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Sobald wir zu Hause beisammen waren, setzten wir uns mit gleicher Eßlust zu Tische, die Kleine ausgenommen, der vor übergroßer Neugier, mit der sie auch ihre Tante angesteckt hatte, kein Bissen schmecken wollte. Nun war aber, wie Du mir leicht glauben wirst, meine Geschichte keine von denen, an die man sich gern erinnern läßt – die Zudringlichkeit der kleinen Närrin war mir daher auch nicht sonderlich angenehm. – Gern wäre ich ihres Examens überhoben gewesen; aber daran war nicht zu denken. So lange wir zwar vor der Schüssel saßen, wies sie der Vetter gleich bei der ersten tollen Frage, wie er es nannte, zur Ruhe; doch kaum waren wir aufgestanden und der Bauer und seine Frau an ihre kleinen Geschäfte gegangen, so saß mir das schmeichelnde Geschöpf auch schon zur Seite; und, indem sie mir warme Umschläge auf die Stirn legte und mit ihren Händchen andrückte, lispelte sie mir mit mitleidigem Ernste zu, ohne im geringsten zu argwohnen, wie grausam sie mich persiflierte: »Also haben Sie wirklich dem Strauchdiebe, dem Amor begegnet? Mein Gott, wie müssen Sie erschrocken sein! War der Stein groß, den er nach Ihnen warf? und wie haben Sie es angefangen, daß Sie ihm noch lebendig entkommen sind? Erzählen Sie mir alles, aber so genau, so umständlich als möglich.«
»Margot,« sagte ich, um meinen Herzstichen mit einemmal ein Ende zu machen, »das ist mit zwei Worten zu erzählen. – Ich sah den Unhold, vor dem ich dich gestern warnte, doch nur von weitem – faßte das Herz – (bei dir würde es Verwegenheit sein) – ihm nachzueilen – glaubte ihn schon zu ergreifen, stieß mich aus blinder Hitze an den Baum, hinter den er sich steckte – die Beule siehst du, die ich mir schlug – und wie ich mich umsah, war er entwischt.«
»Entwischt?« wiederholte sie: – »Nun, das ist mir Ihretwegen recht lieb. – Es ist immer das sicherste, wenn man nicht selbst laufen will. – Was gehen Ihnen«, setzte der kleine Naseweis hinzu, – »unsere Buschklepper an? und was hätten Sie in aller Welt mit diesem anfangen wollen – gesetzt Sie hätten ihn nun auch erhascht? – Wollten Sie ihm seinen Prozeß machen? Dazu ist unsere Gemeinde zu arm.«
»Du hast recht, meine kluge Margot,« antwortete ich so ernsthaft, als es mir möglich war: »Es mag wohl eine Übereilung von mir gewesen sein – deswegen tust du mir auch den Gefallen, nicht viel weiter davon zu schwatzen. – Aber ich dächte, liebes Mädchen,« – indem ich sie scharf in die Augen faßte – »du wärest seit gestern und heute viel neugieriger, viel furchtsamer und auch viel teilnehmender geworden, als ich dich bisher gekannt habe?«
Eine schnelle Röte – ich stehe nicht dafür, Eduard, ob nicht der Grund davon in dem Bewußtsein zu suchen war, das ihr von ihrer ersten unruhigen Nacht zurück blieb – überzog das Engelsgesichtchen, und kontrastierte allerliebst zu ihrer sichtbaren Verwunderung über meine unvermutete Frage. Beinahe hätte mich meine kleine Leichtfertigkeit gereut. – Indes gewann ich doch so viel damit, daß sie ihr neugieriges Gespräch vermutlich in der Voraussetzung abbrach, daß ich auch dafür das meinige nicht fortsetzen würde.
Unter diesem stillschweigenden Vertrage, den jedes auf das heiligste erfüllte, erreichten wir in gewöhnlicher guter Laune den Abend. Ich suchte zeitig mein Bette, aus eigenem Triebe sowohl, als auch um meinen Freunden, die nicht weniger ermüdet zu sein schienen, die Freiheit zu verschaffen, das ihrige zu suchen.
*
Schon hatte ich mein summendes Haupt in das Kissen gehüllt, und sah den friedlichen Schlaf sich nähern – als das Schicksal, das mich heute zu seinem Ball ausersehen zu haben schien, mir noch eine ebenso unerwartete als harte Prüfungsstunde in den Weg warf. Das mitleidige Kind hatte mit Hülfe Johanns dürre Kräuter von dem Oberboden geholt, die sie zur Bähung meiner Wunde für dienlich hielt, und die ihr noch beifielen, wie sie eben in das Bette steigen wollte. Das hielt sie nicht ab, in bloßen Füßen und ohne Licht darnach zu gehen. – Johann hatte Feuer anfachen müssen, um den Wein warm zu machen, in welchem die Kräuter gebeizt wurden, und auf einmal trat das gute Mädchen leise vor mein Bette, schlug die rauchende Masse in ihr Halstuch, das sie abtat, um es mir um die Stirne zu binden. –
»Kind,« sagte ich, »was beginnst du? – Du machst dir eine unnötige Mühe.«
»Das dächte ich doch nicht,« antwortete sie spöttelnd: »Oder denken Sie etwa, daß Ihnen Ihre blaue Stirne gut steht?« Zugleich bog sie sich über mein Bette, legte mir das Tuch an, und indem sie es zusammenknüpfen wollte, geschah es, daß durch die Richtung, in die ich jetzt, des Knotens wegen, nach ihr hingezogen ward, mein Gesicht auf den schönsten jugendlichsten Busen zu ruhen kam, der wohl je unter den Küssen eines Mannes gezittert hat.
