Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Anhang

Christian Garve
an
Moritz August von Thümmel

(Gedruckt nach: Briefe von Christian Garve an Christian Felix Weiße und einige andere Freunde. Zweyter Theil. Breslau 1803. S. 279 ff.)

Breslau, den 10. Okt. 1794

Ich komme eben von einem Feste, welches Sie mir zubereitet haben. Zwar habe ich noch nicht die drei letzten Teile der Reise nach der Provence aus Ihren Händen empfangen – und dieses Geschenk würde ich die Eitelkeit haben, mir einzumahnen, wenn Herr Göschen es vergessen sollte, – aber ich habe sie gelesen; und, wie Sie aus Erfahrung wissen, das Werk eines Mannes von Genie macht einen, während der Zeit, da man damit beschäftigt ist, glücklicher. Es hat auch immer eine unterrichtende und belebende Kraft in sich, der Gegenstand, von welchem es handelt, mag sein, welcher er wolle. Ich lerne mehr, wenn mir ein Mann von Genie die geheimen Kreuze des unheiligen Clärchen aufdeckt, als wenn mir ein gemeiner Kopf die Wissenschaften der Moral und Politik vorträgt. In der Tat ist, wenn ich nicht irre, selbst nach Ihrer Absicht, die Geschichte nur das Vehikel, die Belehrungen, welche über menschliche Sitten und Leidenschaften, und besonders über die Wirkungen des Aberglaubens, in der Erzählung eingewebt sind, oder durch dieselbe veranlaßt werden, auch für die Sinnlichkeit und die Einbildungskraft der Leser anziehend zu machen. Wenn in diesen Bänden auch nur die Episode von den päpstlichen Soldaten und ihren Schicksalen vorkäme, so würde mir das Buch und der Autor schätzbar sein, so wie es mir der Tristram Schandy und sein Verfasser durch die Episode von dem Leutnant Le Fever sind. Diese beiden Werke sind, in Absicht des Inhalts, des Tons, der Erzählung, des Stils, einander sehr unähnlich, aber sie kommen darin überein, ihre Verfasser als äußerst gutherzige Menschen, als sehr feine Beobachter, und als Leute von entzündbarem Temperamente, in Absicht des andern Geschlechts, zu schildern. Beide lieben etwas die nackten Gemälde, beide hassen den Aberglauben, beide mischen einen gewissen Tiefsinn unter ihre Frivolitäten. Der Witz von beiden ist Sterling-Witz, der oft erst auf die Kapelle gebracht, probiert und gewogen sein will, ehe man seinen ganzen Wert einsieht. Auch Dunkelheiten – damit ich die Vergleichung noch etwas weiter treibe, sind beiden gemein.

Schon in den beiden ersten Teilen Ihrer Reise sind mir einige Verse unerklärlich geblieben, und auch in diesen sind mir einige poetische Stellen schwer geworden, und andere, obgleich nur wenige, völlig dunkel gewesen. Ich weiß nicht recht, ob die Allegorie, mit welcher sich die gefährlichste Szene der Geschichte schließt, nur einen freiwilligen Rückzug, oder eine sich versagende Naturkraft anzeigt, und ob bloß die Beweise der innigen Vertraulichkeit des Probstes, oder ob noch schlimmere Ahndungen diese seltsame Veränderung hervorbringen. Indes war dieser Punkt dazu gemacht, im Dunkeln zu bleiben. Dafür ist in dem vortrefflichen Prologe der Marionettenspieler alles sonnenklar. Die Ode über den Zufall, tiefer gedacht, und mit etwas feiner angedeuteten Anspielungen angefüllt, belohnt die Mühe sie zu verstehen, weil man den Sinn allenthalben, und einen reichen, philosophischen Sinn, darin findet; und Sachen und poetischer Ausdruck sind, in den letzten Stanzen, mit welchen Sie von dem Avignonschen Gebiet und vom Leser Abschied nehmen, gleich untadelhaft. Mit einem Worte, Ihr Buch ist eine Galerie von Gemälden, wo der Sinn zuerst gereizt, aber die Imagination noch mehr befeuert, und zuletzt auch der Verstand und die Vernunft befriedigt werden.

