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Den 1. März
»Wie hoch kommt Ihnen die Berline zu stehen?« fragte mich der Postmeister in Montpellier zu seinem Fenster heraus, als ich eben abfahren wollte. – »Ach, das –« antwortete ich, »kann ich erst dann berechnen, wenn sie mich an unsern gemeinschaftlichen Geburtsort gebracht haben wird.« »Wie?« fing er meine Worte auf, »so wäre der Herr, wenn ich recht verstehe, wohl gar ein Landsmann Friedrichs des Großen?« »Ja, ja,« unterbrach ich ihn, »ich kann es nicht leugnen, mich aber noch weniger deshalb hier aufhalten lassen. Hätte der Herr Postmeister nach dem merkwürdigen Passagier sich umsehen mögen, der nun seit einer langweiligen Stunde seine Berline geschaukelt hat, wahrscheinlich würde er ihm von dem Sieger bei Roßbach viel Erwünschteres erzählt haben, als der Pariser Publizist, der in jedem Blatte sein nahes Ende ankündiget, um, denke ich, in den folgenden sich noch oft aufs Maul zu schlagen, so Gott will. Lebe der Herr wohl!«
Der Name meines Wagens fiel mir, aus dem Munde des Franzosen, zum erstenmal sonderbar ins Gehör, erinnerte mich an den geschickten Sattler, der ihn so tüchtig gebaut hatte, daß er unter meinem Reisegeräte gewiß das einzige Stück ist, das dem Auslande keinen Sous für Reparatur abgeworfen hat und so ganz deutsch wieder zurückkommt, als ich kaum von mir selbst zu rühmen wage . . .
»Wie heißt jene Burg?« war das erste Wort, das ich an den Postillon verlor, und es verzinste sich gut. »Brescau,« antwortete er, »Sie haben doch wohl von den berühmten Leckerbissen der dortigen Muscheln gehört?« Ich schüttelte den Kopf. – »Nun, so werden Sie diesen Abend mit großem Behagen ihre Bekanntschaft machen. Der Felsen, um welchen diese Schaltiere einheimisch sind, versorgt die Wirtshäuser in Agde überflüssig damit; denn ihrer Zartheit wegen können sie nur an Ort und Stelle genossen und keine Meile weit verschickt werden.« »So?« sagte ich verwundert, »dies Produkt macht also von vielen andern der französischen Natur eine ganz eigene Ausnahme. – Die Gebäude da oben sind sonach wohl Fischerhütten?« »Wollte Gott, sie wären es!« erwiderte mein Führer. – »Nein, mein Herr, es sind Wachthäuser einiger Invaliden, die den bequemsten Ehrenposten von der Welt, die Aufsicht nämlich über das Staatsgefängnis haben, das in jene Felsenmasse gehöhlt ist. Ein Wink des Monarchen, mehr braucht es nicht, sondert hier vornehme Schuldige, wohl auch, wofür Gott sei, unschuldig Verdächtige, von der Gemeinschaft mit der übrigen Welt ab, und gewiß kann die Natur in ihrem Umkreis keine bessere Gelegenheit darbieten, um jedes Leben in Vergessenheit zu bringen. Gott erbarme sich der armen Verkerkerten, die hier in der Tiefe des Meeres atmen.« »In der Tiefe des Meeres, sagst du? Ich will doch nimmermehr hoffen, daß die dort anprallenden Wellen an ein menschliches Ohr schlagen?« »Nicht anders, mein Herr! Der Gefangene, sobald er jenen Gipfel erreicht hat, wird gleich darauf so tief herab, als er hoch gestiegen ist, an Seilen, wie in einen Schacht, heruntergelassen, und seine Laufbahn ist geendet. Niemand kann Zahl und Namen dieser Versunkenen angeben, die weiß nur der König, vielleicht auch der nicht, aber nach den Nahrungsmitteln, die täglich einer von der Besatzung aus dem Bürgerspital abholt, können ihrer nicht so gar wenig sein.«
»Im Frühling vorigen Jahres traf sich's, daß ich eben hier vorbeikam, als ein solcher Unglücklicher aus der Welt gestoßen wurde. Der Polizeiwagen hielt nicht weit vom Ufer; zwei von der Wache öffneten ihn und übernahmen den Gefangenen.«
»Verkappt und gefesselt brachten sie ihn in ein Fahrzeug. Der Herr Engländer, dem ich vorgespannt hatte, befahl mir zu halten, stieg aus und näherte sich der Szene mit seinem Fernglas. Ich brauchte das nicht, um den Vorgang ebenso deutlich zu bemerken als er. In ohngefähr zehn Minuten landete der Kahn zwischen den zwo Klippen, die dort – sehen Sie? – den Platz zum Einlaufen bilden, und nun kam uns der Verhüllte noch fünfmal auf der Freitreppe, die rund um den Felsen in einer Spindellinie bis zu seiner Spitze aufsteigt, ins Gesicht. Es lief mir eiskalt über die Haut, als ich ihn den letzten Schritt tun und bald nachher von der Oberfläche der bewohnten Erde verschwinden sah. Mein englischer Passagier ballte voll Ingrimm die Faust gegen den Polizeiwagen, als er, vor uns her, nach der Chaussee lenkte, setzte sich fluchend in den seinen und ließ mich nicht zu Atem kommen, bis ich jenen eingeholt und ihm aus den Augen gebracht hatte; ich aber betete indes ein Ave Maria für den armen Verstoßenen, und die heilige Jungfrau hat mir's vergolten.«
»Wieso? lieber Freund!« fragte ich neugierig. »Weil ich«, antwortete der brave Kerl, »von der Stunde an ein ganz anderer, viel besserer Mensch geworden bin, als ich sonst war. Denn während ich bei dem Fort vorbei meine müden Pferde wieder nach Hause ritt, ein gutes Trinkgeld in der Tasche hatte, und meinen Kittel von der lieben Abendsonne vergoldet sah, – ach! wie hoch schlug mir das Herz, wie viele gute Entschließungen faßte – und wie verdammte es nicht die gottlose Unzufriedenheit, die sich sonst immer mit mir auf den Gaul setzte! Ich habe seitdem mein Tagewerk lieb gewonnen, so mühsam es auch sein mag, und will mir ja einmal mein trockenes Brot nicht zu Halse, so brauche ich nur, um es mir schmackhaft zu machen, an den armen Herrn zu denken, der kein besseres im Grunde des Meeres verschlucken muß. Wie mag er die vielen freundlichen Stunden, die indes über seiner Finsternis verlaufen sind, in welcher Seelenangst mag er sie nicht verseufzt haben! Wie würde er Gott loben und danken, wenn er an meiner Stelle – ach, an der Stelle meines Sattelpferds wäre!« Hier zog er sein Schnupftuch heraus, wischte sich die Augen und schwieg. »Bitte« – zischelte ich Bastianen zu – »den guten Menschen diesen Abend bei dir zu Tische, und laß ihm nichts abgehen;« ihn aber bat ich, einige Augenblicke zu halten, weil ich aussteigen und doch das Fort aufnehmen wolle, wo die seltenen Muscheln gefunden würden. »Tun Sie, was Ihnen gefällig ist,« war seine Antwort, »ich mag nichts davon wissen, doch nehmen Sie sich in acht, daß die Abzeichnung Ihnen an der Grenze keinen Verdruß zuzieht.« Ich ging, setzte mich, der Feste gegenüber, auf den Rasen, und trug den Abriß von ihr auf ein Pergamentblatt meiner Schreibtafel über. Als ich damit fertig war und zu meiner Berline zurückkam, zeigte ich den beiden Zurückgebliebenen meine artistische Arbeit, ich weiß eigentlich selbst nicht warum? denn Kunstverstand konnte ich doch wohl bei keinem voraussetzen. Der Postknecht drehte das Pergament nach allen Seiten. »Nein,« gab er es zurück, »die Zeichnung brauchen Sie nicht versteckt zu halten, die wird die Festung nicht verraten.« Mein Kammerdiener benahm sich schon feiner. »O ja,« sagte er, nach vieler Überlegung, »Ihre Abbildung,« indem er einigemal nach dem Original hin blickte, »dächt' ich, wäre sehr richtig. Das hier, nicht wahr? stellt den Strudel, jenes das Wachthaus, diese Linie den Weg, und diese Striche den Gefangenen und seine Begleiter vor? Als ein avant la lettre bringen Sie das Blatt ganz sicher über die Grenze – denn ein solches – wer versteht es? aber nachher – ja, da würde ich selbst für den Schlag Menschen wie unser Postillon«, raunte er mir listig ins Ohr – »zu einer schriftlichen Erklärung raten.« »Laß es gut sein, Bastian.« lachte ich ihm ins Gesicht . . .