Welche geheime magische Verkettung aller Dinge! So erzeugte meine Morgenschwärmerei für den ruhigen Abend eine Wirklichkeit, deren Keim ich nimmermehr in dem unsanften Augenblicke würde geahndet haben, der mir heute die Stirne zerstieß. –
»O Margot,« flüsterte ich ihr zu, indem ich nicht widerstehen konnte, meine Arme um den schlanken Wuchs dieses lieblichen Mädchens zu schlagen. – »Du – oh, um wie viel rührender könntest du meine Schmerzen zerteilen – verjagen – in Entzücken verwandeln!«
»So sagen Sie doch nur wodurch?« flüsterte sie mir entgegen, ohne mir nur einen Grad der wohltätigen Wärme zu entziehen, die mir meine glückliche Lage verschaffte.
»Oh du,« – fuhr ich nach einer, der höchsten Empfindung gegönnten Pause, in schmelzender Zärtlichkeit fort: »wie soll ich dich nennen, Kind der unverfälschten Natur? – Oh, wüßtest du, meine Margot, das ganze Geheimnis dieser Wunde, die schönste Beute, die ich jemals dem Amor abjagte! – Oh, möchtest du jetzt den Kampf meines Morgens belohnen! Ja ich sehe schon meine Athletenkrone mit den blühendsten Sprößlingen durchflochten, die je das Mitleid der Liebe gereicht hat.« – Und das leichte, geschmeidige, ätherische Wesen, das während dieser Hymne unter der Federkraft meiner Arme unmerklich immer höher und höher bis über den Schwerpunkt gehoben, halb über mir schwebte – sank jetzt – der Engel sank – tiefer – immer tiefer – endlich zu mir herab – und nun erst erschrak ich vor dem Glanz seiner Würde.
Es war nicht das erstemal, Eduard, daß der feine Betrug, den jede symbolische Sprache mit sich führet, mir einen Streich spielte – aber nie vereinigten sich mehr Umstände, die eine Bildersprache gefährlich machen können, als in diesem kritischen Augenblicke. Unschuld und Mitleiden kamen ihrem geheimen Sinne zu Hülfe – Amor war uns kein Ideal aus der Chimärenwelt, so wenig als es die Beule war, die er mir auf die Stirn drückte, als ich seiner Gottheit zu menschlich entgegen strebte. Zu Athen hätte mir dieses sichtbare Kampfmal ebenso gewiß Ruhm und Almosen verschafft, als dem heiligen Franz seine Stigmen, die ihn vor andern subalternen Menschen auszeichneten.
Dies Gefühl meiner Erhabenheit, und die der Andacht ähnliche Duldung des gefälligen Kindes, wie weit hätten sie uns nicht verschlagen können! Margot, ich bin es gewiß, würde in dem süßen Gedanken meiner Linderung – so unbefangen, wie sie das seidene Halstuch ablegte, um es mir um die Schläfe zu winden – mit derselben verdachtlosen Güte, mit der sie mir den freien Gebrauch ihrer natürlichen Wärme verstattete – auch ebenso teilnehmend jene mystischen Sprößlinge, von denen sie mich lallen hörte – in meinen Athletenkranz verflochten haben, ohne es für etwas viel mehr als ein einfaches Hausmittel zu halten. Aber auf Margots Busen selbst unternahm ich es, meine figürlichen Wünsche, meine sublimen Tropen – in gutes derbes Deutsch zu übersetzen; und da brachte ich zu meinem eigenen Erstaunen einen Sinn heraus, vor dem ich erschrak.
Wie ein Verbrecher, der, durch den Glauben beruhigt, daß der Teufel sein Spiel mit ihm getrieben habe, vor die Schranken trat – sie jetzt in Verzweiflung verläßt, nachdem der Richter dem verräterischen Sprichworte seine symbolische Decke abzog – so zitterte auch ich vor mir selbst, und die Wahrheit gewann.
»Ich danke dir, Margot,« sagte ich mit männlicher Stimme, indem ich meine Umarmung aufhob und ihr wieder auf die Beine half – »für dein Mitleid – deine Umschläge und deine natürliche Wärme. – Sie tut mir wohl, aber die Ruhe wird mir noch besser tun. – Lege dich nun auch schlafen. Morgen will ich dir dein Halstuch wieder geben.«
Indem gleitete der sanfte Strahl des aufgehenden Mondes über mein Bette. – Unter seiner Erleuchtung entfernte sich Margot mit ihrer ganzen herrlichen Unschuld – und ich – mag doch der ganze Hof von Berlin über mich lachen – dünkte mich größer als Scipio – und hatte eine ruhige Nacht.
*
Den 29. Dezember
Gottlob! Meine Stirn ist von dem Schandflecke von gestern geheilt. Ich verließ, heiteren Gemüts, mein Lager, setzte mich sogleich an meinen Schreibtisch und vertraute, ohne Erröten, die Geschichte meines vorigen Tags meinem Journale.