Indessen Sie wollen gewiß nicht bloß das Lob Ihres Freundes, sondern Sie wollen sein Urteil; und das erste kann nur für aufrichtig gehalten werden, wenn das andre freimütig ist.

Ich habe in der Tat schon den größten Tadel, den ich dem Buche zu machen hätte, angezeigt. Es ist zu tiefsinnig für die frivolen Leser, die es scheint, an sich ziehen zu wollen. Es verrät einen Verfasser, der viel und tief über die Dinge in der Welt nachgedacht hat, und es verlangt einen Leser, der wieder so nachdenkt; und doch scheint der Hauptgegenstand nur bloß die Sinnlichkeit zu beschäftigen. Überhaupt wünschte ich, daß ein so großer Menschenkenner und ein so glücklicher Maler der Sitten sich einen Stoff von noch größerm Umfange gewählt, und nicht eine einzige Leidenschaft zum Mittelpunkte aller seiner Schilderungen gemacht hätte, von wo aus freilich, wie es in der Natur auch geschieht, Strahlen ausgehn, die sich über das ganze Gebiet der Sittlichkeit und des geselligen Lebens erstrecken, wo aber doch vieles nur im Profil und wie im Hintergrunde gezeigt werden kann, was auf einem Gemälde, dessen Hauptinhalt mannigfaltiger wäre, in voller Gestalt und in vollem Lichte erschienen wäre. Es ist das Werk des Genies, eine einfache kleine Begebenheit, durch den Reichtum, den es aus seinen eigenen Schöpfungen hineinzubringen weiß, interessant und lehrreich zu machen; aber was würde dasselbe Genie nicht erst bewirkt haben, wenn es einen an sich reichhaltigen Stoff bearbeitet hätte?

Was die Nacktheit gewisser Gemälde betrifft, über welche Sie vielleicht den Tadel der Kritik oder der Sittenrichter am ersten befürchten, so erhält sie gewiß von niemanden eher Verzeihung, als von uns kalten, ernsthaften, aber doch zugleich wißbegierigen Leuten. Eine etwas schlüpfrige Szene bringt unsere Imagination nicht so auf, um uns zu beunruhigen, oder unsere Tugend in Gefahr zu setzen; aber wenn sie nach der Natur geschildert ist, so läßt sie uns doch in einen Teil des menschlichen Lebens hineinsehen, der von großer Wichtigkeit, und von sehr allgemeinem, obgleich verborgenem Einflusse auf Glückseligkeit und Elend ist. Außer uns ist noch eine andere, ziemlich kleine Gattung von Lesern, die nicht bloß Ihnen verzeihen, sondern die ganz mit Ihnen einstimmen wird; und diese Leser könnten Ihnen auch leicht die liebsten sein. Das sind diejenigen, die Ihnen ähnlich sind, die einen philosophischen Geist, und edle, besonders menschenfreundliche Gefühle mit einer schwelgenden Imagination, und einer starken, aber sehr verfeinerten Sinnlichkeit verbinden. Eine seltene Komposition – aber ohne Zweifel diejenige, die in der Jugend dem Genusse, und im männlichen Alter der Hervorbringung von Geisteswerken vorzüglich günstig ist. Eine dritte Klasse von Lesern, und diese ist ohne Zweifel sehr zahlreich, – die, noch selbst durch die Reize der Wollust verführbar, doch gegen dieselben durch die Lehren der Religion und Moral mißtrauisch und unfähig, mit Ihnen die Tiefe der menschlichen Natur, mitten in dem Aufruhr sinnlicher Begierden, zu erforschen, oder an dieser Philosophie Geschmack zu finden, das Anstößige in Ihrem Werke mehr, als das Lehrreiche und Nützliche, gewahr werden wird – diese wird Sie ohne Zweifel tadeln; und allerdings wünschte ich, daß Sie auch auf diese Rücksicht genommen hätten. Ich wünschte, daß Sie Rücksicht auf das junge weibliche Geschlecht genommen hätten, welches Ihr Buch mit so vielem Vergnügen lesen, und welches so viel daraus lernen könnte; und dem man es jetzo doch nicht mit Anstand in die Hände geben oder vorlesen kann. Wie wehe mir das tut, der ich so gern, was mir vorzüglich gefällt, in kleinen vermischten Zirkeln vorlese, kann ich Ihnen nicht sagen. Indes hat Ihr Buch, wie mich dünkt, im ganzen eine sehr ernsthafte Tendenz, aber eine, die der große Haufe von Lesern kaum argwohnen wird. Nirgends wird diese Tendenz mehr wahrgenommen werden, und nirgends, glaube ich, wird das Buch selbst mehr Sensation machen, als in katholischen Ländern. Wenn irgendein gemeinschaftlicher Gedanke durchs ganze Buch läuft, so ist es der, die unglücklichen Wirkungen des Aberglaubens auf die Moralität der Menschen zu zeigen. Alles zielt ab, die Verderbnisse der Sitten, die unter dem Scheine der Heiligkeit verborgen sind, aufzudecken; alles vereinigt sich dahin, zu beweisen, daß die Verführung der Unschuld doppelt leicht ist, wenn sie eine abergläubische Frömmigkeit mit der Unwissenheit vereinigt findet, – und daß von der andern Seite alle bösen Neigungen des Menschen freien Spielraum bekommen, wenn eine abergläubische Religion dem Sünder so leichte Mittel zur Aussöhnung oder zur Rechtfertigung darbietet. – Insofern drückt das letzte Gedicht, womit Sie schließen, den Geist und die Absicht des ganzen Werks vollkommen aus: denn es schildert den ganzen Unwillen, den der Verfasser durch seinen Aufenthalt und durch seine Begebenheiten in einem abergläubischen Lande, gegen den Aberglauben des Papsttums überhaupt gefaßt hatte. Ich kann mir nicht anders vorstellen, als daß dies noch wirklich Eindrücke sind, die Ihnen von Ihrer ehemaligen Reise in dieser Gegend zurückgeblieben sind; und ich wundre mich in der Tat, wie, nach so langer Zeit, sie noch so lebhaft sein können, um bei Verfassung Ihres Werkes einen so starken Einfluß zu haben.