*
Den 2. März
Wie freute ich mich, als ich diesen Morgen Agde verließ, auf den Ort, den ich nun erreicht habe.
Jeder unsrer Geographen, die ich über meine Reise zu Rate zog, zeichnet ihn durch eine Sentenz aus, die, wäre sie erwiesen, Jerusalem und alle Hauptstädte der Welt demütigen müßte. Wenn Gott, sagen sie, auf Erden wohnen wollte, würde er Beziers zu seinem Aufenthalt wählen. Die Herren, welche in ihre auf gut Glück zusammengestoppelten Nachrichten diese französische Hyperbel mit deutscher Arglosigkeit aufnahmen, können sie, in den neuen Ausgaben ihrer Handbücher, auf mein Wort weglassen.
Ich erkläre sie geradezu für eine Gotteslästerung, indem ich nicht nur dem höchsten Wesen alle die Eigenschaften, die ihm unser Katechismus beilegt, sondern auch guten Geschmack in einer Vollkommenheit zutraue, die so sehr, als jeder andere Gedanke von seiner Größe, weit über unsere Vernunft geht.
Langmütiger! vergib dem kleinstädtischen Gesindel ihren Bürgerstolz, so einfältig sie ihn auch an den Tag geben.
Der Weg, den ich von meinem Nachtlager bis zu dem wackeligen Schreibtisch zurückgelegt habe, vor dem ich alleweile auf einer bretternen Bank sitze, verdient jedoch eine ehrenvolle Erwähnung.
Die treffliche Chaussee, die sich durch eine dürre undankbare Landschaft schlängelt, kommt dem Reisenden, Fußgänger nehm' ich aus, aufs beste zustatten. Er hat nicht Zeit, Langeweile zu haben. Sein fortrollender Wagen hat schon alle unangenehmen Gegenstände überflogen, ehe das Auge sie fassen kann. So gelangt er, zwar mit drehendem Kopfe, doch ehe er sich umsieht, an das Stadttor, das nicht nur gerade nach dem zweiten, zu dem man wieder hinausfährt, sondern auch nach dem einzigen Wirtshause hinweist, das Fremde aufnimmt. Diese kluge Anlage befördert die Übersicht des schönen Ganzen in einem Augenblick. Meine Neugier war auch schon vollkommen befriediget, als ich den Gasthof zum Ortolan am Ende des Städtchens erreicht hatte.
Hier lag nun die Aussicht auf den fortlaufenden Steinweg der nächsten Station zu offen da, um mir nicht Lust zu machen, meine Morgenreise sogleich fortzusetzen.
Da rückte mich aber der Wirt aus meiner bequemen Lage und lud mich zum Frühstück auf einen Spieß der seltenen Vögel ein, von denen einer auf seinem Schilde gemalt stand. So etwas läßt sich nun freilich nicht ausschlagen. Der Mund lief mir voll Wasser. Ich stieg aus und bestellte die Postpferde nach Verlauf einer Stunde. Diese Eile, kann ich mir nicht anders vorstellen, muß den spitzbübischen Kerl beleidiget haben, denn ohne zu entscheiden, ob er mir Sperlinge oder Finken vorgesetzt hat, wollte ich doch, wenn es Not hätte, vor Gerichte beschwören, daß es keine Ortolans waren. Ich hatte an dem Versuche eines einzigen Flügels genug, schob die Schüssel mit Ekel von mir und: »Glaubt der Herr Wirt,« fuhr ich ihn an, als er mit schrumpfigen Mandeln zum Nachtisch hereintrat, »daß man einem Deutschen alles weiß machen kann? Hol' Euch dieser und jener mit Euren Ortolans und Eurem gotteslästerlichen Städtchen.« Ich hätte gern meine Worte wieder zurückgehabt, denn kein elender Skribler, der heißhungrigen Lesern unter dem Titel eines komischen Romans ein Buch in die Hände spielt, bei dem ihnen das Lachen vergeht, kann sich ungebärdiger gegen die gelehrten Verräter seines Betrugs benehmen, als sich der Mann gegen meine unparteiische Rezension seines Geflügels auflehnte.
