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Kapitel XVII.
Rio Doce.

Mutum. Samstag, den 1. September.

Der Rio Doce, an dessen Ufer wir nun hausen, ist einer der bedeutenderen Flüsse Mittelbrasiliens. Die Länge seines Laufes beträgt ca. 750 km und sein Stromgebiet umfasst ca. 97 500 qkm. Seine Quellen, in deren Nähe wir erst vor vierzehn Tagen gewesen, liegen am Ostabhange der Serra do Espinhaço, in der Provinz Minas Geraes. Die Richtung seines Laufes ist anfangs eine nordöstliche, dann eine südöstliche und von der Grenze von Espirito Santo an, woselbst er die Serra do Mar durchbricht, eine überwiegend östliche. In seinem Oberlaufe ist der Fluss durch Stromschnellen, Wasserfälle und Riffe für die Schifffahrt nahezu unbrauchbar. Erst ungefähr 220 km von der Mündung beginnt seine Schiffbarkeit. Er wird aber auch hier nur von Canoas befahren, nachdem die Versuche, regelmässig Dampfer gehen zu lassen, aus diesem und jenem Grunde bisher immer kläglich gescheitert sind. Der letzte diesbezügliche Versuch fand im Jahre 1879 statt, in welchem einige Monate lang ein kleiner Dampfer die fahrbare Strecke in durchschnittlich 18 Stunden zurücklegte. Der Waarenverkehr auf dem Rio Doce ist gering und mühsam. Flussaufwärts wird Salz verfrachtet, flussabwärts Kaffee, Tabak und Speck. Der Salzimport beträgt jährlich durchschnittlich 20 000 Säcke, der Kaffeeexport 381 000 kg. Summe des exportirten Kaffees des Jahres 1888 nach Silva Coutinho: Navegação do Rio Doce.

Der Unterlauf des Rio Doce, der an Breite zwischen 300 und 500 m wechselt, bewegt sich in einer sumpf- und seenerfüllten, malariaberüchtigten Niederung. Das Klima daselbst ist warm und sehr feucht. Regen fällt das ganze Jahr hindurch, doch mehr von Oktober bis April, indessen die übrigen Monate zur Trockenzeit rechnen. Die Enchente, während welcher der Fluss um mindestens 6 m steigt und von Dezember an seine Ufer mehr oder minder lange überfluthet, beginnt im Oktober und dauert durchschnittlich bis zum März. Siehe auch Hartt: Geology and Physical Geography of Brazil 98.

Grosse Strecken vom linken Ufer des Rio Doce landeinwärts sind vollständig unbekannt und noch nie von eines weissen Mannes Fuss betreten worden. Ungefähr schon eine Tagereise weit von der Mündung ist das ganze Land nördlich des Flusses im unbestrittenen Besitz der wilden Botokuden. Diese Besitzverhältnisse finden wir ununterbrochen den Fluss hinauf bis weit in die Provinz Minas hinein, bis zur Einmündung des Rio Sassuhy-grande, zwei Längengrade von der Küste entfernt. Anders ist es am Südufer, woselbst einzelne Ansiedlungen von Nichtindianern und einzelne Militärposten den Autochthonen den Grund und Boden streitig zu machen beginnen.

Als wir gestern, aus dem Urwald herausreitend, zum ersten Male den Rio Doce erblickten, konnten wir uns einer Art von Enttäuschung nicht erwehren. Dank der Vazantezeit war der Fluss nur ein unansehnliches Wasser, welches kaum die in seinem Bett liegenden, rundgewaschenen Felsen überspühlte. Wir ritten auf seinem erhöhten Ufer eine kurze Strecke aufwärts bis zur Faktorei Tatú, wo wir Unterkunft zu finden hofften. Es wurde uns zwar kein Nachtquartier in dem einzigen möblirten Hause angewiesen, doch durften wir in einem vollständig leeren, noch unvollendeten Gebäude in der Nähe campiren. Unser bescheidener Lehmpalast hatte an Stelle von Fenstern nur Holzläden und allerhand Luftlöcher, durch welche das Tageslicht einströmen konnte. Auch gab es in demselben nicht die Spur von Zimmereinrichtung, keinen Fussboden ausser der gestampften Erde, keine Zimmerdecken, keine durchgehenden Wände und zum Theil auch keine Thüren. Führer und Maulthierknechte richteten sich ihr Nachtlager auf dem Boden, Sättel und Gepäckstücke als Kopfkissen benutzend. Wir schlugen unsere Feldbetten auf, zündeten die von uns mitgebrachten Kerzen an und kochten unser Nachtmahl, welches heute auch unser Mittagessen vorstellte. Mit unseren Leuten theilten wir ein Gericht schwarzer Bohnen (Phaseolus derasus) und lernten auf diese Weise die berühmten Feijões pretos, eines der Hauptnahrungsmittel der brasilianischen Bevölkerung kennen. Als wir nach hereingebrochener Nacht aus dem Rio Doce für unseren Haushalt Wasser brauchten, weigerte sich Frank in sichtlicher Angst, solches zu holen. Er schützte die Gefahr vor, in den Fluss zu fallen; ich vermuthe, er fürchtete in der Dunkelheit das Opfer irgendeiner Vendetta zu werden.

Unsere Maulthiere blieben wie jede Nacht unangebunden im Freien und durften sich selbst Trank und Futter suchen. Behandlung und Verpflegung dieser Thiere war die ganze Zeit über höchst einfach gewesen. Abends, wenn wir in das Quartier kamen, wurden sie kurzweg irgendwo angehängt und ihnen der Sattelgurt gelockert. Erst eine halbe Stunde später nahmen die Knechte Zaum und Sattel ab und liessen die Thiere frei. Den folgenden Morgen, eine Stunde etwa vor dem Abreiten, wurden sie mittelst des Geräusches, welches der in einem Sieb geschüttelte Futtermais verursachte, wieder herbeigelockt und eingefangen. Die Zeit, während welcher sie ihre Köpfe in den vorgebundenen Maulsack vertieften, benutzten die Leute, sie nothdürftig zu säubern und ihnen den Sattel wieder aufzulegen.

Heute fiel letzteres weg, da unsere Reittour vorläufig beendet war.

Früh 8 Uhr des heutigen Tages zeigte das Thermometer 26,5° C. Bis 9 Uhr endlich gelang es uns, einer Canoa zur Fahrt flussabwärts habhaft zu werden. Es war ein kleiner Einbaum, in welchem wir auf dem Flurholz sitzen mussten. Der Fährmann indessen stand achter und steuerte mittelst eines Ruders, das er fortwährend drehte, durch die wirbelnden Strömungen und zwischen den Klippen hindurch. Der Fluss war hier schmal; Gneissfelsen, welche in seinem Bette lagen, störten seinen ruhigen Lauf, Hügelige, waldbedeckte Ufer begleiteten uns zu beiden Seiten. Sie bestanden aus alluvialen Ablagerungen, die Hügel weiter landeinwärts hingegen aus Gneiss. Eine halbe Stunde später landeten wir am steilen rechten Ufer bei dem Aldeamento Mutum.

Es ist Mutum eine jener von der Regierung gegründeten Niederlassungen, welche den Zweck haben, die Indianer der Civilisation zuzuführen. Aus den wilden Horden werden einzelne Individuen gewonnen und in einer Art winziger Dörfer vereinigt. Diese Ortschaften stehen unter der Leitung eines weltlichen Direktors, welchem ein Missionär, ein Dolmetscher, mitunter einige weisse Handwerker und zum Schutze einige Soldaten beigegeben sind. Dies ist der nominelle Bestand des Personals. In Wirklichkeit fehlt, bei dem grossen Priestermangel Brasiliens, der Missionär jedoch meistens, da er gewöhnlich schon einige Jahre nach der Gründung die Mission ihrem Schicksal überlassen muss. Den wenigen Soldaten, durchschnittlich Neger oder Mestizen, liegt dann der Unterricht der Indianer ob. Wie derselbe ausfallen muss, lässt sich leicht vorstellen. Die Direktoren und ihre Hilfsarbeiter sind in diesen menschenleeren Wildnissen jeglicher Kontrolle enthoben, und so werden die von der Regierung für die Aldeamentos jährlich gespendeten Summen nicht immer ihrer ursprünglichen Bestimmung zugewendet. Auch der Zweck, durch diese Aldeamentos einen Kern zu schaffen, um welchen sich nach und nach die noch wilden Elemente auf dem Wege der Civilisation herumkrystallisiren können, wird in nur sehr geringem Maasse erreicht. Mag auch der eine oder andere im Walde schweifende Wilde von der Niederlassung seiner halbcivilisirten Brüder angezogen und zum Aufgeben seines unstäten Lebens bewogen werden, so ist es anderseits auch nicht unerhört, dass ein schon aldeisirter Indianer wieder in die ungebundene Freiheit seiner früheren Urwaldexistenz zurückkehrt Gleiches, wie wir erzählen hörten, erzählen auch Martins (Spix und Martius: Reise in Brasilien I, 378), Wied (Reise nach Brasilien II, 49), Tschudi (Reisen durch Südamerika II, 286) und Ehrenreich (Ueber die Botucudos der brasilianischen Provinzen Espiritu santo und Minas Geraes [Zeitschrift für Ethnologie XIX, 36]).. Die wenigen jetzigen, sämmtlich unter weltlicher Leitung stehenden Aldeamentos sind nur der ungenügende und deshalb traurige Ersatz für die einstigen vielen blühenden Jesuitenmissionen, welche in der Provinz Espirito Santo allein tausenden und tausenden von Indianern den Segen des Christenthums und der Civilisation zugänglich gemacht hatten Wappäus: Kaiserreich Brasilien 1714. 1715. – Siehe auch Spix und Martius: Reise etc. III, 927 u. ff., Wied 1. c. II, 60. Halfeld und von Tschudi: Minas Geraes (Petermann's Geographische Mittheilungen. Ergänzungsheft IX, S. 19). Ehrenreich: Die Eintheilung und Verbreitung der Völkerstämme Brasiliens nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse. (Petermann's Mittheilungen XXXVII, 81. S2)..

Mutum, das Aldeamento, in welchem wir persönliche Erfahrungen über solche staatliche Missionsversuche sammeln sollten, ist in keinem günstigeren Zustand als die anderen Aldeamentos, von denen wir gehört oder über die wir gelesen haben. Das Personal setzt sich hier zusammen aus einem Gouverneur oder Director portugiesischer Abkunft, welcher augenblicklich abwesend ist, aus einem fusskranken, weissen Dolmetscher, welcher als Knabe einige Jahre bei den Botokuden gelebt hat und ihre Sprache gut zu beherrschen scheint, aus zwei oder drei Soldaten, welche theils Neger, theils Mulatten sind, und aus einem Zimmermann, der seit Jahren den hiesigen halbcivilisirten Botokuden ein Haus bauen soll, aber trotz der jährlich dafür einlaufenden etlichen tausend Milreis noch nicht mehr als das Dach und einen Theil des Fachwerks vollendet hat. Missionär ist keiner vorhanden; die nächste Kapelle befindet sich eine gute Strecke flussaufwärts in Guandú, der nächste Priester in Queimado, welches wir auf unserer Reise, vor fünf Tagen, passirt haben. Und so bleiben die hiesigen Leute, gleich den anderen Anwohnern des Rio Doce, oft ein oder zwei Jahre ohne jeglichen geistlichen Zuspruch. Es sind dies Zustände in der Seelsorge, wie wir sie ähnlich am Amazonas getroffen, wo Kinder jahrelang nicht getauft, Paare jahrelang nicht getraut werden, und viele Sterbende ohne die Tröstungen ihrer heiligen Religion hinübergehen müssen. Die katholische Kirche in Brasilien ist arm und ganz auf den Staat angewiesen, welcher auf die religiösen Bedürfnisse seiner Unterthanen keine grossen Summen verwendet. Dies erklärt das ärmliche Aussehen vieler Gotteshäuser und, da der den Priestern ausgeworfene Gehalt meist zu gering ist um davon leben zu können, auch den empfindlichen Mangel an Geistlichen Siehe hierüber auch Canstatt: Brasilien. Land und Leute, S. 188.. –

Die Weissen und Neger Mutums wohnen in dem einzig vorhandenen kleinen Hans, welches aus nur zwei Räumen besteht und auf dem rechten Ufer, etwa fünf Meter oberhalb des Flussspiegels gelegen ist. In diesem Hause, das richtiger als Hütte zu bezeichnen wäre, fanden der begleitende Cavalier und die Führer Unterkunft. Wir zwei Damen schlugen unser Zelt unmittelbar vor dem Hause auf.

