Alexander von Tilly
Die Memoiren des Grafen von Tilly - Zweiter Band
Alexander von Tilly

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Fünfzehntes Kapitel.

Je vis une de ces femmes qui réunissent comme par miracles les diverses perfections dont les Anciens composèrent leur beau idéal. Je la vis, et je me sentis soudainement frappé comme d'un coup de foudre: mon âme se détacha de moi. Cette femme parla, j'entendis comme la voix d'un homme, et mon âme à l'instant même me fut rendue.

O du, mächtigste Verführung! Zauberischer Reiz, unwiderstehliche Macht! Siegreiche Magie eines zarten, rührenden Organs! Wie eindringend und sicher ist deine Gewalt! Wie spricht es zum Herzen, erobert es, und gibt es nicht wieder zurück! Silberstimme, du bist für die Worte, was Grazie für Form und Gestalt, was der Geist für den Körper ist. Du veredelst die nichtssagendste Rede im Munde der unbedeutendsten Frau ... Wo du fehlst, verliert das Gespräch der Engel ihren Wert. ... Ihr sanften, biegsamen Töne, Musik der Sprache, mit euch hört die Häßliche auf, häßlich zu sein ... ohne euch ist die Schönheit nicht mehr schön ... wird es nicht wieder, auch wenn sich ihr Mund geschlossen hat. Wo ist der Wilde, der nicht Liebe lispelt, wenn er liebt, und dessen Herz ohne Worte Liebe atmet? Harmonischer Wohlklang, Widerhall der empfindenden Seele, ich folge lieber deinem süßen Betruge in die Schatten der Nacht, als daß ich, von der Sonne bestrahlt, eine Schöne an mein Herz drückte, deren männliche Stimme die Liebe und ihre Freuden verscheucht!!

In den Elysäischen Feldern hatte ich einst eine Frau von außerordentlicher Schönheit gesehen, eine von den Frauen, welche uns die Lust benehmen, nach anderen zu schauen, und deren Bild im Herzen zurückbleibt, wenn man es aus den Augen verloren hat. Ich zweifelte schon, sie wiederzufinden, als ich eines Tages zu Issy, bei Milady D..., die damals mit ihren reizenden Töchtern sich in Frankreich aufhielt, in einer großen Gesellschaft – nur Augen für eine hatte. Es war die Göttin meines Herzens, die einzige, die meine Gedanken gefesselt hatte. Welch' Entzücken, sie so unvermutet wiederzusehen, den Namen derjenigen zu erfahren, die der geheime Gegenstand meiner Huldigung war, und ihr diese Huldigung zu Füßen legen zu können? Sie sprach wenig, war eine Engländerin, und es währte lange, ehe ich entzaubert ward. Aber, o Götter, wie ward ich es! Wie fiel ich aus allein meinen Himmeln! Ihre Stimme war eine Mannesstimme, eine Stimme, die man selbst einem Manne zum Vorwurf hätte machen können, ein so rauhes und unbiegsames Organ, daß kein Mann bei einer Frau von feinem und zartem Gehör sein Glück damit machen würde. Die Lady hatte ohne Zweifel bemerkt, wieviel Mühe ich mir auf der Promenade gegeben, ihre nähere Bekanntschaft zu machen, und welchen Eindruck ihr bloßer Anblick bei meinem Eintritt in die Gesellschaft auf mich gemacht hatte. Um so mehr mußte es sie wundernehmen, daß ich eine so erwünschte Gelegenheit so wenig benutzte. Es war mir aber schlechterdings unmöglich, ihr näher zu treten und ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen, sobald ich sie nur einmal hatte sprechen hören. Sie war in meinen Augen eine frische, schöngefärbte Frucht, welche zum Pflücken und Anbiß einladet, schneidet man sie aber auf, so findet man den Wurm, der sich eingesponnen hat; sie war eine glänzende Blume mit unverletzten Blättern, deren Kelch aber geruchlos und angegangen ist. Im Geiste sprach ich zu ihr: Schöne Statue, wie schade, daß du mit der Stimme begabt bist! Hätten dich die Götter mit Stummheit geschlagen, wie sehr würde dich alles bedauert haben! Jetzt, da du sprichst, wie gern vergißt man dich!

Inzwischen konnte ich doch kein Auge von ihr wenden. Ich horchte lange und aufmerksam, ob sich ihr Organ vielleicht mildern möchte. Fängt man an, eine Frau zu lieben, und entdeckt dann bei ihr einen Fehler, eine Unvollkommenheit, oh, wie sehr ist man darauf bedacht, sich dessen zu versichern, um sich zu entschließen, ob man sie lieben soll oder nicht! Sobald ich nicht mehr an der rauhen Baßstimme meiner Schönen zweifeln konnte, war mein Entschluß gefaßt: ich entfernte mich, aber mit Schmerz, und wie man sich von einem Freunde trennt, der unser Zutrauen verraten, unsre Hoffnung getäuscht hat.

Bis dahin, wo ich eine andere fände, die ich lieben möchte, beschäftigten mich im Fluge einige kleine Abenteuer, über die ich schnell hinweggehen werde, weil ich sie nicht für interessant genug halte, den Leser damit aufzuhalten. So habe ich zum Beispiel einer Frau von S... vier Wochen gehuldigt, an die sie vielleicht noch weniger zurückdenkt als ich selbst. Ich speiste nämlich beim Obersten von St..., in einem Hôtel garni der Vorstadt Saint Germain. Die Gesellschaft hört mit einem Male einen Lärm. Ich erkundige mich näher und erfahre, daß man im Begriff ist, sich der Frau von S..., welche im Hotel wohnt, zu versichern, sie abzuführen, und Gott weiß, was noch mehr gegen sie zu beginnen. Ich eilte zu den Gerichtspersonen, und da keine Minute zu verlieren war, biete ich als Zahlung, mindestens als Kaution, Uhr, Pferd, Kabriolett, ja selbst meinen Jockey an. Die ehrlichen Leute, mit denen ich zu tun habe, wollen aber alle diese Unterpfänder nur zu 50 Louisdor anschlagen. Der Oberst St... leiht mir zwanzig; ich lege meine ganze Barschaft dazu und befreie die Schöne mit den schwarzen Augen. Sie glaubt sich ihrerseits durch Dankbarkeit gebunden, ich hingegen glaube, aus Zartgefühl mich nicht aufdringen zu müssen. Nach einigen Tagen wendet sich das Blatt, und ich nehme zum Vorwand eines Besuchs den Dank, den ich ihr schuldig sei, weil sie eine so geringe Dienstleistung von mir angenommen hätte. Einen ganzen Monat hatte ihre Erkenntlichkeit gedauert, als ich eines Abends den Obersten Polastron mit seiner Violine eintreten sehe, denn ohne diese ging der Herr Oberst nie aus, er führte sie beständig in der Tasche oder unterm Arm oder – im Munde. Bruder und Gatte zweier ausgezeichneter Frauen, besaß er von beiden nur das schmachtende Wesen. Er liebte Frau von S... und härmte sich im verheimlichten Schmerze ab, aber ich erriet ihn bald und bemerkte, daß wir beide einem Gegenstände unsern Weihrauch brachten. Nun fand ich es ratsam, mich mit ihm zu verständigen; ich befragte ihn offenherzig um seine Herzensangelegenheit; er antwortete mir mit Tränen in den Augen und aus beklommener Brust. Jetzt kam die Reihe an unsere gemeinschaftliche Schöne. Ich machte ihr einige Vorwürfe, empfahl mich beiden und ließ das Paar beieinander.

Kurze Zeit nach diesem, der Ruhe eines dritten dargebrachten Opfer, rühmte mir der russische Gesandte in Paris, Herr von Simolin, mit allem diplomatischen Ernste das Glück, das ihm in dem Umgange mit Frau von Al... zuteil geworden sei. Diese Dame war eigens

nach Paris gekommen, ihn zugrunde zu richten. Sie war in dieser löblichen Absicht von Marseille angelangt – dieser zweimal durch die Pest berühmt gewordenen Stadt, einmal, als ihr Bischof Belzunce sich durch die edelste Aufopferung für seine geistliche Herde unsterblich machte, und das andere, als sie, pestartiger als je, aus ihren Mauern die Bluthunde über Paris ausspie, welche, den Thron umstürzend, frech genug waren, sich die Begründer, Verfechter und Anbeter der Freiheit zu nennen.

Simolin, mit seiner blonden, sorgfältig gekräuselten Perrücke und seinem übrigen alten Jünglingsaufputz, hielt sich für geliebt (dafür halten sie sich alle), und suchte – der Narr! – Zeugen seines Glücks. Seine Wahl fiel unter anderen auf mich. Er führte mich bei seiner Göttin ein, und in ihrem Kabinett, an ihrem vertraulichen Kaminfeuer, leistete ich ihm alle üblen Dienste, welche ein hübscher, junger, lebhafter Mann einem Fat leisten kann, der weder das eine noch das andre noch das dritte ist. Ich will ihm seine Verdienste als Diplomat nicht abgesprochen haben, aber der Dienst der Großen ist von dem Dienste der Schönen so unendlich verschieden, es ist ein so himmelweiter Abstand zwischen Depeschen und Liebe; so mancher schreibt Berichte und offizielle Akten mit leichter Mühe, der sich dem Spotte aussetzen würde, wenn er vier Zeilen an seine Angebetete aufsetzen wollte. So erging es dem Gesandten. Ich war der Geliebte, nicht er; und als er es durchaus nicht von selbst merken wollte, setzte ich es ihm ziemlich klar auseinander. Er machte anfangs einen gewaltigen und lächerlichen Spuk, allein Zorn und Wut legten sich so schnell, daß mir seine Ruhe lästig wurde, und selbst die Reize seiner Schönen mich langweilten. Eines Abends, als ich bei ihr speiste und Streit suchte, gab eine Heloise in Email auf meinem Uhrdeckel günstigen Anlaß dazu. Die Schöne aus der Provence hielt das Bild für das einer Rivalin und bestand darauf, daß ich es ihr zum Opfer bringen sollte, ich meinerseits schützte ein Nasenbluten vor, begebe mich in ein Nebenzimmer, nehme meinen Hut, springe aus dem Fenster auf den Boulevard und lasse die Didone abbandonata allein bei Tische. Sie erwartete mich lange, und würde mich vielleicht noch erwarten, wenn sie nicht nachher als Witwe des Generals Custine gestorben wäre, der, im Dienste der französischen Republik – als diese selbst im Dienste des Herrn Maximilian Robespierre stand – seinen Kopf unter die Guillotine gebracht hat.

Meine Damen, geben Sie acht, es kommt noch schlimmer! Schönes, gefühlvolles, nachsichtsvolles Geschlecht, Gnade, Gnade! Gnade für die größte Sünde meines Lebens! Ich bin, wie Sie sehen werden, ein wenig dazu verleitet worden, allein das will alles nichts sagen, ich bekenne mich schuldig und straffällig, spreche mir selbst das Verdammungsurteil, und flehe Sie um eine Begnadigung an, deren ich mich unwürdig fühle.

Es war einmal in Paris eine überaus reizende Frau, liebenswürdig und hübsch, wie man es nur sein kann. Sie galt für einen Tugendspiegel, sie war weit, weit Von Paris aus einer Provinz, wo die Frauen mehr angenehm als schön sind, wo sie mehr fühlen als empfinden, mehr Sinn als Sinnlichkeit haben.Plus de sens que de sensibilité. Die, von der ich hier spreche, besaß Reize aller Art, und vor allem das beste Herz von der Welt. Ihr Mann brachte die Nächte beim Spiel zu, verlor ungeheuer, und die gute Stadt Paris, wo man wie überall nur mit Leuten spielen muß, die man sehr genau kennt, oder – was noch besser ist – gar nicht spielen müßte, hatte seine Finanzen in die größte Unordnung gebracht. Ich war mit der Frau in Gesellschaften zusammengekommen, und hatte sogar auf dem Opernball – der schönsten Gelegenheit zu dergleichen Abenteuern – eine Art von Roman mit ihr angesponnen.