Nun setzt wohl nichts mehr die Galle in Bewegung, als wenn solch ein Unverschämter, dessen elende Kost wir eben erprobt haben, den Stein, der ihn treffen sollte, nach uns zurückschleudert und zu seiner Rechtfertigung unsern Geschmack verdächtig zu machen sucht, wie es sich dieser Sudelkoch gegen meine feine Zunge herausnahm. Bitter und böse über seine so beleidigende Gegenrede, wollte ich eben Bastianen rufen und noch einmal auf die Post jagen, als ich in der Türe einem Quidam entgegenrennte, der im Begriff war, anzuklopfen. »Um Vergebung, ich habe mich geirrt,« stotterte er, »ich sah vor dem Hause eine Berline stehen und dachte, sie gehöre einem Herrn zu, den ich täglich und stündlich erwarte, dem Sekretär des Herzogs von Bedford, für dessen Galerie ich ihm – lassen Sie sich nicht stören, mein Herr! – einen Tizian verkauft habe.«
»Ich weiß nicht, was ich von seinem Ausbleiben denken soll. Er hat mir nichts auf den Handel gegeben und die Zahlungsfrist ist nun schon vor drei Wochen verlaufen.« Meine runzlige Stirn klärte sich auf. »Treten Sie doch näher, mein Herr!« nötigte ich ihn in das Zimmer, »mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen? Handeln Sie mit Gemälden?« »Nein,« sagte der freundliche Mann, »ich bin hier geschworner Notarius.« »Einen Tizian sagen Sie?« – »Ja,« erwiderte er, »eine Venus von ihm und sicher aus seiner besten Zeit. Sie ist als Fideikommiß auf mich gekommen; ob sie aber, nach einer alten Tradition, dieselbe ist, vor der Karl der Fünfte den Pinsel aufhob, will ich nicht mit Gewißheit behaupten, ohnerachtet schon mehrere Kenner die warme Stelle haben angeben wollen, wo er dem Maler von allzustarkem Enthusiasmus entschlüpft sei.« »Der erste Umstand«, sagte ich lächelnd, »würde für den Wert des Bildes auch wenig beweisen. Große Herren heben oft Pinsel aus dem Staube, die es nicht verdienen, und lassen bessere liegen, die sie aufheben sollten. Das sind zufällige Dinge, auf die sich ein wahres Genie nichts zugute tut, und die selbst als Anekdote in der Geschichte der Kunst von keinem Belang sind. Die Gemütsbewegung des Künstlers hingegen, von der Sie sprachen, wäre schon bedeutender. Aber dürfen Sie denn, mein Herr! ein Fideikommiß veräußern?«
»Die Verbindlichkeit seiner Erhaltung«, erklärte er mir etwas weitschweifig, »hört, den Gesetzen gemäß, bei dem letzten Nachkommen des Erblassers auf. Nun kann ich zwar die Familie noch nicht für erloschen ausgeben, da mir eine Tochter geblieben ist, die den besten Willen hätte, sie fortzusetzen, wäre ihrem Freier nur mit einer bloß gemalten Ausstattung gedient. Indem ich aber von dem wenigen Meinen, außer diesem Kunstwerke, durchaus nichts entübrigen kann, so tritt die Rechtsfrage ein, ob ein Vater in meinem Falle seine einzige Tochter der Gefahr, ihren Bräutigam zu verlieren, aussetzen, oder ihrem nicht unbilligen Verlangen nachgeben soll, das Bild der Liebe der Wirklichkeit aufzuopfern? Ich habe den Zweifelsknoten als Rechtsgelehrter erst auf allen Seiten betrachtet und ihn endlich als ein zärtlicher Vater gelöst.«
»Denn kann auch, sage ich, das herrliche Gemälde nach seinem Verkauf nicht auf die künftigen Leibeserben meiner Tochter übergehen, so müßten sie doch, sage ich, vor den Kopf geschlagen sein, wenn sie mich deshalb in Anspruch nehmen wollten, da ich doch ehrlicherweise ihnen zu ihrem Dasein nicht anders verhelfen kann.«
Ich machte dem schwatzhaften Manne so viele schmeichelhafte Komplimente über die Bündigkeit seiner Deduktion, und wußte zugleich meine ingeheim aufsteigenden Wünsche so geschickt durch die sehr wahrscheinlichen der bedrängten Schönen zu unterstützen, daß ich ihm bald genug die Erklärung, an der mir am meisten lag, abgelockt hatte: »Er wolle nun auch keinen Tag länger auf den saumseligen Bezahler lauern, wenn sich ein Liebhaber fände, der in seinen Kauf träte.« »Und auf wie hoch, wenn ich fragen darf, haben sie ihn abgeschlossen?« »Auf tausend kleine Taler,« erwiderte er, »eine mäßige Summe für einen Tizian, der so gut erhalten ist, als es ein Fideikommiß nur sein kann; aber, wie gesagt, die bängliche Lage meines armen Kindes« . . . »Oh, diese«, fiel ich ihm ins Wort, »könnte wohl selbst einen so zärtlichen Vater vermögen, noch etwas von jenem Preise nachzulassen, wenn er bares Geld sieht. Nicht wahr?« Er zuckte mit den Achseln. »Nun, darüber«, fuhr ich fort, »läßt sich noch sprechen, wenn Sie mir erlauben, Ihnen und der Venus meine Aufwartung zu machen.« »Viel Ehre für beide!« verneigte er sich. »So darf ich Ihnen wohl folgen?« fragte ich, »denn länger als eine gute halbe Stunde kann ich mich hier nicht aufhalten.« »Das tut mir leid,« entgegnete er, »und ich kann sonach Ihnen nur noch eine glückliche Reise wünschen, weil ich vor drei Uhr nicht wieder zu Hause sein kann – nötiger Geschäfte wegen.« »Das«, besann ich mich, »läßt sich wohl noch vergleichen. Die meinigen sind nicht so dringend, um darüber einen schönen Anblick aufzugeben. Ich darf ja nur die Postpferde später bestellen. Nach drei Uhr also, lieber Herr Notar, will ich mich einstellen.«
Er nickte mir bloß mit dem Kopfe zu, ergriff verdrüßlich seinen Hut und ging. Unter der Tür drehte er sich noch einmal nach mir um. »Wenn Sie Langeweile haben und wollen unterdes, bis ich zurückkomme, meiner Tochter zusprechen, so steht es bei Ihnen. Die Venus aber kann Ihnen freilich ein Mädchen nicht aufdecken. Der Kellner weiß, wo wir wohnen.« Er war schon auf der Treppe, ehe ich antworten konnte. Das ist ein wunderlicher Heiliger, dachte ich; erst so gesprächig und nun so kurz abgebrochen! Sollte er denn aus den paar Worten, die ich über den Preis seines Gemäldes fallen ließ, einen Knauser in mir vermuten, der erst den Vater treuherzig gemacht hätte, um durch jüdischen Handel die Verlegenheit der Tochter zu benutzen und ihren ohnehin geringen Brautschatz noch zu schmälern? Das möchte wohl bei anderen Käufern der Fall sein. Nein, ich will nicht zur Ungebühr so preßhafte Personen noch mehr pressen. Das schwör' ich bei dem Andenken des unsterblichen Tizian . . .
Den 3. März
Du siehst mich immer noch hier, Eduard, und kannst leicht denken, daß sich, außer meinem wichtigen Handel von gestern, noch andere Dinge eingemischt haben müssen, die meine Abreise von diesem fatalen Ort verzögerten. Die Sache hängt so zusammen. Ich fand den Notar und seine einzige Tochter vor einem großen Topf Schokolade à double Vanille zu meiner Bewillkommnung. Die Liebesgöttin lauschte hinter einem grünlichen Vorhang, gerade über dem abgenutzten Sofa, auf welchem die Braut saß, deren Jugend und Farbe mir einen sehr billigen Kauf versprach, wenn ich ja in Versuchung käme, bei einem Meisterstücke der Kunst an gute Wirtschaft zu denken. Das gute Kind, bemerkte ich mit heimlichem Vergnügen, hatte ihre Blütenzeit schon so weit hinter sich, daß es toll und töricht vom Vater wäre, wenn er noch einen Tag anstünde, vermittelst des älteren Fideikommisses dem jüngern Luft zu machen.
