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Vom siebenten bis achten Januar – aus meinem Gefängnisse. |
Meine arme freundschaftliche Feder! Heute zum ersten Male von ekeler Schreiberei abgestumpft, die mir meine mißliche Lage abdrang, nehme ich sie jetzt, wie Mendelssohn die seinige, erst in der Ruhe der Nacht mit Vergnügen wieder in die Hand, – nicht wie er, um über die Unsterblichkeit der Seele zu schreiben, sondern dir in kläglichen Tönen das Mißbehagen meines armen Körpers zu schildern, der gern in die weite Welt möchte, und sich schon zu lange in seinen Bewegungen unnatürlich gehemmt sieht. Es gibt einen hübschen Text, eine traurige Stunde zu verschwatzen, und ein Gefangener bedarf der Zerstreuung. – Ein Gefangener, welch ein häßliches Wort! Von Jugend auf ist es mir ein Mißlaut gewesen, und du glaubst nicht, wie widrig der Begriff davon immer auf meine Nerven gewirkt hat. Ich gehe bei keinem Kerker vorbei, ohne daß der Gedanke an Fesseln mir in die Beine fährt. Nie habe ich es über das Herz bringen können, selbst den gemeinsten Vogel in einen Käfig zu sperren; denn der Verlust der Freiheit wirkt gewiß mit gleichem Kummer auf alle, es mögen die Federn einem Dompfaffen angehören oder einem Zaunkönig. So mache ich mechanisch schon, und wenn es mich in der tiefsten Betrachtung der Glorie Gottes unterbrechen sollte, dem Hunde die Türe auf, sobald er daran kratzt; und nichts ist mir auch um deswillen von jeher lächerlicher und törichter vorgekommen, als die treuherzige Zumutung, bei gewissen Gelegenheiten mein eigener Scherge zu werden, und den besten Teil von mir – meine Vernunft, gefangen zu nehmen. Auch bin ich, Gott sei Dank! nie in dem Falle gewesen, worin ich jetzt bin. Denke dir, Eduard, wie empfindlich ich ihn fühlen muß! Schon meine heutige kleine Erfahrung läßt mich ahnden, was aus mir werden würde, wenn sie so viele Jahre fortdauern sollte, als sie Stunden gedauert hat. Alle guten Kräfte meiner Seele und meines Leibes würden in eine Lähmung verfallen. Ich könnte in einem Kerker Freunde um mich haben – ich würde sie hassen lernen; ja es könnten, glaube ich, die drei Grazien mit mir eingesperrt werden, es würde mir nicht besser gehen als den gefangenen Elefanten, und keine Nachkommenschaft würde wider meine Enthaltsamkeit zeugen . . .
Der trostreiche Ersatz, den mir jetzt mein Schreibtisch für den Verlust der vorher gegangenen einfältigen Stunden gewährt, belehrt mich, welche Pein es sein mag, den Strom seiner Gedanken in sich selbst verrauschen zu hören, ohne ihm einen Ausfluß verschaffen zu können, der an das Herz eines Mitmenschen anschlage. Wie fühle ich nicht jetzt, bester Eduard, selbst in deiner Entfernung, den Wert deiner Gegenwart! und zu was für einem Kleinod ist mir nicht meine Feder geworden!
Um mir diese lange Tirade zu gute zu halten, darfst du nur hören, wie es mir heute ergangen ist. Als ich mich, ernsterer Geschäfte wegen, von dir losgerissen, und mein Tagebuch weggelegt hatte, setzte ich mich nachdenkend in meinen Lehnstuhl. Das erste, wonach sich wohl jeder mehr oder weniger Bedrängte umsieht, sind Freunde: aber leider! fand ich diese schöne Aussicht hier noch um vieles eingeschränkter, als an jedem andern Orte der Welt. Du weißt, wie klein der Zirkel meiner hiesigen Bekanntschaften ist. Außer meinen Anklägerinnen zieht er sich nur noch um drei Geschöpfe herum; soll ich sie Männer nennen – so sei's! davon immer einer zu Unternehmungen ungeschickter ausfällt als der andere. – Auf den elenden Tropf in Purpur, an den mich der Oheim der Marquise empfahl, kann wohl kein vernünftiger Mann den geringsten Staat machen. Ein Kerl, der nichts als die drei Blasensteine der heiligen Klara von Montefalcone im Kopfe hat, verderbt sicherlich jede Sache, zu der nur ein Gran Menschenverstand nötig ist. – Buchhändler Fez, der nur, der Himmel mag wissen über was von Klaren der zweiten nachgrübelt, das, wenn es auch nicht so tief liegt als jene Beweise der Dreifaltigkeit, doch alle Strahlen seines Geistes wie auf einen Brennpunkt zusammenzieht – sollte der sich mit den Angelegenheiten eines andern bemengen, so müßte es wohl nur einer sein, der ihm von dem, worüber seine Einbildungskraft brütet, angenehmere Nachrichten geben könnte, als ich es zu tun imstande bin. – Und Laurens Wächter? Der steht fest, wie eine Bildsäule. Wo Beine nötig sind.– und beim Solizitieren sind sie es gewiß – ist der nicht zu gebrauchen; und daß meine Herren Inquisitoren – in so einer Angelegenheit wohl zu verstehn – sich zu ihm bemühen sollten, ist nicht zu erwarten. – Indes, da man von seinen Freunden nur den Vorteil ziehen kann, den sie zu gewähren geschickt sind, so schien mir, auch ohne Beine, der Kopf des getauften Juden immer noch den Vorzug vor den beiden andern zu verdienen . . . Ohne weiteres Besinnen setzte ich mich also an meinen Schreibtisch, meldete dem Ehrenmanne meine sonderbare Gefangenschaft, bemäntelte die Veranlassung derselben so gut es ging, und legte, um ihm meine Unschuld desto begreiflicher zu machen, mit dem letzten Dukaten, den ich in meiner Barschaft fand, zugleich das letzte Versprechen der falschen Concordia bei, auf das ich mich Schande halber bezog.