Nachdem sie sich so lange gegen mich gesträubt hatte, als nötig ist, eine zärtliche Flamme anzufachen und eine Zeitlang zu unterhalten, hatte sie sich ergeben, und da sie keine ihrer Frauen zur Vertrauten machen wollte (was ich sehr billige und allen Schönen empfehle, von welchen es abhängt, Gebrauch davon zu machen), übernahm sie es jederzeit selbst, mir eine kleine, geheime Tür zu öffnen, welche von hinten zu ihrem Zimmer führte, so daß ich ganz unbemerkt mich hineinschleichen konnte. Die Tür stieß auf einen dunklen Korridor, von da ging es durch finstere Gänge und Umwege, es war ein wahres Labyrinth. Dieser heimliche Zutritt, dieser Irrsaal hatte für mich etwas Pikantes, Romanhaftes und amüsierte sie und mich. Die Liaison würde lange gedauert und ein schickliches und anständiges Ende genommen haben, hätte mich ein ihr entschlüpftes, unzeitiges Wort nicht auf Gedanken gebracht, die mir sonst nie eingefallen wären. Eines Abends, als ich mich im Dunkeln an einem Geräte gestoßen hatte und mit übler Laune darüber Beschwerde führte gab sie mit einem Tone, der an Härte grenzte, zur Antwort: »Nicht wahr, mein Herr, Sie möchten wohl durch die Haupttür zu mir kommen, bei hellem Kerzenschein, von allen meinen Leuten und im Notfall von ganz Paris gesehen? Ich aber, mein Herr, bin entschlossen, meinen Ruf nicht aufs Spiel zu setzen, und mich so gut vorzusehen, daß selbst Ihr AusplaudernVos indiscétions. unsers Geheimnisses keinen Glauben finden würde.« – Als wäre der Blitz zu meinem Füßen gefallen, als hätte mich der Donner gerührt, stand ich da, sprachlos, unbeweglich, mußte mich an die Wand lehnen, konnte vor Bestürzung und Wut kein Wort aufbringen. Wir waren noch im Korridor, sie langte nach meiner Hand, ich stieß die ihrige zurück; so gelangten wir auf ihr Zimmer, sie mir folgend, ich mit dem einzigen Gedanken beschäftigt, sie mit Würde zu verlassen und nie zurückzukehren. Aber die große, edle, majestätische Rache setzte in mir eine Gewalt über mich voraus, die ich damals noch nicht besaß, und die sich nicht in Gesellschaft einer Frau erzwingen ließ, die so manche Wünsche erregte und in meiner Macht war. Sie ihrerseits verschwendete Liebkosungen und Lockungen aller Art, sie gab dem Gesagten eine leichte, scherzhafte Wendung, die der Beleidigung den Stachel benehmen sollte, »sie habe sich nichts Schlimmes dabei gedacht, sie sei an der Bedeutung, die man ihren Worten geben könne, unschuldig«, kurz, meine Sinne wurden aufgeregt und mein Herz beschwichtigt.

Aber kaum zu Hause angelangt, stellte ich andere Betrachtungen an, welche sämtlich das »Schuldig« über sie aussprachen. Es war weiter kein Gedanke an großmütige Verzeihung in mir. Ich sann nur auf Rache. Damp..., damals Offizier bei den Gardes-du-Corps, ein Mann, der so wenig Ursache hatte, die Revolution zu lieben und dennoch einer der ersten war, die sich von dem Strudel fortreißen ließen, hatte sich mir bei mehreren Gelegenheiten gefällig gezeigt. Unter andern war er so artig gewesen, eine junge Malerstochter, die ihn liebte, und die ich auch sehr hübsch fand, mir auf das erste Wort abzutreten, ja, noch mehr, sie zu bewegen, mich anzunehmen. Es gelang ihm nicht ohne Mühe, sie zu bereden. Vielleicht mochte er ihrer überdrüssig sein, aber das gehört nicht hierher, und überhaupt muß man Beweggründe dieser Art nicht so genau zergliedern, und in eine gute Handlung nicht so tief eingehen, was bliebe sonst von den meisten derselben übrig? – Dem sei, wie ihm wolle, ich zog nicht lange Nutzen von seiner Gefälligkeit, denn die Kleine verließ Paris und trat in eine Provinzial-Schauspielergesellschaft ein. Wir hatten beide diesen Entschluß auf unserm Gewissen, dabei mußte uns noch überdies der Gedanke quälen, daß eine sehr schlechte Schauspielerin aus ihr geworden ist, was uns doppelt strafbar macht, erst gegen sie, dann gegen das Publikum. Was ihn betraf, der sie mir so großmütig abgetreten hatte, so begnügte ich mich nicht, ihm meine Dankbarkeit mit Worten auszudrücken, sondern machte mich zu jedem Gegendienste erbötig. Und so kam es denn, daß bei dieser Gelegenheit, und da ich auf Rache über die erlittene Beleidigung sann, mir mein Freund einfiel. Ich kannte ihn als einen feuerfangenden Kopf, ich war überzeugt, er würde mich weder verraten, noch mir Schande machen, kurz, ich fand gerade in ihm den Mann, der mich aus dem Stegreif vertreten, sich glücklich machen und meine Schöne züchtigen könne. Er hatte ungefähr mein Maß. Ueberdies hatte ich einigemal bei meinen nächtlichen Zusammenkünften mit ihr einen großen Muff getragen, den ich mir vor das Gesicht hielt, wenn mich fror. Finster war es, es bedurfte nicht vieler Umstände. Ich lieh meinem Freunde den Muff und machte ihm seine Lektion. Ja, ich ging noch weiter, und versah ihn mit den Wohlgerüchen, an welche meine Dulzinea gewöhnt war.

Um aber in meiner Erzählung nichts auszulassen und in der gehörigen Ordnung zu bleiben, muß ich bemerken, daß ich anfangs Mühe hatte, ihn dahin zu bringen, und daß er nur einwilligte, nachdem ich ihm den Gegenstand genannt und ihn überzeugt hatte, daß im äußersten FallEn cavant au plus fort. Ein Spielerausdruck ihm nichts Schlimmeres begegnen könne, als – die Partie zu verlieren und – Tür und Straße zu gewinnen. So entschloß er sich denn zu diesem Abenteuer und machte sich nach Mitternacht auf den Weg. Es war im Februar. Gesicht und Kopf in den wohltätigen Muff begraben, ließ er, als ihm geöffnet ward, nur unverständliche Laute hören wie einer, den friert. Er fand einen Arm, hing sich daran, und folgte mit festem Tritt, wie ein des heimlichen Ganges und Labyrinths Gewohnter. Ich hatte ihn mit der Topographie des Orts bekannt gemacht. War man die Hintertreppe hinauf, so kam man an ein kleines Kabinett, dessen Türe halb offen stand, um den Korridor spärlich zu beleuchten. Ein Tisch mit Blumenvasen, eine marmorne Badewanne, eine kleine Kommode mit einem einzigen Lichte, einige Stühle, ein Sofa, machten das ganze Gerät aus. Kurz, ich hatte Damp... alles genau beschrieben und vorgezeichnet. Im Kabinett nahm nun die eigentliche Gefahr ihren Anfang. Desto größer aber auch war sie. Damp... mußte, meiner Anweisung gemäß, etwas vorangehen, zuerst eintreten, sich mit schnellem Blicke nach allem umsehen, um sich zu orientieren, dann das Licht umstoßen, als geschehe es aus verliebter Ungeduld und leidenschaftlichem Ungeschick. Er mußte die Dame in seine Arme schließen, ohne ihr Zeit zur Besinnung und zum Zweifel zu lassen, und, ohne ihr Schlafzimmer erreicht zu haben (wie ich es oft in den schönen Tagen unseres Bundes getan hatte), mit ihr im Kabinett zurückbleiben und im Finstern einen Sieg davontragen, der sich auf die Rechnung des Entzückens schreiben läßt und von den Schönen selten übel gedeutet wird.

Er tat es.

Nachher hat er mir versichert, die Dame habe nicht Zeit gehabt, Verdacht zu schöpfen, und noch weniger, über die Sache nachzudenken. Etwas verwirrt, dabei etwas stolz, habe sie sich gesammelt, sei aus dem Kabinett getreten und ihrem Schlafgemach zugeeilt. Damp... sei ihr unerschrocken gefolgt und habe sich schnell hinter die Vorhänge gestürzt (so hat er es mir wenigstens erzählt). Jetzt erst, als er wie ein Schatten an ihr vorübergeglitten, habe sie ein Schauer befallen, sie habe die entsetzliche Wahrheit geahnt, sei ihm nachgelaufen, habe sich fest an ihn geklammert, und trotz seines Widerstandes gesucht, mit Hilfe des schwachen Lichtscheines im Alkoven seine Züge zu erkennen und ihn zum Sprechen zu bringen; nun endlich von ihrem ganzen Unglück unterrichtet, sei sie ohnmächtig zu seinen Füßen hingesunken. Er habe sie vom Boden aufgehoben und auf das Bett gelegt. Dann habe er noch einmal versucht, ob die Allmacht der Liebe sie beleben würde; sie sei zwar wieder zu sich gekommen, habe sich aber mit Löwenkraft ihm entwunden, ihn mit den niedrigsten Schmähungen belegt, sich Gesicht und Brust zerschlagen, zerkratzt, habe sich in ihrer Verzweiflung umbringen wollen, kurz, sich wie eine Wahnsinnige gebärdet. Er sei ihr zu Füßen gefallen, umsonst, habe um Vergebung gefleht, umsonst, habe Reue beteuert, umsonst, habe sich mit der Gewalt der Liebe entschuldigen wollen, alles umsonst. Mit jedem Augenblick, mit jedem Worte ihr verhaßter, wie es schien, habe er nach tausend ohnmächtigen Versuchen und zu nichts führenden Erklärungen sich morgens drei Uhr meines Schlüssels bedient, sei mit vieler Mühe an die Türe, aus dem Hause, in die Straße gelangt, ohne daß sie, die Halbtote, irgend Behutsamkeit angewendet hätte, ihn unbemerkt zu entfernen, und den Rückzug eines abscheulichen Ungeheuers zu decken, welches ihr ein noch weit abscheulicheres zugesandt hatte.

So schloß das Schäferspiel. Es enthielt für unsre schöne Ungenannte die große und traurige Wahrheit: »Man müsse nie durch einen unzeitigen und beleidigenden Argwohn seinen Liebhaber zu einem treulosen Verrat verleiten.« Sie lernte hier, daß der Sold einer bösen Rede fast immer eine böse Handlung ist. Gleichwohl gestehe ich in aller Demut meines Herzens und Gewissens, daß die meinige sich durch nichts entschuldigen läßt, und daß ich sie von jeher als einen Schandfleck in meinem Leben angesehen habe.