Die gar zu höflichen Leutchen verschwendeten einen Schwall ihres Getränkes an mich, das ich, während meine Gedanken hinter dem Vorhange schwebten, aus Zerstreuung hinunter – und dagegen in allem meinem Geäder eine gewaltige Hitze aufjagte.
Um indes dem Strom einigermaßen entgegen zu arbeiten, der mich, seiner Natur nach, mit jeder Tasse viel weiter nach Paphos zu treiben drohte, als es für den Vorteil meines vorhabenden Geschäfts gut war, benutzte ich jede Gelegenheit, dem vergilbten Mädchen das Glück der Ehe und die Seligkeit verbundener Seelen aufs reizendste vorzumalen. Meine Poesie blieb nicht ohne Wirkung. Ihre Wangen flammten stärker noch, als die meinigen, und sicher ließ sie in ihrem pochenden Herzen jedesmal hundert Livres von dem geforderten Preis nach, so oft ich mich geneigt fühlte, mein Gegengebot um funfzig zu erhöhen. Dieser stillschweigende Handel um ein verdecktes Gemälde ward mir jedoch je länger, je lästiger. Ich mußte alle meine Artigkeit zusammennehmen, um im Beisein der verschämten Braut den Vorhang nicht ein wenig zu lüften. Endlich, auf einen bittenden Wink des Vaters, setzte sie die Tasse aus der Hand, rückte den Tisch und entschloß sich, die beiden Herren mit der Venus allein zu lassen. Ich hätte sie, und das will viel sagen, umarmen mögen, als sie mit der dritten und letzten Verbeugung an der Tür meiner Ungeduld ein Ende machte. Welch eine Erwartung, welch ein köstlicher Augenblick! Der Notar ergreift die Schnur, ich zittere am ganzen Leibe, der grüne Vorhang fliegt seitwärts, meine feurigen Augen, wie Lichter, die schnell in das Dunkle treten, stürzen nach und umfassen nun mit Erstaunen das Gebild, das mich so lange durch seine schamhafte Verhüllung gequält hat. Es liegt vor mir in seiner ganzen weitläufigen Nacktheit. Und ich, wie vor den Kopf geschlagen stehe ich da, habe nicht das Herz, noch einmal hinzublicken, lache bitter und befrage mich:
Dies wäre Sie, die jedes Herz erweichet, Den Wachenden entzückt, den Schlafenden erweckt, Die Göttin, die mir noch den besten Kelch gereichet, Nachdem ich alle durchgeschmeckt? Bei allen Heiligen, die jemals mich geneckt, Bei Lady Baltimor, die der Madonna gleichet, Bei Margots Reiz, der sich nicht minder unbefleckt, Gleich einer Lilie, die Zephyr aufgedeckt, Stolz aus dem Nebel hebt, der nach den Tälern streichet, Schwör' ich – es ist die Braut! vielleicht nur zu korrekt Nach der Natur gemalt, denn was hier strotzt und bleichet, Hält Venus zu Florenz mit scheuer Hand versteckt; Die Braut ist's, die im Drang, der aus der Brust ihr keuchet, Matt wie der Tauben Paar, das ihr zu Füßen schleichet, Die Arme nach Erlösung streckt. Getroffner hat noch nie mich ein Porträt verscheuchet Und ein Original erschreckt. Doch, daß verständlicher noch die Verlockung werde, Winkt, so wie ehedem dem Wandrer zur Gefährde, Zu seinem Rätselspiel, der frevelhafte Sphynx, Hier zu fast gleichem Zweck mit listiger Geberde Ein blinder Junge dir, dem links Die Rüstung Amors liegt – und nun mit gelber Erde Gleich drunter: Titianus pinx. |
Hätte mich nicht Zeit und Erfahrung gelehrt, Meister meiner ersten Hitze und meines spanischen Rohrs zu werden, ich weiß nicht, wie es dem geschwornen Notar ergangen wäre. So aber ließ ich es bei einem verächtlichen Blicke bewenden, den ich von der Betrachtung dieser untergeschobenen Venus ausdrücklich für ihren leiblichen Vater aufgehoben hatte. Der Betrug ist zwar grob, berechnete ich in der Geschwindigkeit, den der Unverschämte dir zu spielen gedachte, dafür ist er aber auch, genugsam zwar noch lange nicht, durch den Aufwand von der teuern Schokolade bestraft, um die er nun sich aufs kläglichste in seiner Bettelwirtschaft geprellt sieht. Wohl gar, ging mir ein schreckliches Licht auf, stellte er dir nur darum frei, einige Stunden allein mit dem verschossenen Original zuzubringen, um gegen ein tüchtiges Schaugeld die Ähnlichkeit der Kopie desto besser vergleichen zu können; denn der Kerl ist gewiß jeder Bosheit fähig. In zornigem Stillschweigen nahm ich meinen Hut von der Wand, stäubte ihn ab, während er, ohne daß ich darauf achtete, den Kaufpreis seines Ungeheuers von einem tausend Livres zum andern heruntersetzte, und eilte, weniger über seinen doppelt mißlungenen scheußlichen Versuch, als über meine Leichtgläubigkeit aufgebracht, die Treppe hinab . . .
Schon seit einer Stunde außer dem Tore meiner unglücklichen Einfahrt hatte ich bereits einen halben Zirkel um das dumme Städtchen geschlagen, als ich gegen alle Erwartung auf einen Punkt stieß, der mich festhielt.
Ein großer menschlicher Gedanke mit genialischer Kraft ausgeführt – eins der vielen Wunder des Kanals von Languedoc, lag gerade vor mir. Ich sah ein Postschiff unter meinen Füßen anschwimmen, das, um seinen Lauf in der höhern Landschaft fortzusetzen, zweiundsiebenzig Ellen bis zu meinem Standpunkte heraufsteigen mußte, welches durch sieben Schleusen, die das Wasser zu so viel Stufen anschwellten, in wenig Minuten bewerkstelliget ward. Während ich nun zusah, wie viele verdrüßliche Gesichter die Barke aussetzte und wie vergnügt die schienen, die sie dagegen einnahm, und bei einem Hinblick auf die Stadt, das eine wie das andere Phänomen sehr begreiflich fand, fuhr mir die Frage durch den Kopf, ob ich nicht auch klüger täte, die Verdauung der doppelten Vanille auf einem schaukelnden Schiffchen, als in einer Kneipe abzuwarten, wo man Sperlinge für Ortolans gibt? Ich hatte nichts Triftiges dawider einzuwenden, als etwan die Besorgnis Bastians, wenn ich über Nacht ausbliebe.
Indem streckte mir ein armer, in Ruhe gesetzter Soldat seine dürre Hand nach einem Almosen entgegen. Sein altes, offenes, ehrliches Gesicht brachte mich auf den Gedanken, ihn zu meinem Botschafter zu brauchen. Nun war er freilich auch lahm dabei, aber nicht so sehr, um einen Weg nach dem Wirtshaus zu scheuen; denn er übernahm meinen Auftrag sehr gern und um so williger, da ich auf einer Visitenkarte, von der ich ohnehin weit entfernt war, in Beziers Gebrauch zu machen, für Überbringern einen gleich zahlbaren Wechsel von vierundzwanzig Stück Sous auf meinen Kammerkassierer trassierte . . .
