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Kapitel XXI.
Rio de Janeiro und Serra dos Orgãos.

Rio de Janeiro. Samstag, den 22, September.

Heute früh, sieben ein halb Uhr, fuhren wir mittelst Eisenbahn und Dampfschiff nach Rio de Janeiro zurück. Das Wetter war prachtvoll, die Fernsicht entzückend. Wunderbar berührte uns, gelegentlich der Thalfahrt, der Moment, in welchem sich der Blick auf die Bai erschliesst und vom Bahnkörper der waldbekleidete Südabhang der Serra da Estrella etwa 7-800 m fast senkrecht in der Richtung gegen das Meer zu abstürzt. Zwei Stunden, nachdem wir Petropolis verlassen, befanden wir uns wieder in der Hauptstadt.

Der übrige heutige Morgen wurde einem erneuten Besuch des Museums und ausserdem der brasilianischen Kunst gewidmet. Der Kaiser wünschte, dass wir einen Einblick erhielten in die Leistungen einheimischer Künstler und dieser wurde uns in der Academia das Bellas Artes. Man kann gerade nicht sagen, dass die brasilianische Malerei und Bildhauerei Hinreissendes bietet, doch gehört ihr Studium zu dem von Land und Leuten und war uns von diesem Standpunkt aus interessant. An Skulpturen fielen uns diejenigen von Bernardelli auf, einem Brasilianer italienischer Abkunft. Sein einheimisches Sujet, eine lebensgrosse Indianerin, ist ziemlich gelungen, und in seiner Gruppe »Christus und die Ehebrecherin« ist letztere wirklich schön zu nennen, während die Gestalt Christi etwas zu wünschen übrig lässt. An Bildern sind vor Allem zu nennen, diejenigen der beiden Akademieprofessoren Pedro Americo de Figueiredo und Victor dos Mereilles. Ersterer, sicher der bedeutendere von beiden Künstlern, ist hauptsächlich durch hübsche, einzelne Frauengestalten vertreten, letzterer unter anderem durch die grosse Seeschlacht von Riachuelo und durch eine tropische, in Sonnengluth getauchte Landschaft. Minder gelungen sind die Werke des Genre- und Historienmalers Amõeda, ferner die ebenfalls von Brasilianern verfertigten Bilder der einzigschönen Bai von Rio de Janeiro. Unter all diesen Malereien fesselte uns besonders ein Porträt Dom Pedros II. als zehnjähriger Knabe, Die hübsche, anmuthige, intelligente Physiognomie des Kindes, das damals schon seit einem Lustrum Kaiser war, versprach, was später der Mann gehalten. Es kann nie genug bewundert werden, dass dieser hohe Herr, in einer solchen Stellung elternlos aufgewachsen und noch überdies in einer politisch höchst erregten Zeit, die bis in seine nächste Umgebung fühlbar wurde, auch in seiner Jugend stets der Pflicht und Vernunft unterthan geblieben ist. Früh schon entwickelte sich in ihm ein ernster, nach allem Grossen und Edlen strebender Geist und ein Wissensdrang und Fleiss, welchen man, statt zu ermuntern, eher dämpfen musste. Diese seltenen Charakteranlagen, dieser brennende Wunsch, sich mit allen Kräften des ihm werdenden und dann gewordenen Berufes würdig zu zeigen, haben verhindert, dass Macht und Stellung dem jungen Herrscher den Kopf verwirrten, haben vermocht, dass er der Wahrheit den Weg zu seinem Ohr stets offen hielt. Und so hat Dom Pedro, der mit 14 Jahren die Zügel der Regierung ergriff, glücklich alle Schwierigkeiten überwunden, die in den Verhältnissen seiner Jugend gelegen waren. –

Nachmittags folgten wir einer Einladung des Professors Ferreira de Santos, das von der Regierung in's Leben gerufene und nach dem System Pasteur eingerichtete Institut zur Wuthschutzimpfung zu besuchen. Der tüchtige Gelehrte hat in Paris bei Pasteur studirt und trachtet nun, in seiner Heimath die gemachten Studien zu verwerthen. Im Hof des Institutes fanden wir eine ganze Reihe von Kaninchen, denen die Hirnschale geöffnet und das Toxin zwischen die Rückenmarkshäute eingespritzt worden war. Die Wirkung des Giftes äussert sich in einer fortschreitenden Paralyse, von welcher wir die verschiedenen Stadien an den verschiedenen Kaninchen beobachten konnten. Da die Incubationsdauer sieben Tage beträgt, sind die Thiere die erste Woche nach der Injektion noch munter und bei Fresslust. Hierauf tritt eine halbe und nach ungefähr weiteren sechs Tagen eine ganze Lähmung ein. Das Athmen geht nur mehr mühsam vor sich und die armen Thiere haben bald ausgelitten. Aus den todten Kaninchen wird das Rückenmark herausgenommen und in einem sterilisirten Gläschen aufgehängt. Je mehr dieses Rückenmark trocknet, desto mehr schwächt sich die Wirkung des in ihm enthaltenen Wuthgiftes ab, bis, bei gänzlicher Vertrocknung, die Virulenz vollständig erlischt. Ein minimales, mit sterilisirter Bouillon angefeuchtetes und zerriebenes Stückchen der wuthvirushaltigen Marksubstanz, welche in einem auf 24 ° C. erwärmten Raume trocknen muss, dient nun dazu, den Patienten mittelst subcutaner Injectionen zu impfen. Die Einspritzungen werden rechts und links unterhalb der Rippen vorgenommen und längere Zeit hindurch täglich fortgesetzt, jeden folgenden Tag mit stärkerem Impfstoff. Ferreira de Santos hat schon zahlreiche Immunisirungsversuche mit Erfolg gemacht und führt genau Journal über die gewonnenen Resultate.

Ausser den Apparaten zur Wuthschutzimpfung hat das Institut noch allerhand andere. Ich erwähne nur einen Apparat, um mikroskopische Präparate bei Magnesialicht zu photographiren, und ferner Kulturen verschiedener pathogener Bakterien, z. B. solcher von Tuberkel- und Milzbrandbacillen. All dies trägt dazu bei, zu beweisen, wie die medizinischen Institute Brasiliens sich ganz auf Höhe der Zeit befinden. Die Anstalt des Direktors Ferreiro ist geräumig und reinlich und hinterlässt einen ebenso günstigen Eindruck wie die Misericordia und das Hospicio Dom Pedro II.

Den ganzen Tag war die Luft drückend heiss, und die Temperatur im Zimmer stieg bis auf 27° C. Abends brach eines der in dieser Jahreszeit höchst seltenen Gewitter los.

Rio de Janeiro. Sonntag, den 23. September.

Heute hielt der Kaiser eine Parade über die ganze Garnison von Rio de Janeiro ab. Da wir von Seiten der Majestäten aufgefordert waren, diesem militärischen Schauspiele beizuwohnen, mussten wir uns schon früh bei denselben im Paço de São Christovão einfinden. Der Kaiser trug heute Marschallsuniform, welche ihm, wie er freimüthig äusserte, nicht im Entferntesten so sympathisch ist, wie die von ihm mit Vorliebe getragene Admiralsuniform. Er hat kein sonderliches Interesse für die Armee, ein desto grösseres aber für die Marine. Dem Offizierkorps der Kriegsmarine strömen alle gebildeteren Leute zu, indessen der Dienst im Landheer von den Söhnen besserer Familien im Ganzen gemieden wird. Doch sollen sich in letzter Zeit die diesbezüglichen Verhältnisse etwas günstiger gestaltet haben.

Der Friedenspräsenzstand der brasilianischen Armee ist 15 000 Mann. Dieselbe besteht weit überwiegend aus Mischlingen. Sie rekrutirt sich aus Freiwilligen, wenn aber deren Zahl nicht genügt, werden diensttaugliche Individuen gepresst, wie es einst in England für die Kriegsmarine geschah. Zwar wurde vor dreizehn Jahren ein Conscriptionsgesetz erlassen, doch liess sich dasselbe in Folge räumlicher Schwierigkeiten und theilweisen Mangels der zu statistischen Angaben nöthigen Behörden, vielfach nicht praktisch verwerthen. So sind die Zustände ziemlich geblieben, wie sie waren und wird noch so manches Gesindel in die Uniform gesteckt. Bezeichnend für das geringe Ansehen, in welchem die Armee steht, ist z. B. die Erzählung, welche man uns vor etlichen Monaten in Pará zum Besten gab. Es wurde nämlich behauptet, dass gelegentlich des Krieges mit Paraguay, wegen Truppenmangels, die Sträflinge von Fernando de Noronha in das Heer eingereiht worden seien. Hinzugefügt wurde jedoch, dass es nicht mehr dazu gekommen sei, sie gegen den Feind zu senden.

