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Districtus ensis cui semper impia Cervice pendet, non Siculae dapes, Dulcem elaborabunt saporem, Non avium citharaeque cantus Somnum reducent. |
(Horat. Od. III. 1.) |
Vois-tu ce malheureux qu'un tyran de Sicile Appelle à son festin. Pâle, et tout effrayé, De cette menaçante et sinistre amitié II goûte avec effroi les délices perfides, Porte en tremblant la coupe à ses lèvres livides, Vers les lambris dorés lève un œil éperdu, Et croit voir sur son front le glaive suspendu. |
(Delille.) |
Pourra-t-il retrouver un sommeil agréable, Peut-il de Philomèle aimer la douce voix, Celui qui, même assis à la table des rois, Voit le fer suspendu sur sa tête coupable? |
(Daru.) |
Wenn schrecklich blinkend auf das verruchte Haupt Ein Schwert herabhängt; nie wird Siculischer Festschmaus ihm Wohlgeschmack erkünsteln, Vogelgesang und Gitarr' ihm nimmer Den Schlaf zurückziehn. – |
(Voß.) |
Habt ihr nie ein Kind am Rande eines Abgrundes spielen gesehen? Es pflückt das bescheidene Blümchen im Grase und hüpft schäkernd am Abhange hin, welcher bald unter seinen leichten Tritten einstürzen wird! Dunkel schwebt ihm die Gefahr vor Augen, allein es achtet ihrer nicht. Fern vom sorgsamen Blicke der Mutter, deren zärtliche Stimme es so oft warnte und zurückrief, besteht es auf seinem Willen, auf seinem Spiel längs der jähen Wand und überläßt sich der letzten Freude eines Alters, das nicht voraussieht. Es wird hinabstürzen – es ist gefallen; – sein Instinkt reichte nicht hin, es zu retten; es ist ohne Hoffnung verschwunden.
Ebenso lebte man von einem Tage zum ändern, von einer Stunde zur andern, auf der Lava von Paris, wo so viele eines entsetzlichen Todes sterben sollten; wo das Sybaritenleben, die Libertinage und Räusche aller Art die Köpfe schwindeln machten und eine Zukunft in Nebel hüllten, deren Anblick in der Ferne jedoch wohl diejenigen in Furcht und Schrecken versetzen konnte, die nicht zu den Kindern gehörten, wie auch die, welchen bloßer Instinkt den Rat gab, einen vulkanischen Boden zu verlassen, der alle Augenblicke mit dem Ausbruch drohte und Lavaströme des Todes erwarten ließ. Aber der große apathische Haufe bestand darauf, den feuerspeienden Berg nicht zu verlassen, und brach sogar die farblosen Blumen, die seinen Krater umgaben.
Ich ließ mich wie so viel tausend andere vom reißenden Strome, von der gefahrvollen Torheit fortreißen. Ich war verliebt, eifersüchtig, dem Spiele ergeben; und – um das Verzeichnis meiner guten Eigenschaften vollständig zu machen – ich war ein feuriger Anhänger und Jünger des Weingottes geworden, so daß ich schon anfing, der Meinung zu sein: Das Beste im Leben sei, des Lebensharms vergessen und das Sorgenheer verscheuchen, welches sich mit uns an die Tafel setzt. Die schönen Verse des Dichters Delille, welche man zu Anfang des Kapitels gelesen hat, dieses lebhafte Bild aller Genüsse der Menschen, aller Unruhen, aller Besorgnisse und sogar aller Hoffnungen, machte auf mich einen besonderen Eindruck. Aber damit es ja nicht jener künstlichen Ruhe, die ich mir zu verschaffen strebte, an Gegensatz und Gegengewicht fehlen möchte, sorgte mein feindseliges Verhängnis dafür, daß ich im Innern meines häuslichen Lebens alle Qualen einer gewaltsamen Leidenschaft und alle Beängstigungen der Eifersucht fände. Mit jedem Tage schuf ich mir neue Trugbilder – denn jetzt bin ich völlig überzeugt, daß es leere Hirngespinste waren, und daß Frau von V... nie etwas getan hat, sie zu verwirklichen. Unsere Tage flossen in Gezänk vorüber; nichts war mir, der die Veranlassung suchte, leichter, als sie zu finden; sie war bereit zum Zwist und ebenso bereit zur Versöhnung. Ihr Charakter stimmte sie zum einen wie zum andern. So lange Liebe, Zartgefühl und Empfindung die stürmischen Wechselauftrittealternative. begleiteten, so lange Fehde und Friedensschluß aufeinander folgten, lag ein gewisser Reiz in dem Verhältnis; es war abstoßend-anziehend. Als aber beide Teile anfingen zu gnittern und zu nörgeln, da fühlte man zum mindesten das Joch unerträglich und sah in der Zukunft nur einen Hoffnungsschimmer – die Freiheit.
Allein Ergebnisse anderer Art sollten mich bald gegen meinen persönlichen Kummer unempfindlich machen; über die Schicksale meines Vaterlandes vergaß ich die meinigen. Der König hatte sich endlich entschlossen, seine Hauptstadt zu einer Zeit zu verlassen, wo man es am wenigsten dachte, obschon man sich dessen alle Tage hätte gewärtig sein sollen. Der unglückliche Monarch suchte in seiner verzweifelten Lage den letzten Glückswurf in einer Maßregel, welche sich sehr natürlich und wie von selbst einem gefangenen und aller Attribute seiner Macht beraubten Fürsten aufdrang; – denn ist man noch König, wenn das Wesentlichste abgeht, wenn man die Guten nicht durch Belohnungen ermutigen, die Bösen nicht durch Drohung und Strafen schrecken kann?
Längst unter den Streichen der Rebellen gefallen, fühlte das Opfer, daß es bestimmt sei, den letzten Streich zu empfangen, und suchte nur durch Zeitgewinn das Beil des Henkers von sich abzuhalten. Ludwig XVI. ließ bei seiner Flucht der Versammlung eine Erklärung zurück, welche zu ihrer Zeit für parteiisch und übertrieben galt; als ob ein Souverän, ein rechtlicher Mann, den seine Untertanen beraubt, herabgewürdigt haben, wenn er sie für Rebellen erklärt, zu weit gehen könnte!! Als ob man ihm in dieser Erklärung, welche die Nachwelt gemäßigt nennen wird, etwas anders vorwerfen kann, als daß er sich in die Notwendigkeit versetzt habe, sie von sich zu geben!! Alle Welt kennt den Erfolg seines Versuchs; er schmiedete seine Ketten noch fester. Man weiß, daß, dem menschenfreundlichen Grundsatze getreu, dessen Folge gewesen ist, in ganz Europa Ströme Bluts fließen zu lassen, er nicht zugeben wollte, daß um seinetwillen nur ein Blutstropfen fließen sollte, und daß er es vorzog, anstatt über wenige Leichen die Grenze zu gewinnen, selbst als eine lebende Leiche nach Paris zurückgebracht zu werden, gefesselt an den Triumphwagen der Volkstyrannen und auf immer in den Augen der Menge herabgesetzt, welche den nie wieder achten lernt, der einmal von ihr entehrt und in den Staub getreten worden ist.Am Tage der Abreise des Königs begegnete mir in den Tuilerien ein (in seiner Partei) ziemlich bedeutender Deputierter, der später wichtige Stellen bekleidet und sich denselben völlig gewachsen gezeigt hat. »Nun, mein Herr,« rief er mir entgegen, »Sie triumphieren; warten wir aber noch zwei Tage! Uebrigens, wenn Ihnen die Trümpfe bis zuletzt zufallen, und wir nicht alle aufgeknüpft werden, so mache ich mich auf und bringe meine übrige Lebenszeit in Nord-Amerika zu.« – »Fürchten Sie nichts,« erwiderte ich lachend, »ich nehme Sie in meinen Schutz; wir Aristokraten besitzen eine unversiegbare Quelle von Großmut.« – Als bald nachher die unselige Nachricht einlief, daß der König erkannt und aufgefangen sei, sah ich jenen Mann wieder. Welch ein Unterschied in seinen Gesichtszügen und besonders in seinem Betragen. »Allons,« rief er mir zu, »Mut gefaßt; den Mut nicht sinken lassen; ich stehe Ihnen für Ihr Leben.« – Er lachte; ich hatte keine Lust zu lachen. Seit der Zeit haben wir uns nicht wieder gesehen (Verf.) »meinetwegen!« j'y consens.
Dieses Ergebnis mit seinen im voraus zu berechnenden, unvermeidlichen Folgen hatte teils finstere Schrecknisse, teils eine tödliche Traurigkeit in mir erregt und mich auf eine Zeitlang über meine eigenen Angelegenheiten betäubt. Als ich aber wieder auf mich und meine Lage zurückblickte, erwachte in mir der Entschluß, mich von den Banden, die mich drückten, zu befreien, ohne mich von den Annehmlichkeiten zurückhalten zu lassen, die sie mir noch hätten darbieten können. Kurz, es entstand in meinem häuslichen Leben ebensogut eine Revolution, als ich deren täglich neue um mich entstehen und sich entwickeln sah.
Ich hatte einen Kammerdiener, der mein ganzes Vertrauen besaß. Ich überraschte ihn einst, als er der Frau von V... ein Papier zustellte, welches sie ihm mit Verwirrung und Eile abnahm. Da gerade jemand ins Zimmer trat, gewann sie Zeit, es zu verbergen oder zu vernichten, so daß, als ich darüber nachfragte, sie die Stirn hatte, mir ins Gesicht zu behaupten, sie habe nichts erhalten. Das hieß, mich blind machen wollen. Mein Vertrauter hatte die Unverschämtheit zu leugnen und in ihre Lüge, in ihre Versicherung einzustimmen. Ich jagte ihn auf der Stelle fort; das war ganz natürlich. Nun wendete ich mich zur Frau von V.... Ich erklärte ihr unumwunden, daß ich die Geschichte vergessen wolle, daß ich es sogar verschmähe, sie näher zu untersuchen, daß wir uns aber noch vor Abend trennen müßten, wenn sie auf einem Betruge beharre, der sie selbst erniedrige, indem er mich herabsetze. – Ihre kurze Antwort war eine Antwort, die mich mehr befremdete als betrübte.