Das Fahrgeld für die erste Station nach Somailles betrug, selbst den Wechsel dazu gerechnet, so wenig, daß ich schwerlich eine andere siebenstündige Zerstreuung wohlfeiler hätte erkaufen können. Meine Unterhaltung in der ersten Stunde möchte ich gern, wenn es nicht zu eitel klänge, auch für die beste halten, denn sie entspann sich in mir selbst. Die mitschiffende Gesellschaft, aus Lappen von verschiedener Güte und Farbe zusammengesetzt, und die du mir wohl nicht zumuten wirst, in eine Musterkarte zu bringen, warf dem Ausländer, ehe sie ihn angriff, erst Leuchtkugeln in das Nest, um ihn aufzujagen. Jedes reichte aus seinem Vorrat dem andern ein Stückchen gefärbtes Glas oder Rauschgold zu, um den Ehrenkranz des gemeinschaftlichen Vaterlandes noch höher zu schmücken.
Ich gab für die Lust, die sie dadurch mir machten, ihnen dagegen auch gern mein Erstaunen zu ihrem Spielwerke preis, und so war mit wenig gesellschaftlicher Falschheit beiden Teilen geholfen . . .
Das erste Wunder, das ich anstaunte, war ein ausgebrochener Felsen, Malpas genannt, über dessen Rücken Lastwagen rasselten, während die Barke unter seinem kühlen, dämmernden, hohen Gewölbe hundert und zwanzig Toisen auf das lieblichste fortschlüpfte. Einige Stunden nachher warf sich ein reizendes Tal, wie eine große Smaragdschale, meinen frohen Blicken entgegen. Aus seiner Tiefe stiegen drei ungeheure Bogenmauern in die Höhe, die das Schiff und den Kanal gleichsam in der Luft forttrugen, indes senkrecht unter uns ein Fluß rauschte, eine Herde Schafe an seinem Ufer weidete, und eine Gruppe lustiger Mädchen sich, ohne Furcht vor unsern Ferngläsern, zum Baden anschickte.
Das süße Lebensgefühl, das in dem Herzen eines noch so Unempfindlichen aufwallen muß, der dies fortlaufende reiche Natur- und Kunstgemälde zum erstenmal erblickt, und das jetzt glänzend aus meinen Augen hervorleuchtete, machte mir die ganze Gesellschaft geneigt, so wenig meine Bewunderung auch Bezug auf sie hatte. Alle setzten bei mir voraus, daß ich von Barke zu Barke bis nach Toulouse fahren, und auf der Route bei St. Feriol aussteigen würde, um den größten bekannten Trichter der Welt zu betrachten. Er schwebe, erklärten sie mir, zwischen drei Bergen, wie aus Felsen gegossen, und enthalte anderthalbmal die ganze Masse Wassers des vierzig deutsche Meilen durchfließenden Kanals, um ihn nach den sechs Ablaß- und Feierwochen, die man jährlich seiner Reinigung und Ausbesserung widme, wieder zu füllen. Diese Mitteilung werde mit Hülfe dreier metallnen Hähne bewerkstelliget, die. wie an einer Teeurne, sich aufdrehen ließen, und jenem Wassermagazin der erlittene Abgang durch mehrere ihm zugeleitete Bäche in einigen Tagen wieder ersetzt . . .
Sollte wohl für Reisende irgendwo in der Welt besser gesorgt sein, als auf diesem prächtigen Kanal? Ich glaube kaum. Denn ungerechnet, daß man hier keinen Staub zu verschlucken, für grundlose Wege kein Pflastergeld zu bezahlen, die Grobheiten der Postknechte, den Umsturz des Fuhrwerks und Langeweile so wenig zu befürchten hat, als Zeitverlust, so irrt noch überdies dein Auge, wie in einer Galerie von Claude Lorrain, von einer schönen Landschaft zur andern. Dein Körper schwimmt in dem behaglichsten Gefühl. Für deinen Gaum wird schon von weitem das beste Geflügel mürbe gekocht, und geistiger Balsam für deine arme Seele. Jeder Schuh Wasser, über welchen die vor Wind und Wetter geschützte Barke sanft hingleitet, scheint zu dem Wege, den sie zurücklegen soll, so genau berechnet zu sein, als die Kette einer Minuten-Uhr.
Wenn du früh abfährst, siehest du dich in eine, zu einem Zweck vereinte, oft sehr gemischte, aber immer muntere Gesellschaft eingereiht, bist der Sorge für den Mittag überhoben, des Empfangs eines freundlichen Wirts an einer schon gedeckten Tafel für festgesetzten mäßigen Preis, und bei der Landung am Abend, außerdem noch eines reinlichen Bettes gewiß. Vom Anfang bis ans Ende der Fahrt harren in den Wirtshäusern, bei denen du anhältst, nicht nur körperliche frische Pferde zum Ziehen des Schiffs, sondern auch untergelegte, geistige, ehrwürdige Kapuziner, die beordert sind, Gott für deine glückliche Überkunft zu danken, und für dein weiteres Fortkommen bis zur nächsten Kapuzinade Messe zu lesen.
Höher, als bei dieser, ist wohl in keiner öffentlichen Postanstalt die Vorsorge getrieben worden. Auch bewies mir der Mönch, der unserem heutigen Abendmahl vorstand, die Wirksamkeit des angeordneten Gebets durch einen längeren als hundertjährigen glücklichen Erfolg; denn, sagte er, obschon der Kanal täglich und stündlich hin- und herwärts befahren wird, so hat man doch kein Beispiel, daß auch nur ein Boot seitdem verloren gegangen sei, da hingegen unzählige Schiffe verunglückt sind, als sie noch genötiget waren, ihren Lauf durch die Straße von Gibraltar, aus dem Aquitanischen in das Mittelmeer zu nehmen. Ich erhob nicht den geringsten Zweifel dagegen. Die Bewirtung hier gefällt mir so wohl, daß ich den Ortolan keinen Augenblick vermisse.
*
Den 4. März
Meine Ärgernis über den Notar, seine orangenfarbene Tochter und ihr Hochzeitgemälde ist verschlafen, und Bastian, wenn ich auch nicht mit der Frühbarke abgehe, klug genug, die wahre Ursache meines längern Außenbleibens notdürftig zu erraten. Ich liebe ganz besonders dergleichen unruhige und doch wohl eingerichtete Wirtschaften, wie ich hier finde. Die Zeit wird mir keinen Augenblick lang. Ich sehe dem Aus- und Einsteigen der Ankommenden und Abgehenden, wie einer Theaterveränderung mit Vergnügen zu – verplaudere mit jenen einige Stunden, ohne es sehr zu achten, wenn mir diese aus den Augen verschwinden. – Geschichte des menschlichen Lebens in einem gedrängten Auszuge! – Ich darf mir nur noch den Fortgang der Welt mit immer neu aufgepackten Zeitgestalten unter dem Sinnbilde eines Kanals vorstellen, so habe ich eine moralische Betrachtung, so gut, als eine mit Kupfern. Zufrieden indes mit der kleinen Probe, die ich gemacht habe, ist mir, nach ruhigem Nachdenken, die Lust vergangen, den Kanal, außer eben jetzt zu meiner Rückreise, für das Weitere zu benutzen . . .