Sobald meine Depesche fertig war, trat ich an das Fenster und lauerte auf Bastians Zurückkunft, um ihn damit abzufertigen. – Ich sah ihn bald genug über die Gasse gesprungen kommen. Aber zum Malen war es, wie er nun vor dem Hause stand, bei jedem Schlage, den er mit dem Klopfer tat, hinhorchte, und wie ungeberdig er sich anstellte, als er endlich merkte, daß er von seinem Herren abgeschnitten sei. Ich rief ihm zu, und erschreckte ihn vollends durch den kläglichen Ton, den ich in meiner Bekümmernis auf seinen Namen legte. Du hättest die Augen sehen sollen, die er in die Höhe warf! . . . Er öffnete ein paarmal den Mund, ehe er es über das Herz bringen konnte, mir die Neuigkeit, die er von der Post mitbrachte, zu entdecken: der Legat habe die Verabfolgung meiner Pferde verboten, und der Teufel möge wissen, warum? Seine weinerliche Stimme und sein scheuer Hinblick bald auf mich, bald auf den Türklopfer, zeigten nur zu deutlich, in welchem furchtbaren Zusammenhange ihm jenes Verbot des Legaten mit dem verschlossenen Hause zu stehen schien; und auch auf mich wirkte seine Nachricht so viel, daß ich . . . nicht weiter säumte, meinen Brief an der Mauer herabfallen zu lassen. Bastian fing ihn sehr geschickt mit dem Hut auf . . .
Kaum hatte ich mit meinem Fenster die einzige Öffnung, die mir noch zugänglich war, zugemacht, und mich in meinen Lehnstuhl zurückgezogen, so fühlte ich ganz deutlich, daß der Mittag vorbei sei, und knöpfte meine Weste enger zusammen. Die französische Artigkeit, sagte ich mir, wird dich doch nicht verhungern lassen, ehe sie dich verhört hat? Das sieht ihr nicht gleich. Selbst in dem dickköpfigen Deutschland befördert die Gerechtigkeit, die überall konsequent handelt, keinen in die andere Welt, dem sie nicht eine Henkersmahlzeit mit auf den Weg gibt . . .
Diese Gedanken, die mir der Hunger eingab, wurden durch einen Auftritt unterbrochen, der ihnen eine ganz andere, aber um nichts bessere Richtung anwies. Meine Nachbarinnen – auch mein Bastian kamen zurück – Haus und Stube wurden geöffnet, und meine verspätete Mahlzeit ward aufgetragen. Wenn dieses eine Veränderung in meiner Lage gab, so war sie jedoch mit Umständen begleitet, auf die ich ganz gern Verzicht getan hätte. Tante und Nichte brachten eine Verstärkung mit, die mir nicht anstand. Die Alte wurde von einem schwarzbraunen Kerl von Prokurator geführt, und Klärchen, was mich am meisten verdroß, zipperte mit dem Propst über die Gasse, ihr Händchen so traulich um seinen vielfaltigen Ärmel geschlagen, als ob es darin ausruhen sollte, und zu meiner Türe, als sie geöffnet wurde, sah ich meine Schüsseln, statt, wie es sich gehörte, durch meinen Bastian, den ich so sehnlich erwartete, von zwei päpstlichen Soldaten auftragen, die man nicht zerlumpter und ausgemergelter hätte aussuchen können, um mir meine jetzige Ohnmacht fühlbar zu machen. Diese schmutzigen Truchsesse benahmen mir alle Eßlust. Ich fühlte keinen Hunger mehr und begaffte sie nur mit großen Augen. Wer Preußen in der Nähe gesehen hat, noch besser aber von fern, kann schon keinen Blick auf diese geistliche Miliz tun, ohne zu lachen; aber der Reiz dazu wurde bei mir gar sehr durch den Ärger gemäßiget, der mir über meine so elende Bewachung aufstieg. Die beiden verhungerten Kerle schienen über ihren Dienst noch verlegener zu sein als ich. Sie zogen sich langsam, ernsthaft und mit gebogenem Knie an die Türe zurück und pflanzten sich, jeder an einen Pfeiler, davor, als wenn es ihre Schuldigkeit wäre. Ihre Blicke, die dabei so unverrückt auf meine Schüsseln geheftet blieben, als ob sie in ihrem Leben noch kein altes Huhn in der Suppe gesehn hätten, würden schon jeden Historiker überzeugt haben, daß sie unter keinem Heinrich dem Vierten das Land bewachten. Ich hätte diesen armseligen Gesellen wohl keinen größern Possen spielen können, als recht bequem meine duftenden Gerichte vor ihren Augen zu verzehren . . .
Ich gab diesen Bettlern, mit denen mich, wenn ich es genau überlege, doch nur meine Torheit in der Nebenstube in Bekanntschaft brachte, meine Gerichte preis; und es tat mir nur leid, daß mir meine Freigebigkeit so wenig kostete; denn das dankbare Gefühl, das nun ihre entkräfteten Augen überglänzte, würde mich für die höchste Verleugnung meines Gaumens hinlänglich belohnt haben. – »Geht nur, ihr guten Leute,« unterbrach ich ihr gratias »tragt die Schüsseln auf den Vorsaal, und laßt es euch wohl schmecken. Wenn ihr mir meinen Bedienten beischafft, soll er euch auch noch ein paar Flaschen Wein auftragen, und es soll euch frei stehen, ob ihr auf des Papstes Gesundheit oder auf die meine trinken wollt.«