Einige Zeit nachher gab der Prinz von Salm einen Ball, zu welchem halb Paris geladen war. Es war ein sonderbarer Einfall, und die Anzahl der Gäste so groß, daß er sie bei weitem nicht alle kannte, und scherzend zu mir sagte: »Wie mancher von ihnen mag mich für einen der Eingeladenen halten!« Sein Einfall wunderte mich weniger als die Erbärmlichkeiten, die er seit dem Anfange der Revolution begangen hat. Sie haben ihn unter die Guillotine gebracht, und allem Bösen, was über ihn gesagt worden ist und ihm nur zum Teil zuschulden kommt, zur Bestätigung gedient. Selten oder nie ist wohl der Ruf eines Mannes so unbarmherzig mitgenommen worden als der seinige; er war durchstochen wie ein Sieb, und doch hieß es, er sei feige; er hatte sein ansehnliches Vermögen durchgebracht, und es hieß, er lebe von fremdem Gelde; er hatte ungeheure Summen im Spiel verloren, und es hieß, er spiele falsch; man konnte ihm Geist nicht absprechen, wohl aber sprach man ihm die gesunde Vernunft ab; gebildet und unterrichtet wie wenige, galt seine Unterhaltung für leer und geistlos. Weil er ein Mann von Charakter war, wollte man ihm nun einmal nicht trauen. Stolz und hoch wie der Chimborasso – denn dafür wurde er allgemein gehalten – lauerte man auf jede unziemliche Handlung von ihm, um ihn demütigen, ihn züchtigen, über ihn triumphieren zu können; so wahr ist es, daß der Hochmut an sich so wenig natürlich ist, daß er beim Nachlassen nie auf halbem Wege bleibt und nicht Maß halten kann. – Nachdem er sein ganzes Leben hindurch den Adelstand erhoben, nur von Adel, und wieder von Adel gesprochen, und niemanden gefunden, dessen Adel alt genug für ihn war, hat er sich der schmutzigsten Demokratie in die Arme geworfen, und ist als Opfer der PöbelliebePopulacerie; im Gegensatz mit Popularité, Volksliebe. gefallen, nachdem er, wie ein zweiter Comte de Tuffière,Im Glorieux von Destouches. eine Prinzenrolle gespielt hatte, hat er Grundsätze angenommen und befolgt, deren sich ein ehrlicher Bürgersmann schämen würde.

Das Blutgerüst hat dem Kampfe zwischen hoch und niedrig in ihm ein Ende gemacht.

Um wieder auf seinen Ball zurückzukommen, so widmete ich diesen Abend meine größte Aufmerksamkeit der Frau von R..., welche ganz Paris für eine Schönheit erklärt hat, in der ich aber weiter nichts als viel Grazie gefunden habe. Ich sah mich schon im Geiste in eine neue Liebschaft verwickelt. Wie konnte ich anders? Hatte sie mir nicht gesagt, sie werde bis ganz zuletzt bleiben, und den Saal nur verlassen, um sich in ihren Reisewagen zu setzen, sie habe nämlich vierzig Lieues ohne anzuhalten zu machen, und ihren kranken Schwager auf seinem Landsitze zu besuchen. Ich war nicht genau genug mit diesem bekannt, um bei ihm abzusteigen und Quartier zu nehmen; überdies war es nicht der Augenblick, einen Kranken zu überfallen. Ich war aber in meiner Jugend oft in Rouen gewesen, welches nicht weit davon entfernt ist. Rouen ist eine Stadt, worin ein Regiment in Besatzung liegt; es hat ein ziemlich gutes Schauspiel und die hübschesten Frauen der ganzen Provinz, welche übrigens keinen Mangel daran hat. Auf jeden Fall wußte ich im voraus, daß es mir drei Wochen lang in der Gegend nicht an angenehmer Unterhaltung fehlen würde. Demzufolge reiste ich tags darauf der Frau von R... nach. Kaum angekommen, erkundigte ich mich (alles erfährt man durch die Dienerschaft) nach dem Tage, wo sie bei dem Grafen de la R... speisen wird, und richte mich so ein, daß ich tags vorher einen Besuch bei ihm abstatte, damit er mich auf den folgenden Mittag einlade. Wie gedacht, so geschehen. Als mich beim Eintreten Frau von R... erblickt, stutzt sie und fragt, was mich herführe? Ich antworte: ein Gegenstand von der größten Wichtigkeit.Du premier ordre. Und als ich sie nach aufgehobener Tafel aus dem Speisesaal führe, setze ich leise hinzu: »Sie allein sind es, die mich anzieht.« Sie hatte Lust, mich zu schelten, durfte es aber vor den Gästen nicht.

Am folgenden Morgen mache ich mich auf, gehe auf die Jagd. Eigentlich bin ich nichts weniger als ein leidenschaftlicher Jäger. Das Wetter war abscheulich. Ich mache drei Lieues, schieße hier und da nach einem Wilde, das mir begegnet, treffe es nicht, und gelange endlich an das Landgut, wo die Dame wohnt, kehre in der nahen Meierei ein, fordere Tinte, Feder und Papier, und mit Händen, an denen kein unschuldiges Blut klebte, schreibe ich einen Zettel, der die Spuren einer rührenden Verwirrung trug. Ich hatte zum Glück einen pfiffigen Kammerdiener, einen wahren Valet de Comédie mit mir, dieser mußte das Brieflein besorgen. Er knöpfte sich in einen Bauernkittel ein, und hatte den gemessensten Befehl, auf die Gefahr seiner Entlassung das Blatt abzugeben und nicht unverrichteter Sache zurückzukommen. Man hatte sich, hinterbrachte er mir, durchaus geweigert, mich insgeheim anzunehmen, als gewöhnlicher Besucher würde ich willkommen sein. Es war mir aber einleuchtend, daß ich auf diesem Wege zu nichts gelangen würde, und daß nur ein abenteuerlicher Schritt, der die Dame in ihren eigenen Augen kompromittierte, mich zum Ziel führen könne. Ich schrieb ein zweites Billett, worin ich die Verzweiflung spielte, und mit allen ihren Folgen drohte, wenn Madame sich nicht bewegen ließe, nach der Meierei zu kommen; ich schloß mit der Versicherung, unverzüglich abzureisen, sobald ich sie nur gesprochen haben würde. Endlich entschied sich die Grausame, zu kommen. Viel gewonnen! Unsere Unterhaltung war das Muster einer – Unterhaltung. Ich sagte, was man in solchen Fällen zu sagen pflegt, sie antwortete, was man in solchen Fällen zu antworten gewohnt ist. Sie beschwor mich, abzureisen. Ich beschwor sie, wieder zu mir zu kommen. Sie versprach es endlich. Bis jetzt hatte ich aber, einige kleine Liebkosungen abgerechnet, die meine Leidenschaft ihrer Schamhaftigkeit abstahl, noch keinen Finger breit Raum gewonnen!

In den Gefilden der ersten Unschuld konnte es kein so exemplarisches Paar geben als wir beide.

Mein Vertrauter hingegen (zu seiner Ehre sei es gesagt) verlor seine Zeit nicht; er ging rascher zu Werke als sein Herr, und hatte sich tief in das Herz der Demoiselle Le Blanc, einer Kammerfrau der Frau von R..., eingeschlichen. Ich erhielt durch seine kräftige Fürbitte und Vermittlung, daß ich in das Schloß, ja noch mehr, nach dem Abendessen in das Zimmer ihrer Gebieterin eingelassen werden sollte. Die gefällige Zofe machte mir zur einzigen Bedingung, mein Ehrenwort zu verpfänden, daß ich sie auf keinen Fall verraten wolle. Wer sieht mich nicht im Alkoven der schönen Frau, hinter den Bettvorhängen, zitternd und bebend vor Verlangen, vor Begierde, mit klopfendem Herzen, wie ein Dieb – und war ich nicht wirklich ein Dieb, ein Räuber? In dieser Lage erwarte ich den entscheidenden Augenblick. Frau von R... läßt sich entkleiden, bleibt allein, legt sich schlafen, wie ein jeder am Schlusse des Tages zu tun pflegt, steigt ins Bett, vom matten Schein eines Nachtlichtes beleuchtet, greift nach einem Buche, nach Richardsons Clarisse, die der Abbé Prévost in seiner sogenannten Uebersetzung fast noch barbarischer behandelt hat als Lovelace, – fängt an zu lesen. ... Jetzt zeige ich mich. Sie schreit entsetzlich auf. Ich falle auf die Knie, flehe um Vergebung und Gnade, erhalte keines von beiden, beteure hoch und teuer die ReinheitCandeur. meiner Absichten, die Unmöglichkeit, daß meine Leidenschaft je über die Ehrerbietung, die ich ihr, noch über die Pflicht, die ich den Zartgefühlen meines Herzens schuldig bin, siegen werde, und versuche, sie über diesen nächtlichen Besuch zu beruhigen. Sie, mit aller Würde der Person, der Lage, des Augenblicks, mit dem vollen Ausdruck der Ueberlegenheit in ihren Zügen, befiehlt mir, mich unverzüglich zu entfernen. Ich beweise ihr die Unmöglichkeit, ihr zu willfahren, und bitte mir als einzige Gnade aus, bis zum Tagesanbruch bleiben zu dürfen, alsdann wolle ich sie verlassen, und so rein wie sie von dem unverdienten Verdacht, dem sie Raum gäbe, mich reinigen. Die Dame wollte nicht trauen, es entstanden lebhafte Debatten, ich ziehe mich endlich zurück, setze mich auf einen entfernten Stuhl, rücke aber näher, immer näher, nehme eine Stellung am Fuße des Bettes ein, und gegen drei Uhr befinde ich mich trotz aller Schwüre und Beteuerungen, ich weiß selbst nicht wie, im Besitze der Witwe des Herrn von R..., als wäre ich Herr von R... in eigener Person gewesen. Nachdem ich mich in die vollen Rechte des Besitztums gesetzt hatte, nahm ich meinen Rückzug durch das Fenster, und legte mich in der Meierei auf dem Heuboden schlafen. Die Wirtin hatte ihr feinstes Laken über die Stelle gebreitet. Es war mir aber nicht möglich, ihr für diese Aufmerksamkeit zu danken, sie war zu häßlich, um nicht züchtig zu sein, oder ich zu züchtig, um sie nicht häßlich zu finden. Ihr mochte jenes so unangenehm sein wie dieses, und das war für sie ein doppeltes Unglück, denn die Häßlichste sucht wie die Schönste zu gefallen.

Meine Nächte vergingen schlaflos. Den Tag über mußte ich ruhen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, und da meine Besuche immer gefährlicher für die Dame, immer ermüdender für mich wurden, beschlossen wir, nach Paris zurückzukehren. Ich ging voran, sie folgte bald nach. Unsre Landpartie hatte keine vierzehn Tage gedauert.

Aus allem, was man hier gelesen hat, sollte sich's schließen lassen: Frau von R... sei eine sehr gefälligeFacile. Frau gewesen. Nichts weniger: sie hat sich weder vor- noch nachher als eine solche bewiesen. Zeit und Umstände beherrschen die Welt, und besonders die Frauenwelt. Sie sind stärker als die stärksten weiblichen Seelen. Die besten Entschlüsse halten gegen den Augenblick nicht Stich, und zumal in der Liebe hängt alles von der Ueberraschung und dem Moment ab.