Kaum war ich [in Beziers wieder] aus der Barke gestiegen, so stürzte mir Bastian mit einem »Gott sei gelobt,« an den Hals, »daß Ihnen der Schrecken nichts geschadet hat!« »Was für ein Schrecken?« fragte ich. »Nun? mit dem tollen Hunde,« erwiderte er, »hier herum muß ja wohl die Stelle sein, wo er, so glücklich für Sie, mein guter Herr, noch zur rechten Zeit den Schlag vor den Kopf erhielt.« »Hast du deinen verloren?« spöttelte ich und ging meinen Weg nach dem Gasthofe zu, ohne weiter auf sein Gewinsel zu hören. Hier aber begann er von neuem: »Der ehrliche Invalide! Welche Dienste muß er nicht ehemals dem Vaterlande geleistet – was für einen Säbel geführt haben, da er jetzt noch mit seiner Krücke so gut trifft!« Ich blickte den Schwätzer mit großen Augen an. »Sie hätten aber auch nur,« fuhr er fort, »die innige dankbare Freude des armen Graukopfs sehen sollen, als ich ihm nach Ihrer Anweisung das Goldstück einhändigte.« »Nach meiner Anweisung?« fragte ich, »weise sie doch her!« Ich drehte mich mit meiner Visitenkarte nach dem Fenster, sah mit Verwunderung meine eigenhändige Schrift vor mir, und trällerte, um Bastianen keine Verlegenheit merken zu lassen, Gott weiß was für ein Liedchen – das aber sicherlich keins zum Lobe Beziers und der Physiognomik war, denn – kannst du denken! der lahme bettelnde Soldat, dessen offenes Gesicht mich gestern so weich machte, hatte meine ihm zum Botenlohn verschriebene Schuld von vierundzwanzig Sous mit derselben dürren Hand, die er mir zitternd entgegenstreckte, und einer Geschicklichkeit ohne Gleichen, in so viel Livres verfälscht, die der arglose Bastian und mit tausend Freuden, wie er mir versicherte, auszahlte, ja nebenher noch eine Flasche Wein auf die Gesundheit des geretteten Menschenverstandes seines armen Herrn mit dem Helden ausleerte. »Daran hast du sehr wohl getan!« sagte ich, – »warum batst du ihn nicht auch noch heute zum Abendessen; denn käme er mir jetzt unter die Augen, ich wollte ihm wohl meine Erkenntlichkeit noch tätiger beweisen. Hier hast du deinen Rechnungsbeleg wieder. Ich hoffe, es soll keiner dergleichen mehr vorkommen.« »Dazu gebe ja der Himmel seinen Segen!« seufzte Bastian, indem er mir das Schreibzeug zurecht setzte.
Will ich auch des lieben Gottes nicht weiter erwähnen der Beziers, das wiederhole ich dem Herrn Hübner und Krebel zum letztenmal, so wenig wie ich, zu seinem irdischen Aufenthalt wählen wird, so wohnt doch immer ein Statthalter von ihm, ein Bischof, da, der, dächte ich, wohl vor allen Dingen seiner diebischen Gemeinde das siebente Gebot näher, als es das Ansehen hat, ans Herz legen sollte; aber eben erfahre ich vom Wirt, mit Nebenumständen, die mich so giftig machen, als ob mich wirklich ein toller Hund inokuliert hätte, daß der Hirte dieser räudigen Herde seine schöne Terrasse sogar, nie, als einige Tage zur Frühlingszeit in Amtsverrichtungen besucht, die seine Gegenwart erfodern.
»Der Zutritt zu jenem Weltwunder«, erzählte er weiter, »wäre zwar gegen ein Gratial jedem Durchreisenden vergönnt, aber nur nicht vor Zehn des Morgens; so lange schlafe der gnädige Herr in Paris und sein Kastellan hier.« »Nun, Herr Wirt,« schrie ich ihm dagegen in die Ohren, »so bestelle Er mir die schon einigemal recht schändlich abgesagten Postpferde auf morgen desto pünktlicher mit Anbruch des Tags, denn ich mag in diesem mir höchst fatalen Ort keinen weiter verlieren.« Nach dieser, wie ich glaube, deutlichen Erklärung flüchtete ich, ohne mich weiter so wenig um ihn, als um die bischöfliche Burg und meine verpfändeten Augen zu bekümmern, voll Bosheit ins Bette.
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Den 5. März
Und stehe jetzt in einer zehnmal ärgeren, in einer wahren ruchlosen Stimmung wieder auf; denn ich möchte mich gern dem Teufel übergeben, um mich von hier wegzubringen, wenn ich so gut Freund mit ihm wäre, als Doktor Faust.
»Warum hätte ich denn Sie und Ihren Kammerdiener,« überschrie der Kerl meine Flüche, als er nach neun Uhr vor mein Bette trat, »um nichts und wieder nichts aus dem süßen Schlafe rütteln sollen, da, so hören Sie doch nur! vor nachmittags keine Postpferde zu haben sind. Was verlieren Sie denn dabei? Sie sind ja hier gut aufgehoben und können nun die Residenz, die Bilderkammer, den Hausschmuck und die Terrasse von Monseigneur nach aller Bequemlichkeit besichtigen; denn ehe Sie mit Ihrem Frühstücke und Anzuge fertig werden, ist der Kastellan munter.«
Der Mensch blieb mir unausstehlich, er mochte vorbringen, was er wollte. Ich wies ihm die Tür, ging dreimal die Stube auf und ab, und wiederholte, wie jener Kaiser, das A. B. C., um über meinen Ingrimm Herr zu werden. Ich ward es, und machte mich um zehn Uhr auf den Weg. Alleweile, da ich zurückkomme, ist es zwei Stunden über Mittag. Mein aufgewärmtes Essen habe ich dahin gewiesen, wo es herkam; denn ich mag nicht eher wieder essen, trinken und mich sonst nach einer Freude umsehen, als in Castelnaudari. Dort in dem trefflichsten Gasthause der ganzen französischen Monarchie, wie die Kenner behaupten, hoffe ich wieder Freundschaft mit mir selbst zu stiften und während einem herrlichen Frühstücke dir den Palast, die Terrasse, die Zimmer und Gemälde des Bischofs und seine persönlichen Amtsverrichtungen so poetisch zu beschreiben, als sie es verdienen. Habe ich doch über den heutigen halben Tag und die folgende ganze Nacht zu gebieten, um in meiner lieben heimlichen Berline, die ich eben nach langem Stillstand wieder begrüßen und nicht eher, als vor dem Tore jenes berühmten Hotels verlassen werde, meine schönen Rückerinnerungen in Musik zu setzen.
