Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Erster Teil  

        Die dunkle Wahrheit, Freund, die Dein beredter Mund
Mich ahnden ließ, seh' ich nun ganz erläutert!
Ich war nur krank im Traum; und fröhlich und gesund
Bin ich erwacht und sehe rund
Um mich herum die Welt mit Opernglanz erheitert,
Die ehmals lichterarm, gleich einem Puppenspiel
Mir widerlich ins Auge fiel.
In meinem Büchersaal verriegelt,
Sah ich schwermütig und erschlafft
Die Welten über mir mit Kraft
Und Tätigkeit und Mut beflügelt –
Sah unter mir die Würmchen aufgewiegelt
Zu einer kleinen Wanderschaft:
Ich gaffte mit gefärbter Brille
Das Spiel der Schöpfung an; mein Wille
War ohne Herrn – Kaum regte sich
Nur noch ein dumpf Gefühl von meiner morschen Hülle,
Mit welchem schwer belastet, ich
Ins traurige Gebiet der ernsten Todesstille
Aus dem Parterr hinüberschlich. –
Doch da erschienst Du, Freund, mit tröstender Gebärde,
Und widersetztest Dich der stolzen Übermacht
Des Hypochonders – sprachst: »Es werde!«
Und es ward hell in meiner Nacht –
Wie sorgsam hast Du nicht den fast erloschnen Dacht
Auf diesem großen Opferherde
Zu neuen Flammen angefacht!
Des Unmuts Nebel ist verflogen,
Der Essig meines Blut's versüßt,
Seit ich den Lerchen nachgezogen,
Und mich der freundlichste von allen Himmelsbogen
In Languedocs Gefilde schließt.
Am Quell des Lichts erwärmt, dünk' ich mich hier dem Auge
Der Vorsicht mehr genaht zu sein,
Und fühle mich entzückt und sauge
Den Äther der Verklärten ein.
Auf Blumen führen mich versuchte Zeitbetrüger
Von einer kleinen Lust zu einer größern hin.
Mich kümmert's nicht, ob ich seit gestern klüger –
Genug für mich, wenn ich vergnügter bin!
Kein Skrupel steigt mir auf – Ich stehle
Mich heimlich aus dem Kreis der Börhav' und der Bayle
Und ihrem Kriminalverhör,
Und achte nun des Körpers und der Seele
Berühmte Charlatans nicht mehr. –
Wer sagt es mir, was doch im Schalle
Des Posthorns – in dem mut'gen Knalle
Der Peitsche für ein Zauber liegt?
Hoch steigt mir jetzt die Welt, gleich einem Federballe,
Der im Zenith der Kinderjahre fliegt,
Und alles lacht mich an, und froh denk' ich mir alle
Mitlebende gleich mir vergnügt.
So wird der Wein, der ewig zu Madere
Gemeiner Wein geblieben wäre,
Zu dreimal besserm umgestimmt,
Wenn er als Fracht von einer Hemisphäre
Zur andern auf und niederschwimmt.

*

Ich kann mir nicht helfen – so demütigend auch das Geständnis für den Stolz des innern Menschen sein mag – so schwer es auch über die Lippen eines ausgemachten Philosophen gehen würde; dennoch sage ich es zur Ehre der Wahrheit und unverhohlen, daß ich nur dem Rütteln und Schütteln einer armseligen Postchaise den wieder erlangten Gebrauch meiner Seelenkräfte verdanke. Mit Hülfe eines Meilenmessers könnte ich genau die Entfernung, könnte genau auf der Postkarte jeden Punkt angeben, auf dem ich diese und jene gute Eigenschaft wiederfand, die mir, Gott weiß wie! nach und nach von der Hand gekommen war. Ich mußte sie freilich ziemlich einzeln zusammenlesen, und es verging manche liebe Stunde, ehe ich meinen Verlust ersetzt sah – mußte mich drehen und wenden und manche Lage versuchen, bevor ich in meine natürliche kam.