Es gibt wohl kein geschwinderes Mittel, eine Gegenrevolution zu bewirken, als das ich eben gebrauchte. Meine Wache war durch meine Herablassung und durch meine Fürsorge für ihren Magen so gut zu meinem Vorteile bestochen, daß es mir nur einen Wink würde gekostet haben, um die Arme, die man gegen mich bewaffnet hatte, wider meine Verfolger zu lenken, und den Prokurator und die Alte, den Propst und die Nichte, in meine Gewalt zu bekommen. Da ich aber auch, um mir Pferde zu schaffen, die Post hätte stürmen – da ich Stadt und Vorstadt hätte betrinken müssen, um es dahin zu bringen, einen Mann im Stiche zu lassen, der, kraft des Amtes der Schlüssel, von lange her über sie herrschte; so gab ich den Einfall auf, und begnügte mich vor der Hand mit dem Vorteile, den ich schon dadurch gewann, daß jetzt die Besatzung des Vorsaals meinen Bastian frei und ungehindert passieren ließ, ohne sich um unsere geheime Unterredung zu bekümmern. – »Weise jetzt deine Neugier zur Ruhe,« rief ich ihm entgegen, als er mit großen Augen herein trat, »und befriedige vorerst die meinige! Erzähle mir ohne Weitläufigkeit, wie mein Freund, der Kirchner, meine Botschaft aufgenommen hat.« – »Ah! ich will wünschen,« versetzte Bastian, »daß Sie klüger aus dem Geschwätze des ehrlichen Mannes werden als ich. Ihren Brief habe ich freilich nicht gelesen; aber in der Antwort wenigstens, die er mir mündlich an Sie auftrug, liegt doch gewiß nicht ein Funken Menschenverstand.« – »Das geht mit allen Orakeln so,« erwiderte ich: »der Befrager muß ihn erst hineinlegen; das ist in der Ordnung. – Laß nur hören!« – »Als er das Goldstück aus Ihrem Briefe in Sicherheit gebracht hatte,« fuhr Bastian fort, »las er ihn bedachtsam durch, lächelte, schüttelte den Kopf bei einigen Stellen, sprach durch die Nase und wiederholte seinen Unsinn einigemal, damit ich ihn ja nicht vergessen möchte: Sage Er seinem Herrn meinen Gruß – er solle sich nicht grämen und wundern, daß er in Avignon, in dem Grenzstreite zweier Heiligen verloren – und die hochbelobte Concordia, vielleicht aus wohlmeinenden Ursachen, ihm verwehrt habe, das Weichbild der harmonischen Cäcilia zu überschreiten. Anderwärts, hoffe er, würde sie ihm ihre anscheinende Härte zehnfach ersetzen. Er habe nur bald die Schwierigkeiten zu entfernen – die ihm – ich versichere Sie, mein Herr, daß er diesen Unsinn wörtlich gesagt hat – dieses Anderwärts mache. Die Mittel dazu, behauptete er, lägen in Ihrer Gewalt. – Sie sollten nur die guten Einfälle aufbieten, wodurch Sie ihm Ihre Unterhaltung so angenehm und geistreich gemacht hätten . . .« – »Ich glaube,« unterbrach ich hier meinen Gesandten, »der Kerl raset oder er will mich zum besten haben.« – »Wohl möglich!« antwortete Bastian. – »Wann hätte ich mich denn,« fuhr ich nachdenkend fort, »nur im geringsten seinetwegen mit meinem Witze in Unkosten gesteckt? Aber nur weiter!« – »Ferner so sage Er seinem Herrn,« schnarrte Bastian auf das natürlichste dem Kirchner nach, »habe er sich nur die Augen zu reiben, und über die Gasse zu blicken, so werde ihm der Zwerg erscheinen, der allein die Verbrannten aus ihrer Asche wieder erwecken könne.« – Hier riß mir die Geduld, ich sprang vom Stuhle, und: »Was zum Teufel,« fluchte ich, »soll ich mit diesem albernen Geschwätze anfangen? Aber so geht es, wenn ein Narr einen großen Dichter nachahmen will. Weil sein Petrarch immer und ewig ihm unverständlich sein wird, so denkt der Tropf, glaube ich, Laurens Schatten möchte es übel nehmen, wenn ihr Wächter sich deutlicher ausdrückte. Den Augenblick gehe zu ihm, und sage ihm zur freundlichen Antwort, daß er für seine scherzhafte Laune ein anderes Ziel suchen solle als mich – so wie ich zu meinem Goldstücke, das ich mir wieder ausbäte, auch schon einen andern Liebhaber . . . Doch warte nur.« – Ich trat ärgerlich an das Fenster; aber ich sah nicht lange gedankenlos über die Gasse, so stieß ich auf etwas – das mir mit Einem Blicke jenes verworrene Rätsel ins Licht setzte – stieß auf die Zwerggestalt meines Freundes Fez, der, auf seinen Laden gelehnt, mir gerade in das Gesicht gähnte. – »Jawohl, guter buckliger Mann,« rief ich aus, »bist du es allein, der mich aus meiner Gefangenschaft retten kann – du bist der Zwerg, auf den mich das Orakel verwies. Geschwind, Bastian, reiche mir eine Bücherschale nach der andern von dem Haufen her, der an dem Kamine liegt! Ihre betrügerischen Titel sollen bald in eine Liste gebracht sein. – Eins bis siebenzehn! Gottlob, daß ich damit fertig bin! Nun, Bastian, trage geschwind dies Papier zu unserem Nachbar, dem Buchhändler – laß ihn den Ladenpreis daneben setzen, und laß ihn unterschreiben, daß er gegen die Summe sich für die Beischaffung dieser seltenen Werke verbürge!« – Ebenso glücklich löste sich die andere Hälfte des Rätsels. Ich begriff jetzt, ohne lange zu suchen, die guten Einfälle, die meinem nachsichtigen Freunde in meiner schlechten Unterhaltung so wohl gefielen, den in allen Ländern beliebten und bei allen Prozessen anwendbaren Witz – einer gefüllten Börse. Ich zog die meinige heraus und besah sie mit Wohlgefallen; und da es einmal dort oben geschrieben stand, daß ich alle meine Torheiten bezahlen sollte, so nahm ich mir vor, es mit der besten Art und wie ein großer Herr zu tun.
Meine gute Laune kam während dieser Betrachtung in gleichen Schritten mit meinem Hunger zurück, der eben aufs höchste gestiegen war, als Bastian hereintrat, und mir die teure Rechnung des Herrn Fez einhändigte. Ich warf sie gleichgültig auf den Tisch. – »Geschwind, Bastian,« rief ich ihm zu, »schaffe mir etwas gutes zu essen, und bringe mir auch eine Flasche Sillery mit, damit ich vergesse, daß ich noch in Avignon bin.« . . .