Ausser dieser regulären Armee giebt es in Brasilien noch eine Nationalgarde, welche aber selten oder nie zu Uebungen einberufen wird. Dieses Einberufen hängt vom Willen und Eifer des einzelnen Cadrekommandanten ab. Die Nationalgarde untersteht für gewöhnlich dem Ministerium der Justiz und erst im Mobilmachungsfall dem Kriegsministerium.

Einen grossen Theil der aus nur wenig Regimentern bestehenden regulären Armee sollten wir nun heute sehen. Im offenen, sechsspännigen, aber höchst einfachen Wagen fuhren die Majestäten, die Kronprinzessin und ich nach dem Campo de São Christovão, wo der Vorbeimarsch stattzufinden hatte. Graf Eu, der kaiserliche Schwiegersohn, befehligte die Parade. Zuerst marschirte die Infanterie vorbei, sie marschirte, ohne Schritt und Richtung zu halten. Die ihr folgende Artillerie machte einen weit besseren Eindruck. Den Schluss bildete die ganz leidlich berittene Kavallerie, unter der wir Ulanen mit grellrother Kopfbedeckung bemerkten. Das Vorbeidefiliren auch dieser Truppe geschah in unmilitärischer Haltung; ein Pferd war voraus, eines zurück, ein drittes der Quere. Am tadellosesten lösten ihre Aufgabe die ziemlich zahlreichen Schüler der Militärbildungsanstalt von Praia Vermelha. Die verschiedenen Waffengattungen sind sämmtlich schwarzblau uniformirt, nur die Musik der Infanterieregimenter trägt graue Uniform. Die Kavalleriemusik ist lediglich auf Schimmel beritten.

Viele Zuschauer hatten sich zu diesem militärischen Schauspiel eingefunden. Keine Polizei war sichtbar, und die Leute umgaben von allen Seiten den kaiserlichen Wagen und drängten sich dermaassen an denselben heran, dass sie momentan die freie Aussicht auf die Truppen benahmen. Es äusserte sich auch hier wieder das patriarchalisch gemüthliche Verhältniss zwischen Kaiser und Volk, wie es sich vor einem Monat, gelegentlich der Rückkehr des Kaiserpaares aus Europa geäussert hatte.

Vom Paradeplatz ging es nach dem Quartel de Artilharia, der Artilleriekaserne. Hier wurde in einer Kapelle mit auffallend niedriger Decke eine heilige Messe gelesen. An Stelle von Kniebänken hatten wir auf den Boden gelegte Kissen, zu deren Benutzung man etwas gymnastisch geschult sein musste. Rechts und links vom Altar standen einige Herren der Offiziersschule; hübsche und angemessene Militärmusik begleitete die religiöse Handlung. Nach der heiligen Messe, aber noch in der Kapelle, küssten Offiziere, der Feldpater und der Geistliche, welcher celebrirt hatte, portugiesischer Hofsitte gemäss, dem Kaiser die Hand. Auf Wunsch Seiner Majestät, welcher selbst die Führung übernahm, folgte ein Rundgang durch die Kaserne, weil wir auch eine solche in Brasilien gesehen haben sollten. Die Räume sind gut und luftig, gut auch die Lager der Soldaten. Der Speisesaal ist gross und reinlich, ebenso die Küche. Die Menage der Mannschaft ist besser als die bei uns übliche.

Nach Besichtigung der Kaserne erfolgte die Rückkehr in den Palast von S. Christovao, woselbst ich zum Gabelfrühstück, welches die kaiserliche Familie vereinte, geladen war. Während desselben wurde das Militärwesen Brasiliens besprochen. Nach demselben sollte mir der ganze Palast gezeigt werden.

Im ersten Stock des Paço befinden sich ausser dem eher niedrigen und ziemlich einfachen Speisesaal, die nicht sonderlich grossen, aber hübschen Empfangsräume, welche Marmorbüsten, Statuen aus Marmor und verschiedene grosse Familienporträts schmücken. Zu ihnen gehört ein Thronsaal mit Thron und Baldachin aus grünem Sammt. Ferner befinden sich hier die gemüthlich eingerichteten Wohnzimmer der Kaiserin; die Wände dieser Gemächer sind mit unzähligen Bildchen behangen, unter denen ich Photographien meiner Mutter, einer Jugendfreundin der hohen Frau, entdeckte. Das gleiche Stockwerk enthält in zwei grossen Sälen die Bibliothek und die Mineraliensammlung der Kaiserin Leopoldine, der gelehrten Mutter Dom Pedros II. Auch Vieles, was der regierende Kaiser gesammelt, hat hier Platz gefunden, so eine ganze Reihe russischer, namentlich wissenschaftlicher Werke, unter welchen ich nur das , und den nennen will. Dom Pedro beherrscht nämlich auch die äusserst schwierige Sprache des grossen ostslavischen Volksstammes. An naturwissenschaftlichen Schätzen sind noch manche zoologische, paläontologische und ethnographische Gegenstände, letztere namentlich indianischen Ursprunges, zu erwähnen.

Im zweiten Stock befinden sich das grosse Schlafgemach der Majestäten und etliche Zimmer des Kaisers, welche trotz ihrer Einfachheit weit eleganter sind, als diejenigen der Quinta in Petropolis. Hier ist auch der Saal, in welchem der Kaiser jeden Samstag an einer der Schmalseiten eines grossen Tisches dem Ministerrath präsidirt. Nahe diesem Raum ist die sehr umfangreiche Privatbibliothek des Kaisers in drei wohlangefüllten Sälen aufgestellt. Hier fühlt sich der hohe Herr in seinem Element, denn hier findet sein wissensdurstiger, vielseitig thätiger Geist die nöthige Befriedigung, und Bücher sind seine besten Freunde. Portugiesische, spanische, französische Werke und solche in anderen, ihm geläufigen Sprachen reihen sich aneinander. Auch sind kostbare Schriften über das Tupí vorhanden, dieser indianischen Sprache, welche zur Zeit der Entdeckung Brasiliens an der ganzen Küste und weit in das Innere des Landes hinein verbreitet war, und jetzt noch, im Verein mit dem fast identischen Guaraní, unter allen indianischen Sprachen Südamerikas die verbreitetste ist. Namentlich im Amazonasthal wird sie von vielen wilden und civilisirten Indianern und auch von Weissen gesprochen. Nicht nur eine Menge Tupiworte sind im Laufe der Zeiten in das brasilianische Portugiesisch eingedrungen, auch die Satzbildung des letzteren hat durch das Tupí einen Einfluss erlitten. Der Kaiser bringt dieser wichtigsten Sprache der Autochthonen seines Landes ein berechtigtes Interesse entgegen und dringt auf die Errichtung von Lehrstühlen für dieselbe In dem meiner Rückkehr aus Brasilien folgenden Jahr 1889, schrieb der Kaiser einen interessanten Aufsatz über das Tupí, welcher dem Artikel »Brésil« der »Grande Encyclopédie« sollte einverleibt werden. Er sandte mir denselben, den Wunsch anfügend, dass ich deutsche Linguisten veranlassen möchte, sich mit dieser Sprache zu befassen..