Nach einem echt brasilianischen, aus Farinha und Veadobraten In dieser Gegend sollen ein oder zwei Arten von Veados (Hirsche) ziemlich häufig sein, Coassus rufus F. Cuv. und vielleicht Blastocerus paludosus Desm., letzterer der grösste der brasilianischen Hirsche. bestehenden Frühstück, setzten wir in einer Canoa nach dem linken Ufer über. Dieses gehört zum Gebiet der wilden Botokuden und daselbst müssen auch die hiesigen aldeisirten ihre Tage verbringen. Von letzteren fanden wir über zwanzig Männer, Weiber und Kinder, in ihrer unvollendeten, wandlosen Hütte. Der mongoloide Typus war an den meisten von ihnen unverkennbar. Alle hatten mehr oder minder vortretende Jochbeine, grossen Mund, mässig dicke Lippen und rabenschwarzes, schlichtes Haar. Die überwiegende Anzahl wies einen eingebogenen Nasenrücken auf, mehrere hatten auffallend schiefstehende Lidspalten. Die Hautfarbe war je nach den Individuen sehr verschieden, einige hatten sie gelblich, die anderen braun, doch herrschte im Ganzen die helle Färbung vor. Der Bartwuchs der Männer beschränkte sich auf einen Haaranflug an den Mundwinkeln und unter dem Kinn. Im Anklang an die Sitte der wilden Botokuden, das Haupthaar calottenförmig zuzuschneiden, trugen einige Weiber ihre Haare mittelalterlich ringsum rund abgeschnitten. Es nahm sich dies aus wie eine dicke Pelzmütze und war eine Haartracht gleich derjenigen der Yosemitithal-Indianerinnen in Californien. Einige der jüngeren Mädchen hatten das Haar ganz civilisirt mit einem Kamm aufgenommen. Unter erstgenannten Weibern, die in ihrem Aeussern noch mehr an die Zeit der Urwüchsigkeit erinnerten, war eine, welche die Augen auffallend weit auseinandergestellt und einen zum Erschrecken bösen und wilden Ausdruck hatte. Den bekannten Nationalschmuck, die hässlichen Lippenpflöcke, trug kein einziger mehr dieser Botokuden; wohl aber hatten einige der Männer riesige Löcher in den Ohrläppchen, bestimmt, an festlichen Tagen breite Holzscheiben aufzunehmen. Bei den Wanderungen durch die Wälder sollen diese weit herabreichenden Läppchen, wegen der Gefahr des Hängenbleibens, über das Oberohr herumgelegt werden. Bis auf zwei waren sämmtliche Botokuden ganz bekleidet, und zwar durchschnittlich in geblümtem Kattun, doch sagte man uns, dass, wenn sie in ihre Urwälder zurückkehren, sie alsobald die ihnen lästigen Kleider von sich werfen. Ein auffallend grosser und magerer alter Mann, welcher des Augenlichtes beraubt war, hatte seine ganze Körperbedeckung auf einen kurzen Schurz beschränkt. Er gab uns überhaupt von allen in Mutum befindlichen Botokuden am unverfälschtesten einen Begriff der Sitten seiner wilden Stammesgenossen; ja, man konnte ihn als vollständig wild betrachten und nur durch sein Gebrechen gezwungen, im Aldeamento zu leben. So führte er nach Art der wilden Botokuden ein scheideloses, demjenigen der Metzger ähnliches Messer an einer Lederschnur um den Hals gehängt und auf dem nackten Rücken baumelnd. Es sind solche stets scharf gehaltenen Schneideinstrumente der grösste Schatz dieser im Walde streifenden, der Civilisation noch fremd gebliebenen Wilden. Unser Alter hatte auch im Bereiten der Speisen die Gewohnheiten seiner wilden Zeit beibehalten; er benutzte dazu weder Wasser noch Kochtopf, sondern briet den Fisch, um welchen es sich gerade handelte, indem er denselben mit den Fingern eine Zeit lang über das Feuer hielt und dann halbroh verzehrte – man wäre versucht, zu sagen »frass«. Auch war der alte Mann allein noch im Besitz eines echten Cacaiu Siehe rückwärts Tafel IV No. 2. oder Botokudenrucksackes, in welchem er all seine Habseligkeiten geborgen hatte und den er mir schmutzstarrend gegen eine kleine Geldsumme überliess. Die Weiber besassen roh gearbeitete Spindeln Siehe rückwärts Tafel IV No. 7., welche aus einem oben eingekerbten, dünnen, unregelmässig zugeschnitzelten Stöckchen bestanden und einem konischen Wirtel, vermuthlich der Deckel einer Lecythisfrucht, in welchen ersteres lose hineingesteckt war. Solche Spindeln dienen den Botokudinnen zum primitiven Spinnen von Baumwolle. Ferner fanden wir bei diesen Weibern Capangas, Siehe Tafel IV No. 6. d. h. flache, engmaschige Taschen aus Baumwollfaden, welche zum Aufbewahren von allerhand Gegenständen benutzt werden, weiss, gelb und rothlila, auch weiss, gelb und grünblau gestreift sind und in der Form den von den Indianern Michoacáns und des Columbiarivers gefertigten Taschen gleichen. An weiteren Gegenständen hatten diese Botokuden längliche kleine Baumwollbeutel Siehe Tafel IV No. 1. mit einem Endstück aus Bambusrohr und kleine ovale unbemalte Cuiás Siehe Tafel IV No. 5. aus Crescentiafruchtschalen, von anderer Form als diejenigen der Amazonasindianer. Die im Aldeamento vorhandenen Pfeile Siehe Tafel IV No. 11. beschränkten sich auf solche, welche für die Jagd auf Tapire, Rehe, Jaguare, überhaupt das grössere Wild, bestimmt sind. Sie haben 1,5 m Länge und einen Schaft aus dem obersten Internodium eines Gyneriumhalmes, eine 30 cm lange Spitze aus dem scharf zugeschnittenen Spahn eines Bambusrohres und eine Fiederung aus zwei nichthalbirten, einander gegenüberstehenden, dunkelbraun und röthlich gebänderten Schwungfedern der Mutumhenne (Crax carunculata Temm.). Sowohl Federn, wie Spitze sind mittelst Lianenrinde fest an den Schaft gebunden. Die elliptische Spitze, welche im Feuer gehärtet, an den Rändern scharf zugeschabt und vorn spitz wie eine Nadel zugeschnitten wird, bringt durch ihre nach innen concave, einen starken Blutverlust verursachende Form sehr gefährliche Wunden bei. Die nämliche Pfeilart dient den wilden Botokuden auch als Kriegspfeil Siehe Tafel IV No. 10.. Ausserdem besitzen letztere noch andere Arten von Pfeilen, nämlich erstens ungefähr 1,5 m lange Widerhakenpfeile Siehe Tafel IV No. 9. und zweitens Vogeljagdpfeile Siehe Tafel IV No. 8., welche gleichfalls eine Länge von anderthalb Meter erreichen. Die erstgenannten werden, gleich denen mit Spitze aus Bambusmesser, zum Krieg und zur Jagd auf höhere Thiere verwendet und haben eine Spitze aus Ayrípalmenholz, welche auf der einen Seite sieben stumpfe Widerhaken trägt. Die zweitgenannten sind mit einer stumpfen, aus einem Stämmchen oder einem Ast verfertigten Spitze versehen, an der sich gegen vorne quirlförmig gestellte, kurz abgeschnittene Zweige befinden Pfeile dieser drei Arten, ebenso wie einen roh gearbeiteten Bogen (siehe rückwärts Tafel IV No. 12), erhielten wir einige Wochen später durch die Güte des Herrn von Schlözer, welcher dieselben ein Jahr früher ebenfalls in Mutum von einer Horde wilder Botokuden eingetauscht hatte. Die an diesen Pfeilen angebrachten Schwungfedern stammen, ihrer schwarzen Färbung und ihrem dunkelblauen Metallglanz nach, von Pipile jacutinga Spix.. Diese letzterwähnten Pfeile dienen ausser zum Erlegen von Vögeln auch zum Erlegen anderer kleiner Thiere und bringen weniger Riss- als Quetschwunden bei.

Unser Lager am Rio Doce. Nach einer daselbst aufgenommenen Photographie skizzirt von E. Berninger.

Botokudin. Nach einer selbst aufgenommenen Photographie

Alter Botokude. Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.

Als wir die unfertige, nach allen Seiten offene Hütte der Botokuden betraten, lungerten die meisten dieser Halbwilden beschäftigungslos herum. Einige Weiber spannen mit obenbeschriebenen, primitiven Spindeln, andere verzehrten Maisbrei, welcher an einem offenen, auf dem Hüttenboden angezündeten Feuer bereitet worden war. Diese Nahrung deutete, entgegen der Mahlzeit des alten Botokuden, schon auf eine gewisse Kultur hin, auf Feldbau, welchen ihnen beizubringen, die Regierung sich bemüht. Eine Mühle neben dem Hause, welche ebenfalls für sie gebaut worden war, stand jedoch unbenutzt still; sie fand keine Verwendung oder war schon unbrauchbar geworden. Jedenfalls ist die Anpflanzung von Mais ein Fortschritt gegenüber der Art und Weise, in welcher die noch wild gebliebenen Genossen dieser Botokudenhorde ihr Nahrungsbedürfniss zu befriedigen pflegen. Jahraus, jahrein ziehen sie im Urwald umher, den reifwerdenden Waidfrüchten nach. Wegen dieser endlosen Wanderzüge besitzen sie selbstverständlich so viel wie keine Hütten, wie sie denn im Allgemeinen auf der tiefsten Stufe der Gesittung stehen. Auch kennen sie, wie man uns nebst anderem über sie im Aldeamento erzählte, keine eigentlichen ehelichen Bande, sondern leben in Kommunismus. Es bleibt immer gefährlich, mit ihnen zusammenzutreffen, da man nie vor einem unvorhergesehenen Ausbruch ihrer Wildheit sicher ist. So wurde vor nicht allzuviel Jahren in der Nähe Mutums ein brasilianischer Kolonist durch sie getödtet und aufgefressen Steains: An Exploration of the Rio Doce and its Northern Tributaries (Proceedings of the Royal Geographical Society X, 67)..

Die Horde, von welcher hier die Rede ist und zu der, wie schon gesagt, die halbcivilisirten Botokuden des Aldeamentos Mutum zählen, gehört den Nak-nanuks zu. Letztere sind eine Hordengruppe, welche bis zum 17.° s. Br. hinauf zerstreut lebt. Die einzelnen kleinen Gemeinschaften stehen unter Häuptlingen, denen aber nicht viel Macht zuerkannt wird. Auch die aldeisirten Botokuden Mutums besitzen einen solchen Anführer. Er hat keinen besonders mongoloiden Typus und trägt europäische Kleidung, doch sein Halsband aus Fruchtkernen und die Riesenlöcher in seinen Ohrläppchen, bestimmt, zeitweise die bekannten Holzscheiben aufzunehmen, gemahnen uns an seine Abstammung. Die hiesigen, halbcivilisirten Botokuden sollen alle Christen sein; wie es aber bei dem Mangel jedweder religiösen Anregung um ihr Christenthum stehen mag, will ich dahingestellt sein lassen. Einige unter ihnen sprechen etwas Portugiesisch oder verstehen es wenigstens. Ihrer eigenen Sprache, in der uns namentlich die Hauchlaute auffielen, lauschten wir mit Interesse. Sie ist von derjenigen der Tupí und derjenigen der benachbarten Goyatacá vollständig verschieden. Das Ende eines jeden Satzes wird langgezogen, erhält dadurch einen singenden Tonfall und lautet wie eine Frage.

Häuptling der Botokuden von Mutum. Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.

Unser Wunsch, die Leute zu photographiren, stiess auf grosse Schwierigkeiten. Sie benahmen sich in diesem Punkte ebenso abwehrend wie sich die meisten nordamerikanischen Indianer und namentlich Indianerinnen zu benehmen pflegen. Einzeln liessen sich schliesslich einige Männer aufnehmen, Weiber jedoch keine. Letztere gelang es uns nur in einer grossen gemischten Auf dieser Aufnahme sind die Männer, welche sämmtlich in die Peripherie der Gruppe zu stehen kamen, so undeutlich ausgefallen, dass sich dieselben autotypisch nicht wiedergeben liessen. Gruppe zu verewigen.

