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Das Municipio neutro oder da Corte und die Provinz Rio de Janeiro, welch beide wir demnächst betreten werden, waren Jahrhunderte lang politisch ein Ganzes. Erst 1834 wurde ersteres, nämlich die Reichshauptstadt Rio de Janeiro mit einem 1394 qkm grossen Gebiet, von der gleichnamigen Provinz losgetrennt. Letztere gehört unter die 5 kleinsten Provinzen Brasiliens und hat einen Flächeninhalt von 68 982 qkm. Sie ist weitaus die am dichtesten bevölkerte Provinz des Reiches, da sie 17 Seelen auf den Quadratkilometer zählt. Nirgends auch ist der Prozentsatz der Neger so hoch wie hier; er beläuft sich auf volle 34 Prozent, indessen die Weissen 38, die Mischlinge 26 und die civilisirten Indianer den minimalen Rest von 2 Prozent der Bevölkerung betragen. Anders stellt sich das Verhältniss der Rassen im neutralen Municipium. Hier sind die Weissen mit 55 Prozent weit überwiegend; der Prozentsatz der Neger sinkt auf 24, derjenige der Mischlinge auf 20; die civilisirten Indianer mit 0,3 Prozent sind nahezu verschwunden.
Was Municipium und Provinz an civilisirten Indianern besitzen, sind Nachkommen verschiedener Stämme aus der Gruppe der Tupí und Coroados aus der Gruppe der Goyatacá. Ihr Aufgehen in der übrigen Bevölkerung ist nur mehr eine Frage der nächsten Zeit. Wilde, d. h. unabhängige Indianer giebt es noch ganz im Nordosten der Provinz, sofern sie nicht schon über die Grenze nach Espirito Santo hinübergedrängt worden sind. Es mögen sich unter ihnen vielleicht noch einige Tupíreste befinden, hauptsächlich aber zählen sie zum Stamm der Purí, welcher gleich dem der Coroados der Gruppe der Goyatacá zugehört. In den Purí und Coroados treten wir zum ersten Male einer weiteren der acht grossen Indianergruppen Brasiliens näher, und zwar der jetzt kleinsten. Es hat sich von dieser Gruppe, welche auf ein wenig umfangreiches Gebiet an der Ostküste beschränkt ist und sich noch auf sehr niedriger Bildungsstufe befindet, nur mehr ein Bruchtheil in die Gegenwart herüber gerettet Ehrenreich (Die Eintheilung und Verbreitung der Völkerstämme Brasiliens. (Petermann's Mittheilung XXXVII S. 114) und: Ueber die Botocudos der brasilianischen Provinzen Espiritu santo und Minas Geraes. [Zeitschrift für Ethnologie XIX S. 1]) bespricht die Purí aus eigener Anschauung als noch existirend. Goeldi (O estado actual dos conhecimentos sobre os Indios do Brazil etc. [A Provincia do Pará. XXI. 18. Dezembro 1896]) giebt sie als schon ausgestorben an..
Die Provinz Rio de Janeiro mit dem Gebiete der Reichshauptstadt ist weit überwiegend ein Gneissbergland, welchem bloss eine äusserst schmale, nur im östlichsten Theil zu grösserer Breite sich entwickelnde tertiäre und alluviale Küstenebene vorgelagert ist. Die Provinz ist auch, bis auf die Niederungen im Osten, überwiegend ein Waldland, in welches jedoch die Anlage von Kulturen schon bedeutende Lücken gerissen hat. Rio de Janeiro ist, dank seiner dichten Bevölkerung, die bestkultivirte Provinz Brasiliens, und vor der fortschreitenden Bodenkultur ziehen sich, ausser den nomadisirenden Indianern, auch grössere Thiere, wie Jaguar und Tapir, immer mehr zurück. Der Boden ist hauptsächlich zur Anlage von Kaffeeplantagen geeignet, und so ist auch der Anbau von Kaffee die Hauptkultur der Provinz geworden. In zweiter Linie steht das Zuckerrohr, welches namentlich am Unterlauf des Rio Parahyba kultivirt wird, indessen man für den Kaffee die höheren und trockeneren Lagen aussucht. Daneben vermisst man auch nicht Pflanzungen von Mandioca, Reis, Baumwolle und Anderem, doch sind dieselben wenig umfangreich. Um so ausgedehnter ist der Gartenbau, welcher das hauptsächlichste Absatzgebiet seiner Produkte in der Reichshauptstadt findet. Dass die Viehzucht sich nicht zu grosser Bedeutung aufschwingen kann, erklärt sich aus dem Mangel der für dieselbe besonders geeigneten Campos.
Rio de Janeiro rechnet man in Folge seiner Jahresisotherme von weniger als 25 ° C. nicht mehr zur äquatorialen, sondern zur subtropischen oder heissen Zone Diese Eintheilung, welche sich nach den an der Sternwarte in Rio giltigen Begriffen richtet (S. Anna-Nery: Le Brésil 35 etc. und Morize: Esboço de uma Climatologia do Brazil. 6. 26.) stimmt nicht mit der Zoneneintheilung der älteren Geographie.. Die Reichshauptstadt, welche unter 20° 54' s. Br. liegt, hat eine mittlere Jahrestemperatur von 23,5° C. Das Monatmittel der zwei heissesten Monate, Januar und Februar, beträgt daselbst 26,6°, das Monatmittel des kältesten Monats, des Juli, 20,8° C, die höchste der bisher beobachteten Temperaturen ist 37,5°, die niedrigste 10,2° In der Umgegend von Rio de Janeiro wurde als höchste Temperatur 39,4° C, als niederste 10,4° C. beobachtet (s. Liais: Climats etc. du Brasil 583).. Die Temperaturschwankungen sind hier schon weit bedeutender als in den nördlicher gelegenen Küstenstrichen, und im Sommer ist der manchmal eintretende rasche Wechsel der Temperatur, welcher sich innerhalb weniger Stunden vollzieht, recht empfindlich. Während somit die Temperaturdifferenzen zunehmen, nimmt die jährliche Regenmenge im Vergleich zu derjenigen der mehr nordwärts gelegenen Küsten Brasiliens ab. Die Niederschlagshöhe in Rio de Janeiro beträgt nur 1126 mm. Wir sind aus dem Gebiet der Herbst- und Winterregen in das Gebiet der Sommerregen gelangt. Uebrigens entbehren auch die anderen Jahreszeiten der Niederschläge keineswegs, ebenso wenig wie in Bahia oder in anderen schon besprochenen Küstenorten. Anders als in der Reichshauptstadt sind die klimatischen Verhältnisse im Inneren der Provinz Rio de Janeiro, in der Bergregion. Dieselben bilden schon einen Uebergang zur warmen gemässigten Zone. In Nova Friburgo z. B. erhebt sich die Jahresisotherme nicht über 17,2°, das Monatmittel des heissesten Monats nicht über 20,3°, des kältesten nicht über 14° C. Das Thermometer zeigt nie mehr als 29° und fällt bis auf 1° herab. Die Menge der jährlichen Niederschläge ist etwas grösser als an der Küste, die Regenzeit schiebt sich etwas mehr gegen das Frühjahr zu vor S. Anna-Nery. Le Bresil en 1889 p. 35 etc. – Morize: Esboço etc. 28. 30. 32. 34..