Wie ich damit fertig war, verließ ich meinen Verschlag, suchte das gutmütige Mädchen auf und gab ihr mit freundlicher, offener Miene, und vor den Augen ihrer Verwandten, das Halstuch zurück, das sie mir auf eine Nacht geborgt hatte. – Aber ich weiß nicht – sie kommen mir alle heute ein wenig betreten vor. – Sollte ihnen eine Unannehmlichkeit zugestoßen sein? Das sollte mir leid tun. – Sie scheinen sogar mich vermeiden zu wollen, gehen vor das Haus und flüstern zusammen, das ich gar nicht an ihnen gewohnt bin. Was mich aber am meisten verschnupft, ist – auch die kleine Margot hat Herzklopfen, ohne mir Rechenschaft davon zu geben. In solchen Augenblicken muß man seinen Freunden Platz machen – doch kann mich das Mädchen heute wohl begleiten.
Ich hatte meinen Hut und Stock mit Geräusch aus dem Verschlage geholt, stäubte den einen ab und besah so genau den andern, als ob ich noch kein Eichenholz in meinem Leben gesehen hätte: aber es half alles nichts. Margot bezeigte heute keine Lust mitzugehen und blieb unbeweglich in ihrer Ecke sitzen. Ich reichte ihr die Hand im Vorbeigehen, die sie mit einer Rührung drückte, die mir an das Herz ging. »Was beginnen doch diese Kinder zusammen?« dachte ich und verließ sie ganz betroffen. Johann folgte meinem Beispiele und gab mir dadurch eine neue Gelegenheit, seinen feinen Takt zu bewundern. Ich winkte ihm, mir zu folgen, und so erstiegen wir beide, jeder seine Gedanken für sich, den Gipfel des wohlbekannten Berges.
Hier setzte ich mich und ließ meinen Augen die Freiheit. Johann stand neben mir und schien, wie ich, in der Bewunderung der herrlichen Aussicht verloren. »Mein Herr,« unterbrach er endlich die Stille – »Sie können gut in die Ferne sehen. – – Entdecken Sie wohl dort, gleich neben dem kleinen Gebüsche – einen ganz schmal zugespitzten Turm?«
Ich sah hin, konnte aber nichts erkennen. –
»So muß ich doch«, fuhr er fort, »noch bessere Augen haben als Sie. Wissen Sie wohl, daß der Turm zu dem Dorfe gehöret, wo Margot her ist?« –
»So!« – antwortete ich darauf und sah noch einmal hin.
Nach einer kleinen Pause fing er wieder an: »Es soll ein ganz nahrhafter Ort sein.« –
Ich drehte mich nach ihm um, und da stand er mit gefaltenen Händen und blaß wie ein armer Sünder vor mir.
»Was fehlt dir, Johann?« fragte ich hastig. – Und nun kam etwas an den Tag, das mich so lebhaft an einen Vorfall erinnerte, der lange vor meiner Geburt einem Professor der Physik zu WürzburgDr. Johann Bartholomäus Adam Beringer, Rat und Hofmedikus des Fürsten-Bischofs von Würzburg, Professor, d. Z. Dekanus und Senior der Universität daselbst. Sein Werk führt den Titel: »Lithogrophiae Wirceburgensis, ducentis lapidum figuratorum, a potiori insectiformium, prodigiosis imaginibus exornatae specimen etc. Wirceb. 1726. begegnete, daß ich der Lust nicht widerstehen kann, ihn Dir als einen brauchbaren Übergang in das Folgende und als einen Beweis zu erzählen, daß auch die abgeklärtesten Köpfe einmal in ihrem Leben in den Fall kommen können, hintergangen zu werden.
Dieser gelehrte Mann also sammelte Naturalien und hatte das besondere Glück, eine Sandgrube ausfündig zu machen, die unglaublich reich an den seltensten Versteinerungen war. Stelle dir sein Vergnügen vor, wenn er nach jedem heimlichen Besuche derselben alle Säcke mit Kabinettsstücken gefüllt zurückbrachte! Auch wuchs seine Sammlung in kurzem zu einem Reichtume an, der alle andere in diesem Fache verdunkelte und ihm den sehr natürlichen Gedanken eingab, in einem gelehrten Werke seine glücklichen Entdeckungen – und durch beigefügte deutliche Abbildungen den ganzen Wert dieser Kostbarkeiten der Welt bekannt zu machen, sicher, das Erstaunen aller Kenner dadurch zu erregen. – »Er habe«, sagte er sehr bescheiden, »diese natürlichen Wunder – diese so deutlich in Sandstein verwandelten Vögel und Frösche, Eidechsen, Fledermäuse und menschlichen Glieder, unmittelbar aus den Händen der Natur erhalten, sie selbst in den glücklichsten Stunden seines Lebens ausgegraben und auf ihre in Kupfer gebrachten Abzeichnungen die gewissenhafteste Sorgfalt verwendet.«
Es tut einem selbst wohl, wenn man den gelehrten Mann so von Selbstzufriedenheit strotzen sieht, und es ist gewiß, daß nichts der verdienten Ehre seiner mühsamen Entdeckungen einigen Abbruch tun konnte, als der kleine Umstand, den er erfuhr, als eben der letzte Bogen seines tiefsinnigen Werkes unter der Presse war: daß nämlich – zwar nicht die bildende Natur selbst, aber doch ein Freund derselben, Urheber aller der vorbeschriebenen Seltenheiten sei. In schalkhafter Laune hatte einer seiner Kollegen, der freilich nicht die Folgen voraussah, alle jene Dinge von einem gemeinen Steinmetz fertigen lassen und sie allemal den Abend vorher dahin vergraben, wo er schon wußte, daß der Professor sie den Morgen darauf suchen und finden würde.