Die Botokuden sahen sämmtlich wohl und kräftig aus, eine fieberkranke junge Mutter ausgenommen. Den leidenden, voraussichtlich in Lungenschwindsucht ausartenden Zustand dieses jungen Weibes schrieben unsere weissen Brasilianer dem Flussbade zu, welches sie unmittelbar nach der Geburt ihres Kindes genommen hatte. Uebrigens sind solche im Verein mit dem Neugeborenen genommenen Fluss- oder Seebäder nicht nur bei den Botokudinnen, sondern auch bei anderen Indianerweibern im Gebrauch Rey: Les Botocudos. 73. – Mello Morães: Revista da Exposição Anthropologica brazileira, 54, 105. – Barboza Rodrigues; Pacificação dos Crichanás 158. – Wallace: Travels on the Amazonas and Rio Negro 496. – Siehe auch Martius: Beiträge zur Ethnographie etc. I, 599. Spix und Martius: Reise in Brasilien I, 381, und Kupfer: Die Cayapóindianer in der Provinz Matto-Grosso (Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, V, 1870, S. 244)..

Botokuden. Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.

Wegen unseres bescheidenen Mittagessens kehrten wir nach dem rechten Ufer zurück. Zum ersten Male sollten wir Papageienbraten verkosten. Er stammte von zwei Kamutangas (Chrysotis rhodocorytha Salvad.), prachtvollen, grossen Kurzflügelpapageien, welche wir diesen Morgen, von einem der schwarzen Soldaten frisch erlegt, nach dem Aldeamento bringen sahen. Diese grasgrünen Papageien haben einen scharlachrothen Vorderkopf, gelbe Zügel, schön himmelblaue Backen und himmelblaues Kinn. Das Verbreitungsgebiet dieser Psittacidenart ist auf die Gegenden von Espirito Santo bis Rio de Janeiro beschränkt; sehr selten werden Individuen derselben nach Europa verbracht. Das Fleisch der uns zubereiteten Thiere war schwärzlich, sehr zäh und schmeckte wie das irgend eines anderen Wildgeflügels.

Gegen Abend fanden sich die Botokuden des Aldeamentos auf unserem Lagerplatze ein, zündeten vor unserem Zelte ein Feuer an und begannen bei einbrechender Dunkelheit ihren nationalen Tanz. Anfangs tanzten nur Weiber, von denen eine jede die ausgestreckten Arme auf die Schulter der Nachbarin rechts und links legte, sodass eine geschlossene Kette, ein Ring entstand. Die Arme hatten sie durcheinandergeschlungen. So in Kette formirt tanzten sie, etwas zur Seite geneigt, sich langsam halb auf die Fussspitzen hebend und langsam nach links fortbewegend. Ein rythmischer, aus wenig Tönen bestehender, nasaler Gesang begleitete den Tanz. Der Text des Gesanges setzt sich zusammen aus den Worten »kălăní ahă«, und wie man uns erklärte, aus der Erzählung der Tagesereignisse. Heute befasste sich die Improvisation z. B. damit, dass sie zum Tanzen gekommen seien, Kaffee erhalten würden, und so weiter. Später betheiligten sich auch Männer an dem Ringtanz, reihten sich aber so in den Kreis ein, dass sie alle nebeneinander zu stehen kamen. Die Männer hatten etwas andere Tanzbewegungen als die Weiber. Sie stellten das rechte Bein immer zurück und das linke vor, dabei hingen sie in der rechten Hüfte, welche bewegt wurde, indessen das entsprechende Bein ziemlich unbeweglich blieb. Auf jede Bewegung der rechten Hüfte antwortete ein leichtes Vorwärtsdrücken des linken Knies, das ohnedies schon etwas gebogen gehalten wurde. Die Fusssohlen, welche sich niemals ganz vom Boden entfernten, wurden zur Hälfte gehoben und auf diese Weise eine Vorwärtsbewegung, genauer ein Vorwärtsschieben, ermöglicht. Dasselbe fand ausnahmslos in linker Richtung statt. Bald sang der Eine aus der Reihe der Tanzenden vor, bald der Andere, bald mit höherer, bald mit tieferer Stimme. Einer der Männer bellte wie ein Hund und grunzte wie ein Schwein; es mag dies das Vortragen von Jagderinnerungen gewesen sein. Die Leute tanzten äusserst eifrig und stundenlang ohne Unterbrechung. Auch Kinder nahmen an diesem einförmigen Vergnügen theil. Das eigenartige Schauspiel erinnerte manchmal etwas an die religiösen Uebungen, namentlich den Gesang der heulenden Derwische, unterschied sich jedoch von letzteren durch das Ruhighalten des Oberkörpers, überhaupt das Nichtschütteln der ganzen Gestalt. Während die einen Botokuden sich am Tanze betheiligten, kauerten die Anderen am Boden herum. Auch der fast unbekleidete blinde Greis hatte sich eingefunden und hockte auf der Erde, mit so gekrümmtem Rücken, dass ihm die Knie fast bis zum Kinn reichten. Kinder trieben sich zwischen den einzelnen Gruppen umher, und eines derselben, ein kleiner Junge, untersuchte in diebischer Absicht die fremden Taschen. Zu den Männern, welche wir Nachmittags am jenseitigen Ufer gesehen, stiessen Abends noch andere, von der Arbeit Heimkehrende. Unter diesen glich einer, ein älterer, dem blau bemalten Indianer, welchen wir am 12. Juli an den Ufern des Solimões gesehen; und von den Jungen erinnerten einige an die peruanischen Matrosen indianischen Stammes, die auf unserer Amazonasthalfahrt an Bord der »Pará« in Dienst gestanden hatten. Der interessanteste von sämmtlichen Botokuden war aber unstreitig ein junger Bursche, welcher zwar, da im Aldeamento befindlich, momentan Kleider trug, uns jedoch sonst den Typus eines Wilden repräsentirte, wie man ihn nicht unverfälschter finden kann. Er hatte bis jetzt, eine kurze Zeit abgerechnet, wild bei seinen wilden Gefährten im Walde gelebt. Erst vor einigen Tagen war er im Aldeamento erschienen und nur, wie man vermuthete, um seine daselbst befindliche Schwester zu bereden, mit ihm wieder in den Wald und zum freien, ungebundenen Leben zurückzukehren. Ungeordnet hingen ihm die pechschwarzen, rundgeschnittenen Haare bis über die Augen herein, und als der Dolmetscher mit ihm sprach, schüttelte er seine dichte Mähne, dass dieselbe ihn auf allen Seiten wirr umflatterte, und stiess als Antwort wilde, unarticulirte Laute aus. Auf gleiche Weise erwiderte er einen an ihn ergangenen Ruf eines Kameraden. Seine Bewegungen waren schroff, ungestüm und unberechenbar. Plötzlich sprang er wie von Wuth erfasst auf, stürzte mit einem gewaltigen Satz, laut aufbrüllend, zur Thür der Hütte hinaus, bei welcher Gelegenheit meine soeben eintretende Reisegefährtin fast zu Boden geflogen wäre, und war in der Finsterniss verschwunden. Durch ihn weiss man, dass ungefähr 300 wilde Botokuden im Anzug nach Mutum begriffen sind und erwartet sie sogar schon morgen. Da diese zwanglosen Menschen jedoch gerade so gut erst in ein paar Wochen eintreffen und wir nur den morgigen Tag dem Warten opfern können, war der junge Wilde mittelst eines Versprechens auf Cachaça überredet worden, seine Hordengenossen morgen aufzusuchen und womöglich nach dem Aldeamento heranzuführen.

Um 9 Uhr Abends wurden die Botokuden, welche nicht auf dem rechten Flussufer übernachten dürfen, nach ihrer jenseitigen Station hinübergeschafft. Hiermit endete ein Schauspiel, das an Charakteristischem für das Leben der Indianer nichts zu wünschen übrig liess. Und unvergesslich werden uns diese in finsterer Nacht um die Feuer tanzenden und kauernden fremdartigen Gestalten und Gruppen sein, die auf urwaldumgebener, einsamer Stätte durch ihre wilden Laute und monotonen Gesänge das Rauschen des Flusses zu übertönen vermochten.

Mutum. Sonntag, den 2. September.

Nachdem gestern Abend die Gesänge der Botokuden verklungen waren und wir uns im Zelte schlafen legen wollten, schlug innerhalb desselben ein auffallend lautes Gezirpe an unser Ohr. Ich forschte dem Sänger nach und entdeckte einen Conocephalus irroratus Burm., eine wie es scheint, auf Brasilien beschränkte, in der Farbe sehr unansehnliche Laubheuschrecke von ca. 4 cm Länge. In schnödem Undank für das Schlummerlied, welches sie uns gesungen, blies ich ihr das Lebenslicht aus und fügte sie meiner entomologischen Sammlung ein.

Nun endlich hofften wir auf ungestörte Nachtruhe. Doch dem war nicht so. Schweine grunzten um unser Zelt herum, aufgeregt durch den ungewohnten Gegenstand, der auf ihrem Tummelplatze aufgerichtet war. Auch schlugen Hunde an, und gegen Morgen wurde die ganze übrige Hausthierwelt rebellisch. Hühner gackerten, Schafe blökten, Ziegen meckerten und unsere Maulthiere galoppirten vorbei, über die Zeltstricke setzend, so dass wir jeden Augenblick erwarteten, durch einen verfehlten Sprung unser Zelt umgerissen zu sehen. Die Kleidungsstücke, welche wir im Zelte aufgehängt hatten, waren des Morgens so feucht, als wenn sie aus dem Wasser gezogen wären. Es erklärte sich uns dies, als wir gewahr wurden, dass draussen der Nebel bis in das Thal herunter lag. Um sechs ein halb Uhr hatte es im Zelte nur 21,5° C., bis Nachmittag sollte die Temperatur in demselben jedoch bis auf 35° C. steigen.

Vormittags fuhren wir zu Canoa flussaufwärts nach einer Insel, dort auf Rehe (Coassus rufus) oder Tapire zu passen, doch es zeigten sich keine und wir mussten unverrichteter Dinge heimfahren. Auch von den Wasserschweinen (Hydrochoerus Capybara End.), deren es hier in Menge geben soll, kam uns keines zu Gesicht, obwohl ihre frischen Spuren auf der Insel überall zu bemerken waren. Stattdessen sahen wir am Waldrande deutlich eine hübsche braungraurothe Taube, welche eine Leptopila reichenbachi Pelz. gewesen sein könnte. Anús (Crotophaga ani L.), diese schwarzen Cuculiden, die hier so häufig sind wie bei uns die Raben, belebten in Menge die waldlosen Stellen. In weitem Kreise um unser Zelt schwirrte früh und Abends ein kleiner, dunkler Kolibri mit spitzigen Flügeln und etwas erhobenem, während des stets horizontalen Fluges ewig zitterndem Schwänzchen. Dieses reizende kleine Thier, welches ich im ersten Augenblick für ein Insekt gehalten hatte, schien mir eine der im Küstenurwald häufigen Hylocharis cyanca Vicill. zu sein.

Auf der Wiese, die sich vom Hause zum Flussufer hinabzieht, spielten im Sonnenschein zahlreiche Catagramma Hydaspes Dru. und andere Schmetterlinge. Ich fing eine Sais Rosalia Cram., und zwar ein Exemplar der von Bates am oberen Amazonas gefundenen Varietät 2 mit sammtschwarzer Vorderflügelspitze. Ferner erbeutete ich einen Aganisthos Odius Fabr., eine ziemlich grosse, von Brasilien bis Florida vorkommende Nymphaline mit dunkel- und hellbraunsammtiger Flügeloberseite und braunlila Unterseite. Die Pflanzenwelt war an dieser Stelle nicht sehr mannigfaltig. So sammelte ich nur Ageratum conyzoides L., eine einjährige, krautförmige, roth oder weiss blühende Composite, und Pterocaulon virgatum DC., ein weit über Südamerika verbreitetes, hübsches Kraut mit dünnfilzigen Blättern.

Botokudenmädchen. Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.

Aber nicht blos zoologischen und botanischen Studien war dieser Morgen gewidmet. Die Beschränkung unseres Gepäckes auf das Allernothwendigste veranlasste mich auch, an den Fluss zu gehen und, wie es einst die phäakische Königstochter Nausikaa gethan, dem Waschen obzuliegen.

Schon in aller Frühe waren die Botokuden vom jenseitigen Ufer wieder herübergekommen und hatten sich vor unserem Zelte gelagert. Sic brannten daselbst ihren Kaffee. Es geschah dies in einem grossen Metallkessel, in welchen sie, kurz bevor der Kaffee fertig gebrannt war, Zucker warfen, um letzteren mitzubrennen. Dieses Verfahren, durch welches der Kaffee besonders gut wird, wendeten auch die hiesigen nichtindianischen Brasilianer an. Nach Beendigung des Brennens wurden die Bohnen in die Sonne gelegt, damit der Zucker noch besser in sie eindringe.