Dieser Gedanke begleitete mich freundlich zu Tische und hielt an, bis ich gesättigt aufstand, und ein anderer ihn feindselig verdrängte. – »Welchen frohen Abend«, seufzte ich, indem ich meine Weste aufknöpfte, »würde ich jetzt genießen, wenn ich in Berlin wäre! Ich würde meinen Eduard zu einem Gange in die Komödie oder zu sonst einer gesunden Bewegung abholen. Wer soll mir aber hier eine Komödie spielen? Was soll ich hier, in einem Viereck von zwanzig Quadratellen, mit einem vollen Magen und einer erschwerten Verdauung anfangen?« – Meine vorige philosophische und stolze Betrachtung wäre gewiß in den Wind gewesen, wenn sie nicht die Hoffnung noch ein wenig hingehalten hätte, die ich auf die Macht meiner gefüllten Goldbörse setzte. Ich öffnete behutsam die Tür, sah meine Wache fröhlich an ihrem Tische sitzen, und winkte Bastianen, der eben seinem Nachbar ein Glas zubringen wollte. – »Suche dir einen Eingang in die Nebenstube zu verschaffen«, sagte ich ihm, »und überbringe der Versammlung daselbst nebst meinem Empfehl folgende Vergleichsvorschläge, die ich dir der Reihe nach zuzählen will! Nimm deinen ganzen Verstand zusammen und gib acht! Sage ihnen erst insgemein, daß mir der Vorfall, der mir Arrest zugezogen, von Herzen leid täte; daß ich aber erbötig wäre, ihn auf alle Art – vergiß diesen Ausdruck nicht, denn er ist hier von Bedeutung – wieder gut zu machen. Überreiche sodann dem Herrn Propste die Liste der verbrannten Bücher! Erkläre ihm, daß ich sie nach der Taxe bezahlen und auch noch etwas für die beschädigten Bände zulegen wollte. – Dem Prokurator mache verständlich, daß ich ihm willig die Versäumnis vergüten würde, an der ich schuld sei. – Die alte Tante bitte in meinem Namen auf das demütigste um Verzeihung wegen meines übereilten Betragens gegen sie – und der frommen Klara versichere, daß ich für das Ärgernis, das ich ihr gegeben, auf dem Altare der heilige Cäcilia zwei Wachskerzen zu stiften gedächte und es ihr überließe, die Größe und Schwere davon selbst zu bestimmen – daß ich bereit sei, diese Anerbietungen noch diesen Abend in Erfüllung zu bringen und dagegen erwarte, daß die hohe Versammlung meine Abreise morgen mit dem frühesten – oder auch diese Nacht, nicht weiter erschweren würde.« . . .
Nach einer guten Viertelstunde trat Bastian vor meinen Lehnstuhl, auf dem mich ein leichter Schlaf gefesselt hatte. – Er räusperte sich, und ich erwachte. – »Nun,« fragte ich, »sind die Pferde schon angespannt?« – »Noch nicht,« antwortete der arme Schelm, und die Tränen traten ihm in die Augen. – »Was ist dir, Bastian?« fuhr ich hastig auf. – »Ach, mein Herr,« stockte er, »die Versammlung hat Ihre Friedensvorschläge – nicht angenommen.« – »Nicht angenommen, sagst du?« erwiderte ich und blickte ihm halb wütend in das Gesicht. »So erzähle mir denn!« – »Sie werden sehen, lieber Herr,« fuhr Bastian fort, »daß ich alles in der Welt getan habe, was in so einer verwickelten Sache möglich war; aber wir haben mit Felsenherzen zu tun. Ich pochte an – die Tante, die mir aufmachte, ward rot wie ein Ziegelstein, als sie meiner ansichtig wurde. Ich machte ihnen allen meine tiefste Verbeugung – wendete mich mit meinem Auftrage zuerst an den Propst, der, einem großen Spiegel gegenüber, auf einem Sofa saß von hellgelbem Atlas, mit – wenn ich mich nicht irre – mit Lilastreifen und weißen Fransen behängt.« – »Oh, halte dich damit nicht auf,« unterbrach ich ihn, »ich weiß schon, wo er steht und wie er aussieht.« – »Dann drehte ich mich mit meiner Rede nach dem Prokurator – von ihm nach der Tante und endigte sie endlich bei Klärchen, und – erwartete meinen Bescheid. Wie denken Sie, daß er ausfiel? Erschrecken Sie nur nicht zu sehr, mein bester Herr; aber es ist meine Schuldigkeit, Ihnen klaren Wein einzuschenken.« – »Das tue nur bald,« sagte ich lachend, »sonst möchten dir deine Freunde draußen keinen mehr übriglassen.« – Der Wink tat seine Wirkung. »Der Propst«, fuhr jetzt mein wortreicher Gesandter weit gedrungener fort, »nahm zuerst das Wort, mit so vieler Würde, daß ich selbst vor ihm zittern mußte. Ist es begreiflich, fuhr er mich an, daß ein Mann, der sich solcher Verbrechen bewußt ist, als Sein Herr, es wagen kann, der Gerechtigkeit mit so nichtigen Anerbietungen unter die Augen zu treten? und daß auch Er, mein Freund, der in der reinen Lehre erzogen und geboren ist, sich nicht scheut, solche Anträge zu übernehmen? Fällt denn nicht schon durch die schwarze Tat selbst, die Sein Herr beging, sein Eigentum, so groß es auch sein mag, dem geistlichen Fiskus anheim? und seine Richter sollten sich herablassen, mit ihm über seine Bestrafung zu handeln? Oh, wir wollen schon sorgen, daß sie exemplarisch ausfallen soll. Er hat nicht nur die Gastfreiheit unsers Landes auf das undankbarste erwidert – nicht nur einen Kirchenraub an den Schätzen der frommen Stiftung begangen, die ihm Schutz gab; nein! er hat selbst die Werkzeuge auf das treuloseste vernichtet, die unsere gottseligen Vorfahren zur Ausbreitung der Religion und Tugend diesem Hause übergaben. – Er hat – schrie der Prokurator mit einer sehr gelehrten Miene darein, ärger und verabscheuungswürdiger als Herostratus gehandelt: denn jener verbrannte nur den Götzentempel einer Diane; er aber hat das Lehrgebäude unsres heiligen Glaubens, im Bunde mit dem Satanas, zu Asche verwandelt. – Er hat mich – er hat Gott gelästert, krähte die alte Bertilia. – Er hat alle Heiligen beschimpft, tönte Klärchen. – Solche Greueltaten, übernahm ihr Nachbar, der Propst, das Wort, lassen sich nicht mit Gold und Silber abbüßen. – Mit Freuden will ich ihn brennen sehen, sagte die Alte. – Und ich will keine Träne dabei vergießen, stimmte die Nichte bei. – Morgen, donnerte der Prokurator, soll es Sein unwürdiger Herr schon erfahren, mit wem er zu tun hat. – Meine Klagrede ist bald fertig. – Schwer soll es ihm werden, darauf zu antworten. – – Und nun tret' Er ab, mein Freund, rief mir der Propst mit einem so ernsthaften Winke zu, als ich nie wieder zu sehen verlange: Sage Er Seinem Herrn – denn heute ist er es noch – was Er gesehn und gehört hat. Der morgende Tag wird ihn das Weitere schon lehren.« – »Und was soll er mich lehren?« fragte ich mit verächtlichem Grimme, »was ich nicht heute schon weiß? Daß dieses Winkelgericht aus den niedrigsten Heuchlern zusammengesetzt ist, verworfener selbst als jene, die ich dem Rousseau geopfert habe. Ich biete ihnen Trotz! Bin ich nicht ein Untertan Friedrichs des Großen und Weisen? Auch in der Entfernung von ihm wird sein Name mich schützen. Und du, mein guter Bastian, bekümmere dich meinetwegen nur nicht! Du sollst hoffentlich länger in meinem Dienste bleiben, als dir der Schwarzkünstler gedroht hat. Trinke jetzt ruhig den Wein aus, von dem ich dich abgerufen habe, und laß auch den armen Soldaten nichts abgehen! Du hast doch ein Abendessen für sie bestellt? – Nun gut! so laßt es euch bei meiner Gefangenschaft wohl schmecken. Ich verlange heute nichts weiter von dir, als daß du mir Licht bringest, wenn es dunkel wird.« – Unter vier Augen kann ich dir nun wohl sagen, Eduard, daß mir nicht ganz so heroisch zumute war, als ich mich gegen meinen beängstigten Bastian anstellte . . .