»Wo gedenken Sie hin?«
»Nach England, zum Herrn B...n.«
»Sind Sie gewiß, ihn da zu finden und daß er Sie wieder aufnehmen wird?«
»Mich wieder aufnehmen? ... Das ist meine Sorge.«
»Nun in Gottes Namen; ich begleite Sie bis Calais und verlasse Sie nicht eher, als bis Sie das Paketboot bestiegen haben.« –
»Sie geht zu ihrem Herrn B...n«, dachte ich; »er liebt sie noch immer; und ich? ich? ... Oh, wenn ich es zu spät gewahren sollte, daß ich sie noch liebe, daß sie mir notwendig ist? ... Sei ein Mann, Tilly (sprach ich weiter zu mir selbst), halte dich fest; sieh zu, ob sie sich besinnt!«
Zwei Tage verstrichen unter Vorbereitungen und Zurüstungen zur Reise. Ich bemerkte an ihr dieselbe Unschlüssigkeit, die mich quälte. Abwechselnd zeigte sie ein leichtes, unbefangenes Wesen,un air dégagé. dann aber auch wohl ein mehr als trübsinniges Gefühl.
Endlich ging die Reise vor sich. Wir verließen Paris. Unterwegs herrschte auf beiden Seiten die äußerste Achtung, ein zärtliches Zuvorkommen, die größte Artigkeit. Jetzt waren wir in Calais, am Ziel. Eine Stunde vor dem letzten Lebewohl brach sie das Schweigen. »Hier ist es,« sagte sie, es mir überreichend, »das unglückselige Papier, der verwünschte Brief; er ist von B...n; lesen Sie ihn; er handelt von nichts als von meiner Familie, enthält nur Hausangelegenheiten. Sehen Sie selbst zu, ob es der Mühe lohnte, einen solchen Aufstand zu erregen, so viel »Lärm um nichts« zu machen. Lesen Sie; ich will nicht von Ihnen scheiden, ohne Ihre Achtung mitzunehmen.«
»Ich mag ihn nicht lesen,« sagte ich, »der unschuldigste Inhalt könnte doch das Unrecht nicht auslöschen, ihn mir so lange verheimlicht zu haben, ihn auf eine versteckte Weise erhalten, einen meiner Leute, der mir bis dahin immer treu gedient hatte, verführt, und vor allem, sich mit ihm zu einer niederträchtigen Lüge verbunden zu haben. Ihr spätes Bekenntnis macht die Sache nicht schlimmer, kann sie aber nicht ungeschehen machen.« – Ihre Augen füllten sich mit Tränen; ich meinerseits war ebenso schwach. »Was soll hieraus werden ?« fragte ich, »lieben wir uns noch?« – »Ich fürchte, so ist's«, gab sie zur Antwort; »sei dem aber auch so,« setzte sie hinzu, »mein Rat ist, wir bleiben fest bei unserm Entschlusse; nach dem, was vorgegangen ist, haben wir kein Glück im gemeinschaftlichen Umgang zu hoffen ... Wünschen Sie es aber, nun wohl, so kehre ich um.« – »Leben Sie wohl,« rief ich mit großer Anstrengung, »Sie haben tausend- und tausendmal recht; lieber fest bleiben und sich eine Zeitlang härmen, als wanken und sich einander ohne Ende wehe tun. Unsre Aussöhnung würde nicht von der Art sein, daß sie die Vergangenheit vergessen ließe und uns ungestörte Freuden und Genüsse versprechen könnte; es gibt eine Grenze, die der Zwist der Liebenden nicht berühren, viel weniger überschreiten darf, wenn sich Liebe nicht in ein anderes Gefühl verwandeln, nicht alle Dornen des Hasses auf den Weg streuen soll.«
»Nun denn, so leben Sie wohl!«
»Leben Sie wohl, und bleiben wir wenigstens wahre, aufrichtige Freunde!«
»Für immer!«
»Für das Leben! –«
Wir handelten weise und haben es uns gestanden, als wir uns wiedersahen. Es verstrichen viele Jahre, ehe das geschah; und es tut mir wehe, daß es nicht früher geschehen ist. Die Torheiten, welche wir gemeinschaftlich begangen haben, ihre entzückende Schönheit, ihr so liebenswürdiger und dabei so seltsamer Charakter, kurz, alles malte mir jene stürmischen Tage vor Augen, welche keine Zwischenräume vollkommener Ruhe gewährten. Mit inniger Teilnahme habe ich alles Glück erfahren, was ihr begegnet ist; nur weiß ich nicht, ob ich ihre Vermählung mit dem Fürsten von Salm mit dazu rechnen soll.
Ich kehrte nach Paris zurück, einerseits von einer Last erleichtert, andererseits mit einem Kummer erfüllt, den ich mir nicht erklären konnte; eine Gewohnheit war mir abgestorben und hatte mich zu ihrem Witwer gemacht. Einem Freunde verdankte ich meine Heilung; er setzte mir, wie man zu sagen pflegt, den Kopf zurecht, ohne die Gabe seiner Beredsamkeit dabei anzustrengen. Er gab mir nämlich zu, Frau von V... sei ganz allerliebst, allein, fuhr er fort, bei ihrer und meiner Gemütsart würde das Ende des Liedes früher oder später doch eine Trennung gewesen sein, und je länger ich dagegen angekämpft hätte, desto schmerzhafter wäre die bittere Notwendigkeit für mich geworden; denn (sagte er), wenn man sich mit einer Frau aus Liebe verbunden hat und hinterher fühlt, man könne sich von ihr trennen, so ist schon die Gewohnheit an die Stelle der Liebe getreten und erschwert nur die Trennung.
So ist es; ich fühlte es in mir selbst, und doch war es mir lieb und ein Trost für mich, daß mein Freund es ebenfalls fühlte und mir es als einen Erfahrungssatz aufstellte. Es gibt Augenblicke und Punkte im Leben, wo die geringste Idee von außen unser inneres Dunkel aufhellt, wo der einfachste Rat uns aufheitert, wo die natürlichste Betrachtung eines andern eine Wohltat für uns wird, ungefähr so, wie die schwächste Stütze oft hinreicht, uns vor einem Fall zu bewahren. Man bedarf des Hilfsmittels, sich von einem Freunde wiederholen zu lassen, was uns nichts Neues lehrt, was wir schon wissen, und vielleicht besser noch wissen, als er es uns sagen kann; es geht ungefähr damit zu, wie mit üblichen Redensarten, welche nichts bedeuten, deren man aber im geselligen Umgange einmal nicht entbehren kann.
Die Fortuna des Spiels war mir eine Zeitlang gewogen, und ich fing an zu bedauern, ihre Gunstbezeigungen nicht mit meiner Freundin teilen zu können. Ich gewann ungeheuer im Trente-un und bildete mir ein, mit meinem Gewinn Frau von V... glücklicher und mich in ihren Augen liebenswürdiger gemacht haben zu können. Die Frau, die in Zerstreuungen lebt, hängt natürlich mehr an dem Manne, der sie ihr verschafft, als die Sklavin, welche Langeweile hat, an ihrem Gefangenwärter!
Doch bald vergaß ich Spiel, Liebe und Reue über neue Auftritte und über einen neuen Akt des furchtbaren und endlosen Trauerspiels, welches sich vor mir entfaltete. Die Absetzung des Königs wird von allen Seiten mit Wutgeschrei vom Pariser Pöbel verlangt. Der wilde, unbändige Danton organisiert das Marsfeld und ruft von allen Seiten die Horden zusammen, dem Rollen des fernen Donners ähnlich, der bald durch die erschütternden Schläge des näheren ersetzt werden sollte. Schon fließt Blut und schreibt auf den Boden das Todesurteil des unglücklichen Bailly, der in den Sternen die Geschichte der politischen Erdumwälzungen nicht gelesen hatte,Anspielung auf Baillys Geschichte der Astronomie. und dem seine staubigen Bücher und seine tiefe Gelehrsamkeit den Erfahrungssatz nicht hatten beibringen können, daß der rohe Haufe seinen Freunden und Lieblingen nur ein Gefühl und ein Geschenk aufbewahrt: Undank und den Tod. Sein Blut sollte den Keim der bald darauf folgenden Insurrektionen befruchten; von seinem Todesstahl entsprang der Blitz, der dem Donner des zehnten August vorausgehen sollte.
Frankreich hatte mit eben so vielem Unverstand als Leichtsinn und Unhaltbarkeit der Gründefutilité dans ses motifs. den Krieg an die Mächte Europas erklärt; denn konnte es wohl Männern an Gründen gelegen sein, denen die Folgen gleichgültig waren? Oder vielmehr, war ihr persönliches Interesse nicht ihr alleiniges Motiv? Mußte das Blut des Volkes, des wahren französischen Volkes, nicht vergossen werden, um ihren Plänen und Aussichten behilflich zu sein? Waren die ersten Unglücksfälle und Niederlagen der Armeen nicht für sie der beste Vorwand, den König und das Königtum zu morden?
Schon lange war ich des wütendsten Leitern der demagogischen Partei als Opfer bezeichnet und die Zielscheibe ihrer Rachsucht. Ich hatte früher mit dein niederträchtigen Fabre d'Eglantine einen Zwist gehabt, worin ich ihn mit einem feudalen Uebergewicht, mit einem aristokratischen Hochmut behandelte, den mir sein Stolz nicht verzeihen konnte. Er schwieg damals und steckte die Schmach ein, aber in einem Herzen wie dem seinigen mußte seitdem ein unauslöschlicher Haß kochen. Dazu kam noch ein Federkrieg mit Herrn von Condorcet, und half die Gefahr vergrößern, in welcher ich schwebte, Es gibt eine Menge Ehrenmänner, welche dem letzteren ihre Achtung noch immer nicht versagen wollen; ich für mein Teil kann mich nicht enthalten, ihn im Grunde meines Herzens und in der aufrichtigsten Ueberzeugung für einen der niedrigsten Agenten zu halten, welche die Revolution auf die Bühne gerufen hat. Endlich darf ich noch von mir sagen, daß ich – und zwar bis ganz zuletzt – mit einer Dreistigkeit und einem Freimut geschrieben hatte, der wenig Nachfolger gefunden hat, und der vielleicht damals ebenso sehr als das Talent eine Bedingung des Erfolgs war. Ich ging selten zu Bett, und gerade in diesen stürmischen Zeiten habe ich das Schlafen beinahe ganz verlernt. Nichts schien mir schätzbarer als das Gegenteil, das Wachen. Jetzt ist es anders mit mir geworden; jetzt besteht mein sehnlichster Wunsch darin, mein übriges Leben verschlafen und alles vergessen zu können, was ich wachend getan habe, was mir wachend widerfahren ist – alles zu vergessen, sowohl mein nutzloses Leben als die vielen Leiden und Widerwärtigkeiten desselben!