Ich wage es, noch gegen einige einzelne Stellen Einwendungen zu machen, bei welchen ich doch aber mißtrauischer gegen mein Urteil bin; teils, weil ich glaube, die Gegenstände, wovon die Rede ist, bei weitem nicht so gut, als Sie, zu kennen, teils, weil ich sehe, daß andere einsichtsvolle Leser mit meinem Urteile nicht übereinstimmen. Ich begreife z. B. nicht, wie der Reisende einer Person, die er noch für unschuldig und für fromm hält, gleich bei seinem ersten Besuche, nicht nur seine ganze Absicht entdecken, sondern ihr auch, durch die Vorlesung der abscheulichen Indulgenz des Papstes Alexanders des Sechsten, und der Stellen aus den Kasuisten, (von denen er doch voraussetzt, daß sie sie versteht) diese Absicht in dem empörendsten Lichte zeigen kann. Wie ist es möglich, daß, bei dieser Voraussetzung, er die Gleichgültigkeit und Kälte, mit welcher sie diese Greuel anhört, für Unschuld und Unwissenheit annehmen kann? Ich gestehe es, der Reisende scheint mir von der Verworfenheit solcher scheinheiligen Dirnen schon so viele frühere Erfahrungen gehabt zu haben, daß er glaubt, auch bei Clärchen den Roman beim hintersten Ende anfangen zu können; und doch überreden mich alle andere seiner Äußerungen, daß er noch de bonne foi eine Heilige und eine kindlich Unschuldige in ihr sucht. Ja, ich kann mich zuweilen in die Begriffe, die er von weiblicher Tugend äußert, nicht finden. Es scheint mir, als wenn er sie mit einer Unwissenheit, die nur von Dummheit herrühren kann, oder verstellt sein muß, verwechsele.