Ich hatte meinen Kopf, ganz schwer von diesen Betrachtungen, auf den Arm gestützt und dachte meiner verdrießlichen Sache nicht ohne manche Besorgnis nach, als Bastian mit einem Gesichte hereintrat, das mir nur zu gut bewies, daß sie draußen zu meinen Ehren wohl nicht den wohlfeilsten Wein trinken mochten und mein ehrlicher Kerl vermutlich meine Goldbörse für so gewiß konfisziert hielt als der sträfliche Propst. – »Mein Herr,« wendete er sich freundlich an mich, indem er mir Lichter aufsetzte, »Ihre Soldaten sind ganz von Ihnen eingenommen. Nicht ein Glas von den vier oder fünf Bouteillen, die ich aufgetragen habe, ist anders getrunken worden als auf Ihre Gesundheit. Zehnmal lieber, sagen sie, wollten sie für ihren Gefangenen ihr Leben daran setzen, als ein einzigesmal für ihren Kommandanten, der ihnen kaum soviel von ihrer Löhnung abgäbe, als nötig sei, es zu fristen.« – »Warum«, antwortete ich gleichgültig darauf, »ließen sich die Narren unter solche Truppen anwerben?« – »Warum?« wiederholte Bastian. »Oh, das sollten Sie sich wundershalber von den beiden unglücklichen Brüdern erzählen lassen. Es ist der Mühe wert und kann Ihnen, mein Herr, ein großes Licht über den hiesigen Gerichtsgang aufstecken.« – »Nun, das«, antwortete ich, »sollte mir nicht unangenehm sein, Bastian!« – »Also darf ich sie hereinschicken, mein Herr?« – »Meinetwegen! Habe ich doch ohnehin nichts zu versäumen.«
Sie traten herein und brachten diesmal ein viel gescheiteres Ansehn mit, als da sie mir das Essen aufsetzten . . . – »Es ist euch auch, wie ich höre, nicht sonderlich in der Welt gegangen,« redete ich sie zutraulich an. »Setzt euch nieder, ihr guten Leute, und erzählt mir eure Geschichte! Vielleicht trägt sie etwas zu meiner eigenen Beruhigung bei, die ihr mir gewiß gern gönnen werdet.« – »O, ganz gewiß, bester Herr,« nahm der eine das Wort. »Wir sind so gerührt von Ihrer Güte! Seit sechzehn Monaten war es heute das erstemal, daß wir uns satt aßen, und einige Tropfen Wein über die Zunge brachten, und was für ein Wein – großer Gott! Ehemals fehlte es uns an nichts, wir waren dick und fett; aber die Geistlichkeit, Gott vergelte es ihr, hat uns mager gemacht.« – »Das sieht ihr gleich,« konnte ich mich, aus Bitterkeit gegen den Propst, nicht enthalten mit spöttelndem Tone hinzuzusetzen. »Von allen Verwandlungen, die jene Diener des Altars täglich und stündlich vor unsern Augen vornehmen, gelingt ihnen diese immer am besten. Doch, wie versaht ihr es denn, ihr guten Leute, daß ihr in ihre Hände gerietet?« – »Wenn Sie Zeit und Lust haben, meiner Erzählung zu folgen,« antwortete der Grenadier, »so hoffe ich, Ihnen den Zusammenhang unsers Unglücks auf das anschaulichste darzustellen. Wir sind zwei Brüder aus der Vorstadt. Unsere Eltern und Voreltern waren Weber. Sie hinterließen uns, ich gestehe es, ein Handwerk, das auch uns würde ernährt haben; und so hätten wir denn ganz friedlich und schiedlich durch die Welt schleichen können wie sie. – Aber wir fühlten einen unwiderstehlichen Drang nach höhern Dingen – setzten unsere Erbschaft ins Geld – warben junge flinke Bursche und Dirnen, die so dachten wie wir, und stellten uns an die Spitze einer Bande – Schauspieler . . .«
»Stolze, glückliche Zeiten!« fuhr der Akteur jetzt in einer edeln Deklamation fort. »Wenn wir«, hier kehrte er sich mit einer anständigen Bewegung der Hand gegen seinen Bruder, »den Tag über Könige und Feldherrn gespielt hatten, waren wir jeden Abend imstande, unsere Zeche zu bezahlen – blieben unserm Hofe – unserm Militär und unserm Zettelträger nichts schuldig, und gingen als ehrliche Leute zu Bette. Das dauerte ein volles Jahr. Aber hören Sie weiter, mein Herr! Einst führten wir an der Grenze des Landes – zu Cavaillon, wo wir den Tag vorher mit unserer Truppe angelangt waren, ein ausländisches Drama auf – Faust – den Doktor, wie er vom Teufel geholt wird. Und aus der Ökonomie dieses Stücks, sollten Sie es glauben, mein Herr? hat sich nachher alles unser Unglück entsponnen. – Wir hatten unsere Bühne in dem Wirtshause zum › Propheten‹, auf einem sehr großen Saale des Hintergebäudes aufgeschlagen, der aber dennoch gedrängt voll war, als wir den Vorhang aufzogen. Mein guter Bruder stellte den bösen Feind vor, sah fürchterlich aus und brüllte, nach der Schrift, wie ein Löwe. Da aber jedermann wußte, daß es nur Verkleidung war, so fand das Stück einen so lauten, weit um sich greifenden Beifall, daß wir eine Stunde nachher – eine Sache, die in den Annalen der Schauspielkunst unerhört ist – es vor einer noch verstärkten Versammlung wiederholen mußten. Freilich griff es uns an, und mein Bruder spie Blut; aber dafür hatten wir auch eine doppelte Einnahme. Das Spiel dauerte bis nach Mitternacht, und die Zuschauer gingen höchst vergnügt auseinander. Wer hätte sich einbilden sollen, daß der Teufel, während daß wir ihn in seiner Herrlichkeit vorstellten, uns den boshaftesten Streich spielen würde, den er je ausgeführt hat? Gegen mich und die Meinigen hätte er wenigstens kein ärgeres Bubenstück