Den Tag über und einen Teil der Nächte brachte ich mit Spielen zu, das übrige verwendete ich auf die Ausarbeitung von Aufsätzen, die mir zu nichts gedient haben, die der Wind zerstreut hat, und deren Schicksal und Bestimmung wahrscheinlich gewesen ist, von der Welt – nur freilich mit Ausnahme meiner Feinde – vergessen zu werden.
In den Händen der letzteren mögen sie wohl noch immer eine Waffe sein!
Ein Raub meiner unsteten, verzehrenden Unruhe, alles fürchtend, außer den Tod, trieb ich mich überall umher, in den Klubs, im Schauspiel, auf Spaziergängen, – und war nirgends. Nie hatte Paris so sehr das Ansehen einer regellosen Stadt, eines unwürdigen Schlupfwinkels, einer Niederlage für die Befriedigung sinnlicher Leidenschaften gehabt; man lebte im Gewühl der Exzesse aller Art. Es war, als sähe man die kurze Dauer der Lebensgenüsse voraus, als sähe man das gähnende Grab, das uns mit jedem Augenblick zu verschlingen drohte, und die nicht zu berechnenden unglücklichen Ereignisse, die sich gegen uns anhäuften und als Damokles-Schwert über unsern Häuptern schwebten. Man stürzte sich mit heißem Durst in die Wollust einer Sekunde, um sie – vielleicht die letzte – in gieriger Hast zu verschlingen.
Ich stelle hier als an der passenden Stelle das Bild meiner letzten Liebe in Frankreich dar, das Bild meiner letzten Jugendflamme neben der Sonne meines Herzens, die für mich nicht mehr jenen geweihten Bodencette terre privilégiée. beleuchtet, den ich (ach, eine einzelne, unglückliche Ausnahme!) nie wieder zu betreten verdammt zu sein scheine. Gezeichnet von der Hand des unerbittlichen Fatums, durch einen unbegreiflichen Spruch meines Schicksals bestimmt, von der Gnade eines Helden ausgeschlossen zu sein, dem ich – einer der ersten – meine Huldigung darbrachte, als er zur Oberherrschaft gelangt war und man noch zweifeln und besorgen konnte, ob sie auch fest begründet sei – verstoßen aus einem Vaterlande, als dessen Retter und Wiederhersteller ich ihn laut begrüßt hatte – aus einem Vaterlande, für dessen eifrigsten, enthusiastischsten Verehrer ich im Auslande gegolten und von Ausländern bitter genug verschrien worden bin – was bleibt mir übrig? Die Ergebung in den eisernen Willen des Geschicks, in die Tyrannei meines Verhängnisses! Es steht auf den ehernen Blättern des ewigen Buchs geschrieben, daß, nachdem ich in fremden Ländern umhergeirrt, nachdem ich unwirtsame Küsten berührt haben werde, meine vergessene Asche nicht mit der Asche meiner Vorfahren sich vermischen soll! Mögen die, welche mir die Pforten Frankreichs verschlossen haben (und ich habe den Trost, zu wissen, daß es nicht der große Mann ist, dem Frankreich seine Wiedergeburt verdankt), in ihrem Vaterlande alles finden, was sie mir genommen haben, mögen sie das verzehrende Fieber der Sehnsucht, den Hunger und Durst nach der vaterländischen Luft, das Bedürfnis nie kennen und gekannt haben, die Schwelle des Vaterhauses mit Tränen der Freude zu benetzen und sich auf der Grenze unsers Geburtslandes vor Gott niederzuwerfen!Als durch das sogenannte Deuxième Sénatusconsulte organique du 6 Floréal an X. (26. Apr. 1802) den Emigranten die Rückkehr nach Frankreich verstattet wurde, gehörte der Graf von Tilly zu den wenigen Ausnahmen, denen diese Wohltat nicht widerfuhr. Er schreibt, mit Grund, diese widerwärtige Auszeichnung nicht einem besondern Hasse Buonapartes zu, sondern den Intrigen der Hofumgebung. Doch erhielt er später die Erlaubnis zur Rückkehr. (Uebers.)
Und du, junge, rührende Schöne, letzter Gegenstand der Huldigungen meines Herzens in Frankreich, in dem schönen Frankreich, wo in unglücklichen Tagen dein Haupt unter dem Beil des Nachrichters fiel – du würdest es bezeugen müssen, wenn du noch reden könntest – habe ich nicht alles versucht, was in meinen Kräften stand, dich zu retten? Mit der Schilderung der Zärtlichkeit, die mich für dich beseelte, mit dem Gemälde der wahren und letzten Genüsse meiner verflogenen Jugend will ich das zu lange Verzeichnis meiner Verirrungen und den weiten Kreis meiner in den Augen der Vernunft und Moral so strafwürdigen Torheiten schließen.
Ich soll nicht mehr Frankreichs Sohn und Zögling sein? ... Länder sollen mich von meiner Wiege trennen? ... Nein, mein Herz wird nie aufhören, für seine Mutter zu schlagen! ... Der tief eingegrabene Name Frankreich bleibt unauslöschlich ... Nur mit dem Leben kann er mich verlassen!
Wer hat nicht Mademoiselle de Saint-Amaranthe und ihre durch ihre Ausschweifungen und durch ihre Tochter doppelt berühmt gewordene Mutter gekannt? Diese Mutter von vornehmer Abstammung (eine geborene Saint-Simon d'Arpajon) war mit einem Herrn von Saint-Amaranthe, dem Sohne eines General-Finanz-Einnehmers, vermählt worden. Ihr Gatte war für seine Person Rittmeister und sehr reich, doch würden diese beiden Eigenschaften wahrscheinlich nicht hingereicht haben, die Hand des Fräuleins von Saint-Simon ihm zu verschaffen, hätte sie nicht sehr frühzeitig in Besançon, wo sie mit ihrer Mutter lebte, dem Beispiele dieser Mutter folgend, ich weiß nicht welchen kleinen Jugendstreich begangen, der sie ins Gerede brachte. Man sieht, daß es der jungen Saint-Amaranthe in ihrer Familie an nachahmungswürdigen Vorbildern nicht fehlte!
Herr von Saint-Amaranthe war ein ausgemachter Narr, besaß zwar, wie ich gesagt habe, ein großes Vermögen, allein für seine ausschweifenden Lüste und Gelüsteses goûts. war es zu klein. Er kam mit seiner jungen Frau nach Paris; hier wurde er in kurzer Zeit teils durch seine guten Freunde, die er eben nicht in der besten Gesellschaft wählte, teils durch seine Mätressen, die er sich aus dem Opernpersonale holte, zugrunde gerichtet. Ein Raub der Freunde und Freundinnen, wurde der Gimpel bald von ihnen kahlgerupft; und nachdem sie ihm alle Fettfedern ausgerissen, ließen sie ihn ohne weitere Umstände laufen und schickten ihn nach Madrid, wo er als wohlbestallter Fiakerkutscher gestorben ist. Herr von Fénélon hat mir versichert, er habe ihn dort auf seinem Kutscherthron vor einer Kirchtür halten gesehen, und weil er ihn wiedererkannt, habe er ihm den Vorzug gegönnt, sich von ihm fahren zu lassen, und ihm nebst dem Fuhrlohn noch ein Almosen gereicht.
Frau von Saint-Amaranthe – des Kutschers Frau – war eher hübsch als schön, eher begehrenswert und anlockend als hübsch; es hatte ihr nicht an ausgezeichneten Liebhabern gefehlt. Unter andern zählte sie den verstorbenen Prinzen von Conti darunter. Der Fürst benahm sich edel gegen sie. Ich könnte noch mehrere nennen, die sich bei ihr eingefunden haben, wozu aber? Es würde ebenso überflüssig als unschicklich sein. Dieser Umgang hatte für sie die natürliche Folge, daß sie bald im größten Ueberfluß, bald in der drückendsten Verlegenheit lebte; kurz, sie ging alle Stufen und Klassen des Industrielebens durch. Man fand bei ihr neben der besten Gesellschaft eine sehr gemischte; sie sah abwechselnd beide. Ich muß ihr aber doch eine seltene Eigenschaft zuerkennen; sie besaß die schwere Kunst (schwerer als man glaubt), so viel Freundschaft in die Liebe einzuweben, daß sie die Liebe überlebte. Das war um so mehr ein Talent zu nennen, da sie in ihrem Charakter wenig Festigkeit, im Herzen wenig Erhabenheit zeigte, folglich nicht den Anschein hatte, auf eine moralische und uneigennützige Verbindung viel Anziehendes verwenden zu können. Doch, um in der Sache ein richtiges Endurteil zu fällen, hätte man ihr Liebhaber gewesen sein müssen, und mir ist diese Ehre nie zuteil geworden. Ich war nur von Zeit zu Zeit in ihrem Hause gewesen; der Vicomte von Pons hatte mich in meiner frühen Jugend bei ihr eingeführt. Eben dieser Vicomte, der den größten Teil seines Lebens mit ihr zugebracht hat (insofern nämlich die Gewohnheiten des Hofes und die Pflichten seiner Stellung in der Welt es ihm gestatteten), fand an demselben Tag und in derselben Stunde wie sie den Tod unter der vom Arzt Guillotin erfundenen Köpfmaschine. Der gute Doktor glaubte vielleicht, seine Kunst habe nicht genug Opfer geschlachtet oder habe sie zu lange hingehalten; er war darauf bedacht, den Zerstörungsprozeß schneller und lakonischer herbeizuführen, und sogar stolz darauf, dem fressendsten Mordstahl, den es je gegeben hat, seinen eigenen Namen beizulegen.
Uebrigens gibt es eine Menge Menschen, welche weit mehr zu bedauern sind als der arme Vicomte de Pons, denn ist es nicht im Grunde angenehm, mit Personen, welche man lieb hat, aus dem Leben zu scheiden?
