen. Sie lebte (wie man sagte) mit F..., dem Sohne des Chevalier von M..., einem artigen, hübschen, liebenswürdigen jungen Manne, den sie geliebt haben würde, wenn es, um Frauen, und besonders um Frauen dieser Art, zu gefallen, hinreichend wäre, ihre Liebe zu verdienen. Aber Frauen dieser Art bleiben keinem Liebhaber treu. Doch was sage ich dieser Art? In keiner halten sie Stich. Man muß sie bestürmen und den günstigen Augenblick benutzen, will man seines Sieges gewiß sein.

Die Gelegenheit, von welcher ich sprach, ihre Bekanntschaft zu machen, war die Gemäldeausstellung im Louvre. Dort fand ich sie; sie spielte die Kennerin. Ich und Champcenetz spielten die Kunstliebhaber und näherten uns. Nichts ist leichter, als mit einer schönen, talentvollen Frau ein Gespräch über Schönheit und Kunst anzuknüpfen. Die Worte fehlen da nicht. Meine Bekanntschaft mit ihr machte indessen nicht so schnelle Fortschritte; anfänglich leistete sie Widerstand. Sie war beschäftigt, ihren F... zwar nicht zugrunde zu richten, ihm aber doch die Fettfedern auszurupfen, und die Furcht, ihn zu verlieren, bürgte ihm für ihre Treue ... Aber schon nach einigen Wochen wankte sie, gab nach, gab sich überwunden, und als wir uns freundschaftlich verabredet hatten,arrangés à l'amiable. schämte sie sich ihrer Besorgnisse und lachte über ihre Bedenklichkeiten. Schon damals ließ sie hoffen, es in dem Ränkespiel weit zu bringen;C'etait un mauvais sujet d'une grande espérance. sie hat noch mehr gehalten, als sie versprach, und in der Revolution sich schrecklich gezeigt. Das nimmt mich nicht wunder; mit einem Kopfe und einem Herzen wie das ihrige war, ließ sich's weit gehen. Auch hat sie Glück gemacht, und es würde noch jetzt bloß von ihr abhängen, das zu werden, was man ehedem in Frankreich eine Edeldame nannte.Dame de paroisse. Sie war hübsch wie ihr Name, äußerst unterhaltend und lustig. Nicht so lustig war das tragische Ereignis, welches uns getrennt hat.

Ich hatte bei ihr zu Nacht gespeist. Auf eine zärtliche Unterhaltung, auf die Hoffnung einer noch zärtlicheren, folgten, ich weiß nicht wie, ein paar den Frieden störende Worte, plötzlich greift sie zu ihrem Arbeitsbeutel, zieht eine kleine, goldene Schere hervor, und mit ebenso viel Grazie als ernster Absicht fährt sie damit nach einem Busen, qu'Amour avait formé pour plaire à tous les yeux.

Ihr Blut fließt: sie stirbt, sie stirbt! Sie ruft es aus, sie glaubt es, ich fürchte es. Die Totenblässe der Lilie ersetzt die Farbe der Rose, wie eine abgemähte Blume senkt sich ihr Haupt. Ich springe auf, schreie, rufe nach Hilfe. Mein Zustand ist noch entsetzlicher als der ihrige. Ich bedecke mit Tränen und Küssen den Busen, vor dem ein Sir John Lambert die Flucht ergriffen hätte. Eine aus dem Schlafe aufgeweckte Kammerfrau tritt ein und glaubt in mir den Mörder ihrer Herrschaft zu erblicken. Diese hat aber Besinnung und Gewissen genug, ihr den Irrtum zu benehmen. Ich stürze auf die Straße, hole einen Wundarzt, habe Mühe, ihn mitzubringen, weil er nicht begreifen kann, daß man sich so spät Scherenstiche geben könne. Er hofft, die Wunde werde nicht tödlich sein, aber – und dies aber war für mich ein Dolchstoß – er will die Hoffnung nicht zur Gewißheit machen, will nicht darauf schwören.il ne veut jurer de rien. Er verschreibt einen Balsam, vor dessen Geruch man hätte davonlaufen mögen, verspricht wiederzukommen, überläßt mich der Verzweiflung – mich, der in diesem Augenblick alles, was der zärtlichste Seladon hätte hervorbringen können, hervorbrachte, und mit den heißesten Zähren (wie er sie nicht geweint haben würde) begleitete, während sie fest und unerschüttert blieb wie Cato, als er seinen Tod beschloß.