Die Reichshauptstadt Rio de Janeiro mit ihren ca. 400 000 Einwohnern ist durch ihr reiches Hinterland und durch ihre Lage an einem natürlichen Hafen, dem kaum ein anderer an die Seite zu stellen sein dürfte, zu einer Handelsstadt ersten Ranges geworden. Sie überragt in Bezug auf Handel und Verkehr alle übrigen Städte Brasiliens. Von dem Werthe des Waarenumsatzes mit dem Auslande und den Provinzen unter sich, der sich im Jahre 1885-1886 für ganz Brasilien auf mindestens 530 059 contos 530 059 contos = circa 1 208 Millionen Mark. belief, beanspruchte Rio de Janeiro für sich allein 232 905 contos 232 905 contos = circa 529 Millionen Mark., also nahezu die Hälfte. Die ihm zunächst kommende Provinz São Paulo konnte nur die Ziffer von 56 386 contos 56 386 contos = circa 128 Millionen Mark. aufweisen. Von dem Gesammtwaarenumsatz Rios entfielen auf den Handel mit dem Ausland 196 168 contos 196 168 contos = circa 446 Millionen Mark., auf den Handel mit dem übrigen Brasilien 36 737 contos 36 737 contos = circa 83 Millionen Mark.. Im Handelsverkehr mit dem Auslande überwog der Import den Export um 11 230 contos 11 230 contos = circa 25 Millionen Mark. im Handelsverkehr mit dem Inlande der Export den Import um 15 051 contos 15 051 contos = circa 34 Millionen Mark.. Wie die Hauptkultur Brasiliens der Kaffee ist, so ist auch der weitaus grösste Ausfuhrartikel der Kaffee. Der Werth des Kaffeeexportes übertrifft den Werth des nächst grössten Ausfuhrartikels, des Zuckers, um mehr als das neunfache. 1886 hat Rio allein über 214 Millionen Kilo Kaffee exportirt. Im internationalen Handelsverkehr Rios nahm 1886-1887 der Handel mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika die erste Stelle ein, der Handel mit England die zweite, derjenige mit Deutschland die dritte. An ein- und auslaufenden Schiffen Langer Fahrt, unter denen die englischen au Zahl obenan standen, verzeichnete man 1887 im Hafen von Rio 1926 1887 war gerade ein Jahr mit geringerem Schiffsverkehr, 1888 stieg die Anzahl der Schiffe wieder auf 2 268. (Siehe S. Anna Nery l. c. 459).. An Küstenfahrern waren es 2714.
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Rio de Janeiro. Dienstag, den 14. August.
Nachts hatten wir das berühmte Cabo Frio passirt, die steilabfallende Südspitze einer 394 m hohen, gleichnamigen Gneissinsel, welche dem Festlande fast unmittelbar anliegt. Von dieser wendet sich die brasilianische Küste in rechtem Winkel westwärts. Früh 7 ein halb Uhr zeigte das Thermometer 22° C. Schon war der Punkt erreicht, an welchem die hauptsächlich aus Gneiss und Granit bestehenden Serra do Mar mit ihren südlichsten Ausläufern bis zum Meere vortritt. Und schon um 8 Uhr wurde die jenseits der Einfahrt in die Bai von Rio gelegene Gavea sichtbar, ein ca. 900 m Hartt (Geology and Physical Geography etc. p. 10) giebt die Höhe zu 3000' an. Nach anderen Angaben ist die Gavea bedeutend niedriger als 3000', nach Wappäus (Das Kaiserreich Brasilien 1221) hingegen höher und giebt letzterer sie zu 1000 m an. hoher, unvermittelt den Salzfluthen entsteigender Berg, der, nach oben ziemlich horizontal endend, durch seine Gestalt ungemein charakteristisch wirkt. Nach und nach entrollte sich die ganze, malerische Küstengebirgskette vor unseren staunenden Blicken. Es war kein linienvornehmes Gebirge, wie das der klassischen Lande, keine vegetationsentblösste und dadurch farbenprächtige Küste, wie die von Südeuropa, sondern ein Bergland nach Art der Alpen, bizarr und schroff und, die steilsten Stellen abgerechnet, bis oben mit Pflanzenwuchs überkleidet. Dahinter erhob sich, die Küstenserra hoch überragend, der ganz in blauen Duft getauchte Hauptstock der Serra do Mar. Als unser Dampfer dem Lande näher kam, löste sich die scheinbar geschlossene Küstenbergkette in einzelne Kuppen und Zacken auf, einige kegelförmig, andere nadelgleich. Namentlich die Serra do Lagarto fiel durch ihre hohen, absonderlichen Formen auf. Nun kam der berühmte Pão d'Assucar in unseren Gesichtskreis, ein 385 m hoher, überaus steiler, vereinzelt stehender Gneisskoloss, der wie ein zu Stein gewordener Riese die Einfahrt in die Bai bewacht. Anfangs konnten wir nur die Spitze bemerken, dann trat die ganze überhängende Felsmasse heraus, welche uns inmitten der Bergfülle den noch nicht sichtbaren, schmalen Eingang zur Bahia de Rio de Janeiro markirte. Hinter dem Pão d'Assucar zeichneten sich die Serra da Carioca, die spitzige, an 1000 m hohe Tijuca, der merkwürdig gestaltete Corcovado und, als Schluss dieser Reihe von Bergen, die schon besprochene Gavea scharf und doch in der tropischen Vormittagsbeleuchtung duftig vom Westhimmel ab. Die Serras verschoben sich, die Berge änderten ihre Form, eine merkwürdiger als die andere. Wir standen nun vor der Einfahrt in die weltberühmte Bai. Die Berge theilten sich wie Coulissen und unser Dampfer fuhr zwischen zwei nahe bei einander gelegenen Klippen durch die nur 1500 m weite Wasserstrasse in die Bai hinein, aus der uns in der Ferne die Häuser der Kaiserstadt entgegenschimmerten. Zu unserer Linken stieg unmittelbar und drohend der Pão d'Assucar in die Lüfte, zu unserer Rechten erhoben sich Hügel und Berge mehr kuppiger Natur, mit Fiederpalmen dicht bestanden und mit frischgrünem Buschwerk überdeckt. Einerseits sprang eingangvertheidigend das Fort São João in die Fluthen vor, andererseits das noch wichtigere Fort Santa Cruz.