Als ich mit Frau von R ... in Paris wieder zusammentraf, fand ich sie nachdenkend, gezwungen, verlegen. Ich bat sie zärtlich, mir ihr Herz zu öffnen. Sie tat es, und gestand mir mit Beschämung, sie habe heilige Pflichten verletzt, sie gehöre sich selbst nicht mehr; sie sei mit Victor de Broglie verbunden, er sei der erste, der ihren Treuschwur erhalten, sie könne sich's nicht vergeben, ihn gebrochen zu haben; sie rechne zu sehr auf meine Ehre, als daß sie fürchten könne, ich werde ihr Vertrauen mißbrauchen oder nicht alles dazu beitragen, sie wieder mit sich auszusöhnen, und sie ihrer ersten Liebe zurückzugeben, an der sie noch hänge, und die sie durch keine zweite Untreue entweihen würde. Ich bat nur um eine einzige Gunst, um ihr Bild. Sie gab es mir mit unendlicher Anmut. Und nun blieb mir nichts weiter zu tun, um ihr Bedauern mit mir zu nehmen (wenn ein Abschied dieser Art Bedauern zuläßt), als mich wie eine honnête homme zu entfernen und sie dem unbedeutenden Rebellen zu überlassen, den ich schon anderwärts skizziert habe, und der wie so viele andere das Verbrechen seiner Empörung und den Fehler seiner Nichtigkeit mit dem Leben gebüßt hat

Diese Liaison eines Augenblicks hat für mich nicht viel Schmeichelhaftes, sie schwand mit der Schnelligkeit des Blitzes vorüber und ließ wie der Blitz keine Spur zurück. Ich kann den kurzen Erfolg, den sie gehabt, nur meiner Idee, Postpferde zu bestellen, und einem raschen und dreisten Manöver zuschreiben, das mir dazu verhalf, einen Platz zu überrumpeln, der mit allem reichlich versehen war, was dazu dienen konnte, eine lange Belagerung auszuhalten, und dessen Kapitulation keine weiteren Folgen hatte. Es war der Triumph der List, nicht der Tapferkeit, eine Ueberraschung, keine Eroberung. Zuletzt einem kaum mittelmäßigen Gecken aufgeopfert, konnte ich mich für nicht ebenso verführerisch halten, da ich es nicht genug war, um ihn auszustechen. Allein er gehörte zu der Klasse von Liebhabern, von welchen man sich nicht losmachen kann, und die immer ein Ende der Kette in der Hand behalten, womit sie ein Herz gefesselt haben. Unersättliche Tyrannen sind's, die wie Geier auf ihren Raub erpicht sind, ihn ganz verschlingen wollen, und in ihm die immer wieder nachwachsende Leber des Prometheus aufsuchen. Die Erbärmlichen! Sollte man nicht sagen, es gäbe nur eine Frau auf der ganzen Welt für sie, und sie hätten dieser Frau ihre Ohnmacht eingestanden, eine zweite zu finden und zu besitzen? Sollte man nicht glauben, sie hätten dieses Mittel erdacht, ihr Furcht einzujagen, und sie zu vermögen, einen Handel auf Lebelang mit ihrer Knauserei abzuschließen? Dergleichen Männer sind wie die Kletten; man wird sie nicht los, man kann sich ärgern, daß man sich mit ihnen eingelassen hat, allein man sieht keine Möglichkeit vor Augen, mit ihnen zu brechen.

Somit überließ ich Frau von R... ihrem Sklavenjoche.

Es gibt Zeiten im Leben, wo man glauben sollte, ein Dämon habe sein Augenmerk auf uns gerichtet, und finde Vergnügen daran, uns alle lose Streiche zu spielen, welche nur eine boshafte Laune ersinnen kann. Man wird bemerkt haben, daß ich schon seit geraumer Weile nicht mehr Fortunas Schoßkind war. Der Schluß dieses Kapitels wird zeigen, daß meine Stunde geschlagen hatte, und mein Glücksstern erblaßte. Doch muß ich zugleich bekennen, daß man gar zu sehr gewohnt ist, sein eignes Unrecht auf die Rechnung der blinden Göttin zu schreiben, und daß man nicht in ihr, sondern in der Etourderie und Unklugheit seines Betragens seine wahren Feinde suchen sollte.

Ich schenke mir nichts, wie man sieht, und bin der erste, mich preiszugeben und meine Fehler und Schwächen aufzudecken – alles zu Nutz und Frommen der lieben Jugend, die sich an meinem Beispiele spiegeln, und von mir lernen soll – nicht zu sein wie ich. Und somit fahre ich in meinem Unterricht fort, sollte meine Beichte mich auch bisweilen vor Scham erröten lassen.

Ich hatte mich vor den Siegeswagen einer gewissen Demoiselle B... gespannt, einer hübschen, pikanten Brünette, die sich besonders dadurch einen Ruf erworben hatte, daß es ihr gelungen war, in sehr kurzer Zeit den Grafen Des... zu rupfen und zugrunde zu richten, ohne selbst dadurch reicher geworden zu sein. Unrechtmäßig erworbene Schätze haben das Eigene, daß sie keine Früchte tragen, oder noch kürzer, unrecht Gut gedeihet nicht. Das Geld, das man auf leichtsinnigem, schlechtem Wege erwirbt, wird auf einem ebenso leichtsinnigen und schlechten Wege wieder zersplittert, weil dabei auf die Zukunft kein Bedacht genommen wird. Mademoiselle B... wohnte in der Schäferstunde.Rue bergère. Hier hatte ich sie einst besucht, und mein Kabriolett um neun Uhr vormittags in die Straße Montmartre bestellt, wartete aber vergebens bis zehn Uhr und bequemte mich endlich, zu Fuß nach Hause zu gehen, fest entschlossen, meine Leute hart anzufahren. Allein ich mußte wohl gelindere Saiten aufziehen, als ich bei meinem Eintreffen den Grund ihres Ausbleibens erfuhr. Ein gewisser Herr M..., der mir tausend Taler geliehen hatte, und am Tage, wo ich sie von ihm empfing, in meinen Augen ein überaus artigerFort honnete. Mann war, hatte die Unart, sie mir mit einer Beharrlichkeit wieder abzufordern, die ihn mir unausstehlich machte. Ich benahm mich bei der Sache, wie Don Juan mit Herrn Dimanche. Aber mein Mann hatte den Molière gelesen, er fand sich durch meine Weise beleidigt, hielt sie für Verspottung, griff zu einem Mittel, dessen sich unsre Urgroßväter bedienten und hatte, während ich meinen Liebesbesuch bei Mademoiselle B... ablegte, die unerhörte, strafbare Dreistigkeit (damals hielt ich sie dafür), in der ersten Frühe alles bei mir versiegeln zu lassen, so herzhaft und lobenswert auch der Widerstand war, den ihm meine Leute entgegensetzten. Zimmer, Stall, Remise, alles trug das verhaßte Siegel des Gläubigers. Es war ihnen nicht möglich gewesen, eines Hufs, eines Sporns habhaft zu werden. Ich, damals ein junger Mann, der auf nichts Rücksicht nahm und sich alles erlaubte, lief zum Grobian hin, sprach von nichts als von Totschlagen und Totschießen, von Hauen und Stechen – obschon es in Frankreich nicht so leicht war, jemanden aus der Welt zu schaffen, weil wir von jeher gute Gesetze hatten, so wenig dies auch manche zugeben wollten. Der Mann verbarg sich, seine hochschwangere Schwiegertochter, die ich in meinem Grimm überfiel, kam mit einer Art von Schrecken davon, die mich allein schon straffällig gemacht haben würde. Ich stürme wieder zum Hause hinaus, wie ich hineingestürmt war, werfe mich in einen Fiaker, eile zum Polizei-Leutnant, Herrn Le Noir, erzähle ihm umständlich den ganzen widerwärtigen Vorfall, stelle ihm das Verfahren des Herrn M... als das ungereimteste, strafwürdigste, beleidigendste für einen Mann wie ich bin, dar. Er hört geduldig und mit außerordentlicher Artigkeit meinen ganz erbärmlichen Vortrag an und läßt Herrn M... durch einen Unterbeamten zu sich entbieten. M... erscheint und wird veranlaßt, einen Schein auf tausend Taler nebst Zinsen, in Jahresfrist fällig, anzunehmen, für welchen sich Herr Le Noir noch obenein zu verbürgen die Güte hat. Es läßt sich denken, daß ich ihm, sobald wir allein waren, auf das verbindlichste dankte, und noch vor Ablauf des Jahres mir meinen unbarmherzigen Gläubiger vom Halse schaffte. Noch ein paar dergleichen Fälle von zuvorkommender Artigkeit, und der leichtsinnigste Mensch würde von der üblen Gewohnheit des Schuldenmachens geheilt sein.

Ein dienstbarer Geist, keiner von den Schutzgeistern, die uns zum Guten leiten, uns bisweilen aber auch quälen, um die matte Einförmigkeit des Lebens zu unterbrechen und der schneckenartigen Zeit Flügel zu leihen – sondern ein Dämon, ein Cacodämon, ein schwarzer Geist, mit einem Wort, der »Gottseibeiuns« selbst – hatte sich an meine Fersen geheftet, und verfolgte mich unablässig. Einst steigt er hinter mein Kabriolett auf, womit ich eines Abends an der grünen Seite der keuschen Demoiselle GuiraudEiner Operntänzerin. sitze, und Gott weiß wohin fahre, aber so schnell fahre, als hätte ich den Doktor Bouvard oder den Doktor Portal zu einem sterbenden Freund abgeholt. Ich begegne einem auf Rädern ruhenden rollenden Hause, von zwei aus dem Groben gehauenen Pferden gezogen, die ein ehrwürdiger Kutscher im kastanienbraunen Oberrock regiert. Ich will, wie natürlich, dem närrischen Noahskasten den Weg abrennen, aber der Kastanienmann, ein Schlingel, der sich auf seinem Thron ebenso viel dünkte wie ich auf dem meinigen, wollte nicht weichen. Ich versetzte dem Ritter von der traurigen Gestalt einen Hieb über die Nase und will ihn lehren, rechts zu lenken, er lenkt absichtlich links, und ich, um der Gefahr zu entgehen, mein leichtes Wägelchen von der schweren Masse erdrücken zu lassen, will mich durchdrängen, falle aber, weil der Raum zu beschränkt ist, oben vom Walle in die Rue-basse Saint Denis, an einer Stelle herab, wo eines Baues wegen die Schranken fehlten.

Ich stürzte, mittelmäßig gerechnet, aus einer Höhe von dreißig Fuß herab. Mein Kabriolett war in tausend Stücken, mein Pferd über und über nur eine Wunde, mein Jockey lag fünfzig Fuß weiter mit einem Loch im Kopfe, einer ausgefallenen Hüfte, zwei Verrenkungen, und dem Anschein nach einem zerbrochenen Rippenpaar; er schrie so erbärmlich, daß die Nachbarschaft und das ganze Stadtviertel herbeiliefen. Die Theaterprinzessin lag in Ohnmacht, nachdem sie vorher zweimal einen Schrei ausgestoßen hatte, der Herzen von Stein gespalten haben würde, einen Schrei, rührender, eindringender als in ihrem besten Ballet; sie blutete stark, und man wußte nicht, woher das Blut kam, endlich zeigte sich's, zum Glück – aus der Nase. Und nun ich selbst, zerschlagen, gequetscht, den Hut ins Gesicht gedrückt bis übers Kinn, wie Hippolyt in meine Zügel verwickelt, mit blutenden Händen, die Peitsche in Granatstücken, die Kleider zerrissen, mit Kot bespritzt, – so lag ich neben dem umgestürzten Kabriolett. Ich will mich aufrichten, versuche zu stehen, falle wieder um, strenge mich von neuem an, falle von neuem, richte mich endlich auf, will schäumend vor Grimm dem Bösewicht nach, schwöre ihm den Tod – er hat aber seine Elefanten und seinen Kasten in Bewegung gesetzt, ist verschwunden, und ich kann nicht erfahren, wem der Hühnerstall angehört.