Wie die erste Wut über einen so unzeitigen Spaß – die ich Dir selbst überlasse, sie Dir in ihrem ganzen Umfange vorzustellen – ein wenig verkühlt war, er sich nun genug abgehärmt und ausgeschämt hatte, so faßte er den besten Entschluß, der ihm übrig blieb, um einesteils seinen einmal gedruckten, teuern Folianten noch einigermaßen für Bibliotheken nützlich zu machen, andernteils um nicht selbst, wenn er seinen Verdruß im stillen verschluckte, ein Gallenfieber davon zu tragen. Er setzte sich also, ziemlich gefaßt, an sein Schreibpult, erzählte in einem Anhange und in sehr gutem Latein seinen Unfall aufrichtig und überraschte den gütigen Leser, der bis dahin seinem Werke die verdiente Aufmerksamkeit geschenkt hatte, nicht wenig mit der unerwarteten Nachricht, daß von alle dem, was er vorher gelesen hatte, auch nicht eine Silbe wahr sei. Gutmütig vermahnt er sie zuletzt alle, sich an seinem Exempel zu spiegeln und die Liebhaberei ja nicht bis zur Blindheit zu treiben. Er gesteht, daß, da er jetzt die Originale ohne Vorurteile untersuche, er nicht begreifen könne, wo er seine Augen gehabt habe – hofft, daß seine künftigen Schriften durch seine gemachte Erfahrung nur desto mehr gewinnen würden, und bietet zu seiner Bestrafung die gegenwärtige um den halben Ladenpreis an.
Man wird, wenn man das so liest, dem Professor für seine seltene Aufrichtigkeit wieder recht gut: und welcher vernünftige Mann wollte nicht – wie auch ich getan habe – seinem Folianten, etwa neben Lavaters Bilderbuche, einen Platz in seiner Bibliothek gönnen?
Glaube nicht, lieber Eduard, daß dieses Geschichtchen hier am unrechten Orte steht, und höre nun mit mehr Aufmerksamkeit, als Du mir hoffentlich bisher gegönnt hast, die Fortsetzung des meinigen.
Jedes Wort, das Johann vorbrachte, gab mir einen Stich ins Herz und trieb mir das Blut ins Gesicht. – – Alberner – ich schwör' es Dir zu – bin ich mir in meinem Leben nicht vorgekommen, als da ich, während daß der Kerl von seiner heißen Liebe zu Margot und ihrer ebenso feurigen Gegenliebe mir vorstotterte, mich an meine schönen Tiraden über die Ungleichheit der Stände – über die gefundene echte Perle und an alle den Unsinn erinnerte, der mir einige Tage her durch den Kopf und durch die Feder gegangen war. Mein Zustand glich zuletzt förmlich der Stupidität, in die gewöhnlich nur große Gelehrte fallen, wenn ihnen im gemeinen Leben – in ihrer Küche und ihrem Keller etwas aufstößt, das nicht sogleich in ihr System paßt. Ich staunte vor mir hin, und verlor die Hälfte von dem, was Johann auskramte. –
»Ja, lieber Herr,« fuhr er eben fort, als ich meine Gedanken endlich besser zusammennahm – »nun wissen Sie mein ganzes Anliegen. Es hat mir und Margotchen immer auf der Zunge geschwebt; aber – mein Gott – keines konnte Herz genug fassen, es an den Tag zu bringen, und jedes wollte es dem andern zuschieben. Vorgestern noch, wie wir den ganzen Morgen zusammen vertändelten – es war den Tag, wie Sie mich in die Stadt schickten – –«
»Und wie habt ihr ihn denn vertändelt?« – unterbrach ich ihn neugierig.
»Ach, es ist nicht der Rede wert,« versetzte Johann: »Das Mädchen zeigte mir nur ein wenig den Gang und die Vorteile des Seidenbaues – sagte mir, daß die Liebe dieser kleinen Würmer Segen über das ganze Land verbreitete, und daß, wer nur mit einiger Sorgfalt die Begattungsfreuden dieser kleinen Geschöpfe Gottes beförderte, reichlich dafür – wie für eine gute Tat – belohnt würde. – Und darüber kamen wir so ganz natürlich auf unsere eigene Liebe und unsern künftigen Haushalt. – Ein Wort gab das andre – ein Kuß folgte dem andern, und da – – – Was wollte ich doch sagen? – Ja, da faßte Margot Mut und gab mir die Hand darauf, denselben Tag noch mit Ihnen davon zu sprechen. – ›Ich will dir‹, sagte sie, – ›bis an das Tor entgegenkommen – und deinen Herrn mitbringen. – Unterweges will ich ihm erzählen, wie sehr ich dich liebe – will um dich anhalten; und damit du gleich wissen kannst, wie die Sache steht, so will ich dir auch ein Zeichen angeben. Siehst du – komme ich dir allein entgegen gehüpft, so ist es gut – halte ich aber deinen Herrn an dem Arme – ach, so denke nur, daß wir unser Geheimnis noch für uns haben.‹ – Wie ich nun aus dem Stadttore trat, sah ich mit pochendem Herzen Sie beide auf der steinernen Bank sitzen – sah die Kleine geschwind aufsteigen – ach aber, was gab es mir nicht für einen Stich, als ich bald darauf auch sah, wie sie ihr Händchen so artig um Ihren Arm schlang!«
»O Montagne! Montagne!« rufte ich hier mit knirschenden Zähnen aus: – »Du hast recht, daß die Katzen oft mit uns spielen, wenn wir glauben, wir spielen mit ihnen.«
Johann verstand so viel Französisch, daß er sich einbildete, ich hätte etwas über den Berg gesagt, und herzlich schief darauf antwortete. – Doch mir war es jetzt nicht gegeben, über den geringsten Mißverstand zu lachen.