Frau von Saint-Amaranthe hatte eine Tochter, welche später in ganz Paris für einen Engel von Schönheit galt, allgemein als ein solcher angesehen wurde und, nachdem sie durch ihre Reize berühmt geworden, zu einer Zeit, wo es etwas Gemeines war, Mut auf dem Blutgerüste zu zeigen, durch den außerordentlichen Mut, mit dem sie starb, ihren Tod ausgezeichnet hat. Damals starb alles in Paris wie die Schauspieler auf der Bühne; man hatte sich dergestalt mit dem Tode vertraut gemacht, daß man sich allgemein darauf legte, wie die Gladiatoren in Rom mit Anstand und Grazie zu fallen. Um aber wieder auf das Fräulein von Saint-Amaranthe zu kommen, so hatte ich sie als Kind bewundert, aber mehrere Jahre lang nicht wiedergesehen. Als ich aber von meiner letzten Reise zurückkam, fand ich mich wieder im Hause der Mutter ein. Wie fand ich es verändert! Die glänzendste und besuchteste Spielgesellschaft – der ausgelernteste Koch – ungeheure Fonds zu einer Bank von Trente-un – der ausgesuchteste Männerverein, besonders zu einer Zeit, wo es wenige Häuser von einer gewissen Ordnung gab, die ihnen zum Sammelplatz dienen konnten, wenige Stützpunkte und Versammlungsorte für die höhere Welt – ein fast ebenso anständiger Ton, als würde in diesem Hause nicht gespielt – die Reize beider liebenswürdigen Wirtinnen (denn die Mutter, obschon von der Tochter verdunkelt, erhielt sich immer noch im Wert) – andere Frauen, denen ich so eigentlich nicht ihren Platz anzuweisen wußte – (so wenig kannte ich den Maßstab ihrer Tugend), welche aber größtenteils das Verdienst hatten, hübsch und liebenswürdig zu sein – kurz, alles traf zusammen, das Haus zu einer reizenden Galerie zu machen, in welcher man sich gern mehr als einmal des Tages einfand.
Was mich betrifft, so hatte ich kaum das erstemal diese Schwelle betreten, als ich nur einen Gegenstand erblickte, das junge Fräulein von Saint-Amaranthe, die mich alles andere vergessen ließ, nur das nicht, was mir der Vicomte von Pons frühderhin gesagt hatte und mir jetzt, bei meiner Einführung, leugnen wollte. Als das Fräulein nämlich noch Kind war, hatte er mir geradezu gestanden, er sei ihr Vater, und jetzt, da sie achtzehn Jahre zählte, wollte er mir das Gegenteil versichern. Ich will wünschen, daß seine erste Einbildung eine Selbsttäuschung und sein gegenwärtiger Glaube der richtige war – denn seine Absichten liefen auf nichts Geringeres hinaus, als die junge Schöne zu seiner Geliebten zu machen. Ich hielt es anfänglich für Scherz, aber er benahm sich so ernst und ließ es sich so angelegentlich sein, sich von der Vaterschaft loszusagen, daß ich aufhörte, darüber zu spotten und sogar davon zu reden. Nur konnte ich mich nicht enthalten, die Kleine zu warnen. Ich fing damit an, ihr das heilige Versprechen abzunehmen, niemandem ein Geheimnis zu offenbaren, das ich ihr zu entdecken hätte; dann stellte ich ihr mit glühenden Farben vor, was die Blutschande für ein abscheuliches Verbrechen sei. Es gelang mir, ihren Abscheu rege zu machen; ich erhielt das Versprechen von ihr, sie wolle in allem Ernst überlegen, welche Art von Erkenntlichkeit, welche Gattung von Gefühlen sie mir wegen meiner Eröffnung und meines dienstfertigen Eifers schuldig sei. Der Vicomte folgte mir überall mit spähenden Blicken, seine gelbe Farbe zeugte von Eifersucht und Mißtrauen; es war ihm nicht möglich, seine üble Laune zu verbergen, obschon ich mich stellte, als merke ich nichts. Jetzt wandte er sich aber an die Mutter, die ihm an Verstand überlegen war; er schilderte mich ihr als den gefährlichsten Besucher ihres Hauses. Der Mutter wäre ein Liebhaber für ihre Tochter nicht unwillkommen gewesen, nur ich – ich sollte es nicht sein. Was geschieht? Sie nimmt die Tochter ins Gebet; das arme Kind wird befragt, inquisitorisch verhört, gemartert, gegen meine höllischen Anstiftungen und Anschläge eingenommen. Was geschah weiter? Die Tochter, wie man denken kann, schloß sich mir näher an; meine Sache stand besser als je. Doch war ich nichts weniger als ruhig, denn so sehr die Galle des Vicomte mich ergötzt hatte, so sehr setzte mich der Zorn der Mutter in Furcht; es war noch nicht Zeit, über sie zu lachen. Ich entschloß mich daher zur Verstellung und sprach mit der Tochter nur selten und wenig, nur das Notwendige, was mir Höflichkeit und ein allgemeiner Umgang zur Pflicht machte; heimlich aber wechselten wir Briefchen, und ich gab ihr zu verstehen, ich würde zum Schein und auf einige Zeit und bis zu einem gewissen Punkt ihrer Mutter den Hof machen. Der Einfall schien ihr unvergleichlich. Ich hatte dabei einen doppelten Zweck. Erstlich wollte ich ihr zeigen, wie leicht es für mich gewesen sein würde, diejenige schwach zu finden und nachgiebig zu machen, welche sich jetzt das Ansehen der Strenge gegen ihre Tochter geben wolle, zweitens wollte ich die Eifersucht der Tochter rege machen, um desto schneller zum Ziel meiner Wünsche zu gelangen; denn es ist eine ausgemachte Wahrheit, ein Erfahrungssatz, daß die Frau, selbst wenn sie im Voraus unterrichtet ist, daß man mit einer andern ein verstelltes Liebesspiel treiben will, diese Art von Probeszene mit ihrer vermeintlichen Rivalin nicht ohne Mißtrauen beobachtet. Und wirklich nahmen meine Scheinaufmerksamkeiten für Frau von Saint-Amaranthe einen so guten Fortgang, daß ich selbst darüber unruhig wurde, und daß ihr Fräulein Tochter, welche anfangs dazu lachte, zuletzt üble Laune bekam und sie mir nicht verbarg. Ich merkte es besonders an einem kleinen Umstand. Wir schrieben uns alltäglich, das Fräulein und ich – kein Mittel kommt einer heimlichen Liebe so sehr zustatten wie dieses. Meine Briefe waren mit Blut – von einer kleinen Nadelwunde – geschrieben. Sie antwortete mir auf gleiche Weise, aber mit roter Schminke, die sie in Wasser zergehen ließ; und als ich ihr den leicht entdeckten Betrug vorhielt, schrieb sie mit gewöhnlicher Tinte. Es kam zur Erklärung, denn man muß das schelmische und boshafte schöne Geschlecht auf keine Weise glauben lassen, daß sie uns in Kleinigkeiten hintergehen dürfen, – und nun verlangte sie ihrerseits geradezu von mir, die Intrige mit ihrer Mutter abzubrechen und deren Herz nicht weiter zu bestürmen; sie erklärte rund heraus, dieser Schattenkrieg und diese Liebesfabel seien ihr unerträglich. Jetzt mußte ich also andre Saiten aufziehen und mich von der Mutter losmachen; ich schützte Brustschmerzen und die Notwendigkeit einer Milchkur vor, da ich aber oft bei ihr speiste und einen Appetit mitbrachte, den man allen Mitessern als Muster aufstellen konnte, wurde die Mutter böse und merkte, daß ich sie mit meiner vorgeschützten Enthaltsamkeit zum besten hatte. Jetzt erfolgte, was ich vorausgesehen; meine im Stillen verehrte Schönheit erkannte, daß es Zeit sei, sich zu entschließen und mir früher zu gewähren, was sie mir später zugedacht hatte, da ihre Mutter uns neue Hindernisse in den Weg legen konnte.
B..., welcher, ohne daß ich seinen Namen auszuschreiben brauche, in ganz Paris als ein Narr bekannt war, der sich nicht darüber trösten konnte – nicht von Adel zu sein, obschon hunderttausend Taler jährlicher Renten diesen Mangel selbst in den Zeiten der altadeligen Monarchie schon ersetzen konnten, – B... hatte im Hause ein ihm gehöriges Zimmer zum An- und Auskleiden, auch gelegentlich zum Schlafgebrauch, wenn es zu spät war, nach Hause zu fahren. Er lieh mir den Schlüssel dazu. Nach einer Oper, welche für mich kein Ende nehmen wollte, und wohin ich Frau und Fräulein von Saint-Amaranthe begleitet hatte, schlich ich mich unter einem Vorwand vorher weg und in das beschriebene Zimmerchen; hier erwartete ich Amalien. Ihrem Versprechen getreu, erschien sie in der Dunkelheit; ihr Herz pochte; sie war, wie der Dichter sie beschreibt:
odoratos nexa capillos;
... vestis tenuissima, cultus amantis.
Das verabredete Zeichen waren drei leichte Schläge an die Türe; ich öffnete und empfing in meinen Armen Flora, die Blumengöttin, reizender und frischer als der Strauß, den sie am Busen trug. Nachdem die göttlichen Momente mit zu schneller Eile verflogen waren, verließ sie mich und kehrte in den Gesellschaftssaal zurück. Ich folgte ihr etwas später nach – als ein bescheidener Sieger, der den Verdacht von sich entfernen und der jungfräulichen Schamhaftigkeit Zeit lassen will, sich von der Niederlage zu erholen und eine sichere Haltung anzunehmen. Frau von Saint-Amaranthe, von einer mütterlichen Sympathie, ohne daß sie es wußte, elektrisch bewegt, hatte mich nie so freundlich empfangen, noch mit so vielen Aufmerksamkeiten überhäuft. Sie fragte mich einmal über das andere mit dem einschmeichelndsten Tone, woher ich so spät komme? Ich antwortete: »Von einem notwendigen Besuche, bei dem mich nichts schadlos hielt als der beständige Gedanke an Sie.« – »Sehr verbindlich,« erwiderte sie, »aber es ist in der Welt nur eins notwendig, nämlich der Zeitvertreib. Besuche! Besuche! Man macht keine Besuche mehr.« – »Der meinige,« versetzte ich, »gehört zu der kleinen Zahl derer, welche man von Anfang der Welt gemacht hat und bis an das Weltende machen wird.« – »Ich mag nichts weiter davon wissen,« gab sie mit abgewendetem Gesichte zur Antwort. – »Glauben Sie mir, Madame, Sie sind die Person auf der Welt, der ich am liebsten durch mein Schweigen gehorche.« – Sie war den ganzen Abend in der lustigsten, angenehmen Laune; die früher so aufgebrachte Bruthenne hatte sich in ein Täubchen verwandelt; einige von ihren Atomen umschwebten mich noch, ich war der Sohn ihres Instinkts, trotz der Antipathie ihrer Vernunft.