Ich verschloß meinen Wagen, wie die Zelle eines Karthäusers, als ich mich aus dem für mich so geräuschvollen Berlin rettete, und glaubte der Welt einen rechten Possen zu tun, daß ich meine Stors herabließ. Aber die Welt ging ihren Gang, und mir hingegen trat, mit jeder Station bis Leipzig, das Unbehagliche meines abgezogenen Lebens immer näher ans Herz. Johann besorgte von außen alles, was nötig war, seinen elenden Herrn weiterzubringen; und er wäre mit diesem unruhigen Geschäfte mir auch nur lästig an meiner Seite gewesen, so ein ehrlicher Kerl er auch sein mag. Schon die heitere Miene, mit der er bald die Wolken, bald die Schafe, die uns begegneten, anlächelte, schickte sich gar nicht in die Nachbarschaft meines Ernstes. Ich mußte einen Begleiter haben, der mir ähnelte, und ich hatte das Glück, im »Blauen Engel« einen auszufinden, der meinen Eigensinn, meinen Haß gegen Scherze und Liebkosungen, mein Stillschweigen, meine gerunzelte Stirne, ja sogar mein Asthma vollkommen in sich vereinigte. – Es wird Dir gewiß lieb zu hören sein, daß diesmal von keinem menschlichen Geschöpfe, sondern nur von einem Mopse die Rede ist, den ich für einige Taler erhandelte. Das arme Tier ward in meine Reise verflochten, ohne zu wissen, wie ihm geschah, und fand sich geschwind genug darein, denn wir hätten zusammen um die Welt reisen können, ohne daß einer dem andern in stärkerm Grade lästig geworden wäre, als es gerade zur Übung unserer gemeinschaftlichen Laune nötig war. Jetzt ist mir freilich der gute Mops nicht mehr so unentbehrlich: denn ein frohes, menschliches Auge weiß auch an untergeordneten Geschöpfen ihre hellen Farben und den Instinkt ihrer Freude zu schätzen und gibt einem mutigen Windspiele den Vorzug vor einem schnarchenden Mopse. Für meine Erinnerung indes behält er noch immer seinen Wert. Wie gern lächle ich manchmal in dem Gefühl meines Wohlbehagens dies treue Ebenbild meines vorigen Mißmuts an und schlage oft, wenn ich bei seinem Lager vorübergehe, dankbar meine Augen zum Himmel auf. Ursache genug, daß ich ihn beibehalte, um auch Gesellschafter meiner Rückreise zu sein.

*

»Wer ist denn der blühende Mann, der da vor mir in das Zimmer tritt?« fragte ich in Frankfurt den Wirt zum »Römischen Kaiser«, indem ich von seinen Leuten so behutsam wie zerbrechliche Ware ausgeladen ward, fragte mit so matter, hohlklingender Stimme, daß er für dringender hielt, meinem Tone als meiner Neugier zu antworten. »Ich will dafür sorgen, daß Sie neben ihm zu sitzen kommen,« sagte er, »es ist einer unserer geschicktesten Ärzte.«

In diesem kleinen Zufall lag es, daß ich dem Berufe seit acht Tagen zum erstenmal Gehör gab, in Gesellschaft von Menschen menschlich zu essen, denn bis jetzt war das Pulver des Grafen von Pilo, dieses herrliche Gegenmittel wider die Wechselfieber und die böse Luft, noch immer mein Frühstück geblieben. Mit dem Schlage der zehnten Morgenstunde, und hätte sie mich an dem steilsten Abhange eines Berges getroffen, ließ ich halten, um mit der Jungfer Steffens dem Steine, um eilf Uhr mit dem Freiherrn von Hirschen der Schwindsucht und zu Mittage mit dem berühmten d'Ailhaud der Gicht entgegen zu arbeiten, damit ich am Abend jeden Tages der Kraftbrühe des D. Kämpf desto würdiger sein möchte.