Zu Mittag bereitete uns die Direktorsköchin neuerdings Veado- und Papageienbraten; doch so gut uns ersterer mundete, so wenig konnten wir auch heute dem zweiten irgend einen Geschmack abgewinnen.

Im Laufe des Tages trafen noch mehr Botokuden ein, unter anderen ein sehr unschöner, mit auffallend reichem Haarwuchs zu beiden Seiten des Kopfes. Unser junger Wilder, welcher seine Kameraden aus dem Walde holen sollte, hatte bis 10 Uhr Vormittag einen Cachaçarausch auszuschlafen gehabt, war dann in einer Canoa fortgefahren und bis jetzt nicht mehr erschienen.

Gegen Abend fuhren auch wir zu Einbaum längs des mit Pfeilgras (Gynerium parviflorum Nees ab Esenbeck) besetzten Ufers, und zwar etwa eine halbe Stunde weit flussabwärts. Wir wollten die nun wieder verlassene Hütte aufsuchen, welche sich die Botokuden Mutums am rechten Flussufer erbauten, nachdem sie vor 6 Jahren aus dem damals ziemlich blühenden Aldeamento auf der anderen Seite des Rio Doce, von ihren wilden Stammesgenossen vertrieben worden waren. Die Wände dieser Hütte bestanden aus parallel, unregelmässig und in Zwischenräumen nebeneinander in die Erde gesteckten Aesten; horizontal darüber gelegte Rindenstückchen bildeten das ebenfalls nicht geschlossene Dach. Luft und Licht war von oben und von den Seiten der Zutritt gestattet. Die im Innern befindlichen Lagerstätten oder Sitze und wagrechten Gestelle zum Darauflegen von Gegenständen, setzten sich ebenfalls nur aus parallel angeordneten Aestchen zusammen. Wir fanden in dieser Baracke aus Stangengerüst einen Cacaiu, ein paar flaschenartige Gefässe aus Früchten der Lagenaria vulgaris Ser. Siehe rückwärts Tafel IV No. 3 und 4. und etwas Salz, welches sorgfältig in einem Beutel aus zusammengedrehten Blättern verwahrt war.

Den Schluss des Tages verbrachten wir in der gegenwärtig am linken Flussufer wiedererstandenen Niederlassung der aldeisirten Botokuden von Mutum. Diese halbcivilisirten Indianer, welche sich vor dem vorhin erwähnten Ueberfall, im Jahre 1882, auf ca. 150 Köpfe belaufen haben mögen, sind jetzt auf etwa vierzig reducirt. Wir erhandelten von ihnen Pfeile, Capangas, Spindeln und Fruchtschalengefässe, wobei wir für jeden Gegenstand genau die nämliche Geldsumme erlegen mussten. Es war uns dies ein Zeichen, dass die Leute keinen richtigen Begriff vom Werth des Geldes haben. In ihrem Wesen zeigten sie sich, wie alle bisher von uns gesehenen brasilianischen Indianer, gemessen, vornehm zurückhaltend und ernst bis zur Melancholie.

Sehr enttäuscht suchten wir diesen Abend unser Zelt auf. Der junge Wilde, ausgesandt, seine Genossen zu holen, war nicht zurückgekehrt und die wilden Botokuden waren nicht erschienen.

So müssen wir auf diese höchst interessante Begegnung verzichten, denn morgen ist der letzte Termin zum Antreten unserer Rückreise, wollen wir nicht das den Hafen von Victoria nur selten anlaufende Schiff zur Heimfahrt nach Rio versäumen. Ein Versäumen des Dampfers, zum Zweck noch ferner auf die Botokuden zu warten, ist aber deshalb nicht angezeigt, da das Eintreffen der Wilden vollständig unberechenbar ist, ebenso in den nächsten Tagen wie überhaupt gar nicht stattfinden kann. An diesen Verhältnissen merkt man, dass man es mit freien, von keinem Gesetz unterjochten, keinem fremden Willen gebeugten Wilden zu thun hat, dass man Zuständen gegenübersteht, für welche uns in der Regelmässigkeit des kulturellen Staatslebens jedes Verständniss verloren gegangen ist. –

Botokudenmädchen. Nach einer selbstaufgenommenen Photographie.

Mutum – Hütte Soarez. Montag, den 3. September.

Das für die Nacht erwartete Gewitter, welches drohte, uns im Zelte bis auf die Haut zu durchnässen, zog mit einem leichten Regenschauer gnädig vorüber. Um dreieinhalb Uhr wurde es munter in unserem Lager. Doch bis der Kaffee gekocht, das Geschirr abgespült, das Zelt abgebrochen, die Feldbetten zusammengeschlagen und Alles transportfähig verpackt war, verging geraume Zeit. So zeigte die Uhr schon Sechs, als wir in einer Canoa, in der Richtung flussaufwärts, von Mutum abfuhren. Vor unserer Abreise erschien noch der Botokudenhäuptling vom jenseitigen Ufer, uns etliche weitere Jagdpfeile zum Kauf anzubieten. Das Landschaftsbild Mutums mit seinen ziemlich hohen, steilen, waldbedeckten Flussufern, seinen waldigen Inseln und seinen bescheidenen Höhenzügen auf der Nordseite des Rio Doce, blieb hinter uns. Es war keine durch Schönheit fesselnde Gegend, auch fehlte die zauberhafte Pflanzenüppigkeit der Amazonasniederung.

Unzählige, wie röthliches Metall glänzende, an Kupfer erinnernde Felsen, mit scharfen Kanten und glatter Oberfläche lagen auf unserem Wege nach Tatú im Flussbett zerstreut. Von dem Anblick dieser merkwürdigen Klippen, welche Riesenkrystallen glichen, wurde unsere Aufmerksamkeit durch ein plötzlich aus dem Walde des linken Ufers tönendes Affengeschrei abgelenkt. Die Affen, welche Sauá (Callithrix personata Geoffr.), das heisst, auf den Küstenwald nördlich von Rio de Janeiro beschränkte Springaffen waren, bellten, zischten und schrieen; und einer der kleinen gelbbraunen Gesellen, der Färbung nach wohl ein Weibchen, kletterte behende an einem Baumstamm in die Höhe.

In Tatú angelangt, hörten wir, dass wir mittelst einer Canoareise von drei Tagen den Rio Doce hinunterschiffen und an der Mündung einen kleinen Küstendampfer treffen könnten, der uns noch rechtzeitig nach Victoria bringen würde. Die Abwechselung der uns unbekannten Flussfahrt, an Stelle der schon bekannten Reittour nach der Hauptstadt von Espirito Santo, war anlockend. So entschlossen wir uns rasch, Zelte und sonstiges noch etwa entbehrliches Gepäck mit unseren bisherigen Führern auf dem Landweg nach Victoria zurückzusenden und uns mit den Feldbetten und einem Theil des Proviantes in der Canoa eines thalwärts reisenden Fazendeiros einzuschiffen. Zur Vervollständigung der Lebensmittel wurde uns aus der Faktorei Tatú ein Vorrath von Weissbrod, welches steinhart und etliche Wochen alt war, mitgegeben. Da es natürlich in solch schwachbevölkerten Gegenden auf Tagereisen weit keine Bäckereien gibt, hilft man sich, eines der Hauptnahrungsmittel betreffend, auf diese mangelhafte Weise.

Um 11 Uhr befanden wir uns neuerdings auf dem Weg nach Mutum, welches bald wieder erreicht wurde. Dahin war inzwischen auch unser junger Wilder zurückgekehrt, der am Rio São João gewesen, ohne die gesuchten Hordengenossen zu finden. Wer weiss, ob er sie überhaupt gesucht hatte und nicht statt dessen dem Vergnügen des Fischens nachgegangen war. Die Wilden sind unverlässlich und oft lügnerisch.

In Mutum stellte sich unsere Schiffsmannschaft endgiltig zusammen. Sie besteht aus einem Steuermann und drei ruderführenden Leuten; ersterer ist ein Weisser, unter letzteren befindet sich einer der schwarzen Soldaten des Aldeamentos, die zwei übrigen Ruderer sind Botokuden. Diese stammen, der eine aus Mutum, der andere aus der östlich gegen das Meer zu gelegenen Lagunenregion von Riacho. Letztgenannter zeichnet sich durch braune Hautfarbe und einen auffallend breiten Mund aus.

Kurz nach Mittag traten wir unsere Weiterreise von Mutum an. Lautlos glitt die Canoa den Rio Doce hinunter, von der Strömung mitgeführt, so dass unsere Leute wenig nachzuhelfen hatten. Trotzdem war unserem botokudischen Burschen aus dem Aldeamento, gemäss der charakteristischen Trägheit seines Stammes, die Arbeit noch zu beschwerlich und musste man ihn fortwährend zum Rudern ermuntern. Obwohl nicht mehr im Walde geboren, gilt er doch noch als Bugre; demnach versteht man hier zu Lande unter dieser Bezeichnung sowohl einen wilden, wie einen halbcivilisirten Indianer. Siehe auch Halfeld und v. Tschudi: Minas Geraes (Petermann's Geographische Mittheilungen, Ergänzungsheft IX S. 17. Anmerk. 1.) und Ehrenreich: Ueber die Botokudos der brasilianischen Provinzen Espiritu santo und Minas Geraes (Zeitschrift für Ethnologie XIX. S. 5. 7. 13). Das ganze Wesen unseres Bugres trägt übrigens noch etwas von dem eines Wilden an sich. Auch ersparen ihm seine weissen und schwarzen Schiffsgenossen nicht die Neckerei, dass er, nach Art seiner wilden Kameraden, Alligatoren und grosse Kröten zu verzehren pflege.

Auf unserer stillen Thalfahrt wurden wir häufig von Papageiengeschrei begrüsst, welches aus dem Wald zu beiden Seiten tönte. Daneben liess ein Jahó (Crypturus noctivagus Wied), ein hier häufig vorkommendes Steisshuhn, seinen lauten, melancholischen Ruf im Dickicht erschallen. Wir zogen an einer Niederlassung halbcivilisirter Botokuden vorüber, dann an einem ziemlich blattlosen Baume, welchen über und über Ara nobilis L. besetzt hatten. Es sind dies grüne, mittelgrosse Papageien mit auffallend langen Steuerfedern, Die nun zu passirende Mündung des unbedeutenden Rio São João, welcher von Norden zufliesst, war nur durch niederes Gebüsch bezeichnet. Eine Canoa, in der sich als einziger Insasse ein Botokude befand, kam uns entgegen. Der halbwilde Indianer hatte nur ein Beinkleid an und trug die Haare, nach Art der Wilden oder wenig civilisirten Botokuden, rings um den Kopf gleichmässig zugeschnitten und vom Scheitel nach allen Seiten gleichmässig herabfallend. Diese unbeschreiblich üppigen, schwarzen, rundgeschnittenen Haare erinnerten mich, wie alle derlei bisher von mir gesehenen botokudischen Haartrachten, lebhaft an eine Pelzmütze.

Zu Mittag hatte der Rio Doce 25° C, gehabt; die Luft maass zwei Stunden später 27° C. Unter unserem Toldo aus Palmstroh war es angenehm kühl, da ein Luftzug durchstrich, doch bequem war es daselbst nicht. Wir sassen auf dem mit einer Palmstrohmatte bedeckten Flurholz der Canoa. Eine Matratze, wie wir deren von Victoria ab hatten, giebt es nicht in dieser Wildniss. Und so wurden unsere Glieder gehörig steif, ein Zustand, der sich die nächsten Tage noch steigern dürfte.

Die Flussufer waren so ziemlich ununterbrochen mit Urwald bestanden, dem die Palmen fast ganz fehlten und in dem man von Zeit zu Zeit kleine Lehmhütten bemerkte. Allmählich wurde die bisher keineswegs hervorragende Vegetation schöner, hylaeaartiger; es zeigten sich überhängende Sträucher und schlingpflanzen- und epiphytenüberwucherte, phantastische Baumgestalten. Eine Rauchsäule stieg aus dem linksseitigen Urwald auf, aus dem Gebiete der wilden Botokuden. Da waren sie nun, die sehnlichst erwarteten Wilden – aber was nützte uns dies jetzt! Erstens schien es fraglich, ob wir uns durch den dichten Wald mit dem Buschmesser einen Weg bis zu ihnen würden bahnen können. Zweitens durften wir, weil sie auf einen Verkehr mit uns unvorbereitet waren, nicht im Dickicht gegen sie vordringen und plötzlich vor ihnen erscheinen. Ein wohlgezielter Pfeil wäre vermuthlich die Antwort auf unseren ungebetenen Besuch gewesen, – so mussten wir schweren Herzens weiterfahren, mit sehnsüchtigem Blick den Rauch betrachtend, der ihren Lagerplatz verrieth.