Ihre liebenswürdige Tochter, die engelhafte Amalia, glich einer Rose, die man berührt hat, die am Stengel hin und her schwankt, und deren Rot lebhafter erscheint, wenn ihre Blätter vom Zephyr leicht angeweht worden sind.
Nichts bleibt lange Zeit verborgen. Amalia hatte einen Bruder, der später, im sechzehnten Jahre, vom Blutrichter Fouquier-Tinville gemordet ward. Was entgeht dem spähenden Auge des Knabenalters? Er schöpfte Argwohn, mutmaßte unsre Zusammenkünfte, lauerte auf, hielt Schildwache, sah die Schwester aus B...s Zimmer kommen, verließ seinen Posten nicht eher, als bis er auch mich heraustreten sah, und nun schlich er sich fort und entdeckte noch denselben Abend alles der Mutter.
Es läßt sich denken, daß ich mit dieser einen stürmischen Auftritt zu bestehen hatte. In der Erklärung, die es gab, ersparte sie mir die Namen: »Ungeheuer«, »Verführer«, »Mörder der Unschuld« nicht. Was die letzte Benennung betrifft, so wußte ich, woran ich war, und inwieweit ich sie verdiente. Auch rührte sie mich wenig. Ich hatte die sicherste Kunde, daß ein anderer, ein Schützling der Mutter, der gedachte privilegierte Räuber war und die Schuld auf sich genommen hatte. Frau von Saint-Amaranthe verbot mir das Haus und schwor dabei, ihre Tochter sollte in einem Kloster das Vergehen büßen. Ich hörte eine Weile schweigend zu, die Beredsamkeit ihrer Wut und die Moralität ihrer heftigen Aufwallung bewundernd. Sie führte die Sprache einer Tugendhaften, der nicht nachgestellt wird, und die sich dieses Vorteils überhebt, um streng zu sein; sie predigte gegen das Laster, weil der Sünder die Schuld nicht mir ihr geteilt hatte. Als sie ausgetobtdébagoulé. – denn ich ließ sie ruhig schreien – erwiderte ich mit sanfter Stimme, daß ich zweifle, ob sie ein Recht habe, die Tochter ins Kloster zu schicken, weil diese sich einen Geliebten nach ihrem Geschmack gewählt habe, nachdem ihr früher wider ihren Willen von der Mutter einer aufgedrungen worden sei; was das übrige betreffe, so würde ich die Befehle des Fräuleins von Saint-Amaranthe befolgen, aber niemals die ihrigen. Nach diesen wenigen Worten begab ich mich weg und hörte im Abgehen den Strom von Schmähungen, der mir nachrauschte, die Türen, die sie wütend hinter mir zuwarf, und das Zerschlagen des unschuldigen Porzellans, an welchem sie ihre ohnmächtige Raserei ausließ.
Ich teilte Amalien mit, was sie auch ohne mich würde erfahren haben; ich meldete ihr: Der Augenblick, uns zu trennen, trete unabwendbar ein, wenn es ihr bei dieser Gelegenheit an Charakter und Geistesstärke fehlen sollte; ich erinnerte sie an ihr so oft gegebenes Versprechen, es im Fall einer Entdeckung ihrerseits daran nicht fehlen zu lassen. Sie übertraf meine Erwartung. Ihre Kammerfrau kam noch denselben Nachmittag zu mir und berichtete: Ihr Fräulein habe mit ihrer Frau Mutter einen lebhaften Auftritt gehabt und erwarte mich abends sieben Uhr. Ich war pünktlich. Sie erzählte mir, was vorgegangen war; wie ihre Mutter sie erst mit Vorwürfen und endlich mit Bitten bestürmt habe; wie sie standhaft geblieben, fest und unveränderlich erklärt habe, sie sei durch die Opfer der Vergangenheit hinlänglich berechtigt, mit der Gegenwart zu schalten; sie sei zu allem entschlossen, selbst, wenn es sein müßte, das Haus zu verlassen; tyrannisch werde sie sich auf keinen Fall behandeln lassen; im Schutze und mit dem Beistand des Mannes, dem sie alles entdeckt habe, was sie seit ihrem Eintritt in die große Welt beträfe, werde es ihr nicht an Mitteln fehlen, ihre Freiheit wieder zu erlangen, wenn man gesonnen wäre, sie ihr zu rauben; sie werde vom Luxus des mütterlichen Hauses und vom Ueberfluß, in welchem sie schwimme, wenig bestochen; Glanz und Pracht mache sie nicht glücklich; sie habe keinen andern Wunsch, als mit dem, der ihr Herz besitze, im ruhigen Wohlstande zu leben; mein Vermögen sei für ihre Bedürfnisse hinreichend, und überdies seien zehntausend Louisdor beim Notar Tr... niedergelegt, ihr Eigentum, und dies sei mehr, als sie zu ihrem Unterhalt in der Lage, die sie allen übrigen vorziehe, bedürfe. – Diese und noch mehr Gründe, mit ruhiger Festigkeit vorgetragen und am Schluß mit Tränen begleitet, machten einen tiefen Eindruck auf Frau von Saint-Amaranthe; sie erschrak ganz besonders, als sie erfuhr, daß ich mit ihren Geheimnissen vertraut sei, so daß sie mit ihrer Tochter in aller Güte übereinkam, sich von Stund an des mütterlichen Ansehens zu begeben, Amalien als eine Schwester anzusehen, ihre bisherigen Befehle in guten Rat zu verwandeln und sich mit dem aufrichtigen Wunsch zu begünstigen: Sie (die Tochter) möge es nie bereuen, das Joch der Klugheit und Erfahrung ihrer Mutter zu früh abgeschüttelt zu haben. Der erste Rat, den sie ihr gab, war, mich unverzüglich einzuladen, damit ich aus ihrem (Amaliens) eigenen Munde mein ganzes Glück erführe: – ein Rat, den die Tochter, wie wir gesehen haben, mit Freuden befolgte, so wie ich den ihrigen, am folgenden Tage der Mutter meine Aufwartung zu machen, was ich mit dem besten Anstand tat.
Ich fand die Matrone sanft wie ein Lamm, wie das friedfertigste Lamm von der Welt. Es ging so weit, daß es nur von mir abhing, zu glauben, ich sei ihr Sohn, ihr vielgeliebter Schwiegersohn, von ihr gewählt und ausgesucht. Sie bat mich ausdrücklich, ihr die damit verknüpften Gesinnungen zu schenken; sie setzte hinzu: Sie sei versichert, ich würde ihre Tochter nie ins Gerede bringen, so wie ich gleichfalls versichert sein könne, sie werde ihrerseits nichts unterlassen und ihren ganzen Einfluß dazu anwenden, ein Band zu verewigen, welches seine Entschuldigung, seine Rechtfertigung in Zeit und Ausdauer finden würde. Ich sei (setzte sie hinzu) Amaliens erste Liebe, und sie (die Mutter) schmeichelte sich, ich werde ihr von jetzt an die Gefühle eines Herzens widmen, welches sich bisher zu wenig an einen Gegenstand gefesselt habe. Sie ging noch weiter und nahm keinen Anstand, auf den zarten Punkt einzugehen; sie nannte mir den Verführer ihrer Tochter (ich kannte ihn schon); er habe mit schwerem Golde die Gunstbezeigungen der Schönheit und der hingeopferten Unschuld erkauft. Gezwungen sei Amalie nie worden; die Abrede sei gewesen, »der Mann, der ihre (der Mutter) Arglosigkeit benutzt und gemißbraucht habe, solle sie ehelichen«; überhaupt könne sie mir die aufrichtige Versicherung geben, sich so wenig als möglich in diesen vertrackten Handel gemischt zu haben; sie habe es sogar verschmäht, nach den Gründen zu fragen, welche diese Ehe rückgängig gemacht hätten, wie auch nach den Ursachen, aus welchen bei ihrer Tochter der Widerwille gegen den Mann entstanden wäre, dessen Huldigung sie anfangs angenommen hätte usw. – Ich ließ sie reden, so viel und so lange es ihr beliebte, und gab nur ab und zu durch Zeichen eine Art von Zustimmung zu verstehen, gab aber zugleich meinen Zügen einen Ausdruck von Zweifel und Ungläubigkeit, um sie immer in meiner Gewalt zu behalten und nicht wieder in die ihrige zu fallen. Mit Haß und Feindschaft im Herzen verschwendete sie tausend Eidschwüre einer ewigen Liebe und Freundschaft an mich; ich meinerseits beteuerte und schwor, sie sei nächst ihrer Tochter der Gegenstand meiner zärtlichsten Zuneigung auf der ganzen Welt Ich betrog sie, aber ich haßte sie nicht. Daher versuchte ich es auch, sie zu überreden, daß sie vorzüglich in dieser Angelegenheit meine ganze Achtung gewonnen habe; und da das von allen meinen Unwahrheiten die größte war, so begleitete und verstärkte ich diese Falschheit mit allen Eidschwüren, womit eine Lüge nur immer sich den Anstrich der Wahrheit zu geben sucht. Ich fand sie nicht ungläubiger, als sie mich gefunden hatte.