So regelmäßig hatte ich gelebt, um meine leibliche Gestalt, die sich zu Berlin schon durch ihr Ansehn überall Platz machte, unverändert nach Frankfurt zu bringen. Den Gästen, sobald ich in den Speisesaal trat, blieb der Bissen im Munde stecken. Sie rückten erschrocken zusammen und ließen mir und dem Arzte, an den ich mich anklammerte, eine ganze Seite des Tisches frei. Ich hingegen, da ich um mich her blickte, las in jedem Auge, welchen lächerlichen Kontrast die Blässe meines Gesichts mit dem Schimmer des seinigen darstellen mußte. Ich weiß nicht warum, aber länger konnte ich nun seine auszeichnende Röte nicht ohne Verdruß ansehen, und ich war drauf und dran, in meinen alten Irrtum zu verfallen, sie auch an ihm für die Leibfarbe der Ignoranz zu halten. Aber ein gewisses Vergnügen, das ich an der ganzen Gesellschaft bemerkte, unter seinen Augen zu essen, sprach so laut zu seinem Vorteile und hielt mich so lange von jedem gewagten Urteile über ihn zurück, bis er, ach! nur zu geschwind, sein eigner Verräter ward. Gewiß bin ich oft unwissendern Ärzten, als er war, in die Hände gefallen, aber einen größren Egoisten der Unmäßigkeit traf ich nie in ihrer Zunft. Alle Sinne dieses Schmeckers waren in das tierische Geschäft seiner Sättigung verwickelt. Seine Löwenaugen flogen von einer Schüssel zur andern und störten von ferne schon nach der Beute, die er mit geübten Händen den weniger aufmerksamen Gästen abzugewinnen wußte. Seine Kunst, so groß sie auch sein mochte, schien er mit seinem Hut an den Nagel gehenkt zu haben, die Medizin nur für eine Dienerin der Kochkunst und den Ruf eines Fabius Gurges höher zu halten als den eines Galens. Zur Mittagsstunde ist so ein Arzt das unbrauchbarste Geschöpf unter der Sonne. Auch mag es ihm Gott vergeben, was er an mir getan hat. Ich saß kleinmütig neben ihm und lauerte lange umsonst auf ein freiwilliges Almosen seiner Aufmerksamkeit, das ich mir endlich bei dem ersten müßigen Augenblicke seiner Zunge zu erbetteln beschloß.

Nach langem Harren erschien dieser günstige Zeitpunkt. Die erste Tracht Speisen ward abgehoben, und sogleich setze ich mich, während der kurzen Pause, da die zweite in Ordnung gestellt ward, in Positur, den bessern Teil des Schlemmers in mein Interesse zu ziehen. Vergebliche Hoffnung! denn wie ich eben den Mund öffnete, um ihm die Menge meiner Übel zur Schau zu legen, trug man als Hauptschüssel eine fette Gans auf, die der ganzen Gesellschaft Bewunderung und die entferntesten Gedanken des Doktors auf sich zog. Die Zerlegung des Vogels gab mir jetzt nur noch einen kurzen Zeitraum frei. – Ich faßte Herz, ergriff freundschaftlich die Hand meines Nachbars und glaubte durch die feine Wendung, die ich meinem Vortrage gab, mich seiner wenigstens so lange zu versichern, bis der Vorschneider fertig sein würde. »Der Zufall,« hob ich mit ungewisser Stimme an, »hat einen gefährlichen Kranken an die Seite eines berühmten Arztes gebracht – – Vermutlich kennen Sie, mein Herr, des Madai Traktat de morbis occultis? – dort ist meine Krankheit auf der siebenten Seite nach dem Leben geschildert – Aber warum sehen Sie mich so bedeutend an? Ich beschwöre Sie, teuerster Mann, gestehen Sie es nur aufrichtig, daß Sie ganz an meiner Genesung verzweifeln? – Sollte denn aber nicht durch eine noch strengere Diät, als ich schon halte, die materia pec– – –«