Ich bekenne zweitens, daß ich nicht völlig verstehe, wie nach so klaren Beweisen, als der Reisende gehabt hat, daß die geheimsten Reize Clärchens von einem Vorgänger gesehen, und höchst wahrscheinlich genossen worden sind, er doch durch ihre Erzählung, die mit dem Berichte der päpstlichen Soldaten in äußern Umständen übereinstimmt, aber diese auf eine ihr günstige Weise erklärt, von neuem so für sie eingenommen und von ihrer Unschuld überführt werden kann, daß er im Ernste daran denkt, sie zu heiraten; und diese Liebe und dieses Zutrauen gehen in wenig Minuten in eine so gänzliche Verachtung und fast Verabscheuung über, daß er dasselbe Clärchen, wie die gemeinste Buhlschwester, dem Herrn Fez gleichsam zur Mißhandlung preis gibt, gewiß, daß sie die angebotene Partie nicht ausschlagen wird. Diese Übergänge kommen mir zu plötzlich vor, und würden meiner Natur nicht gemäß sein; aber ich entscheide deswegen nicht, daß sie auch der menschlichen Natur widersprechen.

Die Rede, welche der Reisende vor seinen Richtern hält, ist ein Meisterstück der Beredsamkeit im Vortrage und Stil, und sie übertrifft, nach dem Ausdrucke eines meiner Freunde, alle Kunst der Demosthene und Cicerone. Indes gestehe ich, daß mir diese Beredsamkeit beinahe zu hoch für die Umstände und für die Personen scheint, denen sie gewidmet ist; daß sie am Ende doch den Richtern einen gar zu groben Staub in die Augen streut, und daß diese sich durch einen Betrug so gänzlich umstimmen lassen, der mir auch selbst für die stumpfe Fassungskraft eines Avignonschen Propstes und Domherrn unverkennbar zu sein scheint.

Noch ein Wort von der an sich sehr malerischen Episode von dem Gemälde-Kabinett, durch welches die Thronfolger eines Fürstenhauses, vor dem wichtigen Aktus der Fortpflanzung desselben, ihre Imagination anfeuern, und ihre verlorne Spannkraft wieder herstellen sollten. Es scheint, daß Sie dadurch Ihre Rechtfertigung vor dem Publikum machen wollen, und Sie verteidigen sich in der Tat vor diesem Tribunale mit eben der Kunst, als vor dem Tribunale der Geistlichkeit in Avignon; – aber nicht auch ein wenig mit gleichen Advokatenkünsten? – Sollte wirklich die entnervte oder erschlaffte Mannheit eines Jünglings durch wollüstige Gemälde gestärkt werden? Gehören diese nicht einigermaßen selbst zu den entnervenden Ursachen, indem sie eine Kraft in unnützen Begierden verzehren, die nur auf die Umarmungen der ehelichen Liebe gewandt werden sollte? Sie sehen, wie voll ich von Ihrem Werke bin, da ich nicht aufhören kann, Ihnen vielleicht unreife Gedanken von mir mitzuteilen, um mich noch länger mit jenem zu beschäftigen.