Als ich ihr Kabinett verließ, befanden wir uns beide in der Sache selbst gerade auf demselben Punkt wie bei meinem Eintreten. Wie groß war aber der Unterschied in der Form, im Aeußern? Wie war zum Schein alles ganz anders geworden. Die vollkommenste Aussöhnung, die zarteste Behandlung, die beste Harmonie, der schönste Einklang, die feinste Aufmerksamkeit, ein gegenseitiges Zuvorkommen – kurz alles, was ein Dritter nur verlangen konnte. Sie lud mich zu Mittag ein; ich erschien. Ein paar von der Gesellschaft unbeobachtete Blicke schleuderten mir wie Blitze den Tod zu. Gleich darauf schwebte ein Lächeln auf ihren Wangen. Als wir aufstanden und ich sie führte, dankte sie mir mit einem zärtlichen Händedruck, daß ich die ganze Zeit über nicht ein einziges Mal Amalien angesehen hatte. Es sei unmöglich, sagte sie mir dabei leise, den Besitz einer Geliebten auf eine so gezwungene Weise zu verbergen. Ich meinerseits gab ihr den Dank zurück; ihr Lob sei äußerst schmeichelhaft für mich; es sei das Lob eines Meisters in der Kunst. Zwar hätte ich ihr einwenden können: Für eine so geübte und kunsterfahrene Frau habe sie doch fehlgeschossen, denn La Bruyère (wie ich glaube) hat irgendwo mit Recht bemerkt: Sich immer ansehen und sich gar nicht ansehen, gebe zu demselben Verdacht Anlaß.
Wir liebten uns, Amalie und ich, seit drei Monaten und glaubten uns nur seit vierundzwanzig Stunden zu lieben, oder glaubten auch wohl, unser Lebelang nichts anders getan zu haben. Aber ein dreimonatliches Glück ist ein langer Zeitraum in der Lebensbahn. Wieviel Menschen sind gestorben, ohne drei glückliche Monate in ihrem Leben gezählt zu haben! Wir wurden gestört. Ein Schwarm von Freiernépouseurs. summte herbei. Der eine führte einen alten Namen, war aber nichts weniger als angenehm gestaltet; der andere war der Sohn eines ehemaligen Ministers, weiter aber auch nichts; der dritte, dessen Vater ebenfalls Minister und zu sehr Minister gewesen war, Sartines, meldete sich ebenfalls und schloß späterhin den unglücklichen Bund mit ihr, welches ihn und sie aufs Blutgerüst geführt hat; ein Schicksal, welches ihn freilich ebensogut allein hätte treffen können, zu einer Zeit, wo es ebenso leicht war, den Kopf zu verlieren. als – den Schnupfen zu bekommen.
Mich, der nicht heiraten, sondern nur das behalten wollte, was das Höchste ist, dessen sich Ehemänner zu erfreuen haben können, – mich wurmten alle diese Heiratsanträge; ich ward verdrießlich, mürrisch, unzugänglich und von einer so verschlossenen Eifersucht ergriffen, daß ich quittengelb wurde. Endlich brach das Ungewitter los; kein Tag verging ohne Zwist; es folgten Fehden auf Fehden. Ich hatte, wie ich schon oben gesagt, bedeutende Summen gewonnen; ich verlor den größten Teil davon in diesem Hause, welches ich nun als die Klippe ansah, an welcher meine Ruhe und mein Glück scheiterten. Man ist nichts weniger als liebenswürdig, wenn man eifersüchtig ist und es vor so vielen Zuschauern verbergen will und – nicht kann; denn die Frauen haben für diesen Fall ein Luchsauge; sie dringen in unser Innerstes, lesen das Wort »Eifersucht« im verstecktesten Winkel des Herzens, haben einen ganz eigenen Takt, das Lächerliche dieser Empfindung aufzufinden, finden etwas Abstoßendes darin und fühlen bald Abneigung und Widerwillen gegen den Unglücklichen, den sie zu dieser Torheit verleitet haben.
Der Gedanke, unter die Haube zu kommen, nachdem sie alles getan hatte, was ihr die Hoffnung dazu hätte benehmen sollen, wurde im Kopfe des Fräuleins von Saint-Amaranthe zur fixen Idee; ihre Mutter bestärkte sie darin, und ich konnte es ihr nicht verdenken. Es verband sich damit in ihrem Herzen die Sehnsucht nach äußerer Achtung; mit einem Manne, d.i. mit einem Ehrenmanne, schmeichelte sie sich, zumal bei ihrem bedeutenden Vermögen, zu größerm Glanze zu gelangen; so gut hatte sie ihr Jahrhundert und den Zeitgeist kennen gelernt, der zum Motto wählen sollte: »Weg mit euren Urkunden! ... ein andermal mag von euren Tugenden die Rede sein! Für jetzt zeigt mir nur – euer Gold!«
Genug, die sentimentale Amalie nahm es auf sich, nachdem sie von ihrer Mutter einstudiert und zugestutzt worden,catéchisée. mich um einige Augenblicke Gehör und Aufmerksamkeit zu ersuchen – ungefähr wie Augustus es vom Cinna verlangte. Sie rückte mir einen Sessel hin,
Prends un siége,
Cinna, prends ...
hob ihre Rede an und teilte mir den Entschluß mit, sich zu verheiraten. Sie kenne mein Herz zu gut, sagte sie, um von dieser Seite Widerspruch oder Einwendungen zu erwarten. Sie ersuche mich, in dieser Hinsicht meine Besuche auf einige Zeit einzustellen. »Ich bin überzeugt,« fuhr sie fort, »Sie werden als ein Mann von Ehre auf alle boshaften Fragen antworten, die man über mich an Sie richten wird; mein Herz bleibt immer für Sie, was es von dem ersten Augenblick unserer Liebe gewesen ist; Sie werden mich wiederfinden; der Tod allein kann die Gefühle vernichten, die Sie mir eingeflößt haben.« – Und nun schloß sie damit, wie so viele andere vor ihr, mir ein Bild, welches ihr nicht sonderlich gliche, und Briefe zurückzufordern, welche zu wenig Geist und Gehalt hätten, um einigen Wert für mich haben zu können.
Ich empfing diesen honigsüßen Abschied mit ziemlichem Stoizismus; ich war darauf vorbereitet und fühlte mich dem Umstande mehr als gewachsen. Ich fing damit an, ihr zu danken, daß sie mir die Gerechtigkeit widerfahren ließe, mich für den Mann zu halten, dem kein Opfer zu schwer falle, wenn es darauf ankäme, das Schicksal und Glück ihres ganzen Lebens zu begründen. Ich eröffnete ihr ohne Umschweif, daß ich mir von jetzt an auf immer den Zutritt in ihr Haus untersagen würde; ich versicherte sie, es werde nie ein Wort über meine Lippen kommen, wodurch Hymens Kranz auf ihrem Kopfe auch nur ein Blatt verlieren könnte, und schloß damit: Sie habe vollkommen recht von ihrem Bilde geurteilt; es gleiche ihr zu wenig, um die Ehre zu verdienen, ihr wieder zurückgegeben zu werden, aber dabei auch zu sehr, als daß es mir nicht peinlich sein sollte, es in andere Hände übergehen zu sehen. Sie erbot sich hierauf, es zu vernichten. »Nein« (gab ich zur Antwort); »ich bin abergläubisch genug, um mich der Zerstörung eines gemalten Gegenstandes zu widersetzen; ich kann mich dabei des Gedankens nicht erwehren, daß dergleichen oft der ahnungslose Vorbote eines reelleren Unglücks sein und die traurigsten Folgen für das Urbild nach sich ziehen könne. Was Ihre Briefe betrifft,« fuhr ich fort, »so habe ich es meiner ersten Geliebten und einem meiner Großeltern auf dem Sterbebette versprechen müssen, keinen Brief unter irgendeinem Vorwand zurückzugeben. Aber auch abgesehen von diesem allgemeinen Grundsatz, von dieser festen und unverbrüchlichen Vorschrift, gehorche ich hier, in diesem einzelnen Falle, einem höhern Gebot; mich bestimmt ein zärtlicheres Interesse; mir macht es ein unbeschreibliches Gefühl unmöglich, mich von so schmeichelhaften und zugleich so tröstenden Zeugnissen zu trennen, die, an Ihre Treue mich mahnend, mich noch mit Täuschungen über Ihren Wankelmut unterhalten werden.«
Ich küßte ihr hierauf die Hand mit ehrerbietiger Gleichgültigkeit; sie erwiderte es mit der kalten Höflichkeit, mit der sie mich wie einen gewöhnlichen Besucher entließ.
Ich will es jedoch nicht verhehlen, daß mir diese Verabschiedung lange sehr schmerzlich war, daß sie mir wehe tat und daß ich mir viel Mühe geben müßte, mich zu trösten und meinen aufrichtigen Schmerz vor ihr geheim zu halten.
Jetzt blieben mir nur Pflichten anderer Art zu erfüllen, – die Pflichten des Hofmannes. Ich zeigte mich öfter und emsiger bei Hofe, zu einer Zeit, wo die Macht schon dahin war und nichts von derselben mehr zu erwarten war. Zwar hatte die Königin von ihren Vorurteilen gegen mich nichts aufgegeben (denn sie hat nie über sich vermocht, zu keiner Zeit und gegen niemand, von der einmal gefaßten Meinung zurückzukommen); gleichwohl bezeigte sie mir, so oft ich ihr in den Tuilerien, sei's in den Stunden, wo gespielt wurde, sei's zu jeder andern, meine Aufwartung machte, außerordentlich viel Güte und Wohlwollen. Sie erwies mir sogar die Ehre, mir einst zu sagen: Ich hätte seit ihren Unglücksfällen und Widerwärtigkeiten nichts geschrieben, was sie nicht gelesen habe; ja, sie gab mir zu verstehen, sie finde Vergnügen daran, mich so anhänglich zu sehen, obschon sie mich mit Strenge behandelt hätte; nur fürchte sie oft (setzte sie hinzu), meine Dreistigkeit werde mir schaden, ohne ihr zu helfen. – Ich versetzte: »Dolche lassen sich schwerlich mit Federn widerlegen; so lange mir aber meine Finger gestatten, eine Feder zu führen, soll mich nichts abhalten, nach den Eingebungen meines Gewissens zu schreiben.«que j'écrivais sous la dictée de ma conscience. – Das Auffallendstele merveilleux. dabei ist, daß sie seitdem nur noch einmal mich angeredet hat (den 21. Jun. 1792). Vermutlich fand sie in meinem Eifer und meiner Festigkeit mehr Gründe zur Beunruhigung als zur Ermutigung. Und dann war es auch ein von ihr angenommener Grundsatz, fast nur diejenigen anzureden, von denen sie wußte, daß sie in offener Fehde mit dem Throne begriffen waren. Damals hieß es, wie immer: »Mache dich furchtbar!« Von jeher ist diese Taktik die Grundlage und das sicherste Mittel aller Erfolge gewesen, und die arme Königin zeigte hier wenig Hof- und Menschenkenntnis, wenn sie versuchte, durch Herablassung Männer zu gewinnen, welche in diesem Betragen nichts weiter suchten und fanden als einen Beweis des Hasses, der Vorurteile und der Furcht, – Männer, welche ihrem Zerstörungsplane treu, in ihren Verbindungen mit dem Hofe sonst nichts sahen als eine Gelegenheit mehr, das unglückliche Opfer, dem sie nachstellten, sicher und unfehlbar zu treffen. Beweinenswerte Fürstin! Du zeigtest mehr den Mut, der dich zugrunde richten mußte, als den, der dich gerettet haben würde! Du hast es nie gewagt, einer höheren Regung nachzugeben, eine große Idee durchzuführen! Du bist in engen Kreisen, ohne bestimmten Plan, ohne Festigkeit umhergeirrt! Bedauernswerter Hof, der nur unnütze oder gefährliche Freunde und so überaus geschickte Feinde hatte, daß man sich wundern mußte, wie es ihnen möglich sei, so viel Intelligenz mit so viel Wildheit zu verbinden! Man suchte nur bei solchen Rat, die keinen andern als verderblichen geben konnten; fand sich ein Mann von starkem Geist, so entfernte man ihn, und nur selten meldete sich einer. Ach, und warum so selten? Weil der König kein Vertrauen einflößte, und weil sich dem Schwachen, welcher ratschlagt, wo es notwendig gewesen wäre, wie Cortez die Schiffe zu verbrennen, nur selten die Kraft zum Dienste anbietet.