»Ja, das war es auch,« erwiderte ich – »aber fahre nur fort.«
»Was ist da noch fortzufahren, mein gütiger Herr?« versetzte Johann. »Gott weiß es, daß es mir in der Seele weh tut, daß ich um meine Entlassung bitten muß: aber mein Platz ist ja wohl noch zu ersetzen. – Es ist ein gar zu gutes Mädchen, das mich so herzlich liebt, und ich wüßte nicht, wie unsereins ein größer Glück in der Welt machen könnte.« –
»Unsereins?« wiederholte ich und kaute verdrießlich an den Nägeln.
»In diesem Lande«, stotterte er ferner, – »ist es leicht, sich durchzubringen, leicht, eine Frau zu ernähren, zumal eine selbst fleißige und wirtschaftliche Frau, wie Margot schon aus Liebe zu mir sein wird. Noch gestern morgen – als wir Sie hier auf diesem Berge suchten und wir gerade auch auf diesem Platze traulich bei einander saßen, hat sie mir – und ohne viel zu sagen – gewiß unter tausend Küssen, hat sie mir versprochen, alles aus sich zu machen, was ich nur wollte.«
»Unter tausend Küssen!« dachte ich, »das ist abscheulich!« und hätte jetzt viel darum gegeben, wenn ich den einzigen wieder zurück gehabt hätte, bei dem mich der Tragödienschreiber überraschte. – Ich verwünschte die kleine Verräterin, die für einen andern, als mich, so beredt stammeln und erröten, und einem andern, als mir, so feurige Küsse geben konnte. Es kam mir nun ganz ausgemacht vor, daß sie meinen Mops vergiftet habe, um mich um alle meine Reisegefährten zu bringen. An das gestrige Blatt meines Tagebuchs konnte ich nicht ohne Groll gegen mich und sie denken, und Du hast es bloß dem Doktor in Würzburg zu danken, daß ich dieses demütigende Blatt nebst einigen vorhergehenden nicht in tausend Stücken zerrissen und Dich um die Nutzanwendung gebracht habe, die du daraus ziehen kannst.
Da ich, so sehr es mich auch schmerzte, einen treuen Bedienten auf eine so hinterlistige Art zu verlieren, doch eigentlich nichts hervorzukramen wußte, was Bestand gehalten hätte, so sagte ich ihm in der Verlegenheit. »Das ist alles gut, Johann – aber der Unterschied der Religion?«
»Damit,« war seine geschwinde Antwort, »hat es hier nichts zu sagen, wie mich Margot versichert hat.«
»Hat sie das?« fiel ich ihm ein und schüttelte den Kopf.
»Jawohl, mein bester Herr,« fuhr er fort. »Sie laufen auch hier den Heiligen nicht so nach, als anderwärts. – Der große Christoph allein ist in einigem Ansehen, und das mag er meinetwegen sein. – Entschließen Sie sich nur, mein bester Herr; denn ohne Ihre Erlaubnis will mich das Mädchen durchaus nicht nehmen. Das ist die einzige Bedingung, die sie und ihre Verwandten bei meinem Antrage gemacht haben; und auch ich – trauen Sie mir es zu! – wollte selbst eher noch meine Liebe zu Margot in meinem Blute ersticken, ehe ich Ihrem Befehle zuwider meine Sache ausführen wollte.«
»Johann,« – sagte ich ernstlich, »die Hauptschwierigkeit ist, daß ich nicht weiß, wo ich in der Geschwindigkeit einen andern guten Bedienten herbekommen will; und du weißt ja, daß du dich verbunden hast, mich während der Reise nicht zu verlassen.«
Doch auch dafür hatten die vorsichtigen Leute gesorgt. »Ach,« fiel mir Johann hastig ein – »das weiß ich nur zu gut – habe es auch dem Mädchen gesagt – und das ist auch der Stein, der uns am schwersten auf dem Herzen gelegen hat. – Aber, gnädiger Herr, Margot hat einen Bruder, der ein schöner, wohlgearteter Bursche sein soll, und der morgen bei Ihnen anziehen kann, wenn Sie wollen. – Sie freut sich im voraus, ihn in Ihrer Livree zu sehen. Der Gedanke war so natürlich – und doch ist er ihr erst gestern ganz spät gekommen.«
»Um welche Zeit ungefähr?« fragte ich.