Ausser Bücher sind in der kaiserlichen Bibliothek Berge von Journalen und Zeitungen aufgehäuft. Ferner befinden sich da die Tagebücher, welche der Kaiser während seiner Reisen geschrieben, die Gedichte, welche er verfasst und die Uebersetzungen aus dem Hebräischen, welche seiner Feder entflossen. Auch die Bleistiftskizzen, die er auf seinen Fahrten in die weite Welt gezeichnet hat, sind hier aufbewahrt. An den Wänden hängen Porträts berühmter Männer der Gegenwart und vom Kaiser eigenhändig gemalte Bildnisse grosser Staatsmänner aus allen Zeiten. Auch eine von ihm, nach einem Kupferstich, in Oelfarbe ausgeführte Scene aus der französischen Revolution ist in Anbetracht ihres Figurenreichthums keine geringe Leistung für einen Dilettanten. Rechnet man zu diesen literarischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Erzeugnissen des Kaisers noch seine echt brasilianische Vorliebe für Musik, die sich mit feinem Verständniss für das Reich der Töne paart Der Kaiser war der erste Protektor des bekannten brasilianischen Opernkomponisten Gomes (Mossé: Dom Pedro II., p. 374) und scheint auf Wagner's Genie schon aufmerksam gewesen zu sein, als dasselbe noch gar keine sonderliche Anerkennung gefunden hatte. (Julien: Richard Wagner, sa vie et ses oeuvres, p. 114. 115.) und ihn sogar zu einzelnen Kompositionen in Rossini'schem Geist veranlasst hat, so wird man einen annähernden Begriff erhalten von den reichen, mannigfaltigen Veranlagungen dieses hohen Herrn. Zu betonen ist hier, dass die soeben erwähnte, vielseitige Thätigkeit des Kaisers gewissenhaft auf die Mussestunden beschränkt wird, und der Monarch, in vollster Pflichttreue, vor Allem und mit Eifer den Regierungsgeschäften obliegt.

Der Kaiser, welcher mich mit grösster Liebenswürdigkeit selbst durch alle Räume erklärend geleitete, beschloss unsere Wanderung mit dem Besuch der Palastkirche. Dieselbe ist aus weissem Stucco und ziemlich gross, aber nichts weniger als schön.

Nachmittags durfte ich mit den Majestäten gemeinsam nach Petropolis zurückkehren. An der Praia in Rio wartete viel Volk, welches dem vorbeigehenden menschenfreundlichen Herrscherpaar mit sichtlicher Anhänglichkeit und warmer Verehrung die Hände küsste. Es nahm uns das kaiserliche Ruderboot auf, ein grosses, reichverziertes Fahrzeug mit geräumiger Kajüte. Die etwa zwanzig Matrosen waren geschmacklos grün gekleidet und trugen mit Silberborten benähte Kopfbedeckungen aus Zeug, in Form von abgestutzten preussischen Grenadiermützen. Einige Ruderschläge brachten uns an Bord der eleganten kaiserlichen Yacht, welche in angenehmem Widerspruch steht mit der sonstigen altmodischen und fast ärmlichen Ausstattung des in seinen Mitteln sehr beschränkten Hofes. Dem hübschen weissen Anstrich und den vergoldeten Verzierungen aussenbords entspricht im Innern des Schiffes die bis in die Einzelheiten schöne, vornehme und geschmackvoll moderne Möblirung. Die Ueberfahrt nach Mauá fand unter gemüthlichem Plaudern mit der Kaiserin statt, indessen der Kaiser sich in Zeitungen vertiefte, Wort für Wort die letzten Kammerverhandlungen zu lesen. In Mauá bestiegen wir den kaiserlichen Separatzug, dessen von den Majestäten benutzter Waggon sich durch grosse Einfachheit auszeichnete. Er bestand aus einem einzigen, mit dunklen Ledermöbeln ausgestatteten Raum, in welchem man sich nicht einmal den Luxus eines Tisches erlaubt hatte.

Um drei ein halb Uhr waren wir wieder in Petropolis angelangt.

Petropolis. Montag, den 24. September.

Gestern, nach unserer Ankunft, erstiegen wir einen Aussichtspunkt, der uns besonders klar vor Augen führte, wie schwer es hält, über Petropolis einen Ueberblick zu gewinnen. Die Stadt ist in lauter einzelne, durch Höhenzüge eingeengte Theile zergliedert. Man kann buchstäblich sagen, dass eine jede der äusseren Strassen von der nächsten durch einen Höhenzug getrennt ist.

Abends stellte sich Regen ein. –

Den heutigen Vormittag benutzten wir zum Besuche desjenigen Quartiers der deutschen Kolonie, welches den Namen Palatinato trägt. Die Ansiedlerhäuschen daselbst sind nett, sauber und in Gärten gelegen. Sie machen den Eindruck, sehr heimlich zu sein. In einem derselben fanden wir eine schon in Brasilien geborene Frau, deren Eltern aus dem Hundsrück eingewandert waren. In einem anderen Häuschen wussten die Leute nicht mehr, woher ihre Eltern gekommen, doch verrieth uns ihr echt pfälzischer Dialekt das vergessene Abstammungsland. In einem dritten Hause wohnte eine sechzigjährige Frau, welche im Alter von zwölf Jahren ihre Heimath, Weissstadt bei Alzey, mit Brasilien vertauscht hatte. Sie sprach stark Dialekt und war eine echte Pfälzerin, heiter, witzig, wortreich. Ihre drei Brüder zählten ebenfalls zu den Kolonisten und konnten ganz wohlhabend genannt werden. Sie selbst wünschte sich dahin zurück, wo ihre Wiege gestanden, doch fehlten ihr die Mittel zur weiten Reise.

Der übrige Theil des heutigen Tages verging mit Besuchsaustausch zwischen der kaiserlichen Familie und mir. Der Kaiser hatte die Güte, mir heute auf besonderen Wunsch einige seiner, selbstverständlich auf portugiesisch geschriebenen Gedichte vorzulesen. Unter denselben befanden sich namentlich solche, welche die reinste, selbstloseste Liebe zu Vaterland und Familie athmeten, und ferner fliessende, anerkannt ausgezeichnete Mossé: Dom Pedro II. 347. Uebersetzungen aus verschiedenen fremden Sprachen. Sein Vortrag war einfach, natürlich, tiefempfunden und in Folge dessen auch zu Herzen sprechend. Zum Schluss las der hohe Herr auch Einiges auf französisch, deutsch und italienisch, was ihm keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten schien.

Die Temperatur, welche heute Nachmittag 3 Uhr 25° C. war, fiel Abends auf 19° C. herab.

Petropolis – Therezopolis. Dienstag, den 25. September.

Früh sechs ein halb Uhr zeigte das Thermometer 18° C. Um 7 Uhr vollzog sich unser endgiltiger Aufbruch von Petropolis, wohin wir erst in acht Tagen, und da nur mehr auf einige Stunden, zurückkehren sollen. Ein bequemer Wagen brachte uns durch den Kolonietheil Westphalia auf schon bekannter Strasse bis nach Correas und auf noch unbekannter bis Santo Antonio. Zum ersten Male bei tadellos schönem Wetter befuhren wir diese prachtvolle Verkehrsader nach Minas Geraes und konnten die anziehende Gebirgsgegend ungestört bewundern. In Santo Antonio bestiegen wir die bestellten Pferde, um über die Berge nach Therezopolis zu reiten. Seit unserer Diagonaltour durch Espirito Santo war uns nicht mehr der Genuss geworden, im Sattel zu reisen. So ging es nun frisch und fröhlich dahin durch die stille Hochlandsnatur, im Gefühl wiedererlangter Freiheit nach all dem städtischen Zwang der letzten Wochen.