Der Tag, welcher auf das Haupt Ludwigs XVI. mehr Schmach und Beleidigungen häufen sollte als sein nachmaliges Gefängnis und selbst als das Blutgerüst, rückte näher. Der einundzwanzigste Juni – ebenfalls eine Schande für unsere Annalen – war ihm vorausgegangen und hatte auf einige Stunden den König in einen Helden verwandelt, als seine geheiligte Stirn, befleckt und entweiht durch das Tragen der schändlichen Mütze der Gesetzlosigkeit, sich würdiger als jemals zeigte, das Diadem Ludwigs des Heiligen zu tragen. Als das wütende Heer der Faktionisten in das Asyl des Palastes drang, weil es wußte, es sei bei diesem Frevel keine Gefahr zu befürchten; als es seinem Könige die Krone abforderte, weil es wußte, daß er sie schon abgelegt habe; als es sein Blut, sein Leben verlangte, weil es sah, daß man beides schlecht verteidigte; – da zeigtest du, sechzehnter Ludwig, im Angesichte der wilden Tiger, die dich umbrüllten, was der Mut der Seelenruhe vermag; waffenlos und allein tratest du in ihre Mitte und gingest einem fast gewissen Tode entgegen, gingst ihm entgegen, und eben dadurch entgingst du ihm. Du sahest, erhabener Märtyrer, daß Seelengröße und Geistesmut allem die Spitze bieten,servent et répondent à tout. sich überall den Sieg erringen, und daß die Mörder, welche dich, hinter den zersprengten Türen deines Palastes feige und zitternd versteckt, umgebracht haben würden, als du sie ihnen selbst öffnetest, vor deinem verklärten Blick zurückwichen und beinahe dir zu Füßen gefallen wären. Dieser große Moment genügt, um auf den letzten Akt deiner Regierung ein glänzendes Licht zu werfen. Die Reinheit deines Herzens hatte deinem Geiste volle Gegenwart und Fassung mitgeteilt. Du konntest in diesem einzigen Augenblick erkennen und fühlen, was ein Volk sei, was ein König sei. Alle Lehren, alle Ratschläge, alle Vorwürfe drängten sich in diesen Trauerauftritt zusammen ... vielleicht wäre es noch Zeit gewesen, sie anzuhören und sie zu benutzen!
Auch die Königin entwickelte den erhabensten Mut. Madame Elisabeth gab dem ihrigen das Edle und Würdevolle ihres ganzen Lebens. Ihr engelhafter Mund sprach in der gemeinschaftlichen Gefahr ein Wort, welches sie zur historischen Hauptperson der Gruppe, zur Lichtgestalt des Gemäldes macht; denn als sie merkte, daß die Wütenden sie für die Königin hielten, und daß einer von den Ihrigen ihnen den Irrtum benehmen wollte, lispelte die Heilige ihm leise zu: »Laßt sie bei dem Wahne!«Wie haben Journalisten und Kompilatoren dieses einzig erhabene Wort verwässert, anstatt es unverletzt zu wiederholen: Ne les désabusez pas! Wie haben sie sich um die Wette bemüht, es zu umschreiben, zu erläutern und auszulegen! »Sagt ihnen nicht wer ich bin! Laßt sie bei dem Glauben, daß ich die Königin sei; mein Tod verhüte ein größeres Verbrechen; usw. usw. usw.« – Wozu die weitläufigen Paraphrasen? Nichts als die Worte: Ne les désabusez pas! Die Sprache der Erhabenheit und Tugend ist lakonisch. (Verf.) Läßt sich etwas Erhabeneres denken als dieses Wort? Ist es nicht die bewundernswürdigste Vereinigung der Größe in Handlung und Ausdruck, in Entschluß und Sprache? Ne les désabusez pas!
Jene vierstündigen Mißhandlungen, deren die ganze Geschichte kein ähnliches Beispiel aufzustellen hat; diese dem französischen Namen und dem Königtume zugefügte Schmach mußte jeden, der noch für Tugend und Menschlichkeit Gefühl hatte, dem noch ein Herz im Busen schlug, belehren: Es sei die höchste Zeit, ein Land zu verlassen, wo die letzte Anstrengung, der letzte Versuch, dem triumphierenden Verbrechen entgegenzuarbeiten, darin bestehe, die unglücklichen Opfer dem Blutdurste zu entziehen. Mit jedem Tage faßte ich den Entschluß, auszuwandern; eine geheime Macht verhinderte mich, ihn zu verwirklichen.
Ich hatte mich so oft und so unumwunden gegen die Emigration ausgesprochen; sollte ich dem Beispiele folgen, das ich verdammte? War es edel, aus Ungeduld, aus Furcht, aus Abscheu vor den sich ereignenden Vorfällen das zu tun, was ich nicht aus kaltem, ruhigen Entschluß, aus Nachahmungstrieb, aus Konvenienz hatte tun wollen? War es edel, einen König zu verlassen, der sich selbst verlassen hatte? War es edel, in den Reihen, die ihn umgaben, nur solche zu lassen, welche seinen Fall vorbereiteten, welche nach seinem Blute dürsteten? Mußte man nicht dem Leichenbegängnis der Monarchie beiwohnen, wenn man Zeuge ihres Einsturzes gewesen und so lange auf ihren Trümmern verweilt hatte? Ich legte freilich für meine Person kein großes Gewicht in die Schale; allein wäre sie nicht vielleicht – und aller Wahrscheinlichkeit nach – auf die entgegengesetzte Seite gesunken, wenn nicht mehrere gedacht und gesprochen hätten: »Ich bin nur ein kleines Gewicht in der Schale!«
Während ich mit mir überlegte, entstieg der Augustmonat Eintausendsiebenhundertundzweiundneunzig – aus der Nacht der Zeiten, um mit einem umgestürzten Thron in eben diese Nacht zu verschwinden.
Bis zu diesem furchtbaren Zeitabschnitt war ich dem von mir selbst gefaßten Entschlusse, das Fräulein von Saint-Amaranthe nicht wiederzusehen, treu geblieben. Aber mit den ersten Tagen des August stieg in mir eine furchtbare Vorahnung des Schicksals auf, welches ihr von der Vorsehung bestimmt war; mein Herz bewegte sich heftig in mir und flog der Unglücklichen zu. Vergniaud, mit welchem mich ein unvorhergesehener Umstand früher zusammengebracht hatte und der mir aufrichtig gewogen war, hatte nichts unterlassen, um mich aus Frankreich zu treiben und meine Unentschlossenheit zu bekämpfen. Auch er sah die Zukunft voraus; alles, was erfolgt ist, selbst sein eigener Tod, lag ihm klar und deutlich vor Augen. Nur aus Ehrgefühl, vielleicht auch aus Trägheit, blieb er auf seinem Posten und verfolgte die Bahn, die er eingeschlagen hatte. Er wollte es nicht Wort haben; mir aber hat er es mehr als zwanzigmal eingestanden. Am Vorabend des schrecklichen Tages (10. August 1792) sah ich ihn noch. Es war Mitternacht, als ich ihn verließ. Ich wollte nach Hause, um einige Papiere zu verbrennen. Unwillkürlich zog und trieb mich mein inneres, dunkles Gefühl zu Frau und Fräulein von Saint-Amaranthe. Ihnen einen heilsamen Wink geben; ihnen über ihre Lage, die sie nicht ernsthaft genug bedacht haben mochten, Aufschluß geben; sie warnen; ihnen raten – das war eben nicht schwer und bedenklich in meinen Augen. Aber mich der Gefahr aussetzen, um sie ihnen zu ersparen und mit ihnen den Gefahren trotzen, denen ich sie entziehen wollte; – das schien mir eine schwerere, aber auch süßere Pflicht, und die erste und natürlichste in unserer gegenseitigen Lage. Ich ging also hin, ließ einen Kammerdiener rufen und mich von ihm in ein einsames Zimmer führen. Hier schrieb ich einige Zeilen mit Bleistift und ersuchte beide Damen, die Gesellschaft im Salon zu verlassen und auf einen Augenblick zu mir zu kommen. Sie fanden sich ein, empfingen mich mit sichtbarer Bewegung und – ich möchte sagen – mit Zärtlichkeit. Ihr erstes Wort war: »Sind Sie unserer Hilfe benötigt? Ist Ihnen etwas Unglückliches widerfahren? Haus, Geld, Freunde, Kredit, Vermittlungen, alles bieten wir Ihnen an; alles, was wir besitzen und in unseren Kräften ist, steht Ihnen zu Diensten.« Diese freundschaftlichen Anerbietungen geschahen mit einem solchen Feuer, solchem Nachdruck, solcher Heftigkeit, daß kein Zweifel über die Aufrichtigkeit derselben aufkommen konnte.