»Wie ich Ihnen sage,« versetzte Johann, »ganz spät. Es war schon alles im Hause zu Bette, als sie wie ein Geist die Treppe leise herauf zu mir auf den Boden gestiegen kam, um mir ihren guten Einfall noch mitzuteilen –«
»Das,« fiel ich ihm wunderbar ärgerlich ins Wort, »dächte ich, hätte Zeit gehabt bis den andern Morgen.«
»Freilich wohl,« sagte Johann: »aber sie kann nun einmal nichts vor mir – auch nur eine Nacht auf dem Herzen behalten. – Doch daß ich weiter erzähle – so war es doch auf der andern Seite recht gescheit von ihr, daß sie auf den Boden kam – denn sie fand da einen verlornen Schachteldeckel mit Thymian und Salbei, und daraus ist der Umschlag entstanden, der Ihnen so wohl bekommen ist. So ein geschäftiges, tätiges Mädchen gibt es nicht mehr! – Sie hätte gern noch alles vor Nacht ins Reine gebracht. ›Überlaß mir den Umschlag,‹ – sagte sie mir, als er fertig war, – ›ich will ihn deinem Herrn selbst umbinden. Vielleicht trifft sich's, daß ich bei ihm noch mein Wort anbringen kann. – Ach, was könnte mir das für eine ruhige Nacht machen!‹ – Aber heute früh war sie wieder ganz mutlos – und ob ich es gleich nicht weniger bin – was will ich machen? Ihre Abreise rückt immer näher, und da ist es ja wohl die höchste Zeit, daß ich erfahre, woran ich bin.«
Ich geriet in tiefe Gedanken. »Ihr Wort«, wiederholte ich mir einmal um das andere – »wollte sie bei mir anbringen? Wohl gut, daß es unterblieb. – Gestern nachts? In der Lage, worin ich war? – Das würde einen schönen Gegenstoß von widerlaufenden Gefühlen gegeben haben! Wenn alle jene befeuerten Empfindungen – auf einmal, so eiskalt – so schnell – so gallenbitter zurückgetreten wären – wäre es ein Wunder gewesen, wenn mich der Schlag auf der Stelle gerührt hätte?«
Während dieses Selbstgesprächs vergaß ich den armen Johann. – Wie ich wieder nach ihm hinblickte, fand ich sein Gesicht so verstört und ihn von der Folter der Ungewißheit so zerrüttet, daß er mich erbarmte. Ich rieb mir die Stirne – griff mit Blicken des Muts in das Blaue des Himmels, und – entschloß mich.
»Du bist nun zehn Jahre bei mir, Johann,« sagte ich gerührt – »hast mir redlich gedient, und ich habe mich an dich gewöhnt. Aber deine Wahl ist zu gut, und die Liebe eines solchen Engels von Mädchen wiegt alle Schwierigkeiten auf, die ich dir machen könnte. Ich gebe dir die gesuchte Erlaubnis und gebe sie dir gern. – Sei immer des guten Kindes wert, und seid glücklich!«
Kaum daß ich ausgesprochen hatte, so schlug der gute fühlbare Mensch seine Hände zusammen. »Nun, so segne Sie Gott!« – brach er mit untergemischten Tränen aus, »segne auch Sie bald mit einer würdigen, reizenden Gemahlin, die Sie für alle die Güte belohne, die Sie mir in diesem Augenblicke erweisen!« – Er konnte vor Empfindung nicht weiter sprechen, und ich – stieg – um mich von der Bewegung zu erholen, die mir der Ausdruck seiner Freude – (ich denke wenigstens, daß es so war) verursachte, langsam den Hügel hinab und sprach unterweges meinem ein wenig aus seiner Fassung gebrachten Herzen Mut ein, damit ich mit ganz entwölktem Blicke vor meinen Hausleuten erscheinen möchte.
Sie erwarteten mich mit sichtbarer Unruhe vor dem Eingange ihrer Hütte. – Da sie aber aus der zufriedenen Miene meines Johanns schon schließen konnten, wie die Sachen ständen, so führten sie mich ohne weitere Umstände nur geschwind in die Stube, wo ihre Nichte die Zwischenzeit in Herzklopfen zugebracht hatte. –
»Wie steht's, Margot?« – rief ich ihr beim Eintreten entgegen und legte alle meine mögliche Freundlichkeit in meine Blicke. – »Nun hab' ich's doch weg, was du vorgestern auf der staubigen Chaussee zu suchen hattest und warum du dich auf der steinernen Bank in so ernsthafte Gedanken verlorst. Deine unruhigen Nächte – deine abgeredten Zeichen – dein Nachtwandeln – alle deine Geheimnisse bis auf den Schachteldeckel sind verraten. Wäre Johann nicht so schwatzhaft – du solltest ihn gewiß nicht bekommen. – So aber gehört er dir von Rechts wegen. Ein so rätselhaftes Mädchen muß mit einem Schwätzer bestraft werden.«
Hier hättest Du sehen sollen, wie die kleine Unschuldige lebendig ward! – Mit glühendem Gesichte, bebender Brust und Gott weiß mit was allen für Reizen, hing sie mir, ehe ich es wehren konnte, an dem Halse und drang mir – wenn Du es so nennen willst – das droit de Seigneur im Angesichte ihres Bräutigams auf. – Ich erhielt ihren ersten Kuß, denn ich muß es der Wahrheit zur Steuer sagen, daß, wo in den vorigen Blättern von Küssen die Rede ist, nicht einer darunter ist, den sie mir gab – den zweiten und die folgenden bekam der glückliche Johann.
Gleich nach dem Essen gingen wir, nach der bei Tische genommenen Verabredung, alle auf die Post. Wirt und Wirtin, Margot und Johann, eines half dem andern auf seinen Esel, und alle trabten, was sie konnten, dem Dörfchen zu, wo der Familientraktat geschlossen und die Austauschung meines Johanns gegen den Bruder der Margot zustande gebracht werden sollte.
Ich wendete die Zwischenzeit zum Vorteile meiner reisenden Freunde, sowie zu meiner eigenen Befriedigung an, und teilte eine große Rolle meines erhobenen Wechsels in drei kleinere, davon ich eine meinen Wirtsleuten – eine meinem Johann – und eine der kleinen verräterischen Margot zudachte. Nach diesem Rechnungsgeschäfte, das erste, das ich nicht beschwerlich fand, setzte ich mich in meinen Verschlag, erzählte Dir, was Du gelesen hast, und erwartete in seltener Gemütsruhe die Zurückkunft meiner Freunde.