ausdenken können. Wir waren so abgespannt und schläfrig, daß wir kaum die Lichter ausgeputzt hatten, ausgenommen das Endchen, mit welchem mein Bruder uns vorleuchtete, so trabten wir auch schon über den langen Gang unserer Schlafkammer zu. Nun hatte aber der gewinnsüchtige Wirt in unserer Abwesenheit zwo andere Personen in derselben Kammer aufgenommen, ohne ihnen über uns Bescheid zu sagen, anstatt sie, wie er ehrlicher würde getan haben, in ein anderes Gasthaus zu weisen, da in dem seinigen keine Stube mehr leer war. – Aber gut genug! es war ohne unser Wissen geschehen; uns ahndete nichts Böses, und wir traten ein. Mein Bruder, das Stümpfchen Licht in der Hand, lief gerade nach seinem Bette, zog die Vorhänge zurück, und das Unglück war geschehen. Der fremde Herr, der darin lag – heiliger Anton! was für ein Schrecken überfiel ihn, als er aufwachte, und diese Höllenfigur vor sich stehen sah! Er verfiel in ein Angstgeheul, wodurch in dem gleich anstoßenden Bette eine andere Figur erweckt wurde, die, gleich einer Venus, die noch nicht ausgemalt ist, schon damals nicht weniger versprach, als sie nachher gehalten hat, wie Sie am besten wissen werden, mein Herr – –« –
»Wie denn ich?« fragte ich voll Verwunderung. – »Weil es«, antwortete der Grenadier, »niemand anders war, als – die Mamsell hier im Hause.« – »Träumt Ihr, Freund?« unterbrach ich den Soldaten, »oder faselt Ihr?« – »Nichts weniger,« erwiderte er sehr bestimmt. – »Besinnt Euch,« fuhr ich auf ihn zu; »denkt nur, welche schöne Zeit müßte das nicht her sein!« – »Das ist«, besann sich der Erzähler, »mit Ende dieser Woche einundzwanzig völlige Monate.« – »Und da schon,« warf ich ein, »sollte die schöne, fromme, unmündige Klara – – Das ist nicht möglich!« – »So möglich,« versetzte der Grenadier, und hob die Hand wie zum Schwur in die Höhe, »daß es selbst mein Bette war, aus dem sie, ich will Ihnen nicht sagen wie schlank und artig, herausfuhr, und sich entweder aus Furcht oder Bescheidenheit unter die Decke ihres zitternden Nachbars flüchtete. Welcher Sturm des Ungefährs übrigens sie in diese Kammer – in das Bette eines Komödianten, und unter den Wendezirkel des Domherrn verschlagen hatte, mag Gott wissen.« – »Was für eines Domherrn?« fragte ich hastig. – »Er heißt«, antwortete mir der Soldat ganz gelassen – »Ducliquet, und lebt hier in dem größten Ansehen.« –
Nun, du barmherziger Gott! murmelte ich in den Bart, so habe ich mir denn nicht vorzuwerfen, die Geheimnisse deiner Heiligen zuerst aufgedeckt und die Ruhe ihrer Unschuld gestört zu haben. Noch vor Erfüllung der Zeit, noch vor Erschaffung ihres schwellenden Busens – lag sie schon dem Verehrer ihrer Patronin – lag sie herzhaft dem Manne zur Seite, vor dem wohl jeder Christin, die auf den Namen der heiligen Klara getauft ist, ganz besonders bange sein sollte. Nun läßt sich schon eher begreifen, warum sie die berühmte Stelle in der Legende ihrer Seelenschwester so nachdenkend überlas. Von jener Schreckensnacht in dem ›Propheten‹ zu Cavaillon her mag sie wohl die alte Geschichte datieren, von der sie mir sagte, sie sei ihr unter andern Nebenumständen erzählt worden. Ach! diese Nebenumstände! Was gäb' ich für die Menschenkenntnis darum, wenn ich sie wüßte! Wie gut würden sie mir vielleicht die Schwärmerei des Domherrn für die heiligen Steine erklären, die seinen schwachen Kopf fast mehr, als der Stein der Weisen das Gehirn eines Adepten, verrücken! O der Unschuldigen, die erst von den Kasuisten erfahren mußte, was in der Liebe Rechtens ist! O der jungfräulichen Hand, die über die abartige Bildung des schlafenden Engels so scheu ward! und o des Toren, der nur einen Augenblick über die fromme Unwissenheit eines solchen Mädchens nachgrübeln konnte! – »Doch, guter Freund, fahre in deiner Erzählung nur fort,« unterbrach ich endlich meine kleinlauten Betrachtungen und verdoppelte meine Aufmerksamkeit. – »Hätte das Geschrei dieser beiden«, hub der Grenadier wieder an, »die halbe Stadt in Aufruhr gebracht, es wäre kein Wunder gewesen. Umsonst stellten wir uns alle, wie wir waren, teilnehmend um ihre Lagerstatt her, suchten ihnen begreiflich zu machen, daß wir nicht mehr und weniger Teufel wären wie sie – daß diese Kammer unsere tägliche Wohnung, und unser fürchterliches Ansehen nur ein Theaterkleid sei. Totenblaß blieben sie immerfort einander in den Armen liegen, kreuzigten und segneten sich, als sie die Augen aufschlugen, und wurden auch ihrer fünf Sinne nicht eher mächtig, als bis Doktor Faust und der Teufel mit jedem ein Vaterunser gebetet hatten. Sobald mein Bruder sein Schlangenhaar an den Nagel gehenkt, seine Pferdefüße abgeschnallt, die Hörner, die seinen Kopf fürchterlich zierten, neben dem Bette des Domherrn niedergelegt, und vor den Augen des blinzelnden Mädchens seinen langen Schweif zusammengerollt und in die Tasche gesteckt hatte, und nun der Angstschweiß dem Prälaten zu trocknen begann, so kehrte auch schon die natürliche Würde seines Charakters zurück. Er hätte uns gern unser sündliches Leben in einer