Der Morgen machte dem tragischen Possenspiel ein Ende. Ich eile zu einer Freundin meiner Heldin; diese, das Kostüm und die Haltung der Königin ablegend, deren Rolle sie bisweilen zu spielen die Ehre hatte, eilte, die minder glänzende einer Krankenwärterin am Bette der Freundschaft zu übernehmen. Mein Vorsatz war, die schöne Verwundete täglich zweimal zu besuchen, so lange als Gefahr vorhanden sein würde, und mich zu empfehlen, sobald sie vorüber wäre. Aber ein gewisser Herr von L..., verliebt wie ein Neuling, und Mademoiselle Raucourt, welche sich aus anderen Gründen ihrer sogenannten Freundin annahm, beratschlagten zusammen, wie sie mich noch während der Kur verabschieden lassen könnten. Sie fingen es schlau genug an. Einige Winkelgesellschaften in Paris wurden von ihnen hier und da verteilt, abgerichtet und eingelehrt;endoctrinés. sie mußten verbreiten, ich sei ein Ungeheuer, das einen Engel beleidigt, ein Barbar, der die Sanftmut selbst zur Verzweiflung getrieben, ein Hassenswerter, der sich an der Liebe versündigt habe ... kurz, ich mußte froh sein, wenn man nicht von mir sagte, ich sei ein Mörder und habe sie erstochen; denn hätte man nur Lust gehabt, es zu sagen, man würde sich wenig an den Arzt und dessen Zeugnis, an die Dame und ihre Aussage gekehrt haben, daß sie selbst den Stoß ausgeführt habe! La calomnie, docteur, la calomnie! Il faut toujours en venir là –, sagt jemand,Dieser jemand ist Beaumarchais. Er legte diese Worte seinem Basil im Barbier von Sevilla in den Mund. »Nur verleumdet; nur immer verleumdet. Das ist die Hauptsache! Es bleibt immer etwas davon kleben.« Uebers. und leider bestätigt die tägliche Erfahrung den Erfahrungssatz, und macht ihn zur schauderhaften Wahrheit. – Diesmal kam ich noch ziemlich leichten Kaufs, oder, wie man zu sagen pflegt, mit blauem Auge davon. Mit Ausnahme eines kleinen Kreises begnügte man sich, einander ins Ohr zu raunen, ich hätte einen Angriff auf ihre Tugend gemacht, und als er abgeschlagen worden, sei ich in Wut geraten, und habe den Auftritt veranlaßt, durch den sie in den Fieberzustand geraten sei, welcher sie nötigte, das Bett zu hüten.

Von einer Frau, weß Standes und Ranges sie sei, Knall und Fall verlassen, verabschiedet zu werden, ist von jeher für mich ein unerträglicher Schimpf gewesen, oder vielmehr eine Schwäche, welche mir meine Vernunft oft vorgeworfen hat, aber nie hat besiegen können. Vergebens habe ich mir alle Mühe gegeben, über einen so lächerlichen Vorfall zu lachen, nie habe ich es weiter als zu einem halben Triumphe gebracht. Am Tage ging's noch an, da läßt man sich vom Lärmen, von der Bewegung, von den Umgebungen fortreißen, aber gegen Abend wird es anders. Die Nacht hat, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine nervenabspannende Kraft, eine Eigenschaft, welche die Seele allen weichen Empfindungen öffnet und sie der Reue und der Traurigkeit überliefert. Beides hat einen Verdruß zur Folge, der die verletzte Eigenliebe zu allen möglichen Sottisen verleitet, und vor allem zu dem Wahn, »man liebe, was man nicht liebt«. So ging es mir. Ich ließ einige Tage verlaufen, dann schrieb ich, sobald ich erfuhr, daß man genesen sei, ein sentimentales Billett, eine förmliche Schutzschrift. Sie blieb ohne Antwort. Nun forderte ich Briefe und Porträt zurück, man schwieg noch immer. Ich drohte in einem dritten Schreiben, sie mir selbst abzuholen, man beharrte beim Schweigen. Jetzt eile ich hin, dringe unaufhaltsam ein, renne alles um, frage nach Mademoiselle Lebeau. Es heißt: »Sie ist ausgegangen.« Man öffnet mir alle Zimmer; ich suche, durchsuche alles und habe so wenig Lebensart, so wenig Feingefühl und Gewalt über mich, daß ich im Schlafgemach der Dame alles Gerät umstoße, zerschlage, zerschmettere. Denke ich heute darüber nach, so kann mich nichts entschuldigen als dies: ich wollte mich auf eine Weise in mein Unrecht versetzen, die mir jede Hoffnung zur Rückkehr abschneiden sollte. Und so nahm ich denn Abschied von dem hübschen Gesichtchen, welches kein gutes Herz, wohl aber ein seichtes Gemüt und eine filzige Habgier verbarg. Ich sah sie seitdem nur auf der Bühne, wo ihr Talent sowohl als ihre Reize Beifall fanden, habe aber nie wieder ein Wort mit ihr gewechselt.

Bald nachher trat ich meine Reise an, diese so oft entworfene, so oft aufgeschobene Reise. Ich ging zum zweiten Male nach England, wo ich später länger gelebt habe, als ich es damals voraussehen konnte – nach England, dem Lande der Philosophie und des Gemeingeistes,public spirit. so wie Frankreich das Land der schönen Künste und des Nationalenthusiasmus ist – nach England, unserm Rival-Lande – welches wir schätzen würden, wenn wir es nur lieben könnten – nach England, welches, um seines eignen Ruhms und Vorteils willen, sich zum Interesse von Europa und aus Liebe zur Menschheit mit uns zu einem ewigen Frieden verbinden sollte!

Ich reiste mit dir ab, liebster Morinval, mein treuester, teuerster, zärtlichster Freund, dessen feingebildeter Geist mir auch eine längere Reise abgekürzt haben würde. Es war kurz nach dem 5. Oktober 1789, jenem schmachvollen Tage in unseren Annalen, und nachdem der feige Kleinmut des Herzogs von Orleans ihn auf das Ufer der Themse geworfen und der Ausübung von Verbrechen entzogen hatte, zu denen man ihn in Frankreich trieb.Gegen Mirabeaus Rat folgte der Herzog den Befehlen des Königs und reiste am 14. Oktober 1789 nach England. Uebers.


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