Ihre vielfachen Geschäfte mußten nicht die geringste Schwierigkeit gefunden haben, denn sie kamen eher wieder, als ich sie, nach der Wichtigkeit ihrer Verrichtungen, erwarten konnte. Sie wollten sich nicht zufrieden geben, als sie mich zu Hause fanden und hörten, daß ich Verzicht auf meinen Spaziergang getan hätte, um ihr Haus und meine kleine Wirtschaft darin nicht ohne Aufsicht zu lassen. Sie erklärten dieses für eine beschimpfende Vorsicht für ihre ehrlichen Mitnachbarn. »Oder«, – trat Margot herzu – »fürchteten Sie etwa, daß der Strauchdieb vom Fichtenberge sich zu Ihrem Schreibtische schleichen – Ihre Papiere in Unordnung bringen oder gar mitnehmen würde?«
»Hauptsächlich« – fuhr ich fort, um meine Furcht, die sie so hoch aufnahmen, zu beschönigen – »bin ich zu Hause geblieben, um mein Tagebuch bis heute zu schließen.«
»Und was ist ein Tagebuch?« fragte Margot und konnte vor Lachen kaum zu sich kommen, als ich ihr sagte – »daß es eine Rechnung über Einnahme und Ausgabe – der Zeit – unserer Empfindungen und unserer Irrtümer sei – daß unter dieser letztern Rubrik eine Beschreibung ihrer kleinen Person vorkäme, und daß ich diese Rechnung einem Manne zuschicke, der fast täglich seinem Könige welche abzulegen hätte, die nicht viel wichtiger wären.« – Sie hatte große Lust, es nicht zu glauben, wenn es ihr nicht auch Johann versichert hätte.
Bastian, mein neuer Bedienter, gefällt mir sehr wohl. Er ist ein aufgeräumter, gewandter Bursche von ungefähr zwanzig Jahren, dem ich es ansehe, daß er sich ebenso leicht würde entschlossen haben, mit Cooken die Welt zu umschiffen, als er übermorgen mit mir nach Avignon geht. Ich möchte ihm einen Taler mehr über seinen monatlichen Lohn geben, weil er seiner Schwester so ähnlich sieht . . .
*
Den 30. Dezember
Die Trunkenheit der Freude, mit der sie gestern einschliefen, schwebte noch diesen Morgen übernächtig auf ihrer aller Gesichtern und beförderte den neuen Rausch, dem sie sich so gutwillig überließen.
Ich nahm gewiß einen warmen Anteil daran, und ich hätte mich wohl sogar, als den Urheber desselben, für den Vergnügtesten der Gesellschaft halten dürfen, wenn ich mir diesen Vorzug, ohne erst bei meiner kalten Vernunft anzufragen, zugeeignet hätte . . .
. . . Ich möchte nicht, daß mich ein weiser Mann fragte, wie ich meinen Nachmittag zugebracht habe. Ich könnte ihm, Gott weiß es, nichts darauf antworten, als – ich habe ihn vertändelt. Du weißt, Margot ist ein Kind, und da wäre es ja lächerlich, den Verständigen in ihrer Gesellschaft zu machen. Das läuft, das springt, das schäkert, und weiß noch in keiner Sache, wie ihm geschieht. Wundershalber wollte ich hören, was sie sich wohl für Begriffe von der Ehe und ihren künftigen Pflichten als Hausmutter mache? – Aber da fand ich alles so bunt untereinander bei ihr, daß mir, an Johanns Stelle, angst und bange sein würde.
Gegen Abend, nachdem wir über tausenderlei drunter und drüber geschwatzt hatten, brachte sie einmal wieder ihren Strauchdieb auf das Tapet. Ich verwies sie damit an ihren Liebhaber. – »Der«, – sagte ich – »hat in der Oper zu Berlin, zwar nur von der Gallerie aus, einen am Pranger stehen sehen.« –
»Da ist ihm«, fiel das Mädchen ein – »recht geschehen. Aber geschwind sagen Sie mir, was hat er denn dort alles verbrochen? denn ich höre gar zu gern Mordgeschichten und dergleichen.« –
»Dinge hat er verbrochen,« antwortete ich – »wovon du dir keinen Begriff machen würdest, wenn ich sie dir auch erzählen wollte.«
Darüber kam sie auf einen Einfall, der mich anfangs stutzig machte, mir nachher aber selbst so wohl gefiel, daß ich von Stund' an auf die ernstliche Ausführung desselben denke.
»Wissen Sie was?« – sagte die kleine Närrin – »wenn ich erst mit meinem Johann ein Jahr gelebt habe und nun vierzehn alt bin, da wollen wir Sie und meinen Bruder in Berlin besuchen. Sie haben so manches von der Geburtsstadt meines Johanns fallen lassen, daß ich begierig bin, das Wunderding zu sehen. – Ach! und die Freude,« fuhr sie fort und schlug ihre beiden Händchen zusammen, »nach so langer Zeit den guten, lieben, vortrefflichen Herrn wieder zu finden, der hier so gern mit mir spazieren ging, der mir einen braven geliebten Mann zurück läßt – und meinen armen Schelm von Bruder so gütig von meiner Hand angenommen hat!« – Glaubst Du wohl, Eduard, das Kind ließ darüber ein paar warme Tränen auf meine Hand fallen, die mir elektrisch mein ganzes Zellengewebe erschütterten.
»Das ist einmal ein gescheuter Gedanke, Margot,« – sagte ich. – »Ja, ihr sollt mich beide besuchen, und die Reise soll euch nichts kosten. – Gebt mir eure Hand darauf.« Und wäre es nur, Eduard, daß ich Dich von der Wahrheit alles dessen, was ich von dem Mädchen gesagt habe, überzeugen könnte, so sollte mir ihr Besuch lieb sein.