Kaum hatten wir das von Gneissfelsen und -bergen gebildete Eingangsthor passirt, als sich die Bai zu weiten und die Gebirgsumrahmung dieses einzig schönen Wasserspiegels zu entwickeln begann. Mit einer Länge von 30-36 km, einer Breite von 18-24 km, einer Oberfläche von 429 qkm und einer Tiefe, die in der Mitte 31 m erreicht, schneidet die Bai in ovaler Form tief in das bergige Land hinein. Ihre Uferlinie wird durch eine Unzahl kleinerer Buchten und felsiger Landzungen malerisch gebrochen, mehr denn achtzig Inseln, manche palmengeschmückt, entsteigen ihren blauen Fluthen. An der Südwestseite baut sich, stundenweit dem Strande entlang gestreckt, seinen Einbuchtungen und Vorsprüngen folgend, Rio de Janeiro mit seinen Kirchen und Klöstern, Staatsgebäuden, Villen und Gärten auf 36 Hügeln auf und zieht sich hoch an den Hängen hinan. Um dieses Häusermeer und die ganze weite Bai schliesst sich unmittelbar ein Kranz der malerischsten Berge. Es ist die prächtige Serra do Mar, welche, an vielen Stellen bis zum Wasser vortretend, die Bai in zahllosen, malerisch gruppirten Rücken, Spitzen und Kuppen umgiebt und sich im Nordosten, in der Serra dos Orgãos mit ihren senkrecht aufgerichteten, ihrem Namen entsprechend, orgelpfeifenartigen Schichten, 2232 m gen Himmel reckt.
Weiter und weiter drang unser Dampfer auf diesem Salzwassergebirgssee vorwärts, immer neue Reize entdeckte unser schönheitstrunkenes Auge an dieser wunderbaren Rundsicht. Himmel, Meer und Berge schimmerten unter den Strahlen einer mächtigen Tropensonne in harmonischem Glanz, und unvergesslich prägte sich uns dieses zauberhafte Naturbild ein, welches auf dem ganzen Erdenrunde seines Gleichen sucht.
Langsam entrollte sich nun vor uns die Stadt, der Lage und grossartigen Umgebung nach eine echte Kaiserstadt. Mit der zu äusserst nach Süden befindlichen Vorstadt Botafogo beginnend, die an einer tief eingeschnittenen Bucht gelegen ist, setzt sich das Häusermeer über das villenreiche, in tropischer Vegetation prangende Larangeirasthal nordwärts nach dem, Cattete genannten Stadttheil fort. An dem nördlichen Ende des letzteren springt der Morro Morro = Hügel. da Gloria mit der Kirche gleichen Namens in das Wasser vor; dahinter erheben sich andere, häusergekrönte, palmengeschmückte Hügel, unter denen der Morro de Santa Thereza mit seinem grossen, weissen Frauenkloster in die Augen fällt. Von der Gloriakirche weiter buchtet sich die Strandlinie wieder tief ein, eine Strecke lang durch das üppige Grün des Passeio Publico beschattet. Ehe sie neuerdings in sehr spitzem Winkel vorspringt, trägt sie das grossartige, vom Morro do Castello überragte Hospital da Misericordia. Das ausgedehnte Arsenal da Guerra nimmt die äusserste Landspitze ein. Nach dieser wendet sich die Küstenlinie scharf gen Westen und Südwesten, im Halbkreis die alten Stadttheile mit ihrem Markte, ihrem Zollamt, ihren Kais und ihren vielen Hügeln umschliessend. Nochmals zieht sich der Strand nach Norden, diesmal, um die an das Nordende der Stadt verlegten, ausgedehnten Friedhöfe zu tragen. Während das Gebirge hinter den südlichen und mittleren Stadttheilen in nächster Nähe emporragt und die Strassen zwingt, sich in langer Linie am schmalen Küstensaum zu entwickeln und an den steilen Hängen emporzuklimmen, tritt es hier vom Wasser mehr zurück und gestattet, dass flaches Land sich ausbreite; auf diesem hat der Kaiserliche Palast São Christovão mit seinem Parke Platz gefunden und hat eine Unzahl Gärten und Landhäuser sich ansiedeln können. Vor der endlos hingestreckten Stadt liegen unzählige Inseln, manche dem Lande ganz nahe, und auf der Bai schwimmt eine unabsehbare Menge verankerter Dampfer und Segelschiffe.
Angesichts der Ilha das Cobras mit ihren Palmen und Marinearsenalbauten und der winzigen Ilha dos Ratos, welche ein gothisches Zollgebäude trägt, gingen wir an das Land. Reges Leben herrschte in der unteren Stadt; Lastwagen drängte sich an Lastwagen; überall sah man Waarenlager mit Farinha oder mit Carne secca, diesem gesalzenen und an der Sonne getrockneten Rindfleisch, welches eine beliebte Nahrung der unteren Klassen bildet. In den landeinwärts sich ziehenden Strassen, von denen manche so eng sind, dass sie gar nicht oder nur in einer Richtung befahren werden dürfen, trieb sich eine bunte Menge herum. Elegante, nach neuester Mode gekleidete Herren und Damen weisser Rasse spazierten da neben lasttragenden Negern, dunkelhäutige Soldaten schlenderten nachlässig vorbei, und ein berittener Mulatte in der grünen Livrée des Kaiserhofes sprengte eilig einher. Tramwagen, hier zu Lande Bonds genannt, durchkreuzen die Stadt nach allen Richtungen, das einzige Mittel, bei tropischer Hitze die riesigen Entfernungen zu überwinden, denn jegliche andere Wagenfahrt wird bei dem entsetzlichen Strassenpflaster zur unerträglichen Qual. Bemerkenswerth ist, dass hier wie in ganz Brasilien Weisse und Schwarze unbeanstandet gemeinsam die Bonds benutzen, wie überhaupt die im südamerikanischen Kaiserreiche übliche, gleichmässigere Behandlung der zwei Rassen im wohlthuenden Gegensatze zu den diesbezüglichen nordamerikanischen Gepflogenheiten steht.