Ich war erschöpft. Man trägt mich und die Dame zu Herrn Charland, dem Apotheker des Herzogs von Orleans, ins Haus. Dort erholen wir uns, lassen uns nach Hause bringen. Wir werden zur Ader gelassen, und kommen mit dem Leben davon. Aber Wut und Raserei kochen in allen meinen Adern. Zehn Tage brachte ich auf dem Sofa zu, ehe ich mich erholen konnte. Ich ziehe Erkundigung ein und erfahre, daß es Herr R..., Intendant von C..., oder vielmehr sein abscheulicher Kutscher ist (der Kutscher eines Robin,Spottname, womit man die adeligen und nichtadeligen Rechtsgelehrten in Frankreich zu belegen pflegt. Es wurde ehedem ein großer Unterschied gemacht zwischen den gens d'épée und den gens de robe. Der Degen galt für ehrenvoller als der Talar. Im Deutschen ließe sich nur Tintenkleckser dem Robin entgegensetzen, wie Bibelhusar dem Husaren. Uebers. eines Intendanten!), der mich beinahe zu Pulver zermalmt hätte.Pensé réduire en atômes Ich fliege mit geladenem Terzerol in der Tasche hin, gelange auf den Hof, in den Stall, finde den unverschämten Kerl von Kutscher, prügle ihn halb tot, ehe man ihm zu Hilfe kommen kann. Sein Herr erscheint nun mit einigen anderen; in meiner blinden Wut will ich mich auf ihn stürzen, er redet mich an, erkennt mich, nennt sich, stottert Entschuldigungen; ich bin so ungesittet, ihn zu beschimpfen, ihn auf den Degen, auf Pistolen zu fordern. ... Wer weiß, ob ich ihn nicht gar in meinem Grimm tätlich beleidigt habe? ... Er will sich rechtfertigen, spricht von seinem Stande, seiner Stelle, von der Magistratur, welcher wie der Geistlichkeit das Blutvergießen ein Greuel ist. Die Frau Intendantin kommt dazu; es gelingt ihr, mich zu beruhigen, mich hinein zu nötigen; sie ist in Tränen, alles ist in Tränen. Von den Folgen meiner Heftigkeit erschöpft, bin ich selbst einer Ohnmacht nahe, man bespritzt mich mit Wasser, und so erhole ich mich endlich. Schließlich war auch meine Aufwallung verschwunden, wir baten uns gegenseitig um Entschuldigung, drei Tage nachher ward ich zu Tische geladen, und an der Tafel besiegelten wir den Bund der Versöhnung. Nur der Herr Intendant blieb etwas zurückhaltend, steif und pedantisch. Die Frau Intendantin hingegen, nichts weniger als hübsch, war nichts weniger als stumm. Sie sprach von nichts als vom Hofe, den sie mit keinem Fuße betreten hatte, von ihrer Provinz, wo sie selbst Hof hält, von dem herrlichen Wein, der in ihrer Provinz wachse, aber nicht bei ihr getrunken wurde. Das alles zusammen bewog mich, die Bekanntschaft bald wieder abzubrechen.

Ich habe noch einen zweiten Auftritt dieser Art zu erzählen, der nicht ganz so tragisch anfing, und nicht ganz so gemein endigte. Er hängt wieder mit dem verwünschten Fuhrwerk, dem Kabriolett, zusammen – ein Fuhrwerk, das durchaus in Paris verboten und nur auf den Landstraßen zugelassen werden sollte.

Ich kam mit dem Grafen A. du Luc von Saint-Mandé zurück. In der Straße Saint-Antoine will ein Herr im roten, betreßten Rock quer vorüber, hat sich verrechnet, oder hat Lust, sich überfahren zu lassen, kurz, er und mein Pferd stoßen zusammen, er fällt, wie eine Feder, wie leichte Spreu wird er zur Seite geworfen. Ich halte wider den Willen des Grafen die Zügel an (ein Fehler, den ich seitdem nie wieder begangen habe), steige aus, will den Mann aufheben, ihn um Entschuldigung bitten, ihm Geld anbieten usw. Aber schon hat uns von allen Seiten ein wilder, wütender Pöbel umzingelt, der nie ungebundener ist, als wenn er sich selbst Recht schaffen will, der schon damals den Kabrioletts zu Leibe wollte, wie später den Schlössern und Landhäusern des Adels, und der überhaupt allem feind ist, was er gern hätte und nicht hat. Es wird geschrien, gedroht, es ist von nichts Geringerem die Rede, als das Kabriolett zu zertrümmern, dem Pferde die Kniekehlen durchzuschneiden usw. Wir waren in keiner angenehmen Lage. Zum Glück befand sich in dem Haufen, der einen dichten Kreis um uns schloß, ein Pferdehändler, den die bloße Neugierde herbeigeführt hatte. Er machte den Vorschlag, uns zum Viertels-Kommissar zu führen, damit dieser die Sache näher untersuche, und die Genugtuung für den Beteiligten bestimme. Das bloße Wort »Kommissar« hätte uns schon aufgebracht, als ein schneller und ausdrucksvoller Seitenblick des Mannes uns zu verstehen gab, wir möchten ihm trauen, und seiner Vorstellung Gehör geben. Wir willigen ein, er, mit dem vollen Ansehen, das ihm sein Gewerbe gibt, steigt in das Kabriolett, nimmt die Zügel, heißt uns vorangehen, folgt im Schritte, lenkt unbemerkt in eine Querstraße ein, ist verschwunden, noch ehe wir vor der Wohnung des Kommissars angekommen sind, und gelangt glücklich mit Pferd und Wagen in das Hotel des Grafen du Luc. Uns wollte es anfangs nicht so gut gehen. Der Herr Kommissar konnte uns eigner Geschäfte halber nicht sprechen, und verwies uns an seinen Stellvertreter, den Clerk. Das war ein grober Schuft, ein Einfaltspinsel, der, ohne sich zu erkundigen, wen er vor sich habe, mit lächerlicher Amtsmiene sich anschickte, ein Protokoll aufzunehmen, und sich dabei die unschicklichsten Ausdrücke gegen uns erlaubte. Doch stimmte er den Ton herab, als er sah, daß wir eine Tür nach der andern öffneten, ihn, den Grobian, der uns daran hindern wollte, auf einen Stuhl hinstießen, den er durch sein körperliches Gewicht eindrückte, und mit lauter Stimme nach Monsieur le Commissaire riefen. Monsieur le Commissaire zeigte sich in der ganzen Majestät seiner Amtswürde, in der vollen Größe eines Richters, in dem hohen Bewußtsein seiner höchsten Funktionen. Wir nannten uns. Von diesem Augenblick geruhte er ein ganz anderer Mensch zu werden.

Er traf unverzüglich Maßregeln, dem gehässigen Vorfall eine bessere Wendung und einen schnellen Abschluß zu geben. Als er aber nach dem Umgefahrenen fragte, war dieser nirgends zu finden. Es war ein rechtlicher, wohlhabender Mann, der sich von der Menge hatte verleiten und fortreißen lassen, der aber froh war, als er im ersten günstigen Augenblick sich unbemerkt wegschleichen konnte. War es ihm lieb gewesen, sich loszumachen, so war es uns beiden noch viel lieber, seiner los zu sein. Nun blieb noch der erbitterte Volkshaufe zu besänftigen übrig. Man mußte ihn behandeln, als wenn er beleidigt sei, und ein Recht hätte, auf Genugtuung zu dringen. Man hatte Mühe, der Menge begreiflich zu machen, daß wir uns durch eine Hintertür heimlich entfernt hätten, und man nicht wisse, was aus uns geworden sei. Es verging über eine Stunde, ehe sich der Pöbel zerstreut hatte; endlich verlief er sich, murrend, wie die Wellen, die sich am Ufer brechen. Der Kommissar war ein Lebemann, ein guter Gesellschafter, er hielt ein gutes Haus, und hatte einen anständigen Ton. Er stellte uns seine Gattin vor, eine wohlerzogene, gebildete Frau, deren Gesichtszüge noch immer verrieten, daß sie schön gewesen war. Die paar Stunden, welche wir – wie man gleich sehen wird – in ihrer Gesellschaft zubrachten, berechtigten uns nicht, Fehler und Mängel an ihr zu finden. Sie zeigte sich überaus liebenswürdig. Aber das Merk- und Sehenswürdigste in der Familie dieses Minos seines Stadtviertels war eine Nichte, seine einzige Erbin. Das eigene Geschäft, das ihn verhindert hatte, uns sogleich selbst zu vernehmen, bestand darin, daß er einen Kummer, der diese Nichte drückte, zu lindern und ihre Tränen zu trocknen hatte. Diese Tränen machten sie doppelt schön. Du Luc, immer exzentrisch und überspannt, immer die Artigkeit zu weit treibend, hatte kaum die Damen gesehen, als er schon über das Glück entzückt war, ihnen den Hof machen zu können, und den Wunsch äußerte, diese schöne Gelegenheit länger benutzen zu dürfen. Vergeblich zupfte ich ihn beim Rockschoß, daß er hätte reißen mögen. Umsonst, er blieb immerfort; und der Kommissar, dem unsre Gesellschaft nicht unwillkommen war, konnte nicht umhin, uns vorzuschlagen, »ihm die Ehre zu erzeigen, ein kleines Familien-Nachtessen bei ihm einzunehmen«. Mein Unglücksgefährte, welcher es auf sich genommen zu haben schien, den Abend hindurch die Hauptrolle zu spielen, ergoß sich in einen Strom von Komplimenten, welche auf ein einziges Wort hinausliefen, auf das Wörtlein: »Ja«. In Erwartung der Abendmahlzeit, bei der es an nichts fehlte, weder an Ueberfluß noch an Freundlichkeit (es war ein Seitenstück zur Hochzeit des Gamacho,S. Don Quixote. hielt es unser Wirt für gut, uns in seine Familiengeheimnisse einzuführen und mit dem herben Kummer seiner häuslichen Verhältnisse bekannt zu machen. Seine würdige Hausfrau stattete das Gemälde mit noch rührenderen Farben aus (jede Frau versteht sich aufs Malen). Sie hatten nämlich die junge Nichte mit einem Ingenieur-Offizier verbunden, welcher nicht nur nichts tat, was zu ihrem Glück beitragen konnte, sondern infolge seiner rohen, schändlichen Gemütsart, in der unwürdigsten Behandlung seiner Gattin so weit ging, daß er sich sogar schon tätlich an ihr vergriffen hatte. »Das alles« – sagte das junge, unglückliche, unschuldige Opfer – »wäre nichts, wenn er mich nur liebte!« Diese Naivetät, in Gegenwart von Fremden ausgesprochen, hatte in meinen Augen etwas Erhabenes, in Racines Geschmack, dessen Genius die Frauen sprechen läßt, wie Corneilles Genius die Männer. Der Umstand gab Veranlassung zu einer langen Erörterung über die Ehen, worin dergleichen Greuel vorkommen. Ich nahm Gelegenheit, meinen Abscheu gegen die Ehemänner auszudrücken, welche sich eine so barbarische Behandlungsart erlauben, indem ich sie Ungeheuer und Verworfene nannte; ein belohnender Blick und der laute Beifall der Wirtin ward mir dafür. Allein ich war nahe daran, beides durch einen Zusatz zu verscherzen, der mir entfuhr. Ich sagte nämlich: »So abscheulich und wider alle gute Sitte es sei, seine Frau zu schlagen, so sei es doch erlaubt und ein ganz verschiedener Fall mit seiner – Geliebten.Sa maîtresse. Die Frau Kommissarin wollte diesen Satz durchaus nicht gelten lassen, obschon sie meinte, dergleichen Geschöpfe, welche die Pflichten ihres Geschlechts so ganz aus den Augen setzten, daß sie sich Galane anschafften, verdienten nicht, daß man viel Umstände mit ihnen mache. – Aber, bedenken Sie doch, meine Damen, sagte ich mit einer Art von Enthusiasmus, daß der Weiseste von allen Sterblichen, der göttliche Sokrates, einst ohne Umstände eine Hetäre schlug, er, der dieses wirksame Heil- und Besserungsmittel nicht bei der Pest seines Lebens, bei der Hausfurie, die sein Dasein verbitterte, bei seiner Xantippe anzuwenden für gut fand, obgleich sie offenbar darauf ausging, seiner Weisheit Schlingen zu legen, damit er fiele und ihr den Triumph gewähre, in der Ungeduld Hand an sie zu legen. Was würde sie nicht gegeben haben, für einen Schlag, für eine Ohrfeige! Welcher Ruhm, welche Ehre für sie, wenn er sie nur berührt hätte, er, der weise, der duldsame, der leidenschaftlose Sokrates! Sie konnte es aber nicht dahin bringen; der große Mann wußte sich zu gut zu beherrschen, um sich seiner jemals zu entäußern und sie nicht stets im Nachteile zu lassen. »Ich habe sie zum Weibe genommen,« sprach er zu Xenophon, »damit sie der Prüfstein meiner Geduld sei, damit ich sie ertrage, und durch diese Uebung lerne, auch andere zu ertragen.« – Aber, Madame, setzte ich hinzu, um so zu reden und zu handeln, müßte man ein Sokrates sein; und wenn man es sich auch gefallen läßt, von Zeit zu Zeit, seiner Gesundheit wegen, in seinem Hause einen bitteren Trank zu verschlucken, so folgt daraus nicht, daß man, wenn man außerhalb speist, nichts als Wermutwein trinken müsse. Die Damen wollten sich zu Tode lachen, daß ich den Ehestand mit einer bitteren Arznei verglich. Aber es wurde mir ein Leichtes, sie zu überführen, daß die Ehe nichts Besseres sei als dies, sobald sie nicht das Süßeste und Lieblichste auf dem Erdboden ist.