Aber Himmel, welch ein unerwartetes Schrecken unterbrach hier meine herzbrechende Periode und vergällte mir das Wort im Munde! Der grausame Arzt hatte mir bis dahin mit sichtbarem Erstaunen zugehört. Jetzt schob er, wie von Abscheu gegen meine Krankheit ergriffen, seinen Stuhl plötzlich zurück, wünschte mir, lakonisch wie der Unverstand, eine glückliche Reise, langte seinen Hut und – – solltest Du es glauben? – ließ die anlockende Gans im Stiche, indem er, wie der Geist Hamlets, verschwand. Welch ein betäubender Schlag! Ich glaubte von beiden Seiten meines nun ganz isolierten Stuhls in einen Abgrund zu blicken, und der schnelle Aufbruch des Arztes und sein ominöses: » Reisen Sie glücklich!« statt der entscheidenden Antwort, um die ich ihn anflehte, tönte mir nun in den Ohren, wie eine Abfertigung in die andere Welt . . .

Die traurige Gestalt meiner selbst, die ich immer in einem Spiegel vor mir sah, jagte mich vom Tische auf und sträubte mir das Haar noch, als ich atemlos mein Zimmer erreicht hatte. Zum Überfluß setzte die lang entwohnte Hitze eines beizenden Rheinweins, davon ich leider ein Glas getrunken hatte, meine Einbildungskraft in Feuer und Flammen. In jedem Pulsschlage glaubte ich die Tritte des herannahenden Todes zu hören, glaubte zu fühlen, wie sich schon ein Faden um den andern aus dem künstlichen Gebinde ablösete, an den hienieden meine Marionettenrolle geknüpft ist – verfiel darüber in den metaphysischen Unsinn – den unbrauchbarsten von allen – meinem eigenen Selbst bis auf die feine Endspitze nachzuschleichen, wo es sich für seine zwo Welten teilen würde – als etwas glücklicherweise dazwischen trat, das mich nötigte, mein großes Experiment zu verschieben – ein Dunst, der mehr wert ist als die hellste Betrachtung und in dessen Nebel ich immer Weisheit, Lebenskraft und Menschenwürde wiederfand, die ich oft in den aufgeklärtesten Versammlungen verlor; aber gütiger hatte er seit den Jahren meiner Kindheit nicht auf meinen Augenlidern geruht als diesmal, und der Gedanke: »Habe Mut zu leben, eile in die Arme der Natur zurück,« herrschte durch mein ganzes Wesen, als ich mit der Morgenröte erwachte. –

*

Wie viele Schleifwege zu dem menschlichen Herzen stehn nicht dem Unmute offen! Er springt über Dämme und Hecken und wirft alle Bollwerke über den Haufen; da hingegen die Freude mit ihrem bescheidenen Gefolge auf der gebahntesten Straße und überall anstößt, durch jedes »Wer da?« erschreckt und, ach wie oft! schon durch einen Schatten verscheucht wird. Die frohen Empfindungen, die vergangene Nacht bei mir einkehrten, verweilten kaum noch die Stunde des Frühstücks über, und ehe ich mich versah, waren sie schon über alle Berge. Mit so seltenen Gästen, die einen noch darzu unvermutet überraschen, weiß man sich immer nicht recht zu benehmen. Ich erschrak, als ich mein Nest wieder so leer fand; die Alltagswirtschaft nahm ihren alten Gang, und ich weiß Dir nichts weiter zu sagen, als daß wohl noch nie so runzlichte Gesichter durch die Bergstraße gefahren sind, als ich und mein Mops diesen Abend mit nach Heidelberg brachten.

Laß Dir, wenn Du willst, die anmutige Lage dieser Stadt von andern Reisenden vormalen. Ich hatte keinen Sinn für ihre Reize, und in dem Wirtshause, das mich aufnahm, ging es mir, wie es der Freude bei mir ging. Der Hausherr gefiel mir nicht – seine Zimmer waren staubicht – sein Bette war mir zu hart, und seine Sprache beleidigte meine Ohren. Ich träumte die ganze Nacht durch nur von dem glücklichen Morgen, wo ich diesen Ort verlassen würde: und diese Erwartung war bis zur Fieberbewegung gestiegen, als dieser Morgen erschien.