Zahlreiche Verkaufsläden, namentlich in der Rua do Ouvidor, locken die Vorbeigehenden an. Farbenschillernde Blumen aus Kolibrifedern, Schmuckgegenstände aus metallglänzenden Käferflügeln sind in den Schaufenstern verführerisch zusammengestellt. Im Juwelierladen von Rezende funkeln die prächtigsten Diamanten, zu Diadem, Armbändern und anderem Schmuck verarbeitet. Die hohen Preise, welche wir ausgezeichnet sehen und welche höher sind als die bei uns gewohnten, erklären sich dadurch, dass die brasilianischen Diamanten vielfach zum Fassen nach Europa gesendet werden und gefasst, unter hohem Eingangszoll, in ihre Heimath zurückkehren. Noch vor wenigen Jahren wurde kein einziger Diamant in Brasilien selbst geschliffen. Ein riesiges, auf zwei Stockwerke und in zehn Rayons eingetheiltes Modewaarengeschäft, nach Art der grossen einschlägigen Geschäfte in Paris und Nordamerika, befriedigt die Modebedürfnisse der vornehmen und auch nicht vornehmen Fluminensinnen. Fluminense ist der Name für die Bewohner von Rio de Janeiro. Neben stillosen und bunt, z. B. rosenroth und hellblau, angestrichenen Gebäuden, wie die Post, erheben sich ganz geschmackvolle, wie der grossartige, caryatidengeschmückte Palacio do Commercio und das Gabinete Portuguez de Leitura. Es ist letzteres ein im spätgothischen, indisch beeinflussten Stil von Belem und Batalha in Portugal gehaltener Bau, welcher dem Auge eine Erholung bietet nach den vielen Architekturhässlichkeiten, die Rio und überhaupt ganz Brasilien aufzuweisen hat. Verschiedene kleine und grosse Plätze unterbrechen die endlosen Strassenreihen. Auf das Meer hinaus öffnet sich die Praça de Dom Pedro II. mit dem Ackerbauministerium und dem unschönen, zweistöckigen Paço da Cidade, in welchem der Kaiser manchmal Ministerrath abhält. Landeinwärts folgt der bescheiden bepflanzte Largo São Francisco de Paula mit einem Theater und die Praça da Constitução mit ihren verstaubten Anlagen, dem Denkmal Dom Pedro I. und dem wenigstens von aussen hübschen Theater São Pedro. An diesem fällt uns die Eigenthümlichkeit der romanischen Völker auf, Theater mit Heiligennamen zu belegen. Noch weiter nach Westen gelangt man auf den grössten Platz der Stadt, die Praça da Acclamação, welche westlich von dem unansehnlichen Senatsgebäude und dem säulenverzierten Münzgebäude, östlich von dem figurengeschmückten, hübschen Rathhaus und dem höchst interessanten Nationalmuseum begrenzt wird. Auf diesem Platze erheben sich die reizenden Anlagen des Jardim gleichen Namens. Den hübschgehaltenen, wasserdurchzogenen Rasen beschatten Pandanaceen; Fourcroyen und Ravenalen entfalten sich dazwischen; allerhand Bromeliaceen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, und Bougainvilleen mit ihren prachtvoll blaurothen Hochblättern klimmen an den anderen Pflanzen empor. Inmitten der Stadt stösst man immer wieder auf häuserbesetzte und unter Tropenvegetation begrabene Hügel, deren Rio nicht weniger als 36 zählt. Wenn man die Strassen hinunter- oder hinaufblickt, erscheint als Abschluss der Perspektive entweder das blaue Meer mit einem jenseitigen fernen Höhenzug, oder der nah emporsteigende Berghang, welcher zwischen die Häuserreihen hereinschaut wie das Gebirge in eine Dorfstrasse unserer heimischen Alpen.
Erst nachdem wir einen allgemeinen Ueberblick über das Centrum der Stadt gewonnen hatten, dachten wir daran, unser Hôtel aufzusuchen. Aus Gesundheitsrücksichten, wegen Malaria und des in Rio endemischen Gelbfiebers, ist das Wohnen in den unteren Stadttheilen für Fremde zu vermeiden. Und so war unsere Wahl auf das Hôtel Vista Alegre gefallen, ein auf dem höchsten Punkt des Morro de Santa Thereza gelegenes, mehr villenartiges Gasthaus, zu welchem man vom Fuss des Berges ungefähr dreiviertel Stunden hinaufzufahren hat. Der Plano inclinado, eine Drahtseilbahn von 513 m Länge, und dann ein Tramwagen, welcher steil aufwärts ging, brachten uns nach unserem Bestimmungsort, wo wir nun, wenn auch mit grossen Unterbrechungen, einige Wochen Aufenthalt nehmen sollen.
Die weite Entfernung unseres Hochsitzes von allen Eisenbahnstationen und jeglichem interessanten Punkt der Stadt ist zwar sehr unbequem, doch wird dies reichlich aufgewogen durch die Wahrscheinlichkeit, im ungesunden Rio gesund zu bleiben und ferner durch die prachtvolle Aussicht, welche wir zu jeder Stunde des Tages gemessen können. Der Blick von unseren Fenstern umfasst in der Vogelperspektive die ganze, bergeingeschlossene Bai mit ihren zahllosen Inseln und ihren vielen Ortschaften, welche ringsherum an den Ufern hingestreut sind. Um uns, in nächster Nähe unseres Hauses, herrscht uneingeschränkt eine tropische Bergnatur, steile, vegetationsüberwucherte Hänge verlieren sich nach aufwärts und abwärts. Von Villen und Gärten gekrönte Hügel ziehen sich von unten zu uns herauf, und tief uns zu Füssen breitet sich die lang hingestreckte Stadt.
Ein klarer, aber nicht farbenglühender Sonnenuntergang bildete den Schluss der überwältigenden, einzigen Schönheitseindrücke des heutigen Tages. Aber noch war uns eine Ueberraschung vorbehalten. Kaum begann es zu dunkeln, blitzten wie Glühwürmchen einzelne Lichter in der Tiefe unter uns auf, dann immer mehr und mehr. Endlich schwamm Rio in einem Lichtermeer, das die Linien der Einbuchtungen malerisch zeichnete und die Höhen hinauf- und hinunterstieg. Und wie herüben, so drüben. Am jenseitigen Ufer erglänzten nun auch die Häuser und Strassen der Stadt Nictheróy in nächtlicher Beleuchtung und entzündeten sich Lichtchen auf den fernen Hügeln. War die Bucht von Rio bei Tage entzückend, so hatte sie in ihrem festlichen Lichterschmuck doch auch des Nachts einen ganz unerwarteten Reiz.
Rio de Janeiro. Mittwoch, den 15. August.