Endlich nahm die Mutter das Wort: »Herr Graf,« sagte sie, »ich habe über diesen Stand meine eigenen Gedanken, welche Sie immerhin Gotisch nennen mögen. Ich meine, und werde beständig meinen, daß ein Mann, sei er Liebhaber oder Gatte, der seine Frau schlägt, und eine Frau, verheiratet oder nicht, welche sich schlagen läßt, ein paar Naturphänomene sind. Was mich betrifft, so erkläre ich hiermit feierlich, hätte ich mich in meinen jüngeren Jahren von der Liebe anfechten lassen, und ein Unverschämter – sei's ein angebeteter Liebhaber oder ein angebeteter Gatte – hätte sich erfrecht, Hand an mich zu legen, ich würde ihn – nicht wieder geschlagen haben, denn das halte ich für unedel – aber ich hätte Menschen und Gesetze zu Hilfe gerufen, mich vor Gericht gestellt und unglücklich gemacht, um meinen Zweck zu erreichen, um ein Sklavenband zu zerreißen und angesichts beider Geschlechter ein Ungeheuer zu brandmarken.«

Die naive Wut der neuen Amazone ergötzte uns höchlichst.

»Sie werden gütigst bemerken,« erwiderte ich, um ihrem Ingrimm neuen Zunder zu geben, »daß das Privilegium der Liebhaber, ihre Schönen schlagen zu dürfen, ihnen sogar und vor allen anderen Königinnen, Kaiserinnen, die größten Fürstinnen unterwirft – wohlverstanden, wenn diese es verdienen; denn hier würde die geringste Ungerechtigkeit das größte Verbrechen sein.« – »Wie, mein Herr, Königin? Wäre ich eine Königin, und beginge auf dem Throne die Torheit, einen – Günstling zu haben, und er triebe den ungeheuern Frevel so weit, sich an mir zu vergreifen, mich ... (ich kann das Wort nicht aussprechen), ich ließe ihn auf der Stelle hängen.« – 112

»Nicht doch, Madame, nicht doch; im Gegenteil; sein Uebermut würde Ihnen pikant vorkommen; Sie würden ihn um so mehr liebgewinnen. Sie würden es wie eine der größten Frauen unserer Zeit machen und mit Entzücken zu Ihrer Vertrauten sagen: ›Wünschen Sie mir Glück, meine Freundin; seit gestern weiß ich, daß er mich liebt; er hat mich geschlagen!‹ Ja, ja, Madame, Sie würden ebenso denken und sprechen. Ein solches Hinwegsetzen über alle Konvenienz würde Ihnen als das erscheinen, was es ist: Nämlich als der letzte Beweis der wahnsinnigen Liebe, der äußerste Ausdruck der exaltierten Leidenschaft. Sie würden es dem Manne, den Sie bis zu sich erhoben hätten, Dank wissen, daß er Sie liebe ohne Sie zu fürchten; Sie und Ihr ganzes Geschlecht würden ihm diesen Grad von Selbstvergessen zum höchsten Verdienst anrechnen und in seinem unwürdigen Benehmen nur die schmeichelhafte Seite hervorsuchen. Und dann ist ja noch zwischen Schlagen und Schlagen ein großer Unterschied; der Mann von Lebensart schlägt anders als der Lastträger; er will es nicht, es entfährt ihm; er tut es mit einer besonderen Art. Ueberdies darf auch so etwas nur äußerst selten geschehen. Alles, was oft wiederholt wird, verliert seinen Wert, den Wert der Neuheit.« ...

Während ich sprach, ergötzte ich mich an dem Befremden der Dame und der Gesellschaft. Nur Du Luc vermaß sich hoch und teuer; ich sei ein Ungeheuer und Manns genug zu tun, was ich verföchte. Ich fuhr fort: »Mit Ihrer Erlaubnis will ich Ihnen meine Grundsätze über diesen in der Tat zarten Punkt auseinandersetzen. Seine Frau schlagen, ist eine rohe, viehischeStupide Abscheulichkeit. Sie ist die Mutter unserer Kinder; sie trägt unsern Namen; wir schänden uns selbst in ihr. Sie ist durch einen vielleicht zu leichtsinnigen Eid auf immer mit uns verbunden; sie ist mit uns in ein Verhältnis getreten, welches, wie alles auf Erden, seine Mängel hat; aber es besteht einmal, und wenn sie den Druck fühlt, ist sie zu bedauern, aber nicht zu mißhandeln. – Die Schöne hingegen, welche, im vollen Besitz ihrer Vernunft, ihrer Freiheit, keine Fessel kennt als ihren Geschmack, kein Band als ihre Liebe, keinen Zwang als ihren Willen, keine Notwendigkeit zu betrügen als ihren Hang zum Betrug, keinen Vorwand den Geliebten zu quälen als Lust an Unlust; – die Schöne, die ich aus überlegter, lange geprüfter Wahl liebe; die ich um so weniger zu verlassen vermag, da ich Herr bin, sie jeden Augenblick zu verlassen; die alle Mittel der leidenschaftlichen Liebe an mich verschwendet und mich mit allen Schlingen der Liebe festhält; die sich mir unentbehrlich gemacht hat und zu meinem Dasein notwendig ist; die durch freiwillige Eidschwüre, die sie selbst nicht glaubt halten zu dürfen, mir gegenseitige Schwüre abgelockt hat, denen ich glaube treu bleiben zu müssen: – Die Schöne endlich, mit der zu leben zwar oft eine Qual für mich ist, von welcher mich zu trennen aber mein höchstes Unglück sein würde, – warum sollte es nicht erlaubt sein, nachdem ich alle mögliche Mittel der eindringlichsten Ueberredungsgabe, der zärtlichsten Zärtlichkeit an ihr erschöpft hätte, – mit Schonung und mit allmählicher Steigerung, ... einige lebhafte ... gewaltsame Verfahrungsarten ... welche dem, was wir ... im gemeinen Leben ... Schläge zu nennen pflegen ... ähnlich sind, zu versuchen, um eine große Bewegung, eine Art von Umstimmung und Umwälzung hervorzubringen, die zur Ordnung zurückführt; mit einem Worte, um einen starken Eindruck auf sie zu machen, der, selbst im schlimmsten Falle, tiefe Spuren zurückläßt und allem Anschein nach Blumen und Früchte auf dem Pfade der Liebe hervorlocken wird, den Dornen und Disteln zu überdecken drohten? – Schon weint sie – ein gutes Zeichen! Sie ist gerührt; sie wird sich bessern. Ihr Liebhaber liegt zu ihren Füßen (doch nur einige Stunden nach dem Auftritt, damit die Lehre Zeit haben möge, zu wirken und zu fruchten); am Ende weint er mit, bedauert, bereut, sich so weit vergessen, sich gezwungen gesehen zu haben, den Altar zu entweihen, auf welchem sein Weihrauch brennt. Welch ein glücklicher, erfolgreicher Uebergang! Welch ein fruchtbarer Kontrast! Was für heilsame Wirkungen wird und muß dieses Gemisch von Rührung und Strenge, von Kraft und Schwäche in einem Manne hervorbringen, welcher liebt und nicht im Unrecht ist! Wie süß ist dann die Aussöhnung! Wie hell scheint die Sonne nach diesem Sturm! Welchen zärtlichen Stolz wird die Schöne in ihre Verzeihung legen, wenn sich ihr Sieger vor ihr demütigt? Welcher Zauber wird in jedem Worte liegen, das man spricht, wird in der Verwirrung der Ideen herrschen, die sich kreuzen! Oh, du glücklicher Sterblicher, wie wirst da dann erst geliebt werden, wenn du nur liebenswürdig bist!!«

Ich fuhr fort, da alles still blieb und zuhörte: »Wenn Sie kaltblütig vor einem Ehrenmanne die Frage aufwerfen, ob es erlaubt sei, sich an einer von Ihnen zu vergreifen, von Ihnen, die unter unserem unmittelbaren Schutze stehen, von Ihnen, deren Schwäche Ihre beste Verteidigung ist – so wird jeder Ehrenmann sich bei der bloßen Frage empört fühlen, ... unwillkürlich, wie vor einem Bubenstück zurückschaudern; er wird Feuer und Flamme gegen den Elenden sprudeln, der unser Geschlecht schändet, wenn er das Ihrige verletzt. Wie könnte auch der Ehrenmann anders fühlen und urteilen? Er muß dem Gesetz der allgemeinen Theorie Folge leisten. – Wie aber, wenn er sich selbst in dem Fall befindet? Wenn ihn der Augenblick überrascht? Wenn nicht von einer kaltblütigen Erörterung, von einem kühlen, gelassenen Urteilsspruch die Rede ist? Wenn er sich mitten in eine Lage versetzt sieht, wo Eifersucht, Argwohn und die ganze Hölle der verwundeten Liebe in ihm rast? Wie dann? Ist er nicht in solchen Augenblicken ein ganz anderer? Nicht himmelweit aus sich selbst entrückt? – Und überdies, wie ich schon die Ehre gehabt habe, Ihnen zu sagen, darf ein solches Mittel nur selten angewendet werden; man muß damit kargen, nur in dem kritischsten Zeitpunkt Gebrauch davon machen; man muß überzeugt sein, daß man wenigstens zweimal Recht gegen diejenige hat, welche schon lange Unrecht gehabt hat. Ferner muß man sich auch dabei mit Anstand zu benehmen wissen; mehr strafend als beleidigend zu Werke gehn; mit noch größerem Anstand seine Abbitte tun; man muß weinen können und im Besitz aller Eigenschaften sein, welche erforderlich und hinreichend sind, uns Verzeihung auszuwirken. –

Die Nichte nahm Himmel und Erde zu Zeugen, daß sie nie etwas so Vernünftiges gehört habe, wie meinen Vortrag.Ma dissertation. Der Kommissar schlürfte ein Glas Champagner nach dem andern, und sah dabei aus, wie einer, dem dergleichen Geschwätz längst fremd und gleichgültig ist. Du Luc, der immer die Hälfte seines Glases unter den Tisch schüttete, tat ihm mit schelmischer Geschäftigkeit Bescheid, und die Frau Kommissarin, seine tugendbegabte Gattin, welcher die Stürme der jugendlichen Liebe stets fremd geblieben waren, beharrte auf ihrem Sinn, auf ihrer Meinung, gleich der alten, kalten, fühllosen Asche, die weder Feuer verbirgt noch Feuer in sich aufnimmt.