Wie viel oder wenig ich damit gewann, und ob es ein Kunstwort gibt, das alle die widrigen Gefühle ausdrückt, die mich nach Bruchsal begleiteten, mag ich jetzt nicht untersuchen. Genug, damals glaubte ich es aus dem Munde eines Arztes zu hören, der nicht weit von der Post über den Kreis vieler Hülfsbedürftigen hervorragte, denen er seine Wissenschaft und Erfahrung in gemeinnütziger Beredsamkeit preisgab. Ich glaubte der Überzeugung, die er mir einflößte, daß die Krankheit, gegen die er eben sympathetische Tropfen feilbot, nach allen Teilen ihrer fürchterlichen Beschreibung die meinige sei, und nun drängte ich mich durch meine Mitbrüder hindurch, pflanzte mich gerade vor seinen Thron und sperrte, wie andere, das Maul auf. Das war auch ein ganz anderer Mann als der Hausarzt des »Römischen Kaisers«, der mir gestern ein so mächtiges Schrecken einjagte.

Ein Zepter in der Hand, um das zwo Schlangen krochen,
Saß dieser Ehrenmann auf einem Thron von Knochen,
Wie das Symbol der Medizin.
Ich, hub er an, (was er zuvor gesprochen,
Erfuhr ich leider nicht) ich komme von Berlin.
Den Zahn, den ihr hier seht, hab' ich vor wenig Wochen –
Friedrich dem Einzigen hab' ich ihn ausgebrochen,
Und gnadenvoll schenkt' er mir ihn.
Bei groß und klein – Gott sei's gedankt! – gelitten, –
Hätt' ich nur Hände g'nug, – sucht man mich überall.
Seht, zum Beweis, wohin ein Mann von Sitten
Nicht dringen kann, hier das Original
Der Hornkluft, die ich einst in dem Eskurial
Der schönen Io Karls des DrittenSiehe des Königs von Preußen Gedicht, Codicille, in den Œuvres posthumes de Frederic II. Tom. 8 pag. 125.
Cet autre est occupé d'une genisse blanche
En lui pressant le sein.
,
(Sobald ich mich durch die gedrängte Zahl
Der Neider meines Glücks gestritten)
In drei Minuten ausgeschnitten.
Den Tag nach dieser Kur erhielt ich das Diplom,
Das ihr hier glänzen seht, als Leibarzt und als Ritter,
Und so bewährte sich mein altes Axiom: –
Oft schwellt die Pfütze selbst zum Strom
In einem nächtlichen Gewitter:
Nicht immer geht die Kunst nach Brot.
Doch, daß wir nicht einander mißverstehen,
So hört: Ich bin mit Panaceen
Der neusten Art, mit Mitteln, seinem Tod,
So Gott will, aus dem Weg zu gehen –
Sagt nur, was ihr bedürft – ich bin damit versehen;
Doch kaufet in der Zeit, so habt ihr's in der Not;
Kauft! denn das nächste Morgenrot
Sieht mein Panier in Straßburg wehen,
Wohin mich mein Patron, der Kardinal, entbot.

*

Spottet nicht, ihr glücklichen Gesunden . . . und vergebt es . . . meinem Scharfsinne, der unter der Husarenmaske dieses Arztes einen Gesandten Gottes entdeckte, der mir in meinen angstvollen Augenblicken zu Hülfe kam, mir für zwei armselige Goldstücke eine Flasche seiner unbezahlbaren Tinktur verhandelte und seine Adresse obendrein gab. Mit welchem Vertrauen verschluckte ich den ersten Löffel davon, den er mir aus herablassender Güte mit eigenen Händen eintropfte! »Sie werden in einen ruhigen Schlaf fallen,« sagte der liebe Mann, »lassen Sie aber ja Ihren Bedienten Acht haben, daß Sie nichts in der Wirkung meines Hülfsmittels störe.« –