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Den 6. März
Keiner von allen mir bekannt gewordenen Wegen der Welt ist mir weniger langweilig, reizender und ebener vorgekommen, als der mich aus dem Fegfeuer zu Beziers in das Paradies, das ich nun glücklich erreicht habe, gebracht hat.
Ich ward in den funfzehn Stunden, die mich, ungeachtet meiner elastischen Chaise, umsonst in den Schlaf zu wiegen suchten, immer munterer, je mehr sich der eine Ort entfernte, der andere näherte. Ach, wie wünsche ich mir die drei letzten Tage zurück, um sie meinem dermaligen freundlichen Aufenthalte zulegen zu können! Mein sinnlicher, so lange unbefriedigter, nun desto begehrlicherer Mensch, wie festlich wird er nicht sein Heute verleben!
Das moralische Ich soll hoffentlich zusehen, und ihm, wie der ältere Bruder dem jüngeren, seine kindische Freude nicht mißgönnen.
Hätte mir auch nicht Phöbus seine abgeschnallten Flügel zum Rückflug nach jenem Prälatensitz nur für die vergangene Nacht geliehen, diesen Morgen gäbe ich sie ihm ohnehin wieder; denn so umringt von den köstlichsten Leckereien, mein Tagebuch vor mir auf einem Tische von Purpurholz liegt, wie könnte ich mich mit einer Zeile nur befassen, die das geringste Nachdenken – einen Gran Menschenverstand mehr erforderte, als den – eines Abschreibers.
Ich naschte bald von diesem, bald von jenem Gerichtchen meines auserlesenen Frühmahls, während es meine Feder allein ist, die dir erzählt und den Wohlklang unverändert zurücktönt, den ich unter dem Mondschein der schnell verflogenen Nacht meinem Silberstifte einblies.
Ich zog einen großen Taler aus dem Beutel, um mir freien Zugang in das geistliche Storchnest zu erkaufen. Unterweges kam mir zwar einigemal die Lust an, ihn wieder einzustecken, und lieber meinen Besuch dem Posthalter zu machen, mit dem ich immerfort in Gedanken über seine schlechten Anstalten zankte . . . Unglückliche Neugier, die, sogar bei dem Betruge, den sie ahndet, sich nicht abhalten läßt, ihn aufzusuchen!« – Unter diesem fortwährenden Tadel eines jeden Schritts, den ich tat, erstieg ich nichtsdestoweniger die Anhöhe, stand noch eine Weile unentschlossen vor dem verriegelten Tore, ehe ich anklopfte.
Endlich, verzeih' es Freund, wenn mir jetzt ein gemeiner, kahler Soldatenfluch entfuhr: » der Teufel!« hob ich an, Gleich einem Korporal, der nach der Kegelbahn Den Rest der Löhnung trägt, »der Teufel hol' den Taler!« Und schlug mit ihm ans Tor. Kaum war es aufgetan, So streckt' auch schon ein Kerl, der einem trunknen Prahler Mehr glich, als einem Kastellan, Die hohle Hand darnach. So schnell als er voran, Trabt' ich nun hintennach. Merkuren selbst, im Wandern Geübter doch als ich, zog nicht sein Schlangenstab Zum Ida schneller hin, als nun Trepp' auf Trepp' ab Von einer Galerie zur andern, Bald zu des Bischofs Thron, bald zu des Bischofs Grab Mich dieser Unhold zog. An allem blieb er kleben. Was je die Pracht mit ihrem Vogelleim Bestrich, was je Geschmack und feine Art zu leben Der Armut nimmt, um es dem Stolz zu geben; Und kein Gemach war so geheim, Er ließ nicht ab, trotz meinem Widerstreben, Den letzten Umhang aufzuheben. Vorzüglich aber schien der schmucke Bildersaal, Sobald er ihn betrat, sein Kunstgefühl zu wärmen. Die großen Worte: Ideal, Helldunkel, Schmelz und Kraft, die leider überall, Von Leipzig bis Paris, uns um die Ohren schwärmen, Durchwirbelten die Luft, vom nächsten Widerhall Zum fernsten, wie ein Feuerlärmen. Mein Auge galt ihm nichts, es mußte nach dem Star Des seinen duldsam sich bequemen, Hier Venus und Adon für unser Eltern-Paar, Dort das verbuhlte Weib des Königs Potiphar Für ein Marienbild zu nehmen. Zog Hermanns Schlacht und Sieg, von Rubens deutsch und frei, (Gleich unsrer Nation, in halb verschossnem Lichte) Den Kenner an, und zog gleich einem Schandgedichte Die Nacht des Bluts und der Verräterei Des niedrigsten gekrönter Bösewichte, Als Gegenstück kaum meinen Blick herbei, So fragt' er mich, ob eine Weltgeschichte Von überschwenglicherm Gewichte Als Galliens Annalen sei? Zog dort auf Heinrichs Stirn das himmlische Entzücken, Ein Volk, das ihn verwarf, vergebend zu beglücken – Zog LudwigsLudwig der Fünfzehnte, den man als le roi des ponts et des chaussées pries. edle Bildung hier, Der sein ererbtes Reich, (ihm lohne Gott dafür!) Statt mit Trophäen es zu schmücken, Mit festen Straßen – schönen Brücken Verherrlichte, des Auges Neubegier, Auf ihre Glorie zu blicken: So jauchzte mein Kompan, und sein Gehirn kam schier In die Gefahr sich zu verrücken, So sagte mir sein Händedruck, wie gut Ihm der Gedanke tat, die Schelsucht eines Deutschen Durch den, einst nur dem Ruhm und nur dem Heldenmut Geweihten Lorbeerhain der Gallier zu peitschen, In dessen Schauer jetzt, abschreckend wie die Brut, Die nur von Moder lebt, der Ahnen-Dünkel ruht. Kraft seiner Eigenschaft, das Schöne zu bemerken, Sah er mich höhnend an, wenn ich der Schwermut Hang Mich überließ, die sanft aus Poussins Meisterwerken Dem Mitgefühl entgegendrang, Und bot mir seine Hand, um mich zum Übergang Nach Watteaus Maskenball zu stärken, Und kroch drauf mit Lebrün dem Dragonaden-Zug Des Feldherrn nach, der, gläubig-aberklug Vom Sonnenstich, im Namen Gottes Den Nußstrauch um die Spur der Ketzerei befrug, Und die sein Schwert nicht traf, mit Wünschelruten schlug;Le Maréchal de Montrevel avoit fait venir de Lyon un homme, qui devoit découvrir les Camisards par le moyen de la baguette divinatoire. Cette baguette tourna sur dixhuit personnes, qui furent amenées à Alais. Dans quel état est le peuple, lorsque le Gouvernement emploie les manœuvres d'un fourbe, et que le soupçon devient la preuve du crime? Histoire abregée de la Ville