 
Antwort
Moritz August von Thümmel
an
Christian Garve

Gotha, den 10. Febr. 1795

Ein so freundschaftlicher überdachter Brief, als der Ihrige, wäre wohl nicht drei Monate unbeantwortet geblieben, wenn Sie, teuerster Freund, zu den Leuten gehörten, die man gern geschwind abfertigt, um ihrer desto eher los zu werden. Ich habe, um mich mit Ihnen desto traulicher unterhalten zu können, immer auf Ruhe gewartet. – Diese wollte nicht kommen, und ist jetzt, da das allgemeine Unglück nun auch den Punkt in seinem Strudel getroffen hat, der meinem Vermögen Gefahr und Untergang drohet, – da Holland in den Händen unsrer Feinde ist, weniger bei mir zu Hause, als jemals. Man ist in solchen Umständen ein gar schlechter Korrespondent, lieber Garve, und bei einem so großen physischen Verluste, als mir wahrscheinlich bevorsteht, nur wenig aufgelegt, an den Wert oder Unwert seiner geistigen Produkte zu denken. So spät ich auch Ihren Brief beantworte, so habe ich doch einen guten Gebrauch davon gemacht –, habe ihn einer Menge Leuten zu studieren gegeben, die bei Erscheinung meiner drei berüchtigten Teile nicht wußten, was sie davon sagen sollten, und von denen mir immer lieber sein mußte, daß sie Ihr Urteil ohne lange Untersuchung annahmen, als ihrem eigenen folgten. Es wäre indes doch wohl ein zu großes Wunder, als daß Sie so leicht daran glauben würden, wenn der Autor selbst zu dieser Menschenklasse gehörte. Ich will mich also, so gut es meine jetzige Lage verstattet, zurechte setzen und den bekannten mißlichen Versuch machen, meinen Opponenten auf meine Seite zu bringen. Ihr vorzüglichster Tadel an meinem Buche, und den ich am wenigsten von einem Philosophen erwartet hätte, ist: daß es bei seiner anscheinenden Frivolität zu tiefsinnig sei. Würden Sie aber und andere verständige Leser, die doch eigentlich dem Autor allein Ehre bringen, wohl Geduld gehabt haben, das Werk bis zu Ende zu lesen, wenn ich, wie es noch dazu dem Charakter gemäß war, unter dem ich im ersten Teile meiner Reise auftrat, aus meinem dermaligen Leichtsinne nicht dann und wann in den Tiefsinn zurückgetreten wäre, den ich aus meiner Bibliothek in Berlin mitnahm? Wirklich habe ich mir meinen Text um deswillen schwerer gemacht: denn ein ganz frivoles Buch zu schreiben, wäre eine ungleich leichtere Sache gewesen. Ich weiß zwar wohl, daß man es im gemeinen Leben leicht mit beiden Parteien verdirbt, wenn man sich jede derselben geneigt zu machen sucht, und es sollte mir sehr leid tun, wenn das hier der Fall wäre. Wenn ich mir jedoch nicht zu viel schmeichle, so hoffe ich, daß mein Hin- und Herschwanken die meisten in Ungewißheit lassen soll, auf welche Seite ich mich zuletzt hinneigen werde; – und da hätte ich nur zu sorgen; daß ich am Schlusse meiner Reise allen aus dem Gesichte käme, ohne daß sie wüßten, was aus mir geworden sei. Dunkelheiten – ist ein andrer Vorwurf, der wohl wahr sein muß, weil ihn mir viele meine Leser machen, und es die Klage aller meiner Rezensenten ist. – Ich weiß dagegen nichts zu sagen, als daß ich einen und den andern bitte, sie mir in dem Werke selbst en detail anzuzeigen: denn ein armer Autor, der, ohne es zu wissen, die Erläuterung davon im Sinne behält, kommt von selbst nimmermehr darauf. Wenn Sie also einmal mein Buch wieder zur Hand nehmen sollten, lieber Garve, so würden Sie mir einen wichtigen Dienst leisten, wenn Sie auch Ihren Bleistift dazu nähmen, und die Stellen und Ausdrücke anstrichen, die Ihnen unverständlich bleiben. In der skabrösesten Szene meiner Geschichte, dächte ich, wäre alles so ziemlich deutlich. Es muß wohl dem kraftvollsten Manne die Lust vergehen, wenn er in dem Augenblicke, da er sie zu befriedigen gedenkt, Phantome von der Art sieht, als um den Sofa des Reisenden schweben, – die Hölle mit allen ihren Attributen und in deren Mitte der Papst mit allen Schrecknissen der Seuche, die sich von seiner Regierung her datiert, und an die man in solchen Augenblicken schwerlich erinnert werden kann, ohne den Mut sinken zu lassen. O es gehört, glaube ich, weniger dazu, um einen denkenden Kopf drehend zu machen, wenn er seine Denkkraft in dieser animalischen Lage nicht beiseite zu legen versteht.