Es war ein Uhr nach Mitternacht, als wir aufbrachen und von der guten, ehrlichen Familie Abschied nahmen. Der Kommissar würde uns gar zu gern das Geleite bis an die Türe gegeben haben; aber er hatte sich so stark begossen, daß es ihm nicht möglich war, sich aus seinem Sessel herauszubringen. Die Damen waren über meine Grundsätze nachdenkend geworden, obschon ich ihnen ein paarmal versichert hatte, es sei alles nur Scherz, und Du Luc sie durch wirkliche und zum Teil witzige Scherze unterhalten hatte. Sie sagten uns Adieu, wie man von alten Freunden scheidet, die man ungern weggehen sieht, und würden uns bis an den Wagen begleitet haben, wenn wir ihnen nicht mit einer Entführung bange gemacht hätten. Wie hätten sie es über das Herz bringen können, den Herrn Kommissar in dem bedenklichen Zustand, in den ihn seine Gastfreundlichkeit versetzt hatte, allein zu lassen und den Bedienten anzuvertrauen? Wir versprachen wiederzukommen und uns öfter zu sehen; doch da es in dieser Welt nicht geschehen ist, so geschieht es vielleicht in jener.

Der feindselige Geist, der seit einiger Zeit meine Angelegenheiten in VerwirrungMis le feu dans mes affaires. gebracht hatte, schlief nicht. Man beliebe nur weiter zu lesen.

Ich hatte die Foyers der Theater lange nicht besucht, als es mir einfiel, im sogenannten Théâtre Italien die allerliebste Rosalie wieder aufzusuchen, mit welcher ich meine Leser schon bekannt gemacht habe. Ich saß ruhig bei ihr; wir unterhielten uns von gleichgültigen Dingen; plötzlich tritt Mademoiseile Colombe, Adelinens Schwester, ein, und kommt gerade auf uns zu. Sie hatte, ich weiß nicht aus welchem Grunde, Partei für ihre Schwester genommen und bildete sich ein, Adeline sei der Gegenstand unseres Gespräches. Kurz, sie geriet in Eifer, erlaubte sich Sticheleien, ging zu Schmähungen über, drohte, machte zuletzt eine Bewegung mit dem Fächer. Gereizt, wie ich war, springe ich auf, nehme sie beim Arm, führe sie aus der Türe des Foyer bis an die Bühnentreppe und verlasse sie mit den Worten: »Ich weiß, daß ich unrecht tue, auf Sie zu achten und mich mit Ihnen abzugeben. Vielleicht findet sich jemand, der toll genug ist, sich für Sie einzulegen: Deswegen beliebt es mir, Ihnen im voraus zu sagen, daß ich mir aus diesem Ritter ebensowenig mache, als aus Ihnen.« Der, auf welchen sich diese Erklärung beziehen konnte, war Herr von Lubersac, ein Neffe des Bischofs von Chartres. Wir waren zusammen erzogen worden und seit unserer Jugend vertraute Freunde geblieben. Erst seit ungefähr drei Monaten hatte ich ihn etwas verändert gefunden und alle Ursache zu vermuten, daß Mademoiselle Colombe ihn allmählich in ihr Netz gezogen hatte. Und so war's. Sie läuft in der heftigsten Bewegung hin und her, bis sie ihn gefunden hat; nun verlangt sie im größten Pathos von ihm, daß er sie räche. Es ward ihr nicht schwer, ihn, den Feuerkopf, in Flammen zu setzen, und einen Jüngling, der sich selbst liebt, der sie liebt, der vielleicht auch einen Ehrenhandel liebt und sucht, aufs Aeußerste zu bringen. Lubersac erwartet mich am Ausgang. Ein paar gemeinschaftliche Freunde, Dampierre, den ich schon öfters erwähnt habe, eben der Dampierre, der in der Revolution leider! zu berühmt geworden ist, und noch ein anderer Gardeoffizier, der sich in der entgegengesetzten Partei ausgezeichnet hat, begleiten ihn. Er tritt mir entgegen, redet mich im hochfahrenden Tone an, ereifert sich immer mehr, behauptet, ich hätte einer Person mit Achtung begegnen sollen, von der ich wisse, daß er sie mit seinem Wohlwollen beehre; droht mir, es solle mich reuen; ist um so mehr aufgebracht, da wir seit unserer Jugend die besten Freunde gewesen und er von mir dergleichen nicht erwartet habe usw. In seinen Beschwerden, in seinen Vorwürfen lag viel Wahres, viel Vernünftiges; aber er sprach sie so sehr ohne Rückhalt, ohne die nötige Einkleidung aus, daß ich für gut fand, lakonisch zu antworten: »Da er solch einen Ton annehme, tue es mir leid, nicht noch weiter gegangen zu sein.« Schließlich gaben wir uns ein Rendezvous auf dem Platze Ludwigs XV., zum folgenden Morgen sieben Uhr. Wir fanden uns pünktlich ein, aber der Graf von Lubersac, ein älterer Bruder des Beleidigten, war mit ihm gekommen und trat auf mich zu. Er war im Regiment der Gardesfrançaises und ein junger Mann von vortrefflichem Ton und Ruf. Ich liebte ihn sehr und hatte ihn von jeher seinem jüngeren Bruder, obschon ich mit diesem länger bekannt war, vorgezogen. Er versicherte mir, wie unendlich leid der Vorgang ihm tue; wie sehr er es bedaure, daß sein Bruder und ich uns schlagen müßten; da es aber einmal soweit gekommen sei, so würde ich es nicht übel deuten, wenn der Anteil, den er an diesem – und auch an mir – nehme, ihn bewege, Zeuge des Zweikampfes zu sein. Der Marquis de l'Aigle, mein Sekundant, fiel ihm ins Wort und machte auf die Unschicklichkeit aufmerksam, einem Bruder zu sekundieren. Aber ich umarmte den Grafen und ersuchte ihn, zu bleiben. Lubersac und ich zogen hinter dem Hotel Beaujon vom Leder und drangen wütend aufeinander ein; nach einigen Gängen versetzte ich ihm einen Stoß oben in die Brust; er ging nicht tief, war aber so kräftig geführt, daß Lubersac nach rückwärts hinfiel. Mit verdoppelter Wut springt er auf und verwundet mich bedeutend in der rechten Weiche. Jetzt mußte wohl eingehalten werden; ich konnte mich kaum auf den Füßen halten. Es erfolgte eine Aussöhnung; nur wollte Lubersac durchaus nicht zugeben, daß unser Streit eine unstatthafte Veranlassung gehabt habe. Mir war es ärgerlich, aus einem so nichtigen Grunde eine Ehrensache gemacht und uns dem Publikum zur Schau gestellt zu haben. Was konnte uns für Achtung erwarten, wenn man erfuhr: die Herren von Tilly und von Lubersac haben sich um Mademoiselle Colombe geschlagen? Daher, um so viel als möglich den Leuten Sand in die Augen zu streuen, tat ich mir Gewalt an und ging, zu meinem größten Schaden, noch denselben Abend ins Schauspiel. Dafür mußte ich aber schon am folgenden Tage schwer büßen, und nicht nur diesen, sondern mehrere Tage, auf meinem Ruhebett, zwischen Schmerz und Langeweile, zubringen. Zwar suchten mir die geborenen Freundinnen aller Zweikämpfe – die Frauen, einen Teil des zweiten Uebels zu erleichtern; sie leisteten mir Gesellschaft, mir, der das Unglück hatte, verwundet zu sein, und das Glück, ihre Teilnahme zu erregen. Einige gingen noch weiter und machten mir Hoffnung auf bessere Zeiten, auf ein tätigeres Interesse während und nach meiner Genesung. So fand ich in meinem Kabinett Trost gegen die Klatschereien der Gesellschaftssäle.

Eines Morgens kam zu meiner großen Verwunderung Herr Retif de la Bretonne zu mir, ein Mann, den ich zu kennen mich nicht sogleich entsann, und mit dem ich nie in einiger Berührung gestanden hatte. Er brachte mir in Erinnerung, daß ich ihn bei der Gräfin von Beauharnais gesehen hätte, welche in ihrem Hotel das, was man sehr uneigentlich und unschicklich ein Bureau d'esprit nennt, hielt. Sie sah gute Gesellschaft bei sich, bestehend teils aus Männern von Stande,Hommes du monde. teils aus Gelehrten von sehr verschiedenem Gehalte. Ich hatte diese Versammlungen ein paarmal besucht; allein, ein so großer Freund ich auch von Geist und Verstand bin, so sehr ist mir das Auskramen desselbenLes apprêts. zuwider; ich blieb weg. Herr Rétif sagte mir nach den gewöhnlichen Eingängen: »Er habe sehr viel von mir gehört; er sei gekommen, mich um einige erotische Anekdoten aus meinem Leben, mit einem Worte, um einige auffallende AbenteuerAventures marquantes. zu bitten, welche in einem weitläufigen Werke, womit er sich trüge, einen der ersten Plätze einnehmen sollten. Er wollte dieses Werk für die Nachwelt, nicht für die ContemporainsRétif de la Bretonne hat eine ganze Bibliothek zusammengeschrieben und ist unter anderem Verfasser einer bändereichen Sammlung von Anekdoten unter dem Titel: Les Contemporaines. Auf dieses Werk wird hier von ihm angespielt. Er gedachte ein besseres pour la Postérité zu schreiben. Seine besten Romane sind: le Paysan perverti und la Paysanne pervertie. Chamfort pflegte von ihm zu sagen: »Er schreibe auf Löschpapier, an den Straßenecken, auf einem Prellsteine.« Uebers. schreiben, deren er überdrüssig sei. Man mußte über einen solchen Besuch und dessen Absicht lachen; noch lächerlicher wäre es gewesen, darüber böse zu werden. Ich versicherte ihm, mein Leben sei arm und unfruchtbar an Anekdoten der Art, wie er sie gern hätte. Ich dankte für seine Aufmerksamkeit. Ich bat ihn, versichert zu sein, daß es mir unendlich leid tue, auf diesem Wege nicht zur Nachwelt gelangen zu können; es fehle mir nicht an Lust, nur an Stoff; sein Geschmack sei auch der meinige; er möge mir seine Feder, seinen Pinsel und seinen guten Willen für bessere Zeiten aufbewahren, und da er einmal von mir die Hoffnung hege, ich könne an seinem Plan tätig mitwirken und ihn in der Zukunft mit Anekdoten versorgen, die seiner originellen Farben und DarstellungenTouche originale nicht ganz unwürdig wären, so wollte ich ihm diese für mich so schmeichelhafte Hoffnung nicht ganz benehmen. – Meine Höflichkeit und meine Komplimente entzückten ihn; noch mehr aber war er von seinen Schriften eingenommen und bezaubert. Er trug kein Bedenken, mir seinen Paysan perverti als ein Buch erster Klasse zu nennen und zu empfehlen; es sei ein Werk ... wie kein anderes; es werde so lange bestehen, als die Sprache, die er gelehrt habe, alles auszudrücken, und als die Natur, die er überall nach dem Leben geschildert, und bei ihrer geheimsten Toilette beschlichen habe.Qu'il avait prise au pied levé. Er wünschte sich Glück, daß ihn sein fades, beengtes Jahrhundert durchaus verkenne; die Verleumdungen der Journalisten und Akademiker, sagte er, deren Maß nicht an sein Knie reiche, wären für ihn die ersten Titel und Rechte auf die Unsterblichkeit.

Meine einzige, oft wiederholte Antwort auf dies alles war: »Sehr wohl!« Ich machte ihm eine höfliche Verbeugung, und er ging.