langweiligen Predigt an das Herz gelegt, wäre ihm nicht selbst mehr damit gedient gewesen, uns von unserm Bette zu verjagen, als uns einzuschläfern. Sonach hielt er es für das sicherste, uns durch sein Ansehn in Furcht zu setzen, nannte uns seinen Namen und Stand, bedrohte uns mit der Inquisition, die wir als Masken der Hölle verdienten, und war in kurzem sogar, hätten Sie das erwartet, mein Herr? gefaßt genug, mich zu fragen, ob das Kind, das sich in sein Bette versteckt hätte, mit zu unserer Bande gehöre? So sehr wir auch Komödianten waren, so erschraken wir doch alle über die Miene der Wahrheit, mit der er seine Frage vorbrachte. Wir sahen einander an, wußten nicht, was wir antworten sollten, und beriefen uns voller Verwirrung auf die Aussage der kleinen Schönen, die indes aber unter seinem Bette vor in das ihrige wieder zurückgekrochen war und keine Lust bezeigte, sich in unsere Rechtfertigung zu mengen. Wir brachen sie auch selbst bald genug ab, hielten es für das klügste, den beiden Pilgern unsere Schlafstellen in gutem zu überlassen, und suchten uns zu behelfen wie es anging. – Mit Tagesanbruch waren sie aus unserer Kammer geschlichen und in einer Chaise auf und davon gefahren, ohne sich zu bekümmern, was wir davon denken würden. Der Wirt, den wir zur Rede setzten, entschuldigte seine doppelte Einnahme für unsere Kammer mit unserer doppelten Einnahme auf seinem Saale; der ganze schnakische Handel ward eine Weile belacht und bald hernach vergessen. Wir spielten in der dortigen Gegend, so lange sich noch Zuschauer einfanden, und gingen einige Wochen nachher, in der schönsten Erwartung von Einnahme und Ruhm, nach unserm Avignon zurück . . .
Kaum [hatten wir] den andern Morgen unsere Garderobe ausgepackt . . . als ich und mein Bruder von dem geistlichen Gerichte freundlich beschickt und eingeladen wurden, vor ihm zu erscheinen. Was haben wir doch, dachte ich flüchtig, mit diesen Herren zu teilen? und wir erschienen mit dem ruhigsten Herzen vor ihren Schranken. Aber ach, unser Mut dauerte nicht lange. Was will die Unschuld eines Komödianten vor einem Tribunale bedeuten, das aus Leuten zusammengesetzt ist, die nie an gute Absichten glauben, aus Achtung für die Unwissenheit alle freie Künste verfolgen, und immer und ewig vom Brotneide gegen unser Handwerk gedrängt werden! Der Vorsitzende legte uns eine Anklage des furchtsamen Domherrn vor, die uns als Landstreicher schilderte, und das Schrecken, das wir ihm nächtlicherweile eingejagt hatten, für nichts geringeres als einen öffentlichen Friedensbruch und als boshaftesten Eingriff in die Geheimnisse unserer geheiligten Religion erklärte. Alle unsere gegründeten Einwendungen dagegen wurden verworfen, man glaubte dem Domherrn mehr als den Komödianten, und unsere Mutmaßung über Klärchens Nachbarschaft an seinem Bette brachte vollends seine Herren Kollegen so wider uns auf, daß sie alle, keinen ausgenommen, auf die Verabschiedung und Trennung unserer Truppe zusammenstimmten, und uns mit dem kurzen Bescheid entließen, nie wieder mit lebendigen Personen zu spielen. – Wir schlichen belastet von unserm Unglücke nach Hause, dem Sturme entgegen, der jetzt unter unserer Gesellschaft entstand, als wir wie Gespenster unter sie traten, und ihr den Ausspruch ihrer Vernichtung bekannt machten. Das schreckliche Wort wirkte wie ein elektrischer Schlag auf alle. Mein alter zitternder Dekorateur malte eben an einer Morgenröte. Der Pinsel entschlüpfte seiner gelähmten Hand und fiel gerade auf die Schürze der Ariadne, die neben ihm saß und ihrem Theseus die Halbstiefeln putzte. Zwei von meinen Grazien, die diesen Abend zum erstenmal in dem Nachspiele auftreten sollten, ließen den Schleier fallen, um den sie sich zankten, und die dritte sprang wie eine Furie hinter dem Verschlage vor, wo sie sich anzog, und überfiel meinen armen Bruder, dessen gottlose Maske sie als die einzige Ursache unsers allgemeinen Unfalls ansah, und worin sie auch nicht ganz Unrecht hatte. Ich trat dazwischen, gebot Ruhe, und ersetzte meine verlorne Gewalt über die Gesellschaft durch eine derbe Beredsamkeit. Den Damen legte ich ihren zweideutigen Ruf nahe an das Herz, und ermahnte sie brüderlich, die Geistlichkeit nicht noch mehr wider ihr weltliches Leben aufzubringen, und wohl gar noch, bei zunehmenden Jahren, in die Exkommunikation zu fallen. Meine Helden beruhigte ich durch einige glückliche Tiraden aus unsern Trauerspielen über die Würde der Standhaftigkeit im Unglück, und empfahl allen, die mancherlei Erfahrungen nun auch zu nützen, welche sie unter meiner Leitung erlangt hätten. Der Kleinmut verlor sich nach und nach auf ihren geschminkten Gesichtern, der Trieb der Selbsterhaltung erwachte, und mein guter Rat ward befolgt. Die eine von meinen Grazien vermietete sich noch diesen Abend, die andere sieben Wochen später, als Amme, die dritte ward – um sich, glaube ich, an dem geistlichen Tribunale zu rächen – Ausgeberin bei dem Präsidenten. Meinen ersten Akteur brachte seine Baßstimme ins Chor. Mein Dekorateur malt jetzt