Bisher, zu Wagen, hatten wir die nördliche Richtung eingehalten, jetzt führte unser Weg ost- und südostwärts weiter. Wir ritten Anfangs durch eine vollständig baumlose Berggegend, in welcher viele Sitios, d. h. kleine landwirthschaftliche Anwesen und auch etliche Lehmhütten zerstreut umherlagen. Neger und Lusobrasilianer waren gerade überall beschäftigt Batatas (Ipomoea Batatas Lam.) zu pflanzen und türkischen Weizen auszusäen. Letzteres geschah, sofern ich richtig gesehen, mittelst Dippelstockes. Wir hielten geradewegs auf den Gebirgsrücken zu, welcher das Thal des Rio Piabanha von dem Thal des Rio Paquequer pequeno scheidet und sich vor uns zu einzelnen grossen Kuppen erhob. Mehrmals mussten wir Wasserläufe durchreiten. Anfangs ging es sanft, dann steiler bergauf. Die Menschen waren hinter uns zurück geblieben und wir befanden uns in trauter Bergeseinsamkeit. An einem über Felsen rauschenden Gebirgsbach hielten wir in stillem Hochthale Mittagsrast Die Sonne brannte heiss und wir suchten Schutz unter einer Figueira (Urostigma [organense Miq.?]). Hohe Gabelfarne (Mertensia) deckten die Hänge weithin; vor uns rechts und links starrten bromeliaceenbewachsene Felszacken in die Höhe. Nun ging der Weg noch steiler aufwärts, zwischen den Felsen hindurch über den hohen Sattel. Beim Aufstieg hatten wir einen schönen Rückblick hinüber und hinab auf die Berge im Nordwesten, welche als ferne, zu einzelnen Spitzen emporgerichtete Kette hingelagert waren. Uns zu Füssen bis hinüber zu ihnen dehnte sich sehr coupirtes Terrain, ein niederes Bergland. Mühsam arbeiteten sich unsere Pferde die steile, waldbedeckte Lehne empor und auf dem halbzugewachsenen, tiefeingeschnittenen Saumpfad weiter. Ein gestürzter Baumstamm lag auf solche Weise über dem Weg, dass wir für einen Augenblick absitzen mussten und kaum die reiterlosen Thiere mit den Damensätteln darunter wegschlüpfen konnten. Immer wilder und zausiger wurde die Capoeira, welche wir zu durchqueren hatten, immer dichter und unbescheidener hingen von beiden Seiten Büsche und Bäume in den wohl seit Wochen von keinem Reiter mehr benutzten Durchhau herein. Wir mussten uns bis auf den Sattel herabgebückt halten, um unter dem Gezweige durchzukommen. Plötzlich beeinträchtigte das Tiefüberhängen eines Bambusgebüsches die freie Bahn noch mehr, und ehe ich, die an der Spitze ritt, es nur denken konnte, war mein Pferd unter mir durch und ich, abgestreift, Kopf voraus nach rückwärts auf den Boden gelangt. Eine schmerzhafte Prellung des Rückgrates war die Folge des Sturzes. (So meinten wir. Thatsächlich aber hatte ich mir, wie sich einige Monate später herausstellte, eine Rippe gebrochen). Um sich nicht der Gefahr eines zweiten solchen Unfalles auszusetzen, verfolgte nun die ganze Karawane den weiteren Weg zu Fuss, solange er noch unter so niedrigem Buschwerk hindurchführte. Dann sassen wieder Alle auf. Wir ritten durch einen wahrhaftigen Blumenhain, und es berührte uns eigenthümlich aus unseren Gärten wohlbekannte Pflanzen hier ungehegt und ungepflegt gedeihen zu sehen. Hohe, gelbblühende Malvaceen, Abutilon Bedfordianum St. Hil. et Naud. var. concolor K. Sch. wuchsen neben Rosen blättrigen Himbeersträuchern (Rubus rosaefolius Smith var. coronarius DC.) mit ihren reizenden weissen Blüthen, welche gefüllten Röschen zum Verwechseln glichen. Rothblühende Fuchsien (Fuchsia integrifolia Camb. var. mollis Dingler n. var. Diese von mir mitgebrachte Fuchsia stellte sich als eine nov. var. der Fuchsia integrifolia Camb. heraus. Ihre jungen Triebe sind dicht weichhaarig, und wurde sie von Professor Dr. Dingler var. mollis benannt., Begonien in Blüthenschmuck, Lantanen mit rothgelben und mit lila Blüthen (Lantana mixta L.(?) und Lantana lilacina Desf.), Eriope macrostachya Mart., ein tief blaublühender Strauch, die Salvia altissima Pohl, eine strauchförmige Salbei mit rothen Blumenkronen Diese Salviaspecies ist in der Flora brasiliensis nur für Minas und Goyaz verzeichnet. Das von mir in der Serra dos Orgãos gefundene Exemplar, zeigt, verglichen mit den aus obigen Standorten stammenden Exemplaren, Standortsmodifikationen., und endlich terrestrische Orchideen, nämlich Stenorrhynchus orchioides L. C. Rich., deren rosa Blüthenstand kühn nach aufwärts strebte, schufen ein ungemein farbenreiches Bild. Daneben fehlten nicht die im südlichen Mittelbrasilien weitverbreitete Cuphea ingrata Cham. et Schl., die jetzt nicht in Blüthe stehende Miconia Eichlerii Cogn. All die obengenannten Pflanzen, mit Ausnahme der Begonien und der gelbrothblühenden Lautana, in mein Herbarium gesammelt., das ungemein zierliche Trichomanes pixidiferum L. In mein Herbarium gesammelt, doch da die Standortsbezeichnung verloren gegangen, ist es nur eine Vermuthung, dass dieser Hautfarn hier gefunden. und unzählige andere Sträucher, Halbsträucher und Kräuter. Einer grünen Mauer gleich begleitete uns rechts und links der undurchdringliche Buschwald, aus dem nur wenig hohe Bäume aufragten und dem die Epiphyten fast vollständig fehlten.

Wir ritten ganz nah an die Felsköpfe hin. Nebelschleier zogen uns entgegen und hüllten uns urplötzlich von allen Seiten ein. Fernblick, wie Vordergrund gingen in dem wallenden, wogenden Nebelmeer unter, sogar die näheren Bäume verbargen sich hinter einem grauen Flor, welcher sie zu räthselhaften Gestalten verzerrte. Wir erreichten die waldbedeckte Schneide, von der die Aussicht nach vor- und nach rückwärts herrlich sein muss. Im feuchten, rieselnden Nebel führte der Saumpfad nun steil bergab und unsere Pferde rutschten mit geschlossenen Hinterfüssen über die nassen Felsplatten hinunter. Doch war der Weg im Ganzen ungleich besser, als es die Picadas der Rio-Docewälder waren, denn hier fehlten die berüchtigten Pilões. Weiter thalwärts entritten wir der Nebelregion und sahen uns in ein waldiges Hochthal versetzt. Zu unserer Rechten blieben hoch oben die fast senkrecht aufsteigenden, nackten Felsen der Serra. Der Wald nahm einen anderen Charakter an. Es zeigten sich ein paar Araucarien und eine einzelne Palme, baumartige Gewächse, welche wir höher oben ganz vermisst hatten. Aroideen und epiphytische Bromeliaceen stellten sich erst hier wieder ein. Noch mehr thalwärts umfing uns endlich der richtige, üppige Küstenurwald mit seinen von Tillandsia usneoides geschmückten, schirmartig gebreiteten Baumkronen, seinem malerischen, laubenbildenden Lianenbehang, seinem Ueberreichthum an grünenden, sprossenden und rankenden Pflanzen. Es war zwar Altbekanntes, doch immer wieder Gerngeschautes, da man sich nie satt sehen kann an dieser märchenhaften, unerreicht dastehenden Vegetationsfülle.

Wieder fiel dichter Nebel ein, der sich diesmal bald in Regen auflöste. Unser schmaler Pfad hatte sich unterdessen in einen breiteren Weg verwandelt und hatte in rechtem Winkel auf das weite, ebene Thal des Rio Paquequer pequeno gemündet. Die Waldberge, welche zu beiden Seiten der Thalsohle aufsteigen, waren sichtbar, die etwas ferneren Zinken des berühmten Orgelgebirges blieben jedoch in Wolken gehüllt. Hier gab es keine Lehmhütten, dafür einzelne, besser aussehende Häuschen längs der breiten, guten Strasse, welche das nordsüdlich verlaufende Thal der Länge nach durchzieht. Wir legten auf dieser Strasse die letzte halbe Stunde unserer Tagereise in munterem Galopp zurück und erreichten nach sechseinhalbstündigem Ritt unser heutiges Nachtquartier, Therezopolis.

Therezopolis ist nur ein kleiner, aus wenigen Häusern bestehender Ort, eine Art Sommerfrische für die Fluminenser. Es liegt etwa 800 m hoch über dem Meere und, wie Petropolis, auf der Nordabdachung der Serra do Mar. Seine Jahresisotherme wird um ungefähr 4° hinter derjenigen von Rio de Janeiro zurückbleiben. Heute Abend 6 Uhr zeigte das Thermometer 17° im Thal. Unter Tags, in etwas höheren Regionen, war es einige Male so kühl gewesen, dass wir gern nach unseren Mänteln gegriffen hatten.

Wir haben in einem sauberen, kleinen Gasthaus Unterkunft gefunden. Der Ort ist noch wie ausgestorben, da ebensowenig wie für Petropolis die Besuchssaison begonnen hat. Wirklich ist auch die Luft draussen und in den Zimmern empfindlich feucht und ungemüthlich. Ein Macucú (Tinamus solitarius Vieill.), ein Steisshuhn mit überwiegend röthlich-braunem Gefieder, das die dichten Wälder Mittel- und Süd-Brasiliens bewohnt, bildete den Hauptbestandteil unserer heutigen Abendmahlzeit.

Die Serra dos Orgãos von Therezopolis aus.

Therezopolis – Piedade. Mittwoch, den 26. September.