Nachdem ich ihnen meine ganze Rührung über ihr Wohlwollen zu erkennen gegeben hatte, ersuchte ich sie, sich zu setzen. Ich erinnere mich, daß ich zu Amaliens Füßen Platz nahm. Ich sagte ihnen hierauf: »Was Sie bereit waren, für mich zu tun, das eilen Sie für sich selbst zu tun; kaum bleibt Ihnen noch so viel Zeit übrig, sich aus Paris zu entfernen. Die Stadt wird unverzüglich ein Schauplatz nicht zu berechnender, nicht abzusehender Ereignisse und Auftritte werden; ein Schauplatz unabwendbaren Elends, ohne Hilfe und Schutz, besonders bei Frauen. Das ungeheure Glück, welches Sie gemacht haben, und Ihre gesammelten und zu jeder andern Zeit Ihnen so nützlichen Schätze werden Ihnen in sehr kurzer Zeit Verderben und den Todesspruch zuziehen.« – Ich erbot mich nun und machte mich anheischig, ihnen zu morgen in der Frühe Pässe nach England zu verschaffen und sie dahin zu begleiten. Ich beteuerte auf meine Ehre, daß, sobald wir den Fuß in London würden gesetzt haben, ich eine von der ihrigen entfernte Wohnung mieten würde, Und daß sie in mir den treuesten, uneigennützigsten Freund finden sollten, so wie ich, seitdem ein zu lockeres Band gelöst worden, der verschwiegenste gewesen sei.
Amalie schwankte oder vielmehr sie war bereit. Aber die Mutter blieb unerbittlich? »Wie sollte,« sagte sie, »Frauen etwas Widerwärtiges begegnen können? und außerdem scheint mir der Tod weniger schrecklich als das wüste Herumirren und LandstreichenLe vagabondage. der Emigranten, als die Flucht aus dem Vaterlande ins Ausland. Meine Finanzen sind von der Art, daß sie sich nicht so schnell zu Gelde machen lassen können. Ich mag auf keinen Fall mein Vermögen, mein Haus, meine Habe dem Ungefähr und der Plünderung preisgeben. Ich finde es tausendmal gefährlicher, Frankreich zu verlassen, als ruhig daheim zu bleiben. Wieviele Opfer sind auf der Flucht gefallen, die man in ihrer Abgeschiedenheit würde vergessen und am Leben gelassen haben usw.!«
Hierauf reichte sie mir die Hand; mit sanfterer Stimme sprach sie das Wort: »Leben Sie wohl!«, schied aus dem Zimmer und ließ mich mit ihrer Tochter allein. Diese versicherte mir: Sie sei nicht glücklich und habe mir ihr Herz nie entzogen. Sie ließ einer aufwallenden Rührung freien Lauf, nahm mich aber selbst zum Zeugen, rief mich zum Richter auf: »Ob es wohl möglich sei, ihr Schicksal von dem ihrer Mutter zu trennen! Ich bin überzeugt,« fuhr sie fort, »daß diese Handlung der Ergebung in den Willen meiner Mutter mir teuer wird zu stehen kommen, und daß ich das Opfer ihres Eigensinns sein werde.«
Sie trat jetzt näher zu mir, um mich zu umarmen, und als sie mir die Wange hinhielt, fühlte ich sie naß von Tränen; sie träufelten auf mein Gesicht. Ich nahm sie in meine Arme, drückte sie an mein Herz, beschwor sie, von neuen abzureisen, mir zu folgen. »Ich kann nicht«, sagte sie seufzend; Tränen schossen aus ihren Augen; sie entfernte sich langsam. ... Ich hätte sie zurückhalten sollen ... es hätte vielleicht ein Mittel gegeben, sie zu bestimmen ... ich habe es verfehlt. – Noch immer sehe ich ihr weißes Gewand, wie ich von ungefähr auf die Schleppe trat und sie einriß, wie der abgerissene Teil nachlässig hinter ihr nachwallte; wie das Kleid oberhalb den himmlischen Wuchs, die reizenden Konturen umspannte und abzeichnete. Noch immer sehe ich das Engelsantlitz, das sich nach mir umdreht und mir ein Lächeln zusendet, dem die Träne, die im Auge zittert, neuen Wert gibt. – Es war meine letzte Unterhaltung, mein letztes Zusammentreffen, mein letzter Verkehr mit der in ganz Frankreich durch Schönheit und Liebreiz berühmtesten Frau; einer Frau, welche die Natur mit ihren seltensten Schätzen ausgeschmückt, mit ihrem höchsten Reiz übergossen hatte, und der Erde nur deswegen gezeigt hat, damit man ihr nicht den Vorwurf mache, sie hätte noch etwas Vollkommeneres, als es bis dahin gab, hervorbringen können.Dieses Lob wird nur denen übertrieben vorkommen, welche das Fräulein Amalie von Saint-Amaranthe nicht gekannt haben. Sie zwar zu ihrer Zeit die schönste Frau in Paris; sie war eine vollkommene Schönheit. Jeder Maler, jeder Bildhauer würde in ihr sein Ideal gefunden haben. In allen Ländern habe ich viele Schönheiten angetroffen, aber keine, die mich an sie erinnert hätte, keine, die mich sie hätte vergessen lassen, keine so einzig, so vollkommen Vollkommene. Mein Herz hat andere mehr geliebt als sie; bewundert wie sie habe ich keine andere. – Sie war schwach, aber grundgut und sanft, und mit einem edlen Stolz begabt, welcher, besser geleitet, sie vermocht haben würde, nur das Edle zu lieben. Sie besaß mehr Verstand, als man ihr allgemein zugeschrieben hat, weil sie kalt war und den ihrigen zu verbergen strebte, und weil man überhaupt geneigt ist, einer Person, die so viele Vorzüge an sich hat, einen Teil davon streitig zu machen. In ihr lag eine Feinheit, eine Zartheit, die nur dem schönen Geschlechte eigen ist, die aber den geistreichen Frauen oft, und denen, die keinen Verstand haben, allezeit abgeht. Sie starb mit einer Beherztheit und einem Heldenmute, den sie ihrer ganzen Familie mitteilte, welche sich geschämt haben würde, sie, die so viele Gründe hatte, das Leben zu lieben, nicht nachzuahmen und nicht wie sie mit Gleichmut das Blutgerüst zu besteigen und auf ihre Mörder mit Verachtung herabzublicken. Sie war in ihren Urteilen, die sie doch nur insgeheim abgab, außerordentlich streng und verlangte viel von denen, die sie nicht mit weiblichen Augen betrachtete. Sie hat mir manchmal gesagt, daß diejenigen, welchen jeder Mann gefällt, der Gefahr ausgesetzt sind, allen zu gefallen. Mit einem Worte, Amalia war eine von den Frauen, deren es so wenige gibt, über die nur der, welcher in der intimsten Verbindung mit ihnen stand, das Recht hat zu sprechen, weil nur er in dem Fall gewesen ist, sie von Grund aus kennen zu lernen.
Der letzte Auftritt mit ihr, unser Abschiedsgespräch, hat mich enger mit ihr verknüpft, ihr Andenken tiefer meinem Gedächtnis, meinem Herzen eingeprägt, ihr Bild tiefer in meine Seele gegraben, wo es noch immer lebendig ist, als die früheren Bande, welche sich um uns geschlossen hatten. Was mich zu diesem letzten Besuch bewogen, den mir ein gebieterisches Gefühl zur Pflicht machte, ist der redende Beweis, daß sie nie aufgehört hatte, mir teuer zu sein. Die Ahnung, das Vorgefühl ihres Unglücks war in mir der Instinkt einer nie erloschenen Liebe. Die Erinnerung dessen, was ich, nach einer ziemlich langen Trennung, in ihrem Herzen für mich wiederfand, tat mir wohl und rechtfertigt die Gefühle der meinigen. Sie stellt sich meiner Phantasie dar, wie ich sie an jenem Abend sah, wie sie mich mit eindringenderem Zauber als jemals erfüllte, wenn sie ohne andere Schleier, als den der Liebe, sich an mein glühendes Herz warf.
Angebetete Unglückliche, wie oft habe ich unter einem fremden Himmelsstrich deinen Tod, dein schreckliches, dein, ach, so frühzeitiges Ende beweint! Nein, ich kann es mir nicht verzeihen, dich nicht in der Stunde der Trennung in meine Arme geschlossen, dich nicht dir selbst entrissen, dich nicht fortgeführt und alle Klagen über Gewalt nicht mit meinen brennenden Lippen von deinem Munde weggeküßt zu haben! Wie oft habe ich mir nicht selbst vorgeworfen, daß ich dich nicht wider deinen Willen rettete, als es mir möglich war! – Der Streich, der ihr Haupt traf, hat noch lange nachher das meinige getroffen ... Ich lebte mit ihrem Schatten, der mich beständig umwallte, aber ihren Namen aussprechen zu hören war mir unerträglich ... Jetzt ist dieser Name mein Trost ... ich spreche ihn aus, ich könnte immer und immer von ihr reden hören und selbst reden ... Bisweilen sehe ich sie im Schauspiel, in ihrem vollen Glanze, von keiner ihrer Rivalinnen verdunkelt, nicht einmal erreicht ... Ein andermal erscheint sie mir als blutiges Opfer der scheußlichsten Grausamkeit, und dann möchte ich, wie Lady Macbeth, sprechen: »Alle Wohlgerüche Arabiens können dies Blut nicht tilgen!« und wie Macbeth:
Kann wohl Neptunens ganzer Ozean
Dies Blut vertilgen?
Ihr Mord, der schändlichste unter so vielen schändlichen Mordtaten – ihr Mord, dem sogar die gerichtliche Form fehlte, – ihr Mord ist in meinen Augen, nach der Hinrichtung Ludwigs XVI., der empfindlichste Schlag, der mich in dem ganzen politischen Orkan, der über mich hinweggestürmt ist, betroffen hat.
Einige Jahre späterIm Jahre 1797 in einer Ode funèbre à la mémoire de Madame de Sartines, née Amélie de Saint-Amaranthe. Dieses 14 achtzeilige Strophen lange Trauergedicht findet sich nicht in den Oeuvres mêlées des Verfassers. Wir nehmen ebenso sehr Anstand, die Ode zu übersetzen, als sie, ihrer Länge wegen, im Original zu geben. (Uebers.) versuchte ich in schwachen Zeilen die Geschichte ihres Mutes, ihres Todes zu schildern, ihre letzten Worte nachzuhallen, welche selbst auf ihre Henker Eindruck machten, sie erschütterten – aber nicht rührten, weil nichts sie rühren konnte.