Nun folgte die Mündung des Rio Santa Joanna, den wir vor wenig Tagen bei finsterer Nacht durchritten hatten. Auf seiner weit in den Rio Doce herein gelagerten Barre rakten wir mit unserer Canoa an den Grund. Der Blick von hier flussaufwärts war reizend. Langgestreckte, waldüberkleidete Höhenzüge, die vermuthlich aus Gneiss bestanden, bauten sich, hübsch grau abgetönt, in der Ferne hintereinander auf; im Vordergrunde entstiegen den Fluthen die waldigen Flussufer und malerische, unter Wald begrabene Inseln. So mancher Baum stand jetzt seines Blätterschmuckes beraubt, namentlich Figueiraarten (Ficeae) harrten der Neubelaubung. Sie müssen sich noch einen Monat gedulden; dann, im Oktober, wenn die Regenzeit beginnt, werden sie wieder alle in frischem Grün erstehen.

Im nach und nach breiter werdenden Flusse lagerten viele Inseln. Einige Araras flogen kreischend über unsere Köpfe hinweg. Wir passirten die Mündung des Rio Santa Maria, welcher gleich dem Santa Joanna direkt aus Süden zufliesst.

Zwischen dem mitreisenden Fazendeiro Senhor Milagre und uns entspann sich ein interessantes Gespräch über das Verhältniss der Ansiedler zu den wilden Botokuden. Der alte Herr beklagte sich bitter darüber, dass die Regierung auf Seite der Wilden stehe. Es sei den Weissen streng verboten, die Botokuden anzugreifen, letztere aber dürften, was mir nicht sehr glaubwürdig schien, unbehelligt die Ansiedlungen überfallen und die Ansiedler niedermetzeln. Seiner Ansicht nach sollte es erlaubt sein, die Botokuden zusammenzuschiessen, wie die Thiere im Wald. Diese Aeusserungen, als die eines der angesehensten Fazendeiros hiesiger Gegend, dienten mir als Gradmesser für die landläufigen Ansichten und die allgemeine Stimmung gegen die allerdings gefährlichen Wilden. Ehrenreich (Ueber die etc., Zeitschrift etc. XIX, S. 5) weiss sogar zu berichten, dass darüber discutirt wurde, ob man die Wilden nicht mittelst vergifteten Branntweines vertilgen solle. Theilen konnte ich jedoch Senhor Milagres Anschauungen nicht. Bedenkt man, welchen grausamen, erbarmungslosen Vernichtungskrieg gerade die Regierung einst gegen die verhältnissmässig schutzlosen Botokuden geführt, wie man sich sogar nicht scheute, sie durch scharlach- und blatterninficirte Kleidungsstücke aus dem Weg zu räumen, so lassen sich die jetzigen philanthropischen Bestimmungen zu Gunsten der einstigen Herren des Landes, als ein Akt der Gerechtigkeit nur mit Freude und Genugthuung begrüssen. Zudem darf man nicht vergessen, dass die freundliche oder feindliche Gestaltung des Verhältnisses zu den Wilden mehr oder minder in den Händen der Weissen liegt, und dass, wenn die an und für sich gutmüthigen Naturmenschen nun zu fürchten sind, sich dies die Ansiedler nur selbst zuzuschreiben haben Siehe hierüber auch Halfeld und von Tschudi: Minas Geraes (Petermann's Geograph. Mittheil. Ergänzungsheft IX, S. 19). – Wied: Reise nach Brasilien II, 16 und 63. – Ehrenreich: Ueber die etc. (Zeitschrift etc. XIX. 4). – Barboza Rodrigues; Rio Jauapery. Pacificação dos Chrichanás, 126 e s. – Schanz: Das heutige Brasilien, 205. – Ueber die Gutmüthigkeit speziell der Botokuden, siehe Hartt: Geology and Geography etc. 602. und die Regierung nicht unbedingt verpflichtet ist, die durch das Benehmen der Weissen hervorgerufenen Feindseligkeiten an den Botokuden zu rächen.

Es dunkelte schon, als wir die Barre des Rio das Pancas erreichten, eines von Norden einmündenden Zuflusses, an dessen Oberlauf sich eine grössere Niederlassung wilder Botokuden befindet. Gegenüber der Barra liegt die Hütte des Negers Soarez, bei welchem wir Unterkunft für die Nacht suchen sollten. Der Rio Doce hat jedoch jetzt einen so niedrigen Wasserstand, dass wir eine halbe Stunde lang vergebens zu landen versuchten. Endlich blieb uns nichts zu thun übrig, als an einer Sandbank anzulegen und von da in eine kleinere Canoa umzusteigen, welche uns glücklich an das Ufer brachte. Letzteres Fahrzeug war halb mit Wasser gefüllt und hatte keine Bänke, so dass wir auf dem schmalen Schiffsrand sitzen mussten, jeden Moment gewärtig, das Gleichgewicht zu verlieren und rücklings in den Fluss zu schlagen. Inzwischen war es vollständig finster geworden und stolperten wir zwischen Baumwollstauden den unbekannten Pfad zur Hütte hinauf. Letztere, die nur von ihrem schwarzen Besitzer bewohnt wird, stellte sich als äusserst elend heraus. Es war ein thüren- und fensterloses Machwerk, aus durchlöcherten Lehm- und Lattenwänden und einem leichten Strohdach bestehend. Wind und Wetter und sogar die Hauskatze hatten durch die Wände ungehinderten Zugang. Wir kochten unseren Abendimbiss, schlugen die Feldbetten auf und legten uns zur Ruhe. Unermüdlich erklang die metallische Stimme des Ferreiro (Hyla faber Wied) in der nächtlichen Stille.

Der Regen troff durch das Palmstrohdach auf uns herab, und wir hörten jede Bewegung in der ganzen Hütte. Des Schlafens war in dieser Nacht nicht viel.

Hütte Soarez – Linhares. Dienstag, den 4. September.

Der Abschied von unserem primitiven Nachtquartier mit seinen zwei einzigen, einrichtungslosen, engen Räumen fiel uns diesen Morgen nicht schwer. Um sechs dreiviertel Uhr fand die Abfahrt thalwärts statt. Ziemlich viel Nebel lag auf dem Flusse und in Folge dessen war die Landschaft bei Sonnenaufgang in eine hübsche, stimmungsvolle Beleuchtung getaucht.

Auf weiten, stillen, silberblauen Fluthen
Mein Canoe gegen Norden Unsere Canoa hatte die Richtung gegen Osten. lautlos zieht.
Durch Baumeshallen dringen Morgengluthen,
Die frische, dunkle Nacht vom Urwald flieht.

Die leichten Silbernebel rings sich heben,
Rings funkelt im smaragd'nem Grün der Thau,
Und rings im Dickicht regt sich Morgenleben,
Geweckt von leichten Brisen sanft und lau. Aus »Guten Morgen! im Urwald« (Kaiser Maximilian von Mexico: Aus meinem Leben VII, 269).

Dank dem, dass dies Jahr mehr Regen fällt als sonst, ist die Nebelentwicklung, die uns noch reichlich genug vorkömt, eine geringere. Gewöhnlich soll sich zu dieser Jahreszeit der Nebel auf dem Rio Doce bis in den Vormittag hinein so dicht ballen, dass man keine hundert Schritt weit sehen kann.

Den ganzen Morgen tönten Vogelstimmen aus dem Uferwalde an unser aufmerksam lauschendes Ohr; erst gegen Mittag wurde es stiller in der befiederten Sängerwelt. Kleine Papageien zogen mit ohrenzerreissendem Geschrei über den Fluss. Ein Pavão (Pyroderus scutatus Shaw) kollerte im Waldesdickicht, ein Jahó (Crypturus noctivagus Wied) liess seinen pfeifenden Ruf laut werden. Madenfresser (Crotophaga) trieben sich in Menge am Waldesrande herum. Viel Schwalben, vielleicht die an den Waldflüssen Mittelbrasiliens häufigen Tachycineta albiventris Bodd., flogen nahe über dem Wasser dahin. Auf einem unmittelbar am Ufer befindlichen Baume sass, deutlich sichtbar, ein Rhamphastos dicolorus L., ein rothbrüstiger und rothbauchiger Tukan mit schwarzer Oberseite und fast 10 cm langem, mächtigem Schnabel. Ebenfalls auf diesem Baume bemerkten wir eine Taube mit roth, grau und braun gemischtem Gefieder, wohl wieder eine der im Küstenwald gemeinen Leptopila reichenbachi Pelz. Von den vielen Wasserschweinen und Tapiren, welche die Ufer des Rio Doce bewohnen, kam uns aber kein Stück zu Gesicht.

Der Urwald, der den Fluss zu beiden Seiten ununterbrochen begleitet, prangte nicht in einförmigem Grün. Eine unbeschreibliche Farbenpracht, der Bote des kommenden Frühlings, erhöhte seine sonstigen Reize. In gelber Blüthe stehende Trompetenbäume (Tecoma speciosa DC.) wechselten mit braunrothblühenden, schlanken Bäumen, vielleicht irgendwelchen Machaerien Möglicherweise auch waren, was ich aus der Ferne für Blüthen hielt, junge Blätter und diese Bäume die von Wied (Reise nach Brasilien I, 347) zu dieser Jahreszeit am Jequitinhonha erwähnten, Tapicurú genannten Bignonien.. Ein strauchförmiges Windengewächs (Convolvulacee) im Schmuck seiner rosa Blumenkronen stimmte hübsch zum Grau der Tillandsia usneoides L., welche in hunderten von Exemplaren ihr Stengelgeflecht an die Bäume geheftet hatte. Die Hüllblätter der Bougainvillea spectabilis Willd., einer Liane, welche wir am Rio Doce überall antrafen, woben bald da, bald dort ein blaurothes, dichtes Gewebe über die Wipfel baum- und strauchförmiger Pflanzen. Ein weissblühender Strauch, vermuthlich eine Bignonie, hob sich aus dem Dickicht heraus. Cecropien reckten ihre Aeste wagrecht hinein in die tausendfältig gewundenen Linien der Urwaldbelaubung. Und dem Ufer entlang entwickelten sich an den überhängenden Sträuchern und Bäumen solche Schlingpflanzen-Gehänge, solch phantastische Laubdraperien, wie wir deren am Amazonas gesehen und welche, in ihrer märchenhaften Ueppigkeit zu beschreiben, die Sprache sich als zu arm erweist. Die Waldwand that sich auf und es wurde eine Indianerhütte sichtbar, welche fast nur aus einem Dach bestand. In der Hütte bemerkten wir eine wohlgenährte Botokudin mit überaus reichem rabenschwarzem Haar. Nicht lange nachher wurde unser auffallend prognather Botokude aus der Riachogegend gelandet, sicherlich weil er von hier am nächsten nach Hause hatte. So blieb uns an Indianern nur mehr unser Bugre aus Mutum. Wir lenkten unsere Canoa gegen das wegen der Wilden gemiedene Nordufer, wo etwa zwanzig bis dreissig kleine, magere, unschöne Fiederpalmen beisammen standen. Bisher hatten wir am Rio Doce noch niemals so viele Palmen auf einen kleinen Raum zusammengedrängt gesehen.

Um 9 Uhr Vormittag legte unsere Canoa am Südufer bei der einem Preussen gehörigen Fazenda de Santo Antonio an. Seit fünf Tagen stiessen wir in der Urwaldwildniss zum ersten Male wieder auf eine richtige Fazenda und hiermit auf mehr Civilisation. Für civilisirtere Verhältnisse war unsere äussere Erscheinung inzwischen aber fast unmöglich geworden. Denn in Folge der nun neuntägigen Reit- und Canoatour durch den Urwald, bei welcher wir Wind und Wetter ausgesetzt waren, alle grobe Arbeit selbst verrichten mussten und dabei kein Kleid zum Wechseln hatten, spielten unsere Anzüge dermaassen in allen Farben, dass man uns, unter eine Stadtbevölkerung versetzt, wohl einer milden Gabe für würdig hätte erachten können. Sogar die an unseren Gewändern, in Ermangelung von anderem Material, mit Zuckerschnaps vorgenommenen Putzversuche blieben ziemlich erfolglos.