Ich komme nun zu Ihrer Kritik einiger einzelnen Stellen meines Gewebes, gegen die ich meine Verteidigung kurz und gut hersetzen will. Der Reisende kann immer, wie ich glaube und wie es sein Fall ist, über die Wahrheit der Unschuld und Frömmigkeit seiner Schöne noch schwanken: – genug, daß er sie als eine Heilige, als eine eifrig katholische Christin kennen lernt, die an die Unfehlbarkeit des Papstes – an die Lehre des Ablasses so gut glauben muß, als an jedes andere Dogma ihrer Religion; – genug. daß er Tags vorher schon gesehen und gehört hat, mit welcher Begierde sie nach der Reliquie des Strumpfbandes angelt, um daß er nicht ahnden sollte, wie gewiß die päpstliche Indulgenz und die Verheißung der restitutio in integrum seinem Wunsche beförderlich sein würden. Da der Reisende ihr nichts als die eignen Worte des Papstes vorliest, so kommt die Impertinenz, die darin liegt, allein auf die Rechnung dessen, der, nach katholischen Begriffen, Macht hat, Impertinenzen zu sagen und strafbare Handlungen zu entsündigen. Ob und in wie weit Clärchen den Sinn des Ablasses verstand, konnte dem Reisenden im Grunde ganz gleich sein: denn da sie einmal die Reliquie nicht aus der Hand lassen will, die Bedingungen des Handels mit der Erlaubnis des Papstes glücklich übereintreffen, und sie übrigens nicht lange Zeit hat, sich zu zieren und zu besinnen, weil sonst die zwei einzigen Tage vergehen würden, die dem Verkäufer und der Käuferin zu ihrem Tausche frei bleiben: – so ist, glaube ich, die Eile, mit der er zu Werke geht, hinlänglich motiviert. Auch holte er nicht, sondern sie, die Kasuisten zu Hilfe, und sie wählte aus übergroßer Sicherheit nur diejenigen, die ihr Gewissensrat, den sie selbst nicht sprechen durfte, gewöhnlich zitierte, fand darin ihre wenigen noch übrigen Zweifel gehoben, und sah nun mit innerm Vergnügen dem Besitze der Reliquie entgegen, der ihr über alles ging, und zwar nicht aus Antrieb der Wollust, sondern, wie der Reisende glauben mußte, der Frömmigkeit. Denn gesetzt auch, daß der Propst so vielen Aberglauben und Wollust vereinigte, daß er ihr nur die Kreuze malte, um ein Mädchen, das er für sich aufhob, für fremde Gefahr zu bewahren, so konnte doch wohl ein so junges eingezogenes und bewachtes Kind, als Clärchen dem Reisenden vorkam, wirklich aus Unbekanntschaft der weitern Zeremonien durch die Worte ihrer Lehrer sich so weit verleiten lassen, als hier nötig war, ohne daß sie Unrecht zu tun glaubte, – und der Reisende konnte ebensowohl, bei den verworrnen Begriffen, die er in der Sitten- und Tugend-Lehre der Katholiken überhaupt und der Avignonschen besonders, gewahr ward, mit seinen leidenschaftlichen Spekulationen in Ungewißheit geraten, ob sein Clärchen nur noch betrogen oder schon eine Betrügerin sei, – konnte eben deswegen durch die naive Darstellung ihres Schreckens bei Erscheinung des Teufels – ebenso leicht an den Glauben ihrer Unschuld zurückgebracht werden, als er davon abging. Was kann ein schönes, naives, geliebtes Mädchen einem solchen Schwächlinge in der Philosophie, als ich mich selbst male, nicht alles weiß machen! Meine Begriffe von weiblicher Tugend sind deshalb diesem Geschlechte nicht nachteilig. Es gibt freilich genug, die, aufs beste unterrichtet, die Unwissenden spielen, und einen Liebhaber um den andern damit anführen; es gibt aber auch – glauben Sie entweder meiner Erfahrung oder meiner Blindheit – Kinder genug, die es wirklich à l'age d'en faire noch so sehr sind, wenn sie den ersten Unterricht erhalten, als es Clärchen vorgibt. Ich weiß nicht, welche alte Dame dem Hofrat Zimmermann gestand, daß sie als Braut umsonst ihre Imagination aufgeboten habe, um sich das Glück ihrer ersten Nacht begreiflich zu machen, und, als sie in ihrem sechzehnten Jahre dazu gelangte, immer bei sich gedacht habe: n'est ce que cela? n'est ce que cela? Das war doch gewiß ein echtes Clärchen in der Natur. Der geschwinde Übergang des Reisenden von Liebe zur äußersten Verachtung scheint