Früh 8 Uhr war die Temperatur wie Abends vorher 17° C. Nebel und Regen hinderten uns an zeitigem Aufbruch, da wir zu dem landschaftlich berühmt schönen Ritt hinab nach Bananal besseres Wetter abwarten wollten. Thatsächlich hellte es sich später etwas auf und aus dem Nebel tauchten unfern von uns die riesigen, vermuthlich aus Gneiss bestehenden Derby: Os picos altos do Brazil p. 7. Orgelpfeifen der Serra dos Orgãos auf. Diese bizarren Gebilde, welche dadurch entstanden, dass von dem fast senkrecht geschichteten Gestein die weicheren Schichten zerstört worden und nur die härteren stehen geblieben sind Hartt: Geology and Physical Geography of Brazil 16., erreichen in dem Dedo de Deos den Culminationspunkt ihrer Absonderlichkeit. Letztgenannter Bergspitze, welche thatsächlich wie ein riesengrosser Steinfinger gegen Himmel ragt, wusste ich keine ähnliche Bergform an die Seite zu stellen. Rechts von ihr starren zwei weitere, Garrafão genannte Zinken empor, welche mit ersterer zusammen beiderseits von Waldbergen malerisch eingerahmt werden. Das merkwürdige Bild festzuhalten entwarf ich davon eine flüchtige Skizze in mein Zeichenbuch.

Es war inzwischen zehneinhalb Uhr geworden, und nun durften wir nicht länger mehr zögern, aufzusitzen. Unser Weg, eine breite zum Theil gepflasterte Strasse, führte südwärts dahin, anfangs auf der langsam ansteigenden, weiten Thalsohle, welche mit Gestrüpp und magerem Wald bedeckt war. Dann ging es zwischen enger zusammengerückten Berghängen hindurch. Bei etwa 100 m oberhalb Therezopolis überschritten wir in einer tiefen Einsattelung der Serra dos Orgãos die Wasserscheide zwischen dem Flussgebiet des Rio Parahyba und den nach der Bucht von Rio abfliessenden Gewässern. Als wir um die Ecke bogen wurde uns ein überraschender Blick auf die unerwartet und in unmittelbarer Nähe vor uns aufsteigenden Nadeln und Zacken des Orgelgebirges. Nur hatte sich von hier, also von Süden aus, gesehen, ihre Reihenfolge verschoben. Der unerklimmbare Dedo de Deos lag nun rechts und der Garrafão links; in Therezopolis, nordöstlich der Gebirgskette, war es umgekehrt gewesen. Das ganze, entzückende Bild zeigte sich uns wie eine Vision. Im nächsten Augenblicke schon zog ein Nebelschleier darüber hin, bald dichter, bald dünner. Manchmal schien derselbe zerreissen zu wollen, dann schloss er sich wieder fester zu, und die grauen Massen ballten sich und wogten auf und nieder Wir warteten zu Pferde über eine halbe Stunde wie angewurzelt, hoffend, dass sich der Nebel zertheilen und uns nochmals der Anblick dieses einzigen Hochgebirges werden würde. Zu unseren Füssen, tief unten, breitete sich die von Höhenzügen, wie von versteinerten Wellen durchzogene Ebene, und an sie anschliessend die blaue Bucht von Rio mit ihrem bergigen Hintergrund. Im Süden und Südosten lagerten die Serra do Lagarto, die Serra das Lavras und andere Bergketten. Auch über der in Sonnenlicht schimmernden Meeresbucht hing, einem halbaufgezogenen Theatervorhang gleich, drohend eine Nebelwand herab. Diese senkte sich dann ebenfalls, Alles verhüllend, und auch der letzte freie Ausblick nach Südosten verschwand bald in dem trüben Wolkenmeere.

Nach vergeblichem Warten auf Klarerwerden der Aussicht setzten wir unseren Ritt bergab fort. Der Weg, welcher sich der Südabdachung der Serra dos Orgãos entlang thalwärts zog, war einem mit üppigster Waldvegetation überkleideten, steilen Hange abgerungen. Da grünte und blühte Alles in wildem Durcheinander. Steife Cecropien standen neben leichtgeneigten Palmen, graziöse Baumfarne, wohl Hemitelien und Alsophilen, breiteten ihre Wedel, Bromeliaceen hafteten in den Astwinkeln der Bäume, und Lianen woben sich von Zweig zu Zweig und wallten in dichten Draperien herab. Ein edelsteinfunkelnder Colibri flog auf, eine Araponga liess ihre Glockentöne fern im Wald erschallen, rothbauchige Tukane (Rhamphastus dicolorus L.) fielen in einen Laubbaum ein und Periquitos (Brotogerys) wechselten kreischend, paarweise, über unsere Kopfe hinweg. Gestern hatten wir riesige Kröten (Bufo marinus L.) begegnet, heute kamen uns keine dergleichen Froschlurche in den Weg.

Es öffneten sich Schluchten in der Bergwand, üppig überwuchert und überhangen von tropischer Vegetationsfülle. Tief unten schäumte und toste ein ungebändigtes Gebirgswasser.

An der Fazenda da Barreira machten wir Halt, die dortige Pflanzung von Chinarindenbäumen der Species Cinchona calysaia Wedd. Die Species wurde im Münchner Staatsherbar nach einem aus dieser Pflanzung stammenden Exemplar festgestellt. in Augenschein zu nehmen. Diese Chinapflanzung ist eine der wenigen, welche Brasilien besitzt, und obwohl sich das Land zu Kulturen in grösserem Maassstabe eignen würde, haben solche, wegen Schwierigkeit des Bezuges junger Stämmchen, bisher keinen Eingang gefunden. Die Cinchonen der Fazenda da Barreira sind auf einer Böschung in langen Reihen gepflanzt. Die im Habitus nicht schönen Sträucher haben länglich ovale Blätter mit röthlich schimmernder Unterseite und einen rispigen Fruchtstand mit rostrothen Fruchtstielen und Kapseln. Aus der Ferne gesehen hat die ganze Pflanzung eine durchwegs röthliche Färbung. Leider mangelte uns die Zeit, das in einer Seitenschlucht, etwas abseits von unserem Weg gelegene Wirtschaftsgebäude zu besuchen und uns mit der Verarbeitung der Chinarinde bekannt zu machen. So konnten wir auch nicht erfahren, in welcher Form diese kostbare Rinde, die eine wahre Wohlthäterin der Menschheit ist, von hier aus in den Handel gebracht wird.

Wieder sassen wir im Sattel und weiter ging es den Berg hinunter. Das Reiten wie das Gehen waren mir heute zur Qual. In Folge des gestrigen Sturzes schmerzten mich alle heftigeren Bewegungen und solche konnten begreiflicherweise nicht vermieden werden. Hie und da begegnete uns eine Tropa oder ein einzelner Reiter. Von Strecke zu Strecke lagen Ranchos am Wege, grosse, nach mehreren Seiten offene Schuppen, bestimmt, den Tropas als Unterkunft zu dienen. Immer mehr zog sich unsere Strasse zu Thal. Ober uns hing die Nebelwand unbeweglich, erbarmungslos all die herrlichen Bergspitzen tief herab verhüllend. Die frische Luft, welche wir oben in der Höhe genossen hatten, machte einer drückenden Hitze Platz. Es mehrten sich die Ansiedlungen und das Terrain wurde immer ebener. Nach fünfstündigem Ritt hatten wir um drei einhalb Uhr Bananal, ein Dorf am Fuss der Serra dos Orgãos, erreicht.

Hier bestiegen wir den mit vier Maulthieren bespannten, federnlosen Postwagen, der nach allen Seiten offen war und nur ein von Eisenstangen getragenes, loses Wachstuchdach hatte. Eine kleine eiserne Leiter vermittelte das Hineinklettern in dieses wirklich lumpige Gefährt, in welchem wir acht Sitze fanden, vier in der Mitte, zwei auf dem Bock und zwei rückwärts. Zum Glück waren wir, ausser etwa zwölf in einem Käfig eingesperrter Vögel, die einzigen Reisenden und hatten zu drei somit vollauf Platz. Die Maulthiere zogen an und nun sausten wir dahin auf löchererfüllter Strasse, über Stock und Stein, durch Wasserlachen und über morsche Brücken. Wir mussten uns bei jedem Stosse wie Affen an die Stangen klammern, um nicht hinauszufliegen, und mehr als einmal drohte der alte Marterkasten aus den Fugen zu gehen. Ein Marterkasten war der Wagen am meisten für mich, denn jedes Strassenloch, aus welchem wir emporgeschleudert wurden – und deren gab es viele – presste mir, in Folge der Erschütterung meines geschädigten Thoraxes, einen unterdrückten Schmerzensschrei aus. So ging es in wilder Fahrt durch die flache, sumpfige, dicht mit Gestrüppvegetation überdeckte Niederung. Hie und da tauchten ein paar Häuser am Wege auf, und einzelne Bananen- und Orangenbaumpflanzungen unterbrachen die kulturlose Oede. Mitten in die Gestrüppwildniss hinein war ein Collegio de Meninas gebaut, eine Erziehungsanstalt für Mädchen.