de Nimes. p. 127. Indes von ihm gewandt, im Zauberkreis des Spottes Mein Blick den Raum durchstrich, wo Coypels Dichterflug Die traurige Gestalt des bessern Donquixotes Ins Pantheon der Narren trug. Schon sah ich über mir den halben Tag verschwunden Und fiel, dem Überdruß der Kunst kaum losgewunden, Mit jedem weitern Schritt in neuen Überdruß; Denn dieser Peiniger, den mir des Schicksals Schluß An meine Fersen festgebunden, Ach dieser Brutus meiner schönen Stunden Berauschte sich, wie's schien, in meinem Ungenuß. Gott, welch ein Trauerspiel! Bald fiel es in das Grasse. Denn, war vor ihm in meinem Hasse Gleich noch so hoch kein Sterblicher gediehn, Hatt' ich doch, wie Linnée, den Tiger in die Klasse Der Katzen nur gesetzt, ihm Krallen nur verliehn. Jetzt stieg er schwärzer auf in meinen Phantasien. Denn, als nach manchem Saal, im prächtigen Gelasse Der Ritterzeit – nach manchem Baldachin, Die ihn so blendeten, daß er den Hut zu ziehn Nicht widerstand, nun endlich die Terrasse, Nach der ich längst geseufzt, erschien, Denk mein Entsetzen dir, dann erst erkannt ich ihn Für jenen, den mein Mund beim Eintritt von der Gasse So frevelhaft zitiert. Glüht nicht dem Satanasse Mein Aufgeld in der Hand? Was sollt' ich tun? Entfliehn? Zu spät, er hielt mich fest, warf schreckliche Vergleiche Mir in den Weg, wies mir den Unterschied Von mir zu seinem Herrn – geweiht und nicht geweiht, Fürst oder nichts zu sein – und zeigte mir die Reiche Der Welt und ihre Herrlichkeit. Leis rief ich: »Hebe dich von hinnen! Ich gelobe Dir nichts als meinen Flucht Da wirbelte die grobe Verworfne Faust zwo Stiegen mich hinab Zu der, dem Pallium, dem Kreuz, dem Hirtenstab Und Bischofshut geweihten Garderobe. Und als ich seinem Wink mich dennoch nicht ergab, Zog er mein schwächstes Teil, mein Herz, noch auf die Probe. Zwei Flügel sprangen auf. Ein Duft von Rosen brach Aus einem Himmelbett, grün, wie ein Laubendach, Zu räumig nur für einen einzeln Christen. »Ist hier der Hain,« rief ich, »wo Amors Tauben nisten? Wohin bin ich versetzt?« Und der Versucher sprach: »In des Prälaten Schlafgemach!« Hier, wo die Grazien nicht nur in Marmor-Büsten, Nein, Töchter auch des Lands in jungfräulichem Licht Zur Zeit der Firmelung sich ihm entgegenbrüsten, Stürzt er – nicht wie ein Spatz auf Kirschen nur erpicht, Die keinem andern Spatz den Schnabel schon versüßten – Er stürzt – wie Jupiter mit göttlichen Gelüsten Zur Ruh auf Ledens Schoß durchs Empyreum bricht – Aus seinem Wolkenbett. Nach schlauer Übersicht Der holden Kinderchen, die aus dem Schlaf ihn küßten (Dies ist ihr Eingangs-Zoll ins Prälatur-Gericht) Wählt er ein Gänschen aus, mit Schwingen, die noch nicht Sich so heroisch blähn, als ob sie längst schon wüßten Wie sie mit wogendem, dankbarem Gleichgewicht Den Segen seiner Hand gerührt erwidern müßten. Je mehr ihr Jugendglanz ihm in die Augen sticht, Je schüchterner sie seinen Blick begrüßten, Je sanfter lispelt er: »Mich drängen Amt und Pflicht, Euch lieben Schwächlinge zum ersten Unterricht Für eures Daseins Zweck mit Kenntnis auszurüsten; Das hohe Lied dien' uns zum Führer! Es verspricht Den Lernbegierigen nach kurzen Stundenfristen Den Spiegel ihrer selbst – doch, Alberne, was ficht Dich für ein Schauer an? Kennst du dies Lehrgedicht?« Sie nickt. »Verstehst es auch?« Er hört mit Wohlbehagen Ihr kindisch Nein – er hört, daß vor den Ostertagen Sie schon der Rut' entwuchs, und drum der Schul' entfloh, Weil der Präzeptor ihr – Sie schäme sich's zu sagen, Wenn sie im Lesebuch ein A mit einem O Vertauscht – »Still!« fällt er ein, »laß lieber, statt zu klagen Mich deine Augen sehn. – Scheust du sie aufzuschlagen, Weil sie zu feurig sind? Ich bin ja nicht von Stroh.« »Nun, dabei«, lächelt sie, »habt ihr wohl nichts zu wagen.« Sie läßt drei Blicke los – nur drei – und lichterloh Brennt schon sein Hirtenstab, sein Hermelin am Kragen, Und jede Trottel brennt an seinem Domino. »Jetzt«, lallt sein Mund, »jetzt hilf die Grillen mir verjagen. Horch! Gott schuf Mann und Frau mit Herzen, Kopf und Magen, Doch ihr hing er auch noch ein kleines quid pro quo Zum Freudenwecker an. Das Bild an jenem Schragen Stellt dir ein Beispiel dar. Sieh, wie geweckt und froh Ein reizend Mädchen dort, ohn' eine Spur von Zagen Mit einem Schwane spielt, der wie ein Tier sich roh Und keck dabei benimmt. Sieh, wie er seine zwo Verliebte Schwingen hebt, aus diesem Nest voll Plagen Die kleine Nackende ins Paradies zu tragen, Das, ehe der Advent mit Fasten uns bedroh, Ich dir jetzt zeigen will.« Betroffen fragt sie: »Wo? Liegt denn – wo sucht ihr denn das Par . .« und sinkt im Fragen Mit einem Laut, als säng sie ein Adagio, Tief in sein Lotterbett, wo schon oft Klügre lagen, Die jetzt, als Heilige, weit über andre ragen. »Ach, Hoch–ehr–würd'ger Herr,« stöhnt sie, »beim Salomo Bitt' ich – beschwör' ich euch – wollt Ihr mich denn zernagen? Ist's möglich! Firmelt ihr denn alle Mädchen so?« Doch fühlt das Gänschen kaum durch das nur allzusüße Triumphlied seines Schwans sich dreimal überstimmt, Als es den Fittig hebt, dem jede Feder glimmt. – Für seines Daseins Zweck von Kopf bis an die Füße Gefirmelt – wie ein Stern, der in den Tierkreis schwimmt, Gelenker als es kaum der bischöfliche Riese Dem Schwächling zugetraut, den Flug zum Paradiese Nicht scheuer als ein Seraph nimmt. »Gott strafe den Tartüf!« rief ich. Durch diese Worte Erschreckt, hob der Verführer sich Schwarz, wie der Dampf aus einer Gift-Retorte, Von mir hinweg, zugleich umglänzte mich Ein Strahl von obenher. Mit Beben zwar durchschlich Mein Fuß die grause Burg, doch bald an offner Pforte Schlug ich ein Kreuz vor und entwich. |
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