In der Fazenda fanden wir aber, trotz unseres wenig empfehlenswerthen Aussehens, bei unseren deutschen Landsleuten gastliche Aufnahme. Ausser dem Preussen lebten daselbst noch dessen Schwester und der Mann derselben, ein Hamburger. Das Haus trug den Stempel der Sauberkeit und muthete uns in Allem heimathlich an. Die sorgsame Hausfrau bereitete uns ein wohlschmeckendes Mahl, in welchem als landesübliche Gerichte ein Pacabraten und die Wurzelknollen der Inhamé eine Rolle spielten. Unter letzterer Pflanze versteht man die Geflügelte Yamswurzel (Dioscorea alata L.), welche als schmackhaftes Nahrungsmittel in Brasilien häufig kultivirt wird. Ueber die Pacas (Coelogenys Paca L.), deren Fleisch wir schon am Amazonas zu kosten bekamen Siehe weiter oben S. 115., ist zu sagen, dass sie über ganz Brasilien verbreitete, hauptsächlich nächtliche Nagethiere sind, welche mit Vorliebe in feuchten Wäldern und an Flussufern hausen und sich durch rasches Laufen und geschicktes Schwimmen auszeichnen.

Unsere naturwissenschaftlichen Kenntnisse wurden hier nicht nur indirekt durch die Kost, sondern auch durch Anderes bereichert. Der Ansiedler schenkte uns zwei Oberschnauzen von Sägefischen (Pristis). Hierbei erfuhren wir, dass letztere zahlreich und bis zu einer Grösse von 1,5 m Bei dieser Grössenangabe ist die Schnauze nicht mitgerechnet. im Rio Doce vorkommen und dass ihr Fleisch geniessbar ist, jedoch dem der anderen hiesigen Flussfische an Güte nachsteht. Da die zwei uns gegebenen Oberschnauzen in der Zahnstellung verschieden sind, müssen sie, sofern die Stellung der Zähne überhaupt einen Rückschluss auf die Species erlaubt Günther (Catalogue of the Fishes in the British Museum VIII 436 a. ff.) scheint anzunehmen, dass sich durch die Zahnstellung etwa höchstens Pristis pectinatus von P. antiquorum Lath. und P. perrottetti unterscheiden lasse, und Costa (Fauna del Regno di Napoli III Pesci p. 5) sagt, dass die Entfernung der Zähne von einander sehr variabel ist und nicht unbedingt zur Artbestimmung dienen kann., zwei verschiedenen Arten von Sägefischen angehören. Und zwar würde die kleinere Schnauze, weil mit den Maassen derjenigen von Pristis pectinatus Lath. übereinstimmend, dieser Species zuzuschreiben sein, indessen die grössere von einem Pristis perrottetti Müll. et Henle stammen dürfte, welch letztere Art überdies speziell auch als süsswasserbewohnend genannt wird Siehe Müller und Henle: Systematische Beschreibung der Plagiostomen S. 108. – P. perrottetti kommt ausserdem in den tropischen Meeren vor. P. pectinatus ist zwar nirgends als im süssen Wasser lebend verzeichnet, doch wenn überhaupt eine Species Pristis im süssen Wasser vorgefunden wird, ist das Vorkommen auch einer zweiten Species nicht ausgeschlossen..

An lebenden Thieren sahen wir hier einen braunen Rollaffen mit hübsch angewachsenem Kopfhaar, welches sich wie eine Stutzerfrisur ausnahm. Dieser lebhafte kleine Affe, der auf einem Gerüst vor dem Hause angebunden war und aus dem hiesigen Urwald stammte, schien mir ein Cebus variegatus Geoffr. zu sein. Er benahm sich sehr launenhaft, schrie und kreischte bei der geringsten Veranlassung und war ebenso unsympathisch, wie die sanftmüthigen Lagothrix der Amazonasniederung sympathisch sind.

Die Menschentypen auf der Fazenda, die verschiedenen farbigen Arbeiter, beanspruchten unser Interesse nicht sonderlich. Statt dessen wäre uns in südlicher Richtung, vier Stunden von Santo Antonio, ein ethnographisch höchst interessanter Anblick geboten gewesen. Dort giebt es auf einer Ansiedlung arbeitende Botokuden, welche von der Civilisation noch wenig berührt sind. Sie tragen, nach alter Sitte, die bisher von uns vergebens gesuchten Lippenpflöcke, ihre Kleidung ist eine sehr mangelhafte, und die Weiber transportiren ihre Kinder auf dem Rücken, indem sie dieselben in eine Bastschlinge setzen. Die Nothwendigkeit, wegen des Auslaufens des Dampfers pünktlich an Ort und Stelle zu sein, hinderte uns, einen Seitenausflug zu diesen Wilden zu unternehmen, wie sie uns gehindert hatte, länger in Mutum zu bleiben. Wir hatten nur Zeit, uns auf der Fazenda von S. Antonio selbst umzusehen. Diese Fazenda besitzt Kaffee- und Zuckerrohrplantagen und einen grossen Orangenhain, dessen Früchte an das Vieh verfüttert werden. Hauptsächlich nahmen wir dort die Zuckerfabrikation in Augenschein, welche durch ihre primitive Weise von der bisher von uns gesehenen etwas abstach. Der mittelst zweier Walzen gekelterte Zuckersaft wird in mehreren Pfannen eingekocht und hierauf in Krystallisirgefässe, d. h. Holztröge, geleitet, welche am Boden durch Zuckerrohrstückchen verschlossene Löcher haben. In diesen Trögen wird der Zuckersaft mittelst einer Lehmschicht beschwert, um durch Druck von oben die Melasse aus dem Syrup herauszupressen. Nach einer Reihe von Tagen werden die Löcher geöffnet, die nun ausgeschiedene Melasse fliesst durch dieselben ab und wird zu Cachaça oder Zuckerbranntwein verarbeitet. Der in den Trögen zurückgebliebene Rohzucker scheidet sich in zwei Sorten; der zu oberst liegende ist fein und weiss, der tiefer unten befindliche von brauner Farbe. –

Botokudinnen.

Es war fast 11 Uhr geworden, als wir unsere unterbrochene Canoafahrt wieder aufnahmen. Um diese Zeit maass die Luft 27,5° C, das Wasser des Rio Doce 25,5° C. Der uns zu beiden Seiten begleitende, undurchdringliche Urwald nahm einen etwas anderen Charakter an und wurde immer schöner. Kein einziger kahler Baum störte den Eindruck des vollendetsten Grünens und Blühens, und man bestätigte uns, dass hier, im Gegensatz zu dem was wir mehr flussaufwärts bemerkt, die Bäume sich niemals ihres Laubes entkleiden. Oberhalb der dichten Waldwand des nordwestlichen Ufers schaute der Morro da Terra alta herüber, in Form einiger bizarrer, waldiger Kegel. Tukane schrieen im Dickicht. Die hier verhältnissmässig seltenen Palmen traten endlich wieder in einigen Exemplaren auf. Es waren Jeribá (Cocos Martiana Dr. et Glaz.), welche durch ihren hohen, dünnen Stamm und ihren steifen Habitus in die Augen fielen. Den breiter gewordenen Fluss schmückten viel bewaldete Inseln. Wir steuerten in einen reizenden Flussarm hinein, der uns vollständig in den traumhaft schönen Märchenzauber der Paranás des unteren Amazonas zurückversetzte. Es war das Urbild eines Igarapés. Palmenuntermischte, reichste Vegetation trat bis an den Uferrand vor, lianenbehangene Bäume neigten sich von beiden Seiten malerisch über das Wasser herein. Wir hätten diese entzückende Landschaft Blicken festbannen wollen, aber schon glitt die Canoa, von den Fluthen getragen, weiter und weiter von dannen.

Die Ausdrücke Paraná und Igarapé, über welche wir uns mit unserer Canoabemannung verständigen wollten, waren ihr fremd. Es sind Tupíworte, deren Verständniss und Gebrauch wir in der ganzen Amazonasgegend fanden, wo noch jetzt viele Tupívölker sitzen, indessen letztere an der hiesigen Küste schon verschwunden sind. Nur manche geographische Namen und, wie zu vermuthen, die Todtenurnen, welche am mittleren und unteren Flusslauf gefunden werden und die man nicht den Botokuden zuschreiben kann, sprechen hier noch von ihrer einstigen Anwesenheit.

Weiter glitt unsere Canoa, Eine Sapucaia (Lecythis Pisonis Camb.) breitete ihr riesiges, frischgrünes Blätterdach schirmartig aus; gegenüber legte ebenso schirmartig eine Gamelleira (Urostigma dolarium Miq.) ihre von mageren Aesten getragene Riesenkrone über die Vegetationswand heraus. Unten am Wasser nickten viel Pfeilgrashalme (Gynerium) von staunenswerther Grösse. Die für die hiesigen Wälder berühmten Jacarandá aber, die das geschätzte Palisander liefernden Bäume, als welche man verschiedene Arten von Dalbergien und Machaerien bezeichnet, sind in Folge ausgedehnten Schlagens an den Ufern des Rio Doce nur mehr selten zu sehen und müssen nun schon weiter waldeinwärts gesucht werden. Dort kommen sie noch in grossen Mengen vor; doch die Schwierigkeiten des Transportes, welche, gegen früher, zu Land und zu Wasser zugenommen, haben den einst unübertroffenen Export an Jacarandáholz aus den Rio Docegegenden nahezu lahm gelegt. –

Zum ersten Male nun zeigte sich eine Ansiedlung auf dem linken Flussufer. Es erschien uns dies wie eine Annäherung an civilisirtere Gegenden; denn so lange wir bisher den Rio Doce heruntergefahren, hatte keine Hütte die Anwesenheit irgendeiner und sei es auch nur der primitivsten Kultur auf der Nordseite des Flusses verrathen. Es war das unbestrittene Gebiet der wilden Botokuden, dem wir entlang gerudert waren und auf welchem bisher, dank dieser Wilden, keine nichtindianische Niederlassung sich hat halten können. Wie lange noch – dann wird auch hier der fleissige Kolonist vordringen und die Autochthonen verdrängen, welche ruhelos in ihren Wäldern herumirren, vergeblich eine Stelle suchend, wo sie ungestört ihr müdes Haupt zur Ruhe legen können. –

Wir fuhren neuerdings in einen Flussarm hinein. Die Ilha das Palmas blieb zu unserer Rechten. Links von uns war das Nordufer mit dem Ausfluss der nahen Lagôa das Palmas. Hier wuchsen neben den uns schon bekannten, hohen Jeribá (Cocos Martiana Dr. et Glaz.), die weit niedrigeren Burípalmen (Diplothemium caudescens Mart.). Brüllaffen (Mycetes ursinus Wied), welche hier sowohl Barbados, wie Bugí genannt werden, brüllten laut im Walde. Ein mittelgrosser Alligator lag im Wasser, etwas weiter abwärts ein zweiter auf dem Trockenen. Später sahen wir ein drittes dieser unsympathischen, boshaften Thiere, welche gar keine Scheu vor uns verriethen. Ein wundervoll in roth und blauem Gefieder schimmerndes Ararapaar (Arara chloroptera G. R. Gr.) zog schweren Fluges vorüber. Aus dem Urwald liess sich wieder das Kollern des Pavão (Pyroderus scutatus Shaw) vernehmen.