In dem Städtchen Magé hatte die Post kurzen Aufenthalt. Hier sahen wir zum ersten Male einen Troly, einen der im Innern Brasiliens gebräuchlichen niederen Wagen. Diese ebenfalls primitiven Fuhrwerke haben keine Federn, aber statt dessen der Länge nach über den zwei Räderpaaren federnde, dünne, elastische Bretter, auf welchen der Quere nach zwei kistenartige Sitze angebracht sind. Der vordere derselben ist dem Kutscher bestimmt, der rückwärtige den Reisenden, welche hier nur zwei an der Zahl sein dürfen. Hinter dem letztgenannten Sitz befindet sich noch ein flacher Platz, um etwaiges Gepäck aufzunehmen.

Südhang der Serra dos Orgãos.

Während wir diesen landesüblichen Wagen betrachteten, empfahl sich einer unserer befiederten Reisegefährten nach dem anderen. Durch die Erschütterungen der vorhergegangenen Fahrt hatte sich an dem Käfig ein Spalt geöffnet und den Gefangenen den Weg zur Freiheit gebahnt. Der spätere Empfänger der vielleicht bestellten Sendung mag über den entvölkerten Vogelbauer etwas enttäuscht gewesen sein.

Hinter Magé, einem ziemlich bedeutenden Ort, der schon über dreihundert Jahre alt ist, begegnete uns einer der wenigen civilisirten Indianer, welche die Provinz Rio de Janeiro noch bewohnen; und in verschiedenen, an der Strasse liegenden Anwesen bemerkten wir einzelne indianische Frauen. Diese wehmutherregenden Reste der einst in dem Lande herrschenden Rasse waren wohl Nachkommen der grossen Tupination, welche zur Zeit der Entdeckung die hiesige Küstenstrecke inne hatte.

Um 6 Uhr, bei einbrechender Dunkelheit, langten wir in Piedade an. Es ist dies ein am nordöstlichen Ufer der Bai von Rio gelegenes Dorf, das eine für brasilianische Begriffe sehr alte Kirche besitzen soll. Wir fanden Unterkunft in einem sehr minderen, nur von Leuten niederen Standes besuchten Wirthshaus, in welchem wir vorzogen, unseren Abendimbiss selbst zu bereiten. In unser Zimmer, dessen Fensterscheiben zerbrochen waren, verirrte sich Nachts ein kleines, bläulich leuchtendes Insekt, wohl eine der vielen Lampyrinen Sollten die Lampyrinen Brasiliens röthlich leuchten, worüber ich keine Erfahrungen gesammelt habe, so kann der leuchtende Käfer nur ein Pyrophorus gewesen sein. Der Gestalt nach zu entscheiden, welcher Familie der Coleopter zugehörte, war in Folge der im Zimmer herrschenden Dunkelheit nicht möglich., deren Brasilien über hundert Arten zählt.

Piedade – Rio de Janeiro. Donnerstag, den 27. September.

Von Piedade, welches sich durch einen in seinen Tiefenverhältnissen günstigen Hafen auszeichnet, bekamen wir nicht viel zu sehen. Denn schon um 6 Uhr früh, bei beginnendem Tage, lief der kleine Dampfer aus, der uns über die ganze Länge der Bai nach Rio bringen sollte. Dieses bescheidene Beförderungsmittel hatte ganz den Charakter eines Marktschiffes. Es war ausschliesslich mit Negerweibern und deren Kinder besetzt, welche Früchte und Gemüse aus den umliegenden Ortschaften nach der Hauptstadt zum Verkauf brachten. Wir fuhren zunächst an einigen Klippen und einem winzigen, palmenbesetzten Eiland vorbei. Dann folgte das Anlaufen von Paquetá, einer aus Gneiss und Alluvium aufgebauten Insel, wohl die zweitgrösste der ganzen Bucht. Ihr Charakter ist dem der Ilha do Governador sehr ähnlich. Sie ist ziemlich flach, sehr schmal, etwa 3 km lang und gilt als fruchtbar und viel besucht. Statt ihres gerühmten Garten- und Villenschmuckes bemerkten wir nur unschöne Häuser und einzelne Fiederpalmen.

Der heutige Tag hatte sich trübe angelassen und das Orgelgebirge war nur theilweise sichtbar gewesen. Nun, während der Fahrt, wurde das ganze herrliche Panorama durch Nebel und Regen verhüllt. Die Temperatur hingegen war angenehm; um 7 Uhr zeigte das Thermometer 22,5° C.

Es war erst acht einhalb Uhr als wir wieder in Rio de Janeiro eintrafen. Wir benutzten den Morgen zum Besuch der unglaublich unschönen, Capella Imperial genannten Kathedrale und des grossen Marinearsenals. Am Eingang des letzteren bewunderten wir den riesigen Eisenmeteoriten von Bendegó in der Provinz Bahia, einen der grössten Meteoriten, die je auf die Erde gefallen. Derselbe hat eine Länge von 2,15 m, eine Breite von 1,50 m, eine Höhe von 60 cm und ein Gewicht von 5360 kg. Er wurde schon im Jahre 1784 entdeckt. Aber erst vor wenig Monaten schleppte man ihn unter unsäglichen Transportschwierigkeiten aus dem weglosen Innern zur nächsten Eisenbahnstation, um ihn von da nach der Küste und nach Rio zu verbringen. Nun ruht dieser berühmte Meteorit nach mehr denn halbjähriger Reise seit Juni im Arsenal, gewärtig, im Museu Nacional seine endgiltige Aufstellung zu finden.

Unser Besuch des Marinearsenals geschah auf besonderen Wunsch des Kaisers, welchem daran gelegen war, dass wir möglichst viele der wirklich hervorragenden staatlichen Etablissements seines Landes kennen lernten. Das Marinearsenal von Rio, das bedeutendste der fünf Arsenale, welche Brasilien besitzt, ist ungeheuer ausgedehnt und bildet eine kleine Stadt für sich. Es beschäftigt zweitausend und einige hundert Arbeiter, ausschliesslich Brasilianer bis auf einen Stamm englischer Ingenieure und Maschinisten. Von den verschiedenen, in grossen Hallen untergebrachten Werkstätten nenne ich nur die Schreinerei, die Giesserei, die Feilerei, die Bohrwerkstätte, das Hammerwerk, in welchem die Panzerplatten geschmiedet, das Walzwerk, in welchem sie dünn gewalzt werden und die Abtheilung, in der aus Krupp'schem Eisen grosse Maschinentheile zur Herstellung gelangen. Daran schliessen sich ausgedehnte Räume zum Aufbewahren von Segeln und Eisentheilen, das Administrationsgebäude mit seinen Maschinen-, z. B. Schiffschraubenmodellen und das Marinemuseum mit den Seeschlachtenbildern und den zierlichen Schiffsmodellen. Auf der Werft wird gerade ein Kreuzer erster Klasse von 4500 Tonnen-Deplacement, der »Almirante Tamandaré«, gebaut Der Bau des Schiffes ist schon weit vorgeschritten, doch fehlen, um nur einiges zu nennen, noch sämmtliche Deckbalken und auch sämmtliche Deckstützen. Von der Werft brachte uns das Admiralsboot nach der aus Gneiss bestehenden Ilha das Cobras, wo sich zwei grosse Trockendocks befinden. Zwischen diesen beiden erhebt sich das Maschinenhaus mit den Dampfpumpen zum Trockenlegen der Bassins. In dem einen, von uns nicht näher besichtigten Dock liegt, wie mir scheint, ein Panzerkanonenboot, deren Brasilien eine ziemliche Anzahl besitzt. In dem anderen ist der Monitor Solimões trocken gestellt worden, ein Fahrzeug mit zwei Drehthürmen, von denen jeder mit zwei Vorderladergeschützen armirt ist. Diese Geschütze werden zum Laden tief gesenkt, und soll, Dank einem Apparat, ein einziger Mann das Laden besorgen können. Die Länge des Solimões beträgt 73 m, die Breite 17 m, das Deplacement 3700 Tonnen, die Panzerdicke an der Wasserlinie 305 mm, die Dicke des Deckpanzers 75 mm Brommy-Littrow: die Marine 277 u. 583.. Die Kajüten, die wir besuchten, sind eng und liegen, dem Charakter des Monitors entsprechend, fast unter Wasser. Der Monitor Solimões hat dreieinhalb Jahre später, Mai 1892, in den südbrasilianischen Gewässern Schiffbruch gelitten.