Jener große König von Frankreich – sein Name fällt mir nicht bei –, dem sein Beichtvater vor Notarius und Zeugen und mit Verpfändung seiner eigenen Seligkeit schriftlich versprechen mußte, ihm durch seine Tausendkünste in den Schoß Abrahams zu verhelfen, konnte nicht mit so vieler Zuversicht aus der Welt gehen, als ich nach dem Genusse der sympathetischen Tropfen meinen Weg fortsetzte. Und siehe, es geschah mir, was der große Mann verhieß! Ich verfiel zur bestimmten Zeit in einen wahren Zauberschlaf. Für ein doppeltes Trinkgeld hatte mir der Postillon angelobt, weder sein Horn noch seine Peitsche zu brauchen. Die Pferde schienen ganz die glückliche Ruhe zu fühlen, die ihnen heute, wahrscheinlich zum ersten Male, zuteil ward – krochen wie die Schnecken über den Sand – und ich und mein Mops schnarchten um die Wette.

Wie soll ich Dir aber jetzt meinen Verdruß beschreiben, als ich nach einem vierstündigen Schlummer so ganz wider das Verbot meines Arztes von einem ungestümen Reisenden aufgeschreckt wurde, der mit seiner Chaise gerade vor der meinigen hielt und auch meinem Führer zu halten befahl. »Darf ich fragen, mein Herr,« schlug mir seine Stimme an die Ohren, »wohin Ihre Route geht?« Ich fuhr zitternd in die Höhe, rieb mir die Augen und stotterte wie ein Schleichhändler vor einer preußischen Schildwache: »Nach der Provence, mein Herr.« – »Aber für jetzt?« unterbrach er mich, »doch wohl nach Karlsruh?« – Ich bejahte es mit einem höchst verdrüßlichen Kopfnicken, da mir der Aufruhr gar nicht gefiel, den seine Zudringlichkeit verursachte. – »So haben Sie wohl die Güte,« fuhr er fort, »da Sie einen Sitz frei haben« – zum ersten Male sprang hier mein geduckter Reisegefährte auf und bellte auf ihn zu, als ob er ihn verstanden hätte – »ein armes ermüdetes Mädchen« – (indem stieg so etwas aus dem Wagen) »bis dahin zu ihrer Mutter mitzunehmen. Denken Sie nur, mein Herr, das arme Kind hatte sich diese Nacht im Walde verirrt. Ich war glücklich genug, auf sie zu treffen und sie zu retten – doch erlauben mir meine Geschäfte keinen weitern Umweg.«

Eine solche Zumutung an einen eigensinnigen Kranken, der noch dazu in seinem teuer bezahlten Schlafe gestört wird, konnte unmöglich ihr Glück machen. Überdies glaubte ich, so schlaftrunken ich war, aus der Lage ihres seidenen Mantels zu bemerken, daß sie wohl länger als vergangene Nacht ihrer Mutter aus dem Gesichte gekommen sein müsse. Sie schlug ganz artig beschämt ihre Augen vor den peinlichen Fragen der meinigen nieder und lauerte in ängstlicher Erwartung auf meinen Entschluß. Wie viel traf nicht zusammen, mein Herz gegen die arme Verirrte zu verschließen! Ich räusperte mich, und als ich meiner Stimme gewiß war, sagte ich ihr mit deutlichen Worten: »Aus diesem Vorschlage, mein liebes Kind, wird nichts.«

»Bist du, von deiner Mutter fern,
In jenen Stunden nicht verschmachtet,
Die du mit einem jungen Herrn
In einem Walde übernachtet;
So werde dir, im Übergang
Zur Mutter, auch die Zeit nicht lang!
Geh, geh, der Himmel wird dir helfen
Kraft deines freundlichen Gesichts:
Und wimmelte der Weg von Wölfen,
So wackern Jungfern tun sie nichts.«