Der Rio Doce, welcher sich gerade in der Vasantezeit befindet, da er erst im Oktober mit den häufigeren Regen wieder zu steigen beginnt, war so nieder, dass wir sogar mit unserer kiellosen Canoa fortwährend auffuhren. Wir begriffen in Folge dessen nicht den Wunsch der flussanwohnenden Bevölkerung eine Dampfschiffsverbindung zu erhalten. Ein Dampfboot könnte jedenfalls nur zur Zeit der Enchente, also nur einige Monate des Jahres, den Verkehr vermitteln. Bei den bisherigen Versuchen scheinen sich auch thatsächlich die Fahrten auf diese kurze Zeit beschränkt zu haben. Trotzdem halten die Leute an ihrem Wahne von der Möglichkeit eines permanenten Dampferverkehrs zähe fest Ein solch ununterbrochener Verkehr wäre höchstens durch riesige und unaufhörliche Baggerarbeit zu erreichen, zu welcher sich schwerlich das nöthige Kapital finden dürfte.. Auch unser Mitreisender, Senhor Milagre, welcher eine grosse Kaffeefazenda in Guandú de Baixo besitzt, trat lebhaft für die gewünschte Dampfschifffahrt ein; zugleich liess er sich in herben Worten über den Mangel an Fürsorge der Regierung, die Verkehrsentwicklung auf dem Rio Doce betreffend, aus. Ebenso, wie wegen der Dampferfrage, erhitzen sich die hiesigen Ansiedler die Köpfe wegen des Baues einer Eisenbahn zum Rio Doce, und zwar in solchem Maasse, dass sie den abenteuerlichsten Gerüchten Gehör schenken. So wurden wir zwei Damen auf unserem Ritt durch Espirito Santo für verkleidete Ingenieure gehalten, welche gekommen, das Terrain in Augenschein zu nehmen und die Verhältnisse zu studiren. Denn, dass Damen nur aus Interesse für Land und Leute eine so beschwerliche Reise unternehmen könnten, schien ihnen geradezu unerhört. Letzteres lässt sich aber durch ihr Gewohntsein an das, jeder höheren geistigen Regung baare, orientalische Dämmerleben der brasilianischen Frauen schliesslich wohl erklären. –

Nachmittags zündeten unsere Ruderer auf einer Sandunterlage ein Feuer auf dem Flurholz der Canoa an und brieten in Schweineschmalz Bananen für sich und uns. Später landeten wir am Nordufer bei lusobrasilianischen Ansiedlern, welche eine von Ochsen in Bewegung gesetzte Zuckermühle aus hölzernen Vertikalwalzen, somit eine ältere Konstruktion, besassen. Nach kurzem Aufenthalte setzten wir unsere Reise thalwärts fort. Wir passirten die Mündung eines kleinen Schwarzwasserflusses, der von Norden aus der nahen, berühmt schönen Lagôa de Juparanã-mirím herunterkam. Es war dieses Flüsschen eine wunderhübsche, schmale, waldumschlossene Wasserstrasse nach Art der Igarapés. Schon nahte der Abend, und es wurde für tropische Verhältnisse ganz kühl. Wir sahen noch bei Tageslicht aus der Ferne den auf einer Anhöhe gelegenen Flecken Linhares, doch erst um 7 Uhr, als es schon finstere Nacht war, langten wir daselbst an. So fand der zweite Tag unserer interessanten Canoareise seinen Abschluss. Heute hatten wir 86 km zurückgelegt, gestern, von Tatú ab, 63.

Linhares – Regencia. Mittwoch, den 5. September.

In Linhares waren wir bei brasilianischen Kaufleuten untergebracht, in einem Hause, welches zwar auch den einfachsten Begriffen von Comfort keineswegs entsprach, aber sich immerhin weit besser anliess, als all die letzten Nachtquartiere. Da die Anzahl Betten nicht genügte, schlug ich mein Feldbett auf, welches, wie schon früher gesagt, blos aus einem über ein hohes Metallgestell gespannten Segeltuche besteht.

Das Interessanteste im ganzen Hause war uns eine Indianerin. Sie trug die glänzend schwarzen Haare aus der Stirne gekämmt und hatte in Folge dessen, wie die meisten ihrer Stammesgenossinnen, an denen wir solche Haartracht sahen, einen auffallend mongolischen Typus. Da wir ganz in die Familie aufgenommen waren und zu deren Mahlzeiten zugezogen wurden, konnten wir nicht frei über unsere Zeit verfügen. Dies hinderte uns auch am Besuche der etwa 5 km entfernten Lagôa de Juparanã, eines der grössten Seen Brasiliens. Die Lagôa, welche auf eine Lange von ca. 32 km und eine Breite von ca. 6-9 km geschätzt wird Die Längen- und Breitenmaasse des Sees sind fast in jedem Werk verschieden angegeben., ist tief, waldumschlossen und in Tertiärhügel eingebettet. Sie besitzt nicht nur einen grossen Reichthum an Fischen und Flussmuscheln (Unio), sondern auch mindestens zwei Arten von Schildkröten. Unmittelbar oberhalb Linhares mündet der Rio Juparanã, ihr Ausfluss, welcher eine enge, tiefe und gewundene Waldschlucht durchfliesst und ganz den poetischen Charakter der Igarapés trägt.

Linhares, in welchem wir am Morgen spazieren gingen, ist eine aus einer ehemaligen Botokudenniederlassung entstandene, elende kleine Villa. Sie besteht nur aus einigen Dutzend hässlichen, ziegelgedeckten Häusern und malerischen Lehmhütten mit Strohdach. Die Häuser, welche sämmtlich einstöckig sind, umgeben auf drei Seiten einen riesigen, öden Grasplatz. Wir fanden auf diesem und in der Nähe desselben als bescheidenen Wiesenschmuck eine kleine rosablühende Papilionacee, das Desmodium adscendens DC. Zu letzterem gesellte sich mit ihren Purpurblüthen die Vernonia scorpioides var. subrepanda Die in Flora brasiliensis VI 2 S. 101 als Synonym von Vernonia scorpioides Pers. angegebene V. subrepanda Pers., wäre wohl als var. subrepanda von der Stammform V. scorpioides auszuscheiden. Pers., eine strauchförmige Composite, von welcher wir eine andere Varietät in der Camposgegend kennen gelernt hatten. Als dritte blühende Pflanze sammelte ich in mein Herbarium den Sibirischen Löwenschwanz (Leonurus sibiricus L.), ein in Brasilien eingeführter und verwilderter Lippenblüter.

An das Ufer des Rio Doce vortretend, orientirten wir uns über die Lage von Linhares. Dieser Ort liegt auf einem circa 20-25 m hohen rothen Lehmufer, einem Ausläufer der grossen Tertiärebene, welche sich nördlich des Flusses ausdehnt. Vom äussersten, in den Rio Doce vorspringenden Punkt aus geniesst man einen hübschen Blick flussauf- und flussabwärts. Unter Wald förmlich begrabene, alluviale Ufer schliessen den Fluss ein, dessen Spiegel übersät ist von waldbedeckten, flachen Inseln. Wir meinten uns an den unteren Amazonas zurückversetzt. Nur der Botokudenknabe, welcher am Wasserrande lungerte, erinnerte uns, dass wir hunderte und hunderte von Meilen vom König der Ströme entfernt waren. Der Anblick dieses Knaben brachte uns ebenfalls in Erinnerung, wie nah von hier, nämlich gleich hinter dem Westufer der Lagôa de Juparanã, das Gebiet der wilden Botokuden, die Terra incognita der Weissen beginnt. Der braune Junge hatte denselben Haarreichthum wie unser botokudischer Ruderer; auch er ging, gleich den meisten jungen Indianern, in der glühendsten Sonne baarhaupt, vielleicht, weil seine natürliche Pelzmütze ihn genügend vor ihren Strahlen schützte.

Im Laufe des Vormittags verliessen wir das wegen seiner bösartigen Malaria als äusserst ungesund verschrieene Linhares. Wir hatten heute, wollten wir Regencia, auch Barra do Rio Doce genannt, erreichen, noch 48-50 km zu Canoa zurückzulegen. Anfangs steuerten wir dem linken Ufer entlang. Der Urwald hier, am untersten Flusslaufe, zeigte einen viel grösseren Palmenreichthum als derjenige weiter flussaufwärts. Da nun der Wald am schönsten wirkt, wo Palmen und Laubbäume gemischt stehen, war die hiesige Waldlandschaft weit anziehender, als die, welche wir die letzten Tage gesehen. Verschiedene Cocospalmen, Cocos Martiana Dr. et Glaz. mit dichtstehenden Wedeln, und Patt (Cocos botryophora Mart Hier wurde die Cocos botryophora von den Eingebornen Patí genannt, Karl Frank hatte sie uns mit dem Namen Patioba bezeichnet. Siehe weiter oben S. 335. – Auch in Flora brasiliensis III 2 p. 409 sind diese beiden Vulgärnamen für C. botryphora angeführt. mit dünnerem Stamme als erstgenannte, strebten graziös in die Lüfte. Ueber das Wasser herein neigten sich weissstämmige Palmitos (Euterpe edulis Mart.), Palmen, deren Blattknospen den bekannten Palmkohl liefern. Viel Faulthierbäume (Cecropia), welche, wie alle hier am Rio Doce, keine weissfilzige Blattunterseite hatten und sich hierdurch wesentlich von den anderswo von uns gesehenen Cecropiaarten unterschieden, machten sich unter den zahlreichen anderen Laubbäumen bemerkbar. Hohes Pfeilgras (Gynerium parvifolium Nees ab Esenbeck) säumte das Ufer, und Schlinggewächse rankten sich von Ast zu Ast und bildeten phantastische Lauben. Viel Terras cahidas, d. h. in Folge Unterwaschung eingestürzte Uferterrains, schufen malerische Bilder. Halbertrunkene Bäume lagen im Wasser, manche noch laubgeschmückt, manche nur mehr dürre Aeste von sich streckend. Diese gestürzten Waldriesen, welche oft noch durch Lianenstricke festgehalten wurden, hatten eine ganze Welt von Cipós und Epiphyten mit sich in das Verderben gerissen.

Beutelnester von Troupialen, deren wir seit dem Amazonas keine mehr gesehen hatten, hingen an den über das Wasser herausragenden Astenden einzelner Bäume. Es gelang uns, einiger habhaft zu werden. Sie waren bei 14 cm Breite nur 30 cm lang, somit bedeutend kleiner als die der Cassicus persicus L., welche wir auf der Ilha das Onças gesammelt hatten und welche bei einer Breite von 18 cm mindestens 55 cm an Länge maassen. Auch hatten sie den Eingang weiter oben angebracht und waren von anderem, feinerem, dunklerem Material als jene. Sie bestanden nämlich nicht aus langen, steifen und geraden grasartigen Blättern, wie der Hauptsache nach die erstgesammelten Nester, sondern zum grössten Theil aus Stengeln und Blättern der Tillandsia usneoides L.

Ein prachtvoll dunkelstahlblauer Madenfresser, ein Anú coroya (Crotophaga major Gm.), strich schweren Fluges dahin. Einige Rhamphococlus brasilius L., entzückende, schwarz und rothe Tanagriden, belebten die Flussufer. Viel Bem-te-ví, der Art des Vorkommens nach Pitangus lictor Licht., flogen am Waldrand hin und her. Im Wasser lag, durch das Geäste eines gefallenen Baumes gehalten, eine todte Capivara, d. h. ein Wasserschwein, das einzige solche Thier, welches wir in dieser an derlei Nagern so reichen Gegend zu Gesicht bekamen.

Zu Mittag hatte die Luft 31,5° C, das Wasser 26,6° C. Nachmittags kamen wieder, wie gestern, Krokodile zum Vorschein. Zuerst zeigte sich ein mittelgrosser Alligator, welchen ich seiner grauen Farbe nach für ein jugendliches Exemplar des Caiman latirostris Daud. hielt, der 2-3 m lang wird, die Flüsse Ostbrasiliens, namentlich deren stilleres Wasser belebt und nicht gefürchtet ist. Das Thier lag gestreckter Länge auf einem über dem Wasser befindlichen, abgestorbenen Baumstamm und sah so grau und staubig aus wie seine Unterlage. Wir ruderten gegen dasselbe zu. Platsch – liess sich das Ungethüm in den Fluss fallen, vor uns zu fliehen, und verschwand in den Fluthen. Kurz darauf erschien am entgegengesetzten Ufer, ebenfalls auf einem Baumstamm ruhend, ein zweites, welches durch unsere Nähe jedoch nicht aus seinem süssen Schlummer gestört wurde. Sein Schwanz war der Quere nach dunkel gestreift, eine Zeichnung, welche mehr oder minder den beiden die Flüsse der Ostküste bewohnenden mittelgrossen Alligatoren, dem Caiman latirostris Daud., wie dem Caiman sclerops Schneid., in jüngeren Jahren eigen ist. Nicht lange darauf bemerkten wir einen dritten Alligator; dieser lag im Wasser und streckte nur seine hässliche Schnauze aus den trüben Fluthen heraus.

Der Fluss war hier, dem Augenmaasse nach, so breit wie der Rhein weit unterhalb Köln. Doch machte er nicht den Eindruck überwältigender Grösse, da seine Wassermasse sehr zu wünschen übrig liess. Sandbänke und allerhand Untiefen erfüllten das Flussbett. Wir steuerten kreuz und quer, um uns im tieferen Fahrwasser durchzuwinden. Trotzdem schurrte unsere Canoa fortwährend über Grund, und des öfteren fuhren wir auf. Unsere Leute mussten in das Wasser springen, die Canoa zu erleichtern und zu schieben oder uns, in geeignetem Fahrwasser, mittelst Buschmessers den Weg unter irgend einem überhängenden Strauch hindurch zu bahnen. Sass die Canoa richtig fest, so wurde sie meistens nur mit Aufbietung aller Kräfte wieder abgebracht. Angstvoll sahen wir die Stunden schwinden, befürchtend, durch diese wiederholten Aufenthalte unser Ziel nicht rechtzeitig zu erreichen. Zugleich aber drängten sich uns mit erneuter Wucht alle Zweifel auf, bezüglich der Möglichkeit einer Dampfschifffahrt bei so geringer Tiefe des Flusses.