Der heutige Nachmittag wurde zunächst ausgefüllt durch das Besehen des Aeusseren einiger öffentlicher Gebäude, wie des Musikconservatoriums, des Thesouros und des Polytechnikums, welch letzteres in seinem Lehrpersonal manches zu wünschen übrig lassen soll. Diesem folgte der Besuch des Gabinete Portuguez de Leitura, einer Bibliothek, die vor 50 Jahren von einer portugiesischen Gesellschaft gegründet worden ist. Die Innenräume dieses vielleicht schönsten Gebäudes von Rio entsprechen so ziemlich der von uns schon früher bewunderten Aussenseite. Sie sind in maurisch-gothischem Styl gehalten und erinnern theilweise an den Alcázar von Sevilla. Der durch zwei Stockwerke reichende Bibliotheksaal enthält Bücher in allerhand Sprachen; so fehlen auch deutsche und russische, namentlich geschichtliche Werke nicht.

Der Rest des Tages galt dem Besuch der Kirchhöfe an der Praia de São Christovão, dem äussersten Nordende der Stadt. Da wir schon vielfach gesehen, wie die Fluminenser leben und wohnen, wollten wir nun auch sehen, wie ihre letzten Ruhestätten beschaffen sind. Unser Weg dahin führte zum Theil längs des Canals do Mangue, einer Anlage, welche ihren ursprünglichen Zweck, das sumpfige Terrain zu entwässern und einen Bootsverkehr zu ermöglichen, nie erfüllt hat. Dieses verfehlte Unternehmen, das dem Staat Millionen gekostet, schien, gleich anderen Bauanlagen Rios, die Klagen zu rechtfertigen, welche uns schon in den Nordprovinzen zu Ohren gekommen waren. Die Leute dort äusserten nämlich ihre Unzufriedenheit darüber, dass mit dem Steuerertrag der einzelnen Provinzen unverhältnissmässig viel für die Hauptstadt geschähe und den Provinzen selbst sehr wenig von den von ihnen geleisteten Abgaben zu Gute käme. Thatsächlich auch verschlingen die Ausgaben für die Verschönerung und die nützlichen Einrichtungen Rios nicht weniger als 3 Procent sämmtlicher Staatseinnahmen. In Anbetracht dieser Verhältnisse richten sich nun die dringenden Wünsche der Provinzbewohner nach einer grösseren Decentralisation in der Verwaltung des Kaiserreichs, einer grösseren Autonomie der einzelnen Provinzen.

Am Mangue-Kanal fiel uns ein eigenthümlich angelegtes Gebäude mit vergitterten Fenstern auf. Es ist dies das Asylo da Mendicidade, das Armenhaus, welches sich eines starken Zuspruches erfreuen soll.

Endlich war die Praia erreicht, der Strand, von dem aus sich entzückende Rückblicke boten auf die südlichen und westlichen Stadttheile mit ihrem malerischen Berghintergrund. Der Kirchhöfe an der hiesigen Praia sind es drei. Zwei gehören Bruderschaften an, der dritte Cemiterio ist ein allgemeiner. Er führt den Namen São Francisco Xavier und gilt als der grösste der Stadt. Die Gräber der Armen entbehren der sichtbaren Mauerung. Die Ruhestätten der wohlhabenden Leute hingegen sind grosse, weisse, aus dem Grund heraufgemauerte Steinparallelepipede. Diese Steinkästen tragen entweder nur eine Inschrift oder auch ein Denkmal. Um die einzelnen Gräber herum schmiegen sich rothblättrige Pflanzen, die ausgezeichnet zum Weiss der Steine stimmen. Cypressenartige Bäumchen heben durch ihr dunkles, ernstes Grün die schönen, blendendweissen Marmormonumente. In die Friedhöfe herein schauen all die wohlbekannten Bergspitzen Rios, um diesen stillen Ort der Vergänglichkeit eine landschaftliche Umrahmung zaubernd, die auf der ganzen Welt ihresgleichen sucht.

Als wir den Heimweg von den Gottesäckern einschlugen, begegneten uns mehrere Leichenzüge. Die Pferde der Todtenwagen waren, vermuthlich der grossen Entfernungen halber, in Trab versetzt; hinterher fuhren die Leidtragenden. Die Brasilianer wollen wohl dem Tode den Charakter des Düsteren benehmen, wenigstens malen sie ihre Särge in den buntesten Farben. So sahen wir den Sarg eines Kindes rosa, denjenigen eines Erwachsenen lila angestrichen. In Pará sind den Kindern, je nach dem Alter, heller oder dunkler blaue, den unvermählten Erwachsenen rothe Särge bestimmt. Letzteres mag auch für hier gelten, doch hatten wir nicht Gelegenheit, uns davon zu überzeugen. –

Unsere heutigen Fahrten waren häufig von Regen begleitet. Abends 8 Uhr zeigte das Thermometer ca. 22° C. –

Rio de Janeiro. Freitag, den 28. September.

Am heutigen Tag sollten wir einer interessanten Ceremonie beiwohnen, der Ueberreichung der Goldenen Rose an die Kronprinzessin. Diese Auszeichnung war vom Papste der liebenswürdigen Fürstin verliehen worden für die unter ihrer Regentschaft, am 13. Mai dieses Jahres, erfolgte endgiltige Abschaffung der Sklaverei. Aus letztgenanntem Akte wird von der abolitionistischen Partei für die Princeza Imperial durch Broschüren und auf andere Weise möglichst Kapital geschlagen. Behauptet man ja sogar, wenn auch irriger Weise, Die Geschichte der Emancipation liefert den deutlichen Beweis, dass die Bewegung zu Gunsten der Sklavenbefreiung schon einen solchen Umfang angenommen hatte, dass sie absolut sich nicht mehr aufhalten liess. also keineswegs einer künstlichen Beschleunigung bedurfte. Siehe das weiter oben S. 290 Gesagte, siehe auch Mossé: Dom Pedro II., 228 e s. Levasseur: L'emancipation des esclaves (Levasseur: Le Brésil p. 36) und Leclerc: Lettres du Brésil 191 et s. dass die Annahme des Emancipationsgesetzes nur beschleunigt worden sei, damit dieselbe noch in die Zeit der Regentschaft falle und hierdurch der Mangel an Popularität der Thronfolgerin gehoben werde. So soll es gleichsam die letzte Karte gewesen sein, welche das Ministerium auszuspielen hatte, um der Kaisertochter die Nachfolge zu retten; denn schon mächtig lecken die Wogen der republikanischen Strömung an dem Throne der Braganças empor.

Die von uns gestern besuchte Capella Imperial war ausersehen als Schauplatz der verdienten Ehrung der Kronprinzessin. Es hängt diese Kapelle, oder richtiger Kirche, mit dem Paço da Cidade zusammen, einem alten Palaste, welcher einst der damals noch königlichen Familie als Residenz gedient, bis der Paço de São Christovão bezogen werden konnte. Dieser alte Palast ist nicht nur im Vergleich zum neueren alt, sondern auch für sich allein betrachtet. Es ist ein hässlicher, herangekommener Bau, der nur mehr zu den seltenen, grossen Empfängen bei Hof und hie und da einmal zu Regierungsgeschäften benutzt wird. Denselben in richtigem Stand zu erhalten, dazu fehlen, bei unbedeutender Civilliste und Mangel jeglichen kaiserlichen Privatvermögens, vollständig die Mittel. Die Säle, welche der Palast enthält, sind niedrig und nicht sonderlich gross. Ihren Hauptschmuck bilden Gemälde mit historisch interessanten Stoffen, wie die Prokurationsheirath der regierenden Kaiserin, die Krönung des Kaisers Dom Pedro I. und verschiedene Episoden aus der portugiesischen Geschichte. Unter den Empfangssälen befindet sich auch der Thronsaal, in welchem an den »dias de grande gala«, Tage grosser Gala. wie zum Beispiel dem Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung, die Defiliercour statthat. Dem Throne für den Kaiser ist ein kleinerer und tiefer gelegener für die Kaiserin, beigegeben. In diesem offenbart sich, wie in Anderem, dass die Stellung des Kaisers mehr diejenige des Präsidenten einer Republik, als diejenige des Herrschers einer Monarchie ist. An die Empfangssäle stösst das Zimmer, in welchem der Kaiser gelegentlich seiner Anwesenheit im Stadtpalast mit den Ministern arbeitet. In diesem Palaste war ein Jahr später die kaiserliche Familie, gelegentlich der Revolution gefangen gehalten, und von hier aus wurde sie auf das Schiff gebracht, um dem traurigen Loose des Exils entgegenzugehen.