Altäre und Kapellen. Ariadne hat eine kleine Wirtschaft angelegt und findet ihr Konto so gut dabei als die alte Dame nebenan. Meinen Theseus müssen sie oft gesehen haben, mein Herr! Er trägt die kleinen Pasteten zum Frühstück umher, die, wie man sagt, vortrefflich sind; denn der Undankbare hat seinem alten Direktor nie eine zu kosten gegeben. Ich wüßte mit einem Worte keines von meiner Gesellschaft, für das die Vorsehung nicht augenscheinlich gesorgt hätte. Auch für uns beide Brüder sorgte sie, die doch in diesem Tumulte am meisten verloren. Da uns der verhaßte Bescheid verbot, mit lebenden Personen zu spielen, so fanden wir in dieser Klausel selbst den besten Wink für unsern wahren Beruf. Wir schafften uns Drahtpuppen an, und waren in kurzem imstande, mit einem recht gut besetzten Theater die Märkte zu beziehen. Als die Empfindung der falschen Scham überwunden und die erste Auslage verschmerzt war, befanden wir uns sogar selbst besser bei unsern Marionetten, als bei dem vorigen hochmütigen Troß. Wir hatten nun keinen Zank mehr unter unsern Heerführern zu schlichten. Jede Puppe war mit der Rolle zufrieden, zu der sie ihre Gelenke bestimmten. Sie schickten sich weit besser in den engen Kreis, den wir ihnen anwiesen, und stießen nicht an die Wolken, wie ich mich wohl erinnere, daß es sonst geschah, wenn meine Helden Sturmhauben, meine Göttinnen Federbüsche aufsetzten. Mit dem einzigen Anzuge des Perseus, den ich zerschnitt, konnte ich jetzt meine ganze Truppe bekleiden, und ich bekam zwei Vorhänge aus der Schürze, die der Ariadne zu kurz war. Die Mechanik unserer jetzigen Aktrizen ward nicht so oft wandelbar wie bei den vorigen. Unsere Könige und Ritter lagen mit ihnen in einem Kasten, ohne daß wir unangenehme Folgen besorgen mußten, und, was das Beste war, so hatten wir nicht nötig, unsern brüderlichen Gewinn mit unserer Gesellschaft zu teilen. Jetzt spielten wir den Doktor Faust, ohne daß ein Hahn darüber krähte; und da wir überall zu lachen machten, und von dem Vornehmsten bis zu dem Geringsten Aufmunterung und Beifall erhielten, so glaubten wir endlich das blinde Schicksal ebenso gewiß an dem Seilchen zu führen als unsere Puppen . . . Aber auf einmal geschah der unerwartete Schlag, der dieses große kostbare und zusammenhängende Gebäude in seinen Grundpfeilern erschütterte und über den Haufen warf. – – Warum lachen Sie, mein Herr? – Verwechseln Sie mich nicht, ich bitte Sie, mit einem gemeinen Puppenspieler, der seine Kunst wie ein Handwerk treibt und nicht daran denkt, daß man auch hölzernen Figuren Gesinnungen in den Mund legen kann, die gerade auf das menschliche Herz wirken. Ich war, wie Sie mich hier sehen, der Erste meines Standes, der einen schönen Geist besoldete – einen Metastasio in seine Dienste nahm, der unablässig für mein Theater arbeiten mußte, alte Ware für das Bedürfnis der Zeit ausbesserte und neue fertigte, die gegen die strengste Kritik sich aufrecht erhielt. Durch diese Einrichtung hätte vielleicht mein Puppenspiel endlich so viel zur Aufklärung beigetragen, als die königliche Schaubühne zu Paris. Aber weislich ließ es die hohe Klerisei nicht bis dahin kommen. Es war vor dem Jahre in der Weinlese, als wir das älteste Stück von allen, die jemals gespielt wurden, aufführten, nur neu bearbeitet und in einem Modegewande. Wir hatten es bis zu dieser Epoche aufgehoben, wo das menschliche Herz, wie unser Theaterdichter sagte, besonders zum Gefühl des Großen und Erhabenen gestimmt sei. Unsere Zettel kündigten es von einer Ecke der Stadt bis zur andern unter dem prächtigen Titel an: Das allgemeine Trauerspiel der Menschheit oder Das verlorne Paradies. Hatten wir gleich auf eine große Menge Zuschauer gerechnet, so übertraf der Zulauf doch unsere größte Erwartung. Als alle Himmelslichter angezündet waren und der Vorhang nun aufflog, geriet die Versammlung in einen so lärmenden Beifall, daß durch die Erschütterung, die er verursachte, ein Stern der ersten Größe vom Horizonte herabfiel. Indem trat ich als Prologus auf – winkte mit der Hand, und es war rührend anzusehen, wie augenblicklich dieser unbändige Tumult in die tiefste Stille überging. Meine Anrede an das Publikum enthielt, wie bei den Schauspielen der Griechen und Römer, den ganzen Plan des Stücks, und war so gut gearbeitet und darstellend, daß es Ihnen sein würde, mein Herr, als hätten Sie mit in dem Parterre gesessen, wenn es Ihnen gefällig wäre, sie anzuhören. Ich weiß sie noch so auswendig, als damals; denn ob sie mich gleich und die Meinigen in Kummer und Elend gestürzt, und ihren poetischen Verfasser genötigt hat, landflüchtig zu werden, so kann ich doch einmal das schnackische Ding nicht vergessen, und rezitiere es oft mir selbst vor, und gemeiniglich um so viel pathetischer, je weniger ich vor Hunger weiß, was ich anfangen soll. Heute, hoffe ich, wird es noch besser gehen, da ich ein gutes Souper in der Aussicht habe. Darf ich, mein Herr?« – »Ganz gern, lieber Grenadier,« antwortete ich, und setzte mich in meinem Lehnstuhle zurechte . . .