Bei alledem ist Rétif de la Bretonne ein Mann, den man nicht mit drei Worten abschätzen kann. Man würde sich kompromittieren, wollte man ihn hoch anschlagen; aber man würde ungerecht sein, wollte man ihn zu tief herabsetzen. Einige seiner Schriften deuten auf einen Fieberkranken im Wahnwitz; in diesen ist er unverständlich für seine Leser und für sich selbst. In anderen zeigt er sich originell und pikant; doch immer so, daß es seinem Geiste, seinem Witz, seiner Originalität an Geschmack gebricht und sie sich mehr dem Genius nähert. Wer zufällig eines seiner Werke gelesen hat, wird Mühe haben, sich zum Durchlesen aller zu entschließen; aber das einmal Angefangene wird er gewiß bis zu Ende lesen. Er wird Seiten und Stellen finden, welche (im guten Sinne des Wortes) so außerordentlich, so merkwürdig, so beachtenswert sind, daß sie, in der nicht selten getäuschten Hoffnung, zum Weiterlesen einladen. Er behandelt fast immer unedle Gegenstände; behandelte er sie vorzüglich und musterhaft, so hätte man ihm eine neue Gattung zu verdanken, und er würde im Erfolg seine Rechtfertigung finden. Aber der Hauptvorwurf, von dem man ihn nicht freisprechen darf, ist, daß er fast immer niedrig, unanständig, schmutzig schreibt, und Gefallen an Bildern und Schilderungen findet, welche ebensosehr die Zartheit und das Schamgefühl beleidigen, als sie gegen die Wahrscheinlichkeit und die Vernunft verstoßen. Man kann ihm eine fruchtbare und vielseitige Erfindungsgabe nicht absprechen; gleichwohl würde ich mich schämen, seiner Einbildungskraft das Wort zu reden, weil nichts leichter ist, als diese Eigenschaft auszubilden und sie in den Vordergrund zu stellen, sobald man ihr die Zügel schießen läßt und ihr ein grenzenloses Feld aufschließt. Sollten aber auch immerhin überzarte schöne Geister dazu lächeln, so mögen sie hier mein Geständnis finden, daß ich den Mut gehabt habe, fast alles, was er geschrieben, zu lesen, und den ganzen Wust und Schlamm zu durchwaten, der sie anekelt. Ja, ich gestehe gern, daß ich abwechselnd über ihn die Achseln gezuckt habe, und abwechselnd von ihm zum Lachen, zum Mitleid, zum Schauder und zu Tränen gebracht worden bin.

Sein Paysan perverti ist das Werk eines kräftigen Geistes, eines männlichen, rüstigen, aber regellosen Genius. Es waltet in diesem Roman eine ungeheure, aber reiche Phantasie, mit allen ihren Auswüchsen. Nur wenige Hände würden es gewagt haben, seine Zeichnungen zu entwerfen. Er umschließt mit Rahmen ohne Geschmack und Zartsinn Bilder, deren kühnen, energischen Pinselstrich man wider Willen bewundern muß. Mit einem Worte, er ist der Teniers des Romans, und sein Buch die Liaisons dangereuses der niederen Volksklassen.

Ich habe drei mit Herrn de la Harpe in dem Tale von Montmorency sehr angenehm zugebrachte Tage nicht vergessen. Mein Hauptaugenmerk war, wenn wir 123

auf unseren Spaziergängen umherschweiften, sein Urteil über mehrere lebende Schriftsteller einzusammeln. Ich erinnere mich unter anderem auch, seine Meinung über Rétif de la Bretonne gemildert zu haben, nicht sowohl durch das Raisonnement, als durch angeführte Stellen. Anfangs schien er sich nicht einmal auf die Beurteilung des Mannes ein- und herablassen zu wollen; aber nachdem ich ihm mehrere Seiten aus dem Paysan perverti aus dem Gedächtnis vorgelegt hatte, bewog ich ihn zum Bekenntnis: Er habe nicht geglaubt, so viel Gold in so vielem Miste zu finden. Nicht so gut gelang es mir mit Roucher, als ich ihm seinen WiderwillenAntipathie gegen diesen benehmen wollte. Vergebens hob ich sechzig bis achtzig der besten Verse seines Gedichtes les Mois aus. Er wußte sie ebensogut auswendig wie ich; aber mit dem reinen und feinen Geschmack, der ihm so eigen war, und der beinahe ganz mit ihm in Frankreich verloren gegangen ist,Nur wenige haben ihn von ihm geerbt; unter anderen sein Freund, sein Schüler und sein Rival, Herr von Fontanes. Verf. verwarf er die meisten meiner Schützlinge; mit dem kritischen Adlerblick, der ihm eigen war, streifte er ihnen den blendenden Schmuck ab und zeigte sie in ihrer ganzen Blöße.In de la Harpes Lycée ou Cours de litérature, Teil XII, findet man ein weitläufiges kritisches Urteil über Roucher und die neuere französische Poesie. Wir bedauern, das Lesenswerte und auch in Deutschland zu Beherzigende dieses Abschnitts nicht hersetzen zu können und verweisen angelegentlich darauf. C'est tout comme chez nous. Uebers. Von Roucher kam de la Harpe auf Rivarol, welcher zu der Zeit wenig Neues geliefert hatte. Er hatte sich durch seine ältere Fabel: Le Chou et le Navet berühmter gemacht, als durch spätere Arbeiten, wie z.B. durch die Uebersetzung des Gesanges 124 von Dante, der die Hölle beschreibt, durch seine Epistel an den König von Preußen, und selbst durch seinen Discours sur l'universalité de la langue française, da in dieser Schrift, bei einem großen Aufwand von Luxus in der Schreibart, bei äußerstem Scharfsinn und vieler Gewandtheit, doch der Gleichnisse und Metaphern zu viel sind, und die Bilder, mehr glänzend als gründlich, die Manier des Verfassers gar zu sichtbar an der Stirne tragen. Dessen ungeachtet ist dieser Discours ein Werk, worin viel Durchdachtes liegt, und welches mit großer Genauigkeit im Ausdruck und Eleganz im Stile bearbeitet und ausgestattet ist. Kurz, es erweckte zur Zeit als es erschien, ein sehr günstiges Vorurteil für die ausgezeichneten Talente des Verfassers und berechtigte zu großen Hoffnungen. Herr de la Harpe wollte sie nicht teilen; er war streng, aber aufrichtig und ohne Härte. »Rivarol,« sagte er, »hat den Kopf, der zu einem ausgezeichneten Literaten und Schriftsteller gehört; allein es fehlt ihm an dem erforderlichen Geist und Charakter; er ist, was man einen französischen Improvisator nennen möchte.« Rivarol hat in der Tat bewiesen, daß unser französischer Quintilian nicht ganz unrecht hatte.

Dagegen erklärte sich de la Harpe entschieden für Beaumarchais. Ich war mit diesem in eine nicht eben ehrenvolle Fehde geraten. Eine Dame von unserer beiderseitigen Bekanntschaft hatte ihm weisgemacht, ich sei der Verfasser eines Liedchens auf ihn, das sich Champcenetz zuschrieb und eigentlich von Bouville gedichtet war. Hierauf machte Beaumarchais ein beleidigendes und überdies sehr schlechtes Spottgedicht auf mich und rückte es ein – oder vielmehr begrub es lebendig – in ein von einem gewissen A...herausgegebenes Flugblatt. Schon hatte ich mit einem Dutzend Versen, worin mehr Galle als Witz und Geschmack herrschten, geantwortet, und wollte sie ebenfalls (mehr noch zu meiner als zu seiner Schande) drucken lassen. Ich zeigte sie Herrn de la Harpe. Er riet mir davon ab. »Folgen Sie mir, verbrennen Sie das Blatt: Suchen Sie mit Beaumarchais sich zu verbinden; er ist ein Mann von großem Verstande; nur mit Dummköpfen muß man anbinden.« – »Das soll doch nicht für ein Gebot gelten?« erwiderte ich. »Ich müßte ja sonst mit der halben Welt in die Schranken treten.«

Niemand ist wohl in ganz Frankreich so ungerecht behandelt worden, als de la Harpe; ihm, der den literarischen Ruf aller so genau und treu abgewogen, ihm hat man jedes Lot Ruf streitig gemacht. Seine kritischen, seine literarischen Urteile werden von der Nachwelt beinahe zu Gesetzen erhoben; bei seinen Lebzeiten wollte man zweifeln, ob sie ihn überleben würden. Er hat ein wenig klassisches Werk geschrieben; ein Werk, das den Vorwurf von uns abwälzt, als könnten wir in den Tagen der Unruhen und inneren Kriege und in den kurz darauf folgenden der Aufklärung nichts mehr der alten Zeiten Würdiges hervorbringen: – Und dieses unbestreitbare Verdienst ist ihm lange streitig gemacht worden. Doch das ist das Los der lebenden Schriftsteller; das die Art, wie man sie beurteilt; das das Maß, mit welchem man Ruhm, d.i. Wind und Dunst, austeilt! De la Harpe hat mitten unter den Stürmen, die ihn umgaben, das Köstlichste, die Ruhe verloren. Er, der Kronen verdient hätte, weil er allein die Tradition des guten Geschmacks aufbewahrt und mitten in den Wellen des Blutmeers, welche alles zu verschlingen drohten, das köstliche Kleinod des Schönen, den heiligen Schatz der Literatur, gerettet hat; weil er in seinem Werke Beispiele und Regeln aufgestellt und aus den besten Mustern einen klassischen Kodex zusammengetragen hat, aus welchem wir lernen sollen, unsere Muster nachzuahmen, ohne sie auszuschreiben, weil er selbst ein ausgezeichneter Schriftsteller und der vortrefflichste aller Kritiker und Rhetoren gewesen ist. Aber ach, er hat seinen Ruhm kaum genossen, selbst sein Werk nicht ganz vollendet. Immer in bitterem Streit befangen, oft von geheimer Eigenliebe zerrissen, oft mit sich selbst unzufrieden und sich anstrengend, um die Stelle zu erklimmen, die man ihm streitig machen wollte, – ist er in dem Augenblicke gestorben, wo er, seine politischen Irrtümer einsehend und bereuend, durch diese Reue seinem Leben einen neuen Glanz, seinen Tugenden einen neuen Wert beigelegt haben würde, wo sein Verdienst anfing, den Neid zum Schweigen zu bringen, wo seine Zeitgenossen es nicht mehr wagen durften, ihm einen Teil seines Nachruhms abzusprechen. Er starb mit dem Ausruf: »Ist das der Lohn für so viel Anstrengungen und Nachtwachen? Der Preis für so viel ununterbrochene Arbeiten? Die Palme für ein ganzes tätiges, hingeopfertes Leben?«

Schreiber dieses könnte sich auch über Ungerechtigkeit beklagen. Hat man ihm seine Stelle angewiesen? Wird man sie ihm einst anweisen? Wird man von ihm sagen? »Er besaß eine lebhafte Phantasie, er schrieb mit Leichtigkeit und Kraft.« Wird man sein Talent anerkennen, wenn auch im Grunde ihm nicht mehr daran liegt, als am Nachruhm? Er überläßt der Welt sein Ich, ein Wesen, welches kein Verdienst darin setzt, etwas zu gelten, und von falscher Bescheidenheit ebenso fern ist, als von lächerlicher Eigenliebe. Ja, die Welt hat recht: Nichts ist lächerlicher als sie selbst und alles, was in ihr ist. Schreiber dieses beruft sich nicht wie so viele auf die Nachwelt, weil er sich noch etwas weniger aus ihr macht, als aus den Mitlebenden; er verwahrt sich im voraus gegen Leichenstein und Grabschrift, worauf die Eitelkeit in Titeln und Lobeserhebungen prunkt; er will nicht, daß sein Name berühmt sei, wenn er selbst nichts mehr ist, als Leere, Nacht, Grabesstille, Staub und Asche.


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