Auf einer der Sandinseln spazierte ein Regenpfeifer, welcher uns als Soldado bezeichnet wurde. Er hatte weisse Unterseite, dunklen Rücken, eine schwarze, kravattenartige Binde um den Hals und zinnoberrothe Beine. Nach Färbung, Zeichnung und Art des Vorkommens hielt ich diesen Vogel für einen Hoploxypterus cayanus Lath. Im Walde schrie ein Mutum (Crax carunculata Temm.), der Wald selbst aber war still. Man hört den Urwald selten rauschen; meistens ruht er in tiefem Schweigen, nur die Thiere in ihm sind laut.

Wieder zeigte sich uns ein grosser Alligator, diesmal, seiner gelbgrauen Farbe nach, zweifellos ein noch nicht ausgewachsener Caiman sclerops Schneid. Der Caiman sclerops Schneid. ist der einzige brasilianische Alligator, welcher vorwiegend als gelb oder gelblich beschrieben wird, und zwar ist dies seine Jugendfärbung. Siehe Gray: Catalogue of the Tortoises, Crocodiles and Amphisbaenians II p. 26. – The Annals and Magazine of Natural Hist. X 329. – Transactions of the Zoological Society of London VI 165. – Boulenger: Catalogue of the Chelonians, Rhynchocephalians and Crocodiles in the British Museum 295. Er lag in der Sonne auf einem etwas schief über den Rio Doce hereinragenden Baumstamm. Wir fuhren ganz nahe zu ihm hin, er schielte uns an, wendete sich etwas nach uns, bewegte langsam seinen schuppigen Schwanz und glitt erst in den Fluss, um davonzuschwimmen, nachdem wir ihn durch Schreien und Ruderschläge in das Wasser all zu sehr belästigt hatten. Noch nie hätte ich einem Thiere so gerne eine Kugel in den Leib gejagt wie dieser, so namenlos frech uns anschielenden Panzerechse.

Kleine und grosse, rosettenförmige Bromeliaceen sassen auf den am Wasserrande stehenden Bäumen. Viele andere, langstielige Epiphyten, wie mir schien, Philodendren, hingen aus dem Laubdickicht des Waldes herab. Eine kleine Insel war, nach Art mancher Eilande des Amazonas, ausschliesslich mit Cecropien bestanden und von einem Canagürtel umschlossen. Ungefähr eine Stunde vor der Mündung hörte das Insellabyrinth auf, ebenso der schöne, üppige Wald. Der nun vollständig insellose Fluss schien über 2 km breit zu sein. Was ihn zu beiden Seiten begleitete, war wohl noch Urwald, aber ein unschöner, aus niederen, mit wenig Lianen geschmückten Bäumen zusammengesetzter. Von Südosten her hörte man schon das gewaltige Rauschen des Meeres; die Aussicht auf den Ocean war aber noch durch einen grünlichen Vegetationssaum benommen. Es zeigten sich die ersten Aningães, das heisst die in Mittelbrasilien für die Sumpfvegetation der Meeresnähe charakteristischen Wäldchen von Montrichardia linifera Schott. Das Kreuzen der verschiedenen Strömungen wurde deutlich fühlbar; das Wasser hüpfte in spitzen kleinen Wellen gleichsam senkrecht empor.

Wir landeten am rechten Ufer bei Regencia, einem Dorfe, welches nur aus etlichen, durchwegs strohgedeckten Hütten besteht. Die eine der Hütten ist ganz aus Stroh, die meisten haben Lehmwände, nur ein paar sind gemauert. Wir verabschiedeten unsere Canoa, welche der junge Botokude nach Mutum zurückführen muss; zu dieser Strecke, zu welcher wir flussabwärts drei Tage brauchten, benöthigt er flussaufwärts drei Wochen. Ein leeres Häuschen des Agenten der Dampfschifffahrtsgesellschaft wurde uns als Unterkunft angewiesen. Es ist einstöckig, fast gar nicht eingerichtet und lässt den Wind nach allen Richtungen durchblasen. Cocos nucifera L., Palmen, welche das ganze Jahr über Früchte tragen, rauschen in der Nachbarschaft, und stehen hier überall beschattend zwischen den einzelnen Hütten. Ihr Vorkommen würde uns die Nähe des Meeresstrandes verrathen haben, wenn wir nicht ohnediess hinter der Barre die weisse Brandung hätten aufschäumen sehen.

Zum Abendessen mussten wir uns in das vom Agenten bewohnte Haus begeben. Wir fanden im Hofe daselbst einen Affen, welcher der nämlichen Species angehörte, wie derjenige in der Fazenda de Santo Antonio; es war somit einen Cebus variegatus Geoffr., der sich jedoch etwas manierlicher benahm, als sein Bruder in der deutschen Ansiedelung. Im Hause erhielten wir eine Anzahl von Eumolpus fulgidus Oliv. geschenkt, prachtvolle, goldgrünglänzende brasilianische Blattkäfer (Chrysomelidae).

Der Agent, ein sehr gefälliger und gebildeter junger Mann mit zahlreicher Familie, setzte uns Maté vor. Es ist dies ein Thee, welcher aus den Blättern der Ilex paraguariensis St. Hil. und mehreren anderen Ilicineenarten gewonnen wird, und der uns fast wie chinesischer Thee mundete. Man bereitet ihn, indem man die Blätter, welche denen unserer Stechpalme an Grösse wenig nachstehen, auf einen Teller legt, mit Zucker bestreut und mit glühenden Kohlen bedeckt; sind die Blätter erwärmt, so werden sie in heisses Wasser geschüttet und letzteres nach einiger Zeit als trinkbare Flüssigkeit abgegossen. In den Provinzen Minas Geraes, Matto Grosso, Paraná, Santa Catharina und Rio Grande do Sul beutet man die Wälder nach den zu Maté verwendbaren Ilicineenblättern aus. Paraná beansprucht für sich allein dreiviertel der ganzen Matéproduktion Brasiliens. Der Export an Maté, welcher sich hauptsächlich nach Chili und Argentinien erstreckt, belief sich im Jahre 1886-1887 auf mehr denn 20 Millionen Kilogramm im Werthe von etwa 9-10 Millionen Mark S. Anna Nery. Le Brésil en 1889 p. 256. 257. – Levasseur. Le Brésil p. 66. – Siehe auch Liais Climats, Géologie, Faune et Géographie botanique du Brésil 563 etc. und Martius: Flora brasiliensis XI I. p. 62 u. ff. 75-76..

Regencia – An Bord des »Rio São João«. Donnerstag, den 6. September.

In unser heutiges Nachtquartier stiegen Hühner zum Fenster gemüthlich aus und ein und eine Henne legte ein Ei in ein daselbst befindliches Waschbecken. Da der fällige Dampfer, welcher uns nach Victoria bringen sollte, des Morgens noch nicht eingetroffen war, unternahmen wir eine Recognoscirung in Dorf und Umgegend. Wir fanden im Orte weder Kirche noch Kapelle, aber eine Schule, eine in solch entlegener Gegend grosse Seltenheit. Man trifft nämlich in solchen Gegenden mitunter wohl ein Schulgebäude, es fehlt aber dann manchmal noch die Hauptsache, der Lehrer.

Unter den Bewohnern in Regencia gab es einzelne Indianer, doch fehlten auch Neger nicht. Mit einem der letzteren, einem mindestens sechsjärigen Knaben, ereignete sich eine drollige Scene. Als ich, das Schmetterlingsnetz in der Hand auf der Strasse stehend, den Jungen, um seinen Typus zu studiren, schärfer ins Auge fasste, packte ihn ein solch panischer Schrecken, dass er auf der Stelle umkehrte und wie ein gehetztes Wild davonlief, schreiend und von Zeit zu Zeit angstvoll umblickend, zu sehen, ob er der vermeintlichen Gefahr schon entronnen sei. So sah ich den kleinen schwarzen Kerl athemlos dahinjagen, bis ihn das Ende der Strasse meinen Blicken entzogen hatte. Der ganze Auftritt war wohl verursacht durch meinen Insektenfangapparat, welcher dem Negerjungen als räthselhaftes Mordinstrument erschienen sein muss.

Die Gegend um Regencia war flach und öde, eine trostlose Sandwüste mit niederem Gebüsch und etlichen Cocospalmen bestanden. Im Sande wuchsen Zinnia multiflora L., aus Mexiko eingewanderte oder eingeführte und verwilderte Compositen. Auf dem nämlichen Terrain gedieh der, wie sein Name verräth, ursprünglich aus der gleichen Heimath stammende Mexikanische Stachelmohn (Argemone mexicana L.), mit seinen grossen, schönen Blüthen und seinen stachelbewehrten Blättern, die einzige in Brasilien vorkommende Papaveracee. Den Sandboden bedeckten ferner Turnera odorata Rich., gelbblühende Sträucher mit gezahnten Blättern. Die Vegetation der kleinen Wassertümpel bestand aus Limnanthemum Humboldtianum var. parvifolium Gris., einer weissblühenden Gentianacee. An sumpfigen Stellen fanden wir die Jussiaea octonervia Lam., eine krautartige, bis in das südliche Nordamerika hinauf verbreitete Onagracee. Und mehr gegen den Meeresstrand zu nickte uns die hübsche Vinca rosea L. entgegen, die einzige Sinngrünart, welche bisher in Brasilien gefunden worden ist Sämmtliche hier genannte Pflanzen sammelte ich in mein Herbarium..

Um 1 Uhr Nachmittag steuerte endlich der erwartete Raddampfer in den Rio Doce herein, ein elendes kleines Schiff, weit kleiner als sämmtliche auf dem Bodensee fahrende Passagierdampfer. Auf diesem gingen wir an Bord, um schon eine halbe Stunde später den Rio Doce zu verlassen. Derselbe fliesst in südlicher Richtung in das Meer und hat gegenwärtig zwei Mündungen, eine südlichere von 1,5 m und eine nördlichere von 2,6 m Tiefe Silva Coutinho: Navegação do Rio Doce.. Dem unmittelbar bevorstehenden Passiren der berüchtigten Barre sahen wir mit einigem Bangen entgegen. Es ist diese Barre eine der schlimmsten der ganzen Ostküste Brasiliens. Oft können die Schiffe wochen-, ja monatelang weder in den Fluss ein-, noch aus dem Fluss auslaufen. Grösseren Schiffen ist das Einlaufen nur bei Hochfluth, vereint mit Südwind gut möglich. Für kleine Dampfer bleibt das Auslaufen bei Gegenwind immerhin sehr bedenklich. So sind schon viele Schiffe beim Versuch, die Barre zu passiren, verloren gegangen Ehrenreich. Land und Leute am Rio Doce (Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin XIII S. 96). Hartt: Geology and Physical Geography of Brazil p. 102. 104.. Von brasilianischer Seite will man die Gefährlichkeit der Barre nicht recht zugestehen. Unsere persönlichen Erfahrungen überzeugten uns jedoch, dass die nichtbrasilianischen Berichte über diese Gefährlichkeit nur zu wohl begründet sind. Unser armes, kleines Dampfschiff musste mitten durch eine haushoch kochende und wirbelnde Brandung hindurch. Es rollte und stampfte, ächzte und krachte auf unbeschreibliche Weise. Bald bäumte sich sein Bug hoch empor, bald drehte sich eines der Räder über unseren Köpfen in der Luft, bald meinte man, der Kiel müsse im Wellenthal aus Wassermangel auflaufen, im nächsten Augenblick erwartete man zu kentern, dermaassen legte sich das Schiff auf die Seite, endlich hatte es den Anschein, als ob das arme zerbrechliche Ding über diesem tollen Herumgeworfenwerden aus allen Fugen gehen müsse. Im wilden Toben und Tosen der aufgeregten Elemente verhallte die Donnerstimme des Kapitäns meist ungehört. Wie wahnsinnig rannten die Matrosen umher, helfend einzugreifen wo es Noth that, und Einer, den es zu Boden gerissen, jammerte laut, dass die Ausfahrt heute sehr schlimm sei. Wir sassen auf Deck und klammerten uns mit allen Kräften an, um nicht über Bord zu gehen. Dies dauerte einige bange Minuten, während welcher hochaufspritzender Gischt uns ringsum einhüllte. Dann hatte sich unser kleines, tapferes Schiff über die Barre hinweggekämpft und schwamm stolz und siegesbewusst auf der ziemlich ruhigen See. Das soeben Erlebte war der Scheidegruss des Rio Doce gewesen. –


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