mir nicht weniger dem Übergange seiner Geliebten von Unbefangenheit, oder der Maske derselben – zu einem buhlerischen Gelächter – angemessen zu sein. Gegen den Champagner hält keine Scheinheiligkeit fest; – die plötzliche Veränderung, die der Wein bei Clärchen hervorbrachte, liegt in der Natur des Rausches, der veritatis amicus ist. Da der Reisende nicht selbst betrunken war, so hätte er mehr als Sophist – er hätte rasend sein müssen, wenn er sich länger hätte verblenden, noch länger schwanken können; und da nichts schneller in Verachtung übergeht, als getäuschte Liebe, so lassen sich sowohl daraus, als aus dem leichtsinnigen launischen Charakter des Betrogenen, die nachherigen Auftritte mit Herrn Fez recht gut erklären. Aus diesem launigen Charakter, in welchem sich der Reisende bei allen Gelegenheiten zeigt, fließt auch die, sonst unnötige Beredsamkeit seiner Verteidigungsrede. Sie kann immer für die Umstände zu hoch sein; genug, daß ihre Verfertigung dem Gefangenen einen einsamen Abend vertrieb, und, ohne daß sie in Avignon seiner Verteidigung etwas schaden konnte, seinem Freunde in Berlin, der darin die Ironie des Verfassers nicht verkennen wird, eine angenehme Lektüre gewährte. Wenn Sie sagen, daß sie am Ende doch den Richtern zu großen Staub in die Augen streut, so scheinen Sie vergessen zu haben, was es mit diesen Richtern für eine Beschaffenheit hat. – Der Propst, als der feinste Kopf unter ihnen, wird ja nicht überzeugt und soll es auch nicht, –er wird aber überstimmt von der wichtigen Person des Domherrn, von Clärchen und der Tante, die alle, schon durch das eigene Interesse, das für jeden davon in meinem Wunder liegt, auf meine Seite gebracht sind. Glauben Sie mir, lieber Garve, es ist die Geschichte aller möglichen Wunder. Ich will das meinige heute des Tags noch mit gleichem Glücke in Bayern verrichten, wenn Sie mich dort in dieselben Umstände versetzen können, die mir in Avignon beistanden. Daß der Propst den Betrug sehr gut eingesehen hat, und nachdem er den Verdruß davon überwunden, mich des Talents wegen, das er zur geistlichen Taschenspielerei in mir zu entdecken glaubte, sogar seiner Freundschaft würdig hält, zeigt sein Billett und ist der wahre Gang des Jesuitismus. Um die Abscheulichkeit und die Folgen desselben zu zeigen, wie ich mir in diesen dreien Teilen vornahm, konnte ich freilich unmöglich Rücksicht auf das andere Geschlecht nehmen, ohne mein Thema zu schwächen. Die Materie über die Sünden des Fleisches schien mir auch noch am ersten den scherzhaften Ton vertragen zu können, den ich in meiner Reisebeschreibung angenommen habe. Es gibt Grundsätze in der Moral der Jesuiten, z. B. über den Meuchelmord, über die Abtreibung der Leibesfrucht usw., gegen die ich allen Ernst hätte aufbieten müssen, wenn ich sie hätte berühren wollen. Ich blieb also wieder bei jenen stehen, die nur rot machen, warne ja selbst alle jungen Mädchen in meinem Buche, es nicht zu lesen und habe es meinen Töchtern zuerst verboten. Die Herrn Berliner haben sich, wie billig, ihres Landsmannes angenommen. In dem Oktoberstücke wird die Frage untersucht: ob die jetzigen Jesuiten von den ältern verschieden wären, und meiner dabei ehrenvoller erwähnt, als ich erwarten durfte.

Wäre es meinen Bestellungen nachgegangen, liebster Freund, so hätten Sie die neuen drei Teile eher, als jedermann, eher sogar, als ich selbst, erhalten. Ich hatte unserm Weiße aufgetragen, sie Ihnen sogleich zu schicken, wie sie aus der Presse kommen würden. Lassen Sie sich von ihm erzählen, warum es dennoch unterblieben ist, und dabei meinem guten Willen und der Ihnen schuldigen Attention Gerechtigkeit widerfahren. Ich schicke diesen Brief offen an Freund Weißen, dem ich eben zu schreiben im Begriff bin. Es wird ihm nicht mißfällig sein, daß ich seiner spitzigen Feder Gelegenheit gebe, meine schwache Verteidigung mit seinen boshaften Anmerkungen zu begleiten. Ewig der Ihrige.


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