Früh suchten wir die weiter abwärts auf unserem Gneiss-Morro gelegene Kirche des Karmeliterinnenklosters von Santa Thereza auf. Letzteres ist eines der zwei einzigen Frauenklöster, welche Rio besitzt und die, da seit 1861 keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen werden dürfen, dem baldigen Ende ihres Bestehens entgegensehen. Beim Hinabwandern hatten wir nach Süden einen herrlichen Blick auf die Hänge des Corcovado und die tief unten blauende Botafogobucht, auf dem Platz vor der Kirche aber eine Uebersicht über die ganze Bai, das gewaltige Einfahrtsthor und einen Theil der berühmten Cariócawasserleitung, welche seit 1750 in Betrieb ist. Mittelst zwei übereinandergestellter Reihen moosbewachsener Steinbögen überbrückt der Aquädukt das zwischen dem Morro de Santa Thereza und dem Morro de Santo Antonio gelegene Thal, ein malerisches Wahrzeichen von Rio de Janeiro.
Mittags 1 Uhr zeigte das Thermometer in Vista Alegre 27,5° C. Nachmittags unternahmen wir einen Ausflug nach Nictheróy, der am jenseitigen Ufer der Bai gelegenen Hauptstadt der Provinz Rio de Janeiro. Es ist dies eine Stadt von 30 000 Einwohnern, welche, ursprünglich ein Carihi-Indianerdorf, ihre Stadtwürde kaum über 50 Jahre zurückdatirt. Ihren Aufschwung verdankt sie dem Umstande, dass, bei Lostrennung des neutralen Municipiums mit der Hauptstadt Rio de Janeiro von der gleichnamigen Provinz, sie letzterer, welche hauptstadtlos geworden war, als Regierungssitz gegeben wurde. Ein lebhafter Schiffsverkehr verbindet die beiden Schwesterstädte, doch den Schiffsverkehr mit dem Auslande hat die ältere und grössere Schwester vollständig an sich gezogen.
Von der Praça Dom Pedro II. brachte uns eine Dampffähre in direkt östlicher Richtung quer über die Bai nach der am Südende von Nictheróy gelegenen Vorstadt São Domingo. Die Wagenfahrt von hier dem Ufer entlang nach Nictheróy ist eine der reizendsten, die es giebt, denn nirgends gruppirt sich das ohnedies so prachtvolle Rio de Janeiro mit seinem Berghintergrund zu einem so entzückend vollendeten Bild, wie von dieser Strecke aus gesehen. Gerade gegenüber dem Beschauer, jenseits der hier noch engen Bai, ist die Stadt am Ufer und auf den Hügeln abwechselungsvoll gelagert und an die Steilhänge des Corcovado gelehnt. Etwas rechts, d. h, nordwestlich vom Corcovado erhebt sich sein Zwillingsberg, die Tijuca, links von ihm, als letzte Höhe nach dieser Seite, die Gavea mit ihrer dem Namen entsprechenden Marssegelform Gavea, portugiesisch = Marssegel, auch Mastkorb.. An die Tijuca rechts schliessen sich in weitem Halbkreis andere Ausläufer der Serra do Mar und die Hauptkette der letzteren, nach der Ferne in bläulichem Duft verschwimmend. Ihnen zu Füssen glänzt der ausgedehnte Spiegel der inneren Bai. Im Vordergrunde aber, vor der Kaiserstadt, taucht Insel an Insel auf, von grünem Pflanzenteppich überwoben oder mit freundlichen Bauten besetzt.
Von Nictheróy fuhren wir nach S. Domingo zurück und nun südostwärts nach den reizenden Buchten von Icarahý und Jurujúba. Anfangs war unser Weg von Villen und schönen Gärten eingefasst. Viele Oreodoxen und andere Palmen wiegten ihre Wedel in den Lüften, hohe Bambusgräser neigten sich über die Strasse, und Sträucher, vermuthlich Bignoniaceen, erfreuten das Auge durch ihren gelben und rothen Blüthenschmuck. In der einen Einbuchtung entstiegen den Fluthen einzelne malerische hohe Felsen, bromeliaceenüberwuchert oder eine Palmengruppe tragend. In langen Wellen verrauschte das Wasser am hellen Strand. Und von jenseits der dunkelblauen Meeresfläche schaute der Pão d'Assucar mit seinen Nachbarhöhen in die friedliche Landschaft herein.
Nach diesem frischen Bilde erschien uns bei der nun folgenden Fahrt landeinwärts die Vegetation recht staubbedeckt und zum Theil auch verdorrt. Wir endeten mit Nictheróy, das fast als Vorort Rios gelten könnte, dessen äussere Strassen aber mehr den Charakter der eines Landstädtchens, als der einer Provinzhauptstadt tragen. Von hier aus brachte uns eine Dampffähre wieder nach Rio de Janeiro zurück.
Den Schluss des Tages bildete der Besuch des neben dem Landungsplatze gelegenen Mercado. Wie auf allen grösseren Märkten Brasiliens wurden auch hier lebende Thiere feilgeboten, Sahuýs (Hapalidae) und andere Affen, Rüsselbären (Nasua), Pacas, ein ganz zahmes Nabelschwein (Dicotyles) und allerhand Vögel, sogar australische Papageien. Uns interessirte natürlich mehr die einheimische Thierwelt, welche einige bisher von uns noch nicht gesehene Vogelarten von unbeschreiblicher Farbenpracht enthielt. Es gab da Käfige voll von grellblauen und türkisfarbigen Saï (Coerebidae). Unter den bald türkisblau, bald türkisgrün schillernden, entzückenden Thierchen entdeckte ich die bei Rio vorkommenden Dacnis cayana L., unter den dunkler gefiederten die ebenfalls um Rio zu findenden, kobaltblauen, schwarzflügeligen Coereba cyanea L. Ich möchte vermuthen, dass in dieser munteren, beweglichen Schaar auch einige Tanagriden nicht fehlten, wie z. B. die türkisfarbig leuchtenden Blaugrünen Schnapper (Procnias tersa L.).
Rio de Janeiro. Donnerstag, den 16. August.