Ich legte auf die letzten Worte einen solchen Nachdruck und begleitete sie mit einem so bedeutenden Blicke, daß sie mir sogleich aus dem Wege trat. Der Fremde selbst erwiderte keine Silbe aus meine abschlägliche Antwort, setzte sich, ohne sich weiter um seine Pflegetochter zu bekümmern, in seinem Wagen zurechte, zog seinen Hut gegen mich und rollte davon. – Toll und böse über eine so ungelegene Erscheinung und voller Angst über die möglichen schlimmen Folgen meines Erwachens, hob ich nun den Befehl auf, der meinem Führer bis jetzt die Hände band. – Sein Horn schmetterte nun desto volltönender – seine Peitsche wütete jetzt nach langer Untätigkeit desto heftiger, das geträumte Glück der armen Pferde war verschwunden, und ich gewann dadurch so viel, daß ich mein grämliches Gesicht wenigstens eine Stunde früher nach Karlsruh brachte, als vermutlich die freundliche Schöne das ihrige . . .

*

Kein Deutscher kann wohl aus dem badenschen in das französische Gebiet treten, ohne eine gewisse Achtung für sein Vaterland mit hinüberzunehmen, ob er gleich klug handeln wird, wenn er diese frohe Empfindung nicht weniger zu verbergen sucht als jede andere kontrebande Ware, deren er sich etwan bewußt ist. Ich schärfte mir diese Vorsicht ein, sobald mir auf der letzten Poststation zu Kehl vier Rappen vorgespannt wurden, aus denen dieselbe Empfindung zu wiehern schien.

Dieser kleine Ort steht diesseits und jenseits des Rheins in einem etwas zweideutigen Rufe, der ihm übrigens, gleich einer hübschen Dirne, ohne daß die Liebhaber sich durch ihr bescheidenes, unschuldiges Gesicht irre machen lassen, vortrefflich zu seinem Gewerbe dient . . .

. . . Dafür fühlte ich aber auch meine Galle über und über ergossen, als ich in dem Hotel [in Straßburg] anlangte, das man mir zu Karlsruh empfahl. Mein Eigensinn (warum sollte ich das Kind nicht bei seinem rechten Namen nennen?) hätte nach der billigsten Moral einen tüchtigen Verweis verdient. – Ich hatte aber diesmal nicht nötig, mir selbst diese Mühe zu geben – die Belehrung, die ich eben brauchte, war mir näher, als ich vermuten konnte. –

»Mein Gott!« sagte ich mit Bitterkeit zu dem Wirte, »das soll der beste Gasthof der Stadt sein?« und schlenderte, als er mich in mein Zimmer führte, mit solchem Groll und Mißtrauen hinter ihm her, als stände der gute Mann mit meinem politischen Rechenmeister am Tore in den engsten Verhältnissen. Das Zimmer war wenigstens um zehn Teile geräumiger als mein Wagenkasten, den ich eben verließ, und doch erklärte ich dem Wirt ohne Umschweife, daß ich in einem so engen Behälter nicht dauern könnte, daß ich meine Suppe in dem größten Speisesaale essen wollte, der im Hause sei, und ließ mich dahin führen.

Ich hoffte daselbst alleine zu sein; denn der Mittag, der nur Hungrige hier versammelt, und den ich leider ohne Hunger so schändlich in der Gesellschaft der Zöllner verlebte, war nun vorüber: aber ich fand noch zwei reisende Freunde, die vertraulich in der Wölbung eines Fensters saßen und sich durch meinen Eintritt in dem Fortgange ihres Gesprächs nicht stören ließen. Ich wollte meine Suppe in Ruhe essen. – Aber wenn sich zwo Seelen neben dir ergießen, läßt sich da wohl ein Bissen ruhig in den Mund bringen? Sie zogen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich, und waren es gleich nur Bruchstücke, die sie mir zugute gaben, so waren sie doch mehr als hinlänglich für mein gegenwärtiges Bedürfnis . . .