In der kaiserlichen Tribüne der Capella Imperial hatten wir uns nun heute um 11 Uhr einzufinden, der oben erwähnten Ceremonie beizuwohnen. Die gleiche Tribüne benutzten die fünf in Brasilien anwesenden Enkel des Kaiserpaares, die drei Söhne der Princeza Imperial und die zwei Söhne der verstorbenen Herzogin zu Sachsen. Das Schiff der Kirche war angefüllt mit Herren in Uniformen und vielen geputzten Damen. Um 11¾ Uhr erschien der Kaiser, seine hohe Gemahlin am Arme führend; ihnen folgte die Kronprinzessin mit dem Grafen Eu. Indessen Dom Pedro rechts vom Altare auf damastüberzogenem Thronsessel Platz nahm, war für die Kaiserin, ähnlich der schon im Thronsaal beobachteten Sitte, daneben nur ein einfacher Stuhl bereit gestellt. Gleiche Sitze erhielten nebenan die Tochter und der Schwiegersohn des Herrscherpaares. Zunächst dem Altare befand sich der Bischof von Rio de Janeiro. Das Amt, welchem wir nach Angabe, mit Ausnahme des Theiles Sanktus-Wandlung, stehend oder sitzend anwohnten, wurde vom päpstlichen Nuntius Spolverini celebrirt. Musik von Mozart und Bussmeyer, unter Direktion des letztgenannten Componisten, begleitete die heilige Handlung. Nach der letzteren folgte eine lange Rede des Bischofs von Pará, Macedo, eines hervorragenden, um die Katechese der Indianer wohlverdienten Kirchenfürsten. Noch wurden einige Gebete angefügt. Dann, nachdem die lateinische Botschaft des Papstes verlesen worden war, trat die in weisse Seide gekleidete Kronprinzessin, begleitet von ihrem Gemahl, an die Stufen des Altars vor und empfing knieend aus den Händen des Nuntius die durch eine goldene Vase gehaltene Goldene Rose. Neuerdings folgten Gebete und Ceremonien, bis ungefähr um 2 Uhr der Zug in gleicher Ordnung, wie beim Kommen, die Kirche wieder verliess.

An die religiöse Feier schloss sich eine grosse Versammlung in den Sälen des Palastes. Den Hofstaaten und der Geistlichkeit sollte hierdurch Gelegenheit gegeben werden, die Princeza Imperial zu beglückwünschen. Hierbei lernte ich die Bischöfe von Pará, Olinda und São Paulo kennen, welche, um dem seltenen Feste beizuwohnen, die weite Reise nach Rio nicht gescheut hatten. Der Empfang bei Hof war sehr etiquettelos. Alles lief kunterbunt durcheinander und die Herren und Damen des Hofes schleppten ihre Kinder in die Empfangssäle mit herein. Zum Schluss des Festes fand der Vorbeimarsch der Truppen statt, welchen wir von einem Balkon des Palastes aus sahen. An der Tête ritt eine Abtheilung Ulanen; dieser folgten Infanterie, Artillerie und das Marinebataillon; die Queue bildete eine weitere Abtheilung Ulanen. Die Truppen waren in Gala und hinterliessen uns diesmal einen günstigeren Eindruck, als kürzlich bei Anlass der grossen Parade.

Während sich all dieses in den Sälen und vor der Front des Stadtpalastes abspielte, wurde an einem Seitenthor desselben ein Posten arretirt. Es war dies charakteristisch für die Elemente, aus welchen sich das brasilianische Heer zusammensetzt.

Um 3 Uhr verliessen wir den Paço da Cidade, nicht, ohne vorher die kaiserlichen Galawagen in Augenschein genommen zu haben, in welchen der Nuntius und seine Begleitung geholt worden waren. Die Wagen, mit gelbem Seidenstoff ausgeschlagen, fielen durch ihre reiche Ausstattung auf. Die Kutscher, welche dreispitzige Hüte, und die Jockeys, welche Kappen trugen, hatten eine schwarzgrüne, mit Goldtressen reichbesetzte Livree. Dieselbe stach vorteilhaft von der Alltagslivrirung ab. Ueberhaupt waren von all dem, was wir von der eigentlichen Montirung des Hofes bisher gesehen hatten, diese Galaequipagen und ihr Zubehör das Erste, welches einem kaiserlichen Hofhalt angemessen genannt werden konnte. Hiermit soll aber kein Tadel ausgesprochen sein. Im Gegentheil, es ist nur aller Achtung werth, dass, wenn die kaiserlichen Mittel ohnedies beschränkt sind, für die hohe Stellung nur zu beschränkt, sie nicht noch vorzugsweise in Prunk aufgehen, sondern weit überwiegend zur Milderung menschlichen Elendes und zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden. – -

Für den späteren Nachmittag war ich geladen, die Sammlungen im Paço do Duque de Saxe zu besichtigen. Dieser Palast, welcher in palmengeschmücktem Garten gegen die Tijuca zu gelegen ist, gehört dem Prinzen August, Herzog zu Sachsen, dem verwittweten Schwiegersohn des Kaisers, und wird von seinen zwei ältesten Söhnen bewohnt. Die jungen Herren, von denen der eine in Ouro-Preto technische Studien mit Auszeichnung getrieben hat und der andere in der brasilianischen Marine dient, geleiteten uns durch alle sehenswerthen Räume ihres Wohnsitzes. Diese sind zum Theil nach brasilianischer, zum Theil nach europäischer Sitte eingerichtet. Neben grossen, hohen Empfangssälen mit Familienbildern ist eine werthvolle mineralogische Sammlung aufgestellt. Es finden sich hier die seltensten und geschätztesten brasilianischen Mineralien in vortrefflichen Exemplaren. Ich nenne vor Allem die Diamanten, Proben eines in Brasilien weitverbreiteten Minerals, welches hauptsächlich in der Provinz Minas Geraes, ferner in Bahia, Goyaz, Matto Grosso, São Paulo, Paraná und noch in anderen Provinzen gefunden wird. Es kommt vielfach in Flussbetten vor, und seine jährliche Ausbeute beträgt etwa 8 kg im Werth von ungefähr 900 000 Mark. An sonstigen Mineralien dieser reichen Sammlung will ich nur noch erwähnen Gold in Oktaedern, Dodekaedern und anderen Krystallformen, brasilianische Malachite und im Gestein sitzende brasilianische Smaragde.

Nicht nur eine Mineraliensammlung hat der junge Prinz angelegt. Neben dieser haben auch allerhand Petrefakten Platz gefunden, z. B. gute Stücke aus der Kreideformation und ausgezeichnet erhaltene Coleopteren und Fische aus der älteren Tertiärzeit, Kästen mit entomologischen Schätzen tragen dem überaus grossen Insektenreichthum Brasiliens Rechnung; eine wahrhaft kostbare Münzensammlung enthält Objekte aus aller Herren Länder. Unter all den neapolitanischen, französischen, bayerischen, holländischen, schwedischen und sonstigen Gold- und Silbermünzen erregten natürlich die brasilianischen unsere besondere Aufmerksamkeit. In den Wohnräumen des zweiten Stockes endlich sind die verschiedensten Kunst- und Kunstindustrie-Gegenstände zusammengetragen, Altes und Neues, Bilder, Reliefs, Metallkästchen, peruanische Keramik, Venetianer Gläser und, was uns vor Allem interessirte, altbrasilianische Stühle aus schwarzem Holz und gepresstem Leder, welche unter portugiesischer Herrschaft vor zweihundert Jahren gefertigt worden sind.


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