Der heutige Tag war dem Corcovado gewidmet, diesem buckeligen Corcovado (portugiesisch) = der Buckelige und ist ein zur Bezeichnung der Bergform ganz passend gewählter Name. Gneissbergrücken von 735 m Höhe, an dessen unterstem Hang wir uns im Hotel Vista Alegre befanden. Wohl führt seit 3 Jahren eine 4 km lange Zahnradbahn bis unter den Gipfel. Doch zogen wir es vor, wenigstens bis zur Station Paineiras, welche ca. auf zweidrittel Höhe liegt, hin und von dort wieder zurück zu reiten, um Gegend, Pflanzen- und Thierwelt eingehender betrachten zu können. Den Weg bis da hinauf, der fast immer im Walde bleibt, legten wir in ungefähr zwei Stunden zurück. Die Vegetation hier lässt nichts an reizender Fülle zu wünschen übrig. Neben den hohen Cocos Mikaniana Mart. und den noch weit höheren Attalea Indaya Dr. wachsen im Dickicht niedrigere Palmen, Geonoma und Bactris-Arten Geonoma Schottiana Mart., G. elegans Mart., Bactris vulgaris B. Rodr. etc.. Die Leguminosen und Myrtaceen, z. B. Lecythis angustifolia Endl., die Melastomaceen, Nyctagineen, ich nenne nur Andraden floribunda Allem., die Laurineen und Urticineen, wie die mächtige Pharmacosicea vermifuga Miq., die Boragineen, Sapotaceen und Andere liefern die hoch wachsenden Waldbäume. Das Unterholz setzt sich vorzüglich aus Samydeen, Asclepiadeen, Apocynaceen und Rubiaceen zusammen. Orchideen blühen auf den Bäumen, Aroideen und terrestrische und epiphytische Bromeliaceen sind angesiedelt, wo nur noch ein Raum freigeblieben. Auch die für die Berglehnen des Küstenurwaldes so charakteristischen Bambusdickichte fehlen nicht. Und eine Unzahl von Lianen flechten sich durch die Pflanzenfülle und verbinden die himmelanstrebenden Baumkronen mit dem bescheidenen Unterwuchse zu einem undurchdringlichen Pflanzengewebe. Während des Ausrittes bieten sich schöne Blicke hinab auf die Einbuchtungen der südwestlichen Küste und den blauen, endlosen Ocean.
In Paineiras bestiegen wir die Zahnradbahn, welche uns, schwindelerregend steil, in einem Winkel von 30 Grad binnen 25 Minuten bis unterhalb des Gipfels brachte. Schon während der Auffahrt ahnt man den bevorstehenden Genuss einer einzig schönen Rundsicht. Doch erst wenn die letzte Strecke, die zu Fuss zurückzulegen ist, überwunden, breitet sich vor den Augen des staunenden Beschauers das ganze, wunderbare Panorama.
Uns zu Füssen, nach Norden und Nordost, blaut wie ein Gebirgssee die weite Bai von Rio mit ihren Buchten, ihrer grossen, vielverzweigten Ilha do Governador und ihren zahllosen, auf den Wasserspiegel wie hingesäeten kleinen Inseln. Dahinter steigen die Bergketten der Serra do Mar an, die gezackte Serra dos Orgãos und andere Serras, eine jede mit Dutzenden von Kegeln. Im Norden verschwinden die letzten, fernsten Gebirgszüge in blauem Duft, im Nordosten aber, wie zu Stein gewordene Wellenzüge, erheben sich deutlich Bergreihen hinter Bergreihen, zehn an der Zahl. Unmittelbar und tief unter uns liegt im Osten die Botafogobucht, von der aus weit in die Salzfluthen hinaus die Landzunge vorspringt, welche den Steinriesen, Pão d'Assucar, trägt. In Vogelperspektive gesehen zeichnen sich die schaumbeleckten Felsen, welche die Einfahrt in die Bucht begrenzen, scharf vom umgebenden Wasser ab. Nach Süden ist, den Fuss des Corcovado bespülend, die Lagôa Rodrigo Auf einigen Plänen ist Rodrigo, auf anderen Rodrigues angegeben. Rodrigo dürfte die richtige Benennung sein. de Freitas gebreitet, ein über drei Kilometer langer See, den nur eine Sandbank vom Meere trennt. Dahinter schimmert prächtig blau der endlose Atlantik, der in weitester Ferne mit dem Himmelsgewölbe in eines zusammenzuschmelzen scheint. Im Südwesten, oberhalb des Botanischen Gartens, wird der Blick durch die zerklüfteten Felswände der Gavea begrenzt und nach Nordwesten durch den Gipfel der Tijuca, womit die Rundsicht ihr Ende erreicht. Rings um uns gehen die mit üppigstem Waldwuchs über und über bedeckten Steilhänge des Corcovado und seiner Nachbarn schwindelnd in die Tiefe, zu unterst, gegen die Stadtseite, mit einzelnen Villen besetzt. Heiss brütet über der Tropenlandschaft der zittrige, mittägliche Dunst, und wir können den Blick nicht wenden von dem wunderbaren Bilde, welches sich in seiner Herrlichkeit unvergesslich dem Gedächtniss einprägt.
Zu Fuss kehrten wir durch den dichtschattigen Wald nach Paineiras zurück. Stundenlang durchklang der eintönige Ruf der Araponga, des Glockenvogels (Chasmorhynchus nudicollis Vieill.), die urwaldartige Natur. Colaenis Julia Fabr., ziegelrothe, uns schon am Amazonas bekanntgewordene Nymphalinen, Unmengen von Ithomien, durch ihre florartigen Flügel auffallende Schmetterlinge, und andere buntfarbige Lepidopteren gaukelten über den Weg. Auch ein riesiger, grauer Caligo, sicher Caligo Eurylochus Cram., der grösste Tagfalter Brasiliens, von 16 cm Spannweite, mit graubrauner Oberseite und prachtvoll grossen Augen am der Unterseite der Hinterflügel, kam langsam und vornehm dahergezogen. Eine kleine graue Schlange kroch quer über unseren Pfad und Ameisen, Camponotus und Atta, machten sich emsig am Boden zu schaffen. Vernonia oppositifolia Less. Daselbst von mir gesammelt. blühten am Wegrand. Piptadenia colubrina Benth., Daselbst von mir gesammelt. eine in Südamerika ziemlich verbreitete, baumförmige Mimosee, neigte ihre feinen Fiederblättchen auf uns hernieder. Daneben stand ein dunkelbelaubtes Bäumchen, die nur in Mittelbrasilien wachsende Casearia inequalilatera Camb. Daselbst von mir gesammelt. Und ein Hirsegras, Ichnanthus candicans Nees var. virescens Döll., Daselbst von mir gesammelt. brachte durch das blasse Grün seiner grossen, lanzettlichen Blätter eine weitere Abwechslung in die etwas eintönige Waldfarbe.
In Paineiras bemerkten wir die ersten der auf den Hängen im Küstenurwald besonders reichlich wachsenden Farnbäume, von welchen für den Corcovado vier verschiedene Arten angeführt werden. Cyathea arborea Smith. – Alsophila Taenitis Hook. – Alsophila palcolata Mart. – Alsophila ferox Presl.