»Wie dauern mich,« fuhr der eine fort, »die sechs Monate von meinem Leben, die ich an diesem Fürstenhofe in einer Ehrenstelle verloren habe, wo keine Ehre zu ernten war. Die Seele eines Jünglings zu bewachen, in der nichts weder ein- noch ausgeht, ist das mißlichste Handwerk für einen denkenden Menschen, eine geistige Schildwache in dem leeren Raume. Wie habe ich alle meine Sehkraft aufgeboten, um nur einen vorübergehenden Schatten zu entdecken, der mir das Dasein irgendeiner wirklichen Größe verraten könnte. Aber umsonst. Ich übernahm mein Gewehr von einem, der gähnend davonschlich, ich übergab es gähnend einem Dritten, und wir alle verlassen den Posten, ohne Freund oder Feind gesehen zu haben. Oh, des unglücklichen Jünglings! Zu schwer liegt die Stunde seiner Erzeugung auf ihm. Keine Pflege kann das Samenkorn aufrichten, das einmal unter dem tötenden Einflusse widriger Witterung ausgestreut wurde; und ein menschenfeindlicher Vater erzeugt sich gewiß eine taube Hülse in seinem Sohne.«

Seinem Freunde kam diese Schlußfolge so dunkel und sonderbar vor als mir. Er erbat sich eine nähere Erläuterung seines abgebrochenen Satzes: und nun stellte der philosophische Fremde das Gemälde eines milzsüchtigen Fürsten auf, das nicht geschmeichelt war, mich auf eine ungewöhnliche Art erschütterte, und in welchem Züge vorkamen – – – Doch du magst selbst urteilen, welche es waren, die mir Herzklopfen erregten und mir das Blut in das Gesicht trieben.

»Wie kann der«, fuhr der Maler fort, »Urheber eines markigen und in sich glücklichen Menschen, eines Pitt, eines Washington, eines Haller, eines Friedrich werden, dessen Herz keine von den Neigungen nährt, die den Saft des Lebens, den jeder seiner Pulsschläge ausströmt, läutern und versüßen? Ein so murrsinniger Mann, wie der Vater meines Zöglings, ist in der moralischen Welt, was ein Gichtbrüchiger in der physischen ist, für das Wohl des Ganzen untauglich zur Fortpflanzung. Der eine betrügt die Nachwelt mit lahmen Körpern, der andere mit Krüppeln an Geist. Glaube es meiner Erfahrung, Freund: dieser Schnupfen der Seele, den man viel zu gelinde üble Laune nennt, verbreitet sich über alles, was der Angesteckte berührt, begleitet ihn zu seinen Geschäften, hinkt neben ihm auf seinen Spaziergängen und verlöscht die lauterste Flamme der geheiligten Liebe in seinen ehelichen Umarmungen. Die es gut mit der Menschheit meinen, sollten diese schleichende, jetzt so sehr um sich greifende Krankheit mit aller Macht der Moral und Erziehung aus der Welt zu bannen suchen, wie die Ärzte die Blattern, denn es gibt keine, die den Kranken unglücklicher macht und der allgemeinen Freude nachteiliger und fortwirkender auf die Nachkommenschaft wäre als diese . . .

»Oh, wie hat meine freie Schweizerseele mit dem Gegendrucke des Murrsinns dieses unglücklichen Fürsten gekämpft. Wie gerne hätte ich oft in der Beklemmung meines Herzens einen Tag meines dortigen Lebens nur um einen Atemzug auf unsern Alpen gegeben, um jene stärkende Luft, die die Brust erweitert und zu edeln Taten fest macht. Wie werde ich mich deiner wieder freuen, gesunde, unverdorbene Natur. Mit welchem Bedacht werde ich jetzt die Süßigkeit Einer Stunde einschlürfen, um jene verlornen Tage wieder einzubringen. Mein kleines Feld mit dem Amphitheater jener Gebirge umringt, die durch freien Genuß auch mir gehören werden! Mein freundlicher Bach, meine Büschchen, und ihr, ihr Bewohner friedlicher Hütten! Welch ein Schlag von Menschen gegen jene, die ich jetzt hinter mir sehe. – Doch, Freund, laß uns gehen, es ist angespannt.«

*


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