*
Den 31. Dezember
Der letzte Tag des Jahres ist da! Das würde mich wenig bekümmern, wenn es nicht auch der Abschiedstag von den besten Menschen wäre, die ich jemals gekannt habe. Diese Betrachtung macht mir ihn feierlich. Ich darf mir meine innere Bewegung nicht merken lassen – was würde es nützen? –
Sie setzen ohne Argwohn voraus, daß ich diesen Abend wenigstens noch mit ihnen verschwatzen und vertändeln und meine Nacht in dem Weichbilde der kleinen Margot verträumen werde. – Wenn ich nach dem Essen meinen Hut und Knotenstock nehme, wird sie um mich herum hüpfen, mir an der Tür einen Kuß zuwerfen und mir eine baldige Zurückkunft von meinem Fichtenberge gebieten. – Die Tür wird knarren – und – meine Rolle wird hier gespielt sein. –
Sobald der Tag zu verlaufen beginnen und man anfangen wird, sich nach mir umzusehen, soll Bastian auftreten und den Epilog halten. – Ich traue ihm zu, daß er ihn mit allem erforderlichen Anstand und genau nach meiner Vorschrift halten wird. – So kommen wir alle am kürzesten davon. Die Geschenke, die ich ihnen zurücklasse, teilt Bastian nach meiner Anweisung unter sie aus. Es wäre mir nicht möglich, der erschütternden Szene beizuwohnen, die das Erstaunen, die Danksagungen und die Tränen dieser so leicht zu rührenden und zu befriedigenden Menschen darstellen wird.
Das könnte mir indes nur eine kurze Ruhe verschaffen; denn in dem Ungestüm ihrer Empfindungen würde die ganze freundschaftliche Karawane, ich bin es gewiß, mich bis über die Grenzen verfolgen, wenn ich meinem Stellvertreter nicht auch auf diesen Fall die gemessensten Befehle und die wirksamsten Bitten an sie zurückließ.
Unterdessen dieses hier vorgeht, werde ich meinen Pavillon zu Nimes einsam durchschreiten und ein Liedchen singen, damit ich nicht höre, wie mir das Herz pocht.
Mein Tagebuch – noch hat es in meinen Taschen Raum – nehme ich allein von hier mit. Meine übrigen kleinen Effekten soll mir Bastian mit Anbruch des morgenden Tages nachbringen.
So wäre denn meine Abschiedsstunde von Caverac mit so vieler Schonung meines wunden Gefühls angelegt, als kaum ein Hofprediger der letzten Stunde einräumen kann, in der sein Fürst aus der Welt geht.
Bastian soll unter acht Tagen seiner Verwandten nicht gegen mich erwähnen. Das habe ich ihm bei meiner Ungnade eingeschärft.
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Freund! Ich bin nun gerettet – wie ein Fisch, der den Köder vom Faden gebissen hat und mit dem Angelhaken in der Gurgel davonschwimmt. Hätte ich, zu einem Bettler herabgesunken, mein Land verlassen müssen, wo ich als König regierte, bänger hätte mir kaum um das Herz sein können, als da mir nun die Wohnung der Unschuld und Freude im Rücken – und, abgeschnitten von allem, was mir lieb war, die ganze weite freudenlose Welt vor mir lag. Ach! nichts begleitete mich, als mein trauriger Schatten. – Mir fehlte Margots sonorische Stimme – ich vermißte den Nachtrab meines treuen schwatzhaften Johanns, und mein zerstreuter Blick, der selbst manchmal sich nach meinen. guten asthmatischen Mops umsah, kehrte betroffen über seinen Verlust zurück. Und o wie viele andere stachlichte Empfindungen – die ich aus Zärtlichkeit gegen mich nicht berühren mag – kletteten sich nicht an dieses belastende Gefühl von Trennung und Einsamkeit! Es war mir, als ob an jedem Pflasterstein, über den ich auf meinem Wege fortschritt, ein Teil meines Eigentums hängen blieb, so daß ich es mit jeder Minute kleiner, unbedeutender werden und zuletzt in ein Nichts verschwunden sah.
Ich konnte es nicht über mich gewinnen, auf der Chaussee fort – bei der steinernen Bank vorbeizugehen, auf der sich meine Eigenliebe, und, wie Du weißt, ganz ohne Not, brüstete, und aus einem Mißverständnisse, das ich mir noch nicht vergeben kann, in so lebhafte Bewegung geriet. In solchen Umständen, lieber Eduard, ist es sehr bequem, wenn man neben der Landstraße noch einen Rasenweg findet. Wie klein war indes die Erleichterung, die ich mir damit verschaffte! – Denn, ob ich gleich weder Menschen noch Esel begegnete, die mich an mein Dörfchen erinnerten, so konnte ich doch unmöglich jedem Moose, jedem sprossenden Strauche, das den Moosen und Gesträuchen auf dem Fichtenberge ähnlich sah, aus dem Wege gehen: und als ich mir vollends einfallen ließ, einen seitwärts gelegenen Hügel zu besteigen, so brachte ich mich auf einmal um allen Vorteil meines listigen Umwegs; denn nun trat mir, in dem weiten Zirkel des freundlichen Languedocs, den ich übersah, das kleine liebe Caverac so nahe vor die Augen, daß sie mir übergingen, ehe ich es wehren konnte . . .