Wir suchten von hier längs der Wasserleitung noch eine Strecke weit gegen Tijuca vorzudringen. Links von unserem Wege stürzte die Berglehne ungangbar jäh gegen die Südküste zu ab. Hie und da gab es aus dem Waldesdickicht, in welchem wir dahinschritten, einen Ausblick hinab auf den Strand und hinaus auf den gewaltigen atlantischen Ocean, ein entzückendes Bild. Es umgab uns hier die prachtvollste Vegetation, welche wir seit den Amazonasurwäldern gesehen und welche denselben, die hier fehlenden Baumriesen abgerechnet, an Ueppigkeit nur wenig nachstand. Einzelne Cecropien und Bäume mit rosskastanienähnlichem Laub, der Blätterform nach sicher Sapindaceen, mischten sich unter die übrigen Holzgewächse. Lianen und Bambusgräser, wie Streptochaeta spicata Schrader, Daselbst von mir gesammelt. bildeten ganze Lauben. Grossblätterige Aroideen, grosse und kleine Bromeliaceen schmückten Boden und Bäume. Zahllose Farnkräuter, unter welchen die für die Serra do Mar charakteristische Aneimia Mandioccana Raddi, Daselbst von mir gesammelt. die feine Davallia inaequalis Kunze Daselbst von mir gesammelt. und das Acrostichum osmundaceum Hook., Daselbst von mir gesammelt. sowie andere Pflanzen bedeckten den Waldgrund mit so dichtem Teppich, dass die Erde gar nicht sichtbar wurde. Schlinggewächse und Luftwurzeln von Epiphyten woben sich zu einem Strickgeflecht zusammen. An den Steinen der Wasserleitung sprossten zarte Haarfarne (Adiantum cuneatum Langsd. et Fischer Daselbst von mir gesammelt. Im Vegetationsreichthum kaum sichtbar blieb die winzige, kriechende Herpestes Monnieria H. B. et Kth., Daselbst von mir gesammelt. indessen Sarantha Moritziana Eichl. Daselbst von mir gesammelt. sich durch ihre grossen ovalen Blätter wohl bemerklich machte. Von den Hängen rieselten kleine Bäche herab, Kühlung spendend, und von Zeit zu Zeit thaten sich in der Berglehne steile, enge, kurze Waldschluchten auf, welche für den menschlichen Fuss unzugänglich blieben. Frische Bergluft strich um unsere Stirnen – es war träumerisch schön in der stillen, tropischen Gebirgswelt.
Von Paineiras legten wir den Rückweg nach unserem fluminenser Heim wieder zu Maulthier zurück. Der Ritt hinunter schien uns noch schöner als der Ritt hinauf, da wir nun die unvergleichliche Aussicht auf Rio und seine Bai, auf Berg und Meer stets vor uns hatten. –
Abends stellte sich ein von heftigem Sturm und fluthartigem Regen begleitetes Gewitter ein, von dessen Stärke man sich bei uns in Europa keine Vorstellung machen kann. Es war dieses Wetter um so unerwarteter, als die Gewitter, obwohl im Sommer in Rio sehr häufig, zur jetzigen Jahreszeit, im Winter, sehr selten sind, und mancher August vergeht, an welchem nicht ein einziges zu verzeichnen ist. –
Der heutige Tag endete nicht ohne grosse Enttäuschung. Unser Incognito sollte bis zum beabsichtigten Besuch bei Hof aufrecht erhalten werden. Bisher, d. h. während zwei ein halb Monaten war dasselbe auch überall tadellos gelungen, und zwar so, dass es zu allerhand komischen Verwechselungen Anlass gegeben hatte. Heute nun war eine indiscrete, kurze Notiz aus Europa, welche das Jornal do Commercio, die erste Zeitung Brasiliens veröffentlicht hatte, wenigstens für unseren Aufenthalt in Rio zum unliebsamen Verräther geworden.
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Verzeichniss der während der folgenden Wochen von unserem Diener auf dem Corcovado gesammelten Thiere:
Liophis melanostigma Wagl., eine nur in Brasilien beobachtete, auf dem Boden lebende Schlange aus der Familie der Nattern, welche auf den Seiten hübsch grau gefärbt ist. 2 Exemplare.
Rhadinaea merremii Wied, eine ebenfalls auf Brasilien beschränkte Natter von nur 50 cm Länge. 2 Exemplare.
Elaps corallinus. Wied var. B., die echte brasilianische Form der über das tropische Südamerika und die kleinen Antillen verbreiteten Korallenotter, einer bekannten, zinnoberrothen Giftschlange. 2 Exemplare ♂, ♀
Megasoma Typhon Oliv., ein 7 cm langer, schwarzer Lamellicornier aus der Unterfamilie der Riesenkäfer (Dynastidae), welcher ein langes, zurückgebogenes Horn auf dem Kopf ein zweites, vorgebogenes auf dem Halsschild sitzen hat.
Coeloscelis smaragdulus Fabr., ein kleiner, überaus glänzender smaragdgrüner Blatthornkäfer (Lamellicornia), der auf das nördliche Südamerika beschränkt zu sein scheint.
Pinotus bicuspis Germ., ein glänzend schwarzer, Brasilien eigentümlicher Lamellicornier.
Phileurus didymus L., ein schwärzlicher Lamellicomier, der auf dem Kopfe Hörner trägt, einen zirpenden Ton hervorbringen kann und nur im nördlichen Südamerika angetroffen wird.
Pyrophorus candens Germ. = »Schimmernde Feuerfliege«, ein kleiner brasilianischer Schnellkäfer (Elateridae), an dessen Halsschild sich Punkte befinden, welche Nachts intensiv leuchten. 2 Exemplare.
Rhipidocera marginata Kirb., ein in der Umgegend von Rio de Janeiro nicht seltener, grünbräunlicher Rhipidoceride mit gelbgerandeten Flügeldecken.
Lordops Gyllenhali Dalm., ein reizender kleiner, in goldgrünem Metallglanz schimmernder Käfer, der einer auf Brasilien beschränkten Curculionidengattung angehört.
Heilipus cauterius Bohem., ein kleiner dunkler Rüsselkäfer (Curculionidae), der sich auf Brasilien zu beschränken scheint.
Mallosoma zonatum Sahlbg., ein, wie es scheint, auf Brasilien beschränkter, kleiner Bockkäfer (Cerambycidae), dessen Halsschild und Flügeldecken hübsch schwarz und gelb gezeichnet sind und einen Sammet- und Atlasschimmer haben.
Mesomphalia sexpustulata Fabr., ein merkwürdiger, dunkelblaugrüner Schildkäfer (Cassididae) mit buckeligen Flügeldecken, welche sechs rothe Punkte schmücken. 2 Exemplare.
Pepsis viridisetosa Spin., eine kleine, flaschenblaugrüne, metallschimmernde Wegwespe (Pompilidae), welche sowohl in Guyana, wie in Brasilien vorkommt, aber ziemlich selten zu sein scheint.
Cryptocerus atratus (L.) Fabr., eine 12 mm lange und, wie ihr Name sagt, schwarze Knotenameise (Myrmicinae) mit merkwürdig stacheligem Kopf und Thorax, welche einer Ameisengattung zugehört, die, entgegen den Gewohnheiten und Charakteranlagen anderer Formiciden, sich durch Faulheit und Feigheit und eine einsame Lebensweise auszeichnet. Diese Ameise ist es, welche verwendet wird, die Schmerzertragungsfähigkeit der Maué-Indianerjünglinge zu prüfen. Siehe weiter oben S. 70. ♂ 1 Exemplar.
Atta sexdens (L.) Fabr., eine dunkelrothbraune Knotenameise (Myrmicinae), mit stacheligem Kopf und Thorax, welche erst seit einiger Zeit aus Minas Geraes in Rio de Janeiro eingewandert ist und wegen ihres Kahlfressens der Bäume sehr gefürchtet wird. ♀ 15 Exemplare.
Camponotus sericeiventris (Guér.) Mayr, eine über Süd- und Mittelamerika verbreitete, schwärzliche Ameise aus der Unterfamilie Camponotinae mit grünem, seidig glänzendem Hinterleib, stacheligem Prothorax und keilförmigem Meso- und Metathorax. ♀ 5 Exemplare.
Morpho Helenor Guenée, ein schöner Riesenfalter (Morphinae) von 14 cm Spannweite und mit blauen, breit schwarz gerandeten Flügeln.
Brassolis Astyra Godt., eine nur für Brasilien genannte, grosse, dunkelbraune Brassoline, welche auf den Vorderflügeln eine bräunlich gelbe Querbinde trägt.
Brassolis Sophorae L., Raupe, gross und unbehaart; ein der Cocos nucifera L. und anderen Palmen schädliches Thier. 2 Exemplare.
Acraea Thalia L., eine kleine, eigenartig gelbbraun gefleckte und gestreifte Acraeine.
Heliconius Phyllis Fabr., eine von Brasilien bis Venezuela verbreitete, schwarze Heliconine mit breit rothgefleckten Vorder- und schmal gelbgebänderten Hinterflügeln.
Colaenis Dido L.. eine grosse Nymphaline mit schwarzen, breit hellgrün gezeichneten Flügeln.
Colaenis Julia Fabr., eine roth und schwarze Nymphaline. Siehe weiter oben S. 178.
? Temenis Laothoe Cram. (nach Münchener Bestimmung),? Ageronia, (nach Londoner Bestimmung); eine gelb und braune, lang- und dunkelbeborstete Nymphalinenraupe, deren Gattung nicht einmal sicher zu bestimmen ist. 8 Exemplare.
Catagramma Hydaspes Dru., eine reizende kleine schwarze Nymphaline, deren Flügel auf der Oberseite schillernd roth und blau, auf der Unterseite charakteristisch mit gelben Strichen und blauen und weissen Pünktchen gezeichnet sind.
Didonis Biblis Fabr., eine hübsche, sammetschwarze Nymphaline mit länglichen, carminrothen Flecken am Hinterflügelsaum.
Daptonura Ilaire Godt., ein über Central- und Südamerika verbreiteter Weissling (Pierinae). und zwar ein ♀ mit weissen, fast durchwegs schwarzgerandeten Flügeln, deren hinteres Paar einen gelben Basalfleck hat.
Papilio Dardanus Fabr., ein sammetschwarzer, speziell brasilianischer Edelfalter, der auf den Vorderflügeln einen kreisrunden, grünlichgelben, auf den stark gezahnten Hinterflügeln einen grossen zinnoberrothen Flecken trägt.
Papilio Agavus Dru., ein schwarz, weiss und carminroth gezeichneter Edelfalter, welcher besonders in Südbrasilien häufig angetroffen wird.
Chrysauge Dichroa Pert, ein auf Südamerika beschränkter Cyllopodide mit schwarzen, breit gelb gestreiften Flügeln.
Brachyglene Auritlamma Hübn., ein Cyllopodide mit schwarzen und bräunlichgelben Vorder- und ganz schwarzen Hinterflügeln.
? Attacus Raupe, gross, gelb, den Dornen nach zu schliessen der Gattung Attacus zugehörig.
Apatelodes Firmiana Sepp., Raupe, prachtvoll, mit dichten, goldgelb glänzenden Dornen geschmückt. 3 Exemplare.
Volucclla obçsa Fabr. = »Fette Federfliege«, ein schöner, erzgrüner, in Brasilien sehr verbreiteter Zweiflügler. 2 Exemplare.
Dinocoris melanolencus Westw., eine in braunschwarz und blassgelb schöngezeichnete Schildwanze (Scutati), deren Reine schwarz und roth geringelt sind.
Dysdercus annulus Fabr., eine 4 cm lange, rothköpfige Feuerwanze (Pyrrhocorina) mit rothgerandetem Thorax, welche auf das nördliche und mittlere Südamerika beschränkt ist. 2 Exemplare.
Capsus pyrrhula Hhn., eine schwarz und rothe, in Südamerika häufige Blindwanze (Capsidae).
Fidicina eine kleine Singzirpe (Cicadinae), welche bisher noch nicht beschrieben worden ist.
Dolomedes aerugineus Koch, eine zum Theil rostgelb, zum Theil rostbraune Wolfspinne, (Lycosidae), welche unserer, an feuchten Orten sich aufhaltenden und über Wasserflächen laufenden gerandeten Jagdspinne (Dolomedes fimbriatus Clerck) sehr nahe verwandt ist.
In Rio de Janeiro geschenkt erhalten und bei Rio gesammelt:
Herpetodryas carinatus L., eine schlanke, bis über meterlange, schnell dahinschiessende, Grüne Cipó Vergleiche das weiter oben S. 55 Anmerkung 2 Gesagte. genannte Natternbaumschlange, welche oft auf Bäumen ruht, in der Umgegend Rios gemein ist und, wie ihr Name sagt, sich durch ihre grüne Färbung auszeichnet. Exemplare.
In Rio geschenkt erhalten ohne Angabe des Fundortes:
Morpho Anaxibia Esp., ein grosser brasilianischer Tagfalter von 16 cm Spannweite dessen azurblaue Oberseite Atlasschimmer hat.
Dysdaemonia Boreas Cram,, ein ziemlich einfarbig braungrauer Saturnide des tropischen Amerika.